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(Bei Frau von Neckheim.)
Emilie und Sofie (sitzen im Gespräch).
Emilie. Du hast ihm den Brief zurückgeschickt?
Sofie. Unerbrochen, unter Couvert. Schon vor Tisch.
Emilie. Sei nur nicht böse, daß ich das Billet angenommen. Der Baron bat mich gestern auf dem Ball so dringend, nannte mich seine Vertraute – was sollt' ich thun? Agathe brachte mir's heute, so gab ich's Dir –
Sofie. Der närrische Mensch verfolgt mich mit seiner Leidenschaft!
Emilie. Und Du behandelst ihn so grausam!
Sofie. Er will's gar nicht besser! Unglückliche Liebe – das ist sein Element. Er hat sich seiner Zeit in Heine und die Lieder der Liebe verbissen – darin lebt er wie der Fisch im Wasser.
Emilie. Es muß doch was Eigenes sein –
Sofie. Was?
Emilie. Wenn man verliebt ist.
Sofie. Deine Zeit wird kommen, Kind! Das bleibt keinem Mädchen aus –
Emilie. Nein, ich glaub', ich hab' gar keine Anlage dazu. So wenig als der Bruder –
Sofie. Der trock'ne Mensch! Das muß wahr sein! – Und Ihr seid doch die Kinder Eures galanten Vaters.
Emilie (lacht). Das Billetdoux, von dem ich Dir erzählt habe, gelt? Die Unterschrift: »Ihre Flora!«
Sofie. Weißt Du, Schatz, daß das eigentlich nicht recht war? Man blickt in keine fremden Briefe!
Emilie. Es geschah zufällig –
Sofie (mit Salbung). Wenn auch, meine liebe Cousine! Es ist Dein Vater – das hättest Du nicht vergessen sollen. Und Du als Tochter – der Respect, den Du ihm schuldig bist –
Emilie. Freilich, freilich! Ich machte mir auch Vorwürfe darüber, obwohl ich nichts herausgekriegt hab' als das: »Ihre Flora!« – Eine alte Freundin vielleicht –
Sofie. Freundin oder – – Gleichviel! Hast Du denn nicht mehr lesen können?
Emilie. Nein. Aber weißt Du was, Cousinchen? Ich werde den Brief – (Hält inne.)
Sofie. Nun?
Emilie. So unter der Hand – (Mit Pantomime.) Verstehst Du –
Sofie. Beileibe! Das wäre höchst tadelnswerth. (Steht auf.) Dein Papa wollte Dich ja abholen?
Emilie (steht auf). Bin ich Dir zu lange auf dem Hals?
Sofie. Ach, ich möchte Dich immer um mich haben, Du weißt's ja! Dein kindliches und ewig heiteres Gemüth wär' ein wahres Labsal für mich!
Emilie. Bist Du denn gar so ernsthaft?
Sofie. Man hat seine Stunden! – Aber sag' doch, Emilchen! wie wolltest Du's bekommen?
Emilie. Was denn?
Sofie. Nun, wovon wir eben sprachen! Das Billet –
Emilie. Das von der Flora? – Wenn Dir ein Gefallen damit geschieht –
Sofie. Mir? Ich wüßte nicht! Was kümmert mich eigentlich die Flora? Was kümmert sie uns Beide?
Emilie. Mich gewiß nicht!
Sofie. Nun siehst Du! Einen solchen Brief läßt man auch nicht zweimal liegen. –
Emilie. Warum nicht? Wenn man zerstreut ist, wie der gute Papa –
Sofie. So? Ja?
Emilie. Mein Wort, ich stipitze den Brief – für Dich!
Sofie. Für mich? Verlang' ich denn –? Aber still! Da kommt der Onkel –
Vorige. Berg.
Berg. Kinder, eine ungeheure Neuigkeit! Ein plötzlicher Ball ist ausgekommen –
Emilie (klatscht in die Hände). Ein Ball! Wirklich, Papa?
Berg. Und zwar heute schon! Ein improvisirter Ball –
Emilie. Heute schon! Heute schon! – Wir holen Dich ab, der Papa und ich –
Sofie. Ja, geht's denn auch mich an?
Berg. Sie sind eine der Hauptpersonen, liebe Nichte! Auf Sie ist besonders gerechnet. Wo hab' ich nur den Brief –? Es ist bei der Stolzheim –
Emilie Wo's immer so lustig hergeht –
Berg. Der Bruder, der Rittmeister, ist unvermuthet angekommen, bleibt nur achtundvierzig Stunden, so will man ihn mit den Freunden und Freundinnen überraschen – Sie an der Spitze! – Da ist die Einladung, der Kürze wegen zugleich an mich adressirt – (Gibt ihr den offenen Brief.)
Sofie (liest.) »Theurer Freund! Wie viel betrübte und kummervolle Tage –«
Berg. Halt, halt! Das ist nicht der rechte Brief –
Sofie (liest rasch, zu Emilien). »Seit ich anfangen muß, an Ihrer Neigung zu zweifeln –« (Blickt nach der Unterschrift.) »Ihre Flora!«
Emilie. Ein Flora-Ball, Papa?
Berg. Ich habe mich vergriffen! Da ist der rechte – (Gibt Sofie einen andern Brief.) gegen gefälligen Austausch!
Sofie. Mit Vergnügen!
