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Nachwort

Man soll sich davor hüten, einen Menschen in eine Formel zu pressen, besonders einen Künstler. Die Wesensvielfalt des Künstlers ist Spiegelung der Vielfalt der Welt, und oft sind es gerade die quälendsten Zwiespälte und Widersprüche seines Daseins, die ihn zum Werke befruchten, indem sie ihn Befreiung im einheitlich Erlösten suchen lassen. Immerhin aber vermag eine umreißende Formel als Auftakt oder Grundton einer schöpferischen Betrachtung zuweilen am Platze zu sein, und so wage ich es, über Rudolf Hans Bartsch als das Grundlegende zu sagen: er ist der Natur näher verwandt als den Menschen. Unzählige Beispiele, aus seinen Werken sowohl als auch aus seinen sonstigen Lebensäußerungen, vermögen diese Formel zu bestätigen und dreißigjährige Betrachtung, es darf wohl auch gesagt sein dreißigjährige Freundschaft, hat hier diese Anschauung immer deutlicher gefestigt. Sie scheint zur Beurteilung des Dichters wichtig und ist anderseits in keiner der unzähligen kritischen Betrachtungen über ihn sonderlich aufgezeigt. Nicht nur vieles zur Bejahung seiner Kunst scheint dadurch erklärt; auch dort, wo sich kritische Bedenken äußern, ist nun die besondere Ursache in verstehendem und daher auch versöhnlichem Lichte aufgezeigt.

Wir wissen, was der eigentliche Grund des großen Erfolges seines ersten Bekenntnisbuches »Zwölf aus der Steiermark« war, das Überwältigende, hinreißende seiner Naturzugehörigkeit, wie aus Erde geballt und gegen den Himmel geschleudert, sprangen die zwölf jungen Steiermärker aus dem Grün ihrer Heimat, warfen um, was vermorscht war, und brüllten vor Lebendigkeit. Und immer begleitete sie die weiche dunkle Stimme der »baumrauschenden Stadt«, die selbst inmitten aller von außen her andringenden Naturkräfte zum seelischen Kristall geworden schien. Im Auftakt dieses Buches hat Bartsch das Geheimnis seines künstlerischen Wesens voraus bekannt: daß die Wiedergeburt jedes wahrhaft fruchtbaren Augenblicks, so selbständig der Mensch sich auch in geistiger Inzucht gebärden mag, immer nur wieder aus der Einfalt der Elemente, aus der physischen Werkstatt des Kosmos geschehen kann, wobei allerdings nicht feststeht, wo zwischen Stoff und Geist die Grenze liegt, ja ob sie überhaupt besteht. Bartschs Naturnähe ist geniale Einfühlung in ihre urewigen Gebote, er ist Natur in einer Leidenschaft, einer Inbrunst untertan, daß sie jederzeit das eigentlich Bestimmende seines Schaffens, das Richtunggebende auch seines Lebens bleibt.

Daraus aber folgt nun wieder anderseits, daß alles, was Menschenwerk »an sich« anbelangt, von ihm mit einer gewissen Unerbittlichkeit betrachtet wird, wie sie der Natur all ihren Geschöpfen gegenüber eigen ist, und daß er in seltsamer Scheu den geschmeidigen, nicht immer naturehrlichen Zugeständnissen ausweicht, die zur restlos hingebungsvollen Betrachtung und Einfühlung in die menschlichen Geselligkeitszustände erforderlich sind. So mag ihn die innere Schicksalsentwicklung seiner Phantasiegeschöpfe nicht jederzeit genügend fesseln, es tritt Ermüdung an ihnen ein auf Kosten der Hingebung an das Nur-Menschliche, die zur letzten Ausmeißelung gewisser Gestalten notwendig ist. Aber gerade Vollendung im Detail ist ja eher Sache der meisterlich geduldig ausreifenden Talente als der genial eruptiv Schaffenden, und Bartsch gehört seinem ganzen Wesen nach zweifellos der Gruppe der letzteren an. Seiner geradezu dämonischen Naturzugehörigkeit konnte auf keinen Fall eine ähnlich große Menschenzugehörigkeit sich gesellen, und es liegt dafür der beste Beweis in der Christusgestalt seiner großen Trilogie »Grenzen der Menschheit«, die er mit bewundernswert eigenwilliger Kraft viel näher ans all-liebende Herz der Natur, als ans erlösungsbedürftige Herz der Menschheit legt, so daß er eigentlich eine Art heidnischen Christus schuf, eine erstaunlich tiefe, höchst eigenartige Erscheinung, der sich freilich nur der Wesensverwandte erschließt.

