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[VIII.]

Frau Josefine hatte schon lange im Regiment ihre Besuche gemacht, die Gegenbesuche empfangen und war bereits zu verschiedenen Kommiß-Peccos geladen worden, die man gleichzeitig ihr und Frau Thea zu Ehren gab. Beide waren neu im Regiment und mußten angefeiert werden. Da traf es sich für die verschiedenen Hausfrauen, teils aus Sparsamkeitsrücksichten, teils aus anderen Gründen sehr gut, daß man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. Denn diese Kommißgesellschaften sind und bleiben nun einmal entsetzlich langweilig, ganz einerlei, ob man sie selbst gibt oder sie als Gast besucht: immer dieselben Menschen, immer das gleiche Gesprächsthema, immer die nämlichen Scherze und Witze, immer dieselbe Unterwürfigkeit gegen die Höheren, immer dieselbe zur Schau getragene Herzlichkeit gegen die Gleichgestellten, die mit wahrer Herzlichkeit nicht das Geringste zu tun hat, immer dieselben Toiletten, und wenn einmal ein neues Kleid erscheint, immer wieder dieselben bewundernden neidischen Blicke – –

Heute war Pecco bei Hauptmann Ahlert, dem zanksüchtigsten Ehepaar der ganzen Garnison. Im Vergleich zu denen lebten selbst Rockhausens glücklich zusammen, die hatten doch wenigstens eine entzückende Tochter, die ein Bindeglied zwischen ihnen bildete, und als Entschuldigung diente für Frau von Rockhausen ja auch ihre krankhafte Nervosität. Aber bei Ahlerts war der eine Teil noch gesünder als der andere, sowohl körperlich wie geistig, – und trotzdem diese entsetzlichen Szenen. Und seitdem vor einigen Monaten in dasselbe Haus mit ihnen in die unter ihrer Etage gelegenen Parterre-Räume ein junger, flotter Referendar eingezogen war, behauptete man, daß die Frau es auch mit der ehelichen Treue nicht mehr sehr genau nehme. Ihr Mann selbst hatte sie deswegen fortwährend in Verdacht. Sie verachteten sich gegenseitig und konnten doch nicht ohne einander leben. Sie brauchten diese häuslichen Szenen zum Leben, wie Butter und Brot.

Vergebens hatte Oberst von Eckern da eine Änderung herbeizuführen versucht, er hatte den Mann zur Rede gestellt, ihm erklärt, er könne ein solches Eheleben in seinem Regiment nicht dulden, sie müßten entweder Frieden halten oder auseinandergehen, wenn sie sich nicht dem aussetzen wollten, eines Tages in eine andere Garnison versetzt zu werden. Von dem schlechten Ruf, den die Frau genoß, hatte der Oberst nicht zu sprechen gewagt, denn der konnte sich ebenso gut auf Lüge wie auf Wahrheit gründen. Er hatte keine Beweise irgendwelcher Art in der Hand, und daß Hauptmann Ahlert den Referendar selbst zu sich in seine Wohnung einlud und mit ihm verkehrte, sprach ja deutlich dafür, daß dessen Verhältnis zu seiner Frau ein ganz harmloses war.

Vor allen Dingen aber wollte Oberst von Eckern an eine so schmutzige Geschichte innerhalb eines Offizier-Korps ebenso wenig glauben wie Frau Rita, mit der er oft darüber sprach. Auch die verwies das alles in das Gebiet der Fabel, und je eifriger die Lästerzungen an der Arbeit waren, umso häufiger zog sie die Frau auf Gesellschaften offiziell ins Gespräch, um dadurch zu zeigen: glaubt ihr nun, daß die Menschen gemein sind, wenn sie so etwas Häßliches erzählen?

Für ein paar Tage nützte das auch stets, denn man wußte, daß Frau Rita mit der anderen nie ein Wort sprechen würde, wenn sie nicht von ihrer Untadelhaftigkeit felsenfest überzeugt gewesen wäre, ja, noch mehr, wenn sie diesen ihren Glauben und ihre Überzeugung nicht auf ganz bestimmte Tatsachen hätte stützen können.