Berg (zerreißt das Blatt, ärgerlich). Ein Bettelbrief! Man wird überlaufen. – Sie nehmen doch die Einladung an?
Sofie. Warum nicht? – Aber wo nehmen wir die Toiletten her?
Emilie. Agathe muß aushelfen. Willst Du zu ihr? Oder soll ich –?
Berg. Du, mein Kind! Meine Equipage steht unten –
Emilie. Schön, Papa! (Sucht Hut und Shawl.) Was soll ich für Dich bestellen?
Sofie. Die Putzmacherin selber. Sie hat ein Ballkleid für mich liegen, sie soll es schnell herrichten, aufputzen, uns beide ankleiden, und zwar bei Dir.
Emilie. Du kommst zu uns? Desto besser! Abgemacht – (Will fort.)
Berg (ruft ihr nach). Mach' Dich nur recht schön! Auch der interessante, blasse Baron Adler wird sich bei der Stolzheim einfinden –
Emilie. Da wird sich die Cousine freuen, Papa, denn er ist ihr Verehrer auf Tod und Leben – (Ab.)
Berg. Sofie.
Berg. Ihr Verehrer, Frau Nichte?
Sofie. Wessen sonst?
Berg. Er hat aber meiner Tochter geschrieben! Und die Kleine thut nichts dergleichen –
Sofie. Weil mein Cousinchen discret ist! Weil der Brief an mich war –
Berg. An Sie? Oho!
Sofie. Ohne Sorge, Herr Exvormund! Man gibt dem blasirten jungen Herrn kein Gehör.
Berg. Nicht? Das freut mich zu vernehmen –
Sofie. Und mich freut's, den Herrn wieder einmal bei mir zu sehen. (Setzt sich.) Ich muß mich meist mit der Tochter begnügen, da der jugendliche Vater als Garçon in der weiten Welt herum schwärmt.
Berg (tritt langsam näher.) Geschäfte, liebe Freundin! Auch machen mir die Kinder viel zu schaffen –
Sofie. Ohne daß Sie sich selbst dabei vergessen!
Berg. Ich mich? Wie so? (Setzt sich zu ihr.)
Sofie. Nun, man hat noch immer Glück in der Frauenwelt!
Berg. Das ist vorüber –
Sofie. Wirklich? – Und dieser Brief? Diese Flora?
Berg. Eine Fremde, aus Paris. Sie ist an mich empfohlen –
Sofie. Die berüchtigte Tänzerin vielleicht?
Berg. Sie sucht ein Engagement –
Sofie. Und Sie wollen es ihr verschaffen?
Berg. Vorüber, wie gesagt! – Glauben Sie mir, seit die Kinder im Hause sind, denk' ich an gewisse Dinge längst nicht mehr, die auch für meine Jahre gar nicht mehr passen
Sofie. Armer, alter, gebeugter Vater!
Berg. Je nun, man fühlt sich noch, man machte gerne etwas mit, doch wie gesagt, die Kinder, die Kinder!
Sofie. Ich verstehe! Sie möchten sie los haben, um mit voller Freiheit und Bequemlichkeit das Leben vollauf zu genießen.
Berg. Halten Sie mich nicht für so egoistisch. Aber bedenken Sie meine Lage. Ein Vater ist niemals im Stande, seine Tochter zu erziehen. Ja, wenn meine gute Friederike noch lebte! Emilie ist eben in den Jahren, wo sie weiblicher Einwirkung am meisten bedarf. Noch ist sie kindlich, unbefangen. Aber ich zitt're fast vor dem Augenblick, wo ihr Herz erwacht; meine Verhältnisse fordern, daß ich sie bald verheirathe, doch ich werde in der Wahl eines Schwiegersohnes vielleicht allzu ängstlich sein; denn wo ist der Mann, dem ich die Rechte auf mein Kind mit voller Beruhigung übertragen kann?
Sofie. Lieber Freund, das überlassen Sie uns. Wir Frauen haben einen Blick in solchen Dingen. Zudem besitze ich das Vertrauen des guten Kindes im vollsten Maß.
Berg. Ich sehe mit Freuden, wie sich Emilie an Sie anschließt. Verlassen Sie sie nicht, liebe Sofie!
Sofie. Mein Wort darauf! Ich liebe Emilien, wie eine ältere Schwester, oder, wenn Sie wollen, wie eine Mutter.
Berg. Es wäre Alles recht gut – aber Sie sind doch nicht immer um sie. Es gäbe freilich ein Mittel – ich ließ schon ein paarmal ein Wort fallen –
Sofie. Sie hätten –? Ich wüßte nicht –
Berg. Sie wichen mir immer aus.
Sofie. Gewiß, lieber Onkel Adolf, Sie irren –
Berg. Wie gesagt, das Mittel könnte uns Alle vereinigen –
Sofie. Uns?
Berg. Sie, mich und die Kinder.
Sofie. Uns Alle?
Berg. Wie gefällt Ihnen mein Eduard?
Sofie. Wie kommen Sie auf den?
Berg. Ein hübscher Junge ist's, nicht wahr? Und gut und brav obendrein.
Sofie. Aber linkisch, unbeholfen –
Berg. Er wird das ablegen, ist vielleicht bereits auf dem Wege. Eben sah ich ihn in einer tadellosen, neuen Toilette aus einem Kleidermagazin herausstürzen –
Sofie. Eine derlei Metamorphose kann dem jungen Menschen nur von Vortheil sein.
