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Ein Jahr verging, und ich dachte, offengestanden, weder an die Mühle noch an die Melodie, aber da begegnete sie mir zum zweiten Mal – die Melodie, meine ich – jetzt hören Sie nur einmal!
Es wird sich außer mir wohl noch mancher aus seiner Garnisonszeit in Fredericia des spanischen Rittmeisters, Don Diego de Miranda, erinnern, der im Frühling 53 zu uns kam und bis tief in den Sommer hinein blieb.
Er war ein selten schöner und anziehender Typ eines südländischen Aristokraten; etwas unter Mittelgröße, aber schlank und elastisch, ein vollendeter Reiter, ein tipptopp Gentleman und ein aufrichtiger Katholik. Ich nehme an, daß er damals zwischen 40 und 50 gewesen sein mag, aber er sah älter aus, war unverheiratet und offenbar sehr reich, jedenfalls nach unseren Verhältnissen. Er sprach fließend Deutsch und Französisch, war belesen und hatte namentlich viel historisches Interesse. Er war hauptsächlich hierher gekommen, um Material zu einem Buch zu sammeln, das er über den Aufenthalt der spanischen Truppen in Dänemark schreiben wollte: sein vor einigen Jahren verstorbener Vater war als junger Offizier damals mit in Jütland gewesen, und der Sohn war im voraus sehr gut orientiert: er wußte, daß das Dragoner-Regiment Almansa in Ribe gelegen hatte, El Rey in der Gegend von Kolding, und das Infanterie-Regiment Princesa im Koldinger Schloß.
Er verkehrte als guter Kamerad mit allen Offizieren der Garnison, und worin es seinen Grund haben mochte, weiß ich nicht, aber für mich hatte er eine ganz besondere Freundschaft gefaßt, und ich ritt viel mit ihm in der Gegend umher, war sein Dolmetscher, wenn es sich darum handelte, Aufklärungen von den Bewohnern der Umgegend zu erlangen, und machte auch längere Ausflüge mit ihm nach den benachbarten Städten.
Ich zeigte ihm die Wachtstube im Koldinger Schloß, wo das Feuer zuerst ausgebrochen war, und wir bewunderten im Verein die wilden Rosen in den Fensternischen und die blühenden Hollunderbäume, die der Ruine ihr eigenartiges Gepräge verleihen. – »Ist der Hollunder ein speziell nationaler Baum bei Ihnen?« fragte er, und ich antwortete: »Nein, nicht speziell national, wohl aber typisch für die Gegend hier« – das schien ihn zu interessieren.
Nach Ribe kamen wir, dort hatte ja das Regiment Almansa in Quartier gelegen – kennen Sie Ribe? – Nicht! Das ist ein Jammer!
Ribe ist die eigenartigste Stadt in ganz Dänemark! In einem entlegenen Winkel, ohne Hinterland, versteckt, und gerade daher etwas ganz für sich. Einstmals die große Stadt, wo Königin Dagmar landete, wo der König auf dem Riber Schloß Hof hielt, und wohin man mit dem rheinischen Tufstein direkt bis an die Tore der Stadt segelte – und jetzt wie ausgestorben. Der Fluß teilt sich in, Gott weiß wie viele Arme, und große herabhängende Weiden, Pappeln und Hollunder – wieder der Hollunder! – neigen sich über den Strom, wo baufällige Brücken in stumpfen Winkeln von dem einen Garten nach dem andern hinüberführen. Die Dohlen umkreisen schreiend die Türme des Doms, und die Störche ziehen zwischen den Wiesen und der Stadt hin und her – damals war da ein Storchennest auf jedem zweiten Haus. Und die Häuser! Wie können einen die in Stimmung versetzen! Ein, höchstens zwei Stockwerke haben sie, aus ehrlichen, dunkelroten Ziegelsteinen erbaut, mit breiten, weißen Kalkfugen dazwischen, und öffnet man ein Tor, einerlei wo, so hat man gleich ein Interieur, eine Holbergsche Straßendekoration: schöne Fachwerk-Mauern, Wirtschaftsgebäude und dunkle Luken, Gallerien, schützende Linden und schwankende Weinranken – ja, Ribe ist eine unvergleichliche Stadt!
Wir waren an einem Sommerabend gerade aus Ribe zurückgekommen, Don Diego und ich; er saß oben in meinem einfachen Leutnantsstübchen und nahm mit dem fürlieb, was das Haus zu bieten vermochte – viel war es nicht.
Nach dem Abendbrot griff er nach meiner Guitarre – Sie wissen ja, ich habe meiner Zeit auch ein wenig geklimpert: so C-Dur- und G-Dur-Akkorde und die entsprechenden Dominanten, das kann ja jeder Tölpel lernen – und er fing an zu spielen – wie ein Meister sage ich Ihnen! Es war ein Genuß, seine heimischen Volkslieder zu hören, und ein Genuß, seine schönen, aristokratischen Hände das Instrument behandeln zu sehen – so soll man spielen!
Dann verfällt er in Sinnen, legt die Guitarre hin, nimmt sie wieder auf und spielt eine neue Melodie – ganz leise wie zu seinem eigenen Vergnügen.
»Die kenne ich!« sage ich da. – »So?« erwidert er. »Woher kennen Sie die?« – »Ja, warten Sie mal – ja, das ist ein jütisches Volkslied!« – »Nein, das ist wirklich ein spanisches Soldatenlied,« sagt er. »Wo haben Sie das gehört?« – »In einer Wassermühle, einige Meilen von hier entfernt; dort sang mir ein junges Mädchen die Melodie vor einigen Jahren vor,«
»Ein junges Mädchen?« – »Ja, sie hatte sie von ihrer Tante gelernt, die ein ganz altes Mädchen war, dessen erinnere ich mich noch deutlich!«
Don Diego erhob sich und fragte eifrig: »waren da draußen denn sonst keine Traditionen, keine Erinnerungen an die Spanier?« – »Nein, – ja, da war eine Guitarre, die ein Spanier in der Mühle vergessen hatte. Das wußte die Alte ganz bestimmt,« – »Lebt sie noch?« – »Im vorigen Jahr lebte sie wenigstens noch.« – »Die Mühle muß ich sehen,« rief Don Diego, »und ich muß mit der Alten reden – wollen Sie morgen mit mir da hinaus reiten?« – Ja, natürlich wollte ich das, und dann erzählte der Spanier:
Sein Vater war, wie ich schon wußte, Offizier gewesen, und hatte sich im Jahre 1809 in Jütland aufgehalten, vor einigen Jahren war er gestorben, auf dem Sterbebett aber hatte er seinem Sohn anvertraut, er habe hier oben ein Verhältnis mit einem dänischen Mädchen gehabt, das Mariquita hieß, und in einer Mühle wohnte – mehr wußte er sich nicht zu erinnern. Er hatte sie nie ganz vergessen können, und er hatte den Sohn beauftragt, sie, wenn irgend möglich, nach seinem Tode ausfindig zu machen, und, wenn sie bedürftig sei, sie und sein eventuelles Kind zu unterstützen. Die Anfrage, die seinerzeit von der spanischen Gesandtschaft in Kopenhagen an den Konsul in Fredericia gekommen war, sei von ihm veranlaßt, aber sie hatte ja zu nichts geführt, und wenn er nun selbst hier nach Dänemark heraufgekommen sei, war das ja freilich geschehen, um das erwähnte Werk über die spanischen Hilfstruppen vorzubereiten, ihn habe aber zugleich der geheime Hintergedanke hierher gefühlt, etwas von der Jugendgeliebten seines Vaters und ihrer späteren Geschichte zu erfahren.
»Nach dem Tode meines Vaters fand ich in seiner Schublade dies da,« sagte Don Diego und holte aus seinem Taschenbuch ein vergilbtes, zusammengelegtes Papier heraus, auf dem geschrieben stand: »Mariquita del molino. Danimarca 1809«. vorsichtig öffnete er das Papier und reichte es mir – ein getrockneter Büschel Hollunderblüten lag darin, leicht kenntlich noch an ihrem Duft.
»Nun werden Sie vielleicht verstehen,« fuhr er fort, »warum ich so interessiert fragte, ob der Hollunder Ihr nationaler Baum sei, und nun werden Sie auch begreifen, wie mir zu Mute wurde, als Sie sagten, daß das alte spanische Soldatenlied, das mein Vater so oft spielte, und das er noch kurz vor seinem Tode in halbbewußtem Zustand vor sich hinsummte, heute noch in einer jütischen Mühle lebt. – Kennen Sie die Worte?«
Nein, ich mußte ja antworten, daß ich nur den Anfang kenne,
»Ellinor und der Soldat
Nun du bist unora«
und daß sowohl die Leute in der Mühle, wie auch ich selbst die Worte als ein verdrehtes Bruchstück eines alten dänischen Volksliedes aufgefaßt hatten, das von einer Soldatenliebe handelte.
Don Diego lächelte. »Ihr »Ellinor und der Soldat«, wissen Sie, wie das auf Spanisch lautet? Es lautet so:
El amor del soldado
No dura una hora
En tocando la caja:
Adiós Señora!
»Ja, das ist Landsknecht-Moral,« fügte er hinzu, denn es bedeutet: »Die Liebe des Soldaten währt nicht eine Stunde; wird die Trommel gerührt, dann Lebewohl mein Mädchen!« Aber ich bin nicht in Zweifel darüber, daß ich auf der rechten Spur bin!«
Am nächsten Morgen ritten wir in der Richtung nach Hinge zu. Ich hatte Don Diego meine Isabella überlassen, ich selbst ritt einen Wallach, den ich von meinem Oberst geliehen hatte.
Nein, wie sie einander kleideten, der Spanier und Isabella! Jetzt kann ich begreifen, daß die Indianer, damals, als die spanischen Reiter sich zum erstenmal auf dem amerikanischen Festland blicken ließen, glaubten, daß Pferd und Mann ein Wesen sei, aus einem Guß! So soll man im Sattel sitzen!
Nun, wir kamen nach der Mühle, und wir kamen hinein – ich fragte natürlich gleich nach der Tante.
Ja, die Tante sei tot, antwortete der Müller, vor einem halben Jahr sei sie gestorben, und oben auf dem Hinger Friedhof, eine Viertelmeile von hier, begraben worden.
Ich brauchte die Worte des Müllers Don Diego nicht zu übersetzen – er hatte sie aus dem Mienenspiel verstanden, und stand nun tief enttäuscht und tief betrübt da.
Und die Guitarre? – Ja, die hing noch an demselben Platz.