Auch ein anderes mag nun erklärt sein: seine Eignung zum Historiker, die spöttisch überlegene Kraft, mit der er seine köstlichen geschichtlichen Figuren und Figürchen auf die Bühne seiner Novellen beruft. Nur dem völlig Losgelösten eignet solcherart der Blick für historische Vorgänge, weil er die unumgänglich nötige Distanz hierzu besitzt, die dem Parteimann jeder Art begreiflicherweise mangelt. Bartsch wird mancher politischer Äußerungen wegen befehdet; man versuche, seine allerdings oft recht temperamentvollen Meinungen auf die gotteinsame Quelle seiner Naturzugehörigkeit zurückzuführen, und man wird ihm, wenn auch nicht immer Gefolgschaft leisten, so doch in manchem nachzufühlen lernen.

Ein Großteil seiner Wirkung und die daraus folgende starke Verbreitung seiner Bücher mag auch damit zusammenhängen, daß der ungeheure Zwiespalt, der ihn erfüllt, der Zwiespalt aller Denkenden von heute ist: es ist der Kampf zwischen dem Geiste, der sich emanzipiert hat und nun in schwersten Fiebern seiner Naturflucht sich austobt, und zwischen Natur, die zur Wesensberuhigung, zur Schollenweisheit, zur letzten Fügung ins Erdgeborene aufruft, was anderes sind Bartschs heißblütige Bücher, als Dokumente dieses inneren Kampfes? Und selbst wo ihre froh hinschwebende geistreiche Heiterkeit, ihre entzückend lebensfreudige Bejahung an den leichteren Sinn des Phäaken mahnt, ist es doch nur das Hintänzeln des Falters, der über düsterem Abgrund schwebt und wohl davon weiß.

Und damit ist auch das Typische an ihm als dem Österreicher aufgezeigt, dessen Wesen ja immer wieder verkannt wird: seine graziöse Heiterkeit ist niemals auf seichtem Untergrund, sie ist auf voller Erkenntnis aller Lebenstragik aufgebaut, sie zieht nur die lächelnde Fügung ins Unvermeidliche der polternd anklagenden Gebärde vor. Dieser Frohsinn, Kind der Weisheit, großväterliches Erbteil und wohl auch Erbteil des sonnigen Erdreichs, dem er entwachsen, ist Bartsch um so höher anzurechnen, als er den ernstesten Menschheitsproblemen nicht nur niemals ausweicht, sondern sie im Gegenteil sucht. Die geistige Vielfalt seiner Werke legt genügend Zeugnis dafür ab. Und was er als Horcher und Kämpfer, als Zweifler und Erkenner im Tiefsten durchlitten, versucht er in harmonisch erlösender Form den Mitmenschen zur Befreiung zu übermitteln, womit er die hohe Doppelmission des Dichters erfüllt: dem rein Gestaltenden auch das priesterliche zu gesellen.

Man wird in Zukunft des Bleibenden genug aus seinen Werken auszuwählen haben. Aus seinen Romanen neben mancher lebendig fortwirkenden Gestalt eine Flut von klugen, tiefschürfenden Betrachtungen über alles, was unsere Gegenwart bewegte und wie Vergangenheit uns erschien, und immer und immer wieder die herzensgütige Bemühung, den in Fehlzucht des Geistes Verlorenen den einzig erlösenden Weg zu zeigen, die Rückkehr zu den unerschöpflichen Kraftquellen der bewußten Naturbeseligung; in einer ganzen Reihe seiner prächtigen Novellen aber hat uns Bartsch das Unvergängliche aufgezeigt, das vollkommene Kunstwerk, die völlige Auflösung des erstaunlichen Gedankens in die ihm einzig kongeniale erstaunliche Form.

Salzburg, Januar 1924.

Franz Karl Ginzkey

 

Auf holzfreies Papier gedruckt

 


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