Berg. Nicht wahr? Nicht wahr?
Sofie. Da er bisher einer Vogelscheuche glich –
Berg. Sie verfolgen mein armes Söhnchen? Sie sind ihm doch gut –
Sofie. Des Vaters wegen, der mein Freund ist –
Berg. Ihr Freund? Ja, das bin ich.(Ergreift ihre Hand.) Und ist unser Umgang nicht aus gegenseitigem Wohlwollen entstanden, aus gleichen Neigungen, aus ähnlicher Lebensansicht? Sehen Sie, liebes Nichtchen, ein engeres Familienband könnte uns noch trauter, inniger zu einem schönen Ganzen verknüpfen –
Sofie. Ein Familienband? Wie meinen Sie's?
Berg (hält noch immer ihre Hand). Darf ich's heraus sagen? Schon lange hab' ich's auf dem Herzen –
Sofie (mit niedergeschlagenen Augen). Nun, warum sprechen Sie nicht, lieber Onkel Adolf?
Berg. Heraus also! – Wie wär' es, Nichtchen, wenn Sie meinen Sohn – wenn Sie ihn ein wenig lieben möchten?
Sofie. Warum soll ich ihn nicht lieben?
Berg. Ja, also?
Sofie. Da es Ihr Sohn ist –
Berg (küßt ihre Hand). Sie sind ein Engel! – Also Ihr künftiger Gemahl?
Sofie (sieht ihn an). Wer?
Berg. Nun, mein Eduard!
Sofie (springt auf). Ihr Eduard?
Berg. Wer sonst? (Steht langsam auf.)
Sofie. Ihr hölzerner Eduard? Die Vogelscheuche?
Berg. Wenn er von Nothberger herauskam?
Sofie. Mir einen solchen Antrag zu machen – (Geht herum.)
Berg (folgt ihr). Ich denke, diese Verbindung ist passend.
Sofie (tritt zu ihm). Passend, sehr passend! Wenn auch nicht für mich – und wenn auch nicht für Ihren Sohn –
Berg. Für wen sonst?
Sofie. Für Sie vielleicht!
Berg. Ich verstehe Sie nicht! – Was haben Sie gegen meinen Sohn einzuwenden?
Sofie. Nichts, gar nichts! Er besucht die Collegien. Wenn er im Examen gut besteht, so soll er meine Hand bekommen – als Prämie.
Berg. Zu jung also? Hm! Ein gewisser blasser Baron ist nicht viel älter als Eduard –
Sofie. Aber er sieht doch aus wie ein Mann!
Berg. Wie ein Mann? So, so! Der Blasse ist Ihnen nicht gleichgiltig?
Sofie. Um Vergebung – Sie sind nicht mehr mein Vormund!
Berg. Ich bin Ihr Freund, und deshalb sollten Sie mir vertrauen –
Sofie. Sie sind der Letzte, dem ich mich anvertrauen möchte!
Berg. Der Letzte? Wie verstehen Sie das?
Sofie. Lassen Sie mich –
Berg. Der Letzte!
Sofie. Mir einen so lächerlichen Antrag zu machen!
Berg. Aber der Letzte? Warum der Letzte?
Sofie (platzt heraus). Weil Sie nicht der Erste sein wollen –
Berg. Der Erste! Der Letzte! Der Erste, Sofie?
Sofie. Ach, gehen Sie! (Faßt sich.) Sie sind ein feiner, gewandter Weltmann, aber Sie vergessen, daß eine Frau tiefer sieht, als der klügste Mann. Sie betreiben plötzlich mit aller Hast die Verheiratung Ihrer Kinder. Ich weiß, warum. Die jungen Leute sind Ihnen im Wege. Ist es nicht so? Sie wollen Ihre eigenen Absichten verbergen – ich war so kühn, sie zu errathen. Ein Name hat mir Alles gesagt! Flora! (Zur Seite ab.)
Berg (allein). Flora? Unsinn! – Aber der Erste? Der Letzte? Was ist das? Sie will meinen Sohn nicht heiraten? Sie ärgert sich über meinen Antrag, noch mehr über mein Verhältniß mit einer Andern? Fast sollte man denken – aber nein! Es ist nicht möglich! – Wenn es aber doch wäre? Wenn Sofie eine Neigung für mich –? Für mich! (Sieht in den Spiegel.) Und warum nicht für mich? Ich sehe noch ganz respectabel aus! – Hatt' ich nicht selbst einmal den flüchtigen Gedanken gefaßt –? Aber ich ließ ihn nicht aufkommen, aus Liebe für meinen Sohn – den sie verwirft – aus Liebe zu mir! Zu mir! – Soll ich ihr den Vater statt des Sohnes vorschlagen? Das muß ich mir erst überlegen, zurechtlegen. – Eine zweite Heirat! Meine erste war ein Treffer – aber man gewinnt nicht immer! – Der Erste! Der Letzte! Es wäre merkwürdig, zuletzt bin ich doch der Erste – der Erste und der Letzte – es wäre merkwürdig! (Ab.)
(Bei Agathe.)
Agathe (allein). Dann Eduard.