Don Diego stürzte darauf zu und nahm sie von der Wand, und kaum hatte er einen Blick darauf geworfen, als er ausrief: »Ich habe es ja gewußt! Das ist meines Vaters Guitarre! – Hier stehen obendrein seine Anfangsbuchstaben in Perlmutter eingelegt!« Und während die Augen des leicht beweglichen Südländers voller Tränen standen, küßte er die Guitarre einmal über das andere und legte sie dann sorgsam auf den Tisch.
Erst jetzt hatte ich Gelegenheit, den Müller darüber aufzuklären, wer der Fremde sei, und weshalb wir gekommen waren; ich sagte ihm, wie die kleine Melodie, die die Tante seine Tochter gelehrt habe, Anlaß zu dem Besuch gegeben habe, und ich fragte ihn, ob er nicht irgendwelche weiteren Aufschlüsse geben könne.
Anfänglich wollte er sich darum herumdrücken, sah fragend zu der Frau hinüber, erzählte dann aber, daß Tante Marie – da hatten wir das spanische Mariquita! – wirklich in ihrer frühesten Jugend ein Verhältnis mit einem spanischen Offizier gehabt, und ein Kind von ihm bekommen habe – eine Tochter. Diese Tochter habe sich dann nach Norden zu verheiratet, sei aber im Kindbett gestorben, und er und seine Frau hatten das mutterlose Kind – das war also Inger – angenommen und als ihr eigenes erzogen, ohne daß Inger jemals geahnt hatte, daß die Tante ihre Großmutter sei. Jetzt nach dem Tode der Tante hatten sie es ihr erzählt, aber niemand in der ganzen Gegend wußte es, und deshalb bat er mich, dies Familienverhältnis keinem Menschen gegenüber zu erwähnen.
Ich erklärte Don Diego, was der Müller gesagt hatte, und er fuhr auf und rief: Aber die Enkelin – meine Nichte – wo ist die? Ist sie auch tot?« Nein, das war sie gottlob nicht, und der Müller meinte obendrein, man könne sie jeden Augenblick erwarten: sie sei nur in das Nachbardorf gegangen, um ihren Hans zu besuchen.
Und dann kam der Augenblick, wo die beiden Verwandten einander in der Mühlenstube gegenüberstanden – das werde ich nie vergessen!
Trotz des Altersunterschiedes, und obwohl er der verwöhnte, vornehme Reiteroffizier war, und sie ein jütisches Bauernmädchen in eigengemachten Kleidern und Holzschuhen, war die Ähnlichkeit zwischen ihnen doch nicht zu verkennen: dasselbe Adelsgepräge, dasselbe Blut, derselbe Stamm!
Don Diego stand da, ohne etwas sagen zu können – es bebte um seine Mundwinkel. Inger sah verständnislos bald den einen, bald den andern an, bis der Müller ruhig sagte: »Das ist deiner Mutter Halbbruder, Inger, gib dem Mann die Hand!« –
Inger tat es verlegen und errötend. Don Diego aber ergriff ihre beiden Hände, küßte sie wieder und wieder, und sah aus, wie ein Mann, der gefunden hat, was er jahrelang suchte.
Ja, und was dann geschah, das ging eigentlich schneller, als es sich erzählen läßt.
Don Diego bat Inger – beständig durch mich als Dolmetscher – mit ihm nach Spanien zu kommen; sie solle dort wie sein eigenes Kind gehalten werden, er wolle sie adoptieren, und sie solle ihn beerben.
Als die Müllerfrau hörte, um was es sich handelte, trocknete sie eine Träne von der Wange und sagte zu ihrem Mann, sie hätten kein Recht, Ingers Glück im Wege zu stehen, und der Mann strich sich mit dem Rücken der Hand über die Augen und sagte dasselbe.
Inger stand einen Augenblick da und besann sich – einen ganz kleinen Augenblick – dann sagte sie ruhig: »Nein, das wäre Unrecht gegen euch, die Ihr so gut gegen mich gewesen seid – und am meisten Unrecht gegen den armen Hans – ich bleibe, wo ich bin. – Wollen Sie bitte, dem fremden Herrn meinen allerbesten Dank für sein freundliches Anerbieten sagen!«
Auch diesmal brauchte ich Don Diego nichts zu erklären – er hatte wieder alles verstanden.
»Dann bitten Sie sie nur noch, mir das kleine spanische Lied vorzusingen,« sagte er bewegt. »Ich möchte gern die Töne hören, die so treulich in einer jütischen Mühle bewahrt worden sind, wenn auch die Worte im Laufe der Zeit ein wenig unkenntlich wurden!«
Ich bat Inger zu tun, was er wünschte, aber sie sträubte sich anfänglich: die Tante – die Großmutter – hatte es ja nicht leiden können, daß das Lied gesungen wurde. – »Ich sitze auch nie unter dem Hollunderbaum, wenn er blüht,« fügte sie hinzu, »auch jetzt nicht, wo Tante tot ist.«
Ich drang indessen in sie, und schließlich sang sie den kleinen Vers, sang von »Ellinor und dem Soldaten«, ohne zu ahnen, daß es die Geschichte der Großmutter war, die durch die rätselhaften Worte tönte.
Nach einer Weile brachen wir auf. Vorher hatte Don Diego noch eindringlich gebeten, die Guitarre des Vaters kaufen zu dürfen – einerlei, was sie kosten solle; aber der Müller wollte sie um keinen Preis hergeben – sie gehöre ja auch im Grunde Inger. Aber Inger schenkte ihrem Verwandten die Guitarre mit Freuden, und als Don Diego Abschied genommen und schon den einen Fuß im Steigbügel hatte, ging er noch einmal zurück, küßte sie auf die Stirn, dann sprengte er von dannen, über die hallende Mühlenbrücke, – ich ritt hinterdrein.
Auf dem Heimweg besuchten wir den Hinger Friedhof; Don Diego kniete an Tante Mariens Grabe nieder und sprach ein Gebet, dann ritten wir weiter.
Aber nach kurzer Zeit trafen reiche Geschenke in der Mühle von dem fremden Gast ein, und auf das Grab der Tante ließ er einen weißen Marmorstein setzen mit der Anschrift: »Mariquita del Molino« – Marie aus der Mühle – in Goldbuchstaben. Der Stein liegt wohl noch da, aber ob noch irgend jemand ahnt, was die scheinbar so vornehme Anschrift bedeutet, das weiß ich nicht.
Don Diego kehrte einige Wochen darauf nach Spanien heim, und ich glaube nicht, daß sein Werk über die Spanier in Dänemark jemals erschienen ist.
Ich hatte der Erzählung des Hauptmanns mit so viel Aufmerksamkeit gelauscht, daß ich meiner Angelleine keine Gedanken geschenkt hatte; aber nun sah ich, daß an der Angelrute, die ich neben mir ins Gras gelegt hatte, heftig gezerrt wurde, das Floß war ganz unter Wasser, und einen Augenblick später hatte ich einen großen, »boshaften« Hecht an Land gezogen.
»Ja, nun wollen wir nur sehen, daß wir in die Mühle kommen,« sagte der Hauptmann, »oder vielmehr nach dem Krug, denn nun wollen wir meine Forellen zum Abendbrot essen – dann kann sich der Müller an dem alten Hecht gütlich tun, und dann sollen Sie hinterher die Fortsetzung der Geschichte hören.«
»Geht die noch weiter?« fragte ich.
»Ob sie noch weiter geht? Ja, leider, die Geschichte endet nicht mit einer Heirat! – Aber kommen Sie jetzt, es ist schon spät geworden.«
Wir ließen uns die Lachsforellen des Hauptmanns kochen und verzehrten sie mit gutem Appetit, wir bekamen selbstgebrautes Märzbier – der Hauptmann erklärte freilich, es sei nicht so gut, wie das, was Karen Tonning seinerzeit gebraut hatte – und als die Pfeifen angezündet waren, und wir die kleine Gaststube ganz für uns allein hatten, begann er von neuem:
Ja, nun kommt also der dritte und letzte Teil der Geschichte.
Es war ein Jahr später – ebenfalls im Juli.
Wir hatten in dem Sommer verschiedene, sehr vergnügliche Regimentsübungen, bei denen wir des Nachts im Freien biwakierten, eine Nacht oder zuweilen zwei Nächte zurzeit, und eines Tages marschierten wir auf Hinge zu – dahin kamen wir sonst nie.
Es war eine Gluthitze, und ich war ziemlich ärgerlich darüber, daß ich nicht mehr Adjutant war, und infolgedessen auf meinen eigenen Beinen gehen mußte, statt zu reiten, aber das hatte ja einen ganz besonderen Grund; damals hatte ich nämlich die Geschichte mit der Kommandeuse und dem Bukett gehabt, Sie wissen, – habe ich Ihnen die nicht erzählt? Ja, das ging folgendermaßen zu:
Es war der Geburtstag der Kommandeuse, und obwohl ich gerade keinen Stein bei ihr im Brett hatte, und sie übrigens bei mir auch nicht –, so hatte ich doch, um die Hyäne milde zu stimmen, ein wirklich hübsches Blumenbukett für einen Reichstaler angeschafft – das war damals viel Geld – und das wollte ich ihr gleichzeitig mit meinem Glückwunsch überbringen.
Nun, ich bin also auf dem Weg, und bin glücklich bis an den Marktplatz gelangt, an dem der Oberst wohnte, da begegne ich zu meinem Unglück den beiden hübschen Töchtern von Major Häklund. Wir bleiben alle drei stehen, und wir plaudern – allerliebst waren sie, wie gesagt – und da geht denn die Natur über die Erziehung: ich löse meinen Blumenstrauß auf und teile ihn höchst galant unter die Mädchen. Das hatte natürlich die Oberstin oben von ihrem Fenstertritt herab gesehen, und ich bekam keinen liebenswürdigen Empfang, das können Sie mir glauben, und mit meiner Stellung als Adjutant war es auch vorbei. – Es ist nun immer mein Unglück gewesen, daß ich zwei in den Zwanzigern einer in den Vierzigern vorziehe – aber die Geschmäcker sind ja so verschieden!
Nun, wir rückten mit klingendem Spiel über den Mühlenhof – natürlich.