Und schließlich gab es auch genug Leute, die die Frau selbst für den Fall in Schutz nahmen, daß alles wahr sein sollte, was man sich erzählte. Du großer Gott – Eheirrungen kamen in den besten Familien vor, allerdings gehörten sie in der Armee – Gottlob! – noch zu den Seltenheiten. Aber die Zahl der Offiziersdamen wächst mit der Vergrößerung der Armee ja von Jahr zu Jahr – ist es da ein Wunder, wenn sich unter den zahllosen weißen Schafen auch hin und wieder ein schwarzes zeigt, und vor allen Dingen konnte man aus dem, was die einzelne tat, nicht dem ganzen Stand der Offiziersdamen einen Vorwurf machen. Denn eine Frau hat doch nicht lediglich deshalb, weil ihr Mann zufälligerweise Offizier ist, die Verpflichtung, ihm treuer zu sein, als sie es vielleicht sonst ihrem Manne wäre, wenn er nicht den bunten Rock trüge? Das war doch lächerlich, man mußte die Welt und die Menschen nun einmal nehmen, wie sie sind, man zitierte das bekannte Wort: wenn alle treulosen Männer auf einsame Inseln verbannt würden, dann würde es bald keine mehr geben – nämlich keine einsamen Inseln, und wenn man es in der heutigen Zeit mit allen Damen, die außer ihrem Gatten noch einen anderen lieben, ebenso machte, dann würden die einsamen Inseln auch bald nicht mehr ausreichen. Die Frau ist und bleibt nun einmal in erster Linie Weib. Alles Gerede von dem Rücksichtnehmen auf die Stellung des Mannes ist ein Unsinn. Wenn eine Frau ihren Mann nicht mehr liebt und ihm untreu wird, dann ist es ganz einerlei, ob der Mann ein Arbeiter, ein Leutnant oder ein Minister ist – das eine kann den Fall ebensowenig in einem milderen Lichte erscheinen lassen, wie das andere das Vergehen erschweren und strafbar machen könnte.

Die Ansichten hierüber gingen sehr auseinander, wenn man über diesen Punkt diskutierte. Natürlich sprach man nie von dem einen speziellen Fall, sondern man verallgemeinerte das Thema, – aber unangenehm war es den Offizieren doch, daß überhaupt davon geredet wurde.

Und gerade in der letzten Zeit wurde wieder besonders viel geklatscht: Hauptmann Ahlert war dienstlich drei Tage auf Reisen gewesen, und in dieser Zeit sollte der Referendar kaum aus der Wohnung der gnädigen Frau herausgekommen sein. Gewiß, es war sicher nur Dienstbotenklatsch – aber etwas Wahres mochte vielleicht doch daran sein.

So hatte der Oberst sich denn gezwungen gesehen, den Hauptmann zu sich zu bitten und mit ihm einmal sehr ernsthaft unter vier Augen zu sprechen. Die Folge war, daß der Referendar mit seinem Ehrenwort erklärte: alle Gerüchte, die über ihn und die Frau des anderen herumliefen, beruhten auf niederträchtigster Gemeinheit. Dieses Ehrenwort hatte der Oberst verlangt, und der andere hat es gegeben.

In eingeweihten Kreisen war man davon überzeugt, der Referendar würde einen Revolver entladen und dabei zufälligerweise verunglücken. Aber der schien nicht daran zu denken und verunglückte auch keineswegs. Das hatte man nicht von ihm erwartet. So beschloß man, sich von ihm zurückzuziehen; aber das war schwer durchzuführen. Man hatte natürlich keine Beweise, daß er sein Ehrenwort gegen besseres Wissen gegeben hatte, vor allen Dingen aber konnte man die Frau eines Kameraden nicht bloßstellen, und das tat man, wenn man den Referendar fallen ließ.

Der Oberst, der von alledem nichts erfuhr, war vollständig beruhigt. Ebenso Frau Rita, die noch weniger als ihr Mann jemals an den Klatsch geglaubt hatte. Beide waren sehr froh und überzeugt, daß die Gerüchte jetzt verstummen würden, besonders, da unter der Nachwirkung der Worte des Herrn Oberst Hauptmann Ahlert in einem Gespräch keinen Zweifel darüber hatte aufkommen lassen, daß er in Zukunft jeden vor die Pistole fordern würde, der es noch einmal wagen sollte, seine Frau zu verdächtigen. Daß er diese Worte nicht ganz freiwillig sprach, wußten alle.

Auch das Fest, das er heute abend veranstaltete, gab er auf Wunsch des Herrn Oberst. Es galt, den anderen zu zeigen, daß er mit seiner Frau im besten Einvernehmen lebte, und das mußte er jetzt nach außen hin weit mehr tun als sonst, denn wenn Seine Hoheit erst der Chef des Regiments war, dann konnten hier unter keinen Umständen Ehepaare geduldet werden, die zu ewigem Gerede Anlaß gaben und das Ansehen der anderen Familien damit in Mißkredit bringen konnten. Das gab es nicht, unter keinen Umständen.