Agathe (kommt aus dem Seitenzimmer rechts). Travaillez, Mesdemoiselles, travaillez! Il faut être leste à la besogne! Les deux robes à refaire! Je l'ai promis – (Tritt ein.) Diese Damen! Ein Ball, der plötzlich auskommt! Sie haben nichts Anderes im Kopf! »In zwei Stunden muß es fertig sein!« – »In einer Stunde!« – Und wenn wir armen Mädchen uns die Finger wund nähen sollten – (Setzt sich zur Arbeit.) Je m'en fiche pas mal! Allez! (Sie arbeitet. Pause, dann halblaut singend.)
Il était un roi d'Yvetôt, Peu connu dans l'histoire, Se levant tard, se couchant tôt, Dormant fort bien sans gloire, Et couronné par Jeanneton D'un simple bonnet du coton, Dit-on. Oh, oh, oh, oh! Ah, ah, ah, Quel bon petit roi c'était là! La, la! |
(Man hört anklopfen.) Entrez! Entrez!
Eduard (elegant gekleidet, tritt schüchtern ein). Um Vergebung, wenn ich störe –
Agathe. Ah, der junge Herr! – Aber Sie sehen ja prächtig aus!
Eduard. Nach Ihrem Rathe, Mademoiselle Agathe! Sind Sie zufrieden?
Agathe (mustert ihn mit den Augen). Nicht übel! Gar nicht übel! Ein bischen endimanché – Was bringen Sie da?
Eduard. Von der Schwester die Bänder, die Spitzen –
Agathe. Weiß schon! Werde Alles besorgen. Fräulein Emilie war auch eben hier –
Eduard. So? Ja?
Agathe (arbeitend). Hab' alle Hände voll für das Fräulein zu thun, ich und meine Demoiselles! Ein improvisirter Ball bei der Baronin Stolzheim, heute Abend –
Eduard. Gott –
Agathe. Sie erschrecken darüber?
Eduard. Der Papa wird mich wieder mitschleppen wollen –
Agathe. Sie tanzen ungern? Ich wollt's lieber, als das ewige Nähen und Nähen! (Arbeitet emsig.) Der gute König von Yvetot hatte das besser! (Singt bei der Arbeit.)
Il faisait ses quatre repas Dans son palais de chaume, Et sur un âne, pas à pas, Parcourait son royaume – |
Eduard. Sie sind beschäftigt, Mademoiselle? So will ich –
Agathe (ohne aufzusehen.) Bleiben Sie nur! Nehmen Sie Platz, setzen Sie sich zu mir –
Eduard. Wenn Sie erlauben – (Setzt sich. Pause.) Sehr hübsche Arbeit –
Agathe. Für Ihre Schwester –
Eduard. Aha – (Pause.)
Agathe. Sie besuchen selten Bälle, Herr Baron, oder sonst Gesellschaften?
Eduard. Aeußerst selten – (Pause.)
Agathe (blickt auf). Sie scheinen überhaupt kein Freund der lauten Unterhaltung?
Eduard. Durchaus nicht.
Agathe. Die Residenz wird Ihre Gesinnung wohl nach und nach ändern.
Eduard. Schwerlich. Ich will die Stadt auch bald verlassen –
Agathe. Sie wollen sich wirklich auf's Land vergraben? Wissen Sie, daß man Ihnen das übel nimmt?
Eduard. Wer nimmt –?
Agathe. Meine Geschäfte führen mich häufig in die Salons. Dort höre ich bisweilen Ihren Namen nennen.
Eduard. Meinen Namen? Hilf Gott! Wie mögen den die witzigen Fräuleins zerzausen!
Agathe. O nein. Man läßt Ihnen Gerechtigkeit widerfahren. Der junge Baron Berg ist ein sehr hübscher Mann, sagte neulich die Gräfin Brandau. Und sehr unterrichtet, setzte ein alter Herr hinzu. Aber er ist stolz, erwiederte die Gräfin. Und alle Damen stimmten ein: Stolz, sehr stolz!
Eduard. Stolz? Ich und stolz? Sagen Sie selbst, Demoiselle Agathe, bin ich stolz?
Agathe. Man sollte denken! Sie theilen sich nicht mit. Sie sprechen wenig –
Eduard. Mein Gott! Mir fällt nichts ein.
Agathe. Wir Frauen nehmen nichts mehr übel, als wenn man in unserer Nähe stumm bleibt.
Eduard (wischt die Stirne). Ja, sehen Sie, Demoiselle Agathe, das ist bei mir ein Naturfehler. Ich habe oft in einer Gesellschaft die schönsten Gedanken; wenn ich sie aber von mir geben will, fehlen die Worte. Da gährt es innerlich in mir wie Most im Frühjahr, aber ich bringe nichts heraus, nicht um die Welt! Da sitze ich nun da, oder lehne in der Ecke, blöde und unbeholfen, zerdrücke meinen Hut und muß froh sein, wenn ich dem vorübergehenden Bedienten nicht die Tasse aus der Hand schlage. (Läßt den Hut fallen.) Vergeben Sie! (Hebt ihn auf.)
Agathe (legt die Arbeit weg). Man muß sich Mühe geben. Gesetzt, eine Dame gefällt Ihnen. Sie sei schön und geistreich. Die Geistreichste ist eitel. Jede verlangt gewisse kleine Aufmerksamkeiten, eine gewisse äußerliche Form, gefällige Erscheinung, leichte und bequeme Conversation. Z. B. Sie machen eine Morgenvisite bei – nun, bei der Gräfin Brandau, die Sie für einen hübschen Mann hält. Das wissen Sie und sie ist Ihnen nicht gleichgiltig. Sie besuchen die Gräfin. Probiren wir einmal die Scene.