Es ist doch nichts so elektrisierend in der ganzen Welt, wie ein Regiment, das mit voller Musik daherkommt, nicht wahr? Die hohen Töne der Flöte und der Sopranklarinette und die tieferen Töne der Fagotte, und dazu das Brummen der großen Trommel! – ja, wie kann die brummen, männlich, fast wütend! – Und dann der taktfeste Fußtritt der Leute – der Ausdruck eines Kommandos, eines Willens – das klingt fast ebenso schön auf einer Mühlenbrücke, wie der Aufschlag des Pferdes – nur anders. Und die Uniformen! Und die Sonne, die auf den Gewehrläufen blitzt und auf den blanken Knöpfen und der Fahne – der alten verschossenen Regimentsfahne, die ihre stolze Geschichte hat – ich möchte wohl den sehen, dem nicht warm ums Herz wird, und dem nicht die Augen feucht werden, wenn die vorbeigeführt wird!
Ja, welch ein Fest ist es doch, wenn das Regiment mit der Musik an der Tete dahinmarschiert! Es ist vergnüglich in der Stadt, wo alle Nasen gegen die Fensterscheiben flachgedrückt werden, wo der Schusterjunge in der Eile seinen Pantoffel verliert, und das Dienstmädchen mit dem Marktkorb am Arm an der Straßenecke stehen bleibt. Vergnüglicher aber ist es doch noch auf dem Lande, wenn alle Hunde kläffen und der Hahn kräht, und wenn Alt und Jung über Feld und Hecken stürmt, um nur einen Schimmer von den Soldaten zu erwischen – wer kann wohl der Regimentsmusik widerstehen!
Nun, ich war, wie gesagt, damals nicht mehr Adjutant; Merring war es an meiner Stelle geworden, er wurde dann aber bald darauf nach Viborg versetzt, und ist übrigens 64 gefallen.
Er war ein flotter, schöner Mensch, ein wenig leichtsinnig – das sind ja noch andere außer ihm gewesen! – aber vielleicht gerade deswegen hatte er viel Glück bei den Frauen!
Er ritt also an der Spitze des Regiments und sah ganz brillant aus.
Als er auf den Mühlenhof kommt, steht Inger auf der steinernen Treppe vor dem Wohnhaus; an jenem Tag hatte sie eine rote Nelke in ihr blauschwarzes Haar gesteckt – war das eine Art Rasseninstinkt? Sicher ist jedenfalls, daß sie, wie sie da stand, mit einem so strahlenden und zündenden Blick, wie ich nie zuvor etwas ähnliches gesehen hatte, eine ganz südländische Offenbarung war – ihr fehlten nur die Mantille und der Fächer!
Merring sah sie natürlich, wozu hat man sonst seine Augen im Kopf! – Ihm fiel ihre fremdländische Schönheit auf, er grüßte sie höflich und ritterlich mit gesenktem Degen.
Sie wurde dunkelrot über die ungewohnte Huldigung, hielt unwillkürlich die Hand vor die Augen und lief dann wie ein scheues Reh in die Tür hinein.
Merring und ich bekamen Quartier in der Mühle – der Stab lag im Pfarrhaus – und als ich mich abgebürstet und den Staub ein wenig abgewaschen hatte, plauderte ich eine Weile mit dem Müller. Über meinen letzten Besuch da draußen, und was ich von Don Diego wußte, und von Inger. – Ob sie ihren Hans, den ich noch nie gesehen hatte, nun bald heiraten werde? – Ja, eigentlich könnten sie ja heiraten, meinte der Müller, es liege kein Grund zum warten vor, denn seine Eltern seien bereit, sich auf das Altenteil zurückzuziehen, sobald sich der Sohn verheiratete, aber Inger ziehe die Sache in die Länge und sage, es habe ja keine Eile, und es sei am besten, noch eine Weile zu warten.
Inger selbst sah ich an jenem Tage nur ganz flüchtig, sie hatte genug im Haus zu tun – aber es fiel mir auf, daß plötzlich etwas ganz Eigenartiges über sie gekommen war: Leben und Wärme, Feuer im Blut. Und sie, die ja früher immer wortkarg und zurückhaltend – wohl im Grunde kühl – gewesen war, sie sprach jetzt mit Merring wie mit einem alten Bekannten, lächelte und lachte – ich hatte sie früher nie lachen hören – und schlug die Augen nieder, wenn er ihr Komplimente machte, über die sie jedoch offenbar außerordentlich beglückt Zu sein schien.
Am Abend machte ich dann einen Spaziergang um den Mühlenteich und rauchte meine Pfeife. Beobachtete die Lachsforellen, die nach den Mücken schnappten, und sah nach dem alten Hollunderbaum hinüber, der in voller Blüte stand – um diese Zeit durfte ja nach dem Willen der Tante niemand darunter sitzen! Aber es saß ja jemand unter dem Baum – da saßen zwei! – und die eine davon war Inger!
Ich ging über den Steg, der ein wenig weiter nördlich über den Bach führt, auf den Hollunder zu, traf aber nur Merring, der unter den Zweigen herauskam. Inger sah ich an jenem Abend nicht mehr.
Am nächsten Morgen aber, als wir beide mit Trommeln und Pfeifen über den Mühlenhof zogen, heimwärts der Garnison zu, da sah ich sie auf der steinernen Treppe stehen und winken und zum Abschied nicken – es war mir, als habe sie Tränen in den Augen.
Nun, Merring wurde, wie ich bereits gesagt habe, bald darauf nach Viborg versetzt, und ich wurde wieder Regimentsadjutant. – Im Laufe des Herbstes sitze ich eines Morgens in meinem Zimmer; es pocht, und hereinkommt der Müller aus Hinge – er sah aus, als sei er in den paar Monaten, wo ich ihn nicht gesehen hatte, viele Jahre älter geworden.
»Nun, bringen Sie gute Nachrichten, Müller?« fragte ich. – Ja, Gutes hatte er nicht zu berichten: er wollte mich nur bitten, zum Begräbnis zu kommen. – »Begräbnis! wessen Begräbnis?« rief ich. – »Ingers,« erwiderte er, und dann erzählte er mir die traurige Geschichte.
Am Nachmittag des Tages, an dem wir in der Morgenfrühe von der Mühle ausgerückt waren, hatte ihn Inger so herzlich gebeten, sie nach dem benachbarten Dorf zu Hans zu begleiten, und dann habe sie in des Müllers Gegenwart ihre Verlobung mit ihrem Kindheitsfreund aufgehoben und gesagt daß sie ihn nicht lieb genug habe – sie habe ihn eigentlich nie lieb gehabt, das verstünde sie erst jetzt – und schließlich hatte sie ihm einen Kuß gegeben – den ersten und letzten, ehe sie ging. – »Den sollte er zum Abschied haben, der arme Hans,« hatte sie zum Müller gesagt, »denn dem Leutnant hätte sie so viele gegeben.« – »Und das war ja nun so honnett und riell von ihr,« fügte der brave Müller hinzu, während ihm die Tränen an den Wangen herabrollten, »aber honnett und riell, das war sie im Großen und im Kleinen!«
Weiter erzählte er, daß sie in ihrer Treuherzigkeit sich fürs Leben mit dem fremden Leutnant verbunden betrachtete, obwohl sie ihn nur einen einzigen Tag gesehen habe, – »und er vergißt mich auch nicht,« sagte sie wieder und wieder, »und er hat mir versprochen, zu schreiben – morgen wird wohl ein Brief kommen!«
Aber es kam natürlich kein Brief, und Inger trauerte und trauerte. Dann war sie vor ein paar Wochen zu Fuß nach Viborg gegangen, wo er, wie sie ausgekundschaftet hatte, jetzt in Garnison lag, hatte ihn gesucht und gefunden, und aus seinem eigenen Munde die trostlose Mitteilung erhalten, daß er schon seit mehreren Jahren verlobt sei und jetzt in der allernächsten Zeit Hochzeit machen wolle. Sie kam nach Hause zurück, geknickt wie eine Weidengerte, legte sich zu Bett und schwand dahin. Sie hatten den Doktor aus Maarslet geholt, und sie hatten die kluge Frau aus Tibaek geholt, aber es half alles nicht – vor zwei Tagen war sie gestorben, ohne eigentliche Krankheit gestorben.
Und nun bat mich also der Müller, zum Begräbnis zu kommen, »denn Mutter und ich, wir finden doch, daß der Herr Leutnant so gewissermaßen dazugehört,« fuhr er fort; »Sie standen ja damals mit dabei, als der Spanier sie mithaben wollte – ach, wäre sie doch mit ihm gegangen! – und Sie waren auch mit dabei, als der andere Leutnant – ach, du lieber Gott!«
Natürlich versprach ich, zum Begräbnis zu kommen, und ich kam.
Inger lag in der guten Stube, in einem offenen Sarg, und sah aus, als schlafe sie, Ich sehe noch ihre schöne, reine Stirn und die wunderschönen Hände, sie lagen ineinandergefaltet – mir fehlte nur ein Rosenkranz zwischen den Fingern.
Nun, ich bin ein schlechter Gesell bei Begräbnissen, und so weinte ich denn sowohl in der Mühle wie auch auf dem Friedhof, als wenn ich geprügelt würde – aber das taten wir übrigens alle.
Während ich heimritt, dachte ich daran, wie wunderbar es doch oft in der Welt zugeht.
Wäre Inger eine echte Spanierin und in Spanien beheimatet gewesen, so wäre sie in ein Kloster gegangen, davon bin ich überzeugt, nun legte sie sich ruhig in ihrer jütischen Mühle zum Sterben hin.
Und die spanischen Schlösser und die ganze Herrlichkeit da unten, die hatten sie nicht locken können, aber ein Regiment mit voller Musik, die Uniform, und ein gezückter Degen, der ihr zu Ehren gesenkt wurde, dem konnte das spanische Blut nicht widerstehen. – Und dann natürlich der Duft des blühenden Hollunders zur Abendzeit, nicht zu vergessen.
Ja, die Tante hatte doch Recht gehabt: der Duft ist zu stark. – Ich glaube, er kann ebenso berauschend sein wie der der roten Räucherkerzchen!
Der Hauptmann zündete wieder seine Pfeife an, die während seiner Erzählung ausgegangen war; bald darauf brachen wir auf, und eigentlich ohne weiter zu sprechen, fuhren wir in der hellen Sommernacht nach dem Waldhäuschen.
Ehe wir uns aber zur Ruhe begaben, sagte der Hauptmann:
»Erinnern Sie sich nun des Verses?
El amor del soldado
No dura una hora;
En tocando la caja:
Adiós Señora!
Ja, das war Landsknechtsmoral, wie Don Diego sagte; zuletzt aber hatte Inger darunter leiden müssen – die arme, kleine Inger!
