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Die Aufzeichnungen des Alarich Tusch.

Ehe ich von den innigen Schwingungen zu reden beginne, die in meiner Seele zur wunderbaren Harmonie anwuchsen, welche »Erlösung« heißt, ehebevor muß ich von dem bodenlosen Herzleid reden, über dessen tiefes, tiefes Nichts der Weg in mein Inneres führte. Denn Erlösung ist niemals außer uns; das weiß ich, der ich das Sonnenlicht und das häusliche Herdfeuer, die Farben und die südlichen Meere und die Töne anbete, als Gottheiten, die ich empfinde, wie nur je ein beglückter Heide.

Dies Empfinden aber, es ist bei und in euch; der große Alldurchströmer, an dessen bewußtlose Weisheit ich glaube (und der heute z. B. mit dem Namen »Gott« bezeichnet wird), dieser große Durchströmer, der jeden durchschauert, er gebe es auch euch!

Wendet euch nicht ab, wenn ich von vielem Leide erzählen muß, ehe ich euch meinen Weg zum Glück zeige; denn nur aus jenem überwältigenden Weh erwuchs mir die blaue Blume.

Ich habe, an einem Tage, mein Vermögen verloren, meine verzehrend Geliebte und den einzigen Freund. Und ich habe beide Menschen durch viel Schlimmeres verloren, als durch den Tod. Dazu war Krieg und Elend überall, – und es martert mich, wenn andere elend sind.

Auch war es November; zu alledem noch November, wo sich mir, der ich die Sonne und die kleinen, ziehenden Wolken und die Fernen und den Süden anbete, wo sich mir auch die Gottheit zu versagen begann, der ich nachhing.

Immer neigte sich meine verzagende Seele in adonischer Trauer, wenn der Nebelmond angekommen war. Früher, da Friede war, entfloh ich ihm oft und blickte in das blaue Rollen des Meeres, in betäubenden Sonnenschein und in Rosen und roch die Blüte südlicher Gewächse, gänzlich benommen vor zagendem Glück, daß das alles wirklich wäre. Jetzt aber war die Erde abgesperrt und jeder Vogel und jeder Wurm durfte reisen, nur das sehnliche Menschenkind nicht. Dafür mußte ich von Tag zu Tag auf den Ruf warten, der mich abermals vor die Maschinengewehre, die Granaten und Gasbomben hinausrief, vor denen man so sehr viel zittern und so sehr wenig denken kann.

Schon im Schnee und in der Kälte kann ich wenig denken. Und doch ist Denken vielleicht der Wonnen größte. Damals aber sollte mir auch das genommen werden.

Mein Freund, der glückliche, lebensleichte Luzian Filser, war in der Schweiz und hatte mir nichts davon verraten, daß sie (daß Lore) von dort nach dem armen Österreich kam; sie selber hatte es mir schreiben wollen. So glaubte ich. Und die Kürze ihrer Worte hielt ich für liebend berechnete Kunst:

»Ich bin mit dem siebenten November auf ein paar Tage in München, und wenn du glaubst, daß uns ein mündliches Aussprechen nottäte (ich glaube es beinahe), so versuche doch, Urlaub zu erhalten. Lenore.«

»Lenore?« Da ich doch immer zu ihr Lore sagte? Ach, das war wegen der Briefzensur; sie schämte sich vor andern des Kosenamens, den nur wir beide wußten. Und die Kargheit ihrer Worte sollte die volle Süßigkeit zusammenpressen, – damit mir kein anderer Ausweg für mein unbändiges Glück bliebe, als ein Schrei, ein Schrei aus durchbohrendem, aus beinahe schon wehtuendem Glück!

Das gänzlich andere geschah dann im englischen Garten. Die Bäume hatten damals ihr Laub bis zum siebenten November behalten; jener Tag aber folgte auf eine Frostnacht. Da fielen sie nun rettungslos und unaufhaltsam. Nebel wechselte mit ganz blassen Sonnenversuchen, und so fielen sie, bald golden aufleuchtend, bald gespenstergrau herniedertropfend, immerzu. Ein lautloses, leises Fallen war das, es nahm kein Ende und begleitete all unsere Wege und all unsere Worte.

Beim Monopteros kamen wir uns entgegen und mir stockte der Atem; so schön war meine Geliebte geworden, so wunderbar gekleidet! Filser hatte mir geschrieben, sie wäre mittellos und sorgenvoll, und ich hatte ihn gebeten, ihr über die Nöte der schlechten Geldwährung hinwegzuhelfen; fast all das Meine hatte ich, – so, – langsam an ihn gesendet. Ich war dabei selig, daß die Geliebte dort in Pallanza sich an jener Sonne, an jener Bläue und jenen Rosen freute, die ich nur sehnlich und unglücklich liebte.

Aber das war eine beglückende Überraschung; sie sah reich und vornehm aus, und jede Bewegung war die eines Weibes in gesicherten Glückszuständen.

Da jedoch – da streckte sie mir die Hand mit dem duftenden und schönen Handschuh entgegen, und ihre Stimme sagte, vollkommen fremd und ohne ein Vibrieren von Liebe oder Freude: »Grüß Gott, Alo.«

Das klang so, als sagte jemand ermüdet und gelangweilt: »Ja, ja, aber kommen wir zu Ende.« Ich fühlte es augenblicklich und es kam wie Nebel und Eis eines Winters in mir empor. Und während dieser ganzen Zeit tropften, wirbelten und schwenkten die fallenden Blätter so gespenstig und unlebendig um uns, als tanzten die abgestorbenen Kinder der Sonne einen mahnenden Totenreigen um eine abgestorbene Liebe.

Da redete ich sie an: »Lore, was ist mit dir?«

Sie aber schwieg.

Da fragte ich weiter: »Lore, du liebst mich nicht mehr?«

Sie aber schwieg.

O, und diese Blätter, fortwährend diese höhnenden Blätter.

Ich versuchte tief zu atmen und sie störte mich nicht; nach einer Weile gelang es mir, zu verbergen, wie schwer dieser Atem ging und wie schwer meine Füße die bleiernen Sohlen auf der Erde weiterhoben. Schon bei dem ersten Worte, das sie redete, war ich sterbensmüde.

So kamen wir näher an den See. Bei der großen Wiese begann sie:

»Bedenk, wieviel Häßliches, – nein das nicht: wieviel Niederdrückendes ich erst an dir erleben mußte, bis alles – so langsam – anders wurde und dahinstarb …«

»Häßliches? An mir?«

»Nein,« sagte sie müde; »ich habe das Wort ja augenblicklich verbessert. Aber, du weißt es ja, ich war niemals irgendwie mit dem – mit (und sie ärgerte sich, weil sie das Wort »Geld« nicht nennen wollte) mit diesem Mammon irgendwie verbunden! Aber ein Mann, dem man immer wieder aushelfen muß, während er doch gesund und arbeitsfähig ist und mich glauben macht, daß er nicht völlig vermögenslos wäre – –?«

Ich starrte sie an. Gott sei dank, alles war nur ein Irrtum!

»Welcher Mann?« fragte ich in erwachender Hoffnung. Beinahe schlug der Jubel durch meine Stimme. Denn der Mann war doch nicht ich: Ich war es ja, der ihr geholfen hatte.

»Ach, das ist alles so ermüdend,« sagte sie. »Und es ist auch nutzlos.«

»Und Filser; hat er dir von mir nie etwas gegeben?« sagte ich lächelnd.

»Nun ja; kleine Geschenke, für die ich dir ja, wie er immer wollte, brieflich gedankt habe … Rosen, eine Lampe, ein Seidentuch, soll ich deine Gegendienste noch alle aufzählen?«

»Gegendienste!« schrie ich.

»Nun ja,« sagte sie ergeben und müde.

»Gegendienste? Für was?«

»Ach Gott, ich erwähnte es schon früher,« gab sie Antwort.

»Du hättest mir – –?« Ich wurde beinahe bewußtlos, so fremd und erstaunlich kam das alles. Und da die Blätter um uns immer so lautlos und traumhaft scherwenzelten, so glaubte ich, hoffen zu dürfen, all dies sei unwirklich.

Sie blieb stehen und sah mich in lässiger, kaum aufwachender Verwunderung an. »Du,« sagte sie, immer in ihrer abweisenden Müdigkeit und leisen Verdrossenheit. »Wenn du mich auch noch anlügen wolltest, so wäre das aber schon gänzlich traurig. Laß dir also Zeit und überlege, was du mir mitzuteilen hast. Ich werde dir dann das Wenige sagen, was ich dir noch zu erwähnen schuldig bin.«

Ich schleppte meine Füße am Ufer des Sees dahin und versuchte, zu überlegen. Es war eine Lüge dazwischen? – – Luzian Filser! Warum liebte ich ihn? Er war heiter und genügsam. Das waren ungeheure Eigenschaften, die ich nicht immer hatte und die ich auf alle Weise zu erwerben suchte. Ich konnte diesem Menschen, der weder Wein noch teure Speisen brauchte, der sich seinen Salat selber anmachte und die zwei oder drei Eier zu seinem Mittagmahl, im Frieden noch, selber kochte, nicht von der Seite weichen! Das war ja althellenisches Philosophentum! Freilich, ohne Philosophie; (die dichtete ich selber in ihn hinein). Denn was war er sonst? Ein Meister, ein vergnügter Meister der geschickten Lüge und Ausflucht. Seine Rede war die Ausrede, sein Weg der Umweg, sein hervorstechendster Zug der Winkelzug. Was habe ich über ihn deshalb gelacht; ich nahm's ja niemals ernst! Da er faul war und nicht arbeitete, obwohl er sich einen Dichter nannte, so nahm ich seine belustigenden Intrigenspiele für einen seltsamen Ausweg des Talentes. Er lebte eben die verwickelten Szenenführungen, weil er sie nicht niederschreiben konnte oder wollte, und er schuf sich das eigene Dasein zum burlesken Gedichte um. Da lag doch Originelles drin?

Aber freilich. Einmal hatte er das Unwesen der anonymen Briefe verteidigt. Einmal? Nein, immer wieder! Nur ich hatte mich schweigend von seinen Ausführungen abgewendet; der Ekel streifte mich leise. Da schwieg auch er und es wurde wieder gut. Ja, ich lachte sogar bald danach, als er mir eine Entschuldigung zitierte: »Was willst du nur?

Ein armer Schelm muß voller Ränke sein,
Wenn er sich dieser schlechten Welt erwehren will.«

Oder sagte er gar: »Wenn er sich redlich durch die Welt will schlagen?«

Genug, ich lachte. Ich hätte mir das, und vieles andere, ernstlich vermerken sollen.

Im Kriege war er dem Schützengraben geschickt ausgewichen und zur Propaganda in die Schweiz gegangen. Dort suchte Lore, meine wunderschöne Lore in Pallanza Heilung für ihre bedrohte Lunge und wohl auch für ihre Schwermut. Sie war Baroneß und ich durfte sie nicht heiraten, aus Ehrgeiz ihrer Eltern nicht, und wohl auch, wie ich jetzt glaube, aus eigenem Glücksbegehren nicht; weil doch im Weibe das Glücksbegehren immer nach außen geht. Ich war ihr zu arm.

Das lebendige Wort aber ist so viel werbender als alle Briefe! Ich dachte mir: wenn der Freund bei ihr ist und ihr oft und liebevoll von mir erzählt, so kann sie meiner nicht vergessen. Immer neu wird ihre Lust an mir aufgestachelt werden. Ich sandte ihm all meine Briefe an sie und er schrieb mir wieder in ihrem Namen; mehr, als sie, die Ermüdete, selber. Und so – –

Jetzt erst redete ich zu ihr:

»Und so hat dieser Dichter, dieser Freund, dieser Luzian Filser dir gesagt, ich wäre hilfsbedürftig? Und mir hat er geschrieben, du wärest es! Ach, Lore! Da wir uns, voll Liebe und Glück, einander zu helfen, gegeben haben, was wir nur entbehren konnten, so mag denn dahin sein und ihm gehören, wenn nur – – –« Das ausbrechende Glück überstürmte meinen Schreck und meinen Abscheu über den unsäglich schäbigen, krätzigen Schurkenstreich des guten Freundes, der jetzt, durch diese ihm unerwartete Aussprache zwischen uns beiden, an Tag geraten war.

Sie blieb stehen und schaute mich aus plötzlich angstvollen Augen an:

»Alo! Es wäre ungeheuerlich, einen Menschen so zu beschuldigen, um sich selber freizulügen! Alo, du warst immer gerade und ehrlich!« – –

»Nun,« sagte ich ruhig: »Stelle dir selber in deinen Gedanken den Filser vor Augen; – neben mich hin. Wem traust du es zu?«

»Ihm, ihm!« rief sie, völlig fassungslos.

Einen Augenblick bedurfte es für mich, um ein Gefühl des Triumphes zu überwinden, das aus Eitelkeit entsprang und deshalb unrein war. Ich habe viele Fehler. Eines aber geht, wie ein Rückenmark, als Hauptnerv durch mein Leben: nie war ich, was man mit dem Worte ignobel benennt; denn das deutsche Wort unedel sagt nicht dasselbe. Und das hatte sie mit zwingendem Gefühl erkannt; freilich erst jetzt.

Denn nach diesem kurzen Schweigen, während dessen ich mein Herz zu verhindern suchte, daß es Gloria riefe, sagte sie mit gesenktem Kopfe:

»Furchtbar ist das. Denn jetzt ist es zu spät.«

Langsam, beinahe fühllos ging ich neben ihr weiter, am See entlang, der sich gramvoll in Nebel zu hüllen begann. Ich sagte lange Zeit nichts, denn was gab es da zu fragen? Höchstens das eine, das ich ohnedies wußte. Dieses Wort »zu spät« kann nur ein Weib sagen, das einen andern liebt.

Sie sah mich an, erst scheu und bereuend, dann mitleidig, endlich wie bittend. Daß ich fragen sollte, daß ich nur reden möchte. Ich aber konnte nichts mehr sagen, sondern wäre am liebsten fortgegangen, fort in die grauer und grauer werdende Welt, in der die Blätter fielen. So leicht, so selbstverständlich ließ ehemalige Liebe mich fallen, wie diese Bäume ihr Laub, welches einst ihr Atem und ihre Schönheit gewesen war.

Endlich sprach sie es aus: »Ich gehöre einem andern.« Sehr leise sagte sie es. Es sollte scheu und schuldbewußt klingen, aber ein Ton der Innigkeit ging mit durch dieses Wort, der mich innerlich zerriß. Ich nickte nur.

Mein Gott, wie grauenhaft, wie traumhaft quälend war diese Stunde in meinem so geliebten englischen Garten, dem schönsten, sonst dem glücklichsten Garten in allen deutschen Ländern! Und hier wurde mir das angetan, wohin ich bisher immer flüchtete, wenn ich bedrängt war; hier, wo mich sonst Herr Lukas Rabesams Bäume trösteten und heilten!

»Der Andere!« Er steht im Leben der Liebe wie ein Gespenst, so unbegreiflich ist er uns immer; so schauerlich fremd, so immer anders, als wir selber ihn fürchteten und erwarteten.

Du erwartest ihn wie einen krummgeschnäbelten Adler, er steht da und hat eine kleine Stumpfnase.

Du erwartest ihn mit flammend blauen Augen, er hat hunnische, schwarze Knopflöcher, und statt der kühnen Bogen darüber zwei bedrückend dumme, dicke und breite Augenbrauen, schwarz wie Schuhwichse und angeklebt wie Salanganennester.

Du dachtest ihn als hellwach und gescheit; er ist ein Dummkopf, der nichts anderes zu sagen weiß, als was andere ihn gelehrt haben, das aber mit sehr viel mehr Sicherheit als du. Er ist überhaupt immer eines: sicher. Sicher wie der Tod und dir fremd und erschreckend, wie der Tod.

Denn das ist wahrhaftig ein Tod mitten im Leben, und darum so gespenstig, wenn Liebe sich an einen andern gab.

Das alles stürzte sich halbbewußt durch mich, während ich mich, sehr müde und etwas ablehnend, neben ihr herschleppte. Und weil ich gar nichts sagte, so begann sie ängstlich zu werden und zu bitten: »Du: – Alo! So rede doch nur endlich; so frage mich doch nur aus. Liegt dir denn gar nichts dran?«

O du Weib! Sie wollte, daß ich litte, zu alledem! Aber wäre es denn mir sehr leicht ums Herz gewesen, wenn es umgekehrt gegangen und sie von mir, der ich sie verließ, leicht und ohne ein Wörtchen zu verlieren, weggeschwenkt wäre?

»Alo!«

»Wie sieht er denn aus?« fragte ich.

»Bist du sehr eifersüchtig auf ihn?«

Ob ich eifersüchtig war! Gott, mein Gott! Aber ich beherrschte mich und log: »Nein; aber ich denke, daß du mir das gerne erzählst und daß es dir eine Erleichterung, ja eine Freude sein wird, von ihm zu reden.« Ich sagte diesen Satz genau in demselben Buchdeutsch, in dem ich ihn hier niederschreibe, und sie hätte daran seine Unaufrichtigkeit erkennen mögen; aber dazu ärgerte sie sich jetzt zu sehr. So begann sie mit wirklicher Gesprächigkeit:

»Also, er heißt – aber das tut nichts zur Sache. Er ist Aristokrat.«

»Das bin im Grunde auch ich,« warf ich lächelnd ein. Ich konnte merkwürdigerweise lächelnd, milde und versöhnend tun.

»Ja, aber er ist reich; und todschick. Er reitet herrlich und hat auch aus mir eine elegante Reiterin gemacht. Alle Tage wechselt er die Krawatten – du, lach nicht! Denn er ist zwar Weltmann, aber er liest alle Philosophen, er ist tief und erfahren und nachdenklich und leidet auch; aber doch wechselt er alle Tage die Krawatten und auch die Wäsche, und das ist es, was ich gemeint habe.«

Die Unwiderstehlichkeit des Luxus und der Eleganz. Soll ich abermals verächtlich rufen, o Weib? Benimmt uns selber nicht solch eine Erscheinung des siegreichen Lebens, solch ein selbstverständlich elegantes Weib den Atem und oft alle Vernunft dazu? Es ist der Sieg im Leben, den wir anbeten. Wehe dem, der diesem Götzen unterliegt! Niemals kann er glücklich sein.

Denn die Seele, die Seele stirbt unter Seide und Lässigkeit!

Unauffällig, sauber und vornehm soll dein äußeres Bild sein. Verlierst du dann ein Weib, weil ein anderer mehr als diese kleine Aufmerksamkeit an sich verwendet, so hast du gewonnen; – gewonnen um so mehr, je weher dir das tat. Das weiß ich heute.

»Ist er schön?«

»Lange nicht bis zur Fadheit. Aber er ist sehr männlich, sehr mutig, sehr energisch; bis zur Gefährlichkeit, sage ich dir! Stark, wild, leidenschaftlich, im Guten und Bösen, kurz: ein ganzer Mann.«

Ein Grauen schüttelte mich bei diesen Worten, die an derselben Stelle geredet wurden, wo Herr Lukas Rabesam seine wehmütigen Worte von den Aussterbenden, den entsagenden Abendkindern gesprochen hatte. Ich kehrte mit ihr um. Ich hielt es hier nicht aus.

Aber wir Männer? Lieben wir denn das tugendhafte oder gar das tiefgescheite Weib? Lieben wir nicht das geschickte, das verhohlene Lasterchen? Das aufreizende Geheimnis der graziösen Sünde? Das Weib sucht, manchmal, den Gorilla; es liebt aber meist den glücklichen, oberflächlichen Sieger, der Mann fast immer die gut maskierte Dirne; so steht die Formel.

Ist eine solche Erde nicht entsetzlich? Nein, Herr Rabesam hat doch unrecht. Sie ist schön, wenn man weise ist. Der Weise sitzt zu Welte als im Theater. – Das vermochte ich nur damals noch nicht, und ich litt entsetzlich.

Heute sage ich: Gerade das war wunderschön, daß ich so litt!

Damals war es ein Glück, daß sich irgendeine Art von wesenlosem Traumgefühl über mich legte; eben jenes, was ich immer wieder mit dem Worte gespenstig bezeichnen muß. Wohl rissen sich manchmal zerfetzende Schmerzen durch diese Narkose. »Ich gehöre einem andern«, oder: »er ist ein Mann«. Immerhin gab es doch wieder tröstendere Augenblicke in diesem dumpfen Unglück. So, als sie sagte: »er ist todschick«. Da lächelte ich aufrichtig über ihre Puppenhaftigkeit. Und dennoch wäre es mir lieber gewesen, wenn ein Mann gekommen wäre, der mich in dem geschlagen hätte, was ich selber für wertvoll an mir hielt. Im adligen Verschenken, im Verstehen und Verzeihen; in der Arbeit an mir selber; in der Gottversunkenheit; im heißen Drange, die andern zu erlösen, indem ich mich selber erlöste – einem solchen hätte ich sie mit tiefer Reverenz überlassen, so kam's mir vor. Nun aber ein Erbherrenreiter, einer, der sie nicht wie ein Himmelsgeschenk, sondern lässig dahinnahm, unter mehreren oder vielen; einer der nie »die Liebe« kannte, sondern nur » les amours«. Das war zerstörend; das war Demütigung, für sie und für mich. So unbesonnen machte mich dieses reißende Weh, daß ich die unnütze und taktlose Frage aufbrachte:

»Wie; du gehörst ihm also schon gänzlich?«

Sie senkte den Kopf und antwortete gar nichts. Und dieses Schweigen, das geradezu sang von ihm, es war eine fürchterliche Strafe für meine Frage. Es zerfraß mich bis ins Innerste und all mein Eingeweide tat mir jammervoll wehe.

»Alo,« sagte sie leise. »Kannst du noch mein Freund sein?«

Am liebsten hätte ich sie erschlagen. Aber ich sagte: »Vielleicht.«

»Es tut dir also nicht gar so sehr wehe?«

»Nun, ich habe mich geradezu trainiert auf den Moment deiner Untreue, siehst du. Und so traf er mich nicht unvorbereitet.«

Daß ich mich im Innersten immer angstvoll darauf bereitet hatte, das unerhört schöne Mädchen zu verlieren, das war schon wahr; aber viel genützt hatte es mir nicht. Sie aber war von meiner Antwort beleidigt.

»Du hast also mit meiner Schlechtigkeit gerechnet?«

»Habe ich nicht recht behalten? Aber du – hast du nicht geglaubt, ich lebte auf Pump von der Geliebten? Ich, und – –!« Ich begann bitter zu lachen. »Hat Filser dir viel Geld abgenommen?« fragte ich dann, schon wieder sorgenvoll.

»Nein,« sagte sie. »Gerade die Kleinheit der Beträge war es, was dich mir wenig achtbar machte. Und dann sagte er, der ja immer nur vom Kritisieren anderer bei Selbstbewußtsein erhalten werden kann, jedesmal etwas über dich, was dich herabsetzte oder lächerlich färbte. Deine bald gar zu aufrechte Haltung, und dann wieder das Nachvorne-Überhängen, wenn du grübelst, das nannte er unkonsequent oder gar gemacht. Er verspottete deinen Schritt und dein Selbstbewußtsein, deinen Namen, deine halbgeborne Abkunft; ach Gott, was half dieser Mensch dazu, daß ich dich vergaß! Aber: Alo? Mir wäre lieber, ich könnte in Mitleid von dir gehen. Du: das brauchst du wohl nicht?«

»Nein, das brauche ich nicht.«

»Weil es dir gering gilt, daß ich zu ihm ging?«

»Das nicht,« sagte ich jetzt, wo wir uns trennen sollten, mit hervorbrechender Aufrichtigkeit. »Das wahrlich nicht, Lore! Aber daß ich dich verliere, reißt mir, ich fühle es jetzt schon, so viele neue Tore zu neuem Leben auf, daß ich davor erstarre, was es alles gibt, wenn es gilt, ohne Lore zu sein!«

»Andere Weiber,« sagte sie nicht ohne Bitterkeit.

»Nein, aber nein! Gerade von jetzt ab ohne Weiber, meine ich! Ich sehe Reichtümer, die nur in solcher Freiheit erglänzen.«

»Du sonderbarer, du reicher Mensch,« sagte sie und sah mich noch einmal lange und sehr aufmerksam an. »Vielleicht bin die Betrogene ich und bin die Arme. Denn dir, scheint es, kann nichts widerfahren. Dann darf ich aber einst zu dir um Hilfe und Trost kommen, Alo?«

Ich sah sie an, aber da war keine Ironie.

»Wenn ich hilflos oder unglücklich bin, Alo?«

»Ja,« sagte ich. »Dann komm nur, – ohne zu fürchten, daß ich dich je wieder berühren werde. Dann komm nur. Ich werde daran arbeiten, daß du einen wertvolleren Freund findest, als was ich als Liebhaber galt.«

»Ach, du!«

»Und jetzt, – nicht als eifersüchtiger Liebhaber, sondern als jener Freund, der Abschied nimmt, noch eine Frage: ›Heiratet er dich?‹«

»Ich glaube, nein,« sagte sie.

»Fürchtest du dann nicht, daß du nach ihm, der also nur lässig an dich denkt, von Hand zu Hand gehen wirst und dich selber, an der Gier der Männer, verlierst?«

»Hast du nicht mehrere Frauen besessen; hast du dich verloren?«

»Nein; denn der Mann gibt, das Weib nimmt. Beider Liebe ist anders. Verachtet ihr einen Mann, der öfter liebt? Wir verachten ein Weib, das sich oft ergibt. Du schweigst gleichgültig? Du: liegt dir denn gar nichts daran, daß mir deine Wegwerfung etwas einflößt, das zwischen Grauen und Ekel steht?«

»Nein. Denn mein Wegwerfen an dich flößte dir keinen Ekel ein.«

»Ach so; wenn du nur ihm kein Grauen einflößest?«

Sie lächelte. »Ihm?« sagte sie, »ihm!«

Wieder dieser leise Gesang in der Stimme. Ich konnte diesen Triumph nicht mehr ertragen. Ich sagte: »Leb wohl, Lore.«

»Leb wohl, Alarich Tusch.«

Das war wie ein Peitschenhieb; dazu war mein lächerlicher Name gut genug. Es war die Gegenrede auf mein Wort »Ekel«.

Und so gingen wir auseinander.

Sie hatte mir dennoch die Hand hingegeben. Und nach dem häßlichen Worte »Alarich Tusch« wurden ihre wunderbaren, ihre sonst immer leise ironischen Augen groß, ahnungsvoll und traurig. Dann riß sich die Leere des Novembers zwischen unsere Hände, die jetzt hinabsanken, als würfe man sie fort. Zwischen diese Hände von Mann und Weib, die sich vor nicht langer Zeit noch, trotz Tod und Gefahr und Verfolgung, nur um so fester verklammert hatten.

Die Geschichte meiner einzigen, meiner großen Liebe war aus.

Oder begann sie erst?

Ich taumelte nach Hause.


»Nach Hause?« Du Spaß, ich war ihrethalber in den großweltlichen »Vier Jahreszeiten« abgestiegen und wohnte wie ein Graf. – »Zu Hause« also trat ich mit recht müden Knien an den großen Spiegel und sah mir den an, der von einem eleganten Herrenreiter ausgestochen worden war.

Ich gefiel mir nicht; gar nicht! Nicht bloß meine Beinkleider oder der Umriß meiner Figur; die konnte immer noch Teilnahme oder Mitleid erregen. Aber was ich sonst bisher gewesen war. Hatte er nicht mehr als ich für das getan, was er überhaupt werden konnte? Hätte ich seinen Weg der Äußerlichkeiten eingeschlagen und hätte sie zur Gräfin Welser gemacht, ich hätte sie ja doch in seine Kreise bringen müssen, in denen ich nicht mehr mitkonnte. Ich spiele nicht Tennis, ich reite nicht, ich schieße weder mit der Pistole noch mit der Taubenflinte gut, ich bin schüchtern und schweigsam, und wenn mir einer mein Weib nehmen gewollt hätte, ich hätte mit ihm schlecht gefochten oder ungeschickt geschossen. Sie hatte recht; da war er ein anderer Kerl.

Und was hatte ich aus meiner Seele gemacht, aus diesem Gottesvermächtnis, auf das ich mir solchen Herren gegenüber viel zugute tat?

Ich ging vom Spiegel fort.

Ich war Österreicher gewesen, und das hieß alles sein wollen und nichts sein.

Kein Weltmann, weil wir Provinzler sind. Kein Deutscher, weil, was mich erziehend umgab, dieses Volk der Kellner, der Librettisten, der Tänzer und der Allzubereiten, dazu nicht tief genug war.

In dem, was ich am tiefsten wollte, war ich also verschüchtert. Ich wußte, daß ich die Wahrheit besäße; aber die Umgebung, die ich hatte, die Umgebung durch eines der begabtesten und balanciertesten, aber auch leichtfertigsten Völker dieser Erde, sie ließ mich erst gar nicht wagen, meine Wahrheit ernsthaft und groß hinauszurufen.

Unsere Selbstironie, unser Überprüfungslächeln!

Ein geistvoller Politiker hat den berühmten Luthersatz auf uns Vielfältige, die aus den vier Windrichtungen der Erdrassen zusammengezeugt sind, mit einer reizenden Änderung umgelegt:

»Hier steh' ich, ich kann auch anders, Gott helfe mir, Amen.«

Hier stand ich nun wieder, vor meinem Spiegel.

Wer war der andere, der mich aus ihrem Herzen hinausgelacht hatte? Ein Ungar, mit westlichem Adelslack. Das Kind eines Volkes, das nur eine Formel hat: leben und leben lassen. Ein tief nobles und tief treuloses Volk; – eben darum so anziehend für Frauen.

Ein Volk, das noch nie einen großen Denker zeugte: keinen Philosophen, keinen Mystiker, keinen religiösen Erkenner – nicht einmal einen Huß; – eben darum so anziehend für Frauen.

Ein Volk, klar und schön wie ein Edelstein, aber von geringstem, zulässigem Härtegrad! – Eben darum so anziehend für Frauen, wie wir Österreicher es sind, wenn wir nicht grübeln.

Was weiß man von uns? Wen allein kennt man von uns!

Unser Genie verbirgt sich im Ausland, unser Charakter erstickte im Wohlleben, und um den Thron wedelte das immer ungeheurer anwachsende Geschmeiß der Beflissenen, der Wichtigtuer, der Streber und Schmeichler so dicht, daß schon darum allein jeder ehrliche Mensch diesen eitlen und unnobel gewordenen Lothringern ferneblieb, welche, von unwissenden Frauen beherrscht, nichts um sich hatten, als das durstige Nichts.

Österreich konnte der Staat sein, der das Reich Gottes auf Erden begann; und Österreich war der Staat, der nur mit der Peitsche zusammengehalten werden konnte. Fehlte ein einzigmal der starke Wille mit der Peitsche in der Hand, dann zerlief es kläglich und lächerlich.

Österreich war ein Familienfideikommiß, von dem alle logen, es wäre der Notwendigkeiten höchste und erste auf Erden. Um einer Familie willen war jeder Österreicher ein Lügner, und das schon gab ihm eine ungewollte Charakterlosigkeit. Hoch oben hätte wohl irgendein Ideal geschwebt; dessen aber war die Familie, die von ihm Nutzen zog, durchaus unwürdig. Tief unten servierte das geborne Kellnervolk seinem Herrscherhause, seinem Adel und seinen Geldleuten »Gemütlichkeit und Heurigenmusik«. Die Edelsten schwiegen und hielten sich stumm und ferne; wenig mehr drang von Österreich in die Welt, als Lügen, Lügen.

Wer kennt uns denn?

Kam ein großer Gast nach Wien, es umhudelte ihn so schnell das Fliegengeschmeiß der Schwänzler, daß jeder Mann von Eigenleben und Rückgrat ihm trauernd oder ekelvoll ferneblieb. Ein einziger Mann, ein kleiner Jude, war das Gewissen und oft die einzig wahre Stimme jenes Österreich. Aber diesem Unglücklichen erging es wie dem kleinen Kai in Andersens Märchen von der Schneekönigin. Ein Splitterchen vom Spiegel des Teufels war ihm ins Auge geflogen, und nun kann er, alles, nur häßlich sehen und das Wort Ewigkeit nicht verstehen. Auch ihm ging selten ein Einsamer, ein Stolzer zu, so wenig wie dem Hofe, und er war von nichts umgeben als von dem durch seinen Witz befriedigten Neide und der Scheelsucht.

Wer bei uns das Gleichgewicht in sich selber, die stille Seele hatte, und viele sind es, der verschwieg sie, um nicht verhöhnt zu sein. Das war Österreich, das loseste aller Staatsgebilde! Ein lustiger Tänzer konnte ihm zurufen: » Chassez, croisez!« und das höhnische Ende einer langweiligen Quadrille brach, mit einem Hexensabbat, los.

In diesem Staate, mit diesem Volke wuchs ich! Wuchs, wohl etwas bangen und verwunderten Herzens. Ich wich den Bejahern aus und den Verneinern. Als aber der große Krieg losjaulte, da glaubte ich an das Völkerideal und für einen Staat, den ich ja doch im tiefsten verachtete, gab ich mein alles dahin. Auch das Restchen meines kleinen Vermögens (soweit ich es dem jämmerlichen Judas nicht anvertraute, der an des Freundes Vertrauen und dessen einziger großer Liebe seinen sonderbaren Erwerbstrieb betätigte) liegt in lächerlicher Kriegsanleihe irgendwo in einer Bank, die mich beschwätzte. Laß fahren dahin!

Unter ähnlichen Erwägungen war ich schon damals auf und ab gegangen. Ich schreibe sie nur erst jetzt völlig nieder. Damals aber trieb es mich immer wieder zurück an den Spiegel, Herrn Alarich Tuschen im besonderen vor Gericht zu ziehen. Sonderbar, daß ich damals mehr an meine rassenlose Rasse dachte, als an mich selber! Sonderbar. Ich fühlte, für mich selber, fürs erste fast gar nichts, keinen Schmerz. Und nicht das Fürchterliche des Verlustes. Aus einer Art von Entrücktheit heraus stellte ich so allgemeine Erwägungen, kaum eine halbe Stunde, nachdem die einzige Frau meines Lebens, die ich hingerissen geliebt hatte, mir gesagt: »Leb wohl, Alarich Tusch!«

Das war, weil ich mich bisher, hilflos, als Erzeugnis des öffentlichen Lebens um mich herum ansah. Aber wir sollen gar nicht Erzeugnis des öffentlichen Lebens sein: – und davon handeln ja nun auch fortab diese Zeilen.

Dieses vage, traurige Erwägen währte auch nicht allzulange. Es blieb doch gar zu schwer das Untergefühl in meinem Leibe hängen: alles ist aus. Ganz entkräftet stand ich immer noch – und besah mich hilflos im Spiegel.

Nein, es war nichts an mir – und nach allem andern sah ich aus, nur nicht sieghaft. Ich bin nicht hübsch. Ich bin wohl auch viel zu nachdenklich, um ein schöner Junge zu sein. Nachdenkliche Leute sind selten schön, oder ist es so, daß schöne Menschen nicht nachdenklich sind. Man gehe doch in die Theater: da sitzen bei den ernsten, bei den erschütternden und erhebenden Werken immer nur die dürftigen, die schlecht gekleideten und die wenig schönen Menschen, in den Operetten aber funkelt und strahlt es von feinstem Luxus und von Schönheit. So auch sind die Frauen; ich liebe die schönen Frauen sehr und ich erbebe beim Anblick ihrer großen Kunst, sich verführerisch anzutun. Aber sie wollen in das Theaterstück »Alarich Tusch« nicht hineingehen. Es ist ihnen zu langweilig, zu still, zu einsam und zu ernst.

Soll ich vom Spiegel weggehen und mein letztes Erspartes an herrliche Krawatten und Kleider wenden? Soll ich ein feiner Herr werden jetzt? Oder steht da nicht ein armer Bankrottierer, der nur deshalb so zerstürzt ist, weil er halb war, halb sein ganzes Leben lang? He!

Baroneß Lenore mochte mich nicht mehr. Sie hatte wohl recht; mag denn ich selber mich? Wie aber soll ich aussehen, daß ich mich selber mag?

Arbeiten und arbeiten: an dem Pfunde, das dir allein in deiner Eigenart gegeben ist. Jener, ihr Kavalier, er wurde alles, was er werden konnte, bis zur möglichsten Vollendung. Nun, werde auch du es, abgetakelter Freund! Das Leben ließ dich fallen? Laß nur du das Leben nicht fallen, so hast du es.


Das war damals, noch in München, von wo ich gleich wegfuhr; denn es war sowohl zu teuer als auch zu traurig dort.

Dann aber begann eine Zeit, die war noch viel trauriger. Das erste, was mit Übermacht in mir emporkam, war eine unsägliche Bitterkeit gegen die Menschen und gegen ihren mir nächstgestandenen Repräsentanten, Freund Judas im besondern. Eine entsetzliche Rachsucht überkroch mich von allen Seiten, so sehr ich mich ihrer zu erwehren trachtete, und wenn ich damals Lenore zurückgewinnen gekonnt hätte, bloß indem ich diesen Hund als Hindernis beiseite räumte, ich wäre mit hungriger Lust zum Mörder geworden, zum fein überlegten, unentdeckbaren Mörder; so viel Talent hatte ich schon! Was habe ich damals für Pläne erdacht, den Luzian aus dem Leben zu bringen, und die meisten verwarf ich nur, weil sie es mir nicht möglich gemacht hätten, ihm langsam und behaglich zu sagen, was er mir getan, was er dem Angesichte des Menschentums angetan hatte, und wie es da nur eine Sühne gäbe: Hinweg mit solcher Krätze!

Und dennoch rührte mich wieder die Erinnerung an ihn.

Ich hatte ihn gekleidet, ich hatte ihn beinahe erhalten und ich hatte es mit dem Takte getan, der in meiner alten Familie immer gewesen war; »Angaben« auf bestellte Feuilletons, Honorare für Ideen zu meinen Architektenplänen ersann ich und nichts bekam ich von ihm wirklich, als dies, – den Anblick eines gänzlich unbekümmerten, sorglosen, aber auch bedürfnislosen Lebens, wie er es führte. Freilich, es war auch ein gedankenloses Leben. Er faulenzte wie ein Neapolitaner von ehedem, und für vollkommen leere Stunden hatte er eine Freikarte ins Kino.

Nun, ich vertraute ihm so sehr, daß ich ihm die Geschichte von der großen Liebe meines Lebens, einer geheimen, verbotenen, verfolgten und oft und fruchtlos getrennten Liebe, anvertraute. Ja, als die Geliebte nach dem sehnlich erträumten Süden und ich an die Front mußte, da band ich diese einzige Liebe dem Freunde an die Seele.

Er aber schlug Geld daraus.

Dieses Geld, ich hätte es ihm ohne das so gerne gegeben, wenn er mich darum gebeten hätte! Er aber erwarb es lieber als Schurke, denn als Freund, und er zerstörte die große und einzige Liebe meines Lebens zugleich mit meiner Fähigkeit, jemals wieder einen Freund zu finden.

Menschen, Menschen! Schämt ihr euch denn nicht alle, daß euer einer solches zu tun vermochte?

Ich selber wurde beinahe irrsinnig, daß dies möglich geworden war, und nachdem ich meine Rachegier, die immer wiederkehren wollte, endlich überwunden hatte, da schämte ich mich für ihn dermaßen, daß ich ihm nichts sagte, auch als er einmal ahnungslos nach Wien kam und mich frech und frohgemut fragte, wie es mir und meiner Liebe erginge!

Damals hatte ich den schwersten Kampf meines Lebens. Ich wollte ihn niederschießen und ich hatte die Waffe in der Tasche und die Hand daran und den Entschluß dazu in gespannter Seele. Es war Herbst und ich erwischte ihn gerade im Augenblick, wo er an einem Kursbuch studierte, wohl, wo am schnellsten und unauffälligsten ein anonymer Brief aufzugeben wäre. O, ich wußte es genau, woran er dachte, und unter meinem Blick fuhr er wie ein ertappter Verbrecher empor. Gräulich sah er da aus; jämmerlich, zerstört und häßlich, er, der sonst heiter und schön sein konnte! Ein haßerfülltes Einbrechergesicht wandte sich mir zu und meine eigene Wut stieg flammend empor: »Schieß die Kanaille nieder und gut ist's; – dein Leben ist ja ohnedies zerstört, und wenigstens mußt du nicht wieder in den Schützengraben!«

Aber gerade der Ekel und der Schreck ob diesem Anblick brachte mich zu mir selber. Ich dachte: So viel Schwächen hast du mit ihm geteilt, – sogar gelogen hast du mit ihm! Er mußte dich ja für seinesgleichen halten, und ziehst du dich nicht jetzt selber, durch Haß und Rachsucht, zu seinesgleichen herab?

Zerstreut nur stand ich jetzt bei ihm und bat ihn, in seinem Kursbuch weiterzulesen. Auf seine lauernden Fragen gab ich ihm kurze Antwort.

»Und Lenore?«

»Hat sich mit einem andern verlobt.«

»Na also; die Witwe von Ephesus.«

Viel mehr blieb mir von jenem Gespräch damals nicht zurück. Ich hatte genug zu tun, meine Seele zu reinigen von dem Mordgedanken und von dem Hasse, und ich hatte zuzusehen, wie ich loskäme von jenem Menschen.

Im ganzen, was hatte er mir denn auch genommen?

Das Mädchen? Ich hätte es an den ersten Gesandtschaftsattaché verloren, auch ohne ihn. Und sie mir nehmen, das wollte er ja gar nicht: Ja, ich sah, daß es ihm sogar ein wenig leid um mich tat.

Und was hatte er mir denn an Gelde genommen? Der Staat zahlte ihn so gut wie gar nicht. Dafür, daß er vor dem Schützengraben behütet in friedlichem Ausland lebte, gab man ihm gerade die Mannschaftslöhnung, und der arme Kerl mußte sich in der Schweiz selber erhalten. Mich wollte er vielleicht aus Scham nicht bitten; auch wollte er mir sicher nicht die ganze Summe abnehmen, die er nach und nach, angesteckt von der Gelegenheit und der Not, verbrauchte. Und hatte er mir denn achtzehntausend Kronen weggenommen? In der Schweiz galten damals drei Kronen einen Franken und das Leben dort war dreimal so teuer wie im Frieden. So hatte der arme Teufel in Wahrheit nur zwei tausend Kronen von dem Meinen verbraucht; das andere hatte mir der Krieg entrissen. Zweitausend Kronen in zwei Jahren! Er tat mir beinahe leid, und wenn ich dachte, wieviel Heiterkeit er mir ehedem gegeben und wie viele trübe Stunden mir, durch seine kummerlosen Erzählungen von ehemaligen Liebschaften, in laut lachende verwandelt worden waren, besonders aber (von so niedrigen Dingen jetzt zu schweigen), wie das Beispiel seiner Genügsamkeit mich erquickt und erhoben hatte, so war ich wohl gar sein Schuldner.

Da saß nun dieser alternde Mann; seine Schönheit war durch den Ausdruck von Mißgunst, Lüge und Laster auf seinem Antlitz vollkommen zerstört, sein Leben war hingeronnen, wie schmutziges Wasser in die Gosse, aus war es mit ihm, gänzlich aus. Und den einzigen Freund, der ihn wirklich geliebt, ihn hatte er sich, auf das lausigste, abgeschreckt! Arbeiten konnte der tief Gesunkene wohl nie wieder; was hatte da ich noch zu strafen? War es nicht schon Strafe genug, daß er an meinem völligen Schweigen fürderhin ahnen mußte, »daß ich wüßte«?

Da saß ein Stück meiner Jugend; mein Falstaff, zerstört, jämmerlich verlogen und entflittert, wie ein abgespielter Lumpenkomödiant. Nein, dem konnte ich nichts tun.

Ich habe mich damals mit einiger Feierlichkeit erhoben, und, indem ich ihm den altchristlichen Friedenskuß auf die Stirne gab, nahm ich in meinem Innern ewigen Abschied. Von ihm, von meiner Jugend und meinem leichtfertigen Glück, auf ewig. Ich tat einen Strich durch seine und meine Sünden und verzieh ihm aus tiefstem Herzen. Er war überrascht und mißtrauisch. Ein Mensch wie er konnte nur an einen Judaskuß denken. »Gehst du fort?« fragte er.

»Ja,« sagte ich fest und ernst. Und ich ging.

Also habe ich den Glauben an Freundschaft, mit meinem Gute und der großen Liebe meines Lebens zugleich verloren, alles auf einmal.


Daß ich alle Rachegedanken und den Haß in meiner Seele zu tilgen vermochte, ach, das war leicht und hold wie ein Lächeln im Traume gegen den wütenden Schmerz um die verlorene Geliebte, der jetzt erst vollkommen wach und groß zu werden begann. Wenn ich die Gründe dieses Schmerzes in rückhaltsloser Aufrichtigkeit hier niederschreibe, wird mancher Moralist sagen: »Recht geschah ihm! Warum verlor er sich so tief ins Sinnenleben!« Mir geschah auch recht: aber meine Leiden waren darum nicht minder entsetzlich, als wenn sie um edlerer Dinge willen in mir gewütet hätten.

Meine Liebe nämlich war so gewesen, daß man sie rein sinnlich nennen mußte. Und dennoch wieder nicht. Denn hundert Mädchen und mehr sind an mir vorübergegangen, haben mich unerlöst angesehen, und es wäre mir möglich gewesen, ihre Körper zu gewinnen. Ich habe es leicht vermieden. Bloße, häßliche Brunst also war es gewißlich nicht, was mich, unabwendbar und eigensinnig, genau an diese eine anlötete. Sondern es war das Gefühl: sie ist die Schönste. Es war meine gierige Künstlerfreude an ihrer, statuettenhaft sauber geformten Gestalt.

Ich war mehr des Broterwerbes halber Architekt geworden, denn aus großem Bedürfnis, zu bauen. Die Malerei war mir lieber, und so bin ich viel in den Zeichensälen gesessen und habe an Akten die nackte Schönheit studiert, immer gänzlich ohne Vibrieren der Sinne. Denn niemals fand ich vollkommene Schönheit, und was nicht vollkommen ist, kühlt mich augenblicklich ab. Dazu kommt mein ausgeprägtes Verlangen nach den zierlichen Formen der weiblichen Mittelmeerrasse; und ein flamisch oder pommerisch breites Becken stieß mich immer ab, wie ein brutaler Zotenriß; mächtige oder wohl gar schlaffe Brüste flößten mir Grauen ein und eine derbe Gestalt mit groben Knochen hätte mich ebensowenig sinnlich erregen können wie ein Tier.

Die feinknochige Südländerin mit schmal ovalem Becken, eher breiten als schmalen Schultern und kleiner, gesteilter Brust hatte, was ich Schönheit nannte, und solche Rasse ist bei uns nicht häufig. Dazu fügte es sich, daß die wenigen Mädchen von solch zierlicher Form, die ich besitzen durfte, gänzlich ungebildet, ja dumm waren, und daß sie meistens von einem Triebe zu Reinlichkeit und Pflege, den ihre reizenden Körperchen verdient hätten, sehr wenig innehatten.

Da bekam ich das große Geschenk Lenore. Zivilisiert durch und durch, dazu sehr gebildet und klug war das Mädchen schon gewesen, ehe sie mir ihre siebzehn Jahre hinbot. Mit mir lernte sie die instinktive Kultur der Bewegung, die schon in ihr gewohnt hatte, verfeinern. Brach ich doch immer in Jubel aus, wenn, besonders im Süden, ein Knabe oder ein Mädchen, oder gar eine schöne Frau, bildhaft stand oder saß, oder lehnte: das machte sie aufmerksam und sie bekam die Grazie (die der Österreicherin beinahe so angeboren ist, wie der Polin oder der Italienerin) sehr bald dermaßen in alle Gelenke, daß es eine Sinnenfreude ohnemaßen war, ihr zuzusehen, wie sie nur Messer und Gabel, oder die Lorgnette, oder ihren Haarkamm behandelte. Jedes Biegen oder Strecken des Rückens war ein kleines Lied der Schönheit, und sie veredelte sich bald, als reizvolles Weib, zu einem Gedichte Gottes.

Klassisch schön, nein mehr: renaissancehaft fein waren diese immer mehr und mehr zum Reiz geschulten Formen. Und wenn ich an die Verschneidung der Linien denke, welche unter der Brust die Teilung der Rippen und den Ansatz des Zwerchfelles andeuten, so überströmt es mich jetzt noch mit heißer Andacht; jetzt noch, wo ich der allzu hilflosen Sinnengier längst Meister geworden bin. Es war also fast nur reiner Schönheitssinn, der mich das Mädchen stundenlang mit schauernden Wonnen betrachten ließ.

Eben jene wundervolle Abteilung der innern Körperorgane, welche wir an der Zeichnung des berühmten Tizianischen Danaekörpers bewundern, sie trat mir eines Tages unvermittelt in Erinnerung; ich weiß kaum wie. Diese Erinnerung fuhr mitten durch meinen bis dahin dumpfen Schmerz, wie ein Pfeilschuß. Ich glaube mich zu entsinnen, daß es eine Ansichtskarte mit ebenjenem Bilde von Tizians Danae war, die ich von einem Freunde erhielt. Da raste ein Schreck durch mich: »Genau so sah dein wunderschönes Mädel aus.«

Und von da ab bohrten alle Teufel der Sinnennot in mir. Die verlorene Schönheit wurde zum verlorenen Paradies. Je mehr die junge Kraft, für deren Anwachsen ich nicht konnte, ihre Spermenheere in mir vermehrte, um so wahnwitziger wurde ihre dichterische Arbeit. Tag und Nacht quälte mich diese Phantasie, die an meiner Enthaltsamkeit riesengroß wurde, mit den glühendsten Bildern, und bei meinem verrannten Schönheitssinn war jede Ablenkung zu einer andern hin unmöglich. Als ich es versuchte und an allen Mädchenkörpern nur das sah und empfand, was ihnen zu Lenorens Schönheit fehlte, da erkannte ich, daß ich das verlorne Mädchen um so rasender lieben mußte, je mehr ich ihr untreu zu werden versuchte, und ich wendete mich von allem Umgang mit Weibern ab.

Es gibt außer der vollkommen tierischen Brunst, die ziemlich wahllos und gar keiner nähern Erwähnung wert ist, zwei Arten von unstillbarer Liebe. Die eine ist ebenjener geschlechtliche Eigensinn, von dem uns schon das alte Volksbuch von Tristan und Isolden heiße, heiße Dinge erzählt. Sodann kann ein Mädchen (und auch ein Mann) durch das bloße »Wesen«, wie man es nennt, das andere Geschlecht bis zur völligen Hypnose fesseln. Glückliche Menschen, welchen dies bestrickende, herzverwirrende Wesen eigen ist; sie müssen geliebt werden, auch wenn sie altern! Wenn nun jener » charme troublant« noch überdies zu einer, für die Sinne herrlichen und aufreizenden Erscheinung kommt, wie es bei meinem Mädchen zusammentraf, dann ist verloren für immer, wer ein solches Geschöpf zu besitzen das selige Unglück hatte!

Immer wird er vergleichen; nie wird er all das wieder beisammen finden; denn solche Geschöpfe Gottes sind selten, wie die blaue Blume der Romantiker.

Zu der verzehrenden Erinnerung an die halbgöttische Erscheinung, die mir weggeschwunden war, trat noch die Eifersucht, und sie wußte mich armen Sinnenmenschen wahrhaft fressend zu quälen.

Mein sauberes Bronzestatuettchen, mein Fidusfigürchen, wie ich sie nannte, mein Mädel war beinahe immer ruhig und gelassen in ihrer vielen Schönheit, und begehrlich hätte keine Seele sie nennen können. Eher war sie zu unsinnlich. Wenn aber einmal Wollust sie auf den letzten Foltergrad gespannt hatte, dann gab es bei ihr eine entzückende Perlenkette kleiner Schreie, und diese hörte ich jetzt bei Tag und Nacht, und hörte sie, ihm, ihm gewidmet! O, das fraß und zehrte und riß!

Damals wollte ich fort, wißt ihr zu wem? Zu Gott! Ich hätte augenblicklich mein verquältes und beflecktes Leben hingegeben für die Gewißheit, daß Er, Er nur da wäre und lebte; ich selber wäre dafür gerne ins Nichts gegangen. Damals rannte ich zu einem wundervoll stillen und milden alten Gotteskenner (er lebte bis nahe an das Kriegsende und hieß Lukas Rabesam); der sollte mein Lehrer werden. Aber das stille, weiße Haupt verlangte Abkehr, Selbsttötung schon in diesem Leben!

Gott, grausamer Gott: er und die alten Inder und die christlichen Asketen und Herr Schopenhauer, sie haben ja so sehr recht! Aber was helfen sie mir? Ich bin ein Kind der Sinne, ich bin ein Kind des Lebens, geworden durch die Fehler und die Sünden von Tausenden meiner Vorfahren, und ich vermag, als ihr unheiliges Produkt, nichts gegen die ungeheure Majorität ihrer Lebensströme, die mich vernichtensstark durchrinnen! Schafft uns doch eine Erlösung, eine Weisheit, die wir allzu Lebendigen brauchen können, oder gebt uns nicht zu Erlösenden wenigstens Linderung! Müssen denn die moralischen Genies ihre Gesetze immer nur wieder für moralische Genies schaffen? Und wir armen Kinder dieser Welt erfrieren und verhungern dabei nach Gott.