Der Oberst hatte so deutlich gesprochen, daß der Hauptmann einsah: er werde sich in der allernächsten Zeit in einer Grenz-Garnison wiederfinden, wenn er nicht mit seiner Frau Frieden schloß. So schwer ihm das auch wurde, es war immer noch leichter, als sich gerade jetzt ihretwegen versetzen zu lassen. Lieber ließ er sich scheiden – aber er dachte wieder daran, daß er dann nur auf sein Gehalt angewiesen sei. Jetzt hatte er wenigstens immer reichlich Geld – seine Frau war sehr vermögend, und wenn sie ihm auch nicht das Kapital anvertraute, so bestritt sie doch von ihren Zinsen nicht nur den ganzen Haushalt, sondern gab ihm auch ein sehr hohes Taschengeld – – und lediglich des Geldes wegen blieb er bei ihr, wie sie bei ihm ausharrte, um der gesellschaftlichen Stellung, die sie durch die Position ihres Mannes einnahm, nicht verlustig zu gehen.

Man mußte es Ahlerts wirklich lassen: sie hatten sich heute abend alle nur denkbare Mühe gegeben, es ihren Gästen nett und angenehm zu machen. Vor allen Dingen verkehrten die Gastgeber so freundlich mit einander, daß es wirklich ein Vergnügen war, das mit anzusehen. Ein ganz besonderes Lob zollte man ihnen, daß sie in der Hinsicht des Guten nicht zu viel taten, daß sie die Absicht, den Frieden zu zeigen, nicht merken ließen. Und beide behandelten den Referendar mit derselben ruhigen Freundlichkeit. Denn daß der eingeladen wurde, war auch der Wunsch des Herrn Oberst gewesen. Es mußte auffallen, und zu neuem Gerede Anlaß geben, wenn man ihn gerade heute nicht aufgefordert haben würde. War er früher täglich bei ihnen ein und aus gegangen, dann mußte er an diesem Abend erst recht bei ihnen sein.

Hatte am Anfang des kleinen Festes auch eine etwas gedrückte Stimmung geherrscht, so wich diese im Laufe des Abends immer mehr. Man war wirklich ganz erstaunt, als die Wagen vorfuhren; die Zeit war im Fluge vergangen.

Als erster verabschiedete sich der Kommandeur mit seinen Damen, nachdem er den Wirten in liebenswürdiger Weise gedankt und der Frau des Hauses offiziell die Hand geküßt hatte. Dann ließ er sich von dem Burschen hinunter begleiten und sie stiegen in den Mietswagen, der polternd auf dem Pflaster dahinfuhr.

Das eigene Fuhrwerk war noch nicht angeschafft. Das war die Schuld des Herrn Oberst, der trotz allen Suchens bisher kein passendes Gespann hatte finden können, – weil er keins finden wollte. Er verdankte seiner Schwester schon so viel, daß er sich schämte, neue Geschenke von ihr anzunehmen. – –

Jetzt mußte der Wagen eine Ecke zu scharf genommen haben, denn plötzlich gab es einen Ruck und Josefine, die gerade etwas sagen wollte, biß sich auf die Zunge. Das verdarb ihre Laune.

»Weißt Du, Otto, so geht es wirklich nicht weiter! Ich habe keine Lust, meine Gesundheit hier aufs Spiel zu setzen und mich in dieser entsetzlichen Droschke zu Tode rädern zu lassen. Sieh Dich, bitte, morgen nochmals gründlich nach passenden Pferden um, sonst muß ich die Sache selbst in die Hand nehmen.«

»Da wirst Du sicher betrogen werden, Josefine.«

»Aber dann habe ich wenigstens eigene Pferde. Und wenn sie mir nicht gefallen, kann ich sie ja jederzeit wieder umtauschen oder mir ein paar andere kaufen. Ich habe es ja dazu.«

Weder der Oberst noch Frau Rita taten, als hätten sie die letzten Worte gehört. Josefine hatte es sich angewöhnt, mit ihrem Reichtum zu prahlen und immer nur von ihrer eigenen Person zu sprechen. Wenn von dem neuen Gespann die Rede war, sagte sie immer nur: meine Pferde – und dadurch hatte sie ihrer Schwägerin die Freude auf die Equipage schon lange verdorben.

Josefine schien erwartet zu haben, daß man ihr antwortete.