Zu Weihnachten schrieb mir der Hauptmann, ich müsse zu ihm hinüberkommen, er sei nicht wohl – übrigens auch nicht krank – aber wenn ich ihn noch einmal sehen wolle, so hielte er es doch für das Beste, wenn ich nicht zu lange mit meinem Besuch wartete.
Ich antwortete natürlich, daß ich kommen würde, sobald es mir möglich sei, und zwischen Weihnachten und Neujahr reiste ich dann.
Wir hatten in dem Jahr längere Zeit scharfen Frost gehabt, auch eine Menge Schnee war gefallen, und da an dem Morgen, als ich von Kopenhagen abreiste, ein Schneegestöber einsetzte, mußte ich ja darauf vorbereitet sein, daß der Zug stecken bleiben würde. Es ging indessen besser, als man hätte glauben sollen; im Laufe des Vormittags legte sich der Wind, und gegen Abend erreichte ich zu planmäßiger Zeit meinen Bestimmungsort.
Ich wurde vollkommen beruhigt in bezug auf das Befinden des Hauptmanns, als ich ihn selbst mit dem Schlitten vor dem Bahnhofsgebäude halten sah, und obwohl ich ja freilich, als ich ihn mir näher ansah, entdeckte, daß das Unwohlsein ihn etwas mitgenommen hatte, so war er doch ebenso lebhaft wie sonst und sprach während der Heimfahrt kein Wort von Krankheit oder Schwäche.
Im Waldhäuschen bekamen wir kalte Weihnachtsgerichte – Preßkopf und Gänsebraten – und nach dem Abendbrot setzten wir uns ohne Lampe in der kleinen Wohnstube vor die offene Ofentür.
»Ja, Kohlen zu brennen habe ich mich doch nie entschließen können,« sagte der Hauptmann, »nein, Buchenholz, das knistert, und feurige Glut, die in die Stube hineinleuchtet, das ist etwas ganz anderes, nicht wahr! – Sehen Sie! Jetzt reicht der Schein bis hinauf zu dem Rahmen von Schleppegrells Bild! Nichts in der Welt hat doch einen so warmen Ton wie ein alter vergoldeter Rahmen, der den Schein des Feuers auffängt, und dann eine rote Schloßmauer, die die Sonne an einem Sommerabend streift, nicht wahr? – Und gibt es wohl einen vergnüglicheren Duft als den von Bratäpfeln – hören Sie nur, wie sie drinnen in der Ofenröhre prasseln und zischen, wie eine fauchende Katze! Nun wollen wir ihnen auch noch etwas Geschmack beigeben und Nüsse mit Salz dazu essen – wir haben ein ungewöhnlich gutes Nußjahr gehabt!
Und wir aßen Äpfel, und wir aßen Nüsse, und wir tranken warmen Weihnachtspunsch dazu – es war so recht gemütlich!«
Am nächsten Vormittag, nicht übertrieben früh, machte mir der Hauptmann den Vorschlag, in dem guten Winterwetter einen kleinen Spaziergang zu machen, und zu meiner großen Freude nahm er seine Flinte mit und forderte mich auf, das Gleiche zu tun – dann konnte ihm doch nichts Ernstliches fehlen, meinte ich.
Wir gingen die Landstraße entlang, die hartgefrorene Landstraße, wo der Schnee vom vorhergehenden Tage für den, der lesen wollte und lesen konnte, wie ein offenes Buch war; Wagen und Schlitten, Holzschuhe und Stiefel, alles hatte seine deutlichen Schriftzüge hinterlassen, da war denn viel für den Hauptmann zu buchstudieren und zusammenzulegen. Hier war der Postbote Niels nach dem Ausmärkerhof gegangen und war noch nicht wieder zurückgekommen, dort war ein Pferd ausgeglitten, und vor dem Haus des Rademachers hatte offenbar jemand gelegen und herumgewühlt – das war wohl der Rademacher Peter selbst, der im Krug gewesen und betrunken nach Hause gekommen war.
Einigen Schlitten begegneten wir auch – der Dampf stand wie eine blaue Wolke über den Pferden – und ein paar verfrorene Kinder mit Fausthandschuhen und warmen Tüchern um den Hals sahen ihnen sehnsüchtig nach – nein, die Schlitten fuhren viel zu schnell, um sich daran festzuhängen!
Wir kommen an den Fluß hinab und gehen ein Stück über das Eis hin; der Frost hat eine sichere Brücke geschlagen, und der Sturm hat große Flächen vom Schnee freigefegt. An einzelnen Stellen in den Biegungen am Ufer sieht das Eis aus wie farbenwechselnder Opal, aber draußen in der Mitte ist es blank und durchsichtig wie Glas, und die Wasserpflanzen dort unten, die von dem Strom auseinandergebreitet werden, gleichen einem fremdartigen Märchenwald. Unter einer Erlenwurzel findet der Hauptmann einen Otterbau, und bei dem Anblick wird er ganz wehmütig – »Mein Gott, nun ist es schon eine ganze Reihe von Jahren her, seit ich meinen letzten Otter geschossen habe,« sagt er, »und vermutlich habe ich meinen letzten Fuchs auch geschossen – das habe ich so im Gefühl!« und dann gehen wir weiter.– Drinnen im Hochwald ist genug zu sehen. Da sind Spuren von Rehen und Hasen, die sich kreuzen, eine Schar Dompfaffen sitzt in dem Haselbusch und brüstet sich mit ihrer roten Pracht, und zwischen den welken Adlerfarnen springt ein Eichhörnchen umher – im selben Augenblick ist es verschwunden, und in den Wipfel der großen Buche hinauf! Dort schreckt es einen Häher auf, der ängstlich schreiend über die Tannen dahinfliegt; wir sehen nur noch soeben einen Schimmer des hellblauen Flügelbandes – flieg in Frieden!
Aus dem Wald hinaus, und an den See hinab. Ein paar Bauern in Holzschuhstiefeln und mit Pelzmützen zeichnen ihre dunklen Silhouetten von der weißen Fläche ab: das sind Aalfischer, die eine Wake in das Eis geschlagen haben, und jetzt geduldig mit der Aalgabel bis an den Boden des schwarzen Wassers herumstochern, »Läuft Ihnen das Wasser nicht im Munde zusammen?« fragt der Hauptmann. »Ja, freuen Sie sich: Sie bekommen Aalsuppe zu Mittag!«
Und dann erreichen wir schließlich unser Ziel: das Schilfmoor, das große, braune Schilfmoor, wo sich in der Regel Füchse aufhalten.
»Stellen Sie sich da auf,« sagt der Hauptmann, »da ist ein Wechsel – dann gehe ich einen Büchsenschuß weiter nordwärts!«
Und Diana in das Schilf hinein, es kracht und es knackt – an den nickenden Büscheln kann man ihren Weg verfolgen, plötzlich schlägt sie an, mit einem bissigen, scharfen Gekläff – unten im Moor entsteht Unruhe, starke Bewegung, und als bräche sich eine Welle den Weg durch den Röhrichtwald, so kommt die Bewegung näher und näher auf mich zu – jetzt muß Reinecke da sein!
Und er kommt – stürzt in einer Entfernung von zwanzig Schritt an mir vorbei. Schon habe ich die Flinte an die Wange gelegt, da erinnere ich mich aber der Worte des Hauptmanns von vorhin, daß er vermutlich seinen letzten Fuchs geschossen habe, und da schieße ich nicht. Ein paar Sekunden später gibt er Feuer, und Reinecke rollt, im Knall verendet – rollt, wie nur ein Fuchs rollen kann.
»Aber warum in aller Welt haben Sie denn nicht geschossen?« ruft der Hauptmann – seine Stimme klingt vorwurfsvoll, aber ich kann doch deutlich hören, wie froh er in Wirklichkeit ist.
»Ach, meine Flinte versagte,« erwiderte ich, und dann gehen wir an den Fuchs heran; seine Lippen sind in die Höhe gezogen, so daß die weißen Zähne grinsen, und als ich ihn aufnehme, schweißt er stark.
»Blut ist doch nie so rot wie auf Schnee!« sage ich.
»Nein,« erwidert der Hauptmann ernsthaft, »darin haben Sie recht! – Aber sehen wir jetzt, daß wir schnell nach Hause kommen, es zieht ein böses Wetter auf!«
Es fing schon an, dunkel zu werden, und oben im Nordwesten ist der Himmel ganz blauschwarz. Der Wind nimmt zu, bald haben wir Sturm, und eine Viertelstunde später haben wir Schneetreiben. Die Krähen ziehen sich krächzend aus dem Feld zurück und suchen Nachtquartier in der alten Eiche am Waldesrand, weiße Wogen wälzen sich über die Acker hin wie auf dem Meer, und bald sind Himmel und Erde verschwommen – alles ist verändert, fremd und unkenntlich.
»Ja, so ein Wetter hatten wir damals, als wir 64 von Dannewirke auszogen,« sagt der Hauptmann, und steht still, um Atem zu schöpfen.
»Der Frost schlägt die tiefen Wasser in Bande,
Heulend saust Wintersturm durch die Lande,
wirbelt Schnee vor sich her in wildem Lauf,
Häuft ihn zu mächtigen Schanzen auf.
Hinter kahle Hecken schlüpfen die Schneeflocken geschwind,
Lauern dort im Versteck auf den bösen Wind.
und dasselbe taten wir damals. – So, jetzt kann ich wieder weiter gehen!«
Wir kämpfen uns gegen das Wetter an, aber es währt eine gute Stunde, ehe wir das Waldhäuschen erreichen, wo die beiden Hauselstern sich längst in die Esche zur Ruhe gesetzt haben, und wo die Spatzen in dem dichten Epheu des Giebels piepsen.
Wir stampfen den Schnee von den Stiefeln und hängen Mäntel und Mützen in dem kleinen Vorraum auf, der einem ganz warm vorkommt, dann gehen wir in die Stube, zünden Licht an, und sitzen nach einer Weile bei der Aalsuppe, die Holzwärters Marie nach dem Rezept des Hauptmanns bereitet hat. Nach dem Essen lassen wir uns vor dem Ofen nieder und »fressen Wärme«, wie der Hauptmann es nennt, lauschen dem Sturm und den Eulen, die draußen um die Wette heulen, und horchen auf, wenn ein Zweig geknickt wird und krachend zur Erde fällt.
»Warum haben Sie eigentlich nie etwas aus dem Krieg 64 erzählt?« frage ich plötzlich den Hauptmann.