Alle Erotik strebt nach Gott; das macht ihre ungeheure Lebensgier, die weiß, daß der schöne Sinnentanz bald ein Ende hat, daß der Becher ausgetrunken ist. Aber der bodenlose Durst, er blieb; siehe, er blieb!

Herr Rabesam sagte mir freilich manches Tröstliche. Zum Beispiel stellte er mir mein Unglück vor, wenn ich Lenore zu meinem Weibe machen gekonnt hätte.

»Denke dir, du armes, fieberndes Kind der Sinne,« sagte er, »wenn sie, mit ihrer Neugier nach dem andern Manne und mit ihrer Lust, zu gefallen, Tag und Nacht neben dir, deinen Namen tragend, ihre Pläne wälzt und nach dem Abenteuer umherspäht! Du fühltest es und könntest sie nicht überführen! Wären deine Qualen nicht übermächtig, gegen deine jetzigen? Du bist frei und sie ist frei; jedes durfte vom andern fort. Aber das, was du für dein hieltest und was dir dennoch ferner war, als der Vogel in der Luft, verteidigen müssen? Es ist immer lustvoll, ein Besitztum zu erobern, und immer qualvoll, es zu verteidigen, auch wenn es totes Gut ist. Jenes aber, das dir seelisch längst entrann und körperlich neben dir blieb? Das deine Ehre mit deinem Namen mitträgt und sie an schmunzelnde Genießer verschleppt?

Warst du ehelich mit ihr zusammengetan, so warst du nur mehr ein halber Mensch; jetzt bist du ein ganzer. Sei es nur und du wirst sehen, was für köstliche Reichtümer sich daraus erheben, daß du frei bist und daß du einsam bist.«

So sagte mir Herr Rabesam, aber mir war damals nicht zu helfen. Über unser ganzes Volk hin lag das Elend, über mich hin lag es doppelt. Ich war arm; man hatte mich zwar von der Front in eine Baudirektion heimgerufen; dort aber zeichnete ich Fabriken und Beamtenhäuser und verdiente kaum mein trockenes Brot damit. Aber das besorgte mich wenig; meine Seele war verödet und ich war so müde, daß ich morgens den Kopf über mich selber schüttelte, wie ich mich doch immer wieder ankleiden konnte, um solchem Tage entgegenzugehen, wie einer jetzt auf den andern folgte; grau, schmutzig, frierend, lustlos; die Kröte im Stein führte kein dumpferes Leben.

Leben oder Tod, es war mir jetzt alles gleich, und so vermochte ich auch, bloß aus ganz großer Gleichgültigkeit, nicht, die Hand gegen mich zu erheben. Auch taten das die Hunderttausende anderen, welche ebenso litten, nicht; man hatte vielleicht noch im letzten Herzenswinkel das Wort: warte ein bißchen.

Wenn ich sage, daß nichts auf Erden mir damals Lust gebracht hätte, so ist das so sehr wahr, daß ich hinzufügen muß: sogar die Sehnsucht ließ mich im Stiche. Sie, die holde Färberin grauer Stunden! Ich wendete mich wie appetitlos ab, wenn man mir das blaurollende Südmeer im Sonnenglanze vor geistige Augen malen wollte; an Frauenliebe dachte ich nur mit galligem Geschmack im Munde.

Und dennoch war damals eines, was mich nicht gänzlich verließ, so vertiert ich auch war. Das war das Feuer.

Zuerst, als noch Heizgas gebrannt werden durfte, da hatte ich einen kleinen Ofen mit blankem kupfernem Reflektor; er vermochte in diesen wolhynisch trostlosen Tagen, da die Erde bis an ihren äußersten Horizont lauter Nebel und Schnee war, mein kleines Zimmerchen völlig zu durchstrahlen, und da ich zu gleicher Zeit an Beleuchtung sparen mußte, so gab er mir Wärme und Licht zugleich.

Wenn ich von meiner Arbeit, spät und freudlos, nach Hause kam und die kleine Stube mich frostig empfing, da drehte ich jenen Hahn auf und zündete an. Ein rotes Licht floß über den Boden hin und beschimmerte Wände, Möbel und Bilder, die mir und meinen Freunden in guter Zeit sehr traulich erschienen waren. Da war es, als sagten sie alle: weißt du noch?

Aber noch wollte ich nicht wissen. Nur das hinkriechende, rote Feuer besaß mich. Ich setzte mich dazu und schaute stundenlang mit keinem andern Gefühl, als es eine geschwächte Pflanze im Sonnenscheine empfinden mag, in diesen kupfernen Reflex. Es strahlte irgend etwas in mich, und das war, so gering es sein mochte, dennoch Leben. Von der Gasse her kam das Licht der Laternen und der Kaufläden, und wenn ich mich am Feuer erwärmt hatte, dann ging ich in einer, nicht vollkommen unglücklichen, Stumpfheit im Zimmer hin und her und setzte mich immer wieder, hineinstarrend, ans Feuer. Es war damals eine völlige Art Anbetung in mir; das einzige, was Leben in mir wachrief, war jenes Element, das rötlich und gütig mein schweigendes Zimmer und mein noch schweigenderes Wesen durchzitterte.

Einmal kniete ich vor diesem Öfchen hin und sagte, aus irgendeiner Sehnsucht heraus, etwas liebzuhaben, mit einer Zärtlichkeit, die ich längst vergessen hatte: »Feuer, du mein Feuer!«

Aber auch die Gasheizung wurde uns abgesperrt. So wäre ich nun vollkommen enterbt gewesen und hätte nichts auf Erden mehr gehabt, was mich erfreute und was ich liebte. Da brachte ich einen kleinen, eisernen Ofen, der verrostet im Dachbodenraum stand, herbei und stellte ihn vor meinen abgesetzten Gaskamin hin. Dann zog ich mit einem Rodelschlitten in die Praterauen hinaus und brach und klaubte mir dort Holz, wie ein altes Weiblein. Ich mußte das in der Dämmerung machen, weil ich den ganzen Tag zu arbeiten hatte, und ich kam mit meiner kleinen Ladung, die kaum für zwei Tage reichte, oft erst spät in der Nacht nach Hause.

Nun, gerade diese Bewegung, dies Zerren und Schleppen und Suchen, es machte mich Unfrischen bewegter. Der viele Sauerstoff, den ich so verbrauchen mußte, machte mich beinahe heiter; bis zur Erquicktheit, hätte ich beinahe gesagt, denn einmal sang ich leise bei der Arbeit. Aber ich bemerkte es und hielt betreten inne. Mein Elend kam mir gar zu deutlich zurück.

Und dennoch, ein Teil jener alten Gehirnplasmen, welche die Träger der Erinnerung sind und welche mein Inneres wie verbrauchte Luft vergifteten, es verbrannte bei jenem Holzsuchen. Ich wurde rüstiger; ich arbeitete auch jetzt im Zeichensaal mit mehr Bewußtheit. Und wenn ich zu Hause den kleinen Ofen in Begeisterung gebracht hatte, so daß er lustig knallte und flammte und errötete, dann, stand ich vor ihm, war etwas wie Freude und Behagen in meinen Adern, welche ich wieder strömen fühlte.

Wer sagt mir jetzt, daß das keine Gottheit sei? Wer meint nicht, daß die alten Heiden doch feine Kerle waren, wenn sie diese Erinnerung einstigen Lebens, diese leuchtende Auferstehung ehemaliger Wälder als Gottheit empfanden? Ich habe oft an den alten Kult gedacht, und als ich einmal vor dem Feuer die anbetende Stellung der Heiden, mit ausgebreiteten Armen, halb im Scherz und halb in gerührter Erinnerung nachahmte, da fühlte ich, wie empfunden jene Haltung war! Das Feuer schmiegte sich, mehr als früher, an mich und legte sich an mich, wie eine Geliebte. Man breitete die Arme, der Sonne entgegen, aus; man ergab sich so dem Gotte, indem man ihm alle Nerven darbot für Gnade und Kraft. –

Denkt euch mein zerstörtes Leben; denkt euch die dumpfe Verzweiflung aller Menschheit in jenen Tagen und sagt dann, ob das ein Nichts war, von dem ich hier rede? Mir war es viel; ja, es war der Beginn der Rettung, der – (ich nenne das trauliche Wort gleich jetzt) der Erlösung.


Sodann kam abermals eines jener Ereignisse, die ihr armen Stumpfen nicht beachten möget und die wichtig sind und reich machen.

Eines Morgens trat ich aus meiner Stube in den kleinen Vorraum, der an sie stieß. Durch ihn ging der Ablauf von irgendeiner Dachrinne herunter, und diese Dachrinne sang heute. Es gurgelte und schluckte und träufelte immerzu in ihr, und das war eine Musik, die mir heißinnig in die Seele drang. Tauwetter!

Ach; es war ja Dezember, und abermals würde starre Not über die Seelen kommen, aber was tat das heute? War es nicht ein Geschenk, das man gar nicht erwartet hatte, und mußte man es nicht selig ans Herz nehmen? Adonis, der unterirdisch verlorene Gott, steckt mitten in verbotenster Zeit seinen schönen Kopf aus der Versenkung und lächelt! Ist das nicht schalkhaft? Nicht zum Jauchzen?

Ich lauschte mit dürstenden Ohren. Das klang! Bewegliches, erwärmtes Tauwasser rieselte an meinem Vorzimmer vorbei, die Erde war aufgetan, es wurde eilig in der Welt und diese jungen, ersten Sonnenkinder, die vielen Tropfen, trippelten alle zur Auferstehungsfeier. Da lief ich im Sturm meines Herzens auf die Gasse hinunter, und ich nahm von meinen fünf Treppen je eine in vier Sekunden, solche Sätze machte ich, Alarich Tusch, der schon alles verloren gehabt hatte, was diese Erde an Gütern kennt.

Draußen war ein gerührtes Wetter. Wirklich, das gibt es. Es gibt Tage, besonders in der bösen Jahreszeit, wo die Luft ergriffen ist, wie ein Jubelgreis. Nein, wie ein verliebter Dichter! Alles fühlt sie, alles versteht sie, alles liebt sie, allen verzeiht sie.

Droben über den Häusern zog ein blaues Sonnenloch durch die Wolken, zwischen bewegtem Gedränge. Zuerst vergoldete der Strahl, der aus ihm kam, die Spitze von Sankt Stephans liebem Turm, dann zog das Aufleuchten farbig über die Dominikaner dahin und wendete sich der Karlskirche zu, die jähe in grasgrüner Patina erstrahlte, breit und glücklich, wie eine belobte und naive Köchin. Das lebendige, wandernde Licht ging dann über die Dächer gegen Favoriten fort, und ich wußte, jetzt leuchten die Brachfelder auf und die junge Wintersaat funkelt zum Anbeißen schön. Ich wartete noch, bis das Auge Gottes liebevoll über die Berge hinstrich; – auch sie wurden lichtrot und gelb und freuten sich.

Mein, was hatten die Spatzen heute für ein Wesen! Die waren wie ich; sie nahmen den Tag wie er war, vollkommen unbedenklich und kalenderlos.

Die Spatzenherren mit ihren schwarzen Krawatten hatten stolze und verliebte Gedanken und fraßen dazwischen doch wieder hurtig, was ihnen unterkam; dann steilten sie wieder das Schwänzlein und warfen sich in die Brust; wie der Vogel Auerhahn hüpften sie, mit gesenkten und zitternden Flügeln vor ihren Damen.

Im Stadtpark war ein immergrünes Gebüsch; in dem saß eine Amsel und probierte ganz leise. Also auch sie! Ja, Menschenkind, gehörst du denn nicht zu ihnen, bloß weil du einen Kalender hast? Gehören sie nicht Gott an, wie du? Was sind Lenore und Luzian Filser gegen ein blauhinwanderndes Sonnenloch an südlich erinnertem Dezembertage! Was ist das Bohren deines Herzens gegen das Wolkengewühl dort oben! Ist dir all solches Ding nicht enorm wichtig, so bist du vertan und verloren auf dieser Erde; dann ist dir nicht mehr zu helfen; dann geh zu den Politikern und hilf ihnen, den Hasen am Feldzaun und das Reh im Walde ausrotten, und besonders die alten Bäume, damit niemand auf Erden mehr daran erinnert wird, wie der Gott im Unbewußten am tiefsten lebt. Und damit niemand mehr des Wortes gedenkt, das da hieß: Schönheit.

Die kann doch jeder Arbeiter haben: warum gibt man ihm das nicht, indem man es ihm bloß einmal zeigt?


Dieser mitten in meine Dumpfheit und mein Unglück eingesprengte Tag des Wunders ließ auch in den folgenden Zeiten, welche abermals trübgrau wurden, einen Trost zurück, und etwas brachte er mir an Erkenntnis, was der erste und letzte Satz aller Glückseligkeitslehre ist:

Nicht deine Erlebnisse, sondern die gesammelten Stimmungen und Ergriffenheiten deines Lebens bilden die Summe deines Glückes!

Was war denn jener Tag? Der Thermometer zeigte acht Grad über Null, der Barometer war gesunken, der Hygrometer wies nach Feuchtigkeit; es gab etwas Wind, aber wenig, es gab etwas Sonne und lebhaft gewordene Wolken. Das war alles.

Was war denn jener Tag? Er war der Auferstehungstag meiner erstorbenen Seele. Das war alles.

Er brachte keine »Tatsache«, keine »Errungenschaft«. Ohne jede technische Erfindung verlief dieser Glückstag, bloß weil er schön war. –

Wißt ihr nun, was Schönheit ist?

Schöner wurde die Welt durch die Flieger nicht; nur häßlicher. Schöner wird sie nur, wenn du deine Seele schöner machst.

Ich habe Kavaliere gekannt, die in Ceylon jagten und in Transvaal kämpften, die mit eleganten Frauen wochenlang auf reflexbespiegelter Jacht im Mittelmeere dahinflogen, frei wie Wanderschwäne und reinlich wie solche. Und dennoch blieben sie voll tierisch dumpfem Ernst. Das soll nicht so sein, das ist kein Glück. Göttlich zu werden, das ist Glück.

Die Götter aber sind tief heiter und haben offene, warme Augen für alles.

Früher, da gab es göttliche Menschen.

An jenem Tage, da das blaue Loch in den Wolken über mich wanderte, da fühlte auch ich den Gott in mir.

Und was heißt »der Gott«? Was ist er? Er ist der große Strom, der durch alles rinnt, auch durch uns selber, und der weiterrinnt, wenn wir dahingesunken sind. Wer ihn benützt wie eine Elektrisiermaschine, der verachtet sich selber mit ihm. Daß jener große Strom, für unsern Sinn, unbewußt ist (an sich ist er es nicht, er hat furchtbar treue Gesetze!), das fordert die frech vernünftigen Kerle heraus, ihn zu verachten und zu leugnen. Ja, Gott ist »unvernünftig« und der Teufel ist vernünftig, so steht es. Ich bete die Unbewußtheit an; ich diene ihr. Ich werde dadurch, daß ich anbete, ein Teil Gottes. Das ist es, und ich will nicht zum Affen herabsinken, was unsere Zeit, gegenüber den gotterfüllten Alten, so trefflich erreicht hat. Oder ist nicht sogar der besterzogene, schöne Gentleman ein Affe, sobald er nicht Verehrung in sich hat?

Ach, wie mich dieser Darwinsche Affenbegriff verfolgt! Wie eine Zwangsvorstellung! Ich sehe im General, im Volksmanne, im Großkaufmann den Affen, immer den gefräßigen, oder den eitel sich umschauenden, den eiligen, raffsüchtigen Affen. Oder den drohenden, den knurrenden. Niemals mehr den Gott. Und doch gab es göttliche Zeiten, göttliche Völker beinahe, ehedem!

Die Wissenschaft, die medizinischen Lehren und der Krieg haben den Menschen als dieses Tier enthüllt, als den neidischen, boshaften, rachsüchtigen Affen, und keine Religion ist mehr da, die ihn vor solcher Erniedrigung retten könnte. Wenn die Kunst oder die Philosophie ihn nicht wieder göttlich macht, dann ist diese Erde geschändet.

Aber wie die ahnungsvollen Frauen nichts Wichtigeres zu tun haben, als sich zu einem Geheimnis der Schönheit zu machen, so gibt es für uns nichts Wichtigeres, als aus jenem widerlichsten aller Geschöpfe ein neues, anderes und liebenswertes Tier zu machen, womöglich aber einen Gott. Und, um aller Himmel willen, keine Ameise.

Der Mensch stammt vom Affen; – aber man kann sich's abgewöhnen.

Es strömt durch uns alle, das kindlich Selige. Aber weil sie's nicht fühlen, da leugnen sie's.

Bete an; das ist es. Den Baum, den Menschen, die durchdrungene Stunde. Etwas wie »Chuzpe« drang in Wissenschaft und Gefühl ein; das macht uns unheilig. Demut, innerliche Demut; das ist das Erste und das Letzte, um wieder göttlich zu werden. Und nochmals, vergiß es nicht: Gott ist bewußtlos, der Teufel ist intelligent.

War ich noch unglücklich, als mich diese Gedanken erfüllten? Nein. Und es wurde sogar zum unerahnten Trost, zum inneren Fliegen, dieses Gefühl, das mich anhieß: Du, Alo, jetzt gehst du hin und erhebst zum Gotte denselben, den deine allerschönste Lore verworfen hat, um ein gut gereinigtes und gut trainiertes Tier zu umarmen. Geh aus dem Zeitalter der Kinos und aus dem Hause der Zivilisation, in dem du nicht mehr mithalten kannst, fort und laß dich reinwehen vom Gotteshauch.

Und dann, Alarich Tusch, du Glücklicher, dann erlöse andere dadurch, daß du dich selber erlösest. Erlöse dein Volk; nein, mehr; erlöse die arme, die gierverfallene Menschenrasse und mache sie wieder göttlich.

Es war, als hätte damals, über mich hinziehend, das blaue Himmelsauge mich lächelnd gestreift. Gott hat blaue Augen, blau und grau wechselnde.

Es kam jetzt eine Zeit, da wurde ich, an Stelle der früheren Dumpfheit, weich und ergriffen. Freilich litt ich immer noch, und ich litt an einem ganz zerrenden Weh! Es ist vorgekommen, daß ich meine herausplatzenden Tränen in irgendein Haustor tragen mußte oder daß ich einen Winkel für sie suchte, nicht anders als ein Kind, das schnell beiseite muß. Es überfiel mich dieses bitterliche Drauflosweinen, das ich seit Kind her nicht mehr kannte und das seither auch nie wiederkam, immer dann, wenn ich fühlte, daß ich nicht mehr völlig unglücklich wäre. So ist denn die ganze Zeit jener rekonvaleszentenhaften Ergriffenheit in meiner Erinnerung eine glückliche. So unglücklich ich immer gelten konnte, – ich hatte Stimmung.

In jene Epoche fiel der einundzwanzigste Dezember, und nun bemerkte ich, daß sowohl der Mensch ohne Kalender als auch jener mit Kalender glücklich sein kann. Denn dieser Tag ist ja, im tiefsten, der erste Frühlingstag? Herz, mein Herz, der Tag wird wieder länger!

Ich erlebte ihn, im Innersten erschauernd. Die große Erde wälzte sich jetzt wie ein träumendes Weib auf die andere Seite und begann vor unbewußter Liebe zu lächeln. Erst noch sehr leise; und gleich zog sie wieder die Stirne kraus. Aber es war doch der religiöse Augenblick, wo sie sich herumdrehte und alles in ihr damit entschieden war. Das ist wichtig; besonders wenn man arm ist und keine Kohlen hat und das Holz immer von ferne selber herbeiziehen muß. Darum kann ich auch nur den Einfachen, den Armen und Beladenen meine Innigkeit schenken. Ich weiß es jetzt ganz genau, ich habe eine frohe Botschaft, die nicht schlechter ist als jene des Heilandes; und sie redet zu viel mehreren, als die seine, – weil sie keine unerreichbare ist, weil sie nicht strenge ist und weil in Wahrheit meine Bürde geringe ist und mein Joch sanft!

Herr Rabesam wendete sich an etwa dreißig Menschen auf Erden, welche »aussterben mochten«. Ich rufe die an, die leben wollen. Die großen Sittenlehrer vergangener Tage stellten das Unerreichbare auf; ich das lieblich zu Erlangende. Mein Gott, da riefen die Stoiker: der Weise fühlt sich wohl auch im Innern des glühenden Erzstiers, den Phalaris, zur Folter, gießen ließ. Ich werde meinen Schülern nur sagen: weicht dem Stier des Phalaris geschickt aus und beklagt innig den einen von hunderttausend, den es dennoch hineinwarf. Sucht ihm zu helfen, denn auch ihr selber könntet es sein. Angst und Schmerzen sind das größte Unglück, aber sie dauern nie ein Lebenlang. Alles andere, auch das sogenannte Unglück dieses Lebens, könnt ihr euch zum Glücke wandeln.

Ich will aber von mir selber weitererzählen, denn ich wurde ja mein eigenes Schulbeispiel. Warum soll ich es nicht auch für andere sein?

Am einundzwanzigsten Dezember machte ich mir einen freien Tag, indem ich meinem Kommandanten dafür anbot, den ganzen heiligen Abend zu arbeiten. Ich wollte ja Religion erleben; was war mir da der Geburtstag des, durch uns jetzt zum zweiten Male ermordeten Herrn Christ? Wird er Beisitzer auf dem großen Friedenskongreß sein? Nein, vollkommen gewiß wird er, und gerade nur er allein dort fehlen! Und wieviel nötiger wäre er dort, denn als Beisitzer in meinem innig heidnischen Herzen.

Ja; das alte Heidentum erstand an jenem Tage in mir; das unerhört einfache Heidentum der Natur, diese aufrichtigste und lebensmöglichste aller Religionen.

Ich ging durch den Wiener Stadtpark: er ist gar nicht schön, aber es stehen dort ein paar große Bäume, und dunkel brausten diese Bäume auf. Ich blickte hinauf. Da wehten in den Wipfeln die Misteln, die immergrünen Misteln, welche den altnordischen Religionen heilig waren. Grüß Gott, ihr, die ihr eure Seelen voll Saft haltet, in dieser Zeit, wie ich die meine!

Und der Wind, der die Dezembernebel dahintrieb: sein Aufdonnern in den hohen, kahlen Bäumen! War er nicht die dunkle Sprache der Launen jenes großen Stromes, für den die Bisherigen das Wort Gott lallten? Und damals, als es in meinem Vorzimmer durch die Dachrinne gurgelte? Und das Regengeprassel, der Donner, der Wellenschlag am See, die Brandung? Sind das nicht seine Glücksseufzer in einem Traume, den er mit uns zusammen träumt? Ja, Kinder, wen es dann nicht schauert, sobald er diese Dinge anhört, der ist abgerissen von den belebenden Urgewalten wie eine rettungslos verdorrende Blume!

Gewöhnt euch, zu beten, wenn der Wind aufrauscht: »Vater, ja; ich höre dich reden!« Ihr müßt es so weit bringen, zusammenzufahren, wenn ihr das Summen im Transformator eines Elektrizitätswerkes hört; denn auch das ist Er! Wiewohl Er, der Geschändete.

Empfindet ihn nur überall, den großen Durchströmer, dann seid ihr seines Teiles und seid göttlich; der alte Affe ist dann getilgt und abgezahlt.

Mit welcher Innigkeit feierte ich diesen Tag! Ich dachte mich gänzlich in die große Kraft hinein, die in phonetischen Figuren, in Eisblumen, in Kristallformen, Nordlichtern und Planetenkreisen träumt!

Er schläft, aber nicht traumlos; er träumt uns. Er atmet uns. Atmet er uns zu sich ein, das ist unser Tod: wir sind nicht mehr wir selber, aber wir sind sein Leben. Atmet er uns, begabt mit seinen Abfallstoffen, aus, da leben wir; geklammert an die Materie, die er uns als sein Unreines mitgab. Göttlich ist darum nur das Unbewußte zu nennen, und aus eines Kindes Augen fühlt ihr es. Im Auge des Scharfblickenden, des Gerissenen ist es dahin. Der alte Mythos sagte, daß Luzifer, der Träger des Lichtes, also des Sehens, der Bewußtheit und der Vernunft, sich gegen Gott auflehnte.

Und Gott wird siegen; die Vernunft ist ein Teufel, der sich zuletzt selber aufzehren muß, und vielleicht erleben wir einen ganz besonderen Witz des Unbewußten! Er, der ehedem die Saurier durch Naturkatastrophen wegfegte, er wird, wenn diese Erde so fürchterlich bleibt und fürchterlicher wird, den Menschen aussterben lassen durch dessen eigenen Willen. Ist es denn nicht schon jetzt dem ehrlich Empfindenden ein Verbrechen, Kinder in dieses entsetzlich gewordene Leben zu setzen, ohne ihnen die Mittel zu geben, es leichter zu ertragen? Ehedem war die Zeugung Moral; heute ist sie das Gegenteil geworden. Laßt die altjüdischen Begriffe in jenen Jahrhunderten zurück, für die sie Richtigkeit hatten! Vermindert jetzt endlich die Zahl, vermehrt die Seelen!

Ah, wenn einmal die Erde zur Gartengemeinschaft weniger Millionen seelenvoll erzogener Wesen geworden sein wird, die von ihren Eltern mit größter Innigkeit und Liebe gewollt und geleitet wurden! Sie würde zum Paradies!

Was hat man aus den alten Wahrheiten gemacht! Nun wimmelt ein entsetzliches Geschmeiß über diese grüne Erde hin, bloß weil der Pfaffe das, längst schädlich gewordene Wort weitertrug: werdet zahlreich, wie der Sand am Meere! Ich will der erste sein, der die neue Lehre ausruft: Intensität des Menschen; nicht mehr Extensität! Qualität; nicht mehr Quantum!

Mir ist so hold zumute; da gehe ich und arbeite an einer gänzlich neuen Erde. Ich bin sicherlich ein Narr; meine Zeit würde mich steinigen, wenn ich ihr etwa ernsthaft zu nehmen erschiene; – so weit aber wird es gar nicht kommen; sie wird mich bloß verlachen. Aber seht, ich bin glücklich.

Meine Liebe ist mir genommen worden; mein unermeßliches Bedürfnis zu lieben aber nicht. Ich finde kein Weib mehr, so blond und zärtlich, so gemeißelt und biegsam, so kindlich, verwöhnt und aufmerksam wie Lore; so liebe ich denn ins Blaue hinein und bete an!

Jener Tag war ein Feiertag, bis zum Ungeheuerlichen. Wißt ihr, was mir an ihm widerfuhr? Gar nichts, und dennoch bewegte alles meine Seele, als hätte ich weltverändernde Dinge erlebt.

Ein Holzwagen fuhr vorbei. Ich roch den lieben Duft der geschnittenen Scheite. Ich dachte an das Knarren des Waldwägelchens, das es zuerst in kleinen Lasten nach der Straße brachte, aus den Fichtenhorsten und aus den Buchendomen heraus. Wie lieblich duftet das Holz des Wäldergottes, wie aromvoll ist sein Rauch! Es gab holde Zeiten; sie waren die duftenden Tage des Holzrauches; wir leben in der Epoche des Steinkohlenstankes.

Der große Durchströmer hat einen Fluch gesetzt auf unser gieriges Leben; einen Fluch, der deutlich sagt, wie ahnungsvoll er arbeitet! Es ist der Fluch der Häßlichkeit. Häßlich ist alles, was die Kohle den Menschen antat: vom Qualm und dem Gedränge der großen Städte an, über die Eisenbahnen, bis zum Arbeiterelend. Ob die Menschen sich, durch Nachdenklichkeit, an Zahl verringern werden, wenn die Zeit der Kohle und ihres Schmutzes vorüber sein wird und die Eingeweide der Erde die schwarze Nahrung der Gier nicht mehr enthalten werden?

Wenn es nur mehr so viele Menschen gäbe, daß der liebe Wald für sie reichte und der blaue, wohlriechende Rauch wieder aus niederen Gartenhütten aufstiege!

Oder bleibt der Gesang, der mich an diesem Tage erfüllt, ein vereinsamtes Lied, wie jenes Versuchen der Schwarzdrossel damals, als Föhnwetter einen Dezembervormittag aufleuchten machte?

Was für ein Gewimmel wird kommen! Wie werden sie sich gegenseitig pressen! So, daß selbst der Wachzustand ein ungeheures Alpdrücken werden muß!

Gleichviel, ich habe den holden Traum geträumt. Den holden Traum meines Lebens, der den Weg wies zu leichtem Atmen auf einer grünen Erde.

Alles schenkte mir heute Stimmungen, Bilder, liebe Wünsche! Noch nicht lange war ich dem Holzwagen vorbei und streifte in die ersten Auen des duftverhangenen Praters ein, da kam schon wieder etwas von jenem Leben zu mir, welches die Menschheit der Kohle nicht mehr kennen will. Droben in der Luft zogen in langer, schräger Reihe die wilden Wandergänse. Sie schrien.

Mir ging dieser freie, wilde Laut durch Mark und Bein. Da waren sie droben, die zwar alle Tage Gefährnis hatten, aber keinen Krieg! Herr Rabesam hatte einmal gesagt: »Seht, die ersten fünf Tage der Schöpfung führen keinen Krieg! Nur das Geschöpf des sechsten Tages zerfetzt sich selber.« Bei den ersten fünf Schöpfungstagen zu bleiben, das ist alles Geheimnis der Religion, die ich habe und die mich glücklich macht! Wieviel näher als den Kinoglotzern ist meine Kinderseele jenen Wandergänsen, die so wunderschön entschweben. So frei, so sehnlich, so urverblieben!

Ist denn nicht jedem Kinde das Tier wichtiger als der Mensch? Und wie sagte Jesus? Wahrlich, ehe ihr nicht umkehret und werdet wie die Kinder, ehe könnt ihr das Reich Gottes nicht erlangen! Und habe denn ich nicht das Reich Gottes bloß deshalb, weil ich immer mit jenen fünf ersten Schöpfungstagen bleibe? Wie bebe ich, von dem Anruf jener wilden Vögel, wie zittere ich vor Glück über das neue Leben, welches kommt. Vom heutigen Tage an bleibt die Sonne immer länger bei uns. Menschen! Durchschauert euch das nicht?

Seht ihr, das ist mein Erleben. Was wollt ihr mehr? Wie ihr es erlebt, das macht eure Tiefe und euer Glück; nicht was ihr erlebt!

Leben, das heißt, durch die Bildergalerie Gottes geführt werden. Beinah alle kommen unwillig, müde und dumpf wieder heraus, einige aber mit strahlenden Augen und hämmernden Pulsen, tief atmend! Wissend. Das Samenkorn in sich.

Der große Bewußtlose, der ahnungsvolle Künstler Gott hat uns diese Bilder gemalt, damit wir zur Besinnung kommen, nicht aber zur Gerissenheit. Besinnung und Gescheitheit sind zwei Dinge: die erste bleibt immer dem Gefühl und der Ahnung nahe.

Lacht über mich; ich gebe den Wahlspruch aus: man muß gegen die Wölfe heulen!

Deutschland, du Land der Allzuähnlichen! Sieh, mitten in Krieg und Not ist ein Einsamer glücklich und feiert den alten Heidentag, schauernd vor Wonne, während ihr indessen den hohen Wert des fliegenden Menschen an der Zahl der Kindesmorde ermessen dürft, die jener Stolz eurer Industrie mit seinen Bomben erreicht.

Und wißt ihr, was mich dafür entschädigt, daß Lore mich verwarf?

Es gibt ein hohes Glück; das heißt: der Eine sein. Heute bin ich der Eine. An diesem Festtage entsteht in mir erstem Menschen die neue Zeit. Die Zeit der nordischen Innigkeit. Darum sage ich, Gott hat blaue und graue Augen.


Am Abend, als ich mit meiner neu sich bildenden Seele nach Hause kam, da lag ein Brief von ihr da. Von Lore? Freilich; es nahte Weihnachten. Da war es bei den andern Menschen Brauch, sich Briefe zu schreiben. So machte ich diesen ohne Hoffnung auf. Und dennoch?

»Alo, lieber guter Alo!

Ich will Dir etwas schenken und dann will ich mich von Dir beschenken lassen. Was ich Dir schenke? Es liegt ein ganz kleiner Lorbeerzweig in diesem Brief, und ich weiß, er genügt Dir. Er ruft augenblicklich in Dir das Bild dieser, in Sonne träumenden Gegend wach, wo die hohen, schwarzen Zypressen auf den Friedhöfen das Leben nur noch schöner machen, wo die Edelkastanien ein leichteres und heitereres Volk nähren, als bei Euch daheim. Alles singt hier; bei Tage und in den Nächten. Warum sind die Menschen hier nur so ungemein heiter? Und warum sind wir so dumpf? alle, außer Dir. Und warum bist Du selber so beweglich und leicht und heiter wie ein Südländer? Macht das hier die Sonne, und hast Du soviel davon in Dir? Siehst Du, das ist mein Geschenk: ich denke an Dich, ich beneide Dich und ich rufe Dich um Hilfe an, denn glücklich bin ich nicht, während ich weiß, daß Deine wunderbare Innenkraft meinen Verlust schon überwunden haben wird und Du wieder aufrecht, reich und stark bist. »Er«, ja höre, – er behandelt mich als Jachtgirl; als Luxusgeschöpf, das man anzieht, auszieht und verzieht, wie eine Puppe. Ich habe alles, was Reichtum geben kann, und wenn ich geheiratet werden wollte, so kann ich von ihm auch das haben. Aber, höre, ich mag nicht. Warum? Weil es Menschen gibt, wie Du.

Könnte man Euch beide in eins gießen!

Hörst Du es aus diesen Zeilen, daß ich seufze?

Ich will wohl zu viel. Hier ist die angelsächsische Eleganz und ihr herrlich versorgtes Wohlleben; bei Dir ist jene deutsche oder dänische Innigkeit (ich denke an Andersen oder Jakobsen), die aus einem schlechtgeschnittenen Sakko einen Königsmantel machen kann. Ich sitze hier unter Rosen und Lorbeer und bettle Dich an: gib mir einen Hauch davon, wie Du lebst; ich bin dies Leben schläfrig geworden. Alle hier finden mich schön: merkwürdig, es macht mir keine rechte Freude mehr, seit ich immer daran denken muß, daß auch Du mich schön – aber auch nur schön fandest. Denen bin ich alles: Dir war ich's nicht. Das ist es, was mich Dich nicht vergessen läßt.

Was tust Du? Was sinnst Du? Könntest Du mich aufheitern? Könntest Du mich reicher machen? Schreibe mir, Alo; schreibe mir oder ich komme zu Dir, auch wenn Du mich verachtest. Denn daß jenes Unsgehören, das ehedem war, nun wohl zu Ende ist, das weiß ich ja. Du bist zu stolz. Alo, und ich – – Nun solltest Du aber denken, daß ich außer dem, was Du von mir besaßest, noch eine Seele habe, die manchmal verzweifelt. Ich werde alt werden, mein Freund; was hält dann noch an mir stand, wenn Du mir nicht hilfst?

Schreib' mir, Du Freund, dem ich so sehr wehe getan habe. Beschäme mich und beschenke mich; ich erbitte es von Dir wie ein Almosen. Du liebtest meinen Körper? Ich liebe Dein Wesen. Ich bin Dir verloren; sei Du es nicht für mich. Du denkst daran, den Menschen Deiner Heimat höher zu ziehen? Nimm mich nicht aus; schreibe vieles und Tröstliches Deiner mitten im Sonnenschein so eigentümlich verödenden Lore.«

Ich las diesen Brief immer wieder und mich jammerte ihrer. Denn das wußte ich: trotz ihrer Erkenntnis, trotz ihrem Geständnis und ihrer rührenden Bitte, zu helfen war ihr nicht. Und es überkam mich Zagheit, ob denn dem Menschengeschlechte zu helfen wäre?

Nein; dem Weibe wenigstens ist nicht zu helfen; sicherlich nicht dem schönen und begehrten Weibe. Dennoch aber mußte ich ihr antworten, denn sie hatte mich angerufen, und bis in die Nacht hinein schrieb ich dem blonden Geschöpfe, zu dem Sehnsucht mir noch jetzt bis ins Innerste strömte, alle die winzigen, die wesenlos scheinenden und doch so tiefen und lebenden Ereignisse dieses meines ersten Frühlingstages, zu Wintersonnwende.

Während ich so mein von allem verlassenes Leben langsam dahin brachte, Freude aus dem zu saugen, was den Menschen so offen steht und was sie sich selber beinahe rettungslos verschlossen haben – aus der Allseele –, während dieser Zeit traten zwei Ereignisse in mein Leben, welche mir mein verlorenes äußeres Glück wiederzugeben versuchten. Ich will der Ordnung nach darüber berichten.

Das erste war: die arme Lore brannte auf meinen Brief hin ihrem Herrenreiter durch und kam nach Österreich zurück, mitten in Hunger, Kriegsüberdruß und Elend hinein, aber freilich kam sie gerade auch zum keuschen, und doch so sinnlichen, südösterreichischen Frühling. Er beginnt bei uns in Westwetterjahren schon am Lichtmeßtage, dem zweiten Februar; nämlich dann, wenn man ihn so zu rechnen versteht, wie die Liebe; vom ersten, eigentümlichen Blicke an.

Es war zwar noch Jänner; damals war es grausam kalt, und alles war tief verschneit. Ich hatte mir aber inzwischen durch Überstunden Geld genug verdient, um mir eine Wagenlast Holz kaufen zu können, und so saß ich vor meinem krachenden und bullernden Öfchen und ließ mir von ihm Waldgeschichten erzählen. Es war jene Zeit zwischen Nachmittag und Nacht, wo man kein Licht zu machen wagte, und ich fand das Tanzen der Feuerzungen, die aus dem Ofentürchen herausleuchteten, so schön, daß ich gänzlich in Andacht versunken war, wie ich so die roten Lichter über den Fußboden hin und her springen sah. Ich mußte über dem Knacken des Holzes das ohnedies schwach gewordene Läuten meiner elektrischen Klingel überhört haben, denn auf einmal ging meine unverschlossen gebliebene Türe auf und der mondäne Schattenriß einer Damengestalt stand regungslos vor mir, so daß ich dachte, eine vornehme Bestellerin habe sich, statt zu dem Maler nebenan, in mein Dachstüblein verirrt.

»Gnädige Frau, hier wohnt bloß Architekt Tusch …«

»Ich weiß es, Alo …«

Da brachte ich kein Wort mehr hervor. Ich suchte die Kraft zu tiefen Atemzügen, denn ich glaube heute noch, ohne diese Willensanstrengung wäre ich damals ohnmächtig hingestürzt. Ein unbeschreiblicher Schmerz durchbohrte mich beim ersten Klange dieser mir ewig verlornen Stimme; ein Schmerz, den ein Sturm von süßesten, wahnsinnigen Untertönen der Hoffnung begleitete, die ich dem bebenden Instrument, zu welchem mich diese Sekunde gemacht hatte, nicht verbieten konnte.

Meine Stimme war leer und trocken, als ich endlich die Worte hervorzwingen konnte: »Lore, was machst du hier?«

»Ich bin durchgegangen, Alo.«

»Ihm?«

»Ihm und seiner Art von Reichtum; ich habe mich nach deiner Weise, arm zu sein, gesehnt.«

»Aber das ist ja hysterisch, meine liebe Lore! Wenn ich reich wäre, ich weiß nicht, ob ich nicht selber ein Kompromiß vorzöge. Und dann habe ich mir doch auch meine Innenwelt selber gemacht. Sie ist durchaus nicht die deine, und darum könnte ich sie dir gar nicht geben.«

»Doch; denn ich will.«

»Aber Lore! Für mich selber ist diese Innenwelt, nach der du dich so zu sehnen schienest, nicht viel mehr als der Trost des Fuchses mit den sauren Trauben; ich richte mich eben ärmlich ein, weil es reichlich nicht geht, und so – –«

»Alo, das ist nicht wahr. Du willst mich nur weghaben.«

»Ich will Ruhe haben und meine Wunden ausheilen, weiter nichts,« sagte ich.

»Aber du bist in dieser Zeit glücklich gewesen; vielleicht glücklicher als je.«

»Du, Lore, ja; es ist merkwürdig, aber es ist wahr. Wenn ich auch lieber mehr Geld hätte und wünschte, das mit dir wäre nie vorgekommen und ich hätte dich noch, – ich muß sagen, daß dieser Wunsch eine Torheit ist. Ich war nie so glücklich, wie jetzt in meiner Verlassenheit und in meiner Armut; jetzt, wo ich aufs innerste und vollkommenste auf mich allein gestellt war. Ja, das ist sonderbar.«

»Und davon willst du mir nichts geben?«

»Wie kann ich dir mich geben? Da müßtest du ich sein, und das war nicht einmal möglich in der Zeit, da wir uns so sehr liebten, daß – kurz, dein Verlangen ist vor den Menschen unmöglich, und vielleicht sogar vor Gott.«

Sie machte eine müde Bewegung. »Darf ich mich setzen, Alo?«

»Verzeih, daß ich vergaß, dich darum zu bitten.«

Sie setzte sich. »Licht willst du wohl keines anzünden?«

»Doch.« Ich drehte den Schalter auf und sah wieder, wie wehtuend schön sie war. Ihre hellblonden Kräuselhaare leuchteten in diesem Licht selig trügerisch, wie Christbaumflitter. Ich bekam wieder meinen schweren Atem. Dazu war sie gekleidet, wie man es bei uns längst vergessen hatte. Der Reichtum Englands, die Lässigkeit Luganos und Pallanzas saßen da mitten in meinem ausgepoverten Zimmer.

Und, mit einem leisen Frösteln, fühlte ich noch mehr. Die Güter dieser Erde, alle zusammen, wie sie Frankreich und die Angelsachsenländer vereinigt hatten, sie leuchteten mich jetzt aus diesen dunkelblauen Frauenaugen, unter diesem Hute, aus diesem lässig getragenen Vermögen von Pelzwerk an. Die ganze Schönheit des äußerlichen Lebens stand vor dem armen, deutschen Bankerottierer, der ihm in seiner Schüchternheit jene innere Schönheit nicht entgegenzuhalten wagte, an welcher er in seiner Verlassenheit zu formen begonnen hatte.

Die Versuchung – stand gegen die Seele.

Ich habe damals nicht gesagt: hebe dich weg, Satan. Ich habe an allen Gliedern gezittert. Gesagt habe ich gar nichts, nur gelitten.

Und ich hätte mich ergeben, ich hätte mich verloren, wenn es bloß der Stolz hätte sein müssen, der mich aufrechterhalten sollte. Aber in diesem Augenblicke half mir der große Durchströmer, half mir der, welcher bisher mit dem verlorengehenden Namen Gott genannt wurde.

Wißt ihr, was geschah? Ihr erratet es nicht, so lächerlich war es.

Draußen, vor meinem Fenster am Dache, begannen die verliebten Katzen ihren ohnemaßen drolligen Gesang. Es lag also Liebe in der Luft, und sie kündete sich auf so faschingshaft ulkende Weise an, daß wir zuerst verständnislos aufstutzten und horchten, dann aber in ein kindertolles Gelächter ausbrachen.

Beinahe hätte ich vor Vergnügen das schöne Mädchen an den Händen gepackt und wäre mit ihr ins Zimmer hineingetanzt.

»aaaau, eeaauuuu, – wuah!«

»Nein, diese Katzen,« sagte Lore und lachte, kindlich und entzückend.

Ich aber fuhr zusammen, als hätte mich der Gott berührt.

Ich fahre immer so zusammen, wenn mich ein Urlaut berührt.

Könnte ich euch das geben, könntet ihr es nur verstehen, ja nur, es mir glauben, wie sehr ich da zusammenzucke und eins werde mit ihm, dem erregenden Anrufer!

Wenn wir in Gesellschaft sitzen und ein Wind rauscht in den Bäumen auf; oder, im Zimmer, wenn er durch den Kamin herunterheult, da vergesse ich alles, was schöne Frauen oder gescheite Männer sagen, und horche hin, mehr als auf der Liebsten Ruf!

Spatzengeschrill, das mir Sonnenschein vor meinen Fenstern verrät, Anrasseln des Regens gegen die Scheiben, fernes Schlagen einer Seebrandung zu Nacht, all das durchdringt mir augenblicklich Mark und Bein!

Es ist so schwierig, davon zu reden zu euch vielen, die ihr das nicht versteht, die ihr das vor Hunderten von Jahren verloren haben mögt, schon in euren marktlich denkenden Voreltern! Am liebsten hörte ich gänzlich auf, darüber zu schreiben, wenn es nicht eine der wichtigsten Sachen wäre, die ich euch zu sagen hätte. Denn es ist möglicherweise umgekehrt, als ich befürchte. Vielleicht bin ich nicht der letzte der Menschen, den diese Dinge so aufzuckend anrühren, sondern ich bin euch der erste, was wunderschön wäre: denn dann, wenn ihr das lernen könntet, dann würdet ihr namenlos glücklich werden!

Wer das nicht versteht, daß man beim ersten Katzenschrei im Jahre zusammenfährt und weiß: »Die Liebe ist los«, der ist kein gottdurchdrungener Heide; kann keiner werden, ist verloren für die ewigen Freuden schon auf dieser Erde.

Auf die Börs' soll er gehen spielen!

Nun seht ihr: ich stehe der Natur viel, unausdenkbar viel näher, als irgendein anderer Mensch; ja sogar näher als der Bauer, der mit ihr zwar auf dem allernächsten Bruderfuß, aber auf betrügerischem Bruderfuße steht, denn er will, daß sie ihm gehöre. Ich will, daß ich ihr gehöre.

Das ist aber nun etwa nicht in meinen Willen oder in meine Überlegung gesetzt, sondern ich muß –

Ich muß, aus einem mir selber unerklärlichen Naturtrieb zusammenfahren, wie Adam unter Gottes Anruf: wo bist du? Seeplanschen oder Meeresbrandung, Baumrauschen, Vogelschrei auf der Wanderschaft, oder im verliebtmachenden Sonnenschein, Dachrinnenträufeln, Donnern, Regenklatschen, Katzengesang, Windgeheul, alles eins! Ich zucke in mich selber zurück, in diese meine enorm empfundene Welt, die mir beinahe allein gegeben scheint; – nochmals gesagt: als dem letzten, – oder, was wunderschön wäre für euch alle, als dem ersten aller Menschen!

So und jetzt weiter. Ihr denkt wohl, ich hätte augenblicks die Nutzanwendung gemacht und das schöne, das lachende Mädel aus der angelsächsisch noblen Garderobe herausgewickelt und mit ihr Frühling gefeiert auf eine Art, die sich ungebührlich schreiben ließe?

Seht ihr, das geschah nicht.

»Nein, diese Katzen,« sagte Lore immer wieder und lachte auch immer noch auf jene kindliche und entzückende Art. Wie ich sie lachen sah, da erschien sie so unschuldig, so vollkommen unberührt, als hätte sie sich auch nicht im Traume jemals mit einem Manne vermengt. Gerade das erzürnte mich, denn ich wußte es doch; mich hatte sie umrankt, und ihn, und vielleicht auch hatte ihr Musiklehrer seine Gelegenheit gehabt und genossen, und ihr Segelpartner – und – … Und sie war gar nicht meinetwegen gekommen; nein, aus Sehnsucht einer verirrten Seele kommt ein so schönes Mädel nicht! Sie hatte was anderes im Kopf, und unter ihrem entzückenden Hute hervor schaute sie schon wieder nach einem neuen Abenteuer aus, oder nach einer goldträchtigen Heiratspartie!

Da brachte mich dieser kindlich unschuldige Ausdruck ihres Gesichtes beinahe in Wut. Ihre aufreizenden Schultern zitterten, wie sie so lachte, und ich begriff zum ersten Male den Lustmord.

Da sich mein Blick verändert haben mußte, wurde sie gleich ernst. »Alo?« fragte sie.

»Ja,« sagte ich, langsam atmend: »es wird Frühling.«

»Es ist doch erst Ende Januar, und siehst du, Alo, das zu empfinden, das müßtest du mich lehren.«

»Nein,« sagte ich; »denn es ist bloß eine Laune und ein Einfall von dir. Aber mit jenem muß man ganz allein leben. Also jetzt: warum bist du zu mir gekommen? Deshalb nicht, damit ich dir solche Dinge erkläre; und ich will auch davon nicht weiterreden, denn ich weiß, morgen bin ich dir damit schon lächerlich. Du hast irgend etwas vor.«

»Alo, jetzt dürfte ich beleidigt sein. Ich bin es aber nicht. Also kurz: ich bringe dir etwas. Eine Anstellung mit schönem Gehalt.«

»Ich bin glücklich und brauche nichts.«

»Alo, du hast ja alles verloren. Das hat mir wehe getan. Ich habe oft an die erschütternde Art denken müssen, wie du Vermögen, Geliebte und Menschenachtung zugleich einbüßen mußtest. Die beiden letzten kann ich dir nicht wiedergeben; aber eine schöne Stellung in deiner Heimat« –

»In meiner Heimat!« rief ich wie träumend.

»Und die Möglichkeit, in dieser Heimat Gutes zu tun.«

»Oho?«

»Siehst du, ich habe in Lugano den Baumeister Pompeo Degrassi kennen gelernt –«

»Den Schuft, den Naturschlächter! Den Schinder aller Schönheit!«

»Glaube mir, kein Mensch ist so schlimm, wie man sich ihn denkt. Er schämt sich heute über manches, was er getan und erst dann begriffen hat, als man's ihm gehässig vorwarf. Er –«

»Ah,« sagte ich, »weißt du denn nicht, was diese Kröte, die sich mit ihrem Reichtum über alles erdrückend gelegt hat, was schön war, was dieser Würger alles getan hat? Meiner Vaterstadt hat er den verträumtesten ihrer Parks abgeschachert, wo die Seerosen blühten, wo die alten Festungsmauern grüne Eidechsen beherbergten und die Platanen Liebesleutchen beschatteten. Er, er hat ihn mit widrigen Zinskasernen und Lichthöfen zupetschiert und aus der zerstampften Schönheit Geld gemacht! Er hat das Herz der Stadt geschändet und ihre holden Südränder auch! Er hat an den lieblichsten aller Wiesenbäche eine Zinszeile hingestellt, daß dem Gotte das Herz brechen möchte!«

»Gerade dort hat er mit kleinen Gartenvillen begonnen, und erst als er sah, daß er auf diese Weise seinen kaum erworbenen Reichtum verliere, da baute er seufzend die großen Häuser.«

»So! Und seufzend versuchte er, seine Tatzen auch auf die große Bastei zu legen, die, träumerischer als Hohensalzburg, in alten Erinnerungen und Rebenranken und wildem Weine von ihrem Berge heruntersieht! Er aber wollte ein großes Hotel darüberhauen. Die Kanaille, die ich noch einmal über den Haufen schießen muß, ehe sie alle Schönheit jener stillen Erde mordet!«

»Aber eben deshalb ruft er dich ja! Er sagt, er verstehe einmal nichts von Schönheit, und immer, sobald er einen Griff tut, schreien dann die Leute. So will er einen Sekretär gegen sich selber bestellen, der ihm sagt: das kannst du nicht tun. Er will.« –

»Ah ja; er will, daß ich zu seinen entsetzlichen Zinskasernen schöne Fassaden mache; das ist alles,« sagte ich. Aber ich hatte doch nachzudenken begonnen. In der nächsten Nähe dieses unabwendbar großen Sauriers der Häßlichkeit konnte ich mich doch, dann und wann, zwischen ihn und die geliebte Gegend werfen, ihn ein paar Grade weiter fortlenken, dorthin, wo er, mit seinem untrüglichen Instinkt für Ausrottung alles Rührenden und Erinnerlichen und Stillen, nicht ganz soviel zerquetschen konnte, als er vorhatte.

Ich ging in meiner armen, kleinen Stube auf und nieder. Dann fragte ich, aus irgendeinem unvermittelten Instinkt hervor: »Pompeo Degrassi wird dich heiraten?«

»Vielleicht,« sagte sie.