»Du hast mich wohl vorhin nicht verstanden, Otto?« fragte sie noch einmal. »Ich wünsche jetzt endlich mein eigenes Gespann. Ich meine, nach allem, was ich für Euch tat, wäre es doch nicht zu viel verlangt, wenn ich Dich bitte, Dich morgen endlich nach ein paar passenden Wagenpferden umzusehen, – die kommen schließlich ja auch Euch zu Gute.«

Wie schon so oft in der letzten Zeit fühlte der Oberst sich durch den Ton seiner Schwester verletzt. Ein heftiges Wort lag ihm auf der Zunge. Aber er schwieg. Und ein leiser Händedruck seiner Frau, die genau erriet, was in ihm vorging, ließ auch den letzten Rest seines Unmuts schwinden.

»Du hast Recht, Josefine. Ich will morgen nachmittag gleich nochmals in den Englischen Stall gehen und mich dort umsehen. Wenn ich Glück habe, kannst Du schon übermorgen in Deinem eigenen Gespann fahren.«

»Gott gebs.« Frau Josefine sagte das so ernsthaft, als würde durch die endliche Befriedigung ihrer Eitelkeit eine schwere Last von ihr genommen, als schwände dadurch endlich ein Leid dahin, an dem sie bisher schwer gelitten.

Nach einer Fahrt von einer kleinen Viertelstunde hielt der Wagen vor der Wohnung des Kommandeurs. Früher hatte der Oberst es sehr geliebt, wenn er von einer solchen kleinen Gesellschaft nach Hause kam, in seinem Zimmer bei einem Glas Rotwein und einer Zigarre noch etwas mit seiner Frau zu plaudern, nicht gerade über das Fest selbst, das sie soeben verlassen hatten, aber doch von diesem ausgehend über manches, das sie interessierte. Alles Klatschen, alles Hecheln lag diesen beiden vornehmen Naturen vollständig fern, ein Gespräch über die lieben Mitmenschen wurde nur dann bei ihnen geführt, wenn seine Stellung als Oberst es nötig machte, daß er sich gewissermaßen dienstlich um so etwas kümmerte. Sonst ließ er jeden nach seiner Fasson selig werden.

Aber das war ganz anders geworden, seitdem Josefine bei ihnen war. Die konnte – wie sie behauptete – nicht eher einschlafen, als bis sie die ganze Gesellschaft, von der sie eben kam, von der ersten bis zur letzten Minute nicht noch einmal in Ruhe durchgesprochen hatte – – sie mußte alles erst noch einmal vor ihren geistigen Augen Revue passieren lassen: das Menu, die Toiletten und die Unterhaltung. – Dem Oberst sowohl wie Frau Rita war dies in der Seele verhaßt, besonders wenn es sich um die Familien des Regiments handelte. Und so hatten sie sich – schon um kein abfälliges Urteil von Josefine hören zu müssen – sehr gefreut, daß der heutige Abend in jeder Hinsicht so hübsch verlaufen war. Die Gerüchte, die früher durch die Stadt schwirrten, hatten sie ihr absichtlich verschwiegen, aber irgendwie mußte sie doch etwas davon erfahren haben, denn sie faßte ihr Urteil über den heutigen Pecco in die Worte zusammen:

»Kinder – eine solche Affenkomödie wie heute habe ich in meinem ganzen langen, reichbewegten Leben noch nicht gesehen.«

Frau Rita tauschte mit ihrem Mann einen schnellen Blick, dann meinte sie: »Ich weiß nicht, was Du damit sagen willst. Wenn auch Dir die Klatschgeschichten zu Ohren gekommen sind, so dürftest Du dem nicht glauben, sondern nur nach dem urteilen, was Du mit eigenen Augen gesehen hast.«

»Das tue ich auch,« entgegnete Josefine stolz, »und ich habe es nicht nötig, mir von Dir Instruktionsstunden geben zu lassen, wie man es bei Euch wohl nennt, wenn Ihr Weisheit von Euch gebt. – Ich habe meine Augen und meine Ohren heute gehörig offen gehabt. Es gibt Worte und Blicke, die wirklich harmlos sind, und solche, die es nur scheinen sollen! An den letzteren hat es heute abend weiß Gott nicht gefehlt, und man muß entweder blind sein, oder man muß ganz gewichtige Gründe haben, nicht sehen zu wollen, wenn man nicht bemerkt, daß zwischen dem Referendar und der Frau nicht nur etwas, sondern absolut nichts in Ordnung ist.«