»Warum? Weil ich nichts zu erzählen habe, was Sie nicht schon im voraus wissen! Ich habe keine Heldentaten verrichtet, mit denen ich prahlen könnte – nein, ich keine einzige! – und was andere getan haben, das können Sie ja viel besser lesen. – Ja, von einer Affäre, von der das Generalstabswerk nichts vermeldet, könnte ich Ihnen freilich erzählen,« fügt er mit einem Lächeln hinzu, »und doch war es ein regelrechter Überfall, bei dem ein Mann erschossen wurde.«
»Ein Däne?«
»So möchte ich ihn ungern nennen,« erwidert der Hauptmann, und dann hängt er seine Pfeife an die Stuhllehne und erzählt.
»Sehen Sie, 64, das ist für mich, nach so vielen Richtungen hin, ein Abschluß gewesen. Nicht nur, weil ich kurz nach dem Krieg meinen Abschied bekam und mit dem Kommiß fertig war, sondern auch, weil ich während des Krieges gewissermaßen so viel von dem wiedererlebte, das mir früher passiert war – nur auf andere Weise – und jedenfalls den Schluß für eine Geschichte fand, die absolut einen Schluß haben mußte, wenn es überhaupt Gerechtigkeit in der Welt gibt, – von der will ich Ihnen jetzt erzählen!
Anfang Dezember 63 bekamen wir Marschordre, und dann ging es gen Süden: durch Jütland hindurch, nach Schleswig hinein.
Jeden Tag traf man alte Freunde, die man seit Jahren nicht gesehen hatte – einer war Major geworden, einer war Oberst geworden – und dann hieß es ununterbrochen: »Weißt du dies noch, und weißt du das noch?« – das war ja höchst vergnüglich.
Und die Ortsnamen dort unten, die hatten allesamt einen eigenen, heimischen Klang aus dem vorigen Krieg, dort hatte man in Quartier gelegen, und da war man im Feuer gewesen – das war damals!
Und auch neuere Erinnerungen frischte ich während des Marsches nach Süden auf. So kam eines Tages ein Dragonerleutnant auf dem Weg an mir vorübergetrabt, grüßt und sagt: »Kennen Sie mich wohl noch, Herr Hauptmann?« – Ob ich ihn kannte! Das war ja Bergen, der Schwiegersohn aus Svendsö, und ich erinnerte mich des Tanzes in dem Rittersaal, und der Tür, die aufsprang, und der Lichter, die erloschen – ja, Bergen konnte sich im Grunde bei der alten Mette Munk für seine Frau bedanken! – Wie es Agnes denn gehe? – Danke gut, sie sei daheim in Svendsö mit ihrem Jungen. –»Grüßen Sie, wenn Sie schreiben!« rief ich, und dann war der Leutnant fort.
Ein andermal – es war ein wenig nördlich von Oversö in Jaruplund – da höre ich einen von meinen Leuten zu einem andern sagen: »Siehst du wohl den gabelförmigen Baum da – der sieht leibhaftig aus wie die alleinstehende Pappel, die daheim an der Priestermauer steht!« – Ich wende mich um, und wirklich: dort am westlichen Rande des Waldes ragt eine gabelförmige Eiche auf, zwischen deren Armen bequem Platz für einen Kirchturm gewesen wäre! – Die Priestermauer, und die alleinstehende Pappel! Und der alte Tonning, und Paul und Knarren, alles stand mir im selben Augenblick so deutlich und klar vor der Seele, als sähe ich es wirklich vor mir, und das tat ich auch: das heißt im Licht der Erinnerung.
Nun, wir erreichten Dannewirke und kamen in unser Quartier – wechselnde Quartiere.
Die Zeit vor dem Ausbruch des Krieges war gewissermaßen die schlimmste; Gerüchte schwirrten, jeder Tag brachte neue, und dunkle Wolken hingen über unseren Köpfen, ohne daß man wußte, wann das Gewitter ausbrechen würde.
Mitten im Januar wurde mein Oberleutnant krank – er meldete sich krank für längere Zeit – und ich erhielt die Mitteilung, daß mir ein anderer Zugeteilt war, ein etwas älterer Leutnant Buur, den ich garnicht kannte, und der die Kompagnie nicht kannte – das war nicht angenehm.
Nun, der neue Leutnant kam und meldete sich. Er gefiel mir ja gleich recht gut. Als er nachher in der Stube des Bauern mir gegenübersitzt, ist es mir ganz bestimmt, als müßte ich das Gesicht kennen, und ich sehe ihn forschend an.
Das merkt er und sagt, mit einem halb dienstlichen Lächeln: »Ja, ich bin schon früher mit dem Herrn Hauptmann zusammen gewesen – einmal – und meine Frau, wie auch ich, sind dem Herrn Hauptmann für das Nachtlager herzlich dankbar, das Sie ihr damals überließen! es war im Ulkenborger Krug!«
Im Ulkenborger Krug! Ja, natürlich; das war ja der Bräutigam! – Erinnern sie sich noch, ich erzählte Ihnen, ich hätte damals gleich gesehen, daß er etwas militärisches an sich gehabt habe? Darin irre ich nie, niemals! – Nun, ich fragte nicht – man ist ja diskret, bis zu einem gewissen Grad wenigstens – aber allmählich, als wir näher miteinander bekannt wurden, erzählte er mir doch seine Geschichte – nach und nach.
Als ganz junger Mensch war er viel nach Schleswig gekommen, in die Gegend, wo damals die Sprachgrenze war, und da hatte er die Bekanntschaft seiner späteren Frau gemacht – sie war das einzige Kind eines Landmannes, der ein verhältnismäßig großes Gut besaß.
Über die Vergangenheit des Gutsbesitzers wußte er nichts – nur, daß er als junger Mensch zur See gefahren war, aber man erzählte sich unheimliche Dinge von ihm, und unter den Nachbarn hatte er einen schlechten Namen, teils weil er in nationaler Beziehung den Mantel mindestens auf zwei Schultern trug, bald dänisch gesinnt, bald deutsch gesinnt, je nachdem er glaubte, daß er sich am besten dabei stand, teils auch weil seine Geschäfte einigermaßen lichtscheu waren, ebenso wie seine Neigungen. Man sagte, für Geld tue er alles; die Geldgier saß ihm im Blut, und er war so geizig, daß er der Tochter kaum die Kleider gönnte, die sie trug. Das einzige, was er an sie gewandt hatte, war eine gute Erziehung – sie war in einer Pension in Christianfeld gewesen – aber das, meinte der Leutnant, habe er nur in der Hoffnung getan, daß sie ihm einen reichen Schwiegersohn verschaffen würde, der seine Finanzen wieder in Ordnung bringen könnte; denn trotz all seiner Geldgier und seines Geizes war es damit nur schlecht bestellt: seine schmutzigen Geschäfte brachten ihm wohl mehr Verlust als Verdienst, und dazu kam noch, daß er Spieler war – und immer unglücklich spielte.
Eines schönen Tages hatte sich Buur als Freier gemeldet, aber ein unbemittelter Schwiegersohn war nicht das, was der Gutsbesitzer wünschte, und er hatte ihm so ungefähr die Tür gewiesen.
Das schreckte Buur indessen nicht ab, und da seine Herzliebste es bei dem Vater buchstäblich nicht aushalten konnte, blieb ihm ja nichts anderes übrig, als sie zu entführen. Das tat er denn auch, und das einzige, was sie ihm aus dem väterlichen Haus mitgebracht hatte, außer dem, worin sie ging und stand, das war die Korallennadel. Sie erinnern sich ihrer wohl noch. An dem Morgen, als sie von dem Krug ausfuhren, hatte Buur sie indessen gebeten, die Nadel wegzuwerfen, denn er glaubte, daß kein Glück an dem hafte, was der Schwiegervater besessen habe.
Und dann hatten sie geheiratet, hatten zwei Kinder bekommen und waren sehr glücklich geworden; von dem Schwiegervater hatten sie Gottlob nichts mehr gesehen. Er hatte der Tochter und dem Schwiegersohn einen Brief voller Flüche und Rachedrohungen gesandt, aber von seinem späteren Leben wußte Buur nur, daß er das Gut in Schleswig hatte verlassen müssen, und daß niemand ahnte, wo er jetzt war.
Sie können ja begreifen, daß die gemeinsamen Erinnerungen aus dem alten Krug Buur und mich gleichsam miteinander verknüpften, und er war auch auf alle Weise ein prächtiger Kerl: brav und zuverlässig, ein vorzüglicher Soldat im Felde, den die Leute liebten, als sie ihn erst kennen lernten.
Die ersten Schüsse fielen: setzt wurde es Ernst. Bald auf Vorposten und bald in Alarmstellung auf Dannewirke, ein paar Stunden Rast in einer halbfertigen Baracke, und dann zum Aufeisen – der Frost war fast unser schlimmster Feind!
In der Nacht zwischen dem 1sten und 2ten Februar bekam ich gegen Morgen einen kurzen Schlummer – in der vorhergehenden Nacht hatte ich kein Auge geschlossen – und da hatte ich einen wunderschönen Traum.
Mir träumte, ich säße mit Karl Horten in der Prinzessinnenstraße in Frederica und er spielte mir seinen Schlachtgesang vor und sang dazu – sang ihn von Anfang bis zu Ende – und ohne daß er ein Wort sagte, verstand ich ganz deutlich, daß das Sieg bedeuten mußte. In den ersten Augenblicken, nachdem ich erwachte, klang mir noch die ganze Melodie in den Ohren – ich glaube, ich hätte sie singen können – nach und nach aber verschwand sie wieder – verschwand für immer.
»Wenn uns der Feind heute angreift, wird er zurückgeschlagen!« sagte ich zu meinem Oberst. Und der Oberst sah mich mit einem zweifelnden Lächeln an. Im Laufe des Tages aber hörten wir Kanonendonner von dem linken Flügel her, und am Abend wußten alle, daß Hertel und seine tapferen Kameraden mit Bravour den Angriff auf Missunde zurückgeschlagen hatten – es war das erste und letzte Mal während des Krieges, daß ich Karl Hortens Lied hörte.
Am nächsten Tag, am 3ten, hatten wir Nebel und Regen vor Tagesgrauen, aber als der Morgen anbrach, sah man ganz Dannewirke in Schlachtenstellung. Die Gewehre standen in Pyramiden oben auf dem Grenzwall, und da die Kanonen über die ganze Linie abgefeuert wurden, und überall gleichsam ein Echo erweckten, indem andere Kanonen in weiter Ferne allmählich mitredeten, so erhielt man dadurch einen Eindruck von der ausgedehnten Größe der Stellung, und davon, daß man überall ebenso kampfbereit war, wie an der Stelle, wo man selbst stand – das war ein Anblick, der das Herz eines Soldaten erfreuen mußte.