»So, so. Du als meine Prinzipalin. Das ist hübsch. Ich werde mich auch an das Siesagen gewöhnen.«

»Das wirst du nie. Pompeo weiß, daß ich dich liebgehabt habe, und gerade deshalb hat er mich für fähig gehalten, dich zu gewinnen.«

»Der Ehrenmann. Weißt du denn, wen du, Baroneß, da heiratest? Sein Vater kam als Antreiber zu den italienischen Ziegelarbeitern von Sankt Peter, wurde Polier, Maurermeister, Bauspekulant. Er, der Pompeo, hat es noch weiter gebracht. Der Anwalt, ja geradezu das Symbol der Häßlichkeit ist er geworden! Und dieser Prolet aller Proleten gewinnt sich das schönste Mädel und den ihm fernsten Menschen auf der ganzen Erde zum Helfer! Der. Gerade der …«

»Er will doch eben damit das Bessere und Schönere.«

»Ein Italiener! Ehedem war dieses Volk der Träger der Schönheit über die ganze Erde hin; jetzt ist es der instinktivste Verwalter alles Häßlichen! Es ist das Volk ohne den innig stillen Schullehrer, es ist das Volk ohne Naturgefühl, es ist das Volk ohne Tierliebe! Ah, könnte meine Seele bis zu ihm reichen! Es ist dabei immer noch das schönste Volk der Erde, – heiter, höflich, allen Höhen zugänglich! Könnte ich denen mein Heidentum geben, sie würden Halbgötter! Bei uns Deutschen wird aus meiner Lehre eine Reformkleidergenossenschaft entstehen.«

»Nun, fange mit Degrassi an,« sagte Lenore. »Ich gehe jetzt; überleg es dir. Du kannst in deinen Forderungen weit, sehr weit, gehen; daß du es weißt, Alo. Und jetzt, gute Nacht.«

Sie sagte es, blieb aber stehen und ich sah sie, zuckenden Herzens, an; ja dieses mein Herz duckte sich, wie zum Sprunge. Sie lächelte und erwartete etwas.

Golden und widerspenstig kräuselten sich ihre Haare um die niedrige und dreieckige Stirne; stahlblau, beinahe schwarz sahen ihre schwimmenden Augen unter dunkeln Brauen, unter langen Wimpern nach mir hin. Sie stand vollkommen stille und wiegte sich nicht im mindesten in den Hüften, was mich geärgert haben würde. Wie ein gescholtenes Kind stand sie, gleichmäßig auf allen beiden Beinen, von denen man über den Schühlein die zierlichen Gelenke sah. Die Arme ließ sie wie willenlos herabfallen; so stand sie, als sollte sie nur genommen werden.

Ich dachte an jene wundervolle Verschneidung der Muskeln und Bänder über den Weichteilen und wie sie sich an ihr tizianisch abzeichneten. Ich dachte an ihr leises Aufklagen, wenn sie vom Eros angepackt wurde. Ich dachte an das Zusammenziehen ihrer Armmuskeln, wenn sie mich umrankte. Ich dachte an das Aufquellen ihres weißen Halses, wenn sie seufzte, an das Oval ihres Beckens und die lieben Schatten, welche sichtbar wurden, wenn sie, fassungslos, die Arme in die Höhe warf. Ich dachte auch daran, daß ich sie jetzt zweien wegnehmen könnte, die ich haßte: jenem Dandy und dem Proleten Degrassi!

Und Frühling durchfuhr draußen die Lüfte.

Ich aber stand regungslos.

»Warum sagst du mir nicht einmal gute Nacht? Liebst du mich denn gar nicht mehr?« Ah, traurig und verschüchtert klang ihre Stimme!

Ich antwortete ihr, langsam Atem holend. »Doch, Lore. Ich liebe, bis zur Raserei, die Lore von damals, die mir allein gehörte, und niemand wird sie je aus meinem Herzen reißen … Auch nicht du selber, wie du jetzt geworden bist.«

»Ist es so abschreckend, Alo, wenn die Frau ein Leben führt, wie der beste und gütigste Mann eben auch?«

»Ja, Lore; für mich schon, Lore. Ich komme darüber nicht hinaus.«

»Gute Nacht dann, Alo.«

»Gute Nacht, liebe Lore.«

Auf dies mein Wort »liebe Lore«, sah sie mich dankbar an, dann ging sie fort, – scheinbar heiter, leicht, elegant, unschuldig aussehend und so vorsichtig ausschreitend wie ein Schmaltier, das noch nie über Liebe erschrak.


Herr Pompeo Degrassi empfing mich dick, kostbar angezogen und unelegant in einem Biedermeiersalon mit echten Möbeln, echter Tapete, echten Bildern und mit einem hinreißend echten Tulipanengarten vor den ebenerdigen Fenstern. Alles war hier »stille, alte Zeit!« Der Bauunternehmer strömte feiste Wonne aus, daß es so schön bei ihm war und entschuldigte sich, als mein Verehrer, daß er nur noch eine kleine Sitzung nebenan habe, um mir dann gänzlich gehören zu können. Ich sollte aber gleich zuhören, es ginge mich an; er lasse die Tür in meinen Salon offen.

Drin, wo er verhandelte, waren die Wände blaßviolette Seide mit hellen Sträußchen, und umherstanden dieselben alten, eingelegten Möbel aus der geblümelten Kaiser-Franz-Zeit, durch welche Schubert und Beethoven dahinsummten.

Es war eine Weile so still, als sänne wirklich hier noch jene langsam und tief atmende Zeit über sich selber nach. Dann aber ging in diesen holden Zimmern und in der besonnten Nachbarschaft jener Tulpen, folgendes Gespräch an:

»Wir lancieren also folgende Nachricht in Ihre Zeitung, Herr Doktor, – bitte, notieren Sie: –

›Bei der unerträglich gewordenen Wohnungsnot, welche sich nach dem Kriege durch die rückkehrenden Massen ins Katastrophale verschärfen dürfte, ist es eine der vitalsten Pflichten der Kommunalverwaltung, schon jetzt einerseits an den Abbau, anderseits an den Aufbau heranzutreten. Es ist Pflicht der Stadtverwaltung, alle jene bisher unökonomisch und besonders auch dabei alle unschön ausgenützten Stadtteile, vornehmlich im Innern unserer Stadt, hierzu heranzuziehen, damit nicht durch überflüssige Vergrößerung der Stadtränder Verkehrsschwierigkeiten zu jenen des Logements hinzukommen. (Sie müssen dann ein deutsches Wort für Logement suchen.)‹

Weiter: ›Es ist namentlich der Jakominiplatz im Zentrum unserer Stadt, welcher in seiner jetzigen Form vollkommen der Geschlossenheit entbehrt, und welcher mit seinen ungleichartigen Häusergruppen, von denen viele dem großstädtischen Charakter unserer Stadt durch die unrationelle Geringfügigkeit ihrer Höhenausnutzung eine gewisse Fraglichkeit verleihen.

›Es ist sowohl dafür zu sorgen, daß diese überlebten und auch viel zu kleinen Häuser durch zeitgemäße ersetzt werden, als auch daß der Grundriß des Platzes auf eine dem ästhetischen Empfinden gemäße Form gebracht werde.

›Namentlich sind alle jene Ausbuchtungen nach Tunlichkeit zu beseitigen, welche die möglichst zu erreichende viereckige Form des Platzes heute verzerren. Der Platz ist auf einen, tunlichst der Quadratform sich nähernden Grundriß zu bringen, wobei darauf zu achten ist (ja richtig!), daß die Baumanlagen desselben möglichst in ihrer jetzigen Integrität erhalten bleiben.‹«

Herr Pompeo sah einen Augenblick triumphierend zu mir herein. Was? Er hatte zugelernt! Dann fuhr er fort:

»Die Mariensäule entbehrte bisher vollkommen eines entsprechenden Hintergrundes. Sie wird an eine passendere Stelle des Platzes zu rücken sein, wo sie, von den neuen Wänden desselben umschlossen, eine ihrer würdige Folie erhalten soll …«

So ging es noch eine Weile weiter, dann kam Herr Degrassi zu mir herüber.

»Ich habe Ihren schriftlichen Antrag geprüft und in allen Stücken annehmbar gefunden. Sie brauchen bloß unsern Kontrakt zu unterschreiben. Ich habe Sie, lieber Herr Tusch, gebeten, heute gleich meinen Plan behufs Ausbaues des Jakominiplatzes mit anzuhören, weil ich Ihnen das künstlerische Bild dieses Platzes anvertrauen und wärmstens an die Seele legen möchte. Haben Sie mir diesbezüglich vielleicht schon Vorschläge oder auch Einwendungen zu machen?«

»Ja, Herr Degrassi,« sagte ich. »Der Platz ist, genau wie er jetzt daliegt, einer der schönsten Plätze der Stadt, und die reizvollen niederen Häuser heben seine ganze breite, sonnige Ländlichkeit gerade so recht hervor! Daß auch diese Stadt eine Großstadt wie hundert andere werden soll, sieht doch recht traurig aus. In hundert Jahren würde sie weltberühmt gerade durch das, was sie gestern noch war: und was der Provinzler von heute als rückständig empfindet, wird gerade ihr werbendster Reiz werden! Eine Landstadt, eine Landstadt wie in guter alter Zeit, mit reizend auslaufenden, mit gewordenen, nicht gewollten Marktplätzen, auf denen noch nicht der bedrängende Schatten der Zinskasernen dunkelt.

»Dann diese Mariensäule, sie hat jetzt den hellen Himmel und die ziehenden Wolken als Hintergrund, zu denen ihre schlanke Nadel emporsticht. Ist das nicht würdiger als Ihr ›entsprechender Hintergrund‹ eines Tietz-Warenhauses mit Lichtreklame?

»Was heißt Geschlossenheit? Das Quadrat vielleicht? Oder nicht vielmehr das geschlossene Jahrhundert, dem dieser Platz beinahe restlos entstammt?«

»Herr Tusch, bitte setzen Sie sich. So. Und nun sagen Sie mir, bitte, Sie sind doch Architekt? Was sollen und wollen Sie? Bauen. Nun also. Sie raten mir da aber gerade in einer langen Rede, nicht zu bauen.«

»Ja, aber ja; anderswo, beinahe überall, nur nicht hier, wo unsere entzückende alte Stadt weiterzerstört wird, wie es bisher schon in jammervollster Weise geschehen ist!«

»Lieber Freund, Sie wissen wohl nicht, was diese Grundpreise hier herum bedeuten? Der Quadratmeter verzinst sich, jetzt, gerade mit einem Achtelprozent gegen die Werte, die ich hier aufwachsen lassen werde!«

»Warum sagen Sie das aber nicht wenigstens? Warum reden Sie von Ästhetik und Geschlossenheit und würdigem Hintergrund und solchen Dingen? Das sind ja die leersten Worte, die man – –«

»Weil ich unnützes Geschrei vermeiden will, lieber Freund, und weil man mit nichts Besserem die leeren Schreimäuler stopfen kann, als abermals mit leeren Worten.« Er lachte auf: »Na, beenden Sie Ihren Ästhetenschmerz. Der Jakominiplatz wird ja doch verbaut. Sollen Sie's besorgen, oder ein anderer?«

Ich habe damals geseufzt und nichts mehr gesagt. Herr Degrassi hat mir jovial die Hand geschüttelt und mich vernünftig genannt. Ja.

Und nun entwerfe ich Pläne zur möglichst zartfühlenden Zerstörung meiner angebeteten Heimat und mache selber Kostenvoranschläge zum Abbruch vieler mir schmerzlicher und süßer Jugenderinnerungen.

Was hätte ich tun sollen? Entgegenstemmen mit dem Bewußtsein, lächerlich leicht überrannt zu werden? Die liebe, alte Schönheit will man nicht mehr. Ich aber weiß, ich kann wenigstens eine neue geben!

Seht ihr, so geht es in allem.

Das Christentum verlangte das Unmögliche. Es erlitt Bankrott, daß es nur so klatschte, und wird auf ein paar Reservatreviere verwiesen werden, wie der Bison oder der Kolkrabe. Ich liebe es; ich verehre es, aber ich selber kann ihm, bei meiner sinnenfrohen Natur, nicht folgen. Ich liebe das zeitliche, ach so kurze Leben. Selbst wenn ich mich noch geschwind nachkreuzigen lassen wollte, würde man sagen: »Wie hübsch, aber wie unnütz.«

Nun weiß ich, ich habe das Leben und die Schönheit und den Trost für dieses Leben bei mir im Herzen. Man wird mir sagen, daß meine Lehre sich zum tiefsten Christentum verhalte, wie eine Maß Bier zum heiligen Gralsbecher, aber sie ist frisch, verlockend, schäumt, erquickt und macht froh. Warum soll ich den vielen, die so gerne froh sind, nicht meine frische Sommerlabe geben? Der Gralstrank ist für einen unter Millionen: Ja; – und darum bin ich Herrn Rabesams Gegner geworden.

Ich will, während ich mich von meinen Zeichnungen und Plänen abendlich ausruhe, langsam wandelnd im wunderschönen Parke, der meiner Stadt bisher noch verblieb, eine liebe, lebensfähige Diesseitslehre ersinnen, die des Gottes nicht enträt. Gesteht es doch: wer, von allen Philosophen des antiken Altertums, lebt denn heute noch in ewiger Frische und besteht zu Recht gegen alle Schreier und Ideologen, gegen die alte Stoa, den Zynismus, gegen alle Mysterien und Orden, ja gegen das Christentum selber?

Epikur!

Und wißt ihr, was meine Formel ist? Erzieht eure Seele zur tiefsten Verfeinerung des Genießenkönnens! Zur innigsten Dankbarkeit und Weltliebe, zur raffiniertesten Anbetung alles dessen, was da ist und was noch zu entdecken ist!

Da sind unerhörte Gebiete zu erschließen, größer als Tibet und der Sudan!

Denkt bloß daran, was das Landschaftsempfinden zu Epikurs Zeit war! Gar nicht vorhanden war es. Das Farbenempfinden? Tierisch grob gegen das unsere! Das Reich der Töne? Monophones Geheul gegen die aufwühlenden Harmonien Beethovens oder die fernen, vergrauenden Stimmungen Debussys!

Was war jenen ein dahinziehender Kanal mit Pappeln und duftigen Fernen dahinter? Und wie ergreift er uns: stärker oft, als das Anlachen eines Mädchens, – und damit nenne ich doch den mächtigsten der Triebe!

Eines bleibt bestehen: ihr müßt euch Güter erwerben, die das Alter und womöglich auch die Krankheit nicht zerstören kann: erzieht also eure Sinne zum liebevollsten Genießen, damit ihr noch als Greise Verzückungen haben könnt. Ah, dies Genießen, das ich seelenvoll denke, darf sogar bis zu Essen und Trinken herabgreifen.

Ich war heute in Italien; wißt ihr das? Mitten im Kriege, der uns von der ganzen Erde abgeschlossen hat, habe ich das blaue Meer anrollen gesehen und habe seinen Fischduft geatmet und seine Brandung schmettern gehört. Und ich war doch bloß in der kleinen, italienischen Speisewirtschaft der Sackgasse. Ich habe eine Gemüsesuppe gegessen. Minestrone hieß sie: da zogen sich die kleinen Kohlgärten von Görz vor meinen Augen hin, wie sie waren, bevor stupide Granatenauseinandersetzungen dort Mode wurden. Der Rotkohl, der Blaukohl, das Kraut, das so wunderbar schillern kann; eine ganze Palette voll lieblichster Farben! Dahinter wehende Zypressen, Ölgeruch, glühendgelbe Zitronenflecke in dunkelsattem Laub, Sonnenschein, das Lied einer Schalmei in der Ferne, Rosenduft im Januar.

Dann kam eine Polenta al sugo: in Bratentunke. Diese ersetzt mir vollkommen das Fleisch; denn es ist doch nur eine Art besserer Häckerling, solch ein Fleisch, aus dem der Saft herausgebraten wurde. Ich konnte es gern entbehren. Nie entbehren aber kann ich der Südstimmung, welche in diesem einfachen und billigen Gerichte liegt, von dem sich Millionen zufriedener, heiterer und schöner Menschen ernähren. Und ich hatte sogar ein kleines Glas roten Weines von den adriatischen Inseln dazu! Ich sah sie dabei und fühlte sie alle, diese Inseln und ich war betäubt, so sehr glänzte das rollende Meer; hypnotisierend blau war es und goldfarbige Trabakelsegel zogen über die irrsinnig schillernden Farben hin. Diese Boote hatten gemalte Augen. Sie waren denen, die auf ihnen fuhren, eine halbe Heimat und halblebendige Wesen; geliebte Wesen, auf die man stolz ist. Und schön waren sie! In ihren zärtlich gewölbten Flanken bargen sie jenen schwerroten Wein, den ich jetzt trank. Und es taumelte in mir von Farben: blauestes Meer, ockergoldene Segel, tiefroter Wein, dunkelazurne Trauben in farbiger Pergola, so daß das matte graue Silberflimmern der Oliven wirklich erlöst und geruhiger macht.

Zuletzt aß ich mehrere getrocknete Feigen zu meinem Stücke Brot. Ich mußte vor Stimmung und Ergriffenheit die Augen schließen; ich dachte an den Gott Pan, dem auch die Gärten geweiht waren und legte ihm in Gedanken eine von den süßen Früchten auf seinen Altar. Ich betete zu ihm: »Bleibe mir gütig!« Und er war in mir, sinnlich, froh, lebensbegierig, sonnenheiß, melodienvoll wie seine Syrinx, die ich zu hören glaubte. Er segnete mich.

Nun? Das war bloß so ein kleines Mittagessen und kostete vier Kronen. Welcher Millionär kann mirs abkaufen?

Was übrigens den Gott Pan angeht und die andern Heidengötter: glaubt ihr denn, sie seien gestorben? Ah, die haben sich nicht aufhängen lassen, die nicht! Die wollten leben, immerzu, und sie haben sich bloß versteckt vor euch!

Ihr Gelehrten, nicht wahr? Ihr könnt Gott nicht leugnen, wenn ich von ihm sage, er sei der bewußtlose, große Kraftstrom, der durch alles hindurchschauert? Ihr drolligen Kerle habt es verstanden, ihm Kraft abzuzapfen in Form von dümmster Elektrizität: ich zapfe ihm Kräfte ab in Form von unbeschreiblich innigen und schönen Schauern, die ich durch mich rieseln lasse. Wißt ihr Christen, daß euer Gebet nie ein Gebet war, wenn es euch nicht bei ihm so wonneschauernd durchrieselte? Daß euch der Gott nur dann erhört hat, wenn ihr ihn, empfängniszuckend, in euch überrinnen fühlt? So wie ich eben jetzt den großen Pan?

Was heißt Gott und was sind Götter? Er ist eins, und er ist zugleich vieler Götter Versammlung. Sowie ihr an jedem Kabelstrang Kontakte und Schalter anbringen könnt und die elektrische Kraft in kleine Ströme verteilen, so könnt ihr aus dem Gotte einen machen und auch viele Götter: als da sind Apollon, Dionysos und Pan, die dreie, die ich am meisten liebe. Weckt nur in euch das alte Heidentum; es ist nie gestorben und wird aufjauchzend erstehen, wenn ihr es in euch anruft.

Eines tut not: anbeten müßt ihr! Lieben und beleben müßt ihr die Götter, denn wer sonst sollte es denn!? Ich sage euch: ihr sollt euch ein geschnitztes Bild machen, dasselbe anzubeten!

Sage einer bloßen Maisstaude, ihr lange zuschauend: ich liebe dich, und sie macht dich selig. Um wieviel mehr die lebensdurstigen, alten Götter, die man euch nahm!

Heute war wieder ein Sonnenuntergang aus dem alten Traumgötterlande. Wer diese, vielfach in Formen und Farben zerpflückten Wolken sah, kann er glauben, ihre Schönheit wäre etwas Unwirkliches? Freilich: sendet ihr so einen unternehmenden Wolkenchauffeur hinauf, dann ist diese vielgeformte Pracht nicht mehr da; ist anderes, ist grauer Dunst! Der Standpunkt macht alles. Von dem meinen aus sah ich eine Himmelslandkarte, auf der alle Musen und Grazien spielten und malten und tanzten und sangen! Sie war goldrot und blaßgold, und silberfarbenes Geflecke war da. Und es war Apfelgrün zu Violett versammelt und rubinglühende Streifen zogen königspurpurn darüber hin, und besiegten alles andere in prahlender Schönheit und Kraft. Mir aber war das sehnlich fernste Apfelgrün des blassen Himmels, der sich hinter all diesen Prächtigkeiten leise verzog, doch das liebste.

Zuletzt bäumten sich alle die großen Wolken und die kleinen Federchen und Fetzchen zusammen noch einmal in kraßroter Empörung auf; grellgelbe Flecke zogen drüber vorbei, alles war verzückt und aufgewühlt; und immer noch stand an einem Ende des Horizontes, wie eine still abwartende, ganz große Seele, so ein Stückchen blaß lächelnden Grüns dahinter, in lieblich abwartender Maße!

»Die Maße!« Warum fällt mir dieses Wort bei so apfelgrüner Ferne eines zarten Abendhimmels ein? Alles loderte, höher und schöner, sie aber gefiel mir am innigsten.

» diu masze!« Wer hatte das Wort erdacht? Reinmar, Walthers von der Vogelweide Lehrer aus Österreich.

» diu masze!« Habe ich nicht einmal, da das ganze deutsche Volk so emporbrannte, wie der heutige Abend, habe ich damals nicht jenes ferne, österreichische Wort, leise mahnend, gesagt?

Das österreichische Lächeln! Niemals ist der Österreicher allzu stramm gestanden; darum aber wird er sich, all seinen Instinkten freigegeben, auch niemals gebärden wie ein Sklave bei den Saturnalien. Immer wird dieses ferne Lächeln des Weitüberschauenden bei ihm sein; nicht blutig und nicht golden, sondern sanft und bescheidend und entsagend. Mitten im Glück nimmt der Österreicher Abschied; immer ist er so.

Dieser Abend! Alle Leute reden von ihm. »Haben Sie es gesehen?« Warum nur reden die Leute nicht auch davon, daß heute Wachholderdrosseln am Waldrande in den Kiefernbäumen säßen, die Wintergäste aus Nordland? Große Vögel; ich erschrak zuerst, weil ich dachte, es wären Turteltauben; und die sind wintersüber nicht bei uns. An jenem Sonnenuntergang nahmen die Leute Anteil, weil er gar zu auffällig war; an den Drosseln in den Beerensträuchern nicht; und dennoch sind sie jedem Kinde wichtig und fallen ihm auf. Diese armseligen Menschen, die sich erwachsen dünken, weil sie das Kursblatt verstehen können! Und wie wiegten sich jene Wintervögel in den Zweigen, aus denen herab sie wartend schauten, bis ich sie verließe; sie wollten in ihre Beerensträucher zurück, und als ich gar nicht gehen mochte, da flogen sie doch wieder herab und taten sich gütlich vor meinen Augen.

Ich kann es ja sagen, ich hatte auch Appetit auf zwei oder drei Kramtsvögel, denn sie schmecken ganz trefflich! Aber das war nur, weil ich so lange Zeit kein Fleisch mehr genossen hatte und unsere Natur ist doch sehr daran gewöhnt gewesen. So ließ ich mir am Abend zu meiner Polenta wieder einen Bratensaft reichen, und damit war jenes Verlangen gestillt. Es ist mehr der Geschmack und der Anreiz, den unser Magen begehrt, und wenn ein geschickter Unternehmer solche Bratentunke im Großen erzeugen wollte (das Fleisch ließe sich anderweit verwenden), so daß der arme Mann immer sein Büchschen bei sich hätte, aus dem er seine Kartoffeln, seinen Maisbrei oder seine Bohnen abschmälzen und anregend machen könnte, er würde des teuren und unser Volk in Armut stürzenden Fleisches gerne entraten. Ich für mein Teil hielt eine herrliche Mahlzeit, und während ich es mir schmecken ließ, dachte ich an diesen verglühenden, ganz großen Abend, den ich vom Waldrande aus anstarrte, und an die nordischen Drosseln, und daß all das, was ich Aufgewühlter da empfand, eigentlich Gebet und Gottesdienst gewesen, war.

Da hatte ich ja doch wieder zu einer heidnischen Gottheit gerufen und sie verehrt! Den Phöbos Apollon! Er hatte mich für meine Liebe und Bewunderung glücklich gemacht. Wie armselig ist die Erde doch geworden, seit man den einigen Jahwe darüber gelegt hat! Bewahrt euch eure heidnische Arierseele, ihr nahezu Verlorenen! Von der bunten Götterwelt ist nur ein Schritt ins ewige Leben! Von jener starren Eins ist nur ein Schritt bis zum goldenen Kalbe! Sie ist kaum zu ertragen, jene starre Eins! Die große Kraft hat tausend Formungen; so gebt ihr doch ruhig auch tausend Namen und entstaltet sie nicht, da sie so voller Gestalten ist!

Verliert eure arische Seele nicht, deshalb, weil die Zeitungen nichts für sie zu sagen wissen! Die Zeitungen gehören jenem unglücklichen, des Besten beraubten Volke an, das eure Vorväter beinahe zweitausend Jahre lang von jedem Erd- und Grundbesitz abgesperrt haben. Da verlor das ärmste mit der Lust an der Scholle auch sein Verständnis für ihre stillwachsenden Wunder. Glaubt ihr denn, diese Entheimatung wäre »jüdisch?« Nein; sie ist bloß die Sünde eurer Väter, die jetzt aus den jüdischen Zeitungen tritt und Rache an eurem Geiste nimmt, indem sie von eurer Naturseligkeit kein Sterbenswörtchen zu sagen weiß, und so, langsam aber sicher, eure eigenste Seele abseits führt zu den Gütern des spekulativen Marktdienstes. Wehrt euch eurer blühenden, eurer Heidenherzen, gegen das christliche Verbrechen eurer Väter! Denn die alten Juden waren nicht, was die heutigen sind! Die verstanden die braune und die grüne Scholle, wie ihr, und ihre Gottesverwalter wetterten verzweifelnd gegen das lebenslustige Heidentum jener Weinbauern und Ölbaumzüchter, die ihren Gott auf dem Berge Garizim suchten und fanden, ihren weitschauenden, wilden, freien Höhengott! Das waren ganz andere Kerle, da sie noch nach Wind und Wetter ausschauten und von Feldlilien und Unkraut und Dornen und Spatzennestern zu erzählen wußten! Die ganze Bibel ist voll von Jägern, von Ackerleuten und Weinbauern, und die Zedern und die Ölbäume rauschen windsausend in sie hinein; ja sogar der Heilige Geist heißt hagion pneumon; das heißt der geweihte Wind! Ihren Priestern zuerst haben sie ihr Elend zu verdanken; und sodann den eurigen, ihr Christen! Nun haben sie, nach zweitausend kümmerlichen Jahren in Ghettomauern, den Frühlingskrokus und den Aprilregen und die Weinlese und den Föhnwind vergessen, und sie werden ihn auch euch vergessen machen; denn alles bedruckte Papier ist ihrer.

Rettet eure arische Seele! Rettet euer Heidentum und denket an die Mistel und an die Sonnwende, an das Rauschen eurer Wälder und an das meergleiche Wogen der grünsilbernen Halmflut auf den Feldern.

Und, ihr besten unter den Juden, ihr Leidenden, die ihr euch so namenlos unerlöst fühlt, kommt zu uns und gedenket eurer paganisch frohen, weit ausschauenden Bauernväter auf dem Berge Garizim! Kommet ihr alle, die ihr mühselig und beladen seid, denn dies allein erquickt; daß ihr wieder Wurzeln fühlt, die zur Erde führen, und Blätter, die zu den Wolken atmen.

Ihr sollt euch eure Götter machen, sie anzubeten; ein jeder die seinigen; aber ein jeglicher nehme sie aus der freien Weite, aus Wald und Flur!


Wißt ihr, warum ich immer noch meine billige Polenta esse, trotz meines guten Gehaltes, und warum ich den fröhlichen Gottesdienst einer reicheren Mahlzeit immer wieder aufschiebe, bis der Überfluß des alten Friedens wieder da ist?

Erstens: es schmeckt mir nicht, was nicht alle haben können, und ich muß an hungernde Augen denken. Und dann, – ich spare.

Denn ich habe einen Plan.

Das ist es nämlich. Ich liebe bis jetzt die Natur, die reiche, die, zur vollen Sinnenliebe geschaffene Natur, nicht anders als platonisch. Ich gehe in ihr herum, wie ein besitzloser Journalist, der Feuilletons aus ihr macht. Ehe aber nicht ein Stück von ihr mir gehört, und mir, in innigem Verhältnis, ihre Kinder schenkt, ehedenn bin auch ich so ein Losgerissener, ohne gesunde Heimat.

Ich weiß ein Stück Grund am Rande der Stadt, das ist durch die neue Straßenparzellierung spitzwinklig abgeschnitten und zu einem gewöhnlichen Hause viel zu schmal. Es steht gerade gegen eine neue Straße zu, die nach Süden führt und ist selbst an seinem hintersten, breiten Ende so gering, daß nach der Bauvorschrift, die an beiden Seiten mindestens zwei Bodenmeter freilassen heißt, nur sechs Meter zum Verbauen blieben. Dort setzt sich kein Reicher hin, und da der Grund dem Vororte gehört, der wahrlich noch keiner Gartenanlagen bedarf, so wird niemand was damit anzufangen wissen. Dort werde ich mich festsetzen: man gibt es mir um den Wert eines Wurstbrotes (wiewohl das heute nicht wenig ist). Ja; dort baue ich mich an. Alarich Tuschens Heim wird dort erstehen, und ich weiß schon wie.

Bloß zehn Meter breit ist der schmäler zulaufende Streifen an seinem hintersten Ende; aber er zeigt mit einer langen Zunge gegen die Straße, die nach Süden führt: über vierzig Meter lang ist diese Zunge, und darauf kann schon etwas wachsen. Mein Häuschen stelle ich ganz hinten hin, wo der Grund am breitesten ist. Dort sehe ich auch nach Sonnenuntergang, gerade zwischen zwei Villen hindurch, über deren Gärten hin. So kann ich meine Veranda nach der Mittagssonne, meine Zimmer nach der Abendsonne richten. Gegen Norden und Osten ist das liebe Stück Erde wohl etwas verbaut, aber ein vollkommenes Glück gibt es hienieden nicht, genug: ich habe die Sonne von neun Uhr morgens bis Untergang frei!

Meine Veranda; meine Zimmer! Das klingt: was? Hallo, wie ihr staunt.

Noch sage ich nichts. Ich esse Polenta mit dem bißchen Saft, der von den Braten anderer, reicherer Leute abfällt, und bete zu meinen Heidengöttern, daß sie mir bald jenes Stückchen des allmütterlichen Leibes Erde vergönnen mögen! Und noch etwas. Ich habe einem Zimmermeister, dort draußen an der Front, einmal das Leben gerettet, und jetzt ist er hier, mit einer etwas verkrüppelten Hand, und baut sich dieses Leben wieder neu auf. Er hat eine Menge Holz vom Abbruch einer Gefangenenbaracke billig aufgekauft; davon überläßt mir der Gute, was ich brauche. Denn sonst würde ich ja das neue Lehmstampfwerk nehmen, mit Drahteinsatz! Aber dort im Vororte sind sie einsichtsvoll genug und erlauben es noch, daß kleine und freistehende Häuser nach altdeutscher Sitte aus Holz gezimmert werden dürfen. Also, ich entwerfe Pläne, Pläne!


Es ist schön, nichts zu besitzen! Aber es ist auch schön, ein Ziel zu haben; alles ist schön, wenn man sich zu freuen versteht!

Jetzt, wo mir noch gar nichts auf Erden gehört, erlebe ich es, wie leicht es ist, glücklich zu sein, wenn man nichts hat. Denn man hat dann alles und nichts stört einen oder besorgt einen. Kann mir denn mein angebeteter Stadtpark gestohlen werden? Oder der tiefe Glockenton um sieben Uhr am Abend, den ich so sehr liebe? Um sieben Uhr ist die Stunde meiner Andacht; müßt ihr wissen. Ich bin dann frei geworden, habe meine Baupläne für Herrn Pompeo Degrassi zusammengeschoben und versperrt und bin hinausgewandert; vor die Stadt, wenn es trocken ist, in den leise beleuchteten Park, wenn es naß oder neblig ist. Denn es ist diesmal ein böser Februar; er kennt keinen Föhn, er kennt nur Schnee und Eis oder Nebel und Frieselregen.

Hört es gut, ihr, meine Jünger von dereinst! Sucht euch nur Städte für euer Leben, aus denen man leicht ins Freie kommen kann; grüne kleine Städte, ohne Fabriken vor den letzten Häusern. Sondern dort muß der Bauer beginnen und der Gärtner. Und sucht euch nur unbedingt Städte aus mit großen Gärten; denn eure reineren Geschwister, die Bäume und Sträucher und Gräser, sie wehen unerhörte Ruhe in euch hinein, – nicht zu glauben für die, die das nicht kennen!

Wißt ihr es nicht, daß die Alten den Bäumen eine halbgöttliche, eine zwar sterbliche, aber doch langlebige Seele gaben? Eine Dryas?

Betet auch zur Dryas; das aber heißt nicht: bittet! » Prier«, das tut das nutzgierige Philisterschwein; » adorer«, das tut der selige Heide!

Seid keine Heischer vor der Gottheit; seid Anbetende! Betet sie auch in den Bäumen an. Es strömen Kräfte aus den Bäumen, die haben es in sich, Wunden zu heilen, das sage ich euch! So sachte, wie diese großen, schweigsamen Geschöpfe ihre eigenen Wunden vernarben machen, ebenso leise strömen sie ihren nicht umzubringenden, aber naiven, ahnungsvollen Lebenswillen in eure Seele hinüber. Es sind das geheime Kraftwellen, von denen der Geschäftsmann Arzt keine Ahnung hat; aber man wird sie dereinst entdecken und dann wird man darüber lachen, daß es überhaupt nötig war, über sie jemals lange und etwa gar ernsthaft mahnend zu reden. Genug. Es gehen Kraftströme aus den Bäumen. Das fühlten die Alten, und darum flüsterten sie von den Dryaden.

Wenn also Abend ist und die große Glocke läutet, dann trage ich mein, von Geschäften verunreinigtes, aber von der Arbeit immerhin gehobenes Herz hinaus zu ihnen, den Wartenden, den Hohen. Um mich zu heiligen, beginne ich damit, derer zu gedenken, die ich durch den Tod verloren habe, und derer, die ich durch den Tod dieses Lebens verloren habe.

Mit den Abgeschiedenen beginne ich, wenn die große, tiefe Glocke zu läuten beginnt. So denke ich an einen, der sich erschossen hat und der dennoch groß war und glücklich.

Es war ein pensionierter Oberleutnant und er lebte beinahe von nichts. Dennoch freute er sich dieses Lebens sehr. Er wußte die ganz kleinen Speisehäuser, wo man ein herrliches Gulasch bekam und freute sich den ganzen Tag darauf, seine erübrigten zwanzig Kreuzer in diesem Genusse aufgehen zu lassen.

Er war im Theater auf dem Stehplatze; aber er war der tiefste und nachdenklichste aller Kenner. Immer war er begeistert und immer unzufrieden, wie es echte Sehnsucht sein muß. Nur weil ihm niemand das rechte Theaterstück zu schreiben wußte, entschloß er sich, es selber zu schreiben, und so arbeitete er nun schon sein lebelang an diesem einen, großen Theaterstück. Immer wieder wußte er Besseres zu setzen für das, was er schon niedergeschrieben hatte, und niemals bekam es ein anderer Mensch zu sehen. Er aber war glücklich damit. Er nahm das Theater so ernst! Und ist es nicht besser, die Welt der Großen, der Nachdenklichen und der Künstler ernst zu nehmen, als etwa eine Welt der Streberischen, der Erwerbsgierigen und der eitlen Politiker? Jene niedrigste aller Welten?

Dieser Oberleutnant, Raditsch, hatte das volle Naturgefühl des alten Slawen, das keineswegs geringer war, als das germanische. Daß es der Russe zuliebe einer neidischen Teilhaberpolitik verloren hat, mag euch so recht das Fürchterliche der Strafe für die Unterdrückung der Juden einprägen. Hier ist jene Rache, von welcher der Herr sagte: »Sie ist mein«. Denn jener Gott, den ihr verunstaltet und geschändet habt, in dessen entstelltem Namen ihr den Juden nichts ließet, als den seelenlosen Erfolg des Spekulanten, er hat jetzt eure Seelen verdorren gemacht, weil ihr das Ölbauernvolk von ehedem abhobet von der tröstlichen Erde. Seht euch aber den Südslawen an; er hat noch keine Zeitungen, er ist göttlicher Heide geblieben; in beseligender Naturnähe.

So blieb auch mein Raditsch. Er stand vor dem ersten Pflänzlein, das sich im Vorfrühjahr der Erde entwand, und bedauerte es und schalt es.

»Kleines, verhudertes Ding du! Mußt du das allerdümmste sein, weil du es in deinem maßlosen Leichtsinn gar nicht erwarten hast können? Weißt du denn nicht, was jetzt noch kommt? Der Mond nimmt zu, der Barometer steigt; das alles solltest du doch besser wissen, als wir verdorbene Pflastertreter! Es kommt Frost, du Eserl! Und dann ist's oha!«

So redete Raditsch, der alte pensionierte Oberleutnant, mit den Pflanzen, und wenn die Abendglocke läutete, dann gedachte ich dieses Glücklichen.

»Ich weiß, daß ich ein unheilbares Leiden habe,« sprach er eines Tages zu mir. Und aus Takt sagte er nicht, welches. »Ich sehe meiner Verwüstung mit einer Art grimmiger Freude zu; denn sie geht mich selber eigentlich nichts an, sondern nur alles das, was an mir mißlungen ist. Meine Seele habe ich längst verteilt; da, und dorthin!« Und er wies umher auf die schönen Bäume und zeigte mir besonders eine reizend schlanke Pappel, welche das ganze Parkbild verschönte.

Als er dann gänzlich krank wurde und ins Spital der Garnison aufgenommen worden war, gab er mit seinem philosophischen Geiste den Kameraden Höhen und Tiefen in Gesprächen, wie solche Offiziersräume kaum jemals noch umfaßten. Als dann das Leiden unerträglich und hoffnungslos zu werden begann, da erschoß er sich eines Nachts so diskret unter den Decken und Überbetten seines Lagers, daß die schlafenden Zimmergenossen den Knall gar nicht vernahmen. Sogar hatte er, wie sich am andern Morgen herausstellte, das Bett mit seinen eigenen Kleidungsstücken so austapeziert, daß die ihm nicht gehörige Leinenwäsche keinerlei Befleckung durch sein Blut erleiden konnte.

Das war Raditsch, der Naturphilosoph. Dieser Freund war mir unermeßlich wertvoll, denn sein Dasein und seine naive Empfindung bewies mir, daß meine und Rabesams Lehre von der einzig erlösenden Kraft der Naturnähe nicht nur in der deutschen, sondern auch in der slawischen Seele, tief und vollkommen organisch, lebendig war.

Dies alles durchlebte ich, wenn die Glocke läutete. Die großen Bäume standen, schauernd vor ernster Abendandacht, über mir.

Und ebenso dachte ich an solche, die ich durch dieses fürchterliche, gierige, affenhafte Leben verloren hatte. Da war Luzian Filsers Judastat noch gering gegen die erschreckende Leerheit eines Frauendaseins, wie es die wunderschöne Lenore immer mehr zu führen begann. Sie hatte die athenische Gewandtheit »zu wissen, was sich ziemte, aber sie tat es nicht.« Sie kam zu mir um Erlösung, aber es war nichts als Plauderlaune und Langeweile; keine Not der Seele schrie aus ihr, und wenn ich sie oft flüchtig durch die unsäglich ernsten und göttlichen Baumreihen des Stadtparkes enteilen sah, leicht und graziös wie ein Windhauch, eingewickelt in das feinste Pelzwerk und mit zierlicheren Schritten als das schönste Tier sie vor sich zu setzen weiß, dann mischte sich in meine helle Bewunderung über dieses vollkommenste Nach-außen-Leben die zweifelvolle Frage der Alten, ob denn das Weib überhaupt eine Seele habe!? Ob es nicht vielmehr die ewig stupide und verlockende Materie wäre, die den, nach oben ringenden, Geist immer wieder zu sich herunterzwinge, um Paarung und Weiterbetrug zu erlisten.

Ich war inzwischen zu den Besitzenden vorgerückt und sie war nun mit Degrassi verlobt, und ich weiß nicht, ob ich nicht ihr, für die ich mein Vermögen geopfert zu haben glaubte, das gute Gehalt verdanke, das dieser Parzellenschinder mir gibt, damit ich seinen Zinshäuserzeilen ein wenig Traulichkeit anhexe. Wenn ich darüber nachdachte und mir sagte, daß es vielleicht würdelos wäre, der früheren Geliebten ein Stück meines Heims zu verdanken, dann durchfuhr mich heiße Scham und ich hätte am liebsten alles hingeworfen, um zu meinem kleinen eisernen Öfchen in der Mansarde nach Wien zurückzuflüchten, vor dem ich meine zerschmetterte Seele neu lebendig werden gefühlt.

»Aber:« sagte ich mir:

»Arm und glücklich dabei sein, das ist leicht. Zu besitzen und glücklich sein ist um so größere Kunst, je mehr dich die Materie des Besitzes drückt. Es ist ganz so, wie schöne Menschen, die viel Glück in der Liebe haben, kaum je mehr hingerissen lieben können und daraus kühl und oberflächlich werden in allem.«

Dann wieder:

»Ob ich mich durch Besitz nicht von meinen Göttern entferne? Ob ich durch ihn nicht am Ende aus dem Adoranten zum Prieur werde? Zum elenden Wünscher und Begehrer?«

Endlich sagte ich mir: »Ach was! Du bist bewußter Heide. Das heißt, du strebst nach diesem Leben und heißest es gut, wie es sein möge, nur daß du es zugleich erhöhen und tief erfüllen willst. Halte die Maße! Nimm nur leichtes Gepäck von Degrassi an und bleib stehen dort, wo der heiterste Durchschnitt der wenig Besitzenden steht. Sorgenfreiheit und nicht mehr: sonst beginnen die Sorgen des Besitzes. Und ich klügelte weiter, am Erwerb und am Aufbau meines kleinen Anteils an diesem Planeten, aus dem ich ein Kunstwerk heitersten Bescheidens zu machen vorhatte.

Es waren wenig über dreihundert Flächenmeter, welche diesen, sich langsam und rundlich zuspitzenden Streifen ausmachten, der zwischen zwei Straßenzügen, welche hier zusammenliefen, übriggeblieben war. Die Gemeinde, der ich in vielem nützlich geworden war, gab mir den Meter um sechs Kronen. Ich bin also schon seit dem Lichtmeßtage Grundbesitzer.

Lichtmeßtag! Das war der zweite Februar, und irgendeine altheidnische Bedeutung zunehmenden Tages steckt in dieser Kerzenweihe zu Ehren der Mutter des chthonischen Gottes, der gleich Adonis und Dionysos zur Unterwelt hinab muß, um wieder aufzuerstehen in den Tagen des Frühlingsvollmondes. Ah, dieses viele Heidentum in unserer Religion, fühlt es doch! Es allein ist unsterblich, und glücklich macht es jeglichen, der es tief erlebt. Lichtmeß: ein süßer, erster Schauer zaghaft erwachender Lebenshoffnung geht durch deinen Namen.

Wißt ihr, daß es mich heiß überlief, als ich damals zum ersten Male meinen Fuß auf jenen von Unkraut überwucherten und von Abraum und Scherben besäten Platz hinstellte, der jetzt mein war? Ein Teil dieser Erde war mein, durch ein Gesetz, dem schon der Gegenschrei antwortete: Eigentum ist Diebstahl!

Ich besann mich ernst, so lächerlich klein auch mein Streifen Habe war. Ich sah seine Wüstheit und seine Häßlichkeit, dann fühlte ich, daß ich lächeln mußte, und frohgemut schritt ich das ganze, proletenhaft verwahrloste Grundstück ab. Und es rief in mir hell aus: Aber Arbeit ist kein Diebstahl. Denn Arbeit war hier zu machen, wahrhaftig: damit es hier blühe und wonnig zu leben begänne, mit Reseden und Kapuzinerkresse und Rosen, aber noch mehr mit Petersilie, Feuerbohnen und Weinrebe. Denn von jedem wollte ich, wenn es nur irgend ging, ein Geschöpf in meine Arche sammeln.

Lichtmeß: manchmal ist das ein Tag, an dem die Natur den Kalenderlauf vergißt und ausnahmsweise mitfeiert mit den Menschen. Dann gibt es an sonnigen Waldrändern Primeln und sogar Krokus, die Palmenkätzchen werden silberpelzig, und ein Ton, o, ein Ton irrt an den Hängen herum, der mit Andachtschauern in die Seele dringt. Dieser Ton, er kommt vom Knirschen und Krachen des ersten Spatenstiches! Der Mensch verwundet die Braut Erde, damit sie ihm gebe!

Wer dies nicht hat, daß ihn der Ton des ersten Spatenstiches, das Schlagen der Harken in duftender Erde mit religiösen Wonnen erfüllt, der wird niemals unseres heidnischen Glückes teilhaftig werden können, welches allein erlöst auf Erden; ich sage es zum wievielten Male!

Ich Spätgekommener war noch nicht so weit, das Fest des ersten Pickelhiebes zu feiern. Ich hing meinen Rock an die verwahrloste und von den Kindern aufs trübseligste heruntergerissene Holunderstaude, das einzige größere Gewächs dieses bisherigen echten Kommunistenwinkels, und begann, erst das Hingeschmeiß des Stadtrandes von meiner entweihten Erde zu entfernen. Ärgerlich halb und halb lachend trug ich löcherige Nachtgeschirre und Waschbecken aus Emailleblech, rostige Konservenbüchsen, Pflastersteine und moosige Ziegelreste, alte Hüte und Scherben von allen Farben an die abgestumpfte Spitze am Südende meines Besitztums und häufte sie dort an; das Häßlichste zuerst und zuunterst und darüber die viel edleren Steinfragmente. Dort sollte, auf dem Grabe all dieser Proletenhäßlichkeit, ein Hügel entstehen, von einer kleinen Gloriette gekrönt, mit freiem Blick nach der seligen Mittagsweite.

Jeden Abend nach meiner Arbeit kam ich damals hierher, statt zu den Bäumen des besinnlichen Stadtparkes; ich trug tagelang die angesammelten Schändlichkeiten aus dem Haushalte schrillender Zinskasernen hinweg und häufte das Malzeichen meines Sieges über den ganzen Ekel. So wurde, da ich sogar aus der Erde immer wieder neue Überraschungen solcher Art graben durfte, ein größerer Tumulus, als ich selber gehofft oder vielmehr gefürchtet hatte: lange und zahlreich hatten die mißtönigen Schreierinnen der Zinskasernen an der Verwahrlosung des stillen Winkels gearbeitet, und jetzt begriff ich das Lachen des Gemeindevorstandes, als er mir den dritten Teil des sonst dort üblichen Grundpreises als Kaufschilling nannte. Der rüstige Mann, ein halber Bauer, kam öfter heraus, um mir bei der Arbeit zuzusehen, und dabei wurde seines Lächelns immer weniger, und endlich rief er vollkommen ernst und ehrlich aus, das sei ja nun doch ein ganz schönes Stückel Erde und ich hätte es wahrhaftig billig bekommen. Jetzt erst sah er, was meine geistigen Augen längst schon erblickt hatten: schönen, dunklen, urbaren Boden, der empfängnisduftend auf Saat wartete. Und hinten, an der verbreiterten Stelle, war ein schotteriges Viereck sauber ausgehoben, – sieben Meter tief und sechse breit.

Er schritt es ab und sagte kopfschüttelnd: »Ich bin neugierig, was Sie auf das Platzel hinstellen wollen. Groß wird das Häusel nicht!«

»Holz braucht keine dicken Wände,« sagte ich zuversichtlich. »Ich erspare innen dreiviertel Meter, nach beiden Richtungen.«

»Wenn's nur nicht einmal abbrennt,« sorgte er; aber ich antwortete ihm, daß in den Alpen hölzerne Häuser ihre vierhundert Jahre stünden. Da war es ihm auch recht und er ging mit gnadenvollem Händedruck von hinnen.

Ich aber zäunte meine Habe nach rechter, neidischer Besitzerart, mit Stacheldrähten vom Abbruche jenes Gefangenenlagers ein, von dem ich Bohlen und Bretter für mein Häuschen zu erhalten hoffte. Später, wenn ich reicher war, zog sich ein sauberer, weißer Lattenzaun um mein grünes Glück. – Gegen Raubaffen.

Lenore kam ebenfalls an einem sehr sonnigen Feiertage heraus und sah mich lachend in meinen Hemdärmeln hauen und stechen und karrenschieben. »Alo, bist du glücklich?«

»Sehr,« sagte ich und schwitzte, wie eine Wasserflasche im Sommer.

Da kam sie durch meine sonderbare Türe aus Draht und Kistenleisten vorsichtig herein und stellte sich, zierlich wie immer, zu mir. »Also auch ein eigenes Haus baust du dir?«

»Freilich; es ist ja keine Wohnung zu mieten.«

»Wird da Platz für eine Hausfrau sein?« fragte sie.

»So wenig, wie in meinem Herzen,« sagte ich.

»Und für eine Geliebte?« fragte das sehr schöne und sehr frevelhafte Mädel weiter.

»Möglich, aber unwahrscheinlich. Eher denke ich an ein paar gute Freunde. Jedenfalls wird mein Tisch Platz für sechs Personen haben.« Sehr stolz redete ich davon.

Da wurde auch sie etwas sachlicher und begann Anteil zu nehmen. »Geh, zeig mir doch deinen Plan. Degrassi hat gesagt, er wäre ein Wunder von Raumausnützung, Praktik und Traulichkeit zugleich.«

Du liebe Erde! Ich hatte so schmutzige Hände und wollte erst gar nicht meinen Rock anfassen. Aber da war immer ein sehr liebes, dunkelaugiges Stubenmädel von der Nachbarvilla gewesen, das guckte in jedem freien Augenblick über den Zaun und war auch jetzt mit groß aufgemachten, braunen Guckern den festlich gekleideten und vornehmen Besuch aus der Stadt anstaunen gekommen. Dieses liebe und muntere Ding rief jetzt, ich möchte warten, sie bringe mir Wasser. »Gleich, gleich, Herr Tusch!«

»So, da hast du ja schon Bekanntschaft,« sagte sie etwas langsam.

»Jawoll,« lachte ich, und dann war das flinke Ding schon mit einem Waschbecken und mit Seife da und bot mir ihre eigene Schürze zum Hineintrocknen, und ich bemerkte mit Vergnügen, wie Lore das Volkskind musterte und dabei unbefangen zu bleiben versuchte.

Als die kleine Flinke fort war, sagte sie: »Du mußt doch viel Glück bei den Mädchen haben.«

»Ach,« lächelte ich, »du weißt ja selber, wie mangelhaft so ein Glück ist.«

Sie schwieg eine Weile und sah mich an, ob ich sie nicht verletzen gewollt. Aber ich sah ihr wohl zu gutgelaunt aus. Da fuhr sie fort: »Zeig' mir jetzt deinen Bauplan.«

Ich brachte natürlich zuerst den Aufriß und eine in malerischer Perspektive getuschte Zeichnung des zukünftigen Häuschens hervor. Denn das Mädel verstand wohl wenig, sich in Grundrisse hineinzudenken.

»Ah,« rief sie überrascht. »Entzückend! Das ist ja lauter Licht, und Glasfenster!«

»Ja,« sagte ich. »Die ganze Südfront entlang läuft meine Veranda; sie ist zugleich mein Empfangszimmer, Vorraum und Eingang zugleich. Sechs Meter breit, zweiundeinhalb Meter tief, das genügt. Hier in die Ecke stelle ich, aus grünen Kacheln, einen altartigen Kamin hin; denn ich liebe das offene Feuer bis zur Anbetung. Denk dir nur, wenn es im Frühling oder im Spätsommer jäh so schaurig kühle Tage gibt, wie sich's da beim Krachen des Bundholzes und beim Teekessel dahindehnen läßt!«

»Ich möchte wohl einmal dabei sein, Alo,« sagte sie träumend. Dann sah sie sich den Grundriß an. »Ach, in der anderen Ecke hast du eine Wandbank und einen Tisch? Wirklich, für sechse! Willst du so gastfrei sein?«

»Selten,« sagte ich, »aber dann muß es hoch hergehen.«

Nun beschaute sie sich den einzigen Raum, der im Innern des Häuschens, hinter der Veranda, lag und als Dielenzimmer zugleich die hölzerne Treppe ins Dachgeschoß enthielt. Sie begriff sogleich, daß ich den Raum unter dieser Treppe teils als Holzlage, teils als Speisekammer und Keller ausgenützt hatte, und fragte sogar, ob auf die Endstützen der Treppe gedrehte Kugeln kämen.

»Ja,« sagte ich.

Der große grüne Kachelofen, den ich in die eine Ecke, und der Herrgottswinkel, mit rundem Speisetisch, den ich in die andere geordnet hatte, machte ihr ebensolche Freude. »Aber wo willst du kochen?« fragte sie.

»Der Ofen enthält eine Bratröhre, und überdies genügt für mich ein größerer Spiritusherd oder ein elektrischer Kocher. Der steht dann hier, im Winkel.«

»Ach so,« sagte sie. »Ich sehe, du hast wirklich keine Hausfrau vorgesehen. Warum nimmst du aber keinen von den neuen Dauerbrandöfen? Und keinen Gasherd?«

»Wir werden vielleicht so sehr verarmen, daß wir weder Kohle noch Gas mehr erhalten können,« sagte ich. In Wirklichkeit haßte ich die Kohle und gedachte so viel wie möglich mit dem mir lieben Holze zu heizen. Damit das nicht zu viel Geldes auffräße, hatte ich meine Zimmer bloß zwei Meter und vierzig Zentimeter hoch gedacht, wie eine rechte Bauernstube sein soll.