Dem Oberst stieg das Blut in die Schläfen: »Ich muß Dich dringend bitten, Josefine, eine Dame meines Regiments nicht zu verdächtigen. Der Assessor hat dem Hauptmann sein Ehrenwort gegeben, daß er nur ein rein freundschaftliches Verhältnis mit der Dame unterhält – und das wird auch Dir wohl genügen.«

Frau Josefine zuckte die Achseln: »Das ist doch kein Beweis! Ich bitte Euch: es ist doch auch geradezu kindisch, in solchem Falle das Ehrenwort zu verlangen – der andere kann doch als Ehrenmann garnicht anders handeln, er muß doch sein Wort geben, wenn es gefordert wird, denn er kann doch unmöglich die Frau bloßstellen und sie dadurch kompromittieren, daß er sein Wort verweigert.«

»Du weißt vielleicht nicht, daß der Referendar auch Leutnant der Reserve ist. Aber davon ganz abgesehen, hätte seine Ehre es verlangt, zur Waffe zu greifen, wenn er fälschlicherweise sein Ehrenwort gab.«

Josefine ließ sich nicht beirren: »Das wäre das dümmste, was er tun könnte, denn dadurch würde er ja ganz deutlich der Welt zeigen, daß er log – er würde durch einen Selbstmord das Gegenteil von dem erreichen, was er damit bezweckte. Er muß schon mit Rücksicht auf die Frau, die ihm ihre Liebe schenkte, weiterleben. – Und frage Dich selbst, ob Du in einem ähnlichen Falle nicht ebenso handeln würdest? Es ist häufig ehrloser, die Wahrheit zu sagen, als zu lügen. Selbst ein Meineid muß geschworen werden, wenn es gilt, die Ehre einer Dame zu retten – –«

»Das sind Sophismen und theoretische Auseinandersetzungen, über die sich vielleicht streiten läßt,« unterbrach der Oberst sie erregt. »Aber mit dem vorliegenden Fall hat das nicht das geringste zu tun. Die Frau mag leichtsinnig gewesen sein, sie hat vielleicht etwas zu stark kokettiert, sich etwas auffallend den Hof machen lassen und dadurch selbst Veranlassung zu jenen Gerüchten gegeben, aber für ihre Ehre lege ich meine Hände ins Feuer, besonders seitdem ihr Mann mir die ehrenwörtliche Versicherung des anderen brachte.«

»Ich auch,« stimmte Frau Rita ihrem Gatten bei, »denn Du wirst mir wohl glauben, Josefine, daß ich die Frau heute nicht so absichtlich vor allen anderen geküßt hätte, wenn ich nicht von ihrer Unschuld felsenfest überzeugt wäre.«

»Ihr seid beide große Kinder! Das merkt man ja schon an der Art und Weise, in der Ihr Euer schönes Vermögen vergeudet habt. Na, deswegen braucht Ihr Euch nun nicht mehr zu grämen, denn nun bin ich ja da, und was ich habe, gebe ich Euch gerne. Aber Ihr seid auch sonst Kinder, das merkt man wieder in dem, was Ihr sagt. – Gott möge Euch Euren Glauben erhalten – hoffentlich werdet Ihr nicht zu spät sehend. – Nun aber entschuldigt mich – ich bin müde. Diese Peccos haben doch etwas entsetzlich Langweiliges und Einschläferndes. Ich hab' sie mir viel lustiger und übermütiger vorgestellt.«

Wie immer bot sie ihrem Bruder und ihrer Schwägerin die Stirn zum Kuß und zog sich dann zurück, wie täglich: mit dem befriedigenden Bewußtsein, diese ein klein wenig gedemütigt – und außerdem ein klein wenig böses Blut gemacht zu haben. –

Allerdings, was sie über Frau Ahlert sagte, entsprang ihrer innersten Überzeugung. Sie hatte den ganzen Abend geschwankt, ob sie reden oder schweigen solle. Die Liebe zum Streit verleitete sie schließlich, zu sprechen. Vor sich selbst entschuldigte sie das damit, daß sie sich sagte: ich muß Otto nach Möglichkeit davor bewahren, daß er in seinem Regiment Ärger und Verdruß hat, besonders jetzt, wo Se. Hoheit bald kommt. Und schließlich bin ich es auch Rita schuldig, daß ich in ihrer Nähe nur solche Damen dulde, die ihres Umganges wirklich würdig sind.

Aber auch an sich selbst mußte sie denken! Das war sie doch ihrer Stellung schuldig, die sie jetzt im Regiment einnahm.