Man erwartete einen Hauptangriff, und alles war an dem Tage Zuversicht und Vertrauen, aber der Hauptangriff blieb aus, und es entwickelten sich nur zerstreute Gefechte um Kongshöj, bei Bustrup und bei Over-Selk, die uns freilich Ehre, aber keinen Sieg einbrachten.
Am 4ten – es war kühles Frostwetter – war ich auf Vorposten, aber ich erlebte nichts weiter, als daß ein paar von meinen Leuten mit einem vermeintlichen Spion angeschleppt kamen, der sich auf verdächtige Weise zwischen den Vorposten hatte einschleichen wollen, pfui, Kuckuck, wie niederträchtig er doch aussah – am meisten Ähnlichkeit hatte er wohl mit einem Zwischending von einem Laienprediger und einem Sittenverbrecher – und man hätte ihn eigentlich allein auf die Physiognomie hin aufknüpfen können, fand ich! Dann kam aber ein Stabsoffizier hinzu, der kannte ihn und erzählte mir, es sei einer von unseren eigenen Spionen; er sei hier in der Gegend geboren, kenne jeden Graben und jede Hecke, und habe uns schon ein paarmal wertvolle Nachrichten gebracht. Nun, dann mußten wir ihn ja laufen lassen, und er machte sich schleunigst aus dem Staube.
Dann kam der 5te, der Tag, den man nie im Leben vergißt. Gegen Abend ließ mich der Oberst rufen und vertraute mir an, daß die Dannewirkestellung aufgegeben werden müsse; er hatte Tränen in den Augen, als er das sagte.
Und dann begann der Rückzug, wie ein nächtlicher Leichenzug, lautlos, keine Musik, kein Gesang, es war Glatteis, und die Chaussee war blank wie ein Spiegel. Ein Aufenthalt nach dem anderen; bald stürzt ein schlecht beschlagenes Dragonerpferd, bald sperrt der Train mit schlafenden Kutschern die Passage. Eine Viertelstunde Schneckenmarsch, dann stockt wieder alles – eine Wagendeichsel ist gebrochen. Und der Frost beißt, und der Hunger nagt, und doch wollen die Leute eine Kanone, die keinen Vorspann mehr hatte, nicht zurücklassen: getreulich ziehen sie in Nacht und Nebel gen Norden, einen zerwühlten Kolonnenweg entlang.
Am nächsten Vormittag bekam der Feind Fühlung mit uns. Zuerst die Lichtensteiner Husaren; weiße, wehende Mäntel und blitzende Klingen sahen wir – wie ein Sturmwind waren sie über uns. Bald in Schwarmattacke, bald in geschlossenem Trupp, von rechts und von links kamen sie – prächtige Leute und schöne Pferde!
Dann erreichten wir Sankelmark. Ich entsinne mich noch deutlich des stolzen Anblicks, den Max Müller gewährte, wie er auf dem großen Hügel östlich von der Chaussee hielt, ruhig und überlegen wie während einer Parade, und die Österreicher kamen, und wir hielten Stand, es war ein Kampf mit blanken Waffen –
Wie der Schnitter das Korn,
Mäht die Helden der Tod,
Rotes Blut im Schnee
Ist das roteste Rot.
das sollte auch ich an diesem Tage erfahren! Gegen Abend erstarrte der Streit, die Dämmerung brach früh herein.
Buur war mit der Hälfte der Kompagnie östlich um den See gegangen, und marschierte nordwärts auf der Chaussee entlang nach Flensburg, ich aber war mit den übrigen Leuten in den Wald nach Westen zu bei Jaruplund, in den dunklen, dunklen Wald geraten, wo weder Weg noch Steg war.
Überanstrengt wie ich war infolge von Mangel an Schlaf, von Hunger und Spannung, konnte ich mich plötzlich nicht orientieren – wo war die Chaussee, wo war Norden, und wo war die andere Abteilung der Brigade!
Wie ich einen Augenblick so dastand, und weder aus noch ein wußte, tauchte hinter einem Baumstamm ein Mann in Zivil auf, den ich erkenne – er war der Spion von Dannewirke.
Ich hatte ein bestimmtes Gefühl, daß er am liebsten nicht gesehen werden wollte, aber als ich ihn anrief und fragte, in welcher Richtung die Flensburger Chaussee liege, kam er doch gleich zu mir hin und gab nur eine deutliche Erklärung: dort hinter dem mit Gestrüpp bewachsenen Hügel lag die Chaussee. Ich wollte genaueren Bescheid haben, aber im selben Augenblick war er wie von der Erde verschlungen, im Dunklen verschwunden.
Persönlich hatte ich nicht das geringste Zutrauen zu dem Burschen, namentlich nicht, nachdem er sich auf so verdächtige Weise unsichtbar gemacht hatte – aber der Stabsoffizier hatte ja für ihn gut gesagt, und deswegen kommandierte ich denn Marsch und hatte mich schon in der angegebenen Richtung in Bewegung gesetzt, als plötzlich am Rande des Waldes mein Blick auf die gabelförmige Eiche fällt, von der einer der Leute beim Ausmarschieren gesagt hatte, daß sie der Pappel an der Priestermauer gleiche.
Und nun wußte ich, wo ich war: die Eiche stand ja am westlichen Rand des Waldes, und die Chaussee lag folglich in der entgegengesetzten Richtung von der, die uns unser Vertrauensmann angegeben hatte!
Zehn Minuten später befand ich mich auf dem rechten Wege und erreichte früh in der Nacht Flensburg, wo Buur mit der anderen Hälfte der Kompagnie zu uns stieß. Aber wenn die Worte »Priestermauer« und »alleinstehende Pappel« nicht eine alte bekannte Melodie in meinen Ohren gewesen wären, hätte ich damals die Eiche wohl kaum beachtet, und wenn ich das nicht getan hätte, so wäre ich an jenem Abend südwärts, statt nach Norden gegangen, und wäre möglicherweise abgeschnitten worden. – So sonderbar kann es in dieser Welt zugehen!
Nun, der Krieg ging seinen Gang, aber ich kam nicht nach Düppel; ich gehörte zu General Hegermanns Korps und ich blieb vorläufig in Jütland, war mit bei Veile, hatte hier und da ein Patrouillengefecht, und lag an den verschiedensten Stellen, an bekannten und unbekannten Stellen, in Quartier.
Eines Tages – es war in der letzten Hälfte des April – erhielt ich Befehl, mich mit meiner Kompagnie in Svendsö einzuquartieren – auf Kammerherrn Hjelmsteds Gut, wissen Sie ja – um am nächsten Morgen gen Norden weiterzuziehen; der Feind stand, nach den Nachrichten, die wir erhalten hatten, mindestens eine Meile südlicher.
Es war ein langer Marsch dahin; wir erreichten Svendsö erst am Abend, und die Leute waren bis zum Tode erschöpft. Aber mein alter Freund, der Kammerherr, tat alles für sie: sie bekamen warmes Essen und warmes Bier, die Hälfte wurde in Ställen und Scheunen untergebracht, und die Hälfte oben im »alten Schloß« im Rittersaal, wo eine dicke Schicht Stroh über den Fußboden ausgebreitet wurde – ein so gutes Quartier hatte sie lange nicht gehabt.
Ich ließ Buur Doppelposten auf dem Weg östlich und westlich von dem Schloß aufstellen – nach Süden zu lag ja der See, wie Sie wissen – und gab Befehl, sie um ein Uhr abends ablösen zu lassen; dann ließ ich auch meine Offiziere sich zur Ruhe begeben, ich selbst blieb auf und plauderte mit dem Kammerherrn und seiner Tochter, der ich ja einen verhältnismäßig frischen Gruß von dem Gatten bringen konnte – Sie erinnern sich wohl, daß ich ihm auf dem Marsch hinunter begegnet war.
Nun, die kleine Frau Agnes begab sich schließlich auch zur Ruhe, und der Kammerherr und ich blieben allein. Wir sprachen von dem ersten Krieg, und wir sprachen von dem jetzigen Krieg, und schließlich fragte ich nach der Entenjagd auf dem See – mein Gott, man kann ja auch nicht ewig vom Krieg reden – Ja, die Entenjagd, die sei so ungefähr ganz ruiniert, antwortete der Kammerherr, – Wieso? fragte ich. – Vor ein paar Jahren habe ein Schleswiger, der sein Gut da unten wohl nicht mehr habe halten können, den kleinen Hof gekauft, dessen Äcker mit der Südseite an den See stießen, und obwohl es eigentlich mehr als zweifelhaft sei, ob er überhaupt Jagdrecht habe, so jagte er doch wie ein richtiger Raubjäger, früh und spät da draußen, schoß die jungem Enten, während sie noch nicht flügge waren, nur um zu morden, und hatte obendrein die Frechheit, oft ganz bis an das Svendsöer Ufer zu waten, über den alten, überschwemmten Ziegeleiweg, der, wie ich mich dessen wohl erinnere, die Insel mit dem Land verband.
»Wie hieß der Kerl?« fragte ich – und dann nannte der Kammerherr den Namen von Buurs Schwiegervater.
»Und wo ist er jetzt?« fragte ich weiter, mir wurde ganz unheimlich zu Mute.
»Ja, das mögen die Götter wissen,« lautete die Antwort; »vor einem Jahre mußte er auch hier von seinem Gute fort, und seitdem hat niemand etwas von ihm gehört.«
Ich wurde plötzlich unruhig. Eine Angst, die ich nicht bezwingen konnte, war über mich gekommen, als der Kammerherr vorhin den alten Ziegeleiweg erwähnt hatte. Ich hatte ja südlich vom See keinen Posten aufgestellt, den Fall gesetzt, daß der Feind den Weg durch das Röhricht fand, und dann auf einmal – Ach, Unsinn! Der Feind war ja einen Tagemarsch weit entfernt, und wie sollte außerdem – im selben Augenblick schlug die Turmuhr Zwölf.