Meine schöne, ehemalige Geliebte wurde immer munterer.

»Das ist also unten. Jetzt will ich aber auch von den Geheimnissen der Mansarde alles erfahren,« sagte sie. »Denn wenn unten das Wohn- und Speisezimmer ist, wo niemand schlafen kann –«

»O doch,« unterbrach ich sie. »In der rechten, hintern Ecke ist ein mächtiger Schlafdiwan angebracht.«

»Ja,« lachte sie; »für einen etwa schnarchenden Freund. Ich will wissen, wie du dir dein Schlafzimmer denkst. Das geht uns Frauen immer am meisten an; es ist unser Lieblingsgemach.«

»Gut; hier siehst du die Treppe; sie hat nur zweimal sieben Stufen, und da es eine Holztreppe ist, so können die Stufen schmal sein; die Treppe nimmt also unten in der Diele eigentlich nur vier Quadratmeter Raum in der linken hintern Ecke weg; denn unter den letzten Stufen ist die Kredenz eingebaut, und hier kommst du zur Speisekammer und zur Holzlage, welche unter den ersten fünf Stufen liegt. Oben kommt die Treppe an der Nordseite empor, so daß ich hier also bloß einen durchgehenden Streifen von Meterbreite für den Vorraum abzuschneiden brauche; und selbst da ist am Ende noch ein Kämmerchen übrig. Ebenso ein meterbreiter Streif geht aber auch, als Balkon, vor dem Zimmer durch die ganze Breite unter Dach hindurch, so daß mein Zimmer fünf Meter breit bleibt. Und es mißt beinahe sechs Meter in der Länge. Bett, Nachtkästchen und Waschtisch kommen in die rechte vordere Ecke, hinter einen Vorhang, rechts hinten abermals eine Sitzgarnitur mit großem Schlafdiwan.«

»Aha,« sagte Lore. »Jetzt weiß ich, was ich wissen wollte. Du verzichtest also keineswegs auf die Frauen.«

Ich fuhr unbekümmert fort: »Hier links schneidet, hinten, das Treppengehäuse, und vorne ein anderer, kleiner Ort, der vom Balkon aus zu erreichen ist, von der Zimmerbreite etwas weg; hinten fehlen also zwei, vorne, samt der Kaminmauer, fehlt ein Meter. So entsteht hier eine erkerartige Fensternische nach Südwesten, der mildesten und schönsten Weltgegend; immer noch zweiundeinhalb Meter breit. Da kommt mein Schreibtisch herein und der Bücherschrank. Und den Rücken wärmt mir der ins Zimmer gerückte Ofen, dessen Rohr hier durch die Mauer geht und auch noch jenen erwähnten kleinen Raum temperiert.«

»Gott, wie praktisch!«

»Ich habe also zwei fast gleich große Zimmer übereinander; jedes nahezu sechs auf viereinhalb Meter, eine große Veranda, einen Balkon, Speisekammer und Vorraum mit Kleiderablege, und am Ende dieses Vorraums noch ein Rumpelkämmerchen. Was sagst du dazu?«

»Kostet das viel?« fragte sie.

»Ich baue teils aus Holzbohlen, teils aus doppelter Bretterwand, wo keine Kälte zudringen kann. Und ich hoffe, daß ich, der einzige Mann in der ganzen Stadt, der mitten im Kriege seine Burg aufrichtet, mit zehntausend Kronen mein Auslangen finde.«

»Großartig,« gab sie zu. »Und hübsche Möbel hast du ja genug; – ich kenne sie.« Dann versank sie in einer reizenden Haltung, mitten im lieben Mittagssonnenschein meines kleinen Gartenstreifens in ein Nachdenken, das etwas ränkevoll, etwas herausfordernd und doch wieder auch ein wenig wehmütig aussah, so daß ich mich gleich wieder in sie verlieben mußte. Ich hatte ohne das, solange das unnütze, zum Anbeißen reizende Geschöpf da neben mir auf dem Bänkchen saß, welches ich auf dem Hügel errichtet hatte, ich hatte, diese ganze Zeit, mein Herz sich sehr störrisch benehmen gefühlt, und manchmal stieg mir die Erregung bis in den Hals; besonders, wenn sie immer wieder vom Schlafzimmer anfing, das nichtsnutzige Dirndel! Ich wußte, daß sie mich immer noch nicht gänzlich aufgeben wollte: teils aus Eitelkeit, teils aus Erinnerung, teils aus Trotz, weil ich offenkundig auf ein Nähersein zu verzichten schien. Wenn es mir beliebte, ihre kleinen Einsamkeitsaugenblicke, ihre wehmütigen und schwachen und verängsteten Stunden abzupassen, so konnte ich immer wieder ein Schlückchen aus dem, an andere fortgegebenen Becher meiner einst so hinreißenden Wonnen tun. Warum bildete ich mir immer ein, der Trank, der jetzt für mich bliebe, wäre eine Bettelsuppe? Im Gegenteil, ich hätte alle, die mich um dieses Irrlicht gebracht hätten, wieder zurückbetrügen sollen und mich daran freuen, wie ein lustiger Dieb, der der Gefahr und des Reizes wegen stiehlt.

»Da wird nun,« sann sie halblaut weiter, »zuerst das hübsche Stubenmädchen von drüben neugierig zum Herrn Nachbarn gucken kommen und wohl ein wenig dableiben; vielleicht öfter auf ein Stündchen, auf eine Nacht wohl gar?«

Ich wollte ihr lachend in die Rede fallen, sie aber wehrte mit der Hand ab und träumte weiter. »Dann wird sich die Geschichte von dem kleinen und trotzigen Junggesellenhaushalt des Herrn Philosophen Tusch herumsprechen, und alles wird sehen wollen, wie sich der Herr Architekt, der so hübsche Villen baut, das häusliche Behagen selber denkt. Die Frauen werden alle wie ich nach dem Herde und der Küche fragen, und nach Wäscheboden und Keller – – –«

»Keller kommt einer in den Betonunterbau eingesenkt,« unterbrach ich.

»Und,« fuhr sie unbeirrt fort, »und eine Mischung von Widerspruchsgeist, Ärger und Mitleid wird einen sehr fruchtbaren Boden für Herrn Alo bereiten. In manchem Herzen, Alo; das sehe ich schon so kommen! Dieses Häuschen, welches da stehen wird, es wird eine Herausforderung aller Frauenherzen werden. Und dann wird endlich doch eine kommen, eine, die gerade so schön angezogen ist wie ich, – denn darauf gibst du was – und die jünger ist, als ich, und freier, und wunschloser – – –«

»Herrgott,« fuhr sie auf einmal empor: »warum kann ich nicht ein einzigmal in meinem Leben so recht kopf- und besinnungslos lieben! Ich glaube, ich kann überhaupt nicht lieben; ich berechne entweder, – das Maß des Vergnügens, – oder ich spiele!«

»Wie jetzt mit mir,« sagte ich leise.

»Spielen? Wenn ich dir die ganze Leere und Hohlheit meiner unglückseligen Natur entdecke?«

»Doch, denn du weißt, ich kann dir nicht helfen, wenn du selber dir nicht hilfst.«

»Was soll ich aber tun?«

»Dich nie verhandeln! Dich immer verschenken lernen; – ach, was sage ich? Dich nur einmal verschenken, da aber gänzlich.«

»Ich habe mich ein einziges Mal verschenkt, so gut ich konnte; das war an dich. Da kam ein Wurm, der nagte, oder ein Mehltau, der alles grau machte. – – War es meine Schuld, daß auch dieses einzige Mal mißlang? Alo, du glaubst es mir ja nicht, wie ich oft in einsamen und sehnsüchtigen Nächten die alte Zeit zurückrufe, und alles andere mit einem Messer wegschaben und ausradieren möchte. Und dann rufe ich dich oft; nicht mit den Sinnen, Alo; denn dich ruft man besser mit der Seele: Alo, komm!«

Die letzten Worte hatte sie so leise gesagt, daß ich sie nicht gleich verstand, sondern erst grübeln mußte, bis ich auf ihren ganzen Inhalt kam. Aber da war sie auch schon aufgestanden. Es war Mittag vorüber, und sobald die Sonne auch nur ein weniges geneigter schien, hatte sich, in diesen feuchten Tagen um Mitte des Monates Hornung, auch schon der Himmel mit einer leisen Flauheit überzogen, so daß die Sonne wie durch Milchglas schien; das Berauschende einer serenen Durchsichtigkeit, das bislang den Tag sehr schön gemacht hatte, es fehlte nun; genau so, wie meine Freude über ihre Worte zerstreut und trübe war.

»Ein wenig liebst du mich noch?« fragte ich beklommen.

»Ich weiß nicht, es scheint, ich weiß überhaupt nicht, was Liebe ist,« seufzte sie und wandte sich zum Gehen.

Da zog ich etwas fröstelnd meinen Rock wieder an und den Winterrock noch darüber und begleitete sie, übrigens recht schweigsam, bis nach Hause. Dann ging ich und aß zu Mittag, diesmal etwas bedrückt und mau, wie dieser Tag selber geworden war.

Nachmittags vermochte ich nicht mehr zu arbeiten, sondern ich verdünnte mein dunkel gewordenes Blut durch einen raschen Lauf über die Hügel, bis sie sich in Dämmerung verloren, während ich mit Freude bemerkte, daß der Sauerstoff wieder in meinem Blute brauste und all diese dickflüssige Melancholie bald ausgeatmet war. Schon als die Sonne unterging, hatte ich meine Uhr herausgenommen und mich gefreut, wieviel länger der Tag schon war. Es stiegen aber bald überall bekümmerte Nebel aus Wäldern und Wiesen und die brachen Äcker sahen triste aus; da und dort zitterte jedoch schon ein tröstliches Menschenlichtlein aus den Häusern am Saume des nächsten Hügelweges. Ich stellte mir, im Innersten erwärmt, schon vor, wie ich jetzt nach Hause kommen und mir in meiner Zukunftsveranda Reisig und Holz in den Kamin stecken würde, einen ganzen Arm voll, und mit den Lippen machte ich das Losprasseln und Bullern der Flamme nach. Ich setzte dann auch noch die Ladung des großen, grünen Kachelofens im untern Zimmer in Brand. Da aber ein frostiger Ostwind zu gehen begann, blieb ich am Kamin; denn sobald dieser Geselle über den Schornstein hinwegfegte, empörte sich unten aufklagend die Flamme und kämpfte mit den Lüften da draußen. Das war reizend und ich betete sie an …

Da ich aber in meinem bisherigen Zimmer nur ein gewöhnliches Koksöfchen hatte, konnte ich keinen rechten Feuerkultus dort beginnen. Nun: ich wußte Rat und zündete unter dem Teekessel die Weingeistflamme an; sonst ließ ich es dunkel sein im Zimmer. Es war damals die bitterlichste Sparsamkeit, sogar mit dem holden Abendlämpchen, geboten worden, und das tat mir zuerst sehr wehe, bis ich mich entschloß, auch an der tiefen Schummernis meines Zimmers Freude zu empfinden. Von der Straße her gab die einzige Laterne, welche an der gegenüberliegenden Häuserfront brennen durfte, das Bild meines Fensters an Decke und Wand in verklärender Weise wieder, und ich ging auf und ab, indem ich bedachte, wie sehr die Menschen, die armen, vom Gotte verworfenen und ihn gänzlich mißkennenden Menschen, jetzt einen Trost brauchten, um den, in aller Welt, jetzt ich allein völlig sichere Kunde wußte! Zu jeder Stunde bin ich durchdrungen mit der uralten, niemals gestorbenen Naturreligion.

Es war die gleiche, einfache Formel des Herrn Lukas Rabesam: »Sehet, die ersten fünf Tage der Schöpfung führen keinen andern Krieg, als den täglichen, den frohgemuten Kampf ums Dasein!«

Das Herz wuchs mir im Leibe: wirklich; ich konnte alle erlösen, die überhaupt Erlösung verlangten! Und während mein kleiner Teekessel rappelköpfisch zu rumpeln begann, zündete ich feierlich Licht an, sagte: » felice notte«, wie es im heidnischer gebliebenen Süden üblich ist, und nahm mir vor, diese scheinbar unnützen Träume meines Heidentums aufzuschreiben; von dem Augenblicke an, wo das erste Kollern des Feuers, in meinem Öfchen zu Wien, meine zerbrochene Seele wieder ins Leben zurückrief bis auf den Tag, wo ich mir selber völlig klar darüber geworden sein müsse, was den armen, armen Menschen jetzt nottat!

Seitdem gehen diese meine Aufzeichnungen, und ich glaube fest, daß sie aus aller Not zu erlösen vermögen, wer sie mit liebender Innigkeit liest und ihnen nachlebt. Dieses Gefühl, daß ich das Heil zu geben vermag, verleiht mir eine innere Heiterkeit, die mich alle Kriegsnot vergessen läßt und jede Entbehrung in einen Genuß verwandelt. Wenn sie alle klagen, dann leuchtet es in mir auf und ich denke: wartet nur; bald kommt mein Bekenntnis auf!

Gerade von unsern Feinden werden wir erlöst werden! Gerade wegen unserer vernichteten Industrie werden wir aufleben! Ihr müßt nun lernen, das Wunder der Allseele aus eigener Scholle zu locken und eure Geräte werdet ihr oft wieder selber herstellen, so gut es geht. Nähme man euch nur alle Kohle weg; es gehen genug Wasserfälle in den Alpen, um reinere Kräfte an die Arbeit zu bringen, dabei werdet ihr auch nicht frieren. Eines aber wird euch erstehen; die Abwanderung der unholdesten Menge, welche die Erde jemals erdulden mußte; der aus Ruß und Kohle Erzeugten, der Gierigen, der ewigen, zahllosen Neidharte, der ohne Liebe Gezeugten! Stille wird es bei euch werden, aber innig und fromm!

Ah, hätten die Menschen damals von meiner Ententefreundlichkeit gewußt, hätten die Unseligen geahnt, daß ich mit jeder ihrer Niederlagen im stillen einen neuen Sieg der Seele über das Verbrechertum der Erwerbsgier feierte, sie hätten mich gehenkt! Wohl litt ich unter dem Gedanken, wie viele, die einstens meine Verkünder und Jünger werden konnten, da draußen ihr liebes, nachdenkliches Jugendleben gräßlich verloren! Wohl entsetzte ich mich über die wahllose Art des dumpfschaffenden Gottes, zu strafen und zu zerstören! Aber eine unzerbrechliche Zuversicht blieb hinter und über alledem: »Das Reich muß uns doch bleiben!«

Mir ist es das Reich der ersten fünf Schöpfungstage; der ahnenden Natur.

An jenem Tage ging ich viel auf und ab in meinem Zimmer, das ich sofort nach dem erwärmenden Tee, zu dem ich ein wenig harte Wurst mit Maisbrot zerbiß, wieder verdunkelte. Ich wandelte so bis zwölfe und noch später hin und her und entwarf die ersten Gedanken zu meiner frohen Botschaft, meinem Heidentum.

Dies ist das Grundlegende: der Mensch war ehedem nicht geboren zur Massenseele und zum Gemeingenuß; Rabesam hat recht: von der Ameise muß man sich entfernen, sonst stirbt das Gottestum in uns, welches Einfühlen, nicht in den gierigen »Nächsten«, sondern in alles verlangt, aus dem wir geworden sind. Schon deshalb, weil Reh und Wildtaube und Pappel keine Zeitungen haben, in denen sie Zetermordio schreien können, müssen sie uns näherstehen, als jene Brüder Erpresser, von denen ich nur immer wieder sagen kann: geschändet und unwert dieser hellen Erde ist, wer ohne Liebe gezeugt wurde!

Abfluten sollen sie, immer dorthin abwandern, wo gerade das Jammertal der Gier und der Kohle aufgeschlagen ist, bis mit dem letzten Kohlenflöz und den erschöpften Eisenlagern diese Welt abermals stille, besinnlich und beseelt wird, – nach einer fürchterlichen Epoche, welche ihre Höllenzeit war. Sehet ihr denn nicht, daß England und Amerika unsere Seelen retten, indem sie uns die Gier, den Reichtum nehmen? Und damit die wimmelnden Massen, welche von jenen, zum Mord aller Seele, großgezüchtet werden? Die allzu große, die entsetzliche Menge wird uns verlassen, wie ein düsterer Wolkenschatten und anderswohin gehen, wo man ihre Geister rief und wollte.

Wir aber wollen kleine Hütten bauen im Grünen und zusehen, wie die Petersilie wächst und das junge Huhn, und der chthonische Erlöser Erdapfel, und die schlanke Bohne.

Es wird still werden bei uns, still; alle Schreier werden abwandern, – unter fürchterlichen Flüchen auf dieses wieder ergrünende Land. Wir werden, wie man es nennt, verarmen. Und wir werden damit reif werden für alles, was Jesus Christus wußte und was die alten Heiden ahnten: für die Göttlichkeit dieses Lebens.

Sollte aber meine Meinung, daß wir zu einer erst erschreckenden, dann aber beseelenden Armut hinsteuern, unrecht behalten, sollten abermals nach diesem Kriege unzählige Schlote qualmen, unzählige Massen wimmeln und das Gesetz des trost- und seelenlosen Ameisenstaates immer unwiderstehlicher wachsen, dann weiß ich, daß ich eine wunderbar stille und verhaltene Gemeinde gegründet haben werde. Sie wird mitten in dieser verrußten Welt das grüne Gartenparadies suchen, um mein Andenken geschart. Verschwiegen, wie die ersten Christen in ihren Katakomben und in solcher Innigkeit lebend und sterbend, daß mein Ruf zu beatifiziertem Heidentum sie unsterblich machen wird!

Gott helfe mir dazu und helfe den Ärmsten, die jetzt in der Winternacht draußen auf einen stupiden Tod warten müssen, zur rechten Unsterblichkeit ihrer Seelen!


Ich pflanze. – Ich setze Bäume, ehe ich am Hausbau beginnen kann. Ich darf das; denn keine Fuhren von Sand und Kalk und Ziegeln werden mein kleines Besitztum verschütten; draußen beim Zimmermeister wird alles abgepaßt und wird fertig hergeführt, wo man's in dreien Tagen aufstellt. Ich habe hier nichts zu tun, als den steinernen Unterbau aufzubetonieren; das sind wenig Tage Arbeit, sobald die Frostgefahr vorüber sein wird.

Nun denn, ich pflanze Bäume. Und bald werde ich auch säen.

Denn es war zwar schön, als ich zuletzthin meine harte Wurst zusammen mit dem Maisbrote zerkaute und den Tee dazu trank, der bei dem einzigen, kleinen Flämmchen wurde, das in meinem Zimmer flackerte. Es war schön, weil in meinem Herzen die große Seelenzukunft brannte. Es war schön, aber ich will aus Eigenem besser leben. Ich will heiraten, ich will die Natur nicht nur als unerreichbare Geliebte anschwärmen; nein, Bauernhochzeit will ich machen mit ihr, damit kein Mensch, auch ich selber nicht, mir sagen kann, ich wäre ein Träumer, Windbeutel oder Theoretiker.

Ich pflanze nun, hinter meinem Hause und zu dessen Seiten, aber nicht an der Vorderfront, die größeren Bäume; denn das sollen Schattenbäume sein, und mein Haus will ich mit viel Sonne haben. Ich kann ohnedies nur je einen Nußbaum und eine Edelkastanie, die einzigen, wirklich schattengebenden Bäume, die auch edle Frucht tragen, hierher setzen. Nur in die beiden hintern Ecken meines Besitzes gebe ich zwei schöne Linden; sie werden ihren Schatten nur an den heißen Morgen und Abenden um Sommersonnwende auf mein Haus werfen; links und rechts von meinem Hause also stehen nun schöne und schlanke Baumjungfrauen, welche ich mir gestern abend selber vorsorglich aus der Verschulung ausgrub und herbrachte. Die Wurzeln verloren nichts von ihren Fäserchen und nichts von ihrer Feuchtigkeit, denn es war richtiges Baumsetzwetter; nahe an Null zwar, aber sehr feucht und nebelrieselnd. Die Baumgruben hatte ich gestern schon ausgehoben, und mit Hilfe des Gärtners setzte ich heute meine sechs ersten Kinder in den eigenen Grund. Ich gab jedem, was er am liebsten genießt, an Erdmischung mit in seine große Grube; den Edelkastanien Kalkmergel, den Nußbäumen Lehm und den Linden etwas Sand, damit mein schwerer Boden für sie geleichtert werde. Jetzt stehen sie aufrecht an ihren Stützen und wiegen ihre kleinen Kronen im starken Nebelwehen, das leise mit ihnen plaudert und sie willkommen heißt. Jeder meiner Bäume hat wohl an die drei Meter Höhe; ich habe wacker in die Tasche gegriffen, denn sie sollen recht bald schön werden.

Wenn mir nur die Maronenbäume nicht erfrieren; aber mein Grund ist ja gegen die Frostseiten geschützt und steht nur nach Mittag fröhlich offen! Sie werden mir schon bleiben.

Vor meinem Hause lasse ich einen Sandplatz frei. Ich muß ihn lassen, schon damit ich Schotter und Beton herführen kann; später kommen Rosenrabatten her, umgeben von einem Kranze von einjährigen Bauernblumen. Mit diesen lieben und lustigen Dingern will ich überhaupt all meine Gemüsebeete einfassen.

Das feuchte Nebelwetter will ich ausnützen; morgen schon hole ich mir Edelobst; Apfel, Birnen, Pfirsiche, Aprikosen und Pflaumen. Schade, daß die Kirsche im Zwergobst nicht ganz so gut gedeiht wie jene andern. Denn ich darf keine hohen Bäume haben; noch einmal: ich will recht viel Sonne vor meinem Besitztum liegen haben; breite Sonne!

Vor das Zwergobst kommen dann die Gemüsebeete, und ich habe sogar einen kleinen Kartoffelacker heraussparen können; er ist so gering an Ausmaß, daß ich diese Tage, wo ich noch nicht säen kann, dazu verwenden werde, recht viel feinen Sand und Riesel aus dem Bache herbeizukarren, der im nachbarlichen Tale hinquirlt. Die gröberen Steine, die ich dabei gewinne, die kommen in die Wege hinein. Ach, ich muß meine Wege ganz schmal machen; damit ich mir den köstlichen Grund nicht noch mehr verkleinere! Viel mehr als ein Schuhbreit darf ich sie nicht anlegen, so daß gerade ein einzelnes Menschenkind kommode darin gehen kann. Freilich; Lenore wird wieder sagen: »Ah; er kokettiert damit, daß man bei ihm zu zweit nicht wandeln kann!«

Einen kleinen Springbrunnen hätte ich gerne vor der Veranda, aber das ist eine zu große Ausgabe und kostet Wasserzins. Ein Glück, daß die Wasserleitung bis zu mir geht; ein Brunnen hätte noch mehr Kosten verlangt. Ich muß ohnedies einen Auslaß am Hause anbringen, damit ich meine Pflanzungen besprengen kann, und ich vergrabe mich in Sorgen, woher ich den jetzt unaufbringbaren Gummischlauch erhalten soll? Er muß bei meinem Gemüsestreifen, der immer noch dreißig Meter lang ausfallen wird, wohl gute zwölf Meter messen. Denn Gießen kostet viel Zeit.

Das sind nun die ersten Sorgen: es sind liebe Sorgen, aber ich schlafe ihretwegen oft lange Zeit nicht ein und bin auch bei der Arbeit öfter etwas zerstreut. Und alle Morgen gehe ich, vor dem Bauamtsdienst, meine Bäume nachsehen; ob der Nachtfrost ihnen schaden konnte, ob sie schön gerade stehen und ob sie sich bis an den Wurzelhals senken, genau wie es sein muß.

Das Zwergobst steht nun auch bereits und ich habe lange Zeit gekämpft, wem ich mehr Raum geben solle; diesen Freudespendern oder dem jetzt so raren und unentbehrlichen Gemüse. Dann überlegte ich, daß meine Bäume wohl erst in zwei oder drei Jahren erwähnenswert tragen würden, das Gemüse aber sogleich, und da es wertvoller ist, so beschloß ich, gegen die Gärtnerregel, das Gemüse auch zwischen meinen Obstbäumen zu pflanzen. Ich werde ihnen für die ersten Jahre damit Kraft wegnehmen, aber da ich Baumgruben und Gartengrund reichlich düngen werde, so wird der Kräfteverlust nicht zu groß. Ja wer weiß, ob nicht meine Bäume im Kampfe mit den Wurzeln des Gemüses zäher werden und tiefer in den Grund dringen müssen als sonst.

Das kleine Stubenmädchen hilft mir öfter, und da sie jede Entlohnung verweigert, so werde ich nachdenken müssen, welche Freude ich ihr machen könnte. Sie heißt Franzerl und hat ein rechtes Pfirsichfellchen; ganz dunkelblaß und (wenn ich sie zufällig bei der Arbeit berührte, fühlte ich das mit einem leichten Aufschauern) flaumenweich. Gerate ich zufällig näher an sie, dann sieht sie mich immer aus ihren braunen, tierisch schönen Augen groß an. Sie hat eine leise und heitere Stimme und plaudert sehr gerne bei der Arbeit. Ihre Herrschaft ist eine dicke, aber gutmütige Kriegsgewinnerin, Obsthändlerin im Großen, und sieht uns öfter lachend zu. Ich bin ganz gut Freund mit ihr geworden, und ich habe das Gefühl, daß es für die Vorstadtfrau ein Triumph wäre, wenn der Architekt und Studierte die kleine Franzerl heiraten würde.

Natürlich lache ich nur in mich hinein und bin auf der Hut, denn Franzi ist sehr schön. Die Dragoner aus der nahen Kaserne kamen alle Abend vor ihren Gartenzaun; seit sie mich aber immer mit ihr zusammen sehen, haben die meisten ihre Versuche eingestellt und nur die Frechsten kommen noch dann und wann, versuchen auch mich ins Gespräch zu ziehen und entfernen sich verstimmt, wenn sie erfahren, daß ich nicht der erwartete Drückeberger war, sondern sogar bis Flandern gekommen bin. Und, es ist zu dumm: ich bin ein wenig eifersüchtig dabei. Fränzchen hinwieder hat mich noch mit keinem Worte gefragt, wer das schöne und vornehme Fräulein sei, das damals, am letzten sonnigen Feiertage, so lange Zeit neben mir im Garten gesessen hatte.

Ich mag sagen, was ich will; – es geht doch ein ganz kleines, elektrisches Sprühen zwischen uns hin und her. Ja, manchmal kommt es mir nicht vor, als knistere ihre oder meine Haut sehr leise und sträube sich? So, daß sich die Härchen daran aufrichten?

Ich habe es nie geleugnet, daß ich als ein Kind der Sinne gelten muß, obwohl ich darauf gar nicht stolz bin; eher unglücklich darüber. Denn was soll werden, wenn mir die Frauen immer noch gefallen, ich aber nicht mehr ihnen? Schon darum werfe ich mich der Natur so sehr an den Hals und versuche, sie immer tiefer zu lieben; damit etwas in mir bleibe, was das Alter aushält. Und alt will ich werden; so alt, daß ich den Tod nur wie einen schwachen Seufzer der Erleichterung fühle!

Ach, es ist bald Ende Februar, und obwohl es frostig ist, weiß ich dennoch, daß sich der Saft in den Bäumen schon aufwärts dehnt und in meinem Innern das heißer werdende Blut. Ich habe so lange, so lange keine Frauenlippen mehr geküßt!

Franzi hat Zähne, weiß, klein und feuchtschimmernd. Ihre Lippen sind dunkel und voll …


Glaubt ihr aber, daß ich dabei meine Qual wegen Lenore schon vergaß, und daß, weil bald die Mühlenräder sich wieder in den Bächen drehen werden, auch mein Wesen sich wendet? Was wisset ihr von meinen Nächten? Was wisset ihr von dem jähen Schreck, wenn es mir widerfährt, wenn die Braut des Degrassi am Stadtpark oder in der Hauptstraße mir plötzlich vorübergeht, leicht mich anlächelt, in lauter Luxus gehüllt, feine Füßchen vor sich auseinandersetzend, – und vorbei ist das alles?

Dann klemmt sich mir der Atem im Halse.

Das hellblonde Lockengeringel um ein bräunliches Gesicht ist immer noch dasselbe; dieselben sind die kleinen Füße geblieben, von denen ich ehemals die Schuhe ziehen durfte; – aber die Brüste meiner mattbraunen Statuette sind unter dem Keuchen eines andern erschaudert. Vorüber, auf ewig, das!

Und dann, wenn ich so leide und nach Luft und Ausweg ringe, dann hat Fränzchen keine Gewalt über mich! Ich denke ohne Begehren an sie; ich freue mich auf ihr leises und munteres Plaudern und jenes rätselvolle Zusammenströmen zweier leichter Fieberfröste zwischen ihr und mir bleibt aus. Dann bin ich ihr guter Freund und Gartenkamerad und bin froh, daß sie mir hilft.

Wenn aber dann der Dragonerkorporal herüberkam, mit seiner geschickten Friseurschnauze und den schlampig verliebten Augen, dann wurde ich doch wieder eifersüchtig. Und so will ich denn auch vom ersten März erzählen.

Das ist wieder so ein Feiertag in mir; mehr vielleicht noch als Lichtmeß. Der erste des ahnungsreichen Monats! War der Februar diesmal auch noch so erbarmungslos grau und kalt, nun müssen balde die verzückten Amseln stammeln an warmen Abenden!

Laubraschelnde, goldschnäblige, baumspitzenliebende, abendrotsingende ihr! Wieviel näher seid ihr mir, als – – – Denkt denn ihr daran, euch enge zusammenzuschließen zu gemeinsamen Neidlingstaten, ihr Einsamen der klaren Abendwipfel?

Der erste März!

Der Tag war grau, verhalten, wie vor Frösteln in sich zurückgezogen. Dennoch stürmte mein Blut.

Mit dem Wintersonnwendtage hatte die Zuversicht und die Hoffnung begonnen. Mit dem heutigen Tage begann das Leben selber; ein neues, ein anderes.

Daß dieses Frühjahr sich so rauh anlassen würde, wie nur immer unsere ganze, trostlose Zeit, ich hatte es wohl befürchtet und all mein Wesen darauf gestellt, nach innen zu leuchten und zu wärmen. Immer seltener konnte ich in meinem kleinen Garten arbeiten; es froren mir sogar ein paar Stecklinge zu meinen Beerensträuchern ab, die ich nicht tief genug eingeschlagen hatte, und einen Apfelbaum mußte ich auswechseln, weil ich ihn nicht gut genug gegen die Hasen verwahrt hatte; von diesen sonst so traulichen Gästen kam einer zu Nacht und fraß das Bäumchen zuschanden. Das sind so kleine Leiden und Klagen gewesen, aber nun ist ja März; da kann's nicht lange mehr dauern, und während es noch fröstelt und hoffnungslos aussieht, kehre ich in die Tiefen meiner Brust ein und denke an friedliche, holdere Zeiten, bis mir ganz hell und warm zumute ist.

Wie ich diesen ersten März feierte? Nun, ich schlug ihm ein Schnippchen; ein hoffnungsfrohes Frühlingsschnippchen, weil er gar so verfrostet war!

Ich esse in einem ganz kleinen Gasthause am Rande der Stadt; der Wirt ist ebenfalls Gartenliebhaber und ich habe viel bei ihm gelernt. Heute nun nützte ich seine Freundschaft und bestellte mir ein Festtagsessen: lauter Frühlingsahnungen, ja lauter Erfüllungen des Lenzes lagen auf meiner Schüssel, so vegetarisch bescheiden sie aussah. Wisset ihr, was alles?

Es war ein Opfermahl, wie die Alten es hielten, wenn sie die Götter dankbarlich im Genusse alles dessen zu feiern pflegten, was sie gespendet hatten.

Wir holten die Selleris aus dem Keller, und die Schwarzwurzeln, herrliche Wintergemüse; die Schwarzwurzel ist mir lieber als der Spargel, und ein wenig Fett zum Abschmälzen fand sich schon. Unter Fichtenreisig im Garten holten wir die kleinen Frühlingskinder des Rapunzelsalates, und vom Dachzimmer den klappernden Karton mit den Bohnen, die wir beim Feuer zusetzten, mit einem Restchen Speckschwarte, an der beinahe nur mehr Schwarte geblieben war; aber sie gab den Geschmack her, und der ist das beste. Immer sage ich, daß unser Magen sich in seiner Fleischbegier aufs drolligste täuschen läßt; wenn man ihm etwas Saft davon darbringt, wird ihm schon wohlig. Wir beide Männer kochten heute; denn die Frau war über Land gefahren, Eier einhandeln.

Das Feueranmachen ist immer was Köstliches, besonders wenn die verhaßte und stinkende Kohle nicht dabei ist. Wie prächtig rasselt die Holzflamme empor und wie duftet sie. Ich ging eigens, nachdem ich den schwächlichen Luftzug dieses Tages erforscht hatte, nach der Leeseite, wo die schwere Nebelkälte den Rauch am Dache längs herunterdrückte; er roch wie lauter Süden!

In Italien haben sie auch keine Kohle, und der Holzrauch war das köstlichste, was mir von dort in der Erinnerung blieb; alle Kamine atmen Lorbeerduft, und sooft ich den Rauch, besonders von berindetem Reisig, das soviel Ätheröle enthält, einatmen darf, muß ich an den Süden denken, dem ein gutes Teil seiner Antikheit, ja der Wunschlosigkeit seines Volkes und damit seiner Heiterkeit erhalten geblieben ist, weil ein seltsam gütiger Gott ihm die Kohle versagt hat. Noch einmal: die Steinkohle ist die Mutter der Gier; und die durch sie genährte Masse ist das Kind der Gier. Je ferner die Kohle, je näher die Gottheit, die ich meine, die ich anbete und der ich zugehöre.

Darum ist mir der Duft des Holzrauches eine Weihe, eine Andacht und ein Gottesdienst.

Nun saßen wir drei Menschen bei Tische. Die Wirtin hatte sich die Frau eines Nachbarn auf ihre Reise mitgenommen, und dieser war nun für heute Strohwitwer. Da ich ihn kannte, luden wir ihn zu Tische und waren nun eine feiertäglich stille Mittagsgesellschaft von Ähnlichen, so verschieden wir scheinen mochten. Die liebe Erde vereinte uns im Leben schon. Jener war ein abgedankter Arbeiter, der sich Ersparnisse gemacht hatte; eine kleine Baracke in einem Schrebergarten am Rande der Stadt war das letzte, vielleicht aber auch das erste Glück seines ganzen Lebens. Er hatte viel zu erzählen, und ich kann sagen, ich hörte andachtsvoll zu, obwohl es ganz gewöhnlich klang, was er zu berichten hatte: seine Frühkartoffeln hatte er in Kisten gelegt, damit sie eher als sonst ihre Schosse trieben, und in der Karwoche wollte er sie in die Erde vertrauen. Er hatte dann, drei Wochen früher als andere, seine reifen Knollen. Auch von seinen Erbsen erzählte der alte Erfahrene. Schon vor einem Monat hatte er sie in Kisten angesetzt und nun trieben sie schon das zweite und dritte Blättchen, wurden bald ins freie Land versetzt, und Mitte Mai hatte der liebevolle Heger seiner Pflänzchen frische Erbsen, grüne, junge, süße.

Vielleicht verkaufte er sie; aber zu den ersten lud er uns ein.

Er erzählte uns auch, daß der Krieg ihn Vorteile gelehrt habe, die er im Frieden bei der Aussaat nie beachtete; die sparsame Aussaat mit ihrem dünnen Bestande ließ lauter gesunde und starke Pflänzchen erstehen, weil sie, nicht im dichten Gedränge der Konkurrenz, einander schwächten oder erstickten. Und wieder dachte ich: wäre unser Land doch auch nicht so üppig dicht gesät! Wie friedlich und besinnlich ist immer das Leben der wenigen!

Ich sah ein stilleres Deutschland der Gärten, und sah viele ländliche Zeitungen, welche von der Jahreszeit und dem Saatanbau redeten, und wenig mehr von Jachtrennen und Alpenfahrten mit dem Auto, und von dem durch solche Unverschämtheiten mächtig emporlodernden Klassenhaß! Ach, sähet ihr Millionäre uns drei jetzt bei Schwarzwurzeln und Bohnen sitzen! In euch zöge der Frühling ein, wie in uns, während wir langsam und andächtig von diesen lieben Gaben der Gärten genießen! Und während es draußen noch grau und kalt ist, höre ich das leise Krakeln der verliebt werdenden Krähen, welche so wenige Menschen singen zu hören verstehen, in den kahlen Bäumen vor den Fensterchen, und ich weiß, daß sie mit mir ahnen, es werde besser.

Wir sagen uns mehrere Male, wie aufreizend uns heute alles mundet, und zuletzt, in seiner Genießerfreude, kann der Wirt nicht anders und geht in den Keller und holt ein Fläschchen von seinem sündteuren Weine und spendet es uns und sich selber. Es werden keine Reden dabei gehalten, aber ich stehe auf und sage: »Es lebe, was nahe bei der Mutter Erde bleibt!« Und sie verstehen es.

Ich habe versprochen, den alten Arbeiter in seinem Schrebergärtchen zu besuchen; ich freue mich darauf und ich weiß, er wird mir von Nutzen sein, denn er beobachtet alles mit einer Zärtlichkeit, als wollte er sich für seine Liebe, die ein ganzes Lebelang am Schraubstock zurückgepreßt worden war, jetzt, auf seine alten Tage, ein Austoben schaffen.

Nach dem Essen gehen wir zusammen in des Wirtes Garten, und nachher in den meinen, und dann ein wenig über die Hügelhöhen im Osten der Stadt, wo wir einen Nachbarwirt besuchen und Sämereien von ihm kaufen wollen und Setzlinge bestellen.

Da erleben wir etwas Lustiges und Erschreckendes zugleich.

Beim Schlosse Lustbichl sind schöne, hohe Pappeln, die man weitum sieht, und jetzt stehen wir dicht darunter: ich aber fahre zusammen. Denn in der Luft geht es: huiiiiwiuh! Das kenne ich; das ist die mittelschwere Granate; fünfzehn Zentimeter; die heult so.

»Stille,« rufe ich. Die andern sehen mich an und halten ein im Gehen.

»Hört ihr das?«

»Ja,« sagen sie verwundert.

»Aber das ist doch das Jaulen der Granaten; ich kenne es zu gut; es klingt mir noch in meinen Träumen im Ohr, hört ihr es denn!?«

Wir hören es wieder; ich starre irre und verworren in die Höhe, und dann lache ich heraus, schmettere vor Befreitheit aus meinem bänglichen Erinnerungstraum heraus, so daß die beiden andern mich ansehen, als besorgten sie sich sehr über die Kraft des kleinen Schlückchen Weines, das ich zu Mittage getrunken.

Ich aber zeige ihnen, daß dort oben der erste Star sitzt. Hoch oben in der Pappel, dort, der schwarze, schlanke Beistrich!

»Hört ihr ihn? Der macht es; der hat den Schreck verursacht. Vom Isonzo nein, vom Piave ist er gekommen, dort hat er den neuen Ton gehört, mit dem er jetzt erinnernd spielt. Hört ihr es wieder? Er ahmt das Heulen der Granaten nach! Sauberer Frühlingsgruß, Herr Star, hoffentlich der letzte von dieser Art!

Nein, nein; ich war ganz nachdenklich und kopfscheu geworden. Jetzt, da ich endlich gelernt hatte, der Zeitung auszuweichen, jetzt pfiff sogar Meister Star von den Granaten am Piave. Es war kaum mehr vorbeizukommen!

Was hatte ich da draußen gelitten, wie oft mein Leben gänzlich gleichgültig aufgegeben und nur eines erfleht: »Wenn wir schon gelichtet werden sollen, so doch zum dauernden Frieden eines grüngewordenen Landes, nicht eines Friedens, der über Schlackenhalden und Kohlenhügel heraufzieht! Nicht daß ich sterben sollte, ehe ich mein Innerstes herausgerufen hatte, sondern, daß ich nicht wußte, ob außer mir noch einer, nur einer noch im ganzen Deutschland lebe, der die alten Götter in der Seele fühlte, das war mein Jammer! Die Götter der Wintersonnwende, der keimenden Felder, des ersten Waldtaubenrufes; die Götter der Oktoberstürme, des Tierkreises, der Sternenrunden! Wer erschauert denn noch vor der entsetzlich einfachen Mathematik des großen Vernunftlosen? Wer vermag sein Zeitungsgehirn noch demütig zu beugen vor den Instinkten, in denen die Gestirne unfehlbar dahinsausen?

Das war meine Angst: ich könnte der Allerletzte sein, und dann diktiert die Seele jener, welche alle Druckereien in ihre Hände gebracht haben, und welche nie das Aufbrausen der gewitterdurchwühlten Bäume empfanden, noch das Wort Ewigkeit, das tiefe, reiche, mahnende.

Rabesam hat nichts als fortgewollt. Ich will hier bleiben. Ich will es der Menschheit hier einrichten und es ihr heiter und wohnlich machen, wie ehedem. Ah, und wenn ich falle, wer redet an meiner Statt von diesen unverstandenen Dingen?

Darum erschrak ich so sehr als der Star die Granatenweise sang.

Und darum lachte ich dann so sehr, weil ich dennoch am Leben geblieben war, und weil auch der Star da war; wenn er auch schlechte Manieren mitgebracht hatte vom Piave. Die werden sie alle mitbringen; aber Mensch und Star werden sie sich wieder abgewöhnen.

Hauptsache, es war der erste Star in der Steiermark eingetroffen.

Am ersten März, trotz frostiger Luft.

Es ist nur gut, daß ich zwei Zeugen für diese Geschichte habe. Wenn ich sie sonst Lenore erzähle, lacht sie und sagt: » ben trovato«.

Lenore!

Manchmal denke ich an die verzweifelte Anstrengung der Menschheit, seit jeher, eine Göttin zu erfinden, welche vollkommen rein wäre!

Dem unfruchtbaren Monde gab man die Artemis zur Seele, aus der Isis machte man die Madonna und leugnete ihre, in der Bibel mehrmals genannten Kinder kecklich ab, nur um einer einzigen Reinheit, in aller Welt, willen! Gab es denn keine?

Es ist wohl wahr; es gibt Frauen, die werden Mütter, ja es gibt sogar Frauen, die werden Geliebte und sie bleiben rein. Sie ergeben sich dem Manne und haben dennoch nichts mit ihm zu tun. Und so gibt es wieder Dirnen, die niemals erschauern, wenn ein Mann sie berührt. Wie der Mond nicht heiß wird, so bleiben auch sie.

Ich habe viel Großes gesehen; ich habe vieles, aus der Seele, anbeten gelernt. Aber ich habe noch nie ein völlig reines Weib sehen dürfen! Wenn eine dem nahekam, was ich meine, so empfand ich es als Defekt an ihr; es war keine Tugend; es war ein innerer, aber kläglicher Zwang.

Lenore! Sie ist die Sünde in all ihrer Schönheit. Wenn ich heute an sie denke, zu einer Zeit, in der ich weiß, daß der Saft in die Bäume steigt, da wird mir unsinnig zumute vor wildem Aufgrimmen. Ich weiß, daß nicht meine Seele so leidet; meine Spermen singen das stupid schöne Frühlingslied; aber ich leide dennoch, daß ich mich winde vor Qual. Wenn sie wieder und wieder zu mir kommt? Auch als Frau Degrassi? Werde ich? – –

Ach, ich glaube heute, am ersten März, nach all dieser Freude an entstehendem Frühling, an Schwarzwurzeln, abgeschmälzten Bohnen, Rapunzelsalat, Selleriesuppe und Starenankunft, daß ich meine Götter insgesamt dahingeben würde, – für Lenorens Reinheit. Denn nie mehr kann ich zu ihr zurück.

Frühlingsstürme, die in mir beginnen. Wir sind wirklich ein kleiner Kosmos. Ich kann nichts dafür. In mir tobt und leidet es lästerlich.


Der März ging dahin, bis in die Mitte, wie ein Traum auf der Asphodeloswiese; düster, schattenhaft grau. Ohne zu großes Leid, ohne Freude; ich durchgrübelte inzwischen mein Ich und grübelte sogar in währender Arbeit in meinem kleinen Garten. Ich fühlte beinahe eine Wichtigkeit des Zufalls, daß ich vor Granate und Geschoß erhalten geblieben war; denn nirgendwoher hatte ich ähnlich rufen gehört, wie es in mir rief, zur Menschheit, die sich an die verruchte Kohle und an die Gier verlor, die aus ihr steigt. Fühlt ihr es denn nicht? Es ist die Zeit, die ungeheure Zeit, da die christliche Weltanschauung zu Grabe getragen wird. Nichts als Elend bleibt hinter ihr. Ich selber allein bin glockenrein abgestimmt und über alle Bande hinaus glücklich!

Muß ich denn nicht meine frohe Botschaft laut hinausrufen? Bin ich sonst der Gnade wert, die in mir ihren Sitz aufgeschlagen hat?

Alle leiden entsetzlich; alle verarmen, alle sehen damit ihr Leben zerstört. Ich war noch mehr verarmt als sie und in mir wuchs, trotz allen Widerstrebens meiner Sinnennatur, das Geläute meines Glückssonntags. Bin ich wirklich der Letzte und Einzige, der das evangelische Rezept besitzt?

Ist es nicht Anmaßung, so zu denken? Ich prüfe mich, überblicke meine Eitelkeit. Aber begehrte es mich denn je, vor irgendwem irgend etwas zu scheinen?

Sah denn niemand, daß man mich nirgends sah?

Und hört man mich, den die Sehnsucht, selten, zu Menschen treibt, jemals ein Gespräch zu mir selber hinleiten? Im Gegenteil, ich bin immer froh, zuzuhören; im Gefühl, daß ich selber unablenkbar bin. Ich bin schweigsam, schüchtern, und ärgere mich, wenn das Gespräch auf mich hinlenkt. Allen lasse ich gerne ihre Eitelkeiten. Ich selber gehe unberührt fort, – aus ihren ewig veränderlichen Kursaufstellungen. Denn nichts anderes bedeutet mir ihr Gerede.

Nun, und ist das recht? Muß ich denn für mich allein behalten, was selig machen kann?

Noch einmal: ich weiß, daß gerade ich, dem davor graut, etwas bin, was alle eitlen Literaten gar zu gerne sein möchten: – »einzig«.

Das ist aber entsetzlich, und eine Hilflosigkeit ohnegleichen durchdringt dies Bewußtsein. Meine Formel ist einfach: ich habe die Naturnähe und die Instinkte des Urmenschen zugleich mit dem verfeinerten Empfinden des Großstädters. Der Bauer, sogar der Jäger, ist zu sehr Zweckmensch geworden. Schönheit des Lebens (und ohne sie kein Glück) ist aber von allem Zweck entbunden.

Ich sehe mit meinen Instinkten, daß niemals irgendwo Erlösung sein kann ohne dies Rückfinden zum Rauschen des Windes und dem Wehen der Ährenfelder. Ich weiß zum andern, daß bloßes Nutzenleben Stalltiere macht; ob es im Angesicht der Erde oder im Donner der Maschinen gelebt wird. So recke ich verzweifelnde Arme nach dem Arbeiter der Städte aus, und nach dem Bauern; – aber beide wandern den unsäglich verelendeten Weg ihres beschmutzten Jahrhunderts weiter, ohne nach mir umzusehen. Ich werde sterben, ohne die Erlösung gesehen zu haben, außer in mir allein.

Und daß ich diese Zeilen aufschreibe und dieses Buch, es geschieht für die Jugend; den Fertigen dieser ohnemaßen verdorbenen Zeit habe ich nichts zu sagen.

Sie, in deren wunde und wehe Seelen, inmitten dieser aufgerissenen und sich selber anklagenden Zeit, der Balsam meiner tiefen Heiterkeit sinken wird, sie werden später, einer nach dem andern, zaghaft versuchen, meine Wege zu gehn. Denn nur tastend können diese Wege gegangen werden; niemals »programmgemäß und mutig«. Es ist zu weit: von heute bis zu jenen tanneduftenden Herdfeuern um die keltische, um die slawische, um die alemannische Sonnenwende herum! Das aramäische Christentum kam dazwischen, rasch zur Formel gebildet, – mehr als anderthalb Jahrtausend lang. Mein Heidentum kann nie geformelt werden; durchfühlt muß es werden, oder es lebt nie mehr wieder in allen, das Unsterbliche des Einsamen!

Dieses mein Buch wird an meiner Zeit vorüberflattern, verachtet angesehen als ein verdorrtes Blatt aus dem Vorjahre; aber irgendein Junger wird schon jetzt gerührt auf sein vergilbtes Rascheln horchen und ihm sinnend nachblicken; dann wird er erkennen, daß dies Blatt nicht verlierbar ist, sondern daß es heimkehrt. Und er wird seinem Faltertanze folgen in den alt-arischen Wald hinein … ein klein wenig zaghaft und nicht weiter, als die Kirchenglocken klingen. Der junge Heide künftiger Tage aber wird bis in die Tiefen uralter Götterhorte dringen.

Der Weg dahin führt nicht auf den Wegen der Ästheten! Ausrufe ich es, daß nur jener das volle Recht am Leben hat und damit an den Göttern, welcher der Erde oder der Natur selber durch Arbeit sein Teil abgewinnt; vor allem der Jäger, der Gärtner und der Bauer; aber auch der Erschließer ihrer Kräfte durch andere Arbeit; etwa sogar der Elektriker. Ihr habt den Bauern früher dermaßen bedrückt, daß er sein Leben jetzt nicht mehr frei zu führen vermag; gleichwie ihr den Juden entheimatet habet, so daß er die holde Neigung zu seinen alten Mythen verlor. Und hinwiederum habet ihr, durch diese beiden, eure alten Götter verloren.

Sie aber sind noch da. Aus jeder keimenden Pflanze, aus jedem Rinnsal reichen sie euch ihre ewig wesentlichen Hände und rufen euch an.


Nun gehabt sich auch der Märze als März. Ich grüble nicht mehr. Mein Blut braust; es klingt wie eine ferne Orgel, wenn ich in mich hineinhorche. Wirklich; ferne ist mein Blut mir selber. Ich aber erzittere, wie die Erdrinde, wenn ihre Tiefen toben und leiden.

Die Wälder erbrausen; die Vorjahrsblätter tanzen, mänadenhaft: Evoe singen sogar die Toten. Staub, der erste Staub wirbelt auf der Landstraße. Sind nicht alle guten Geister in seinen Kringeln und Wirbeln? Dort, hundert Schritte vor mir, gespenstet solch ein graues Luftgewinde; es sieht aus wie der Andromedanebel, unterhält sich mit sich selbst, flieht gegen mich zu. Aber wie ich es, köstlich lachend, fangen will, umgibt mich nichts als koboldhaft fauchender Staub. Aus der Ferne war es lustvoll schön zu sehen, ein Schönheitsgebilde des in sich selber ringenden Frühlings! Und Staub ist es nur; aber der erste Märzenstaub.

Irgend etwas ist rhythmisch in mir und tanzt. Meine Schritte werden von selber so, daß ich an einen Hahn denken muß, oder an einen werbenden Sperling; ich lache mich selber aus und bin dennoch froh, daß dieses gesträubte Formungsgefühl in mich hineinfuhr. Ah, machtvoll fuhr es in mich.

Ich denke an Lore und könnte schreien wie ein Tier in den Waldnächten.

All das bin ja ich, was jetzt fassungslose Laute in die lauen Schauer ruft: es sind die Abende, wo der Kauz heult: uuuuh, uuuu, u u; andere Worte hat er nicht, aber mich durchfahren sie wie Götteranruf. Dieser Ruf durchdrang die Heidenseelen zu Odins, Belobogs und Jovis Zeiten und rief ihnen zu: rüstet Kränze und spannt die Arme, euch zu umfahen; es geht der Liebe entgegen!

Kräfte sind los; Kräfte, denn die Birke rinnt vor Saft. Ganz rötlich und violett sind ihre langen Haare; es ist zum Heulen, wie rührend schön sie ist.

Bei Tage höre ich die Ringeltaube aus den Wäldern, und manchmal sogar die Aussterbende der großen, alten Bäume, die Hohltaube: gruo, gruo, gruo, – ouoo, sagt sie, aus ganz unerreichbar scheinender Ferne. Ich aber gehe ihr nach, bis ich sie sehe. Wahrhaftig; da steht noch ein uralter Baum, und sie hat darin ein Loch gefunden, um ihr Nest hineinzuvertrauen.

Dann höre ich wieder den Ringeltauben zu, die noch viel schöner rufen: wuhuu, hu, huhu! Sogar die kleine, sandfarbene Turtel ist schon zu hören, und alle Spechte! Manchmal erknarrt etwas im Walde, als riebe sich im Winde ein horntrockener Ast an einem andern. Aber es ist der kleine Kleiber, der mit der rasenden Geschwindigkeit eines Newschen Hammers auf einem dürren Wipfelaste tremoliert, damit ihn sein Weibchen höre und bewundere. Ich kenne sie alle; ich bin wie sie; ich bin gewonnen und verloren zugleich, ich bin goldgrüne Wiese über und über. Ich bin befreiter Bach und Wind; ich bin leichtsinnig, und leide, daß es zum Därmezerren kommt!