Josefine liebte ihren Bruder und ihre schöne Schwägerin auf ihre Art wirklich. Und doch empfand sie beständig ein Vergnügen, die beiden ein wenig zu ärgern, sie ihre Macht fühlen zu lassen. Sie freute sich des ungetrübten Eheglückes, in dem die beiden zusammen lebten, aber sie war selbst zu unglücklich gewesen, als daß nicht doch zuweilen so etwas wie Neid in ihr aufstieg. Dazu kam der Ehrgeiz, nicht nur im Regiment, sondern auch im Hause eine Rolle zu spielen. Sie wollte nicht nur die gute Tante aus dem Märchen sein, die da ankommt, die Schulden bezahlt, und dann mit dem Strickstrumpf bescheiden in der Ecke sitzt und jedesmal errötet, wenn man das Gute erwähnt, das sie getan hat. Nein, das lag ihr nicht, – sie wollte herrschen. Und die Macht suchte sie dadurch zu erringen, daß sie bis zu einem gewissen Grade Unfrieden stiftete.

Josefine trieb, wie sie es offen aussprach, ihre Sonderpolitik. Worin dieselbe bestand, blieb ihr Geheimnis. Ihre Verwandten wußten auch garnicht, ob die Worte wirklich der Wahrheit entsprachen, oder ob Josefine sie nur damit einschüchtern wollte. Denn sie drohte zuweilen mehr, als sie ausführte.

So hatte sie es auch aufgegeben, Frau von Rockhausen zur Vernunft zu bringen, nachdem Frau Rita ihr bewiesen hatte, daß die arme Frau krank sei. Dagegen zeichnete sie Frau Thea, ihrem Vorsatz getreu, bei jeder Gelegenheit aus, nicht nur, weil sie die hübsche junge Frau sehr gern hatte, sondern auch, um Frau von Rockhausen wenigstens zu ärgern. Das Vergnügen ließ sie sich denn doch nicht nehmen, etwas wollte sie auch davon haben, daß sie ihrer Schwägerin nachgegeben hatte.

Josefine war mit allem, was sie tat, höchst zufrieden. Es gefiel ihr im Regiment sehr gut, und sie sah mit stiller Befriedigung, daß man schon anfing, sie und ihre spitzen Bemerkungen zu fürchten. Das machte sie stolz. Denn das war ein Beweis dafür, daß man sehr bald um ihre Gunst ringen würde.

Auch heute legte sich Josefine mit dem glücklichen Bewußtsein nieder, wieder einen Tag in ihrem Sinne »ausgenutzt« zu haben, und da sie genau wußte, daß ihr Bruder auf Grund des soeben beendeten Gespräches noch lange aufbleiben würde, empfand sie die Freude, jetzt schon im Bett zu liegen, umsomehr. Des Abends zu beten hatte Josefine sich schon lange abgewöhnt, das tat sie höchstens nur noch, wenn sie einmal in der Stille der Nacht ein verdächtiges Geräusch hörte – – dann betete sie zu Gott, daß es keine Diebe sein möchten. Aber sonst hatte sie es sich abgewöhnt.

Aber aus alter Angewohnheit faltete sie doch noch immer die Hände über der Bettdecke.

Und mit gefalteten Händen schlief sie auch heute abend friedlich ein. – – –

Unterdessen saß der Oberst in seinem Lehnstuhl und brütete vor sich hin.

Frau Rita saß dicht neben ihm auf dem Sofa und strich ihm von Zeit zu Zeit mit der Hand über das Haar oder die Stirn. Aber beide schwiegen, obwohl sie dasselbe dachten.

Was hatte es für einen Zweck, über Dinge zu reden, die nun doch nicht mehr zu ändern waren. Josefine war da. Man mußte sie nehmen, wie sie war, und man mußte ihr dankbar sein, daß sie geholfen hatte. Abreisen würde sie nie wieder, selbst dann nicht, wenn es wirklich einmal zu einer sehr ernsten Auseinandersetzung kommen sollte, denn sie hatte erklärt: alle Brücken hinter sich abgebrochen zu haben, um ihren Lebensabend nun in Ruhe und Frieden bei ihrem Bruder und ihrer lieben Schwägerin verbringen zu können. Und der Lebensabend konnte bei ihrer Konstitution und bei ihrem Talent, sich alles Unangenehme fernzuhalten, noch sehr fern sein.