Als der letzte Schlag ertönt war, hörte ich oben von dem alten Schloß her einen polternden Lärm von schweren Tritten, ein Laufen auf dem Steinpflaster, ein Klirren von Waffen und den Ruf: »An die Gewehre!«
Ich auf den Hof hinaus – da stand die Kompagnie feldmäßig aufmarschiert mit Bepackung und dem Ganzen. »Was ist hier los? Wer bat euch geweckt?« fragte ich, ehe ich aber noch Antwort erhielt, sah ich im Mondlicht etwas draußen im See blitzen, drüben auf der Insel, und ich hörte deutlich, wie das Röhricht knackte. Den Krimstecher vor die Augen – es waren Pickelhauben!
»Schießt, Leute, schießt, zum Teufel auch!« rief ich, und obwohl die Entfernung an und für sich für unsere armen Vorladegewehre zu groß war, hörte ich deutlich einen Schrei da unten – die Pickelhauben verschwanden, und alles wurde still.
Am nächsten Morgen, sowie es hell wurde, ruderten Buur und ich mit ein paar Mann nach der Insel hinüber, und dort am Ufer, halb im Wasser, fanden wir einen Kerl in Zivil tot daliegen, das Gesicht nach unten. Ich hob ihn, auf – er war durch den Kopf geschossen – und ich erkannte ihn sofort: es war der Spion von Dannewirke und Jaruplund.
Buur aber packte mich beim Arm und flüsterte mit bebender Stimme: »Herr Hauptmann! das war mein Schwiegervater!«
Da ließ ich die Leute das Aas in den Sumpf hineinwerfen, wo das Röhricht am dicksten stand – ich kann noch den Plumps hören, den es gab! – und dann ruderten wir zurück.
So war denn auch der letzte von denen, die in dem alten Ring über den Spitzenhändler hergefallen waren, weg – ihm wurde der Garaus durch »Blei« gemacht, der Kapitän in Kjärvig ist durch »Stahl« gestorben!
Wie viel ich auch fragte, und wie gern die Leute mir auch antworten wollten, nie bin ich mir doch darüber klar geworden, was diese nächtliche Alarmierung veranlaßt hatte.
Einer behauptete, Korporal Hansen habe zuerst »An die Gewehre!« gerufen, ein anderer, der Kompagniefeldwebel selbst sei es gewesen, und einer wollte sogar gehört haben, wie der Hornbläser zum schleunigen Ausrücken geblasen habe, über eines waren sie sich aber alle einig, es sei plötzlich gewesen, als wenn alle Fenster und Türen von selbst aufgesprungen wären, und sie hätten alle ein Gefühl gehabt, daß sie hinaus müßten, hinaus ins Freie.
Und wissen Sie, was ich deswegen glaube? Es ist ja möglich, daß Mette Munk ihren Mann getötet hat – das haben ja noch mehr als sie getan, aber dänisch gesinnt war sie, und darum hat sie die Kompagnie rechtzeitig alarmiert – Sie können nun glauben, was Sie wollen! Aber seit dem Tage habe ich die alte Mette Munk gern gehabt, und als ich das letztemal in Svendsö war – jetzt komme ich nie wieder dahin! – da habe ich auch Honneur vor dem Bilde gemacht – ich hatte ein Gefühl, als wäre ich ihr das schuldig!
Ja, über die Affäre steht nichts in dem Generalstabswerk; das können Sie nicht lesen, so haben Sie denn doch etwas Ausbeute von der Erzählung des alten Hauptmannes heute abend gehabt, nicht wahr?
Wie es mir dann weiter 64 erging? – Ich habe nichts mehr zu erzählen. Ich weiß nur, daß ich mein Land nie heißer geliebt habe, als nach der Niederlage und dem Unglück, und als der Krieg beendet war und der Friede kam, da glaubte ich, daß ich nie wieder eine frohe Stunde haben könne. Aber – was soll man dazu sagen? – Sie wissen ja:
Und ist der Winter auch hart und lang,
Einst kommt doch der Lenz mit Lerchengesang,
Mit knospenden Bäumen und Blütenpracht,
Und eh man es denkt, in der Sommernacht,
Schlägt im Garten die Nachtigall süß und bang –
und dann – ja, wer kann dem Sonnenschein widerstehen! Man bekommt wieder Mut zum Leben, und man kann die Augen der Tatsache nicht verschließen, daß der Wald trotz allem grün ist wie vorher, und daß man doch immer des lieben Gottes blauen Himmel über sich hat, nicht wahr? Ist das ein Mangel an tieferem Verständnis? Ist es vielleicht auch Leichtsinn, wenn das Bataillon nach einem militärischen Begräbnis mit klingendem Spiel zur Kaserne zurückmarschiert! – Ich glaube nein! Das Leben fordert sein Recht.
Aber in den ersten Jahren nach dem Kriege – und auch oft später – bin ich freilich hin und wieder geradezu entsetzt und empört gewesen, wenn ich diesen oder jenen die Vaterlandsliebe verhöhnen und geradezu verspotten hörte. Und dann habe ich es nicht lassen können, an die braven Lichtensteiner bei Helligbäck zu denken. Die kämpften für eine Sache, an die sie glaubten, und sie kämpften mit blanken Waffen; mit wem bin ich nun geistig näher verwandt, mit einem ehrlichen Feind oder mit einem verächtlichen Landsmann? – Ist er überhaupt mein Landsmann, nur weil er das, was mir heilig ist, auf dänisch verhöhnt? Sagen Sie mir das, wenn Sie es können!
Aber wenn der Mißmut mich so hin und wieder hat befallen wollen, da denke ich an einen Sommerabend bei Fredensborg, einige Jahre nach dem Kriege – und das hilft immer gleich.
Ich war nach wiederholter freundlicher Einladung hinübergefahren, um meinen lieben Freund Buur zu besuchen, der mit Frau und Kindern da draußen in der Sommerfrische wohnte, und es war wunderschön bei ihnen – Fredensborg ist doch der herrlichste Fleck von Seeland! Jütland für täglich und Seeland zu Festzeiten – in Fredensborg, finde ich, ist immer Sonntag!
An einem schönen Augusttag war ich um Sonnenuntergang allein durch den Park gegangen und saß auf der Königsbrücke am Esrom-See.
Die Residenz war nach Fredensborg verlegt, deswegen wehten zwei mächtige Splittflaggen von den Stangen am äußersten Rande der Brücke, und auf der Bank mir gegenüber saß ein junger, hübscher Marinematrose – wir beide ganz allein.
Ich ließ mich in eine Unterhaltung mit ihm ein. Er erzählte, er sei aus Skagen – sei Fischer – der seine Militärzeit in der Marine abdiene, und zur Zeit das bequeme – und angenehme – Kommando habe, immer zur Verfügung zu sein, wenn jemand von den königlichen Herrschaften eine Fahrt auf dem See zu machen wünsche.
Noch ein dritter kam hinzu, ein Gardist von der Wachmannschaft oben auf dem Schloß; er und der Seemann wollten, so weit ich verstand, späterhin am Abend zum Tanz nach Asminderöd.
Die Sonne war dem Untergang nahe; der Seemann sah häufig nach der Uhr, plötzlich stand er auf.
Dann trat er ruhig vor die rechts stehende Flaggenstände, entblößte den Kopf, nahm die Mütze unter den Arm und zog langsam die Flagge herunter, während der Gardist sekundierend Honneur machte.
In der ganzen Art und Weise, wie der junge Seemann seine Pflicht tat, lag etwas, das ich nicht besser zu bezeichnen vermag als mit dem Worte Andacht.
Wer auf einem Kriegsschiff die Flagge am Abend hat niederholen sehen, vergißt nie wieder die Stimmung, die über, der Szene liegt, nie bin ich aber doch von dem eigentümlichen Moment so ergriffen worden, wie an jenem Sommerabend draußen auf der Königsbrücke. Ich fühlte unwillkürlich, daß der blonde Skagener den Kopf vor etwas entblößte, das ihm selbst heilig war, und daß er vorsichtig, ehrerbietig das Tuch anfaßte, das er herunterzog; es war die Flagge seines Landes, die in diesem Augenblick seiner Obhut, seiner Fürsorge anvertraut war, und der Landsoldat machte zusammen mit ihm Honneur – Honneur vor der Flagge!
Ja, Honneur vor der Flagge!
Haben wir nicht alle – ohne Angst, einem mitleidigen Lächeln zu begegnen – hin und wieder das Bedürfnis, den Kopf vor einem Sammelzeichen zu entblößen, das uns heilig ist? Haben wir nicht alle das Bedürfnis nach einer solchen stillen Andacht, nach dem, was die alten Römer, wie ich glaube, Pietas nannten?
Und wenn mich zuweilen die Furcht überkommt, daß dies Bedürfnis in unserm Volk aussterben könne, so denke ich an meine Sommererinnerung von der Königsbrücke in Fredensborg: der Seemann, der mit der Mütze unter dem Arm dastand, und der Gardist, der Honneur machte. Und dann sage ich zu mir selber; so lange wir nur eine Flagge haben, so lange sind auch Männer da, um zu schützen!
Der Hauptmann war während des Schlusses seiner Erzählung sichtbar bewegt geworden, obwohl er sich nach besten Kräften bemühte, sein Gefühl zu bekämpfen.
Jetzt erhob er sich, griff sich aber im selben Augenblick mit der Hand nach der Seite und stöhnte unwillkürlich, als empfinde er einen plötzlichen Schmerz.
»Was haben sie nur, Hauptmann?« fragte ich.
»Ach nichts,« erwiderte er, »es ist nur ein Stich – morgen ist es wieder vorüber!«
Und bald darauf begaben wir uns zur Ruhe.
Aber der Stich ging nicht vorüber.
Am nächsten Morgen versuchte der Hauptmann freilich aufzustehen, mußte aber wieder zu Bett, er hatte heftige Schmerzen in der Seite und im Rücken, gegen Abend trat Fieber ein, ziemlich hohes Fieber – ich machte den Vorschlag, einen Arzt zu holen.
Aber davon wollte der Hauptmann nichts hören.
»Was soll Doktor Bigum hier!« sagte, er, »entweder erhole ich mich, oder ich sterbe, und beides kann ich ohne ihn. – Ich glaube nun übrigens nicht, daß ich es überstehe – und das glauben Sie auch nicht, – nein, das glauben Sie nicht, das kann ich Ihnen ansehen!
Wenn einem, wie mir, nie etwas gefehlt hat, und wenn man dann plötzlich nicht mehr auf den Beinen stehen kann, so ist es aus mit einem. Und das ist auch am besten so. – Stellen Sie sich vor, wenn ich nun in Zukunft gebrechlich würde und mich in acht nehmen müßte: Acht geben sollte, daß ich keine nassen Füße bekäme, und nicht im Zug säße – das könnte ich nicht aushalten!