Meine Magengrube oder die Stelle darüber hat es besonders mit mir; ich weiß nicht, was für ein Organ dahinter steckt, aber wenn mich das volle Siechtum hoffnungsloser Liebe überfällt, dann ist diese verwünschte Stelle auf einmal nichts als Nerv und hat so reißend wehe Liebesklagen, daß keines Menschen und keines Gottes Wort sie leidvoll genug zu übersetzen wüßte; sie kann's immer besser.

Lore! Und das Mädel heiratet jetzt; sogar zu ihrer Hochzeit will sie mich haben! Ich verschließe das Toben in meinem Herzen und sage: »Nein, Lore.« Ich weiß es ganz gut, ich könnte (ja ich soll) ihr Hausfreund werden. Menschenkinder, die ihr je ein hingegebenes Mädchen völlig für euch allein hattet: die ihr um dies unerhörte Glück wußtet! Gebt ihr mir recht, daß ich lieber stürbe, als jene Geheimnisse wieder zu küssen, die zwischen damals und jetzt – – von anderen – – ich rede gar nicht darüber weiter. Es zerrt mir alles, was ich im Leibe fühle, heraus! Nie mehr kann ich sie berühren, und der süßeste Mädchenkörper der Erde ist mir in diesen Tagen, wo die Wolken selber verliebt sind und einander nachlaufen, zum Grauen!

Es gibt unermeßlich viele Menschen, die suchen irgendeine.

Es gibt wenige, die suchen die einzige.

Das Weib, das wählen will, muß sich besinnen, welcher Art von Männern sie gehören will. Denn niemals wird einer von meiner Art das Grauen und den Ekel überwinden können, das ein angetasteter Leib ihm verursacht. Solch ein Weib nimmt man vielleicht (wie man eine Dirne nimmt); nie aber schenkt man sich selber ihr.

Und so könnte ich – und mag nicht. Und so lacht und schreit und tost es in meinem Blute und im Walde, und ich verbrenne bei lebendem Leibe vor Weh.

Um meinem Blute, das so sehr rauscht, zu tun zu geben, arbeite ich an meinem Hause. Ich selber stampfte den Beton zum Unterbau zwischen die Bretterverschalungen und mische außenhin große Steine darunter, die ich dann sehen lassen will; denn Steine sind immer schön. Die Leute kommen und wundern sich, daß da mitten im Elend einer hofft; sie bleiben stehen, und ich sehe, daß manche sich freuen. Die Mädchen lachen mich alle an; wirklich. Ein Mann, der jetzt an ein Haus denkt, der ist etwas für sie! Ich aber schaffe, daß mir die Hände am Abend zittern und ich kaum mehr zu essen vermag vor Müdigkeit.

Beim Zimmermeister in der Au steht mein Haus. Es wird jetzt auf Wagen geladen, und ein Ochse und ein armes Kühlein ziehen mir Balken, Pfosten und Bretter herzu; alle gelegentlichen Tage etwas, weil die Fuhren sonst zu teuer kämen. Und die kleineren Bestandteile zerre ich selber auf einem Handwagen herzu; an Sonntagen und nach Feierabend, so wie ich ehedem mein Brennholz selber brachte.

Jetzt lachen mich die Leute noch aus und sind sehr elegant. Bald wird niemand mehr leben dürfen, als wer arbeiten kann, wie ein Handwerker in Akkord, – oder wie ich. Recht so!

Wenn dieses kleine Gebäude steht, dann ist es zu gutem Teil meiner beiden Hände Werk, wie in uralten Heidenzeiten, wo auch ein König Odysseus selber an seinem Palaste baute. Und so soll es sein. Jämmerling, wer sich davor fürchtet, daß das wiederkommen könnte auf Erden!

Wie heißt es: Kriegstage sind? Nein. Für mich sind die Tage des Buschwindröschens.

Wenn ich mich gar zu glücklich fühle, um zu arbeiten, dann gehe ich in den Wald, an dem kleinen Bach entlang. Sobald die niederpressende Degrassikolonie am Bachwege vorüber ist, sobald die Wäscherinnenhütten kommen, da wird der Bach er selber. Seine Kiesel sind dottergelb und rund wie große Dukaten; es ist ein völliger Goldbach, und wenn diese Kiesel naß sind, dann leuchten sie unbändig. Links und rechts ein aufreizend grüner Grassaum, soweit ihn das Wasser benetzt; – das ist so ein rechter Osterbach! Weidenkätzchen bilden sich über ihm und Kresse schießt saftig an seinen Säumen empor. Ja; Osterbach, ich nenne ihn gar nicht mehr anders; sogar ein Hasenpaar ohrfeigte sich gestern an seinen Ufern, weil ihr die Liebe des Männe gar zu gewaltig schien. Er aber rannte ihr besinnungslos nach, holte sie ein, hoppste auf, aber gleich überschlug sie sich, und er bekam blitzgeschwind drei Maulschellenpaare, daß die Wolle stob. Dann ging die Liebesjagd weiter, in die graugelbe Graslehne hinein, über die letzten Schneeflecke hin zur jung erknospenden Pappel, zur bräutlich roten Birke, und hui, über den andern Hang hinweg, – Osterbach.

Weiter ursprungwärts tritt der ernste Vater Wald an das Goldkieselwasser. In den stiller stehenden Tümpeln spiegeln sich die Fichten, und eine Weile überlege ich: bleibe ich bei den leuchtenden Kieseln, bei den edelsteingrünen Grassäumen dieses lieben Bachkindes? Oder gehe ich bergwärts? Da kommt aber aus den Bäumen das tiefe und leise Orgelbrausen des warmen Windes; ich muß unbedingt hinauf.

Und siehe, da wimmelt's von weißen Buschwindröschen und auch von den gelben Anemonen.

Ich stehe erschauernd stille. Wovon lebt ihr Menschen denn? Allein vom Brote? Ich esse gern; aber bei jedem Bissen denke ich daran, von woher er kam. Ich habe das Ährenfeld und den Nußbaum und die Gärtnerbeete im beglückten Sinn, sooft mich deren Kinder nähren. Das ist meine Art von Gebet; das ist mein Heidentum. Ich empfinde die Natur, die mich erstehen ließ, bis ins letzte.

Dort geht – ein Mensch: seine Augen gieren in der Zeitung umher! Gibt es das? Lachen denn nicht alle Teufel darüber, daß jetzt eine Milliarde von Menschenaugen auf dieses vollgelogene Papier starrt, als käme aus ihm das Heil? Ich schaue auf die Buschwindröschen, die noch schöner und zarter sind als ihr Name; und der schon ist ein ganzes Lied.

Haß und Händel, Händel und Haß.

Und hier stehen unsere lebendigen Vorfahren, die Bäume; groß, aus der Erde trinkend, schweigsam und göttlich. Der Abend liebkost mit letzter Röte die wundervoll geschlungenen, goldrot und kupferleuchtenden Rotföhrenäste und wiegt sie. Von ihnen läuft es immer mehr ins Dunkle und Violette herunter. Farbe neben Farbe. Und aus der Tiefe leuchten wie lichteste Schwefelblüte die Palmenkätzchen. Ganz hinten im Walde gesteht ein Singdrosselmännchen in stoßweisen Sätzen seine ganze Verrücktheit.

Es ist wahnsinnig verliebt.

Und draußen morden sich die Menschen um Weltherrschaft. Wer hat die Weltherrschaft?

Ich. Hier.

Ich stehe, ich trinke mit Augen und Ohren und mit der Nase und mit dem Munde diese Dämmerungen, diese reißend süßen Klänge, dieses Seidelbastes schwüle Erotik, diese Laulichkeit der Lüfte. Ozon und Tannenkraft gehen in mich ein, und meine Muskeln spannen sich. Ich bin unbändig jung. Ich brauche unbändig wenig einen Kaiser, einen Vorgesetzten, eine Behörde, einen Freund, – eine Gesellschaft von Gierlingen! Ich bin allein und bin alles auf Erden, weil ich die Urmutter liebe und ihr gehöre.

Ach, daß ich nach einem entronnenen Mädchenkörper leide, das ist mein Eigensinn und meine Schuld. Heute hat Lore geheiratet. Sie soll hinreißend unschuldig ausgesehen haben, umschimmert von zartesten Myrten.

Haha!

Ob sie jene Schnur kleiner Schreie auch für heute übrig hat? Sie ist mir was Physiologisches geworden, das schöne, junge Weib; Seele hat sie für mich keine mehr. Die Lore, nach der ich leide, die war einstmals, da sie mir allein gehörte, und, wie wir beide glaubten, auch für immer.

Es ist dunkel geworden und der Kauz beginnt schauerlich schön zu heulen. Ach, die verliebte Bande, bei Tag und Nacht! Gott sei Dank, daß ich so müde bin, so müde! Gesegnet die Arbeit der Hände; sie schafft das gierige Glühen des Blutes abseits. Ich werde Lores Hochzeitsnacht tief und fest verschlafen, wenn ich von der Berghöhe heimkomme, auf der ich mich heute noch müder rennen will, als mein Bau- und Gartenhandwerk mich schon gemacht hat.

Ich atme noch schnell und tief. Aber man muß dahin kommen, langsam und tief zu atmen; das macht weise.


Während mein Häuschen aufgestellt wurde, habe ich, immer den Blick auf das einfache Werk meines Zimmermannes, im Garten gesät. Mit viel Andacht ist es geschehen, denn das ist eigentlich der Hochzeitstag des Menschen mit der Natur. Der häckerlingartige Same der Schwarzwurzel hat mich an jenen ersten Märztag erinnert, wo ich, mit einem zufriedenen alten Arbeiter zusammen, die ersten Grüße des Frühlings genoß; die Petersilie, die ich streute, läßt mich ihren mir so trauten Duft schon jetzt ahnen, und Zwiebeln und Möhren sind mindestens brav und notwendig. Dann kamen Erbsen, Spinat und Salat dran, und bald gehe ich zu Dill und Majoran, zu Kohl, Blumenkohl und Weißkraut. Dann, in der Karwoche, beginnt das feierliche Kartoffellegen. Diese fremde Knolle hat in den Augen unserer Bauern etwas von chthonischer Göttlichkeit bekommen und sich ihrem Naturmythus völlig eingegliedert. Weil der Herr, welcher das Brot zum Sinnbild seines Leibes machte, in jenen ahnungsreichen Tagen in die dunkle Tiefe hinabgesenkt wurde, tut es der Bauer mit seinen Kartoffeln nicht anders. Wenn wir ja den Krieg gewännen, dann hat der Engländer Drake den Sieg errungen, – den ich so wenig wünsche.

Leben wollen wir bloß, aber einfach, vertieft und innig leben; Gott bewahre uns vor Hingabe zwecks Kaiserherrlichkeiten von schwarzweißer Farbe! Es ist überhaupt eine Lüge, daß das Schicksal des einzelnen nichts bedeute gegenüber dem Schicksal seines Volkes. Mehr als die Lebenden schützen kann kein Staatsmann, und das sogenannte Genie Oxenstiernas, Cromwells, Richelieus, Metternichs und Bismarcks hat deren Völker später jedesmal ungeheure Racheopfer gekostet! Mich geht's nichts an, wo die dort oben weiter hinaus wollen! Mir ist anheimgelegt, die Seele zu trösten, zu vertiefen und ein stilles Lächeln der Unsterblichkeit über dies ganze, irdisch scheinende Leben zu breiten.

Meine Dachsparren stehen jetzt als ein lustiges Gerippe über meinem Häuschen aufgerichtet. Die alten, müden Zimmerleute und der halbe Krüppel, die zusammen das kleine Werk erbauen halfen, haben Fähnchen aufgesteckt, und ich gab ihnen zum Feste des Giebelschlusses einen guten Wein, den ich mit ihnen teilte, bei ihnen sitzend. All ihre Sorgen kenne ich, alles bereden sie vor mir; sogar ihren Haß gegen alles Herrentum. Ihnen bin ich kein Herr, sie fühlen es. Ich habe auch bei den rohesten Gesellen immer noch etwas wie eine feine, beinahe ritterliche Empfindung für echtes Menschentum gefunden. Ich bin Arbeiter wie sie. Ich grabe die Seele aus.

Unsere längst verlorene Seele! Da stehe ich und schaffe, einsam und verlacht, an ihr, während dort, von woher ich komme, immer noch das große Rachegebrüll einer halben Milliarde Seelenloser gegeneinander donnert! Einer halben Milliarde Seelenloser! So weit ist die Erde.

Was kann ich Besseres tun, als eine Hütte und meinen Kohl bauen und auf zwei Dinge warten, die ich mit gleicher Liebe wachsen weiß: auf meine grünen Pflänzchen und auf eine neue Jugend, welche dies mein Buch in zarten, beinahe wunden Herzen empfangen wird, um mit ihm emporzuwachsen. So habe ich einen Samen, den ich sehe und erlebe, und einen andern, den ich unwiderstehlich keimen weiß, obwohl ich niemals die stille leuchtenden Augen der vielen Tausende sehen werde, die, getränkt mit meinen Empfindungen, in diese Welt hineingehen werden! Zwei Saaten weiß ich mir; die zeitliche, – die ewige: kann irgendein Mensch glücklicher sein?

Eines freilich möchte ich erleben; den ersten Juden, dem, vor meiner trauernden Liebe für sein seelisch enterbtes Volk, unsere alte Jäger- und Bauernseele aufginge, so daß er staunend verstände, was ehedem auch sein war.

Wird das jemals geschehen?

Kommt er, so erlöst er Jude und Christ; kommt er nicht, sind beide verloren.

Inzwischen lebe ich mein kleines Leben mit seinen Nichtigkeiten weiter – und mit seinen Sünden, die so wonnig sind.

Franzerl!

Sie kommt, des Abends, öfter durch den Zaun zu mir herübergeschlüpft, um staunend die Hände zusammenzuschlagen über das, was so sehr fertig in meinem Kopfe, ihr aber so unverständlich gewesen war und jetzt klar überdacht dasteht. Mein Gärtchen und meine Hütte. Man kann innen schon ins Dachgeschoß hinaufsteigen, und oben fehlen nur die eingebauten Schränke, die noch beim Schreiner sind, und es fehlen die drei Öfen. Aber vom Balkon schaute sie mit mir, lange und gelinde, in den Frühlingsabend hinaus, dessen rosenblasse Wolken aufrührerisch dahinzogen und dessen ferne Berge tiefviolett sind, weil die blaue Luftferne jetzt vor einer Überzahl gedrängter, roter Buchenknospen hingeschummert steht. »Das gibt also Violett,« sagte sie und nickte.

Unten im Herrgottswinkel steht schon die Eckbank mit dem klotzigen Tisch davor: allem habe ich den seidenweichen Naturholzton belassen; roh, wie es sich für arme Leute dieser armen Zeit gehört. Dort nähte sie mir einen Knopf an den Rock; er war mir beim Arbeiten abgesprungen, und ich stand, in meinen Hemdärmeln, dampfend daneben, wie sie so recht lieblich und still vor sich hinstichelte und fädelte.

Sie war schön.

Und weil wir gänzlich allein und versperrt waren vor der andern Welt, und weil Frühling war und Abend, da schoß es diesmal stärker zwischen uns herüber und hinüber; – jenes, was in der Kehle würgt – und unsagbar ist.

Mir war die Stimme rauh, als ich endlich einen Ton herausbrachte, und zu ihr (wegen jenes kecken Dragoners, der jetzt mehr und mehr bei ihr mausig tat) zu reden begann.

»Franzerl,« sagte ich; »werfen Sie sich nicht weg. Sie können viel bessere und reichere und liebevollere Männer erringen, als solche, über die Sie zufällig gerade jetzt nachdenklich sind!«

Sie ließ das Nähzeug fahren und legte ihre großen braunen Augen zu mir empor, unendlich sanft. Und hinhorchend sah sie mich von unten her an.

»Franzerl,« fuhr ich fort: »Denn Sie haben ja gar keine Ahnung, was für eine grenzenlose Macht Sie über alle Männer haben –«

Da legte sie den schönen, kleinen Kopf noch weiter zurück, als gäbe sie sich hin, und rührte sich gar nicht mehr. Aber ihre tierhaften und dunkel schwimmenden Augen sogen erwartungsvoll an mir. Gerade unter mir, zu mir emporgerichtet. Sie werden sich augenblicklich schließen, wenn ich aus meinem Zittern zu ihr herniederstürze, und sie, wie ein einfallendes Haus, unter den Trümmern meiner Besonnenheit bedecke. – –

Ich wußte, die Stunde des jungen Weibes war da; – ich rührte mich nicht. Der Abend dämmerte tiefer, und immer tiefer schienen ihre großen, braunen Augen zu dämmern. Zuletzt, als ich immer noch schwieg (denn ich konnte ja keinen Ton mehr hervorbringen vor Erregung), zuletzt schien es, als schwämmen diese dunkel-erotischen Weiher in Tränen.

Da straffte ich mich zurück und sagte, weiß Gott warum: »Jetzt werden Sie gleich gerufen werden, Franzerl.«

Und da erschrak sie und rief: »Mein Gott, ja,« lief fort, – und das war nun aus.


Franzerl ist nicht mehr zu mir herübergekommen. Auch dann nicht, als das erste Feuer im Kamin brannte und ich sie sehr herbeigesehnt habe. Ihre nächste, weiche, schwimmende Frühlingsabendstunde nahm sich der schöne Dragonerkorporal her. Und, – ich füge es beim Durchlesen dieser Zeilen hinzu – sie ging bald, mit einem Kinde unterm Herzen und einem Köpfchen voll bitterer Gedanken, von ihrer Herrschaft fort. Die gute Schleichhändlerin, ebenfalls sehr verbittert, nahm das häßlichste und älteste Putzlappenwesen des Weltalls in ihre Dienste, damit »so etwas« nie wieder bei ihr vorkäme, und meine Aussicht vom Zaun oder Balkon ist nur mehr schön, wenn meine Augen den fernen Bergzügen und den noch sehnlicheren Wolken nachwandern.


Richtig; jener Abend, der von den zurückgelegten schwimmenden Mädchenaugen und der verpaßten Stunde erzählt, er war der des ersten April gewesen. Ich feiere doch alle Naturfeste würdig.

Ja. es ist April.

Meine Kartoffeln ruhen in der Erde, sogar meine Buschbohnen; ich habe Wasser, um meine Bäume zu tränken, ich lege Fallen für die Obstmaden, die jetzt, mit freundlicherem Getier, ebenfalls zutage kommen, und mein Haus ist beinahe fertig. Am Ostersonntag ist die halbe Stadt herausgepilgert, um sich die Wildwestbude zu besehen, und jeden Tag kommen Neugierige. Ich muß den Menschen viel Anlaß zu Gerede gegeben haben; die Unseligen staunen mich an, wie einen halbverrückten Robinson, weil ich, der »Gebildete«, alles mit eigenen Händen arbeite, wie Urväterbrauch war, und weil ich mir selber meine Hütte mit dem einfachen Bienenhausdach mitzimmern half. Dieses Dach ist ihnen gar nicht recht und sie vergleichen es mit einem wenig schmeichelhaften Gebäude, das hinter Landwirtshäusern zu stehen pflegt.

Jener Ostersonntag! Sonst rannte ich an solchen Tagen immer hinaus, bis dort, wo die Hügelhöhen am offensten, die Fernen am weitesten und die Wälder am schweigsamsten waren. Diesmal blieb ich zu Hause, einen kleinen Spaziergang an meinem lieben Goldkieselbächlein ausgenommen. Ich saß oben, im Freien, aber durch das Geländer meines holzverschalten Balkons gedeckt, sah in die Fernen, hörte das Staunen und Schwatzen und Kritisieren der Leute unten, und wenn es sich ein wenig verlief, dann las ich in meinem Faust weiter. Nicht in Goethes Faust, sondern im wunderbaren, alten Puppenspiele, das zum Schlusse alles übertrifft, was der Titan zu schaffen vermochte: mit seinem, grauenhaft aus grotesker Komik und Todesangst gemischten Ende, wo Kasperle als Nachtwächter eben jene Stunden singend ausruft, um deren zwölfte der vor Angst und Reue zerrissene Faust dem Teufel in die Krallen fällt.

Solcher Tiefen, solcher Mahnungen war ehedem unser Volk, bis zum entferntesten Bäuerlein, voll: was hat es jetzt!?

Mit all seinen Zeitungen? Und Kinos?

Und wer schreibt ihm noch solchen Mahnruf? Und wer bereitet dem Mahner jenen Widerhall von damals? Jetzt, wo alles Tiefste augenblicklich in Schweigen versenkt wird, während die geile Lüge in betäubendem Papageiengeschwätz emporgetragen wird.

Ah, da saß ich unter dem giebellosen Dache in meiner Hütte, die alles war, was ich von dieser Welt wollte, und das Herz brannte mir um mein zu Tode gefopptes Volk, an jenem Ostertage.

»Christ ist erstanden«, sang es noch in den längst gestorbenen Kirchen vor ein paar Hunderten. Aber unten zogen in grellen Scharen die zehntausende lebendig Toter vorbei, um irgendeinen Zipfel Vergnügen zu erhaschen, weil der Sinn »Freude« ihnen ewiglich verloren ging. Und ich feierte die erste Besitzergreifung meines Stückchens Erde und meines Hauses mit bitterlicher Angst um die niemals zu Bescheidenden.

»Selig, wer sich vor der Welt ohne Haß verschließt?« Ja. – Ich liebe die Welt; wie kann ich nach eigensüchtiger Besitzermanier dort oben, auf meinem Balkon, lehnen und zusehen, wie jene Entseelten in immer ungeheureren Massen dahinwimmeln! Vor hundert Jahren waren in deutschen Landen keine dreißig Millionen, und es waren noch säuberlich nachsinnende Menschen. Jetzt richtet mehr als die doppelte Zahl, ein unwiderstehliches Gewimmel, leere Augen auf ein jämmerlich vollgelogenes Papier des jämmerlichen Tages und erwartet dort (glaubt ihr es am Ende nicht?), dort ihr Heil.

Aus ist es in den Seelen, aus. O ihr jung Heranwachsenden, hegt ihr in eurer Schar einen Erlöser von der ungeheuren Kraft, die durch Wort und Beispiel all jenes Papier versengte?

Das war mein Ostersonntag. Denn am Karfreitag legte ich bloß Kartoffeln, wie ein Bauer; gebückt, sorglich und müde, aber, freilich, »mit Gefühl«.


Und jetzt habe ich einen neuen Gast. Einen schüchternen, kleinen Gast, der es mit großen und schweigenden Augen verfolgt, wenn ich ihm die keimenden Spitzchen der kleinen Pflanzen zeige, die ich ausgesät habe.

Aus meiner Erde bricht der Gott hervor; ich aber lege ihn wieder in eines Kindes Seele.

Dieses arme, wunderschöne Kind, mit einer Wohlerzogenheit und Bravheit, daß einem bange werden könnte um die Menschen, welche es dermaßen einzuschüchtern vermochten, daß es sich kaum getraut, einen eigenen, ganz kleinen Vogellaut von sich zu geben! Stiefkind, armes Stiefkind! Lores Stiefkind dazu!

Die kleine Ruth Degrassi ist sechs Jahre alt, und ich zittere für dieses, in sich verkrochene, kleine Menschenherz, daß es schon diesen Herbst die fürchterlichen Erfahrungen der Schulkameradschaft eingehämmert erhalten wird; Erfahrungen, welche jedem göttlich stillen und ahnenden Menschen die erste Erkenntnis dämmern lassen, daß er unter einem bösartigen Raubaffengeschlechte zu leben haben wird, – fortan, bis zum Grabe.

Vier Jahre war sie, als ihre stille und schöne Mutter sterben mußte, und das Kind sieht genau so aus, als sänne es immer noch über Muttern und jenes verdüsterte Land nach, in welches Mutter gegangen.

Ihre dunkeln Augen fragen immer, wie hilflose Engel, welche man etwa in eine Kommunistenhorde hineingestoßen hätte. Immer schweigend, ahnend, scheu und in ergreifender Angst. Daß Ruth Degrassi mir zugeht, das ist das größte Ehrenzeichen, welches mir verliehen werden konnte.

Lore war bei mir vorübergekommen; sie hatte das Kind, das ihr auf eine angenehme und ungefährliche Weise zugefallen war, wie eine Puppe hingenommen und, in ihrem Sinn, reizend ausstaffiert. Sie führte es überall umher, weil ihr das gut stand und weil die Leute über die entzückende Stiefmutter so sehr gerührt waren. Als sie aber einmal bei mir vorüberkam und Lore sagte: »Sieh da; Ruth. Da ist der Herr, der lebt ganz allein; er hat sich diesen Garten selber gepflanzt und dieses kleine Haus selber erbaut,« da wollte das seltsam verschwiegene, kleine Wesen, das sich kaum je einen Wunsch zu äußern getraute, mit einer verschüchterten Bewegung zu mir herein. Lore kam sehr gerne zu mir, denn sie hatte mein Haus noch nicht gesehen; da sie aber ganz in der Nähe einen Besuch versprochen hatte und weiter mußte, und da Ruth sie mit einem geängstigten Blick ansah, weil sie so sehr ungern Putzbesuche machen ging, da ließ Lore das kleine Seelchen für die Viertelstunde bei mir. Ruth blieb, mit einem Gesichtchen, als wäre ihr dabei etwas leichter zumute geworden.

Ich hatte im Garten zu tun und nahm sie zu meinen Obstbäumen. Diese trieben allerliebste Schosse; ja sogar einige Blütenknospen verkündeten, daß in den überpflanzten Geschöpfen etwas Kraft geblieben war. Ich mußte sie nun vor Wurmfraß schützen und zeigte Ruth die großen Raupennester des Goldafters und die kleinen des Baumweißlings, die in Schleierknäueln aus zusammengesponnenen, dürren Blättern überwintert hatten. Sorgsam schnitt ich sie ab und löste dabei auch von einigen Ästchen die mehrfachen Perlschnüre des Ringelspinners, dessen zierliche Eieranlage ich Ruth zeigte.

»Was ist da drinnen?« fragte sie, so leise, daß ich sie kaum verstand.

»Das sind Eierchen; lauter Eierchen, in denen kleine Raupen schlafen.«

»Bitte, können Sie sie nicht schlafen lassen?«

»Nein; denn siehst du, Ruth, sie würden, wenn sie aufwachten, meinen ganzen, grünen Garten zerfressen und bald würde alles hier sehr traurig aussehen. Da; hier sind auch die Eier des Schwammspinners; diese braunen Schwämmchen am Zaune. Auch sie müssen wir jetzt fortschaffen. Ich habe nämlich diesen Winter beinahe gar keinen Besuch von den kleinen Meisen in meinem Garten gehabt, weil er noch neu ist und weil sie ihn noch nicht kennen. Heuer werden sie aber bestimmt, in die Nistkästchen da, überall einziehen. Und im Winter werden sie es sein, welche mir meine Bäume reinlich absuchen. Aber trage doch diese Raupennester zu meinen Hühnern; warte, ich will sie dir vorstellen.«

Und ich ging mit ihr zu meinem Ställchen, wo die vier Glucken lange Hälse durch das Gitter machten. »Das ist hier Brünetterl; die mit dem Schopf ist das Marquiserl und die weiße heißt Suse.«

»Warum heißen sie so?«

»Die Marquise hat eine hohe Frisur; so, wie in alten Zeiten alle adligen Damen getragen haben, und sie ist sehr stolz und zierlich. Und Suserl? Hörst du, wie sie leise piepst und lockt? Su su su su su? Darum heißt sie so. Sie will sich bei uns einschmeicheln, damit sie alle Raupennester allein kriegt.«

Ruth lachte beinahe unmerklich; aber sie sah mich jetzt sehr viel vertrauensvoller an und nahm die Raupennester und fütterte die Hühner damit. Als diese einander neidisch nachliefen, lachte sie schon heller.

Indessen kam Lore von ihrem Besuch zurück, und demütig fügte sich das rätselhaft schöne Kind an ihre Hand. »Wie gefällt dir die Kleine?« fragte sie.

»Ich habe sie schon lieb,« sagte ich. Ruth sah mich, schnell aufblickend, an.

»Sie ist gar zu scheu.«

»Das ist, sie ahnt ihre Tiefen. Mach' sie mir nicht oberflächlich, du, Lore!«

»Das heißt also, sie soll nicht werden wie ich,« sagte die schöne Frau leise.

»Das heißt, sie soll werden wie die Frau, welche ich immer noch anbete. Also das, was vielleicht du warst. Denn was du bist, das haben die Welt und – und die andern aus dir gemacht.«

Lore stand eine Weile still; dann warf sie den Kopf empor. »Zeig' uns dein Haus,« sagte sie. »Es ist ein wenig frostig heraußen.«

Da führte ich sie durch meinen großen Vorraum, der aus lauter Glas und Licht bestand; meine Veranda, in deren Ecke der grünverkachelte Kamin stand.

»Warte,« sagte ich; »es wird gleich behaglich sein.« Und ich nahm von dem Holze, das ich zierlich neben jenem Heim des Feuers geschichtet hatte, legte es auf den eisernen Ständer und zündete unter.

»Was ist das für ein Wappen, das im Hintergrunde des Kaminloches eingelassen ist?« fragte Lore.

»Das ist eine alte eiserne Kaminplatte, mit dem Wappen der Augsburger Welser, die mir mein Onkel geschenkt hatte, damit ich, beim Feuer, an ihn und an mein Blut denken sollte.«

»Will er dich immer noch an Kindes Statt annehmen?«

»Ja; eben schrieb er mir, daß er eine Riesenspekulation in Baugründen eingegangen sei, und gleich nach Friedensschluß wolle er Kriegerheime bauen. Ich soll das alles übernehmen.«

»Wirst du?«

»Nein. Ich baue an was anderem.«

»O?«

»An der eingerissenen und verschütteten deutschen Seele. Aber laß das jetzt. Ruth, rück' da zum Feuer her. Hörst du, wie es kracht? Es freut sich, daß es wild und schön sein darf. Das Feuer jauchzt; weißt du warum? Weil es lebt.«

Ruth dehnte sich (ein wenig wohlig wie es schien), und ich brachte ihr Honig und gab Lore ein Gläschen Wein.

»Der Hausherr,« sagte sie und erhob das Glas gegen mich. »Der einsame Hausherr!«

»Ich werde fortan Ruth als Hausfrau betrachten,« sagte ich lächelnd. Und wieder schaute das kleine Mädchen jähe auf und band meine Augen mit ihrem anfragenden Kinderblick.

Dann zeigte ich ihnen die untere Stube mit dem großen Kachelofen, der ebenfalls grün war und eine behagliche Ofenbank und einen Herrgottswinkel hatte, und führte sie in mein einziges, oberes Zimmer unter dem Bienenhausdeckel, der Dach hieß, und auf dessen Balkon, wo Lore die kleine Ruth gleich zu einer Gastrolle in dem anonymen Raume einlud, welcher daran stieß. Dann wurde mein Schreibtischwinkel bewundert, von dem aus die Berge des Westens zu sehen waren, und zuletzt standen wir alle drei auf dem Balkon und versanken in fernhinziehendes Schauen.

Eine Freude gab es noch, als die kleine Ruth unter den Dachbalken, die den Balkon beschützten, ein Rotschwanznest entdeckte.

»Das ist hübsch; gleich zu Anbeginn kommen die Tiere zu dir!« rief Lore. »Das Häuschen steht noch keinen Monat.«

»Es ist Brutzeit, es ist Südseite, es ist Ruhe hier,« sagte ich. Aber ich freute mich doch, bis zum Aberglauben, jener Gäste.

Dann setzten wir uns unten noch einmal an das Kaminfeuer und warteten, bis im verknisterten Holze die Feuerwürmchen umherliefen. Ruth hatte noch nie ein offenes Feuer gesehen, und es ergriff sie geradeso wie mich selber. Als sie dann gegangen waren, da war zum erstenmal eine Leere hinter ihnen, welche nahe ans Trostlose grenzte. Ich setzte mich an mein erloschenes Feuer und schaute in die Asche; verarmt kam ich mir vor.


Zur Entschädigung hatte ich später die Freude, daß mir der Ausspruch der kleinen Ruth hintertragen wurde: »Das ist das schönste Haus auf der ganzen Welt,« hatte die kleine Ruth gesagt. Mir quoll das Herz vor Freude.

»Das ist das schönste Haus auf der ganzen Welt.«

Kleine Ruth, könntest du hier aufwachsen!

Mir ist wunderlich zumute; so durcheinandergemischt, daß ich vor süßer Geschwächtheit weinen möchte, wenn ich das nur könnte. Ich fühle, wie allein ich bin. Ich weiß, daß ich ja doch niemand auf Erden finden kann, mit dem ich diese Einsamkeit teilen mag. Ich bin von Lore gegen einen Tennisspieler und Beau und Reiter, und dann gegen einen dicken Industriellen vertauscht worden – und von Franzerl gegen einen Dragoner mit Friseurmanieren. In zehn Jahren wird die kleine Ruth mich gegen einen Leutnant eintauschen. Überall stehe ich und schaue den andern nach, und mag dennoch nicht mit ihnen gehen. Es ist gut, daß ich auch den Wolken nachschauen kann. Die Flieger gehen mit ihnen und haben sie nicht. Ich habe sie. Dort, wo die Berge blauen, da ist schon eine andere Sprache und ein anderes Volk, das beinahe keine Arbeitermassen kennt, das Mais und Wein baut, und dann kommt das italisch blaue Meer. Aber alles ist abgesperrt; der Mensch darf nicht mehr zum Menschen.

Und die Sehnsucht zerpreßt mir die Brust. Aber gerade das ist wunderschön.

Ich habe mir mein Stückchen trocken Brot mit auf den Balkon genommen; die Henne Suse hat mir ein Ei dazu gelegt, die zärtliche Suse, die schneeweiße. Ich werde ihnen einen bildschönen Hahn kaufen, meinen Damen; eben sitzt die vierte, die hellgelbe Raunzerl, auf dem Stroh und strengt sich für mich an. Sie sollen an den Mann gebracht werden; sie sollen den Frühling vollkommen erleben! Sie verdienen es um mich.


Und heute war ich der Frau Lore und ihrem Mann, nein; – heute war ich der kleinen Ruth meinen Gegenbesuch machen.

Da hat sich was Sonderbares ereignet. Ruth hat mich an der Hand genommen und mich, ohne ein Wort, an ihr Bettchen geführt. Sie sagte nichts, aber sie sah mich an, ob ich auch wohl alles bemerkte. Und wirklich erschaute ich an der Wand das Bild einer Frau; ein Bild, so schön, daß es mir in die Seele schnitt.

Ruth verfolgte meinen Blick und schwieg zufrieden.

»Ist das deine Mama gewesen,« fragte ich halblaut, damit die im Nebenzimmer nicht herüberkämen.

»Mama, ja,« sagte Ruth; noch leiser, als ich gefragt hatte.

Dann schwiegen wir beide. Ich sah das kleine, auf Elfenbein photographierte und dann gemalte Bild an und Ruth sah mich an. Wir beide mußten erst herausgerufen werden und wir kamen nur ungern und zögernd zu den andern.

Was ist das jetzt nur? Was ist das nur? Bin ich in Frau Ruth, nach der ihr Kindchen benannt wurde, verliebt? Hat mich Neigung zu einer Toten erfaßt?

Lore mußte mir von Frau Degrassi erzählen, sogar Degrassi selber mußte es tun, obwohl es mir zu gleicher Zeit unangenehm ist. Denn er erzählt allzuviel und allzu Intimes. Ich muß aber zuhören, als dürsteten meine Ohren.


Was ist mit mir geschehen? Hat mich Liebe erfaßt zu einer Toten?

Oder bin ich schon so sehr einsam geworden durch das Krähengezücht der Lebenden und ihr anwiderndes Treiben, daß ich nur mehr das zu wünschen vermag, was nicht mehr lebt?

Lore hat mir zu erzählen begonnen; daß Frau Ruth immer still und scheu gewesen wäre, ebenso wie jetzt die Kleine, welche sie von ihr überkommen hatte. Den Degrassi hatte sie geheiratet, um ihre armen alten Eltern vor Hunger und Sorge zu schützen; die waren ein pensionierter Landschullehrer und eine kranke Frau. Seine Liebe habe sie erduldet, wie eine Märtyrerin; mit heiteren Mienen, aber den Tod im Herzen. Alle Verführer von Beruf hatten sich um diese Frau beworben, welche dahinging, wie aus einer besseren Ferne gekommen; »wie eine Ahnung von dem, was alles die Frau sein könnte, wenn sie aus sich selber entstünde und nicht aus den Wünschen des Mannes,« sagte Lore ungefähr.

Sie hatte niemals Liebe erwidert. An ihrem sanften und gütigen Wesen (auch gegen jene, die sie durch ihre Gier erniedrigen wollten) versanken selbst alte Wüstlinge in Sehnsucht. Ganz aus sich war sie geworden, und blieb ganz in sich.

Das alles sagte Lore; nicht alles mit den Worten, welche ich hier gebrauche, aber sie bemerkte beim Sprechen mehr und mehr, daß ich mir ihre Berichte in solche Sprache übersetzte, und ihre Augen wurden groß, bis sie mitten in ihren Berichten abbrach; sie war verstimmt, sie hatte mich geahnt.

Degrassi beschrieb sie mir, nach seiner derben und schmutzigen Weise, beinahe gar nicht ihrer Seele nach. Nur daß ihre Ehe an seiner Tat, den traumhaftesten Garten der Stadt (die Wonne aller Philosophen, Studenten und Verliebten) der Gemeinde zu rauben, und seine Irrenhäuser der Geldgier hinzubauen, beinahe den Tod erlitten hätte, »wenn er nicht so geduldig mit ihr gewesen wäre;« – das berichtete er.

Seit jener Zeit war sie völlig vereinsamt neben ihm, ohne daß sie ein Wort über ihre Fremdheit sagte.

»Aber sonst: diese Schönheit! Mindestens ebenbürtig mit meiner jetzigen reizenden Frau! Kein Bildhauer hat noch ein Modell gesehen wie sie; zierlich, austrainiert in allen Gliedmaßen, die Haut glänzend, wie eine braune Perle (und die haben ja das meiste Feuer!); Zähne, Haar, alles vollkommen!

»Die Kerle von der Statthalterei, dann die Viererdragoner, die Herren Aristos, alle haben sie mir wegnehmen wollen: sie ist mir treu geblieben bis in den Tod!«

»Sie ist wohl sich selber treu geblieben,« sagte ich trübe.

»Haarspalterei; den Profit davon hab' ich gehabt. Aber: was ich Ihnen sage; ich habe die Lore nur genommen, weil ich, als Kenner, schon vorigen Sommer, aus jeder Falte ihrer Bluse (und übrigens auch beim Baden) gesehen habe, daß sie der Ruth nicht nachsteht. Sie glauben nicht, wie selten ein vollkommener Mädchenkörper ist! Ich hab' genug gezahlt, – bloß fürs Anschauen! Diese Weiber halten sich alle für schön, sogar die dicksten, weil irgendein Mannsbild bei ihrem Anblick glasige Augen kriegt! Mich könnt' eine hervorstehende Kniescheibe allein degoutieren, bis zum Nichtkönnen; – Sie verstehen? Na, also: bin ich ein Kenner oder nicht? Versteh' ich was von Schönheit? Und hab' ich nicht gerade Sie ausbaldowert, weil Sie auch wissen, was schön ist? Sie werden mir den neuen Jakominiplatz ausbauen, daß die Leute den dummen botanischen Garten vergessen sollen! Hab' ich mich nicht immer weiter, zum Schönen, empor entwickelt? Wie sehen die Häuser auf dem botanischen Grund aus und wie dann schon die in der Blumenstraße; was? Und jetzt hab' ich Sie! Da kommt mir keiner mehr nach. Tusch, ich schätze Sie. Ich hoffe, Sie bleiben mir treu.«

»Ja,« sagte ich; »mindestens so, wie Frau Ruth treu war.«

»Bravo, junger Mann; Sie werden mich erkenntlich finden!«

Aus solchen Quellen mußte ich mir das Bild der wundervollsten Frau, welche (so sehr begehrt und dennoch beinahe unbemerkt in ihrem Besten) über die Erde gegangen war, zurückbauen. Denn die kleine Ruth wußte wenig anderes von ihrer Mama, als das eine Wort: »sie war so lieb!«

Aber das kleine Mädchen, das sonderbare kleine Mädchen brachte mir eines Tages, als Lore wieder Besuch in die Nachbarschaft machen ging, ein Bild von ihr. Sie wußte, sie schenkte mir etwas damit.


Nun aber dampft die Erde im Ausbruch des Maien und ich träume von dem, was nie sein kann. – – –

Nie?

Daß ich es nur niederschreibe: Schuld an dieser Verwirrung meiner Sinne ist ein Traum. Frau Ruth war bei mir, – zu Nacht, gleich nachdem ich ihr Bild gesehen hatte und man mir über sie erzählt.

Dieser Traum war so rätselhaft rein und dennoch voll rinnender Schwäche, die durch all meine Glieder ging, so goldklar und doch giftsüß, daß ich jetzt noch dicht ummantelt bin von seinem gefährlichen Halbschatten. Die seltene Frau stand nämlich neben mir, an Lores Stelle, auf meinem Balkon; die kleine Ruth war mit uns, und wir sahen die geliebten Wolken an, wie damals, als Ruth bei mir zum ersten Male auf Besuch war. Dann aber kletterte das Kind zum Rotkehlchenneste empor, ohne daß wir für sie etwas fürchteten; und auch die Rotkehlchen flogen ab und zu und ließen sie, ganz knapp, in ihr Nest gucken.

Die fremde Frau, die mir aber näher und vertrauter schien, als ich Lore damals empfunden hatte, fing mit einer leisen und lieblichen Stimme ein gefährlich süßes, altes Lied zu summen an. Sie brach sogleich ab, schwieg. Und in diesem Schweigen neigte sie, sehr langsam und kaum zu bemerken, ihr Haupt immer näher an meine Schulter. Ich zitterte, daß sie es bemerken könnte, wie sie mir immer näher kam, und hielt in einer Liebesangst ohnemaßen stille, bis ihr schöner Kopf wirklich an meinem Arme lehnte. Das ging mir dermaßen durch Mark und Nerven, daß ich zu ersticken vermeinte und erwachte.

Aber der Traum blieb bei mir; auch am Tage ließ er mich nicht mehr los, und heute noch umweht mich sein Märzveilchenduft, keusch und schwül zugleich.

Was soll ich viel dagegen ankämpfen? Soll ich meine angeborne Skeptik noch unterstützen, die mir hundertmal von selber sagt, daß dieser Traum das Produkt langer Zurückgehaltenheit, des Frühlings und meiner allzu raffiniert ausgebauten Bedingungen für jenes Weib sei, das allein ich lieben könnte?

Genug, er wurde vom nahenden Mai und von meinem Blute gedichtet.

Ich frage nur immer: war er denn nicht? Und was unterscheidet seine Wirklichkeit von der, ebenso jämmerlich zerstiebenden, des andern Lebens?

Und dann: empfand ich denn sonst jemals im Leben jenes tödlich schamvolle Herunterrinnen aller Sehnsuchtskräfte in meinen Gliedern, wie damals? Damals, als die verdämmerte Frau ihr Haupt gegen meine Schultern sinken ließ? Gab Lore mir in ehemaligen Stunden auch nur ein Teil von so gefährlicher Seelenverströmung, durchs Körperliche hindurch?

Und was ist Leben und Traum und was ist Tod? Habe denn ich nicht beinahe mehr Todessehnsucht, nicht mehr Lebensangst, als Erhaltungsgier? Trotz meines lauten Verkündens, daß Herr Rabesam unrecht behält? Denn nur dieses mein verunglücktes Leben, das schauerlich verziert ist durch die Judastat des Freundes und durch die Hingabe meiner Geliebten an einen andern, und durch die entsetzlichen Erkenntnisse dieses Krieges, nur diesen, dumm ausgeworfenen Köder des großen, dumpfen Zeugers verachte ich. Das Leben selber? Ich juble ihm entgegen; ich erfasse und küsse es, auch wo es mordet! Ich bin bloß darin nicht einig mit den klugen Herrn Medizinern, daß ich ihm nicht die Vernunft als Krone aufzusetzen weiß, sondern das Unbewußte.

Seligkeit kann gar nicht dumm genug sein!

Das ist das Geheimnis dessen, was wir göttlich nennen. Einen Baum, ein Kind empfinden wir als göttlich. – Nun?


Mai ist auf Erden.

Tromben von Blütenstaub wehen über die Wiesen. Tromben von Blütenduft gehen mit, Liebeslieder der Pflanzen sind es.

Es summt im Sonnenscheine, myriadenhaft erweckt. Es tanzt; es jagt sich, taumelt vor Seligkeit und haßt und tötet sich. Leben! Alle Götter, ihr sündhaft schönen! Immer kommt ihr wieder; aber niemand fühlt euch; nur ich.

Wird denn von euch Andern nicht selbst der Weihrauch in den Kirchen empfunden, wie ein schwüler Reiz, der aus Frauenkleidern atmet? Er war schon vor Christo gebräuchlich. Zu Ostern; da brach der farbenstrahlende Umzug aus den Kirchen heraus; ist das nicht ein Geständnis? sie konnten das jubelnde Leben nicht mehr in sich fassen; heraus mußten sie ans wonneschauernde Licht, die christlichen Symbole alle. Sonst erstickten sie ja.

Jeder Umzug: zu Auferstehung, zur Fronleichnam, und sommers, über die Felder hin, er ist ein altes Heidengeständnis, ein Ausbruch der Götter. Wann werden sie wieder gelebt werden, diese meine Götter? Diese, meine Götter!

Mai ist ausgebrochen. Vor den weißen Marienstatuen, die, mit farbigen Bändern und Schleifen belebt, im Grünen stehen, unter den Kastanien, die schamlos draufhin blühen und zeugen, da knien die Mädchen, und es brennt in ihnen. Maria rufen sie und meinen die aufknospende magna mater!

Ich gehe durch unsern Park; ich gehe bei den Klöstern an den Weingärten vorüber in den Wald. Alles dampft empor in wahnwitziger Triebhaftigkeit, und so erstickend stürzt die Täuschung auch über mich selber dahin, daß ich mich recke, daß ich um mich schaue; daß ich glaube, sogar für mich, dem alle Untreue des Lebens aufging, wäre noch etwas vorbehalten; was: etwas? Überviel! Mein Glück wartet nur noch auf mich, so ist mir zumute. Ich lasse es geschehen und sinke lachend in mich hinein, lachend vor Sälde, weil ich weiß, daß ich töricht bin und daß ich es so gerne bin.

Der Flieder blüht, schwer hängend, wie hinsinkende Frauenglieder; phallisch ragt das Gedränge der Kastanienkerzen aus den Blätterornaten nach allen Seiten frech auseinander.

Das Gras sträubt sich vor Wonne und Geilheit; die Wiesenblumen zerplatzen, so brünstig pressen die Brüste ihrer bestäubten Narbenkörbchen all die holde Verkleidung beiseite, wie es ihre Zierblütenblätter nun doch bloß sind. Sie verstellen sich gar nicht, die Margaretlein; sie wollen Mütter heißen. Und da sagt ihr, die alten Götter wären gestorben? Fühlt ihr sie nicht überall drängen, die, ehedem, jauchzend Angebeteten des Lebens?

Heidnisch, heidnisch, erschauernd heidnisch ist das!

Und ich, der viel zuviel ersehnt, und der darum gar nichts hat, ich bin zermalmt vor Liebe!

Was wollt ihr mit euren historischen Göttern? Sie sind tot, sogar Antinous ist tot. So ewig symbolisch er gefühlt sein mochte, er ist nicht lebendiger, als die seinerzeit in die Sterne versetzten Cäsaren Julius und Augustus. Aber Adonis und die perlweiße Aphrodite, aber die abseits schweigende Persephoneia, aber der erschauernde Wind- und Regengott, aber Pan und Dionysos, sie leben und sie jubeln in allen Adern eures eigenen Blutes!

Heute noch wie nur je: fühlet sie nur!


Kann ich denn, neben solchen Überschüssen, von meinem armen kleinen Garten erzählen, der mir genau so unwesentlich vorkommt, wie mein eigenes, dürftig angelegtes Sein, an jene Ausbrüche wilden Lebensjubels gehalten, wie sie rund um mich los sind?

Im April blühten ein paar zärtlich schüchterne Pfirsiche, Aprikosen, Kirschen; und jetzt ist Apfelblüte bei mir. Ein paar Dutzend Erstlingsversuche, die ich, ihrer Waisenhaftigkeit halber, schone.

Vielleicht aber (so denke ich, indem ich durch diese rauschenden Geschehnisse dahingehe), vielleicht tragen wir beide noch übervoll, gebeugt unter Schatten und lachender Frucht. Wir beide: die Bäume und ich. Lasset nur die Zeit machen.

Denn ich will ein sehr langes Leben haben. Ich will uralt werden und dabei jung bleiben. Darum bin ich mäßig; darum ward mir schon, von Natur her, die Scheu vor allem Verprassen der Kräfte eingesenkt. Sicherlich soll ich steinalt werden, da ich mich zwar vor Sehnsucht verzehre, aber nicht im Sinnenbrand verbrauche.

Alt wie ein Stein auf der Heide: und dann auch ebenso träumend. Wie schön so ein Stein liegt und lebt. Ich habe sie oft beneidet.

Heuschrecken surren um ihn, Lerchen überjubeln ihn, die Wolken gehen ihm, wie ersehnte und nie erreichte Liebe, hochoberst hinweg; die Wachtel schlägt so nahe, daß er auf das helle »Pickwickwick« jenes schnarchend leise »Quaarrah« hört, das kaum der Landwirt kennt und wenige Jäger. Alle Geheimnisse weiß er und träumt, als der ewig Überlebende der Wiese. So alt will ich werden; so will ich alt werden.

Darum traure ich auch, über alles Maß, diesem April nach. Beinahe habe ich ihn verloren: denn das Fertigstellen meines Hauses ließ mich nur selten zu jenen Wundern hinaus, die gerade in ihm und im Märzen am liebschaurigsten verwühlt sind. Es gab Regen in hellem Sonnenschein; es gab, zu Beginn, den Zug der Waldschnepfen, die ich auf einem hohen und feuchten Bergschlage sich verfolgend stechen und eifersüchteln sah. Und wenn die Wolken niedrig und rasch zogen, so rannte ich auf die freien Höhenstraßen; denn dann wußte ich, daß dort Wind losgefahren kam. In meiner Heimat ist es unten windstill; das köstliche Aufbrausen des Äolos geht nur über die freien Höhenwege dahin; unten ruht die Stadt, wie in den Kalmen des stillen Ozeans. Sturm ist da nur vor Gewittern, oder in jenen seltenen und übermäßig köstlichen Zeiten, wo der Süden mit dem Norden kämpfen muß. Im Februar und im November also.

So habe ich einen April zu beklagen; werde ich denn einen zweiten erleben, ich, – der ich so alt werden will und vielleicht bald wieder ins Feld hinaus müssen und fallen könnte?

Sollte man nicht jede Lebensstunde in Angst und qualvoller Liebe küssen, wie das geliebte Mädchen, von dem man fort ins Ungewisse muß?

Wird mir denn je wieder das Wunder eines April?

Ich stehe auf meinem Balkon und ersehne ihn zurück. Aber der schwellende, sinnentolle Mai ist losgelassen; ich kann nichts als lächelnd und entsagend zurücksinken und ihm meine Seele ergeben wie ein Weib, das noch zuwarten wollte, das aber vom Ungestüm des Geliebten überrumpelt ward.

Nur wenn die Nächte still sind und ich nicht schlafen kann in meiner schönen fichteduftenden Holzstube, dann baue ich mir die blaublassen Fernen des April in meiner Einbildungskraft wieder auf, die ich verloren und verscherzt habe, als Zoll und Steuer für dieses entzückende Häuschen, das all meine Landsleute eben wegen seiner Kriegsbescheidenheit toll macht. Diese Guten halten mich mindestens für so glücklich, wie Diogenes in seiner Tonne. Ach, sie wissen nicht, daß ich einen April verloren habe! Und selig, wer es weiß, daß das viel mehr bedeutet, als verlorenes Hab und Gut. Ihm werden die fürchterlichen Zeiten, die ich kommen ahne, nichts anhaben. Denn ihm bleiben die Tiere, die Wiesen, die Bäume, die Ferne, die Wolken, die Jahreszeiten, das Allgefühl; – die sieben Sehnlichkeiten!

Ich baue in den Nächten an meiner verlorenen Zeit. Ich weiß, daß dort, über jener Höhe, wo ich die Buschwindröschen zum ersten Male blühen fand, ein Kruzifix unter windzerbogenen Rotföhren an der Wegkreuzung steht; hoch, einsam und frei. Ein Bild, wie hingestellt für jene innigen Maler vor hundert Jahren, deren gefärbelte Steinzeichnungen mir lieber sind, als alles, was heute gekleckst wird. Welche italisch belichtete Sehnsucht! Welche Liebe für die Formung, die durch Licht und Schatten entsteht; was für ein Aufblühen, im Sonnenschein solcher Landschaften von Raffalt oder Gauermann! Ich habe sie an meinen Wänden, und zu ihnen male ich das Bildchen des ländlichen Kruzifixes, auf der Höhe des Landstraßenzuges, der über den Berg nach Ungarn geht.