»Es wird Zeit, Otto, daß Du Dich schlafen legst,« mahnte Frau Rita endlich. »Es ist bald ein Uhr.«

»Ich kann doch noch nicht schlafen,« widersprach er. »Was Josefine da sagte, beunruhigt mich weit mehr, als Du glaubst. – Ich kann mir nicht denken, daß sie Recht hat, kann es mir nicht vorstellen, daß der Referendar sein Ehrenwort gab, wenn an den Gerüchten doch etwas Wahres sein sollte –«

»Aber es ist nichts Wahres daran, beruhige Dich nur. Josefine glaubt ja selbst nicht an das, was sie sagt. Es liegt nun einmal in ihrem Charakter, immer mißtrauisch zu sein, soweit müßtest Du Deine Schwester doch eigentlich kennen.«

Dann brachte sie das Gespräch wieder auf Frau Hauptmann Ahlert. Auch ihr war es direkt peinlich und unangenehm, das Thema nochmals zu berühren, aber für ihren Mann war es immerhin besser, er sprach sich gründlich über die Dinge aus, die mit seinem Dienst und mit seinem Regiment zusammenhingen.

»Ich will morgen einmal mit dem Adjutanten reden,« meinte der Oberst endlich, »oder wenn auch nicht gerade morgen, so doch an einem der allernächsten Tage, sobald ich mir ganz schlüssig bin. Der soll mir dann offen und ehrlich sagen, was die Leute – und vor allen Dingen: was die anderen Offiziere darüber sprechen. Glaubt man den Gerüchten, die über Frau Hauptmann Ahlert zirkulieren, ja, noch mehr, sollte sich herausstellen, daß die Geschichte auf Wahrheit beruht, dann muß ich Ahlert bitten, sich in ein anderes Regiment versetzen zu lassen. Das ist für ihn nicht so hart, als wenn ich es selbst beantrage. – Unangenehm aber bleibt die Sache auf alle Fälle, besonders jetzt, wo dem Regiment solche Auszeichnung bevorsteht. Wenn es irgend geht, möchte ich die Versetzung, falls sie nötig wird, bis nach dem Besuch Sr. Hoheit verschieben. Aber das ist auch sehr hart für Ahlert – kaum hat er sich dann acht oder vierzehn Tage der Auszeichnung gefreut, ein halber Gardist zu sein, dann ist es schon wieder damit vorbei. Es ist eine verdammte Geschichte. Wenn Josefine nur ihre Spürnase nicht überall hineinstecken wollte. Nach außen hin war die Sache so schön arrangiert – wer glauben wollte, konnte es nicht nur, sondern mußte es sogar, und nun wird Josefine überall von einer Affenkomödie erzählen – ich sehe sie schon ordentlich bei ihren verschiedenen Visiten. Und ich kann jetzt nicht mehr tun, als ob ich der Einzige wäre, der nichts davon erführe – ich muß nun Klarheit schaffen. Ist Frau Hauptmann Ahlert unschuldig, wie ich nicht eine Minute bezweifle, dann bin ich verpflichtet, für ihre Ehre einzutreten. Sind die Gerüchte aber wahr, dann darf sie nicht mehr hierbleiben, das bin ich dem Regiment und uns allen schuldig.«

Er hatte das alles mehr zu sich selbst, als zu seiner Frau gesagt, die einzelnen Sätze in ungleichen Pausen vor sich hinsprechend, gleichsam laut denkend. So erwartete er auch jetzt keine Antwort seiner Frau, die ihm aufmerksam zugehört hatte, ohne ihn auch nur mit einem Wort zu unterbrechen.

Frau Rita empfand aufrichtiges Mitleid mit ihm, sie wußte, wie vornehm er dachte. Alles Schmutzige war ihm zuwider. Sollte die Frau wirklich schuldig sein, so würde es lange dauern, bis er es überwand, daß sich in seinem Regiment, unter seinen Augen, eine Ehebruchsgeschichte hatte abspielen können. Gab es irgendwie einen Skandal, beschäftigte sich die Öffentlichkeit oder die Presse mit dem Fall, so war es nicht ausgeschlossen, daß die hohen Vorgesetzten einen Bericht einfordern würden. Unter Umständen würde ihm der Vorwurf nicht erspart bleiben, zu blind, zu leichtgläubig gewesen zu sein. Ein Tadel würde auf keinen Fall ausbleiben – und wenn dieser auf die Karriere ihres Mannes auch keinen Einfluß haben würde und haben könnte, so wußte sie, daß er doppelt und dreifach darunter leiden würde, gerade wegen einer solchen Sache von den Höheren gerügt zu werden. Und sie sah es voraus, daß man ihn in strengen Worten ermahnen würde, in Zukunft besser aufzupassen, damit sich so unliebsame Geschichten in seinem Regiment nicht wiederholten.