Eduard. Recht gern.
Agathe. Also Sie treten ein.
Eduard. Ich trete ein.
Agathe. Stehen Sie zuerst auf. Sie lassen sich doch vorher anmelden?
Eduard. Das versteht sich. (Anmeldend.) Der junge Baron von Berg.
Agathe (als Gräfin). Ist willkommen.
Eduard. Nun tret' ich ein –
Agathe. Gehen Sie doch erst hinaus!
Eduard. Hinaus?
Agathe. Nun freilich! Um einzutreten. Nehmen Sie auch Ihren Hut –
Eduard (nimmt den Hut). Aha – (Geht hinaus.)
Agathe. Er wird sich machen! Ça pousse –
Eduard (tritt ein). Gnädige Gräfin, ich nehme mir die Freiheit –
Agathe. Halt! Das Compliment ist zu gezwungen. Etwas frei, leger! Und nichts mit: »gnädige Gräfin!« Ich lasse mich schlechtweg Gräfin nennen.
Eduard. Gräfin! Schon recht! – Bon jour, comtesse!
Agathe. Brav! Nun noch ein Bischen in den Haaren gewühlt! – So – (Als Gräfin.) Bon jour, lieber Berg. (Im natürlichen Ton.) Ich liege ein wenig hingegossen. Sie müssen sich gleich zu mir setzen.
Eduard. Setzen. (Setzt sich.)
Agathe. Mit mehr Grazie! Halb hin werfen.
Eduard. Werfen – (Steht auf, setzt sich wieder, schweigt.)
Agathe. Nun? – Sie müssen ja das Gespräch anfangen.
Eduard. Ja so! – Wie befinden Sie sich, schöne Comtesse?
Agathe (als Gräfin). Nicht zum Besten, lieber Berg. Ich hatte eine ziemlich üble Nacht. Sie wissen, meine Migräne –
Eduard. Die Gräfin, wie sie leibt und lebt!
Agathe. Sie machen sich selten, mon cher Edouard!
Eduard. Geschäfte, Comtesse, meine Studien –
Agathe. Und die Bälle, die Gesellschaften. Man macht täglich neue Connaissancen –
Eduard. Wie können Sie glauben –?
Agathe. Still! Man kennt Euch schon! Ihr seid Alle volages! Warum mußt' ich Sie auf meinem letzten Mittwoch vermissen?
Eduard. Ein fataler Zufall –
Agathe. Zufall? Das Wort hör' ich ungern. Wie sah der Zufall aus? Hatte er blaue oder schwarze Augen? Sie lächeln? O man durchschaut Euch!
Eduard. Es war gewiß keine geringfügige Sache, die mich abhielt –
Agathe. Das glaub' ich gern. Nichts ist geringfügig; aus der geringsten Kleinigkeit entstehen die bedeutendsten Begebenheiten. Als Paris die Helena zum erstenmal sah, lag darin schon der Keim zum trojanischen Krieg und zu Homer's Iliade. (Im natürlichen Ton.) Sie wissen, die Gräfin ist eine halbe Gelehrte!
Eduard. Vortrefflich! – Ihr artiges Schmollen entzückt mich, schöne Gräfin. Wie glücklich bin ich, wenn ich es ganz zu meinen Gunsten auslegen darf.
Agathe (als Gräfin). Wirklich?
Eduard. Ich finde mich nie glücklicher, nie zufriedener, als wenn ich in Ihrer Nähe sein darf.
Agathe. Sagen Sie das auch einer gewissen kleinen Modistin, die Sie täglich besuchen?
Eduard. Ich? Eine Modistin?
Agathe. Erinnern Sie sich nur! Sie heißt Mademoiselle Agathe.
Eduard. Ach, die!
Agathe. Sie soll recht hübsch sein. Oder finden Sie nicht –?
Eduard. Was, Gräfin?
Agathe. Daß sie hübsch ist.
Eduard Nun ja – nicht übel – so, so!
Agathe. So, so! Wie meinen Sie das: so, so!
Eduard. Ich meine, daß sie bei weitem nicht so reizend ist, wie Sie.
Agathe. Sie schmeicheln! Nun, man will Ihnen verzeihen. Bleiben Sie dafür in den Kreisen, für die Sie gehören. Wir wollen Sie in unsern Schutz nehmen. Aber die Putzmacherin müssen Sie uns zum Opfer bringen!
Eduard. Was kümmern mich die Putzmacherinnen der ganzen Welt, wenn Sie mir manchmal erlauben, diese schöne kleine Hand zu küssen. (Küßt ihre Hand.)
Agathe (steht auf, im natürlichen Ton). Für die erste Lektion ist's genug. Im Grunde brauchen Sie keine zweite. Ich finde gar nicht, daß es Ihnen an Ausdrücken gebricht!
Eduard. Das ist nur bei Ihnen, liebe Agathe. Vor der wirklichen Gräfin brächte ich kein Sterbenswort heraus.
Vorige. Baron Adler (schwarz gekleidet).