Wenn es unten stille ist, dort oben saust und pfeift es in den wunderschönen Bronzeästen der Goldföhren. Dann fliegen die Wildenten über den Berg und suchen sich nixenstille Wässer; dann huscht der verliebte Dämmervogel am Waldrande entlang; dann zieht der Hase von Holze zu Feld, dann weben die Urahnungen von Süden nach Norden, von Norden nach Süden über meine geliebte, stillgewordene Höhe, auf der allein der Sturm das Wort hat, in den Ästen meiner sausenden Föhren.

Der auseinandergereckte Heiland der Entsagung (zu dem ihn harte Menschen gemacht haben), er steht in all diesem heidnischen Treiben gar nicht so versagend da. Er war ja immer bei den Ähren des Feldes, bei den Rebstöcken und Feigenbäumen. Er achtete des Spatzen, der aus dem Neste fiel, und wußte das Schicksal jedes Samenkornes aus liebevollem Anschauen.

Gottes Kreuz: am Ende war auch er ein Heide wie ich!?

Ist denn mein Reich von dieser Welt, die auch er mit Stricken ausjagen wollte? Der Welt der Wechsler, der Händler und der Schätzesammler? Bin nicht ich selber unglücklich über einen verlorenen Lebensmonat, bloß weil ich mich, mit einer Hütte, an jene Schätze band, die uns genommen werden können?

Meinte auch er vielleicht nur jenes einzige Reich, das wahrhaftig selig macht? Das, in dem wir alle versinken, uns wieder erneuern und in dem wir nur dann das Gefühl haben können: »Abba, Vater, Vater,« wenn weder Tod noch Armut uns dieses kindliche Schoßgefühl nehmen können: wir sind immer bei ihm und immer geborgen?

Ich habe ein gewaltiges Wissen, daß der entsagende Christus niemals dem entsagte, was auch ich liebe, und daß mein Geheimnis das seine ist: – und daß wir allbeide Heiden sind. Nur daß er das Leid ertrug, guthieß und wollte – –; ich kann es nicht.


So sehr aber der Mai brünstig dampft, so heiß ich lebe und emporflamme, – eines denke ich dennoch immer: wozu lebe ich?

Für diese meine Aufzeichnungen? Dann lebe ich nur zu meinem Vergnügen, und es ist nicht mein Verdienst, daß die andern sich später an mir erquicken werden. Vielleicht ist aber alles Geschenk, und nichts Verdienst!

Nun. Es stehen über meinem Schreibtische zwei ewige Sätze:

Der eine heißt: »Dies über allem: sei dir selber treu!«

Der andere: »Was nicht wert ist, daß man dafür sterbe, es ist auch nicht wert, dafür zu leben.«

Nach dem einen lebe ich, so gut es gehen will. Sterben werde ich gerne, wenn es einmal sein muß, denn ich liebe den großen Komposthaufen, der Tod heißt und auf dem, augenblicklich wieder, die dicksten Kürbisse golden erblühen!

Aber bloß leben, um zu leben?

Ich bin doch ein wenig nachdenklich, und ich meine, daß ich dieses Rätsel noch nicht gelöst habe. Immer sehe ich diesen Spruch eines Russen an, der mir dermaßen zu Herzen ging, daß ich ihn über meinen Arbeitstisch erhöhte, damit ich zu ihm emporreifte. Jene erste Forderung habe ich erfüllt. Die andere steht noch aus.

Lebe ich denn bloß darum, damit ich der erste bin, der es frei zu sagen wagt: weg mit dem alten Judengesetz, daß es wimmeln soll von Kindern?!

Ein Kind zu zeugen, freilich; es ist ein Verbrechen heute, wenn nicht innigste, opferbereiteste Liebe es wollte und weiterpflegen will – und kann!

Ein Kind zu zeugen ist Mord in dieser entsetzlichen Zeit; ist fluchwürdig, ist tierisch dumm, ist verächtlich und ist ein schamloser Konkurrentengriff in das wenige, was jene Ärmsten noch haben, die jetzt schon kaum zu leben vermögen!

Nur das Opfer des eigenen Selbst, das Hingeben alles dessen, was wir für uns selber wollten, kann dies freche Unterfangen, dies schamlose Tiersein zum Sakramente erheben. Fort mit der stupiden Brunst, die nicht an die Qualen des ärmsten Entstehenden denkt! Fort ins Zuchthaus mit ihr, oder zur Schande!

Erst dann, wenn wir wenige, aus Liebe Erstandene sind, wird es möglich sein, diese verwüstete Erde zu einer heitern Gartenbrüderschaft zu ordnen, wie ich sie träume. Ach, so beseligend träume.

Dafür möchte ich wohl sterben: daß das Gesetz würde!

Wie aber verstärke ich meine Stimme bis zum Donnerlaut, der über alle Welt hingeht und der dies, mein herausgeblutetes Wort, in alle Herzen bohrt?

Ich sitze hier in stiller Schönheit; ich freue mich der Spitzlein meiner Gemüse und des kecken Gerankes meiner jungen Erbsen. Ich weiß genau, was einzig Erlösung bringen kann – und weiß nicht, wie ich diese Schalmei Gottes blasen soll!

»Blutzeugenschaft«, sagt die Geschichte.

Mein Herz ist skeptisch und wehrt sich; lächelt auch wohl, denn es kann sich nicht vorstellen, wie?


Und inzwischen wühlt der Mai in meinem jungen Blute.

Manchmal ist jetzt, wenn ich zu Nacht schlafen möchte und nicht kann, in meinen eigenen Ohren ein Phänomen, als donnerten Lawinen in meinem Inneren herunter, und ich selber bin wie ein Hochgebirge im Föhn. So sehr bin ich schon gewöhnt, alles als mich selber und mich selber als alles zu empfinden. Wenn es in schwülen Nächten in mir hämmert und sich dehnt, so weiß ich, daß Lava in meinem Innern ist; ich erbebe vor dem Gedanken eines Ausbruches.

Kann denn der sterben, der so inniglich weiß, daß er alles ist? Und daß alles er selber ist?

Mein gesegneter Meister, Lukas Rabesam, wie nahe sind du und ich (und jener Höchstgepriesene) uns doch im Innersten! Nur, daß jener litt und starb, um seines Rufes willen an die Seele.

Gestern schrieb ich, daß ich hundert Jahre alt werden möchte. Heut' ist es mir eine Verwirrung, daß ich noch nicht weiß, für was ich sterben darf.


Dieser Mai ist jetzt kalt und erfroren. Um so wonniger empfinde ich die Verführungen des Lebens, die diese, so elend scheinende und dennoch so wunderbar zum Innerlichen mahnende Zeit uns übriggelassen hat.

Ich sitze wieder am Feuer; am eigenen Feuer.

Ein armer Kerl bin ich. Ich habe nur ein Päckchen echten Tee mehr, und von dem gieße ich den immer wieder übertrockneten Absud stets von neuem auf. Mein Holz hole ich mir oft noch selber aus dem Walde, wenn die Fuhre mir zu teuer wird; ich tue es bei Nacht. Darum kenne ich die Stimmen des Waldes so gut: Kauz und Ziegenmelker und Heidelerche und Siebenschläfer. Wenn ich aber von der Arbeit müde nach Hause komme, und dieser Mai, der so pomphaft zu werden schien, mich bis in die Knochen frösteln macht, dann zünde ich das offene Feuer an und verheidnische mich in seinen Anblick und horche dem Lodern mit gierigen Ohren.

Dazu brennt die kleine Flamme meines Teekessels.

Wenn dann ja einer der wenigen Menschen zu mir kommt, die mich kennen und die ich heranlasse (und selbst wenn es Degrassi ist, der oft zu mir kommt, um mich zu fragen, wie man der Vermögensabgabe entgehen könnte), dann streckt sich jeder aus und sagt mir, er beneide mich. Warum tun sie dann nicht ebenso?

Das ist so einfach.

Man freut sich eben des Feuers, man freut sich der Wärme, der wenigen Süßigkeit im Tee, der das karge Brot begleitet und lieb macht; man betet die grünen Spitzen der drängenden Zweige an und nimmt die Amsel wichtiger als eine Ministerrede. Und ist sie denn nicht ewiger?

Alle beneiden sie mich und ich lebe beinahe von nichts.

Gesindel, eigentlich. Schäbiges, vernichtenswertes. Wenn's nur nicht so bedauernswert wäre.

Wenn der Regenwind aufbraust, der uns diesen Mai gründlich vernäßt (sogar bei uns hier herunten, in der sonst windverschonten Stadt), dann duckt sich die rote Flamme im Kamin, und ich selber ducke mich, wie sie, in mich zusammen. Auch wir beide sind wie ein Geschöpf. Ah, es graut mich gar nicht vor dem Augenblick, da mein überbliebener Rest sich in Feuerschwaden verlieren wird. Ich lasse mich verbrennen. Heute schon ist mir behaglich bei dem Gedanken, so gründlich der Todeskälte zu entfahren!

In den wenigen schönen Tagen stuppe ich meine Stangenbohnen aus; die Haselnußstecken dazu habe ich mir selber im Walde geschnitten und heimgetragen. Ich will so viele Bohnen pflanzen, als ich nur kann; ich liebe die reizenden und winkenden Ranken, ich liebe ihre Blüten und ich liebe die Frucht in allen Zubereitungen. Ich werde heuer im Winter beinahe davon allein leben müssen, fürchte ich. Sogar die Tomaten müssen mir zurückstehen, und, mehr zum Vergnügen als zum Nutzen, lege ich zur einzigen Kürbisranke, die mir heuer erstehen wird, ein paar Gurken. Man erhält sie ja doch überall, und ich will nur die schönen Blüten in meinem Gärtchen nicht entbehren.

Meine Erbsen wehen schon ein wenig; ich muß sie häufeln, für das Geziefer Fallen aufstellen und meine Bäume düngen. Sonst, wenn das Wetter mich nicht arbeiten läßt, versitze ich die Abende auf dem Balkon und lese. Immer gänzlich ferne Dinge. Nie über Krieg; oft über das, was Lukas Rabesam Gott nannte und was immer tiefer in mir selber aufgeht.

Die seltsame Neigung, die ich zu jener einzigen Frau hege, die mir auf aller Erde allein gefallen hätte, hält an. Ich rede in meinen einsamen Stunden liebe und traurige Dinge mit Frau Ruth und verspreche ihr, das Kindchen, das von ihr lebt (mir kommt es wie ein Wunder vor, daß ihr Blut noch auf Erden wandelt) nicht entseelen zu lassen.

Ich erzähle Frau Ruth von der Welle schamloser Gewalt, welche jetzt über die Erde geht, und welche ganz bestimmt hinter sich den unbedingten Tod aller alten Religion lassen wird. »Wenn das Hirn heraußen ist, ist das Leben drauß.« Das erleben die Millionen früher gläubiger Bauern, welche sich gewöhnt haben, ihre Nächte in Sicht- und Riechweite mit den schwärzlichen Kadavern zu verschlafen, die in den Stacheldrähten hängen, wochenlang. Eine Menschheit wird zurückkommen, entgöttert, unbedenklich, verbiestet, haßgewohnt.

»Ja, Frau Ruth; und nichts bleibt von Gott und vom leidvollen Herrn Christ übrig, als was die Alten vor drei Jahrtausenden schon wußten und fühlten. Du, Frau Ruth, zerrannest. Ich treibe noch dahin. Wolkengebilde wir beide: eines, das war, eines, das bald nicht mehr sein wird. Nur der Alldurchdringer bleibt; wehe, wer ihn nicht fühlt! Er stirbt den ewigen Tod mitten in diesem Leben.«

Manchmal kommt die kleine Ruth jetzt allein zu mir heraus, und wenn es zu regnen aufgehört hat, dann hilft sie mir jäten. Ich erziehe sie so zur Notwehr; denn dieses liebevolle Kind hat genau von dem zu wenig, was die Zöglinge der Schützengräben zu viel mitbringen: sie möchte immer alles schonen und leben lassen. Da zeige ich ihr denn den Krieg in der Natur und stähle ihr gar zu weiches, kleines Herz. Sie trägt nun schon zaghaft Maikäfer zu meinen Hühnern und Engerlinge, und beginnt, die Borkenkäfer und die Blattwickler mindestens unsympathisch zu empfinden. Gerade sie bedarf eines kleinen Eisenklirrens im Sinne: ich will ihr die »Stäte« einpflanzen und die »Maße«, aber das Kind darf mir nicht wehrlos bleiben. Es muß wissen, daß Leben kämpfen heißt. Wenn auch: großmütig kämpfen. Sonst läßt es die Hände auch später, jedem Untier der Gesellschaft gegenüber, im Schoße.

Die hübschen Mädchen kommen immer wieder an meinem Hause vorüber. Frau Lore hat recht behalten, das Hagestolzenheim zieht sie unwiderstehlich an; sie empfinden es als Herausforderung und ihre Blicke brennen auf mir, als wollten sie mich's büßen lassen (und wenn's in ihren Armen wäre), daß ich ohne sie leben kann. Ich sehe jegliche genau an. Viele gefallen mir, keine reißt mir durchs Herz.

Ich möchte lieben. Ich stehe aller Sehnsucht weit offen und zittere, wie diese jungen Pflanzen in der Sonne vor Liebe zittern. Aber keine ist, die so wäre, wie Frau Ruth war. Andächtig vor sich hin, leise und ahnungsvoll.

Eine war da, die hätte mir beinahe gefallen. Sie sah von der Bank, welche Frau Kriegsgewinner vor ihrem Hause anbringen lassen hatte, um für ihre Schaulust Leutchen und Liebespaare anzulocken, lange nach meiner Arbeit, sah nach meinen Bäumen, nach meinem Hause und sagte nichts und kokettierte nicht und sah alles, nur nicht mich selber. Das gefiel mir.

Auch wurde ich inne, daß gerade diese stille Eine gar nicht meinetwegen auf jener Bank ausharrte, sondern sie hatte sich mit einer Freundin verabredet, welche ihr bald vieles zu erzählen hatte, und so blieben die Mädchen sitzen, obwohl sie gleich weitergehen wollten. Ich war froh darüber und wurde immer mehr der stillsinnenden Art inne, mit welcher die Schönste ihrer Freundin zuhörte. Sie war sicherlich die Vertraute der Lebhafteren, deren kleine Händel und Geschichten sie in ihr gütiges und kluges Köpfchen aufnahm, um ruhigen Rat dafür zu ersinnen.

Da aber geschah ein Unglück.

Bei irgendeiner dringlichen Frage der lebhaften Freundin, welche offenbar besondere Überlegung erforderte, griff meine bisher so duftige Nachbarin in die Tasche, nahm sich eine Zigarette und zündete sie an. Aus war es und geschehen!

Wie kann ein Weib, ein reines, blühendes Weib das Köstlichste, was sie fürs erste dem Liebenden zu schenken vermag, wie kann sie ihre Lippen mit Männerstank besudeln! Wie kann sie das Innere ihres Mundes zum Wassersack einer Fuhrmannspfeife machen!? Mit Tabakjauche.

Pfui Teufel!

Mir ekelt namenlos vor jedem rauchenden Weibe. Und ich wendete mich ab und spuckte im Bogen aus wie ein Matrose, während ich meinen Boden behackte, der mir durch den vielen Regen zu schwer und hart geworden war.

Da war ein Traum buchstäblich in Rauch aufgegangen, in stinkenden Rauch sogar.

Und ich bin wieder einsam und ich bin wieder zu haben.

Frau Ruth rauchte nie. Das muß Gefühlssache sein.


Manchmal bin ich traurig. Ich weiß, daß meiner Art immer wenigere sind auf Erden, und daß ich gegen all das, was ich Entseelung der Menschen nenne, vergebens ankämpfe. Alles läßt mich allein, und auch die Frauen wenden sich bald wieder von mir ab.

Und dennoch: gibt es etwas Schöneres, als der Einzige zu sein, gegen eine ganze Welt?

Sonderbar: wir sind doch Ausstrahlungen Gottes. Wie das Polarlicht es ist, in dessen Zentrum unsichtbar die Kraft steht, in der jegliche Garbe wurzelt. Und so meint jeder Strahl, er selber wäre die Mitte und der Kern aller Dinge. Der dümmste Kerl hält sich für ebenso wichtig, nein; für wichtiger, als der Kluge. Ich bin ein Strahl mit vielen andern; warum ist meine Farbe so gänzlich anders? Und warum gab es solche, wie ich, immer? Unerbittlich immer wieder? Bin ich eine besondere Kraft?

Das werden erst jene wissen, welche zusehen, ob, wenn die arme, lange und lächerliche Gestalt Alarich Tusch ausradiert sein wird, mein Wort weiterdauern wird. Ach, wahrscheinlich werden sie von mir nur reden wie von einem letzten Ritter. Durch das Salz, durch das Feuer und durch den Wein wurde der Affe zum Menschen aufgenährt. Durch die Massenhaftigkeit wird er wieder zurück- und heruntergeführt.

Die große Zeit des göttlichen Menschentums ist vorüber und ich bin ein nachwehendes Stück Weinlaub, das hinter dem längstverklungenen Zuge des thrakischen Heilands Dionysos einsam daherflattert. Viel zu spät.

Und schwermütig sitze ich auf meinem Balkon und sehe den Wolken zu, die entgöttert sind, wie ich. Ein Chauffeur tummelt sich dort droben und sieht, daß sie bloß weißer Dunst sind und keine Seele haben. Ach, ehedem waren dort oben die Adler allein.

Mir aber bricht beinahe das Herz; das einsame Herz.


Ich will weiterarbeiten an den Dingen, zu denen ich in die Welt gesetzt bin: ich will tausendmal rufen, daß das Zeugen eines Kindes, an sich und zuerst, ein Verbrechen ist. Und daß die Menschheit auf ein Drittel ihres heutigen Bestandes zurück muß, um eine versöhnte und heitere Gartenbruderschaft zu werden.

Ich will ferner hinausschreien, daß kein Mensch das Recht am Leben habe, der nicht der Natur selber etwas abgewinnt und sich so (im Geiste entweder oder ganz handgreiflich) ihr Kind weiß.

Ich will es immer wieder rufen, so daß ihr niemals Ruhe haben sollt. Verflucht sollt ihr sein, ehe nicht jeder Jude und jeder Arbeiter seinen eignen Grund und Boden, mit einem so kleinen Häuschens mindestens hat, wie ich.

Ihr habt diese zwei Gattungen Mensch losgerissen von der Natur. Sehet, sie vergelten es euch entsetzlich wieder! Bringt sie dorthin zurück, von wo ihr sie raubtet.

Das ist meine Tat; das ist meine Lebensberechtigung: darum allein darf ich hier auch, dann und wann, sitzen und träumen.

Und das behütet mich vor der namenlosen Schwermut und dem Lebensekel, der mich sonst erfaßte, daß ich, dies zu sagen, geboren wurde.

Nur das Kind aus ungeheurem Verlangen, um das wir uns opfern, darf fernerhin leben.

Nur Menschen am Herzen der Natur darf es fürderhin geben; diese Erde wird unter die Gartenbruderschaft aufgeteilt.

Wenn ich daran denke, dann weiß ich, daß ich leben muß.

Sonst wäre ich hier, mitten in dem dampfenden Blühen des Mai, rettungsloser Schwermut verfallen.

Alte Götter, lebt auf! Ich rufe euch, erstickend im verhöhnten Christentum.

»Unklarer Pantheismus?«

Ich höre es euch rufen; ja! Denn die Kanaille will einen klaren Pantheismus, wie sie ein praktisches Christentum gewollt hat (daran es verrecken mußte).

Umsonst ruft ein Faust der Schulfrage entgegen: »Wer darf Ihn nennen? Gefühl ist alles!«

Ich bin vielleicht der Letzte meines Stammes, werde keine Kinder haben, und dennoch weiß ich: ich mußte sein.

Denn, so wie Sterbende prophezeien können, so schleudern aussterbende Familien oft, als Letzten ihres Stammes, den Ahnenden, den Erklärenden ihres ganzen Blutes, in die Abendröte hinaus.

Ich bin die Blüte der hundertjährigen Aloe; alle Welser und alle, die den lächerlichen Namen Tusch trugen, rangen sich ab, damit ich ihr unartikuliertes Lebensgestöhne in einen Hornruf fasse. Ich erkenne mich, traure über mich – aber glaube an mich. So ist es.

Und es ist ein ganz eigenartiger, hoffnungsloser und doch beinahe süßer Schmerz, allein zu sein mit einer Idee, von der man weiß, daß jeder Edle und Große sie gehegt hat, und daß die Gleichen sie abermals haben werden; ebenso allein damit einhergehend, wie jetzt ich.

Seht ihr, daß selbst meine Verzweiflungen und meine trüben Stunden ihre Glücksdurchdrungenheit haben? Ich liebe das Leben; und weil ich es gutheiße, so bin ich auch dem Tode geneigt, gewogen und verwandt, weil er so sehr zu ihm gehört, wie das Ausatmen zum Atemschöpfen. Und hätte ich nicht diese tiefe und besinnliche Schwermut und diese Verzweiflungen an mir und an der Welt, ich wäre kein Mensch und könnte mir ein Monokel einklemmen.

Jeder Gang ins Freie ist mir Gebet; jede kleine Ernte, das Abnehmen einer Frucht oder das Einnehmen eines Mahles, ist mir Hochzeit, und jede Grasspitze, die aus der Erde dringt, ist mir die Gottheit. Alles lebt in ihr und ist sie selber. So gehe ich mitten zwischen den Unsterblichen umher, wo ich auch bin; ich kann gar nicht mehr anders fühlen, als so.

Wir Erdgeborene und Schwerschreitende können ein beglückendes, platonisches Verhältnis mit der Erde eingehen, oder eine derbe Ehe. Ich bleibe zwischen beiden; aber außer diesen beiden – ist dieses Leben der ewige Tod.

Immer leide ich an den Juden. Das ist ein Volk, das sozusagen auf Telephondrähten wohnt. Ihr habt sie von der Erde gerissen. Nun reißen sie euch in ihre Affären, und ihr folgt ihnen, während es hier auf Erden eine Unsterblichkeit gäbe, besser als jene nachtkalte, astrale, von welcher die Spiritisten reden.

Geht durch alle Wissenschaften und Künste; aber bleibt Gärtner, sogar Bauern.

Erde haben, Erde sein, Erde bleiben, höchstes Glück.

Denn unser Bewußtsein ist nicht göttlich, noch gottähnlich. Eher ist es sein Feind. Darum sage ich hundertmal: Gott ist bewußtlos und der Teufel ist gescheit. Wollt ihr euch Gottes Ding vorstellen, so denkt an das tiefe Behagen, das ein glücklich Einschlummernder empfindet. So ist Er; das ist Er. Da seid ihr in seinen Schoß zurückgekehrt.


Geht denn der Mai auch meiner verlorenen Lenore ins Blut? Sie kommt immer öfter zu mir und nimmt (unter vielerlei Ausrede) das Kind, das mich so seltsam ergreift, nur selten mehr mit.

Lore behauptet, neben ihrem Manne sähe sie erst, daß es beinahe unmöglich wäre, mit sehr vielem Gelde glücklich zu sein. Sie komme sich bei meiner apostolischen Bescheidenheit erholen. Alles gefällt ihr bei mir. Die rohen und nicht einmal ganz glatt gehobelten Fichtenmöbel, deren Bretter ich aus solchen gewählt habe, die lange Zeit an offener Luft lagerten und einen schönen, seidegrauen Ton erhalten haben. Sie setzt sich, lebhaft rückend, von der Ofenbank in den Herrgottswinkel, springt auf, geht in die kleine Speisekammer unter der Treppe, holt sich irgendwas lächerlich Bescheidenes und erklärt es für köstlich, freut sich der blauen und zeisiggrünen und roten Glasscherben, mit denen die Fenster meiner Veranda oben verbrämt sind, klappert über die Treppe empor und untersucht meinen Schreibtisch, von dem ich diese Blätter nicht immer entfernen kann. Die sind ihre Lieblinge, und da sie meine Geliebte war, so verwehre ich ihr nicht, dann und wann ein wenig hineinzusehen.

Hat sie das dürfen (ich zeige ihr nicht alles), so sitzt sie lange Zeit stille. Aber niemals endet sie diese Nachdenklichkeit, ohne daß wir auf meinen Balkon hinausgehen und in die liebe Ferne schauen. Dabei nimmt sie immer dieselbe Stellung ein. Sie verschlingt die Finger der beiden Hände hinter ihrem Haar, legt den Kopf in die schönen, angespannten Hände zurück und schaut mit etwas verschleierten Augen hinaus; wie die Wolken gehen, wie das Wetter sich dreht, wie bald Sankt Martin im Sonnenglanze steht und die Dörfer der Ebene derweil unter Regenschauern verdüstert sind. Und seufzt dann.

Glücklich ist sie nicht im mindesten. Sie tut mir leid, und halb vergönne ich es ihr. Das sind unsere Mädchen. Zuerst suchen sie die reiche Partie und dann entdecken sie, daß ihnen dabei die Seele fehlt, und sehen sich nach dem Liebhaber um. Der gibt sie ihnen denn auch, wie sie sie verstehen …

Ja. Denkt euch: Lore sieht sich wieder sehr nach mir um. Sie kann immer noch keinen bessern Liebhaber finden und seufzt herzbrechend nach meiner Dachstube am Rande der Stadt.

Sie kommt so oft und so unvorsichtig, daß die ganze Überheblichkeit des Herrn Degrassi dazu gehört, nichts zu fürchten.

Er muntert sie sogar auf: »Geh zu deinem alten Freunde; ich habe keine Zeit und du wirst mir sonst launenhaft.«

Kind bekommt sie keines. Ihr ist Herr Degrassi gleichgültig; sie selber bekennt, daß sie sorgenfrei leben wollte und aller andern Dinge müde gewesen wäre. Und so erbarmt sie mir dennoch oft.

Ich habe in meiner Hitze, in meiner Wut und im Schmerze, gegen ein Modehausprodukt dieses Jahrhunderts ausgetauscht worden zu sein, diese arme Lore manchmal eine Dirne genannt. Sie ist es nicht mehr.

Das Gelüsten macht die Dirne, und nicht die Hingabe.

Und mit den Gelüsten ist es bei Lore vorbei.

Sehr sinnlich war sie niemals; und mir schenkte sie sich mehr, als sie mir verfiel. Sie wollte gütig sein, und sie wußte damals, ich wäre der Beste, den sie kannte. Ein Seltsamerer würde ja doch nicht kommen.

Dann bewirkte Filser, mein Judas, daß sie mich verachten mußte.

Sonst hätte jenes soignierte Modeprogramm mein Mädel wohl nie bekommen. Abermals enttäuscht von diesem Schlingel, der alles konnte und nichts war, begann sie, ihre Jugendtage zu zählen und unsre fürchterliche Zeit (fürchterlich auch für die jungen Mädchen) sorgenvoll zu betrachten. So war sie reif, unter das nächste Dach zu schlüpfen; daß es dick vergoldet war, trieb sie nur rascher hinein.

Jetzt stand sie da, hatte ihrem Manne nichts zu sagen, und er ihr nichts. Ihr graute heimlich vor dem, was sie ihm hingeben mußte, und wie er es zu nehmen pflegte.

Dann sah sie die stille Bretterbude, die sich der Mann gebaut hatte, – den sie einsam gemacht hatte; – so einsam!

Zu Beginne glaubte das schöne Geschöpf, welches wohl wußte, wie götzendienerisch ich ihr reizendes Bronzestatuettchen angebetet hatte, daß es ihr ein leichtes werden würde, mein Blut zu überrumpeln und mich wieder zu ihrer Schlankheit hinzubeugen. Als sie aber erkannte, wie abgöttisch ich an jener Lore hing, die mir allein gehört hatte, und die verlorengegangen war, da wurde sie unruhig. Zum erstenmal ging es dem Mädel ein, daß es zweierlei ist, ob der Mann seinen Körper zum Weibe wirft oder ob das Weib sich schenkt. Sie war durch die allgemeine Meinung dazu erzogen worden, daß gerade die Luderchen das meiste Glück errängen, und daß man höchstens darauf zu achten hätte, niemand wissen zu lassen, wieviel Erfahrungen man so hätte.

Mich hielt sie, merkwürdigerweise, für aufgeklärt genug, um den Körper des einzigen Geschöpfes auf Erden, an das wir Leib und Seele anschließen, ähnlich zu betrachten, wie die Mutter Erde, deren vollkommen ebenmäßige kommunistische Parzellierung für Gartenbruderschaften ja meines Lebens Traum ist.

Manche Männer sollen sich auch ins Weib zu teilen wissen. Aber weder im Tierreiche noch im Reiche der Seele kommt das sonst vor; beide wehren sich aufs erbittertste dagegen. Gänzlicher und ungeteilter Besitz darf auf Erden sonst nicht sein. Allein das Weib muß es sein. Oder die wimmelnde, seelenlose Masse tritt auf Erden an, sie, welche Rabesam und ich am äußersten fürchten. Dann lieber aussterben.

Lore kehrt zu mir zurück; schmerzlich zerrissen! Sie verbeißt es vor mir. Möchte mich glauben machen, das wäre wieder so 'ne Reichefrauenlaune. Ich sehe ihr zu; ich sehe bis in ihr Tiefstes und überlasse sie den Dornen und Brennesseln, die in ihr wuchern und stechen. Es bereitet sich da etwas. Und sie soll leiden!

»Was weißt du Neues?« fragt sie mich scheinbar gleichgültig, wenn sie zu mir kommt und langsam die Handschuhe abzieht, damit die angespannte Blässe dieser schönen Hand und die Spitzigkeit ihrer Finger genügsam in meinen wütend schmerzlichen Erinnerungen wühlen können.

Ich antworte etwa: »Ich war vor Arbeitsbeginn im Freien.«

»War was los?«

»Wiese, Kiebitze, Wachtelschlag, wehende Gräserseligkeiten.«

»Sag' mir: hast du meinen Mann gern?«

»Nein, Lore.«

»Warum nicht; wegen mir?«

»Nein, Lore: schon deshalb nicht wegen dir, weil er es wahrhaftig nicht ist, der dich mir weggenommen hat. Aber er hat mir den Garten des Joanneums genommen; er hat mir den Weidenweg genommen; er will mir die alte Bastei auf dem Schloßberge nehmen. Das alles sind Dinge, ohne die ich nicht leben kann.«

»Es bindet dich also keine Freundschaft an ihn?«

»Keine, als daß er der Vater der kleinen Ruth ist.«

Lore biß ein wenig an ihren blühenden Lippen und überlegte.

»Warum hast du sie wieder nicht mitgenommen?« fragte ich.

»Du bist gänzlich vernarrt in das Kind? Sag' mir aufrichtig, Alo; hast du nicht ein wenig Sehnsucht, so etwas neben dir zu wissen, aufwachsen zu sehen? So etwas zu hinterlassen?«

»Manchmal. Aber es ist zu entsetzlich, in diese Welt ein armes Nervengeschöpf zu stellen, und mein Kind würde eines sein. Ich bin durch die rohen und schamlosen Gründe derer, welche die Not der Generation zur Tugend umkünden, dermaßen verekelt, daß –«

»Was für Gründe?«

»Rekruten und Stuten.

Man will Menschen, die sich den Bauch aufreißen lassen müssen für die Ideale, welche andere belieben. Wenn man solche in diese Welt schmeißt, so ist das eine Staatstugend! Unter dem Schatten so entsetzlich frecher Lüge wehen die Banner der Republiken und der Monarchien! Nein, Lore, ich sterbe aus. Laß mir nur die kleine Ruth öfter. In sie kann ich vielleicht alles legen, was – –«

»Was dir bei mir mißglückt ist,« sagte Lore leise.

Sie stand am Geländer des Balkons, so wie immer: das Haupt zurück in die Hände gelegt. Ich trat neben sie. »Es ist jammervoll, daß ich dich verloren habe, Lore.«

»Nur, weil du es willst,« sagte sie. Abermals redete sie kaum hörbar.

Mir würgte es das Herz bis in die Kehle empor. Es war so sehr Mai; sie war so schön; und dann, wenn ich dachte, was mir dieser Degrassi alles schon genommen hatte. Alles, was ich so sehr zu meiner Art von Leben bedurfte, hatte er mit seinen Tatzen in Häßlichkeit umgewandelt. Aber da stand nun seine Frau, einst meine Geliebte, schön wie nur je, und nur darauf wartend, daß ich etwas streichen, vergessen sollte, woran nicht einmal so sehr sie, sondern ein bodenlos schäbiger Freund schuldig war!

Und es kam noch bedrohlicher. Ich tat die Frage:

»Hättest denn du gerne ein Kind, Lore?«

Da sagte sie, leise, zum dritten Male leise: »Nicht mit ihm.«

Ich glaube heute noch, ich wäre beinahe hingestürzt vor Erregung, als ich diese lästerlich gezielten Worte hörte.

Wir schwiegen auch beide dermaßen lange und versteckt, daß es immer böser mit mir wurde. Lore wußte genau, daß ich keinen Atem mehr für irgendeine Antwort hatte. Ich rang ja um Luft und Leben, vor lauter Leidenschaft. Und wir beide warteten; nichts anderes. Wir warteten, bis ich stürzte.

Nach einer Zeit sagte ich, und meine Stimme klang ganz beschlagen und rauh: »Bleib so stehen, Lore, wie du stehst: das ist schön und ich mag jetzt nichts zerstört wissen.«

Sie rührte sich nicht; ich aber ging ins Zimmer zurück, dessen Türe ich offen ließ, und wanderte auf und ab, um das vermaledeite Gefühl der Schwäche aus meinen Knien loszuwerden.

So ging ich zehnmal hin und wieder, und gehorsam stand die schöne Lore draußen und rührte sich nicht; wie eine Büßerin, der Pönitenz auferlegt ward.

Da aber blieb ich vor dem kleinen Bilde stehen, das mir das Kind Ruth von ihrer Mutter gebracht hatte.

Und die abgeschiedene Frau sah mir in die Augen, wie nur die Frau uns ansieht, mit der wir viel zusammen sind, viel und innig und geheim. Ich wußte genau, was sie mir sagte:

»Willst du meine und deine kleine Ruth zum Stiefkinde machen?«

Ich fuhr zusammen. Wahr! Jetzt ist Lore noch nicht Stiefmutter; aber eine unbekümmerte und lustige junge Tante, die nichts mehr bedauerte, als daß Ruth noch nicht zur Kameradin reif war. Hatte sie ihr eigen Kind, dann wehe dir, kleine Ruth! Dann sind deine zwei braunen, angstvollen Augen zu viel auf dieser Welt. Dann ist deine Verschüchterung ein Vorwurf, deine Schönheit ein Hindernis, deine stille Art eine Verschwörung, deine leisen Tritte ein Beschleichen, deine Erbschaft eine Herausforderung.

Nein, Frau Ruth. Nein, kleine Ruth. Das Leben ist mir selber schwer genug, und wäre mir nicht jedes Zittern der Äste voll von Göttern, ich ertrüge es ja nie! Ich will kein Kuckuck sein.

Meine Kinder sind die tiefen, leidbeschwerten Jünglinge späterer Tage, die mit pochendem Herzen diese meine vereinsamten Zeilen lesen werden, die ich, verlacht und verfemt hinschreibe in einer Welt, welche nicht genug Leiber übereinandertürmen kann, zu lebenden Leichenhaufen.

Ich ging zu Frau Lore, löste zärtlich ihre herrlichen Hände aus ihren Klammern, strich über ihr Haar und sagte, innig trauervoll:

»Warum hast du dich weitergeben müssen, Lore? Du warst das einzige Köstliche, was ich auf Erden hatte!«

Sie begann zu weinen. Die Stöße ihres Schluchzens trafen sich genau mit den Ausrufen der Amsel, unten, auf meinem kleinen Kastanienbaum.

Ich blieb mit aller Anstrengung stark und blickte den Nebeln nach, welche über die Felder zogen.


Es sieht jetzt danach aus, als wenn Lore von einer Raserei erfaßt wäre, mir nun auch die Seele der kleinen Ruth zu entreißen und das Kind zu ihrem ganz eigensten zu machen. Das ist schön; es ist wunderschön für mich, obwohl ich Ruth dadurch selten zu sehen bekomme. Denn es beweist mir, daß Lore nur mit mir und sonst mit niemandem anderen das gewollt hätte, was verbrecherisch, schrecklich und süß auszudenken ist.

Ich bin nun ganz einsam geworden.

Lore kommt nicht mehr und Ruth schleicht traurig und geputzt über den Stadtpark, anstatt bei mir die Hühner zu liebkosen, die kleinen Erbsenbüsche zu häufeln und ihnen Stäbchen zu stecken oder sich an den Bohnenkindern zu freuen, die dick und lappig aus der Erde drängen. Sie ahnt, daß dort, in der eleganten Neugierde, wo ihre schöne Mama sie umherführt, der Gott nicht wäre. Wohl aber in jenen armselig herausguckenden Keimblättern meiner Gemüsepflänzchen.

Ich habe jene Nacht nach Lores Weggehen nicht geschlafen.

Wie nahe war ich selber dem, was ich Verbrechen nenne: ein hilfloses Geschöpf zum Leide in eine Welt zu werfen, in der ich es nicht betreuen und schützen könnte.

Ich hätte es gesät, aber ein Degrassi müßte es werden. Mit meinem Blute in sich, mißerzogen, und wahrscheinlich verzweifelnd.

Da ich so sehr müde war, erbat ich mir damals einen freien Vormittag, um mir bei meinen alten Göttern Erquickung zu holen. Ich ging gegen Süden hinaus, und wo die Ebene am wiesenreichsten war, erstieg ich den stillgewordenen Bahndamm, um sie in ihrem Seidenkleide recht zu übersehen.

»Das nenne ich Hochzeit!

Wellen hinter Wellen schlägt der Wind in dem brautzärtlichen, im weichen Haare der Pfingstwiesen und in den wogenden Saaten, über die es grünsilbern, ein Meer von Moiré, dahinschwingt, wie ein weitergegebener Akkord.

Der rote Mohn bombastet grell aus dieser seidigen, grauglitzernden Dezenz des Ährenbrautkleides. Er kann nicht warten; er drängt wie wildeste Sinnenliebe empor. Die Kornblumen, die Raden, der goldene Bocksbart an der Böschung meines Dammes, alle stehen sie, wie taumelnd vor Liebe.

Haben denn diese Geschöpfe die Erde verelendet? Sie sollen zeugen; der Mensch soll es nicht.

Und ich hätte es freventlich getan; ich, der mit einem Eßlöffel Holzessig in einem Schoppen Wasser, mit einer rosenroten Lösung von Übermangankali in alle Zinskasernen gehen möchte, um, in dreißig Jahren, diese Jammerwelt von allem Gewimmel zu erlösen!

Zwei Kerle begegnen mir; ihre Gesichter sind wie gedunsen vor gelber Mißgunst und vor Haß. Krummbeinig, breit und mißgezeugt schreiten sie an mir vorbei; zwei Augenpaare schießen, verhalten und mordsinnend, über meine Züge, die das Gepräge jener Nachdenklichkeit tragen, welche sie bis zur Bosheit reizen könnte. Ich weiß, ich weiß …

Solche werden über euch kommen, ihr christlichen Verkünder der grenzenlosen Generation! Ihr schamlosen Lügner! Sie werden über euch fallen, sie werden euch bedecken.

Und in dreißig Jahren könnte eine aufrichtige Belehrung, die jedem seine eingeborene Lust belässet, für die er nicht kann, aus dieser ganzen Erde einen Garten machen, ein stilles Paradies mit Menschen, die ihre Eltern kennen und vergöttern; voll Liebe und Gegenliebe!

O meine Gartenbruderschaft: so nahe wärest du, wollten die Menschen doch nur einmal aufrichtig sein!

Ich selber würde, noch vor dem Greisenalter, nur mehr geliebte und von der Elternseele durcherbte Kinder sehen. Ich würde diese Erde schon viel stiller geworden erleben und die jetzigen Arbeitermassen als friedliche Pfründner weitherum verteilt und persönlich geworden im Grünen in kleinen Holzhütten wissen, nicht besser und nicht schlechter, als ich selber eine besitze.

Und die Jugend, die ich in diesen Blättern herbeirufe, wird ein Paradies betreten, nachdenklich, langsam durchwandelt und voll göttlicher Ruhe.

Das könnt ihr haben, das könnt ihr selber noch sehen, wolltet ihr nur einmal aufhören, so schamlos zu lügen! Büßt doch eure, hunderttausendjährig angeerbte Lust, weil ihr nicht anders könnt und weil sie rasende Schönheiten enthalten kann, so ihr nur aus ganzem Herzen liebet! Aber nehmt eure Vernunft hinzu und lasset nicht das Elend ins Grenzenlose wimmeln. Seid nur einmal aufrichtig! Ihr habt die Natur ihrer Mittel beraubt, eure hemmungslose Fortzeugung zu hindern. Suchet in euch selber das Mittel, euch ihrer Rache dafür zu entziehen, sonst erstickt ihr in eurem eigenen Hasse.

Es ist nicht wahr, daß der Staat hier eingreifen darf! Um des Einzelnen willen wurde der Staat gebaut. Seid kühn, ihr Jungen: geht hinaus, wo das wimmelnde Elend sich versammelt hat und kündet die neue, die freche, frohe Botschaft der Notwehr, des beseelteren Zusammenrückens zu kleinerem Kreise, der Gartenbruderschaft!«

»Ah: wie diese Gräserwellen sich versilbern, wenn der Wind sie streichelt! Er reitet über sie hin, der frohe Gott, und sie neigen sich unter ihm, weil er sie befruchtet. Wer sähe das, ohne es zu empfinden? Wer wollte nicht wieder in solche Stille zurückkehren?

Ich weiß: es gibt Tausende von Verwaltern der Menschheit, die gar nicht wissen, daß sie endloses Glück zertreten und daß sie endloses Leid verpflanzen, mit ihren Staatsnützlichkeiten.

So wie der schönste Stand der Erde, der Jägerberuf, Hunderte von bodenlos stumpfen Walddurchtrappern hat, welche das grüne Wunder nach dem Gebote des Geldbeutels aufziehen. (Eintönig, gleichmäßig bis zur Häßlichkeit, und so sehr degeneriert, daß ein solcher Wald, gleichwie er das Symbol der Masse ist, auch die Schädlinge in früher nie geahnten Massen aufzuziehen vermag.)

Wie viele Förster sind nicht mehr als grün angezogene Holzhändler. Und rings um sie rauscht die Gottheit! Wundert es euch dann, daß die Arbeiterführer, welche niemals ins Wellenwehen der grünen Saat hinausgeträumt haben, welche niemals als Buben im Waldbache Salamander fingen, sondern sich auf eklen Gestätten vor lehmgelbem und rußigem Großstadtrande balgen mußten, daß die nicht mehr wissen, was Gottes ist und was Rettung bedeutet?

Den Reden so unglücklicher Menschen horchet ihr, wie einem Evangelium, ihr Ärmsten! Wisset ihr denn nicht, daß nur ein Glücklicher euch lehren kann, was Glück ist?

Seht mein Leben; es ist zerstürzt. Ich härme und gräme mich und bin doch glücklich!

Ich bin so müde gewesen, nach dieser durchlittenen Nacht, als mich immer wieder die Reue zerriß und die wahnwitzige Lust, Lore an meine Brust zurückzurufen. Am andern Tage aber, als der Wiesengott mich umfing, da wurde ich so gesund, daß ich beinahe geweint hätte, vor Lebensüberfülltheit!«


Wenn ich diese meine flüchtigen Notizen durchsehe, die ich damals am Rande des Bahndammes niederkritzelte, wie wird mir da vor Erregung! So gehen sie weiter:

»Heute ist der erste Junitag in die Welt getreten. Der berührt mich so, wie wenn ein frisches Mädel in euer Zimmer träte: ein Geruch von jungem Fleische und Ozon, mit viel Sonnigkeit, schlägt euch aufweckend entgegen.«

»Ihr sollt euch ein Bild machen, dasselbe anzubeten!«

»Das empfinde ich hier in dem Sonnenzittern des Wiesenmittags! Wenn man sieht, wie ein Mensch verbildet und häßlich bis in den Ausdruck seiner Glieder wird, und eine Katze göttlich ist, die doch nichts als miau sagen und sich vorsorglich in ein Sonnenplätzchen legen kann, dann begreift man den Bilderdienst und die Tieranbetung der alten Ägypter neu. Oder wollt ihr den Gott nach dem Ebenbilde eines Pastors, eines Journalisten oder Gymnasialprofessors? Ist nicht jeder Meister Heuschreck hier herum erfrischender, schöner und göttlicher?«

»Früher vergöttlichte man Menschen; und man wurde dadurch selber göttlich. Dann nannte man Opernsänger › divini‹. Das Wort begann lächerlich zu werden, die Häßlichkeit kam empor und machte sich berühmt und wichtig. Die Krankheit, mit all ihren Umständen, wurde für Tiefe genommen, da sie doch an sich selber nicht tiefer ist als Glück und Schönheit. Jetzt bemerkt man es kaum mehr gnädig, wenn irgendwo das aufleuchtet, was früher göttlich galt: Schönheit, Gesundheit, Ebenmaß, Frohsinn, Glück.«

»Diese Erde ist entgöttert; meine Wiese nicht.«

»Inzwischen aber: du Einsamer! Weil du am Tempel des allbewußten Naturgefühls noch nicht mitbauen kannst, schaffe dir selber die kleinen Tempel für das, was du liebst. Wolle nur anbeten und glauben. Aus jedem Gebet (und wäre es zum Geiste der Verwitterung über jenem moosigen Strohdache) strömt Gegenliebe und neue Kraft in dich wieder!«

»Glaubet weder den Pastoren noch den bezahlten Taglöhnern der öffentlichen Meinung; glaubet vor allem niemandem, der einer machtgierigen Partei nahesteht. Aber glaubet mir. Ich will euch dienen, nicht regieren.«

»Alle Regierungskunst geht dahin, sich der allgemeinen Sache zu bemächtigen, um sich selber der allgemeinen Sache zu entziehen.«

»Ich aber will euch selber zurückgeben. Zurückgeben aus den Klauen des vermaledeiten Staates, der eure Kinder braucht, um sie zu fressen! Kommt mit mir auf diese Wiese, zu mir, der ich durch irgendein geheimnisvolles Warum der Natur näher bin als andere Menschen. Glaubt nicht, daß ich mich des brüste! Irgendeiner muß es doch einmal sein! Und aus Zufall bin ich dieser Irgendeine geworden.«

»Ihr seid ja so überladen mit hilfloser Gscheitheit wie jener Junggeselle, der, in fortwährendem Studieren und Nachschlagen, all seine Tische und Kommoden und Schränke und Sessel mit Büchern bedeckt hatte, so daß er, als es Nacht wurde, keinen Platz mehr fand, wohin er seine Lampe stellen konnte. Da setzte er sich wohl, mitsamt der Lampe, auf den Boden? Ihr werdet zu neuer, aber anderer und traurigerer Tierheit kommen, vor lauter Hilflosigkeit des Umherspekulierens. Geht hieher auf meine Wiese und werdet Heiden wie ich. Sie lebt in mir, ich lebe in ihr. Das ist einfach und das ist alles.«

»Ich höre sie schon gegen mich schreien: ›Er hat nicht die mindeste Gemeinschaftsmoral!‹«

»In einer Welt, wo alles kämpfen und einander fressen muß? Und Gemeinschaft: mit wem? Mit dem schlimmsten Raubaffengesindel, das ihr doch auf so liebliche Art dezimieren könntet! Fort mit der ellbogenhaft andrängenden Überzahl, die mit ihren Fabriken die Erde geschändet und die Menschheit verelendet und erniedrigt hat! In dreißig Jahren ist alles still und schön, wenn ihr wollt. Und niemandem geschah wehe dabei.«

»Ihr werdet feiern, ihr neuen Heiden, den ersten Katzenschrei im Jahre, die erste Primel auf Erden und die erste in der Luft, den Zitronenfalter!«

»Ihr werdet das Pfirsichblütenfest feiern, wenn die braunen Weingärten über und über erröten. Ihr werdet das fallende Barometer im Februar mit dem uralten Zeichen des Hakenkreuzes segnen. Der Heringsschmaus im Fasching, mit dem ersten Vogelsalat, wird wieder die uralte Bedeutung haben. Denn nicht gedankenlos waren die altheidnischen Dinge, sondern viel tiefer, als ihr jetzt alle seid!«

»Der Frühlingsgemüsetag, wie ich ihn heuer, noch halb unbewußt, zu feiern begann, euch wird er zur bewußten Feier werden. Die erste, traufende Dachrinne werdet ihr bekränzen und das erste Veilchen wird wieder ein Fest geben, wie einstmals im alten Wien. Denn – die Seele darf nicht sterben!«

Das alles schrieb ich damals, berauscht vom Sonnenglaste des Lebensüberschwanges und der Schönheit meiner Wiesenwelt.

Erschreckt nicht, ihr wenigen, die das verstehen und seine Seligkeit gänzlich mitfühlen, daß unserer jetzt so jammervoll wenige sind. Diese neue Lehre, mit dem vom Massenleben erlösenden Rotkali, sie geht bald von selber, von einem verzweifelnden Weibe zum andern, das nur eine Mutter von glücklichen Kindern sein wollen wird. In dreißig Jahren werdet ihr staunen, daß ihr Andächtigen eurer mehr seid, als ihr glaubtet. Nur mehr jene sollen leben, die aus innigstem Willen gezeugt sind. Diese Idee wird unwiderstehlich werden! Nur diese sollen leben und Gott in ihrer Seele tragen, den sie allein zu tragen wert sind.

Die Wollust könnt ihr nie verhindern; verhindert nur die bloß sinnliche, also lieblose Zeugung. Die Erde wird so wieder zum Garten, als den Gott sie erdacht und geschaffen hatte.

Und noch eines bedenket, eh ihr Geschrei erhebt, als ersänne ich dem Kinde Vernichtung! Nichts Geringeres biete ich euch, als daß ihr die Egoisten ausrottet.

Denn wenn bis in das kahlste Kellerloch hinein jene Belehrung gedrungen ist, dann wird sich ihrer doch nur der bedienen, der allein auf Erden sein und für sich selber ausgenießen möchte. So wird von Jahr zu Jahr die Aufzucht der Eigensüchtigen geringer werden und die wahrhafte, weil hingegebene Liebe größer. Zuletzt werden die aus Selbstaufopferung gezeugten Kinder beinahe allein Auswahl treffen unter sich, ob sie weiterpflanzen oder entsagen wollen.

So allein kommt das Paradies wieder, und es kommt, ohne daß irgendeinem Gewalt oder wehe geschieht.

Glaubt nur nicht den Nutznießern des Staates! Der Staat ist ein bitterer Notbehelf; mehr nicht! Beim lebendigen Gotte, mehr nicht; denn er ist das unheiligste aller Dinge!

Nie habe ich ärgere Barbaren erlebt, als die Politiker.

Wißt ihr, was ein Barbar ist? Der die Musen nicht kennt: und wäre er Kaiser oder Präsident. Klio allein, die mißbrauchteste, armseligste unter den Musen könnte schon Menschen bilden. Der Erbe der Nachdenklichkeit muß über Jahrhunderte hinwegsehen können.

Ich aber sehe über Jahrhunderttausende. Glaubt mir!

Und nun laßt mich das gedankenvolle Nachschwingen dieses meines Wiesensonntages schließen, mit einem Gebet für meinen Volksschullehrer, der mir zuerst von jenen Herrlichkeiten redete, die so nichtig scheinen.

Wo der Deutsche heute noch göttlich blieb, wo irgend etwas noch, an diesem verelendeten Zweckmenschen, Wert behielt, dort verdankt er es denen, welche ihm, in jungen Tagen, Naturgeschichte erzählten!

Merkt auf, Deutsche! Wenn jemals das Volk ohne Grund und Boden euch diese beseelendste aller Lehren aus der Volksschule wegnehmen wollte: dann wehrt euch eures Lebens: ihr zutiefst Beraubte!

Niemand konnte mir mein Glück nehmen. Weder mein Judas, noch die verlorene Geliebte meines Sinnenbrandes. Denn ein treuer, schlichter Volksschullehrer hatte in meiner Kindheit von den Gräsern der Wiese und den Tieren am Rain und am Bache zu mir geredet. Ich wäre entseelt, wie jene alle, die nach sämtlichen Gütern gieren, nur nicht nach dem des Insichseins. Gesegnet, hundertmal gesegnet der Volksschullehrer, der von unsern kleinen Brüdern da draußen redet und von unsern großen dort über uns, den Sternen. Er allein gibt Religion.

Seht den Italiener, wie seelisch verarmt er ist bei all seiner wunderbaren Heiterkeit! Er hat solche Volksschullehrer nicht, wie wir. Die sind die einzigen, wahren Priester unserer Zeit.