Wie sollte er da aufpassen! Er konnte doch den Regimentsdamen keine Vorschriften über ihren sittlichen Lebenswandel geben. Und wenn eine gestrauchelt war, so gab ihm das den anderen Damen gegenüber doch nicht das Recht, von diesen für die Zukunft ähnliches zu erwarten und sie dementsprechend zu beobachten.

Leichter würde sie selbst noch dafür sorgen können, daß so etwas nicht wieder vorkam. Aber auch für sie war es schwer. So lange der eigene Mann dagegen keinen Widerspruch erhob, hatte jede Frau das Recht, sich von einem Dritten den Hof machen zu lassen, soviel sie wollte. Als Gattin des Regimentskommandeurs konnte sie dann allerdings wohl warnen, mit dem Flirt nicht zu weit zu gehen, auf das Gerede der Welt Rücksicht zu nehmen, – aber wenn die andere dann stolz erklärte: »Gnädige Frau, ich weiß ganz allein, was ich tun darf und was nicht – ich kenne selbst sehr genau die Grenzen, die ich als anständige Frau nicht überschreiten darf,« – dann konnte selbst eine allmächtige Kommandeuse nichts dagegen einwenden.

Und schließlich lag doch schon in jeder Warnung eine Beleidigung, denn sie setzte doch immer schon den Gedanken oder die Vermutung voraus, daß die andere ihre Ehre nicht rein erhalten würde. Ehe eine Dame das aber einer anderen sagen kann und darf, müssen schon sehr schwerwiegende Gründe vorliegen – Vermutungen allein berechtigen nicht zu solchen Worten, die kann man meistens erst sprechen, – wenn es zu spät ist.

»Eine niederträchtige Geschichte!« Der Oberst mußte ähnlichen Gedanken nachgehangen haben, wie seine Frau, denn nun sprang er empor und ging nach seiner Angewohnheit im Zimmer auf und ab. »Eine verdammte Geschichte! Ich weiß garnicht, was ich machen soll. Ich kann sie jetzt ebensowenig totschweigen, wie an die große Glocke bringen. – Und schließlich wird man mich doch dafür verantwortlich machen. Du lieber Gott – wenn der eigene Mann nicht 'mal auf seine Frau aufpaßt, ich kann es doch gewiß nicht! Ich bin doch kein Haremswächter, der mit der Knute in der Hand dasitzt und jedem Eindringling den Zutritt verwehrt –«

Er blieb plötzlich vor seiner Frau stehen und sah sie traurig an: »Und wer hat uns die ganze Geschichte – wenn auch nur indirekt – eingebrockt? Josefine.« Und seinen Gefühlen, die ihn in diesem Augenblick bestürmten, nachgebend, sagte er: »Rita, ich glaube – wir werden es noch oft bitter bereuen, daß Josefine kam, und ich fürchte, wir werden uns noch oft die schwersten Vorwürfe machen, daß – sie kommen mußte –«

Sie hielt seinen Blick aus, aber sie fühlte doch, wie eine innere Unruhe sich ihrer bemächtigte. Sie glaubte zu wissen, daß er mit seinen Worten die Wahrheit sprach. Ein Gefühl der Schuld wollte wieder in ihr wach werden, aber sie unterdrückte es.

Sie erhob sich von ihrem Platz und schmiegte sich zärtlich an ihn: »Bist Du nicht die ganzen langen Jahre hindurch glücklich gewesen?«

»Ja, das war ich,« stimmte er ihr aus aufrichtigem Herzen bei, »aber wir hätten trotz alledem sparsamer wirtschaften müssen. Wir wären vielleicht auch so Oberst und General geworden, und wenn nicht, nun, dann wäre ich eben gegangen.«

»Bitte, sprich nicht davon,« schmeichelte sie. »Du darfst überhaupt garnicht an den Abschied denken. Du bist heute abend verbittert und hast Dich mit Recht über Josefines Verdächtigung geärgert. Morgen denkst Du schon ganz anders – paß auf, es wird sich herausstellen, daß alles nur ein gehässiges Gerede ist, ganz bestimmt ist kein wahres Wort daran.«

Aber es gelang ihr doch nicht, seine Zweifel zu beseitigen. Das Mißtrauen war in ihm wach geworden. Und gerade, weil er eine so offene und ehrliche Natur war, konnte er es jetzt nicht so schnell wieder los werden – – –

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