Baron (immer mit nachlässigen, aber feinen Manieren). Demoiselle Agathe –
Eduard. Herr Baron –
Baron. Was seh' ich? Bester Berg! (Umarmt ihn.) Was machen Sie hier?
Eduard. In Angelegenheiten meiner Schwester –
Baron. Wie befindet sich das Fräulein?
Eduard. Recht gut, recht munter.
Baron (leise zu Agathe). Haben Sie den Brief abgegeben?
Agathe. Ja, Herr Baron, auch wieder zurück bekommen! Unentsiegelt, unter Enveloppe. Hier ist das Billetdoux. (Setzt sich wieder zur Arbeit.)
Baron. Mein gewöhnliches Unglück! (Zu Eduard.) Schön, daß wir uns hier treffen! Wir müssen mitsammen diniren –
Eduard. Ich habe schon –
Baron. Desto besser! Ich halte nicht viel auf's Mittagessen. Wir trinken eine Flasche Bordeaux und nehmen dazu Bisquit.
Eduard. Bordeaux? Ich bin dabei.
Baron (küßt ihn.) Sie lieber, lebenslustiger, junger Mann!
Eduard. Nun, wir sind beiläufig von einem Alter.
Baron. Die Jahre machen's nicht aus. Ich scheine jung – aber ich bin alt. Ich habe viel gelitten.
Eduard. Sie? Ein reicher Cavalier, die Seele der guten Gesellschaft –
Baron. Seelenleiden, Freund! Seelenleiden!
Agathe (für sich.) Langeweile –
Eduard. Ja so!
Baron. Betrachten Sie mein blasses Gesicht. Die Leidenschaften haben sich mit ehernem Griffel hinein gegraben. Eine unglückliche Liebe, dann noch eine – und wieder eine – ich kam aus dem Unglück gar nicht heraus. Ich stürzte mich ins Leben, durchreiste die halbe Welt wie Lord Byron – matt, erschöpft kam ich zurück.
»Ich hab' durchschaut den Bau der Welt und hab' zu viel geschaut, Und viel zu tief.« |
Agathe (für sich). Wohl möglich!
Baron. Der Schmerz ist mein Gefährte – er geht mit mir zu Tisch, zu Bett – er verläßt mich nie.
Eduard. Sonderbar! Gestern Abends waren Sie so lustig.
Baron. Lustig? Junger Mensch, Du kennst die Ironie nicht.
Eduard. Sie scherzten und lachten –?
Baron. Aus Ironie.
Baron. Aus Ironie.
Eduard. Und tranken –?
Baron. Aus Ironie.
Eduard. Ich trinke aus Durst.
Baron. Glücklicher Naturmensch! Wir müssen Freunde werden. Kommen Sie in einer Stunde zum französischen Restaurant. Er hat herrlichen Lafitte und Larose. Champagner ist blos ein witziger Wein, feiner Bordeaux hat Humor, Tiefe und Ironie. Wenn sein dunkles Feuer mich durchglüht, dann sprudelt mein Geist, ich werde amusant, man bewundert meine Conversation – aber es sind die edelsten Lebenstheile, die sich in mir allmälig auflösen.
Ach Gott! In Scherz und unbewußt Sprach ich, was ich gefühlet; Ich hab' mit dem Tod in der eigenen Brust Den sterbenden Fechter gespielet. |
Heine, Du weißt es! – Adieu, Agathe! – (Zu Eduard.) In einer Stunde! Ich erwarte Sie – (Ab.)
Eduard. Agathe.
Eduard. Ein merkwürdiger Mensch, dieser Baron! Ein geistreicher Mensch!
Agathe. Mit seinem künstlich präparirten Unglück! Ich wette, wenn dem einmal zufällig das Geld ausginge und er arbeiten müßte, wie unser Eins, er würde kerngesund. – So. Mein Theil ist fertig. (Steht auf.) Sie erlauben, daß ich zu meinen demoiselles de comptoir sehe –
Agathe (hält inne). Aber Sie sehen wirklich charmant aus!
Eduard. Wenn Sie nur zufrieden sind –
Agathe. Mehr als das! Nur keine so steife Haltung, junger Mann! Da hat sich Ihre Cravate verschoben –
Eduard (streckt ihr den Kopf entgegen). Wenn Sie so gütig sein wollten –
Agathe. Eh bien! Je vous arrangerai! – So. Nun ist's in Ordnung –
Eduard. Danke verbindlichst –
Agathe. Dienst gegen Dienst! Eine Locke ist mir aufgegangen! Wo ist mein Handspiegel? Helfen Sie mir suchen. –
Eduard. Sogleich – (Stößt an den Kleiderrechen.)
Agathe. Geben Sie Acht, Sie zerknicken die Kleider!
Eduard. Diese liebenswürdige Unordnung – da ist der Spiegel.
Agathe. Merci bien. Halten Sie ein wenig. So. (Richtet ihre Haare.) Sie sind recht gefällig, lieber Eduard!
Eduard. Bin ich das?
Agathe. Nicht so schief! – Recht zuvorkommend –
Eduard (in ihrem Anblick). Es ist mehr als das – wenn Sie wüßten –
Agathe. Halten Sie nur gerade! – Diese widerspenstige Locke! (Blickt wie verstohlen nach ihm.) Ich bin Ihnen wirklich recht gut.
Eduard (hält den Spiegel und umfaßt sie leise mit der andern Hand). Ach, liebe Agathe!