Ihr Lehrer, hört mich: laßt euch eure heiligste Sendung nicht entwinden, Natur zu verkünden! Ihr Lehrer, die ihr dem Kinde von Wiese und Flur erzählt, ich segne euch!

Unser Ich, unser Einzeltum, ist doch das einzige, was uns bleibt. Ach, wir haben es zu verteidigen bald gegen die ameisenbildende Nationslüge, bald gegen den Hohenzollerndrill, gegen Kommunismus, gegen die Priester, die von einem alten Judenbuche leben, und immer gegen die, durch unsere eigene Schuld entwurzelten, ehemals so heidnisch frohen Weinbauern jenes alten Buches, die Juden.

Denkt an euer Ich!


Ach, und mitten in solchen Spekulationen wurde ich schwach. Es ist rührend, daß Lore nicht loskam von mir, so wenig wie ich in tiefstem Grunde von ihr. Sie kam wieder. Sie sah mir über die Schulter, als ich in meinem Garten, an den Zaun gelehnt, jene Worte niederschrieb, mit denen der vorhergehende Absatz schließt.

»Du reformierst die Menschheit?« fragte sie lachend.

Ich sah sie an. Ja, sie lachte. Ich war, seitdem sie mich verlassen hatte, schwerblütig; einmal, weil die Reue in mir wühlte, ein so heidnisch schönes Geschöpf versäumt zu haben auf Nimmerwieder, und dann, weil ich mich quälte, wie sie wohl (so von mir weggewiesen und verachtet) an sich und mit sich leiden mochte? Jetzt stand sie aber da und lachte, als wäre sie das Leichte und ich das Schwere und Beklagenswerte. So geht's eben zu. Und sogar mir wurde gleich leicht, von diesem ihrem frohen Aussehen.

»Ja, ich reformiere die Menschheit,« sagte ich.

»Du, Alo; du kannst doch nicht los von mir. Bist du nicht aus lauter Trotz gegen dieses Leben zu einer Toten, zu Frau Ruth, gegangen? Wer weiß, wie sie war? Wer weiß, was dir wieder an ihr mißfallen hätte? Sie hat, zum Beispiel, Zigaretten geraucht.«

»Unmöglich!« schrie ich empört.

»Aber ja, ich kann dir ihre geschmackvolle goldene Tabatiere noch zeigen.«

»Dann hat sie's aus Verzweiflung getan,« erwiderte ich tonlos. »Sie hätte neben Degrassi ebensogut Morphinistin werden können.«

»Ich, Alo, ich ergebe mich neben ihm weder dem Tabak, noch dem Morphium. Er ist reich; er ist eitel, verprotzt, aber gutmütig; wie alle Menschen mit seinen billigen Erfolgen. Und er leidet im geheimen an den Angriffen, mit denen er als Vernichter alles Schönen gebrandmarkt wird. Er hat nun einmal (schon wegen seines italienischen Blutes) nicht das geringste Landschafts- und Wandergefühl. Ihm konnte der Wald nie etwas sein, die Tiere nichts und die Wiese nichts. Das gibt es, bei denen dort unten, so wenig, wie Ackerbauerntum bei deinen Juden, ebenfalls ein jahrtausendlang. Bauen, das steckt ihm aber im Blute. Und es ist beinahe komisch, wie er sich an die Schönheit heranzuarbeiten sucht, damit er an Stelle der umgehauenen Gärten wenigstens irgendein Denkmal seines guten Willens setzt!

Du; ich bin überzeugt, er hat die schöne Frau Ruth und dann mich nur geheiratet, damit er der Welt beweisen kann, daß er auch von was Hübschem ein wenig verstehe.«

»Er ist nicht rasend verliebt in dich?«

»Aber nein; er benötigt mich, wie seine Jagd, obwohl er kein Jäger ist. Wie ein Auto, obwohl er keine Zeit zu Reisen hat; er braucht mich zum Aufputz seines Kredites.«

»Er erniedrigt dich also gar nicht mit seiner Gier?«

»Geh, du bist dumm wie ein Bub'. Frag' eine Frau solche Dinge nie; sie muß dich belügen, oder dir den Rücken drehen. Aber weil es zwischen uns nichts zu verschweigen gegeben hat: gut. Er läßt mich in Ruhe, soviel ich nur will.«

»Wieviel ist das?« fragte ich, und vergaß in meiner wahnsinnigen Eifersucht und Seelenangst vollkommen, wie taktlos diese Frage war und wie bodenlos dumm dieses ganze Eindringen mit brutalen Fragen in ein Geschöpf, das mich ja auf die reizendste Weise anlügen konnte. Aber Lore schien heute den Trotz zu haben, wahrhaftig zu sein.

»Wieviel ist das? …«

Lore sah zu Boden. »Soll ich dich ärgern?« fragte sie, etwas zornig.

»Wenn du dabei die Wahrheit sagst, ja.«

»Gut. Es ist bei ihm nichts. Es war auch bei dir nicht viel, wie du weißt; ich bin nicht ›so‹ – –«

»Und wie war es bei dem Herrenreiter?« schrie ich.

»Die dritte Antwort bleibe ich dir schuldig,« sagte sie; verstockt und böse dreinschauend.

Da hatte ich es; jetzt war ich benommener von ihr als nur jemals, seit jener gräßlichen Herbststunde im Englischen Garten, da ich meiner Geliebten entgegenfliegen wollte und die Geliebte eines anderen gefunden hatte.

»Warum wühlst du das in solcher Weise auf,« sagte ich, tonlos vor Wut.

»Warum wühlst denn du in Dingen, die ich nicht mehr ändern kann? Die aus einer Mischung von Unglück, Gelegenheit, Irrtum, Faszination entstanden sind, und in die mich doch wahrlich alles andere als sinnliche Neugierde getrieben hat!«

»Lore, wirklich nicht?«

»Du hast mich drei Jahre lang Geliebte genannt. Habe ich mich an dich, nach ruhigem Besinnen, verschenkt, oder habe ich mich verloren, wie andere Mädel, die hinsinken wie zerschmelzendes Blei? Das antworte du!«

Da mußte ich freilich sagen: »Du hast dich, in ruhiger Überlegtheit, mir überliefert. Es sah im Grunde wie ein demütigendes Geschenk aus. Denn zusammengebrannt unter mir bist du wahrhaftig nicht.«

»Und glaubst du, ein Weib würde beim Zweiten anders als beim Ersten?«

»Wer weiß das?«

»Höre doch: ich meine, bei einem solchen Zweiten, den es nach kurzem kaltblütig verlassen kann, ohne weiter an ihm zu leiden. Mehr und anderes war mir jener nicht.«

»Wirklich, du hast recht. Was hat dich aber bis zu dem entsetzlichen Geschenk hintreiben können?«

»Alo, bis zu jenem dir entsetzlichen Geschenk, mußt du sagen. Mir war es deshalb nicht mehr entsetzlich, weil ich es gab, wie Küsse im Pfänderspiel. Es sind weder erste, noch letzte Küsse; denn es sind gar keine, man weiß gar nicht, daß irgendeiner sie kostbarer nehmen könnte, als wir selber. Glaub' mir, daß auch die Frau immer nur auf den Endlichen und Einen wartet. Was uns, in unserer Wahl, so launenhaft scheinen läßt, ist bloß das, daß wir immer die von euch, also von so vielen verschiedenen Einflüssen, Erzogenen sind. Und um es kurz zu sagen: wir sind niemals nach dem Körper gierig; außer die, die ihr verdorben habt. Ihr aber immer. Das ist der Unterschied zwischen euch und uns. Wir hängen uns entweder gänzlich ans Seelische oder gänzlich an die Schale, an die glänzende Oberfläche. Das ist unser ganzes Geheimnis. Nur die verschiedenen Mischungen dieser beiden Möglichkeiten bedeuten unser Rätsel!

Alo, Alo, ich versichere dich, kaum die durch Männer sich selber entfremdetsten Frauen, kaum einmal Kaiserin Katharina, und eine verdorbene Theaterdirne, schielen nach Hüften und Muskeln irgendeines Liebhabers hin. So sehr jeder Rohling bemüht ist, ihre Phantasie ganz allein mit dem zu füllen, was ihm selber Begehren und Schönheit ausmacht. Ihr, ihr seid es, die sich uns nicht anders denken können. Weil ihr nichts begehrt, als – – siehst du nicht, daß es mir hart wird, so etwas überhaupt zu sagen?

Was enthalten alle deine Liebesbriefe für Worte? ›Mein Bronzeguß!‹ ›Meine wunderschöne Statuette‹, ›mein herrlich gebautes Mädel!‹ ›Du Bildnis von Weib‹; alles geht nach dem einen hin.

Bei dir, bei allen! Ah; da geben wir es zuletzt auf, den Männern was anderes zu sein.

Immer ist die Frau das, was der Mann ihrer Zeit von ihr verlangt. Du bist auch ein Tor, daß dich ein Mädel anekelt, wenn es sich eine Zigarette anzündet. Man findet es jetzt eben hübsch, die Frau als Kameraden in allem zu haben. Dafür hört man langsam zu trinken auf. Das eine Laster wird Mode, das andere gewöhnt man sich ab.

Aber ich gehe von dem ab, was ich dir sagen wollte. Wir also warten auf den Einen; auf den, welchen niemand mehr übertreffen kann. Daß wir suchen, ob es vielleicht noch einen Bessern gibt? Wer kann das uns verdenken, da doch ihr es ebenfalls immer versucht? Schmeichelhaft genug für die Eitelkeit eines jeden, wenn das andere Menschenkind, nach langer Wanderschaft, zu ihm zurückkehrt. (Du, gib acht: nicht weggeworfen von den andern, rückkehrt!) Mitten in Sieg und Kraft und Schönheit sagt sie: ›Du bist doch der Allerbeste.‹«

Ich sah sie an, weil sie plötzlich stille stand. Denn bisher war sie, sehr nervös, immer in meiner Stube, in die ich sie geleitet hatte, auf und nieder gegangen. Jetzt sagte sie mir diese Worte, und die Stimme wurde plötzlich lieb und weich dabei, während sie bisher erregt, oft hart geredet hatte. – Jetzt sagte sie diese Worte so persönlich zu mir, daß mir schwach zumute wurde: – – »Du bist doch der Allerbeste.«

Und »nicht weggeworfen von den andern, sondern mitten in Sieg und Kraft.« So stand sie vor mir und sagte mir das. Ich sah sie immer nur an und konnte, im nicht zu beschreibenden Wirrwarr meiner Gefühle, nichts reden.

Dieses Mädel ist von einer Art der Schönheit, welcher die Zeit nicht nahekam; denn sie ist so sehnig, daß keine Fettpölsterchen von Erschlaffung bedroht werden konnten. Alles an ihr ist durchtrainiert; aber auch ihr kluges Köpfchen! Schlank und reck stand sie vor mir, rein geblieben, trotz ihres Suchens seitab von mir, dessen erstes Abirren ein anderer als wir beide verschuldet hatte. Und das sie klüger und kühler gemacht hatte; vielleicht auch treuer.

Die widerspenstigen Haare rollten wie gesponnen Gold um ihr braunes Gesicht, in dem (wegen der langen, schwarzen Wimpern und der feingemalten, dunklen Brauen) die stahlblauen Augen aussahen wie schwarz. Sie hielt die Schultern willenskräftig zurückgebogen, die Arme spannten sich, obwohl sie ergeben herabgesunken zu sein schienen. »Da bin ich, wie ich bin. Willst du mich?«

Sie sagte es nicht: ihre ganze Stellung sagte es aber, denn dieses Mädel konnte mit jeder Faser ihres durchnervten Leibes reden.

»Mädel,« diesen Begriff dachte ich, obwohl sie Frau war! Ich ertappte mich gleich dabei. Denn »Mädel, Mädel,« wollte ich sie anrufen im Sturm meines Herzens. Mein Instinkt hatte sie reingesprochen. Noch schwieg ich und versuchte, etwas Besseres, oder vielleicht etwas Heißeres zu sagen. Aber ich wußte wirklich nichts. Sie sah mich an, sie sah mich beinahe angstvoll an. »Freund, wirst du abermals dumm sein? Ich käme kein drittes Mal.« Auch das stand bloß in ihren Augen; in einer leisen, verlegenen Drehung ihres beredten Körpers.

Da sagte ich, und ich sagte es, weil der erste Ausbruch nun doch schon in meinem Innern zu stark verbraucht worden war, ganz leise und zärtlich:

»Mädel. Mein unvergeßliches Mädel!«

»Dein unvergeßliches Mädel; von damals nur?«

»Von immer; auch jetzt. Auch, wie du bist.«

Und ich warf mich an Frau Degrassi. Wir stürzten uns dermaßen haltlos in die Arme, daß wir beide das Gleichgewicht verloren und ich sie nur schwer emporreißen konnte. Wir wären sonst vielleicht gar nicht mehr von der Erde aufgestanden, die uns hinuntergezogen hatte.

Der erste Kuß wäre schön, meint ihr? Narren!

Das verlorene, das peinvoll verlorene und ersehnte, das längst aufgegebene Wiedertrinken, die rückgekehrte Leidenschaft ist es, sage ich euch! Sie ist schön, bis zur Vernichtung!

Fragt jedes Liebespaar, das sich bloß einmal zerstritt und eine Weile mied, und ermesset an diesem Nichts von Entbehren das, was ich nach einem Jahre hoffnungslosen Verlustes und zernervenden Ringens empfand. Es verbrannte mich, es zerriß meine Nerven vor Glück!

Und sie, sie sagte mir, es erginge ihr ebenso. Sie jubelte es heraus, und dann, später, sagte sie es auch zitternd, »es erginge ihr ebenso«. – – –

Meine Balkontüre stand offen; der volle Sommer rauschte herein, Lindenblüte war und die ganze Natur rebellierte in trunkenstem Heidentum, als ich mir wiedernahm, was diese Menschen, Menschen, die viel dumpfer und stumpfer lebten als ich, mir entrissen hatten.

Lore war ebenso schön wie damals, als sie mich verraten hatte. Nur, daß die Reue, die Erkenntnis, die Demut und das Glück der Heimkehr und der Versöhnung sie noch schöner machten. Ich habe gebetet zu ihrer hingestreckten Formung: ich habe sie vor mich hingesetzt wie ein antikes Gnadenbild der Aphrodite, und meine brennenden Wangen, kniend, in ihren Schoß vergraben, während sie lächelnd und gewährend stillehielt. Ich habe sie gebeten, in ihrer wunderbaren Formung auch vor mir zu stehen. Beinahe keine nackte Frauenschönheit bleibt es in aufrechter Haltung. Hochaufgerichtet stehen, das verschönt beinahe nur den Mann. Es scheint, als wäre der weibliche Akt dann am natürlichsten, wenn er hingestreckt ruhen und warten kann, wie die Erde. Schon die Haltung des Sitzens erfordert eine Göttin an strenger Reinheit der Formen; stehend ist nur eine weibliche Gestalt von beinahe knabenhafter Grazie der Schlankheit schön. Und Lore, die sich meines stürmischen Hungers, zu sehen, halb erfreute und sich seiner und ihrer dennoch ein wenig schämte, wußte vor mir, so gewährend und dennoch in sich verkrochen, zu stehen (ohne das zu wissen oder zu wollen), daß ich, zum ersten- und zum letztenmal in meinem Leben, auch ein aufgerichtetes Weib als hinreißend schön erfand.

Brutheiß, brautheiß war der Sommertag. Ich wußte nicht mehr, daß ich jetzt vielleicht all meine Zärtlichkeit für die kleine Ruth verriet; denn besinnungslos war ich vor Glück. Abwechselnd betete ich an und raste meine Entbehrung heraus, bis das kühlere Mädchen todmüde war.

Sie hatte den schönen Kopf unter Kissen und Haar halb vergraben, aber sie lächelte. Sie atmete tief. Es war ein unbeschreiblich erfüllter Augenblick, und alles, alles war gut, in dieser ausatmenden Stunde.

Wir hörten die Stimmen der Straße, der Vögel, des Sommerwindes in den Bäumen, und wir lächelten. Wir sahen uns an; ich sah sie zehnmal mehr an als sie mich; denn sie schämte sich. Und mich dürstete noch.

So stahl ich die Frau eines andern; so vergaß ich die Geliebte eines andern, indem ich mir wiedernahm, was mein gewesen war. Meint ihr, es hätte mich bedrückt? Überflutet war ich von Glück.

»Lore lehnte ihren Kopf auf die braunen Arme. »Du –«

»Lore?«

»Was ist, wenn wir unachtsam gewesen sind?«

»Dann behältst du, was du gewollt hast, und ihr übergebt mir die kleine Ruth zur Pflege, als mein Kind.«

Lore schwieg, dachte nach, antwortete auf keine Frage mehr.

Ich staunte ihre Schönheit immer noch an; ein wenig müde, ein wenig traumhaft, und dennoch verzückter anschauend, als vielleicht vorher. Wir atmeten ruhig und tief, beide. Wir atmeten, wie der Sommertag: eines waren wir mit ihm und erfüllungsschwer, wie er.

»Etwas mußt du tun,« sagte Lore nach einem von uns beiden unermeßlich genossenen Schweigen. »Etwas mußt du tun. Du mußt mit mir hinauswandern: damit ich auch mit der Seele zu dir komme. Ich weiß, du bist draußen glücklicher, als vielleicht mit mir. Sicherlich bist du dort immer gleichmäßig begnadet. Zeig' mir, wie das eigentlich so in dich greift, dieses Allwesen, das du so stark empfindest.«

»Lore, das hat man oder man hat es nicht. Lernen kann man es nie. Darauf beruht ja meine ernsthafte Mahnung von der langsamen Umbildung des Industriearbeiters, des Städters und gar des Juden, von Kind auf. Diese Naturtrunkenheit ist etwas so Unmittelbares und Gottgewolltes, daß man wohl von ihr reden, niemals aber sie lehren kann. Wecken, ja: wenn sie da war. Und auch da oft nur im Kinde; sonst ist es beinahe immer zu spät. Aber (und das ist mein Jammer, und deshalb rufe ich die Jugend kommender Zeiten an): geben kann ich diese wunderbare Kraft nicht –«

»Vielleicht schlummert sie aber in mir?«

»Dann könnte es geschehen, Lore. Aber das wäre ja zu viel Glück!«

»Freute es dich?«

»Du? Du zu Hause in meinem Reich?« Und ich überfiel sie und umarmte sie wieder, während sie mir all meine Küsse so genau in Zahl und Schnelle wiedergab, daß es vor Wonne zum Ersticken war.

Dann sagte Lore, vernünftig: »Hör' zu. Übermorgen ist Sonnwendtag: das ist eines deiner Feste. Da nimmst du mich mit in deine Berge und gibst mir jede deiner Regungen: ich werde sie langsam und gelehrig hinnehmen. Denn ich will mit dir Heidin sein, wie es sich für dein Weib gehört.«

Dann stand sie auf, eilte sich, fortzukommen, und ließ mich in einer so unsäglichen Betäubtheit und Finalität des Glückes zurück, daß ich das Nachbeben meiner Nerven, die tiefen und hellen Mittagsglocken, das Sonnenzittern der Wipfel und das Zerwühltsein meines Lagers in mir zusammen dermaßen geschlossen und als eines empfand, als wäre ich schon ins All versunken. Ich träumte mit offenen Augen: ich war nicht gut, nicht böse, ich hatte keine Reue, sondern eine ungemeine Gelöstheit und Dahingegebenheit war über mich hin, in mir …

Dann muß ich geschlafen haben. Und als ich erwachte, da war immer noch nichts in mir, was einer Reue geglichen hätte: sondern es war bloß eine schalkhafte Freude für mich, eine gewisse leise und angenehme Schwäche in den Knien zu überwinden und trotzdem in meine Berghöhen hinaufzugehen. Dort träumte ich dann weiter, aufgelöst wie früher und voll von dem Gesang: Geliebte, Geliebte!

Es gab nur eine Angst, einen Schmerz; morgen nicht mit ihr zu sein.

Übermorgen aber. Übermorgen um die Sommersonnwende!

Was soll ich ihr Tiefes, Hinreißendes geben oder sagen? Ach, da mache ich kein Programm. Die Heidengötter werden helfen.

Geliebte! Geliebte!

In diesem Worte rauschte dieser und der andere Tag dahin. Dann schlief ich in der schwüldurchdrängten Juninacht beinahe gar nicht mehr und wollte die Sonne anhetzen, noch früher aufzugehen, als sie schon tat.

Ah; im Norden wurde es damals überhaupt nicht völlig dunkel. Ein leises Dämmern blieb: ein Dämmern, wie ihr Versprechen, an diesem Tage zu kommen. Nur daß sie erst gegen Nachmittag kommen wollte, das zerwühlte mir das Herz.

An diesem Tage blieb ich zu Hause, versuchte zu schlafen, dämmerte im sommerlichen Blattgeriesel ein wenig ein und sprang wieder empor, um nach Uhr und Sonne auszuschauen. Breit strahlend und endlos lag dieser Tag dahin, als wollte er mir beweisen, daß er wirklich der längste des Jahres wäre. Ich verwünschte ihn fast: ihn, den ich zu feiern gedachte!

O. Er war der längste Tag meines Lebens!

Die hochhehre Sonne stand über der Ebene des Südens: wie selbstvergessen stand und ergoß sie sich. Angeschraubt, verliebt in ihren eigenen Glast: ich lästerte sie beinahe! Warf mich wieder hin, zu allem andern unfähig, als gierig zu warten. Dämmerte dahin, schätzte es auf Stunden, riß mich empor.

Nein; siebzehn Minuten waren es gewesen, wirklich nicht mehr.

Ich las den Faust; ich las die Bibel. Schal; schal.

Ich riß mir den Casanova heraus. Der flüsterte mir Flammen in mein ohnedies sengend heißes Blut. Ich warf ihn weg, lief in das kühlere, untere Zimmer, tuschte mich im Wasser ab, fuhr in einen leichten Pyjama und sprang wieder die Treppe empor, um von meinem Balkon aus neuerdings der Sonne zuzusehen. Ich krümmte mich unter der jammervollen Relativität aller Dinge: Sonnwendtag! Und ich verwünschte den heiligen Stundenzeiger. Nun stand er aber dennoch gegen die sanften Bergabschwünge des Westens zu. Farbiger wurde die bisher weiß glastende Welt.

Nichts bin ich mehr, als Warten und Sehnlichkeit. Ganz, ganz ausgeleert sonst. Und dennoch ist dieses an mir zehrende und ungeduldige Fressen mir lieb; ich heiße es gut, wie mein Vergehen. Schmerz und Lust nehme ich mit gleicher Inbrunst an mich. Das ist alles, was ich jetzt noch von mir weiß. Ihr seht, als Heide bin ich wenigstens folgegerecht. Schön ist die Pein dieser Ungeduld.

Es gibt nur ein Kainszeichen Gottes: das der Häßlichkeit. Die Industrie trägt es. Diese Stunde nicht! Ich bin zwar an sie verloren, aber ich bin hingerissen und begeistert, weil ich verloren bin!

Ich denke nichts als Bernstein; blonden und braunen Bernstein. Lore ist vollkommen aus dem Elektron der Griechen gemeißelt; meine verräterische, launenhafte, versagende und gewährende Göttin. Ihre Haut ist braun bis zum Exzeß, wenn man ihr blondes Lockengekräusel darüber hinwallen sieht. Ihre Haare sind, als ließe sich der gelbe Edelstein der Ostsee wie Zucker spinnen.

Lore, Lore! Weiber sind, die geben das Leben weiter; es sind die guten, die allverehrten Muttertiere. Und Weiber sind, die geben das Leben selber.

An denen pflanzt man sich nicht fort; an ihnen stirbt man, oder man stirbt mit ihnen.

So bist du, Lore. Werde ich mit dir sterben dürfen? Werde ich an dir sterben? Wie es komme, es wird berauschend sein. Und wenn dieses Leben kein Rausch ist, so pfeife ich es aus. Wer anders denkt, der leugnet's, weil er's nicht fühlt, der arme Teufel.

(Sonnwendtag, Heidentum! Aufflammen, verbrennen!)

Ich begann auf und nieder zu rennen; ich begann, meine eigene Niederlage zu begründen vor mir. Da trat Lore ein, weil ich ihr alle Türen offen gelassen hatte, und stand stille, und sah mich lächelnd an. Ich erstarrte auf der Stelle.

Ich schaute nach ihr hin, als wäre sie unwirklich und ich müsse das Phänomen erst studieren. Es war auch wert, stillezuhalten. Sie stand, hinreißend sauber, an meiner Türe und sah mich an, wie manchmal ein unerträglich schöner Traum tut.

»Was bist du so stillgeworden?«

»Sei auch du es. Laß dich ansehen.«

Sie hielt das brennende Wandern meiner Augen aus, obwohl ich merkte, daß es sie überlief; ein Wonnefrösteln ihres Sieges.

»Was hast du jetzt gedacht oder getan?« fragte sie, ohne sich zu rühren. »Warst du ungeduldig?«

»Im Gegenteil; ich habe den Augenblick angebetet.«

»So schnell bist du von der Ewigkeit abgekommen?«

»Ich habe nie einer andern Sache gedient, als der schweren Kunst der Minute.«

»Dann komme ich zu dir als eine sehr gelehrige Schülerin.«

Sie stand immer noch stille und lehnte gegen den Türrahmen; elegant, mädchenhaft, weiblich erwartend, still.

Ich trank an ihrem Bilde. Ich nahm mit allen Sinnen auf, was ich vermochte.

»Da sieht es dir wie in Demut entgegen, das reizend schuldlose Dirnenantlitz deiner Geliebten; deines ganzen Stückes Anteil von diesem Leben! Peruginos Agathen und Marien blickten nicht frömmer und reiner. Es wehte wie Himmelsgold um Lores Gesichtchen, über dem vor kurzen Wochen noch ein Myrtenkranz blühte. Aber ich weiß, daß der lachende Meister Perugino zynisch über Gott und alle seine Heiligen redete, daß er die Religion verachtete und mit einem Witze auf den Lippen, über das Wahnbild des Glaubens, endete. Das war der Maler der süßesten Unschuld.«

Lore sah aus, wie eine Heilige Peruginos.

Und ich, ich wagte nicht, ihr nahezukommen, so schön war sie. Ich betete an; mit zwiespältigem Herzen war ich entzückt, in Andacht versunken. O, diese bebend schöne Minute, da sie abwartend an der Türe stand!

Dann freilich preßte ich sie gegen den Türbalken, weil ich mich gar nicht nahe genug an sie drängen konnte, und ich küßte sie frevelhaft.

Sie holte Atem und sie küßte mir, wie sie mir immer tat, jeden Kuß zurück. Viele eilige, wenige langsame – – und sagte kein Wort zu allem, was ich mit ihr anstellte. Sie lächelte nur. Selig lächelte sie; rein lächelte sie.

»Willst du denn heute noch alles einholen, was ich dir seit vorigem November schuldig geblieben bin?« fragte sie endlich, als ich immer noch ihre ambrafarbigen Schultern küßte. Sie hatte geduldet, war mitgerissen worden, war erst wieder bloß gütevoll gewesen und abermals, verwegener aufgewühlt, hatte sie sich dann in meinen Armen gewunden. Jetzt war sie erschöpft, wie ein kleines Mädchen: »Willst du denn in einer Stunde alles einholen?«

»O Mädel, was habe ich gelitten!«

»Du warst doch glücklich ohne mich?«

»Es war das Glück einer Pflanze. Jetzt ist es das Glück einer Flamme.«

Lore dehnte sich unter der Anbetung meiner Küsse. »Vielleicht hast du erst jetzt ein Herz für mich, da du mir etwas zu verzeihen hast.«

Ich saß stille; ich dachte nach. Wirklich: was wäre nun besser gewesen? Nie betrogen gewesen zu sein und nie verloren zu haben, oder das sündhafte Mädel erst jetzt wieder zahm zu sehen, wo sie alles auf Erden besaß und dennoch zu mir armen Kerl gelaufen kam?

Sie saß nun und kleidete sich aufs zierlichste an, indem sie immer weiter redete. »Siehst du, Alo,« sagte sie, in sich hinein sinnend: »Frauen gibt es, die sind wie Brüsseler Spitzen; je älter und getragener, desto wertvoller. Aber wenn ich an alle denke, die ich kenne, – auch ein wenig an mich selber, du Liebster: so kommen mir diese alle vor wie Austern, die man nur frisch und geschwind genießen kann. Du, davor habe ich Angst.«

Ich mußte herzlich lachen, so ernsthaft sagte sie das, während sie sich bemühte, die Strumpfhälter sorglich anzuspannen, daß nur ja kein Fältchen das Ebenmaß ihrer schönen Linie unterbräche!

»Das ist einfach,« begann ich endlich. »Der einzige Schatz, den du fürs Alter sammeln kannst, ist: lern' alles lieben. Lerne dich übers Kleinste freuen. Das wäre eine alte Philosophie; aber nun gibt es doch etwas, worin wir jenen alten Heiden überlegen sind. Nämlich, wir sind sublimer geworden, unsere Sinne sind verfeinerter. Davon müssen wir den erlesensten Gebrauch machen.

»Heute sieht jeder Kulturmensch schon so fein, wie, vor hundert Jahren, etwa nur ein Maler zu sehen vermochte.

»Jeder Mensch muß Künstler sein; sein Leben dessen Kunstwerk. Wenn er morgens erwacht: ›Was für ein Kunstwerk mache ich aus diesem Tage?‹

»Dann ist da der Reiz des Tierlebens. Kein ganzer Mensch ohne das, was ein ganzes Kind nie entbehren könnte: Tiere, Pflanzen! Verlieren wir diese Brüderschaft, so sind wir abgehoben vom Leben und sterblich geworden.«

»Hübsch das,« meinte Lore. »Wirst du mich heute in diesem Sinne ausführen?«

»Wenn wir Glück haben und was Hübsches sehen,« sagte ich.

»Ah, du mußt mir beweisen, daß du alles durchseelen kannst. Ich habe sie jetzt kennen gelernt: Bankdirektoren und Fliegeroffiziere. Fürchterlich starke Ellbogen hatten sie, und doch war keiner ein Gott, denn jeder brauchte die andern. Ein Gott ist mir, wer in sich selber beruht. Wer, wie du, das All in sein Eines versenken und Genüge und Glück in sich haben könnte, wie du! Während ich so elend war, so elend, Alo!«

Sie stand jetzt vor dem Spiegel; sie drehte sich um und machte ein wirklich trostloses Gesicht. Und selbst, als sie wieder zurücksah, da betrachtete sie, ganz unglücklich, dieses selbe trostlose Gesicht eine ganze Weile im Spiegel. Endlich machte sie wieder ein anderes, zufriedenes, und drehte sich die goldig widerstrebenden Löckchen weiter.

»Ich habe unermeßliche Sehnsucht nach dir gehabt, Alo! Ich habe mir gedacht: unfehlbar geht, wer hinter dem gewollt Einsamen hergeht. Und so bin ich so lange zu dir gekommen, bis du mich wieder gemocht hast.«

Sie sah zärtlich nach mir zurück, ich eilte auf sie zu, küßte sie und war sehr geschmeichelt und erhaben. Sie sagte mir all das, was ich mir gar so gerne selber hätte sagen dürfen: es war eine Wonne ohne Beispiel!

Ich kam zu ihr um Sinnenaufruhr, sie kam zu mir um Harmonie! –

Wenn's auch nur eine Laune von ihr und eine Abirrung von mir war, es war zu schön und zu lieb, als daß ich's nicht anbeten hätte sollen, wie alles, was mir der Zufall hinwirft. Und er warf mir oft sehr viel geringere Dinge zu, damit ich, wie ein Kehrichtklauber, Sinn und Nutzen darin fände.

Ich sah ihr zu, wie sie sich putzte. Zierlich und gottgewollt, wie eine Katze. Tiefes und Nichtiges waren in diesem göttlichen Wesen eines. Und da soll man kein Heide werden.

»Hallo?« sagte sie, als sie einen Schal umnahm, ihn ein paarmal drapierte und sich wie eine Tänzerin links und rechts drehte, bis sie den Schal wieder abnahm und über den Arm warf. »Ich bin fertig.«

»Fertig, zu was?«

»Aber doch zum Sonnwendabend!« lachte sie. »Brechen wir auf?«

Ja, das hatte ich vergessen. Sie wollte mit mir das Hauptheidenfest feiern! Nun fuhr ich in alle meine Sachen verkehrt hinein, ließ sie mich auslachen, mir helfen und mir zuletzt die Krawatte binden.

»Allen Respekt,« sagte sie. »Kultur hast du immer noch. Man sieht's an der Neuheit und am Geschmack deiner Krawatten.«

»Menschliche Schwachheit, Lore.«

»Davon merke ich nicht das geringste. Mach dich nicht mausig. Du bist ein Hauptkerl, und ich hab' dich lieb deshalb. Und jetzt, – sei heidnisch.«

»War ich's denn nicht schon?« fragte ich in aller Unschuld.

»Esel,« sagte Lore: »Du sollst endlich einmal mit mir vernünftig sein. Also, wohin gehen wir?«

»Ich habe, vor lauter Sehnsucht nach dir, noch gar nicht an einen Plan gedacht. Aber warte: planlos, das ist das schönste. Ich werde einmal verschwenderisch sein. Der Tag war sehr lang, aber jetzt ist die Sonne nur mehr zwei Stunden am Himmel, oder nicht viel mehr. Ich werde um einen Wagen rufen; es ist gleich gegenüber ein Mann, der das einzige überlebende Pferd der Gegend besitzt. Wir werden fahren, als ob üppigster Friede wäre.«

Lore lachte und ließ mich den Wagen holen; sie wollte sich inzwischen auf alle meine Plätze setzen und sich in Einsamkeiten vertiefen, in denen ich gewohnt hatte, ehe sie mich aufwecken gekommen war.


Ja; eine neue Zeit war angebrochen; diese Junggesellenbude hatte ihre Geliebte. Aufrichtig: hatte sie nicht drauf gewartet?

Ich stob davon; ich war Zeuge des Anschirrens einer gütigen Greisin von Stute, vor welcher sogar der Staat schonend zurückgetreten war; ich hielt aber das Ende der verwickelten Angelegenheit nicht aus und fuhr wie eine Rakete zu Lore zurück, um sie devastierend zu küssen.

Eben, als sie ihre Kleidung und ihr Haar wieder in Ordnung gebracht hatte, da kam das Kabriolett angeknattert, blieb mühsam stehen, und der Besitzer jenes geduldigen Ablebepferdes fragte mich unter seiner mächtig roten Nase hervor: »Wohin?«

»Immer der Sonne nach,« rief ich. Lore sagte, das wäre schön, und so war er es zufrieden. Langsam, wie der Sonnengang dieses Tages, trabte unsere ganze Herrlichkeit und unser Glück gegen Westen dahin.

Wir waren wie die Kinder, und das schien mir gerade das rechte. Ich sagte Lore, mit dem letzten Reste von Weltweisheit, den ich für heute an sie wenden konnte, noch folgendes: »Du, Mädel, ehe ich vor Glück toll werde, muß ich dir noch was kundtun. Gib acht, ob ich recht habe. Also: zuletzt, wenn wir einmal unser Leben überschauen, was war das ganze Glück? Nichts als die Summe alles dessen, was es an Stimmungen enthielt.

»Nur große und ungebrochene Stimmungen merken wir uns überhaupt. Überprüf's! Hab' ich recht?! Es scheint, daß das, was wir Gott nennen, überhaupt nur in dem steckt, was zur Stimmung wird. Stimmung ist elektrische Vollgeladenheit. Stimmung ist also Er selber.«

»Red' nicht davon, sonst geht Er davon,« sagte Lore leise, und das war sehr lieb und fein von ihr, denn sie hatte recht, und überdies bewies mir dieses Wort, daß sie mich übrig genug verstanden hatte. Ich schwieg auch gleich stille, und das leichte Schieben und Erschauern ihrer Schultern bewies mir, daß sie von jener Stimmung angefaßt war. Es war ein glücklicher Tag heute.

Und wir rollten dahin; die Wachteln schlugen immer noch und der Pirol rief, und ferne im Walde, auf den wir zufuhren, tat der Kuckuck seine letzten Rufe in diesem Jahr:

Lore lehnte sich, überströmt von Sonne und Wohlsein, zurück.

Ich sah sie an, ich versank in das Wunder dieses Augenblickes.

Der Tag war launenhaft bewölkt und sonnewechselnd; wie ein Pantherfell waren der Himmel und die Erde von seinen Schatten schattiert und getupft.

Wundschuh, am Westrande der Blickfläche, hatte Regen; daneben die kleine Kirche Sankt Florian auf dem Berge fahlgelbes Licht; der große Buchberg tiefblaue, düster herdrohende Tinte; darunter das Kloster Sankt Martin gleißend gelbe Sonne und der ferne hingedüftete Wildoner Berg erblühte halb hellgrün, halb war er schon grau in die Schleier des Regens eingehüllt, der uns immer näher kam. Wir zogen, lustig fröstelnd, das Dach unseres Wägelchens empor und fuhren in die Graunis hinein weiter.

»Ist dir nicht jetzt genau so zumute,« fragte ich Lore, »wie dem Lande selbst? Über diese ganze Welt, die kaum zu erreisen ist, geht heute eine Aprillaune der Gottheit; bunt und hold; verdrossen, tragisch überdüstert, und wieder emporgeneckt. Wie die Scheckentaler auf einem Schaukelpferd. Wir leben darin und wollen nicht mittun? Ist denn dieser ganze Planet nicht ebenfalls bloß ein Menschenleben? Aus Bewußtlosigkeit hat er sich, immer weiter, bis zur Klugheit und zu allerlei Geschäftigkeiten emporgerungen; zuerst ein wilder, roher Knabe mit Wutausbrüchen ohne Ursach'; dann trunkener Jüngling, der zwar noch siegen, aber auch schon gefallen will, endlich ein erwerbgieriger Mann, wie eben in dieser Zeit, und bald auch Besitzer und Schlemmer; endlich kriegt er Gicht, wird alt und kalt und krepiert. Ob unser Leben, ob das der Eintagsfliege, ob das dieses ganzen, rollenden Kügelchens Erde, – es ist all eins. Nicht mit dem Ich können wir leben: nur mit einem fröhlichen ›wir alle‹, – wozu auch die Sterne zählen.«

»Oft möchte ich bloß ein Baum sein,« sagte Lore. »Ein Baum mit Ohren, um den Wind zu hören, der um mich heult, sonst nichts. Glaubst du, ich kenne den bewegungslosen Reiz einer Stimmung nicht?«

»Aber da bist du ja auf dem besten Weg, Lore,« sagte ich. »Beinahe jeder Mensch hat das in sich. Nur bemüht er sich, kläglich genug, es zu verlernen; dieses Lauschen auf die dunkle Sprache der großen Launen. Regengeprassel, Donner, Wellenplanschen am Ufer, Brandung: ihnen pflanzenhaft lauschen können, das ist die Vorschule und der erste Weg in die Unsterblichkeit des Allgefühls.«

»Jetzt verstehe ich dich,« sagte Lore: »und es ist eigentlich furchtbar einfach, was du predigst.«

»Was wäre das für eine Erlösung, die nicht für den Allerärmsten im Geiste ebenso und reichlicher bereitstünde, als für ein raffiniert kluges Jüngel?«

Wir fuhren in ein leises Windschauern hinein, immer mehr; und ferne vor uns auf der Landstraße bildete der Wind wieder jene kostbaren kleinen Wirbelgespenster, die ich so sehr liebhabe. Ich zeigte sie Lore, die sich, suggestiv ergriffen, in ihren Schal wickelte und dabei lachte.

»Hat es dich angefaßt?« fragte ich. »Siehst du, was die Stimmung des Augenblicks sein kann? An dieses schauernd wohlige Einwickeln denkst du vielleicht länger, als an deine schönsten Ballabende; ergreif nur den Augenblick und behalt ihn, köstlich, auf der Zunge! Gänzlich gesichert haben wir nichts als den Augenblick. Und, Lore: dieses ist doch ein Nichts; wahr oder nicht wahr? Und dennoch dieses Nichts durchgraut dich wie süße Ahnung; bloß weil ein Wetter kommt, weil seine kleinen Geisterchen dort voraustanzen, weil wir wie in einer kleinen Hütte geschützt bleiben werden …«

Der erste Donnerschlag hieb mein Wort entzwei. Lore lachte.

»Ich verstehe alles,« sagte sie. »Und, hör mich an. Beim nächsten Dorfwirtshaus lassen wir uns den Gaul ausspannen und schicken Kutscher und Pferd zur Krippe und zum Trinken. Wir aber bleiben in unserm verlassenen Reisewagen allein, wie in die Regenwand eingemauert, und sehen der ganzen Bescherung zu.«

»Du bist ein wunderbares Mädel,« sagte ich.

Ich hatte Lust an meiner Schülerin. Sogleich hatte sie dies mein Wort begriffen: »Bete an, das ist alles.« Den Baum, den Menschen, die Stunde, den Zufall. Anbetung, das ist ja nichts, als die Herausforderung einer Gegenpolwirkung, die jeder Kraftleistung unausweichlich entgegenströmt. Das Menschliche atmen wir in Liebe hinaus, entgegen strömt uns das Göttliche.

Sie verstand's. Und immer heißer wurde meine Sehnsucht, dieses köstliche Geschöpf allein für mich zu gewinnen; eine Sehnsucht, die ich, in meinem Innersten, doch selber unerfüllbar sah. Sie spielte heute mit sich und mit mir. Das war alles. Eine kluge Dirne: das war alles.

Was ich selber tun konnte, war nichts, als den himmlischen Augenblick mit ihr bis an sein Letztes auszusaugen, und mich, in stetem Glück stets abschiednehmend, klüglich darauf zu trainieren, sie durch die nächste ihrer Launen wieder zu verlieren. Nur nicht ernst nehmen, wenn ein Weib erschauert; nur nichts ernst nehmen, als eben den Augenblick, in dem es erschauert!

Es geschah alles, wie Lore wollte. Der Kutscher erhielt genügend Geld, um ein langes Gewitter trinkend zu überstehen, und für den Gaul erbaten wir sogar kostbaren Hafer. Dann blieben wir, allein gelassen, abseits der Landstraße an einem Gartenwege stehen, zogen das Spritzleder höher über uns, wickelten die Beine in alle Decken, welche auf dem Kutschbocke lagen, und erwarteten, bis zum Halse hinauf geschützt, das majestätische Losprasseln.

Das war auch schon im Gange, und wuchtige Tropfen, dick wie zerplatzende Eier, fielen auf Wagendach und Straße. Zuerst stäubte es, dann sprühte es; aufheulte der Wind in Schuppendach und Baumkronen.

Alles war bereit, Lore schob sich fest an mich, und dann ging unser Fest des Sommerregens los.

Herrgott, wie das Wasser in die Erde verliebt war und sich augenblicklich in sie, zeugungswütig, verkroch. Wie die Erde gierte und schlang! Ein Überfluß stürzte hernieder, aber zuerst schien der Boden sofort wieder trocken zu sein; so wenig konnte er genug des herniederstürzenden Himmels haben.

Die Erdhaut sträubte sich vor Wonne; es sah wahrhaftig aus, wie eine Gänsehaut, wenn die hunderttausend Hämmerchen der Tropfen auf sie herniedertüpfelten! Wie getriebenes Kupfer sah der Boden aus; vollkommen zerküßt von Millionen kleiner Liebeserklärungen.

Und die Gräser, wie mochten sich die Gräser erst fühlen; sie reckten und steilten sich, wurden unbändig und übersaftig vor Frische. Ein phallisches Sprießen bäumte sich überall empor; das Grün drohte vor Leben zu platzen, wie Eros knapp vor dem Worte »endlich«.

In einen Kanal klingelt und munkelt nun sachte das überflüssige Wasser ab, und kein Instrument könnte die Lieblichkeit dieser Laute geben. Pink, pank, pönk: war das Harfe, oder Glockenspiel, oder Geigenpizzikato, oder Xylophon, oder dies alles zusammen? Lore lachte vor Lust.

Der Mädchenchor der Blumen (geheim sündig, und doch rein) stand wie zu einem Konzerte, wartete wie auf den Einsatz zu einem wundervollen Akkorde.

Der Klee war Edelsteinhändler geworden. Alle Augenblicke lag ein neues Geschmeide, sprühend vor Farbe und Licht, auf seinen Händen, wurde hinweggeräumt und machte einem noch toller fassettierten Platz. Frieselnd überlief es die Lindenblüten; aber sie dufteten, in diesem warm herniederkommenden Regen, nach all ihren schönsten Kräften weiter. Überhaupt: eine dumpf-schwüle Duftwolke hüllte alles ein; Brautstimmung überall. Die Blüten aller Arten waren es, die bis zur Besinnungslosigkeit erregt waren!

Was weiter geschah? Wir waren doch mit dem allem eines? Wir haben alles andere vergessen, damals, und nicht mehr gesehen als uns. In diesem Regen kam keine Seele an unsern Wagen, und während es entsetzlich donnerte, küßten wir uns wie rasend und beinahe ohne jede andere Besinnung, als daß der Teufel los wäre, – in uns, um uns! Hätte der Blitz in unsern Wagen geschlagen, er hätte nur mehr ein einziges Wesen entseelt; da war nichts mehr »Ich« und nichts mehr »Du!«

Wir fuhren erst auseinander, als der Donner in ein fernes Piano ausgrollte und die Sonne wieder gegangen kam. Die Straße wurde grell, und bald kam auch der Schatten unseres vergnügt gewordenen Kutschers über sie daher.

»Aus is'. Fahr'n ma weiter?«

Jetzt konnte das greise Pferdchen wirklich traben; es rollte unser Wägelchen über die erquickte Landstraße dahin, als wäre wieder Friede. Der frischgewordene Luftzug strich die Hitze von unsern Stirnen; selig müde, und doch mit aufgewühltem Pulsschlag, saßen wir nebeneinander.

»War's schön, Lore?«

Sie legte bloß den Kopf an meine Schulter, wie ein gestehendes kleines Mädel. Ich sah es, daß sie glücklich war; glücklich und berauscht. So eine verwöhnte Dame, und doch … Wie war ich stolz und froh!

Ja, und dann kam beinahe das Schönste; der Abend.

Da geht der Straßenweg durch eine Waldschlucht; Einöde heißt sie, und an ihrem Eingange stehen noch wunderbare, alte Weingartenhäuser am Berge empor; efeuumschlossen seit vielen hundert Jahren. Manche noch mit der lange entschwundenen Farbenfreude früherer Zeiten getüncht. Rotockerbraun, orangegelb und kaisergelb, eines dazwischen himmelblau. Schön war das. Und Wein und Efeu umarmten zärtlich diese Farben, bis unter die hohen und spitzen Zeltdächer.

Darüber begann der Wald, stieg mit Edelkastanien empor, vergriff sich dann in alten Buchenkronen und lief in blaudunkle Fichtenhöhe über. Ganz oben spitzte sich das Kirchlein Johann und Paul mit seinem Turm weißlich aus dem Fichtengesperr. Es war das Höchste, was man sah, und darüber war nur der gestillt gewordene Himmel, mit unbegreiflich hellem Herdengetriebe kleiner Wölkchen.

Wir fuhren um den Berg herum; die Straße schmiegte sich in alle Bodenfalten und umschmeichelte den greisen, bis sie ihn überwunden und erklommen hatte, und nun fuhren wir auf lichterer Höhe dahin; hopp, ging das jetzt fesch!

Eine alte Steinsäule stand am Wege: Kiselak, stand drauf eingemeißelt.

Wir lachten.

Wieder kamen Maronenbäume am Wege! Sie blühten toll und voll; wie lichtgrüne Monstranzen standen die strotzenden Blüten auseinander; weich wie Werg, und duftend wie ein frischer, junger Körper. Alles das war erregend. Sonnwende! Und das Sonnwendkraut, die weiße Waldspiräe, sie umgab die ganzen Ränder der düstern Fichtenverzaubertheiten, in denen das Wild Brautnächte bereitete. Genau wie die Schaumlinie der Brandung eine düstere Küstenlinie bezeichnet, so umgab dieser weiße Johanniskrautgürtel die heilig dunklen Wälder.

Oben in den Bergen ist ein liebes Gasthaus, das heißt zum braunen Hirschen, und dort hielten wir Endrast.

Es war ein ganz verfallener Pavillon, ziemlich weit vom Gasthause weg, auf der wiesenhellen Höhe des Berges, zu dem stiegen wir hinan und wären dort geblieben, wenn die Wirtin uns nicht gerufen und im Gemüsegarten eine Rosenlaube gewiesen hätte, in der sie uns ein kleines Mahl säuberlich getischt hatte. Da verschoben wir den Überblick von dieser einsamen Höhe für später und ergaben uns froh in das wenige, was der Krieg uns hier zu lassen geruhte.

Ah, was war das für ein Bewundern ob dreier, frischgelegter Eier! Wie selten und köstlich sahen sie uns aus, und wie konnten wir uns drüber freuen! In jenen Tagen lernten oft sehr verwöhnte Leute das Glück der Armut kennen. Daß Essen und Trinken ein hohes Fest sein kann; österlich, selten und dankerfüllt zu genießen!

Wir waren so gerührt, so gehoben, so sehr der Auserlesenheit des Tages bewußt, daß wir uns in einem fort wie beglückwünschend die Hände drücken mußten. Gegenüber lag ein vereinsamtes Weingartenschlößchen, reizend alt. An vorspringender Terrassenmauer irgendein Rebenpatron oder Gartengott aus Sandstein. Alles träumte. Kein Mensch regte sich.

»Wirst du mich als Geliebte behalten?« fragte Lore.

»O du!« Und ich küßte sie und glaubte ihr und der wunderbaren Stunde alles, alles. Dann aßen wir unsern Imbiß weiter und tranken uns zu, ganz hellen grünlichen Landwein, chrysolithfarbenen.

Wir sahen uns in die Augen, als ob wir uns nicht genug anzusehen vermöchten; und doch hatte ich, vor einem Jahre? – Genug: Sie hatte eine Odyssee hinter sich; ich hatte, wie sie, ein Jahr voll Heimweh und Suchen hinter mir. Vielleicht waren wir beide am Ziel.

»Auf eine Liebe, so lang wie unser Leben, so stark und tief wie dieser Tag,« sagten wir uns und tranken uns zu. Kein Mensch war in der Nähe. Ein Kätzchen saß bei uns und gehörte vollkommen zu uns, wie die Rosenranken, die bis über unsern Tisch hinübergriffen. Wir waren vollkommen in Blüte und Abendrot eingesponnen …

»Abendrot!« Ja richtig, wir mußten doch die Sonne untergehen sehen; heute unbedingt! Das war eine Wichtigkeit ohnemaßen!

Lore und ich standen dann oben auf der Wiesenhöhe, wie Kinder Hand in Hand, und die Sonne ging unter! – ging hinter jenem Katafalke unter, der Gleinalpe heißt; das war alles. Wir sagten uns gar nichts, denn wir beide waren eins.

Die Sonne wurde gelbrot, dann glührot. Sie rückte so merkbar an die messerscharfe Felsenkante heran, daß uns ein leises Grauen anpackte. Sie schnitt sich daran wund, sie versagte sich langsam und hielt nur mehr eine Hälfte empor, wie den geteilten Granatapfel der Persephoneia, brennend in Weh und Schönheit. Dann ward ihrer immer weniger, der kaltgrüne Felsen sog sie auf und zerschnitt zuletzt das letzte, versickernde Stücklein Glut.

In Erinnerungsweh brannte der Himmel.

Wir standen, uns graute; ganz leise. Des Jahres Höhe war vorüber, und jetzt neigte es sich gegen Herbst. Uns wurde eine Angst im Herzen lebendig: hilfesuchend schauten wir uns in die Augen:

»Du, bleib mir treu,« sagten sich unsere Blicke.

»Du, der Winter naht: wenn ich dich nicht habe, was bleibt mir von der versinkenden Höhe des Lebens?«

Wir hatten beide dieselbe Herzensangst in den Augen; dieselben Fragen, und beide schwiegen wir, während wir unsere Hände fester ineinanderpreßten. So sahen wir zu, was der nachdenkende Himmel noch, in prachtvoller Leichenrede, zu sagen hatte. Jedes verschwimmende Glutwölkchen tranken wir mit den Augen in uns; sogar das absagende Apfelgrün, das zuletzt allein übrigblieb, war uns noch wert und teuer. Dann ging ein Frösteln durch den schönen und nervösen Körper meines geliebten Weibes.

»Jetzt ist es aus,« sagte Lore; – »und jetzt müssen wir gehen.«

Das sagte sie mit der unausmeßbaren Angst eines Kindes und mit dessen ganzer Betrübtheit.

Wir fuhren zurück; wir fuhren in den lange dämmernden Abend hinein. Es redete keines; die vorsichtigen Hufschläge des alten Pferdes klapperten träge, und nur aus den Edelkastanien am Wege duftete es inbrünstig. Im Walde schreckte ein Reh; dann begannen die Weingartengrillen und die Zikaden, die dort, in jenen Reben, ihre letzten nördlichen Ansiedler haben; der Ziegenmelker umstrich uns mit klagenden Rufen, dann kam und schwand lautlos die Eule.