Und wenn es erst so weit ist, so gibt uns wohl der liebe Gott die Kourage, die dazu gehört, um zu sterben, – Meinen Sie nicht auch? Natürlich tut er das!
Von Reinecke kann man übrigens lernen, wie man sterben muß – der stirbt wie ein Mann: ohne zu jammern und ohne Aufhebens davon zu machen, rollt er sich rund zusammen und legt sich zur Ruhe – so soll es sein! Und nun will ich doch versuchen, ein wenig zu schlafen – Gute Nacht!«
Aus dem Schlaf wurde übrigens nicht viel; das Fieber nahm zu, die Schmerzen auch, und im Laufe der Nacht lag der Hauptmann hin und wieder da und phantasierte.
Am Morgen war er wieder klar, aber matt und heiß, und nun ließ ich auf eigene Hand Doktor Bigum holen.
Er konstatierte, wie ich schon befürchtet hatte, eine heftige Lungenentzündung und machte nicht viel Hoffnung. Der Hauptmann habe freilich eine ungewöhnlich kräftige Konstitution, sagte er, aber auf der anderen Seite sei er ja schon recht bejahrt, und beide Lungen seien angegriffen, da müsse man auf alles vorbereitet sein.
Mit dem Bescheid fuhr dann der Doktor.
Ich saß dann den ganzen Tag da drinnen in der dunklen Schlafkammer mit den halb zugeschneiten Fensterscheiben, sah meinen alten Freund an, der so still dalag, und hörte, wie seine Brust keuchte.
Diana lag vor dem Bett, stand aber von Zeit zu Zeit auf und legte den Kopf auf den Rand des Bettes, dann streichelte ihr Herr sie ein paarmal leise, sie wedelte zum Dank und legte sich betrübt wieder hin.
Im Laufe des Nachmittags schien es indessen, als ob die Lebenskräfte in dem Hauptmann von neuem wieder aufflackerten, er ward beredt – lebhaft und sprach ununterbrochen.
»Sie sollen Diana vor dem Begräbnis erschießen,« sagte er. – »Das können Sie nicht? Ach! Nein, das kann ich verstehen; aber sorgen Sie dann dafür, daß der Jäger in Skovsgaard es tut – sie ist zu alt, um einen neuen Herrn zu bekommen, und sie hat mir treu gedient.
Meinen Säbel soll Buurs Sohn haben – er ist ja Leutnant – aber vorher soll er natürlich auf dem Sarg liegen – Klinge und Scheide gekreuzt, wissen Sie. – Mein Gott, wie lange ist es schon her, seit Buur und ich uns zum erstenmal im Ulkenborger Krug begegneten! Und der Krug existiert jetzt auch nicht mehr – ja so geht es!
Das Ritterkreuz und das silberne Kreuz sollen Sie an das Ordenskapitel schicken, aber die Kriegsmedaille soll nicht zurückgegeben werden – die sollen Sie erben. Und dann meine Geschichten, natürlich. Aber wenn Sie mich drucken lassen, was Sie ja wohl tun werden, dann dürfen Sie den Namen von Buurs Schwiegervater nicht nennen, hören Sie, denn da im Süden gibt es redliche Leute, die den Namen des Schlingels tragen. Und Estrids Nachnamen dürfen Sie auch nicht nennen! – Ach, das ist ja wahr, Sie wissen ja garnicht, wie irgend einer von denen heißt!
Ja, Estrid, die war doch die Rechte – wenn jemand überhaupt die Rechte gewesen ist – aber ich sollte nun keine »Rechte« haben – dazu bin ich immer ein zu loser Vogel gewesen! Und es ist auch viel leichter, von dannen zu gehen, wenn da niemand ist, den man dadurch wirklich betrübt. – Ja, ich weiß wohl, daß Sie und ein Dutzend andere vielleicht hin und wieder den alten Hauptmann vermissen werden – aber das ist ja nicht auf die Weise. – Nein, es ist am besten so, wie es ist.
Und es ist doch gut, daß niemand außer Ihnen jetzt hier im Waldhäuschen ist – ich weiß wohl, ich habe früher gesagt, ich wollte wünschen, daß eine von den guten Frauen, die ich gekannt habe, in der letzten Stunde mir die Hand halten möchte, aber ich freue mich doch, daß keine da ist – ich könnte es nicht leiden, daß mich jemand hier so als Jammergestalt liegen sähe – eitel ist man ja doch bis zu allerletzt.
Ich will auch nicht, daß eine Rede an meinem Sarg gehalten wird – über mich ist nichts zu sagen. Aber ein Dankgebet und eine Fürbitte, das möchte ich wohl, denn da ist viel Grund zu danken.
Ich bin ja ein glücklicher Mann gewesen – ungewöhnlich glücklich. Ich habe es erreicht, Hauptmann Zu werden – zum Oberst hätte ich wohl nicht getaugt, nicht einmal zum Major – und mir ist das Glück vergönnt gewesen, an dem Kampf für mein Vaterland teilzunehmen – das sagt viel. Und viele gute Freunde habe ich gewonnen, junge und alte, und ich habe über halb Jütland jagen können, und ich habe viele herrliche Frauen auf meinem Wege getroffen – die Frauen sind viel, viel besser als wir Männer – ja, das sind sie.
Und wissen Sie, was vielleicht mein allergrößtes Glück gewesen ist? Daß ich mich über Kleinigkeiten habe freuen können – über eine Blume, über ein Lächeln, über eine schöne Hand und über einen guten Schuß. Es ist ein großes Glück, sich über das Kleine im Leben freuen zu können, denn so wenige Menschen von uns begegnen ja dem Großen.
Ja, der liebe Gott ist sehr gut gegen mich gewesen – glauben Sie nicht auch, daß er mir ein gnädiger Richter sein wird, jetzt wo ich zu der großen Armee gehe? Darum soll der Pfarrer bitten – ein Dankgebet und eine Fürbitte – nichts weiter! Aber dann soll das herrliche Lied »Es ist ein schönes Land« – gesungen werden – ach, ich meine natürlich »Schön ist die Erde« – aber ich glaube wirklich, Dänemark ist das Schönste auf der Welt, und daher kam es, daß ich – Sie verstehen mich wohl!«
Der Hauptmann bekam einen starken Hustenanfall, der ihn sehr ermattete, und ich bat ihn deswegen, seine Stimme ein wenig zu schonen und bis morgen mit den, zu warten, was er sonst noch auf dem Herzen habe.
»Morgen?« wiederholte er, »Nein, ein Morgen gibt es nicht mehr. Morgen müssen Sie die Sache in die Hand nehmen, denn dann kann ich nicht mehr.
Ach, wie viele wird man doch da oben wiedertreffen! Und viel wird da zu fragen sein, und über so vieles wird man Aufklärung bekommen! – Gott mag wissen, ob das Malaienmädchen den Seeräuber wirklich getötet hat, und ob sie nach dem fremden Schiff hinausgelangt ist? Ich glaube nun doch, sie ist im Kjärviger Sand stecken geblieben! – Und was es wohl am Ende mit der kleinen Nadel auf sich hatte, die der alte Franz gleich wiedererkannte, und die nun schon so manches Jahr auf dem Grund des Holmeboer Sees gelegen hat – darüber habe ich oft nachgedacht!
Glauben Sie, daß ich diesen Kerl, den Spion da oben treffen werde? – Nein, doch wohl nicht? – Aber die alten Kriegskameraden, das wird eine Freude werden! – Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, ich schlage die Absätze zusammen und richte mich wie ein Rekrut, wenn ich Schleppegrell sehe – es war unglaublich, was man für einen Respekt vor dem Mann hatte!
Vergessen Sie auch nicht an den Kammerherrn auf Svendsö zu schreiben, daß er nicht zur Beerdigung kommen soll – er kann die weite Reise im Winter nicht mehr vertragen! – Aber bitten Sie ihn von mir, einen Kranz um Mette Munks Bild oben im Rittersaal zu hängen, mit einer Danebrogschleife daran – hören Sie!
Was ist denn das? Das ist ja Musik! – was sagen Sie? Sie läuten die Sonne von der Seilstruper Kirche zur Rüste? – Mein Gott, ist es schon Abend! – Ich glaubte ganz bestimmt, daß Karl Hortens Lied gespielt würde – ja, nun höre ich es bald – denn jetzt geht die Sonne unter!«
Der Hauptmann lag ganz still da mit geschlossenen Augen, ich konnte ihn nicht mehr atmen hören und glaubte schon, daß er tot sei.
Aber plötzlich schlug er die Augen auf, richtete sich halb auf und rief mit kräftiger Stimme: »Hier!«
»Was ist da, Hauptmann,« fragte ich.
»Ach, nichts,« erwiderte er und fiel in die Kissen zurück. »Es war mir nur, als wenn mein Name zum Appell aufgerufen würde – von da oben her – und da antwortete ich – natürlich.«
Einen Augenblick später seufzte der Hauptmann zum letztenmal tief auf. Sein rechter Arm fiel kraftlos über den Rand des Bettes, und Diana leckte seine Hand, bis sie merkte, daß sie ganz kalt war, dann ging sie in ihren Korb zurück und rollte sich resigniert zusammen.
An einem schönen, stillen Wintertag, mit blauem Himmel und Sonnenschein wurde der Hauptmann beerdigt, und wenn man es früher nicht gewußt hätte, so würde man es jetzt gesehen haben, daß er in ganz Jütland ein bekannter Mann gewesen war, von weit her kamen Alt und Jung nach der Hjortholmer Kirche, und da waren hunderte von Kränzen.
An einem Kranz aus lauter weißen Rosen hing eine Karte, auf der »Estrid« geschrieben stand – weder mehr noch weniger – und der Kranz wurde zu Häupten des Sarges gelegt.
Der Pfarrer sprach ein Gebet, und unter den Tönen des alten Kreuzfahrer-Liedes trugen Veteranen den Sarg zu Grabe.
Aber als ich zurückfuhr und die Glocken von allen den Schlitten ringsumher auf allen wegen einander so festlich und sein in der klaren Frostluft antworteten, da mußte ich an die Worte des Hauptmanns von dem Bataillon denken, das von einem militärischen Begräbnis immer mit klingendem Spiel nach Hause zieht, und als wir an dem Wier-Hügel vorüberkamen, fiel mir der Adjutant ein, hinter dem sich der Wald geschlossen hatte – jetzt befand sich der Hauptmann ja selbst »jenseits des Dickichts«.