Agathe (kokett). Was machen Sie?
Eduard. Jetzt oder nie! – Himmlisches Mädchen! (Umarmt sie, läßt den Spiegel fallen.)
Agathe. Was war das?
Eduard (erschrocken). Das war ein Kuß –
Agathe. Sie unterstehen sich?
Eduard (stotternd). Bitte tausendmal um Vergebung.
Agathe. Mein schöner Spiegel zerbrochen!
Eduard. Ich bringe einen andern –
Agathe. Mich so zu behandeln! Ich armes Mädchen! Sie sind ein Verführer!
Eduard. Ich ein Verführer?
Agathe. Verlassen Sie mich!
Eduard. Nein, Agathe, jetzt nicht, da Sie zürnen –
Agathe. Sie wollen nicht gehen?
Eduard. Ich kann nicht, bis Sie mir vergeben.
Agathe. Aus meinen Augen!
Eduard. Vergebung!
Agathe. Nimmermehr! – Ich gehe! Folgen Sie mir nicht! Bei meinem Zorn! Ich werde mich in mein Boudoir zurückziehen. Folgen Sie mir ja nicht, hören Sie? Sortez! (Im Abgehen.) Comprenez-vous, grand nigaud!
Eduard (allein an der Thür).
Eduard. Agathe, liebe Agathe! Hören Sie mich! – (Klopft.) Agathe! – Umsonst! Sie ist böse. Ich will zu ihr – aber nein. Sie hat es mir verboten – bei ihrem Zorn! Ich war tollkühn – ich bin ein Verführer – doch gleichviel! (Geht auf und ab.) Nun hab' ich ein Verhältniß! – Das hat mir gefehlt! Mag die Schwester sticheln, der Vater spotten – ich weiß, was ich weiß – ich habe ein Verhältniß! – Aber soll ich ehrlich sein, so hab' ich mir unter einem Kuß weit mehr vorgestellt. Er war wie die Ananas, die ich neulich kennen lernte, tief unter meiner Erwartung –
Berg (von außen). Ist Demoiselle Agathe zu Hause?
Eduard. Das war der Papa – er kommt – er darf mich hier nicht finden – wo verberg' ich mich? (Tritt hinter den Kleiderrechen. Es klopft.) Ich sage nicht herein –
Eduard (versteckt). Berg. Dann Agathe.
Berg. Niemand hier? Da ist noch eine Thür. (Klopft an die Seitenthür.) Demoiselle Agathe –
Agathe (kommt heraus). Sie sind's, Herr Baron? (Für sich.) Wo ist Eduard?
Berg. Stör' ich, liebes Kind?
Agathe. Ganz und gar nicht.
Berg. Nun, war mein Sohn bei Ihnen?
Eduard (für sich). Wer? Ich?
Agathe. Er ging soeben fort. Sie konnten ihm begegnen.
Berg. Wie benahm er sich? Macht er Fortschritte?
Eduard (für sich). Fortschritte?
Agathe. Man kann zufrieden sein.
Berg. Erzählen Sie, liebe Agathe. Unserm Vertrage gemäß muß ich Alles erfahren.
Agathe. Nun, ich will Ihnen nichts verhehlen –
Eduard (für sich). Da komm' ich hinter eine fürchterliche Verschwörung!
Agathe. Glauben Sie mir, der junge Mann hat Feuer –
Berg. So?
Agathe. Er zeigt eine Leidenschaft –
Agathe. Die mir in der That schmeichelhaft ist!
Berg. Genug des Spieles, Mademoiselle! Wir müssen ein Ende machen.
Agathe. Ein Ende? Wir haben kaum angefangen.
Berg. Desto besser. Die Zeit des Scherzes ist vorüber; Eduard muß nun selbst den Schein des Leichtsinns vermeiden, da ich ihm eine Dame zur Braut bestimmt hatte –
Eduard (für sich). Auch eine Braut? Ich erfahre lauter Neuigkeiten.
Agathe. Eine Braut?
Berg. So ist es. Sie sehen ein, daß ein solches Verhältniß einige Delicatesse erfordert. Suchen Sie daher auf eine gute Art seine Besuche einzustellen, die ich ignoriren will. Seine Leidenschaft wird ja nicht so heftig sein! – Adieu, liebe Agathe! Ich rechne ganz auf Ihr kluges Benehmen, zählen Sie dafür auf meine Dankbarkeit. (Ab.)
Eduard (versteckt). Agathe.
Agathe. Also den Abschied? Nein, Herr Baron, so haben wir nicht gewettet! Seine Leidenschaft wird nicht so heftig sein? Sieh doch! Nous verrons! (Geht zum Rechen.) Ach! Was rührt sich da?
Eduard (tritt hervor). Ich bin's!
Agathe. Mon Dieu! Sie waren hier?
Eduard. Ja, Mademoiselle! Das also die Freundlichkeit, womit Sie mir entgegen kamen? Schön, recht schön! – Die süßen Blicke waren bestellt, der Händedruck verabredet, der Kuß war vorgeschrieben. Alles im Auftrag meines Herrn Papa! Es ist abscheulich!
Agathe. Hören Sie nur –
Eduard. Ich will nichts hören. Diese Falschheit, diese Verstellung! Mich so zu täuschen! Ich leichtgläubiger Thor! Ich harmloses Gemüth! Dummes Gemüth! Ich liebte Sie, Mademoiselle – wissen Sie es nur, ich liebte Sie – doch das ist nun vorbei. Ich hasse Sie jetzt, ich verabscheue Sie!
Agathe. Wirklich? – Gut – ganz gut. – (Für sich.) Warte! Das sollst Du, das sollt Ihr Beide büßen!
Eduard. Sie haben mich beispiellos beleidigt!
Agathe. Allerdings.
Eduard. Mich verhöhnt, wie einen Knaben behandelt.
Agathe. So ist es.
Eduard. Entschuldigen Sie sich, wenn Sie können.
Agathe. Die schönen Kleider! Alles durcheinander geworfen!
Eduard. Entschuldigen Sie sich!
Agathe. Was hilft's? Sie werden mir nicht glauben.
Eduard. Nein, ich glaube Ihnen nichts mehr, gar nichts. Ihre Worte lügen, Ihre Augen lügen – Alles lügt! Ich will Ihnen nicht länger zum Gespötte dienen. Ich gehe, ich verlasse Sie für immer. – Ist es möglich, sich so zu verstellen?
Agathe. Ist es möglich, so blind zu sein?
Eduard. Blind? Wofür?
Agathe. Für – ach, gehen Sie! (Setzt sich zur Arbeit.)
Eduard. Wieso bin ich blind? (Folgt ihr.)
Agathe. Weil Sie am hellen Tage und mit offenen Augen nicht sehen. Wohl zwanzigmal sind Sie mir im Hause Ihres Vaters begegnet, ich grüßte freundlich – der junge Herr würdigte mich kaum eines Blickes.
Eduard. Ja, damals –
Agathe. Damals? Ich denke, ich war damals so hübsch als jetzt!
Eduard. Es war unrecht. Doch entschuldigt das Ihren Verrath?
Agathe. Der Vater trägt mir auf, den Sohn in mich verliebt zu machen, um ihn die Macht weiblicher Reize kennen zu lehren. Jene Vernachlässigung hatte mich tief gekränkt, ich benützte die Erlaubniß –
Eduard. Also aus Rache?
Agathe. Aus welchem Grunde Sie wollen. Das Spiel war gefährlich, für uns beide gefährlich – nun seh' ich es ein. Gut, daß es zu Ende ging. – Dort liegt die Scheere.
Eduard (reicht ihr die Scheere). Wenn ich wüßte – so war nicht Alles Verstellung?
Agathe. Ist es ein Verbrechen, gefallen zu wollen? Mir ist nichts unerträglicher als Gleichgiltigkeit. Kann ich für meine Natur? – Den Fingerhut!
Eduard (reicht ihn). Gewiß, Agathe, Sie waren mir nicht gleichgiltig, aber mir fehlte der Mut –
Agathe. Gleichviel! Was ging das mich an? Sie ein vornehmer, junger Mann – ich eine arme Näherin – warum mußte es mich kränken, daß Sie mich übersahen? Warum gerade von Ihnen kränken? Es war thöricht, kindisch – (Weinerlich.) Ich bitte, das Wachs!
Eduard (reicht es ihr). Lassen Sie doch diese alberne Arbeit! Agathe, hören Sie, was ich sage, sehen Sie mich an –
Agathe. Nun?
Eduard. Nein, es kann nicht Verstellung sein!
Agathe (steht auf.) Herr Baron, vergessen Sie, was vorgefallen, vergeben Sie mir. (Reicht ihm die Hand.) Scheiden wir als Freunde. (Da Eduard ihre Hand küssen will, sie zurückziehend.) Was machen Sie?
Eduard. Nein, Agathe, ich verlasse Sie nicht. Ich komme von nun an täglich –
Agathe. Das darf nicht sein. Hörten Sie nicht? Ihre Braut –
Eduard. Meine Braut soll mich von Ihnen abholen. Ich bleibe in diesem Zimmer –
Agathe. Das werden Sie nicht, wenn Sie mich wirklich lieben!
Eduard. Und warum nicht?
Agathe. Sie dürfen nicht mehr kommen. Man würde mich zuletzt für Ihre Geliebte halten –
Eduard (geschmeichelt). Mag man doch!
Agathe. Wie, Eduard? Gilt Ihnen mein guter Namen für nichts?
Eduard. Ihr guter Namen?
Agathe. Sie kennen die Welt nicht. Glauben Sie mir, wir dürfen uns nicht wieder sehen.
Eduard. Doch, doch! Ihr guter Namen! – Ha, ein Blitz! – Agathe, Sie haben bisher den Knaben, den Jüngling in mir gesehen: nun sollen Sie, nun soll der Vater den Mann kennen lernen! Ich gehe, doch bald komm' ich wieder. Es wird Sie überraschen, was ich thun will, Agathe – Sie sollen staunen, mein Vater soll staunen, die Welt soll staunen – doch mein Entschluß ist gefaßt!
Agathe. Halt doch! Was haben Sie vor?
Eduard. Was ich vorhabe? Ja, Sie werden staunen! Erst zum Baron, zum Restaurant!
Agathe. Sie wollen sich Muth trinken?
Eduard. Larose und Lafitte! Dann zum Papa! Ihr sollt schon sehen – (Ab.)
Agathe. Eh bien! Bin ich nicht gefährlich?