Es ist sonderbar: die brennendste Hingabe mit allen Sinnenfreuden einigt zwei Liebende nicht so, wie das ruhige Anschauen von irgend etwas Schönem oder gar Erhebendem, Hand in Hand. Ein schönes Bilderbuch, ein ergreifendes Stück, eine Musik, nun aber gar der Anblick der uns alle innehabenden und auflösenden Natur, zusammen und innig nahe aneinander genossen, das ist wie die ersehnte » final emancipation«, von der mir ein indischer Kriegsgefangener erklärte, daß sie der Brahmanenweisheit letztes Ziel wäre.

Und ich weiß kein Wort der Berauschtheit mehr.

Eine wunderbare Ruhe sogar überfließt mich, wenn ich nun schreibe, was bisher meines ganzen Lebens Akme war. Mehr und Schöneres habe ich nicht zu verzeichnen, als dieses ausschweigende Hand-in-Hand-Stehen mit Lore, da das Sonnwendgestirn unterging. Als flösse das heilige Öl der Minerva statt des Blutes durch meine Adern, als wäre ich ein Baum und nicht mehr, so wunderbar geruhig ist mir zumute, gedenke ich jener vollkommenen Süße dieses Orgelpunktes in meinem Leben, – damals.

Lange Tage nachher vermochte ich noch kein Wort darüber zu schreiben: so sehr geweiht war jenes Gefühl; es schämte sich jedes enthüllenden oder unvollkommen machenden Wortes!

Auch jetzt bin ich ganz hilflos: was soll ich sagen? Und was soll ich mich mühen? Es war ein Akkord; wer faßte den in Worte!

Von jener sanften Rasenhöhe sah man weitum, in die Runde einer von Menschen aufs lieblichste verschont gebliebenen Erde der Wälder und der Berge. Gegen Westen stieg es immer bedrohlicher zur Alpengröße hinan; zuletzt schloß ein wahrer Katafalk diese wunderschöne Welt ab; ein Katafalk mit Schneerissen, felsig öde und unnahbar, als wäre dort der Weltenheld aufgebahrt. Mithras oder Osiris oder Adonis, Belobog oder Baldur: wir haben ja so stammelnd viele Namen für den Einen, der uns alle selig macht!


Und nun sage ich es wieder:

Ein einziges Volk auf Erden hat keinen Naturmythus mehr: ermesset ihr sein Unbehagen und seine Seelenangst vor ihm? Sein Bestreben, dieses ewig holde Heidentum auch in uns vergessen zu machen?

O, wie macht es reich und unsterblich schon in diesem Leben! Laßt es euch nicht nehmen! Mich, mitten in Sinnenbrand Verlorenen sogar, erlöste es.

Vor einer letzten Steigung verpustete noch einmal das Pferdchen. Da sagte Lore langsam, nicht sehr bestimmt, eher unsicher:

»Ich gehe von Pompeo Degrassi weg und ich gehe zu dir.«

Ich antwortete nichts; ich dehnte mich in der Süßlichkeit dieser Worte; dankbar, weil sie nur überhaupt da waren.

Lore begann wieder: »Ich weiß, du glaubst mir nicht. Und doch möchte ich nichts auf Erden lieber: hilf mir!«

»Ich habe eine Holzhütte und ringsumher Bohnen und Kartoffeln, kaum für einen genug. Du bist gewöhnt, in Seide und Spitzen zu gehen. Dem reichen Degrassi weggenommen wie jetzt, so bist du eher gesegnet als verflucht. Mir Armen weggenommen – und Sorge und Entbehrung würden dich müde machen und von mir forttreiben –, mir Armen abermals weggenommen, dieser Fluch würde uns beide zerdrücken.«

Wir hatten die Wasserscheide überwunden: in spärlichem Lichterscheine lag die hungernde Stadt weit unten vor uns. Lore sah sie und schwieg.

Endlich, als wir langsam und mit quiekendem Radschuh hinunterrollten, sagte sie: »Ja, ja, widerwillig geht es bergab, aber bergab geht es.«

»Mit meiner Liebe nicht, Lore.«

»Wir müssen zur Stadt zurück, das meine ich. Sie hat uns; beide. Dich weniger, mich mehr. Sie regiert uns, weil wir sie brauchen. Du hast recht. Ich bin kein Naturkind und kein Zigeunermädel, das mit dem Liebsten ›betteln geht über die Heide‹. Du, in deiner lieben Holzhütte, in der du alles selber gemacht hast, bist noch ein Gott gegen meine bedürfnisreiche Armut! Was werde ich, morgen oder übermorgen schon, wieder im Kopf haben: Herrgott, ich könnte weinen!«

»Wie selig sind doch die Armen,« sagte ich und sah sie hilflos an.

Bald mußte sie aussteigen, damit ihre Spur sich in der Stadt vor dem Klatsche verlor, und so war unser Sonnwendtag zu Ende.

Ich saß dann lange, lange auf meinem einfachen Holzbalkon, kam mir bald wie ein König vor und bald wie ein Bettler und litt in meinem Innersten um Lores verlorene Seele.

Das verfluchte Geld! Sie konnte es nicht mehr lassen, und so wurde zur Dieberei, was Ärmere stolz und frei gemacht hätte: unsere Liebe.


Ob es der Erde größtes Glück wäre, wenn alle Güter, zu einem bescheidenen Mittel, geteilt würden? Die innerlich Reichen würden reicher davon.

Aber die innerlich Armen würden noch böser.

Ich sah in den immer noch dämmernden Himmel gegen Nordwesten. Vorüber die Höhe aller Höhen. Es ging gegen den Tod zu. Nun hieß es, sich auch gegen den bereiten.

Lore, – sie war ein wundervoller Augenblick: »Wir haben nichts als den Augenblick. Machen wir aus dem das Kunstwerk.«

Nun, das Kunstwerk jenes Sonnwendabends hatte mit leisem Frösteln und mit Ahnung der Vernichtung geendet. War es darum keines? Und unterm Sternenhimmel saß ich und sann und sann jetzt, ob Lore überhaupt mein wäre. Und wenn, ob ich sie mir erhielte; – und wenn, ob mein Leben nicht ärmer würde durch sie?

Und wenn? Nimm, was da kommt. Tod, Verlust, Betrug! Drück es nur an dein Herz, und Wunder des Lebens blühen aus allem!

Ich ließ mich von den Stimmen der Nacht auflösen; ich ließ meine gespannten Glieder auseinandersinken und horchte, pflanzenhaft verdämmert, was die Sommernacht für Torheiten weiter beging. Das war schön. Und, wie so oft, erlöste mich das Unbewußte. Ich schlief schon, ehe ich wußte, daß es war, und erst das angreifende Frösteln um zwei Uhr in der Frühe erweckte mich und trieb mich in ein willkommenes und lustig empfundenes Bett.

Ich drehte mich um und um, verwickelte mich in meine Decken und ich schlief wie ein Bruder Leichtsinn bis in den hellen, lang begonnenen Tag. Und jetzt: Ergriffenheit, gebenedeite Ergriffenheit! Fühle ich dich wieder? Ich glaube, du warst so stark nicht mehr bei mir, seit ich jung gewesen bin. Und jetzt bist du wieder da? Ich war, was der Pöbelmensch so nennt, »zu stark« für dich gewesen, nicht wahr? Und heute, wo ich weiß, ich habe was Schlechtes angestellt, und wo ich überdies schwach in den Knien bin, weil Lore mich immer wieder begierig nach sich gemacht hatte, heute bin ich ergriffen, wie ein wehrloser Rekonvaleszent an einem Frühlingstage; meine Seele steht offen und ist milde, lieb und gut.

Und da sollte Sünde gewesen sein, wo so lieblicher Nachhall ist?

Alles könnte mir jetzt widerfahren; sogar Lore mich abermals verlassen und einem andern unterliegen, ich würde dazu segnend lächeln können. Ich sehe unter mir meinen Garten, meine kleinen Pflanzen, die Bohnenranken mit ihren umherguckenden Blüten, die Erbslein und die Salate. Wie mir alles gedeiht, wie alles kommt und aufsteht im Lebensgedränge!

Ich bin so reich!

Meine Arbeit, meine liebe Arbeit an diesem Stückchen Erde blüht! Aber stähle sie mir selbst ein Hungernder zu Nacht, ich bedauerte nichts, als daß ich ihm nicht dazu sagen konnte: »Nimm und iß mit Gott und vergiß nicht, dich zu freuen!«

Wes auch die Früchte sein mögen; meine Arbeit blüht, und ich sehe das und verstehe meine von mir erweckten und betreuten kleinen Geschöpfe: selig bin ich über ihre Schönheit!

Merkt ihr, daß die Bohnen sich nur in der Richtung des Uhrzeigers schlingen, und daß die Bäume senkrecht stehen müssen, auch wenn der Wind sie schief bog? Vom steilsten Abhange weg stehen sie immer, von der Spitze bis gegen den Wurzelhals zu, gegen den Mittelpunkt der Erde hin, die sonderbaren Idealisten! In sich selber haben sie eine Richtung und einen Charakter, der uns arme ablenkbare Menschen beschämen muß! Ein Journal ward mir hereingeworfen. Ich sehe es an, ich sehe die Bäume an.

Sie leben; sie wissen, traumhaft, mehr als wir! Und ich sollte heute eine Zeitung lesen? Großer Gott im Himmel!

Ich sehe sie an und bin gedemütigt, so sehr, daß ich mich erhoben fühle.

Ich mag heute Degrassi nicht sehen. Wahrhaftig, nicht aus Scham oder schlechtem Gewissen, sondern aus Angst vor meinem Mitleid. Ich fiele ihm am Ende um den Hals. Er ist kein schlechter Kerl, soviel er in seinem Unverstande zertreten hat, was andern teuer war. Wer ist denn auch schlecht!?

Nur die Rachsucht. Und selbst die ist eine Polaritätserscheinung, deren andere Hälfte außer ihr liegt.

Er ist kein schlechter Kerl. Er leidet, weil er verhaßt ist. Und nun liebt ihn nicht einmal sein wunderschönes Weib, das er sich, naiv genug, rechtssicher gekauft zu haben wähnte. –

Vielleicht auch, daß er mein Kind großziehen wird. Ich muß ihm, und wenn's mir zur Strafe wird, deshalb schon in der Nähe und unentbehrlich bleiben.

Nur heute nicht: heute bin ich so ergriffen, wie es ein Mann nicht sein soll; ich bin also kein Mann heute. Vielleicht Kind, vielleicht Seele? Keinesfalls tauge ich zur Arbeit: ich stehe ja offen, wie die entblößte Scholle im März.

Und ich fühle, Samen fallen in mich. Ich atme sie sogar ein, alles findet mich empfängnisbereit, was in mich wehen will.

Ich war hinuntergegangen, meine Kartoffeln zu häufeln. Dabei hielt ich öfter inne, und, weiß Gott warum, fiel mir eine Träne aus dem Auge; aus dem einen, dann aus dem andern. So gerührt bin ich über den Duft der Erde gewesen, und daß sie mir, mir geradezu, ohne Umweg übers elende Geld, Kartoffeln gibt!

Meine Petersilie stand zu dicht; ich verzog die überschüssigen Pflänzchen, und wieder sang mir ihr Duft ganze Volkslieder! Da ist in irgendeinem alten Liebesliede eine Stelle, die heißt:

»Petersilie, du edles grünes Kraut,« – –

Wie kommt die Petersilie in ein Liebeslied? Heute weiß ich es. Obwohl ein Zyniker sagen würde, weil sie harntreibend wirkt.

Ich sage, weil sie duftet; weil sie nach Mittagssuppe riecht, und weil der arme Kerl, in seiner großen Liebe, an Familie gedacht hat, als das lieblichste aller Küchenkräuter ihm entgegenduftete.

Und wißt ihr was? Meine Rosen blühen.

Nur wenige noch, und sie sind noch nicht so schön, daß ich sie Lore geben könnte. Sie versuchen sich erst; etwas schwächlich, rachitisch und kindlich in sich verkrochen. Nur eine rote riß sich entzwei, wie die Nachtigall ihr Herz entzweireißt, so daß ich fürchte, der ganze Strauch hat sich an ihr verblutet. Aber wie schön ist das wieder!

Ich habe sie nicht ganz ausblühen lassen, sondern in ihrer besten Stunde habe ich sie unter das Bildnis Frau Ruths gestellt, als ein Toten- und Sühneopfer. Ganz glücklich habe ich sie zu Frau Ruth gebracht, und ohne jede Art von Gewissensbissen. Sonderbar bin ich. Aber ich weiß, irgendwas, und vielleicht bin ich selber dieses irgendwas, wird verhindern, daß das Töchterchen Frau Ruths verkürzt werde.

Ich versuche zu vergessen, zu arbeiten. Dort neigen sich schon die Dahlien. Sie werden mir bald den Herbst in die Seele malen; jetzt sind die Pflanzen schon so groß, daß ich sie an Stäbchen binden muß. Dann habe ich Nelken vermehrt und Goldlack ausgesät, und an einem verrückt gewordenen Pfirsichbäumchen, das heuer schon Früchte angesetzt hatte und es unternehmen wollte, sie zu tragen, da habe ich beinahe alle Köpfchen ausgebrochen, bis auf wenige. Es und ich selber, wir wollen doch auch eine Freude haben. Flüssigen Dung muß ich fleißig nachgießen; diese Früchte bilden jetzt ihre Steine; das ist schwere Arbeit, sie müssen dazu Futter haben.

Und ich habe dann meinen ehrgeizigen kleinen Pfirsichbaum gestreichelt, wie ein Pferdchen, das man liebhat.

Ob die Bäume ihren Charakter haben? Gerad' so wie die Menschen!

Es gibt ehrgeizige, leichtsinnige, die viel zu früh treiben; bedächtige und verschwenderische, schönheitsdurstige und knickerische, verdrossene und perverse; alles gibt es bei ihnen, wie bei uns! Der eine ist mit zwanzig Jahren ein Greis, der andere mit hundert Jahren erst mannbar. Es gibt ja auch bei uns kein absolutes Alter.

Und ich – bin ich nicht heute noch ein Kind? Lacht mich aus; aber bitte, lacht mich warm aus, nur nicht kühl. Euch zuliebe bitte ich das!

Wie entsühnt komme ich mir vor.


Und immer noch sinne ich über diesen Sonnwendabend nach, der uns so milde und doch wehtuend mahnte. Ist nicht jeder Sonnenuntergang ein kleiner Tod? Und sollen wir nicht auch den Tod, den wir ja als ein Teil von uns ansehen müssen, ans Herz nehmen? Ich bin keineswegs der Abendkinderschaft Herrn Rabesams zugeneigt. Aber mahnen soll uns jedes Tages Ende, mit allen Fasern den unersetzbaren Augenblick zu durchtiefen, zu stimmen!

Es ist drollig; selbst wenn ich meinen Bäumen in dieser trocknen Zeit einen Dungguß gebe, da wir ja keinen Salpeter mehr bekommen, selbst da durchdringt mich dieses Gefühl der Innigkeit, sie haben Mahlzeit, es ist halt eben ihr Geschmack, und sie sind glücklich über die braune Jauche; ich kann froh sein, daß sie nicht Backhendel verlangen! Und dann.

Ich muß mich sammeln, dieses zu schreiben, denn eine Rührung, eine ganz lächerliche Rührung überläuft mich: ich habe meine erste Ernte geheimset. Ich habe mir selber meine Nahrung gezogen und hänge nicht mehr gänzlich am Zehrtische des allgemeinen Wesens. Frühkartoffeln!

Lore war mit dabei; meine Ergriffenheit steckte sie an. »Du dummer, dummer Kerl,« sagte sie immer, sooft wir die glatten Knollen zusammen in den Korb warfen. »Der ist ja beinahe am Heulen!«

Aber sie war's auch.

Mein Gott, wenn die Erde einem das erste Geschenk emporreicht! Das erste persönliche, durch liebendes Werben selber eroberte, das erste von Hand zu Hand, geradeaus, aus ihrer gütigen, groben, sorgenzerarbeiteten, braunen Bauernmutterhand!

Ich werde es ja gewöhnen; aber es wird schade sein, wenn ich's gewöhne.

Lore hat natürlich an mich gedacht und mir etwas mitgebracht, was ich seit langem nur mehr aus der Erinnerung kenne: Butter!

Wir aßen zu Mittag zusammen. Nichts als einen Hering, und dann meine Kartoffeln und die seltene Butter dazu. Meine frohe Lore hatte Augen wie die Sonne. Und sie sagte, daß ihr niemals im Leben eine Mahlzeit so gut geschmeckt hätte, wie diese mit mir; die letzte dieses Sommers.

Denn nun werden wir uns erst im Herbste wiedersehen. Sie geht mit ihrem großherrlichen Manne auf dessen Sommergut am See. Es ist mir recht, wenn mir auch das Herz im Leibe klamm wird. Es ist mir recht, eben weil mir das Herz so gegen die Magengrube drückt.

Ich werde alle Abschattungen der Angst, der Eifersucht und der Sehnsucht ausprobieren müssen; das ist Leben, reiches Leben, und ist also gut. Und ich werde für Degrassi arbeiten und sein ganzes Zeugwerk zusammenhalten müssen: das ist ihm vielleicht wichtiger, als ein paar verlorene Seufzerchen seiner schönen Frau. Er läßt sie gnädiglich zu mir gehen und sieht mich, wenn ich sie ihm wiederbringe, so wohlwollend an, als nicke er mir zu: »Es bleibt reichlich genug für mich übrig.«

Meiner Seel, so sieht er aus!

Immerhin; ich kann ihm etwas an Schuld abtragen.

Und jetzt säe ich an; die leeren Kartoffelbeete mit Lupinen, damit sie ihren Stickstoff bekommen. Ich säe Herbstblumen an, wo ich noch ein Rändchen Erde finde; Eisenhut, Fingerhut, Rittersporn. Und ich denke an mein braunes Mädel mit den blonden Krauslocken. Wird die jetzt umworben werden!

Ich stehe gebückt und säe, und habe nichts als dieses Fleckchen Land. Um sie werden beurlaubte Siegernaturen sein; Flieger, junge, zukunftsreiche Majore von wenigen dreißig Jahren. Wie kann ich dagegen an! Sie ist so schön, und alle jene schlagen mich ja beim ersten Eintreten ins Zimmer schon. Es wird, mit jenem unvergeßlichen Sonnwendabende und mit jener kurzen und recht eiligen Bauernmahlzeit, wohl zu Ende gewesen sein. Ich muß mich richten, sie zu verlieren.

Mein Tag, – ist sie schön!

Und während ich meinen Obstbäumchen die allzu stark wuchernden Spitzen wegnehme, denke ich daran, daß keine Hand das wilde, freie Wuchern dieser verwöhnten Frauenseele jemals zurückgekürzt hat. Zum Davonstreben ist sie geboren und erzogen worden. O, du Sonnenwende meines Lebens!

Ich bin nun wieder allein mit dem, was mir geblieben war, als Lore mich zum ersten Male verließ. Ich versuche, diese Einsamkeit, als das mir für alle Zeiten Beschiedene und Angemessene, zu beleben, zu ertragen.

Über meinen Blumen schwirren die Taubenschwänze, Schmetterlinge mit so klugen, beinahe ironisch klugen Augen, wie Lore sie hat. Es sind so reizende Tiere, daß ich immer wieder ein helles Herz bekomme, wenn einer dieser Falter über meinen Nelken oder Reseden stillsteht, mit rasend schnellen Flügeln zittert und seinen langen Rüssel in meine Blumen taucht. Ich habe zu alledem weitere Freunde, die ich erst jetzt wiedererkenne, wo sie, und mehr noch ihre Larven, mir meine Liebe für sie vergelten. Es war mir ganz unbewußt, warum ich die zartflügligen Florfliegen im Winter immer so schonte und ihnen dankbar war, daß sie meine märzlich kalten und unfertigen Zimmer als erste Einwohner belebten. Sie mußten irgendwie zwischen den Brettern überwintert haben und belebten dann die Fenster meiner beiden Zimmer und der Veranda. Wenn ich am Kamin Feuer hatte, dann wurden sie lebhaft, und mit Dankbarkeit sah ich ihnen und den Liebfrauenkäferchen zu, weil sie das Vertrauen zu mir hatten, bei mir zu wohnen. »Meine Herrschaften, ich fühlte mich geehrt und entzückt von Ihnen beiden; schon weil Sie so schön waren, alle beide!«

Jetzt gehen mir diese beiden Insekten, das durchsichtig schlanke und das kurze, dicke, rote und gepunktete Käferchen und ihre Brut die eklen Blattläuse mit einer Rabbia an, als wollten sie mir zeigen, daß auch schöne Leute nützlich sein könnten! Könnt ihr euch aber denken, daß ich die Spinne liebe und schone? Diese vielen, oft so zierlichen Arten, von denen die kleinsten ja doch, für euch alle, die wunderbaren Marienfäden des Herbstes weben! Kinder, ist das eine Welt in meinem kleinen Garten!

Wie ein ordnender und gesetzmäßig herrschender König komme ich mir darin vor, ordne und beachte alles, liebe das Kleinste (denn was ist klein, wenn man an die Sterne denkt?). Und dabei ist das allerschönste dieses immer gleich leise, verwundete Brennen und schwere Hängen da, unter meinem Herzen; diese beginnende Herbstangst; voll Süße. Dieses Denken an die umworbene, schöne Frau, dazu immer noch das seltsame Hingezogensein zu Frau Ruth und ihrem stillen, gar zu gut erzogenen Töchterchen, das ich so gerne zu jenem Seelchen machen möchte, wie es so herrlich in ihr steckt!

Ich freue mich, ich leide zu gleicher Zeit.

Ich bin erlöst und trage ein Verhängnis; ich bin fleißig, beherrschend und unterjocht in derselben Minute. Ich erschaure unter der Sommersonne und fühle das Frösteln und die leise Angst des Winters; ich besitze und habe zugleich schon verloren. Ich habe Haus und Garten und keine mitsorgende Frauenliebe dazu. Ich brenne danach und freue mich dennoch stolz dieser Einsamkeit. Denn man kann alles in sich selber sein, wenn man nur immer, immer liebt!

Ich liebe alles; und, was das wichtigste ist: ich bin immer in Stimmung. Das ist das Um und Auf alles Glückes. Stimmung bei reißendem Weh ist tausendmal schöner und tiefer, als unerhörtes Glück in der Liebe oder Lebenserfolg, – sogar viel schöner, als wenn euch alle Menschen anbeteten: denn auch das ist nur ein Ersatz von außen her.

Ich glaube dabei wohl an den einen, an den allgegenwärtigen und allerfernsten Gott. Aber weil ich ihn so unsäglich liebe, deshalb gebe ich ihm tausend Kosenamen und schaffe, mit jedem, einen besondern, kleinen Gott!

Heute bete ich wieder den Ringelblumengott an und den Resedengott; er ist so kostenlos, wie alle wahren Götter, und ich genieße ihn über den Zaun eines Bauerngärtleins hinweg. In der Sonne des geneigten Augustes strahlen die feuerfarbenen Ringelblumen und die Reseden dünsten ihre köstlich zarte Wehmut in die stille Luft hinaus; leise, kleine Weihrauchwolken ziehen von ihnen zu mir her, grüßen, kosen, sind verliebt und geängstet, wie ich selber.

Es neigt sich, es neigt sich das Jahr.

Dort, im wilden Wein, dort im Waldkirschenbaum brennt das erste Rot. Noch ist es nur ein Fleck. Wann werde ich das erste weiße Haar haben? Wird mich dieser Anblick nicht süß-schmerzlich durchlodern, wie jenes Rot, wie dieser Abschiedsduft der Reseden? Wenn ich ein scheues Mädchen lieben werde, ich, mit vielleicht fünfzig Jahren dereinst, und sie wird sich von mir zu einem unnützen Fähnrich wenden und vor Liebe zittern, wenn er sie aus dummen Augen ansieht und mir wird das Herz zerklirrend zucken dabei, wird das nicht betörend schön sein? Denn, was werde dann ich tun? Tiefer und besser werden, trotz abgewendetem Mädchenblick. Ihren verabscheuenden Unwillen teilend, werde ich mir diese Dornen der Verachtetheit tief ins Herz drücken und meine Herbstreife zu verfeinern trachten. Wehmütig silbernes Wetter du, so fernhinahnend, so leise verschleiert; so beständig, so verbebt in leiser Angst, wie zerpressest du mein Herz!

Ich bete. Ich wandle umher und bete die Tage an. Ich bete an den Schnitt, das Dengeln der Sense, diesen lieben, todsüßen Herbstlaut! Auf den geschorenen Feldern stehen die Getreidepuppen; ist es nicht wie eine Versammlung froher Weiber, die zum Sakrament niedergekniet sind und jetzt beten: o Herr, ich bin nicht würdig? Die Kornwagen sodann, das dumpfe Klopfen der Flegel oder das Summen der Dreschmaschine, betet es an! Esset euer Brot, aber betet es in Inbrunst eurer verfeinertsten Nerven an. Es duftet, es mahnt, es verheißt, und es erzählt vom Tode. Wehe soll euch euer Leben tun, vor lauter Schönheit, und wenn ihr hinter den silberblonden Stoppeln, oder gar hinter den wundbraunen Feldern, auf denen die Pflüge liegen, eine Mühle klappern höret, dann haltet den Atem an und seid stille, damit ihr ergriffen werdet.

Denkt an das Feld, an die Sense, an den Dreitakt des Drusches, wollt ihr fortab euer Brot essen; merkt ihr, daß es dann köstlicher wird, wie ehedem der Kapaun?

Und das ist ein Beispiel dafür, daß ich euch sage: ihr sollt euch geschnitzte Bilder machen, dieselben anzubeten. Je mehr, desto gesegneter wird euer Leben! Wie reich wird der Ärmste hiedurch, und jeder Tagschreiber und Arbeiter kann's, und die Gebenedeitheit seines Glückes nimmt ihm kein Kriegsgewinner, wenn er so sein seltenes Stück Brotes ißt!

Wie anders ist dies mein Gebot gegen jenes, welches schamlos lautet: zeuget Kinder, damit ihnen dereinst der Bauch aufgerissen werde im heiligen Interesse aller!

Jene »alle!?« Gröhlende Trunkenbolde, Kriegswucherer, Juristen voll Dünkel, schreiende Korporale und andere Antreiber höheren Grades, von denen keiner noch ein Stück Brot ergriffenen Herzens angebetet hat? Die sollten eure Brüder sein?

»Ja,« sagt ihr: »wir müssen unserer viele sein, denn sonst kommen die Asiaten über uns. Bei den fürchterlichen Mitteln der Waffentechnik unserer Tage? Bei den vierhundert Millionen, die Europa übervölkern? Nein; viel eher ersticken wir aneinander und wir wollen deshalb nicht noch unser mehr werden. Bleibt in der Zahl, wie sie vor hundert Jahren war, und die Erde wird zum Garten, die Menschen zu Gärtnern, das Leben zum liebevollen Spiel wie bei Kindern. Stellt als Gottheiten den Feldgott auf und die seelenvolle Mutter weniger Kinder, an Stelle der Muttersau mit den zwölf Ferkeln, die eure juristischen Schulfuchser und Generale und Pfaffen anpreisen!

Das Leben ist zur Qual geworden, und wehe dem, der seine Kinder zur Qual auf diese wimmelnd volle Erde stellt! Er hätte sie in einem Ameisenhaufen im Walde aussetzen können, der Grausamkeit wäre nicht mehr gewesen, als sie war, daß er sie in die Welt des Bürgerkrieges, des Klassenhasses, der Schützengräben und Tanks und des organisierten Hungers hinwarf!

Ihr selber sollt sein. Nicht das Nach-euch sollt ihr mehr anbeten!

Die Taubenschwärmer surren, die Nelken glühen schamlos verliebt, die duftenden Feldsandläufer kommen bis in meinen Garten hereingeflogen mit ihren kurzen Sätzen und rauben Insekten, die oft so groß sind wie sie selber, und die meine Schädlinge sind.

Am Dache gurren die Tauben; es ist ein beinahe schläfriges Glück in diesem Mittagston. Am Rande meiner Beete duften die ersten Reseden. Das ist eine Wehmut: das ist das tödlich süße, erste Herbstmahnen.

Immer, wenn ich Reseden rieche, muß ich an das alte Volkslied denken:

»Morgen muß ich fort von hier.«

Warum denke ich daran? Muß denn ich fort? Ahne ich etwas? Immerhin; es ist alles das voll Wohllaut und Gestimmtheit.

Eine Blume habe ich, ist feinflockig, blaßblau, Blätter und Blüte zerschlissen wie ein Gespenstchen, heißt Gretel im Busch.

Warum muß ich diese Blume immer wieder ansehen? Nur ein Deutscher konnte ihr diesen Namen geben; er singt, er hat sein zages, verstecktes Symbol; er klingt wie das Märchen vom Aschenbrödel. Ich stehe viele Minuten vor der verschüchterten Blume, die so reizend sein kann, und denke mir irgendwas Sehnsüchtiges dabei.

So lebe ich mit Blumen, mit Spinnen, Marienkäfern, jungen Bäumchen und im Sonnengeschwirr von Tausenden Insekten dahin. Im Herzen bohrt und brennt es leise. Immer rinnt das Leben durch mich und immer verliere ich es; das ist ganz wunderbar. In nicht zu beschreibender, lieber Angst lebe ich.

Meine leeren Sandwege sagen: Lore. Meine Abende sagen: Tod, Abscheiden oder wenigstens Vorbereiten. Meine Morgen sagen aber: du lebst vollauf! Die Sommerwolken sagen: es gab eine stille, vergessene, jetzt tote Frau. Die blasse Blume Gretel im Busch sagt etwas von der kleinen Ruth, und hilflos vor Leben, Reichtum und Weh stehe ich da. Es glastet und zittert die letzte Julisonne.

Ich bin so allein!

Und ich bin so umgeben!

Nur wenn ich zu Menschen komme, dann erfaßt mich die Hilflosigkeit des Alleinseins gänzlich. Dann und wann aber lerne ich einen armen und bescheidenen Menschen kennen. Dann bin ich geradezu bei Gott selber zu Gaste und alles ist wieder gut. Mein alter Arbeiter Hannibal vom Schrebergarten!

Das ist der, welcher mir die Frühlingsgemüsesamen gab und der mit mir den ersten Tag der Printanieren feierte.

Er hat einen weißen Spitzbart, wie ein alter Landsknecht aus Tillys Zeiten, und urwüchsige Manieren; reden kann er, daß Damen es nicht gerne anhören würden. Aber seine stahlblauen Augen blinken dermaßen gesund dazu, daß alles gut und schön wird, was er sagt. Wenn die Kohlrabi platzen, dann sagt er: »Das Frauenzimmer hält's nicht mehr aus, und –« (das andere mag sich denken, wer es gerne tut).

Mit all seinen Pflanzen redet er so in urwüchsiger, aber immer liebender Unart. Hat sich eine Bohnenranke losgelöst: »Saumenschl, dreckigs; such' dir keinen andern Liebhaber; bleib' bei der Stangen.« Er hilft mir die reif gewordenen Kohlköpfe einwintern, zeigt mir, wie man die Tomaten lichtet. Und mit einer Art von Gravität wies er mir meinen ersten, reifen Pfirsich.

Das ist jetzt mein ganzer Umgang. Freunde habe ich keine, und ich fürchte, daß vielen Leuten einmal diese Blätter langweilig sein werden, weil immer nur von mir selber und meinem innern Erleben darin die Rede sein kann. Wem die Freunde mitgespielt haben wie mir, der wird einsam. Einen Menschen auf der Welt könnte ich lieben und ihm alles vertrauen; er ist einsam wie ich. Aber er ist Dichter und braucht mich nicht.

So ist es eben, zwei innerlich Starke gehen sich immer aus dem Wege, eben weil sie sich gar nichts zu sagen haben. Beide sind reich und gefestigt.

Doch habe ich manchmal Heimweh nach einem Freunde. Schon um mit ihm über Lore zu sprechen. Stundenlang möchte ich meine Gedanken über Lore, meine Sorge und Angst, meinen Widerspruch gegen ihr Wesen und meine dennoch so große Liebe herausreden. Dazu aber bedarf es eines sich opfernden und sehr geduldigen Menschen. Der gute Dichter hat wohl selber seine ganze Brust voll Seufzer. Nun, wir könnten uns ja, auf Gegenseitigkeit, zuhören? Aber jetzt ist er eingerückt, und ich muß mein Herz in diese Blätter leeren.

Der August hat ein paar unerzählbar schöne Tage, aber sonst Regen und nassen Wind. So sitze ich viel zu Hause und muß mich mit mir selber abgeben. Ich komme mir auch gar nicht mehr so reich vor, weil ich daran denken muß, daß es doch so viele Menschen gibt, die haben ein treues Frauenherz, dessen erste und letzte und einzige Liebe sie sind.

Das ist unersetzlich! Ich muß Lore teilen; das ist demütigend und abscheulich! Wie kann ein Mann auch nur mit einer Frau das Letzte (das Äußerste, das Innigste und das Schamloseste zugleich) beginnen und teilen, weil noch ein dritter mittut! Es ist im Grunde unbegreiflich. Wenn Lore nur in meiner Armut leben könnte. Ach, und wenn ich nicht das ganze Vertrauen zu ihr verloren hätte. Ob sie mich als Ehemann nicht nochmals betröge?

Weiß Gott, wem sie jetzt schon gefällige Augen macht.

Es brennt in mir: es bohrt in mir. Wenn ich weinen könnte, wie ich es als junger Mensch noch vermochte, so wäre ich dennoch glücklich. Denn diese Angst um Liebe, diese Eifersucht, dieses ewige Verlieren, es ist wunderbar!

Und sie ist schön. Aber das trockene Insichhineingraben, das ist nicht schön.

Als junger Kerl bin ich in solchen Stunden vor mein Bett hingekniet, wie ein Kind, das sein Nachtgebet beten muß, und habe ins Linnen hineingeweint, daß es mich stieß. Dann kam die europäisch-germanische Heldenerziehung, die, ganz sonderbarerweise, eine bloß wohltätige Sekretion in stupiden Bierverschiß getan hat. Die erzog mir die Träne ab! Jahrzehntelang weint bei uns kein Mann, und niemand dankt's ihm, noch bewundert ihn irgendwer.

Dieser Verlust des Weinens durch eine Muskelerziehung, deren Vernünftigkeit ich in keiner Weise einsehen kann, hat uns eines Trostes beraubt, den der Himmel dem Menschen allein gegeben hatte. Mir ist, als hörte ich alle Teufel drüber lachen, daß man sich so angestrengt hat, diese Engelsgabe als unmännlich abzustellen!

Der Grieche, der Grieche von Marathon, von Salamis, und der von Arbela und Gaugamela weinte leicht und gerne. Und der gewißlich manneshafte Südslawe weint ebenfalls wie ein Kind; er, der doch vielleicht Europas einzige, wirklich heroisch gebliebene Rasse verkörpert.

Der Verlust des Weinens! Die kalte Absage an die süßeste aller Erschütterungen! Ich habe seit vielleicht zwanzig Jahren kaum mehr als je eine Träne hervorgebracht. »Es ist beinahe erreicht.«

Und mir ist, als müßt' ich in Tränen ausbrechen über all meine ungeweinten Tränen!

Wie schnöde ist diese disziplinierte Erde!

Ich sehe, wie das Wasser von meinen kleinen Bäumen hinunterläuft, und höre den Regen auf mein Dach trommeln. Mein eigenes Dach. Ich muß mich dann und wann daran erinnern, daß dies alles mein Eigen ist. Ich könnte hier, um zwölfe in der Nacht, ein Konzert veranstalten. Niemand könnte sich beschweren. Lore liebt die Musik, und ich kenne, von früher her und auch jetzt wieder von der Front, ein paar gute Streicher und einen Flötenbläser. Alles echte, leichtsinnige, hingerissene Musikantennaturen: da könnte ich schöne Herbstabende vergülden!

Ich hätte es leicht. Ich habe jetzt Eier, ich habe Kartoffeln und Öl, habe Bohnen und grüne Erbsen: alles käme gerne zu mir, denn ich bin ja ein reicher Mann in diesen Tagen darum. Die ganze Stadt würde von den Musikfesten in der Bretterbude des Herrn Alarich Tusch reden, wenn mir dran was läge. Ich weiß eine Sonate von Friedemann Bach; ich weiß wunderbare Sachen vom Papa Haydn, von Beethoven, bei denen Lores viel zu kluge Augen schwimmend würden!

Lore sieht dann vollkommen gelöst und verklärt und beinahe so hilflos schön aus, wie die kleine Ruth. Ja; wunderbar ist es, wenn Lore Musik hört. Sie hat dann eine edle und elfenbeingetönte Blässe im Antlitz, die Augen sind größer, und still und etwas verwischt. Der Mund hat vollkommen verlorene und hingegebene Konturen. Tiefschöne Musik hören und Lore dazu sehen, das ist ergreifend.

Es trommelt der Regen; es erschauern im Sommerwinde, der heuer so naßkühl ist, meine Bäume. Ich würde am liebsten Feuer in meinem Kamin anmachen; aber man darf den lieben Namen dieser Gottheit nicht oft eitel nennen. Ich warte heroisch, bis Lore zurück ist. Dann erst wird das erste Herbstfeuer erglühen.

Dieser Regen! Ich sollte zum Barackenbau in die Ebene von Wagna hinunter, wo ich dienstlich viel zu tun hätte. Aber man kann nicht arbeiten vor Regen. Wie gerne wäre ich gerade in dieser Zeit fortgegangen, wo die Stadt verlassen steht von ihrem reizvollsten Kunstwerk.

Dort unten bei Wagna ruht in der Erde eine alte Römerstadt, Flavia Solva hieß sie. Sie stand schon vor den Römern als Wendensiedlung dort, und zahlreiche Tumuli (welche von den Gelehrten keltisch genannt werden) reden aus der Ebene von jenem frevelhaft mißverstandenen und ausgerotteten Heidentum, dem ich völlig angehöre, und das in mir lebendig ist wie nur je damals, als »Flavia Solva« gesagt wurde. »Keltisch!« Das Volk erzählt, daß im Thurnbauernkogel, wie einer dieser Tumuli genannt wurde, ein goldener Topf von einem Schuh Durchmesser und einem Schuh in der Höhe vergraben liege; aber wer ihn zur Unzeit hebe, der finde nichts als Knochen, Scherben und Kohlen darin. Überdies ging die Prophezeiung, die ganze Erde würde erbeben, wenn der Thurnbauernkogel jemals geöffnet würde!

Nun, dort drüber zog sich das neue Barackenlager, bei dem ich mitzubauen hatte und habe. Alle alten Tumuli wurden rücksichtslos durchschnitten und dann abgetragen, und im Thurnbauernkogel fand sich eine ehemals vergoldete Bronzeurne in Kesselform, die über dreißig Zentimeter Ausmaß hatte; und es lagen darin Brandreste des antiken Toten, dem man diesen Ehrenhügel getürmt hatte, zusammen mit Tränengläschen und andern kleinen Opfergaben.

Und erbebte nicht ganz Europa und die Neue Welt dazu in den Tagen, da man das alte Heidengrab öffnete?

Ich will aber hier keine Romantik einflechten. Der vergoldete Bronzekessel redet deutlich, daß dasselbe Volk in lebendiger Tradition noch am Flecke sitzt, welches damals den »keltischen« Heros bestatten sah; nur daß es statt des Illyrischen oder »Venetischen«, das heißt Wendischen, jetzt ein verdorbenes Deutsch gelernt hat und das Lateinische zusamt seinen ahnungsreichen, heute noch lebenden Göttern vergaß! Bloß den Prunktopf vergaß es in seiner Goldgier zwei Jahrtausende nicht. Ja, unsere Menschheit!

Und ich kann es in Worten nicht aussprechen, welch tiefe und rätselhafte Sehnsucht mich nach jenen alten Heidenböden zieht!

Flavia Solva! Als ob sich dort mein innerstes Schicksal erfüllen sollte.

Tumuli! Dort loderten die herrlichen, heidnischen Scheiterhaufen, wie zu Homers Zeiten! Könnte ich so dahinfahren, wie ein Held jener Tage, über dem man den Malhügel häufte. Könnte ich, von Freunden umringt und beklagt, auf dem Holzstoß in reiner Flamme entschweben!

Flavia Solva; es ist, als wartete dort Frau Ruth auf mich – oder sonst etwas, aus dem Übergang von diesem Leben in jenes der unbewußten Kräfte, die uns erneuernd in die Arme schließen. Denn ein Totenreich gibt es nicht.

Alles kehrt wieder, ohne zu wissen, daß es da war. Flavia Solva! Kehrst auch du mir zurück? Heidenstadt, Traumgeliebte!

Der Regen wirbelt, der Wind heult auf, es biegen sich rauschend die Bäume. Ich sehe das erste gelbe Blatt davonstieben und sehe ihm, ernst zunickend, nach.

Ich grüße das erste gelbe Blatt. Es ist gut, wie alles gut ist, was sich erfüllt.

Auch dieser Tag, soll er nicht ein Feiertag sein in mir? Ich habe das erste gelbe Blatt gesehen. Davonstiebend flog es zu den Unsterblichen zurück.

Nun neigt es sich bedenkenswert; – das Jahr, die Jugend.

Es wird Zeit zur Einkehr.

Ich ernte. Ich ernte ernst und bewegt. Einkehr ist es, doch eine tröstliche. Und die andere sollte keines Trostes voll sein? Weil mich leise fröstelt? Weil mir das Grauen des Wortes Abkehr durchs Mark schaudert?

Werde ich alt? Gut; dann bin ich nicht jung gestorben. Muß ich bald sterben? Gut; dann bin ich bei allem, was ich liebe, und bin diese unsagbar boshafte, ins massenweise geschossene Raubaffenhorde los! Was kommt, ist gut. Und was wehe tut, das ist tief. Willkommen alles!

Nur weinen möchte ich wieder können …


Denn nun heißt es September auf Erden.

September: das ist wie mein eigenes Wesen. Früchtefroh und leise reißend vor Mahnung und Schmerz. Golddurchsonnt, bei längeren Nächten und etwas Frösteln. Weit, beseligt, genießend, weinreif, farbig, zart, silbern verschummert, ahnungsvoll. Und innig.

September. Und wißt es nur, ich war jetzt in Flavia Solva.

Dort ist im Barackenlager ein eingerückter Arzt, mein Freund aus der Schule; der ist beinahe so geworden wie ich, und mit hungriger Sehnlichkeit haben wir, beide Einsame, uns aneinander geschlossen und haben Heidentage gelebt. Wir haben uns bewußt nur in Flavia Solva bewegt. Wir haben den Mark Aurel auf dem letzten Hünengrabe, das man dort bestehen ließ, zusammen gelesen. Wir haben den Wein jener Rebenberge andächtig getrunken und dem versunkenen Boden alter Tage unsere Libation gespendet. »Den Unterirdischen! Den Überirdischen! Denen, die in uns weiterleben!«

Ah, war das kindisch und vertieft und reingestimmt!

»Jenen Mächten, die in uns weiterleben!«

Ihre Kräfte haben wir nur zur Verwaltung übernommen; sie kamen von urher, ergriffen uns vorübergehend und ziehen, ohne uns, weiter dahin. Alles, was wir tun können ist, sie zu durchsonnen und zu durchseelen, solange wir sie sind. Wir erbebten ehedem demütig vor den Kraftströmen außer uns und nannten sie Götter. Dann beugten wir uns, unwissend und erschauernd in Ahnung, vor dem weihrauchverhüllten, einen Gotte des alten Judenbuches, mit dem wir Kinder der Sonnwende, der Tag- und Nachtgleiche, der Wälder und Gärten so gar nichts zu tun haben, daß ich es als ernste Pflicht meines Lebens ansehe, euch alle zu den heiligen Symbolen und Urströmen zurückzurufen, die, zu Sais und Theben und Memphis, zu Eleusis, in Phrygien und am Berge Garizim holdseligen Angedenkens, dieselben waren. Das kommt schon wieder. Belehrt und wartet indessen, aber nicht im Hasse!

Wir beide, der treffliche Birnbaumer und ich, schlossen uns, in jenen silberblonden Tagen, voll Jugendlichkeit aneinander. War das ein Prachtkerl geworden: er hatte sogar bei den Musterungen (als vielleicht einziger Arzt des ganzen Landes) seine Pflicht, Schwache und Kranke zu schützen und zu heilen, vor die allgemein geübte Bluthunds- und Zutreibearbeit der andern Militärärzte gestellt!

Was hat jener Stand damals an seiner Ehre verloren, und wie strahlend sah dagegen ihr Schützer aus, mein alter Birnbaumer! Der liebe, lustige, weichherzige Heide, der so stählern werden konnte, wenn es galt, Menschlichkeit zu verteidigen! Mit ihm schweifte ich am Murflusse durch die Auen, die an den alten Römergräbern emporwuchsen, und dort erzählte er mir eine kleine, liebe Sage aus der Welt jener Heidengräber:

»Kam ein Bauernbursch in der Herbst-Tag- und Nachtgleiche, wo um Mitternacht die Unterirdischen los sind, weinfroh zu einem jener Tumuli gewackelt. Aber der stand offen, wie ein windischer Hram, ein Erdkeller, für den er ihn auch treuherzig hielt. Denn drinnen waren Licht und Stimmen. Er kehrt, immer noch durstig, ein, findet sonderbare Gesellschaft in alten Panzern und Togen, wie er sie auf dem Theater einmal, und dann wieder bei Maskeraden gesehen, und bleibt verlegen stehen. Einer der Wunderlichen hält ihm schweigend eine Schale voll köstlich duftendem Weine entgegen, die er, unsicher genug, so hält, daß etwas von dem braunen, süßen Safte auf die Erde tröpfelt.

Da werden die Augen der alten Heiden freundlich. Dem Burschen wird es unter ihren wohlwollenden Blicken wärmer, er hebt ihnen die Schale entgegen und ruft, nach dem Obersten an der Tafel hingewendet, an welcher alle lagern:

›Vivat!‹

Da jubeln die Lateiner auf. Es ist das erste Heimatwort, das sie seit mehr als anderthalb Jahrtausenden von einem jener Gründlinge hören, die auf ihren Gräbern herumtrampeln. ›Vivat!‹ ›Vivat!‹

Und der selig davontorkelnde Bauernbursch findet am andern Tage all seine Taschen mit alten Kaisermünzen vollgestopft und kann eine Frau heiraten, die ihm das Vivattrinken manchmal erlaubt.«

Wir lachten über die anmutige Geschichte, die irgendein schalkischer Schulmeister den Gästen eines Stammtisches zu Abend vorgesetzt haben mochte, und die nun ganz ernsthaft von Bauer zu Bauer weiterging. Ist sie doch aus dem Boden gewachsen, auf dem unsterblich noch jene Reben blühen, gepflanzt von denen, deren Ehrenmale jetzt von eifrigen Barackenkommandanten ausgebuddelt werden.

Ach, war das damals ein Tag!

Die Zeit des Kuckucks und des Pfingstpirols war wohl längst schon vorbei; die Hochzeitstage der Mutter Erde sind einem schwersüßen Wochenbette gewichen. Es ging ein herber Duft von Wehmut und Entsagung durch die silberflimmernde Luft, und dennoch wehte der laue Rebenwind in goldig werdenden Blättern so hold und erinnerungsweich, als käme abermals Liebe über die Erde.

Wir standen unter den jungen Bäumen neben einer Lichtung der Au, welche dort so bunt bestanden ist, daß Fichten und Eichen, Linden, Ulmen, Erlen und Pappeln nebeneinander das schönste Umrißbild ergeben. Und aus den hohen Bäumen kam ein überraschender Ton:

Ganz leise kam er herab: glüa, glüo!

Wir erstarren des Zaubers. Das ist er ja, der Pfingstpirol, die Goldamsel aus Tropenland, mit den rubinroten Augen, die nur zwei Monate oder weniges mehr bei uns brütet und uns schon verläßt, wenn die letzten Kirschen abgenommen werden! Im Juli zog sie fort, und jetzt, im September, in diesem nicht zu schildernden goldenen Abschiedswetter, kommt es aus dem Baume, abermals, ganz leise und wie erinnernd: glüa, glüo!

Wir schauen angerätselt hinauf.

Aber jetzt gluckt und quarrt ein Laubfrosch aus den Zweigen, ganz nahe jener Stelle, aus der eben leise der Pirol flötete. Und dann, es ist zu verzaubert, dann ruft, ebenfalls viel leiser als sonst, und wie aus längst erreichter Ferne, der Kuckuck. Da lachen wir zu gleicher Zeit froh in uns hinein; denn jetzt schlüpft der Künstler, schimmernd in blau-weiß-schwarzer Schönheit seiner Flügelschilde, oben umher und schaukelt nach Eicheln. Der gutgelaunte Freund Markolf, der Nußhäher, der Nachahmungsgewandte aller Waldstimmen!

Ich denke an den Star, der im Frühling die Granaten nachäffte, als ob das eine sehr lustige Sache gewesen wäre. Nun wird mir schon, zum zweiten Male im selben Jahre, solch heiteres Kinderspiel, das keinem Menschen neu ist, der sich viel in den goldgrünen Büschen umherschlägt und einem Herrgott den Tag abstiehlt, dem nichts lieber zu sein scheint, als solche Zigeunertat; denn er belohnt die Seinen.

Wir haben uns damals mehr gefreut, wir Heidenkinder, als wenn man uns wirkliche, weiße Butterbrötchen vorgesetzt hätte; und das will viel sagen in jenen Tagen und bei unserer Genußfreude!

Birnbaumer hatte ein Gewehr bei sich. Um nichts in der Welt hätte er den gut aufgelegten Häher heruntergeschossen, obwohl er eine vorzügliche Suppe abgibt und in Speck gewickelt und gebraten von jenen alten Heiden dort unter ihren Hügeln mit mehreren Sesterzen bezahlt worden wäre.

Das sind die unscheinbaren Freuden von uns.

Diese Tage mit Birnbaumer, auf dem Boden der alten Flavia solva, haben mich zum frohen Jungen gemacht. Ich denke heute noch an sie, da längst meine sehr bescheidenen Kunstwerke in Holz und leichtem Beton fertig stehen – eine Unsterblichkeit, die der nahe Friede wegfegen wird.

Ich bin eigentümlich heiter, in all dieser Wehmut des Septembers. Das Goldflitterwetter, das neulich den Markolf in der Au vergnüglich stimmte, und das in allen Zartheiten der werdenden Laubgilbung zitterte, es hält an. Überall Abscheiden, überall Einkehr.

Ich habe den festen Willen, uralt zu werden. Ich weiß aber auch, daß ich immer lebe, auch wenn es mich bald wegräumte. Was mir nur diese unbändige Zuversicht gibt? Ich liebe das immer Wiederkehrende, das hier bleibt und ewig ist und außerhalb aller jener Vergänglichkeiten ist, die diese Affenrasse preist.

Ich bin mit Erde, Petersilienstaude, Spatzennest, Wolken und blauem Höhrauch vollkommen eines.

Wenn ich in den, immer früher kommenden Abenden dieser Tage manchmal ein Buch ergreife, da wundert mich stets von neuem die unsagbare Schwermut, welche sich aus allen typischen Judenbüchern heraufpreßt. Eine Schwermut, die wir alle empfinden: auch diese Juden selber, und wären es die feinsten Seelenmaler und die medizinerhaftesten Psychologen dieses Stammes! Eines fehlt ihnen allen. Das ist jene Erde, die ihnen ihr heiliges Buch und dann unsere theokratischen fünfzehn Christenjahrhunderte nicht gönnten! Sie können nicht in das tief mütterliche Heiligtum zurück, dem sie fremd geworden sind. Aus allen ihren Schriften und Dichtungen gähnt Scheol, die schattenhafte Vernichtung der Seele. Die werden nicht eines; sie sinken nicht dem Umformer in die Arme, denn drei Jahrtausende haben sie lernen müssen, daß das Jüngel alles wäre.

»Werdet zahlreich, wie der Sand am Meere.«

So suchen sie sich selber immer nur in einem Kinde wieder, das sie aufs bodenloseste verwöhnen. Es steht auf, wird ihnen übermächtig; dann versinken sie selber unter die Schemen, und der alte Trug beginnt von neuem. Mendelssohn, sogar Heine, waren diesem Judentum schon entrückt. Sie fühlten die arische Seele zittern. Zaghaft, obwohl oft verhöhnt, wuchs sie in ihnen. Heine versuchte das Heidengeflüster des Harzes zu ergründen und Mendelssohn verstand die Elfen des Waldes. Darum ist der Jude erlösbar, sage ich.

Und weil ich weiß, ich habe das sinnenfällig offene, und dennoch so seltene Geheimnis, darum schreibe ich diese Blätter. Denn ich habe, was Jude und Amerikaner und Krachdeutschen erlösen kann. Nichts fehlt ihnen, als dieses Weiterwehen außerhalb des eignen Blutes.

Erst wem Tier, Baum, Wolke und Stern Brüder geworden sind, der ist aus dem heraus, was ich kurz mit dem alten Worte für das Schattenreich, für den ewigen Tod nenne; aus der Scheol.

Wüßtet ihr nur, wie weit dieses Bruderschaftsgefühl macht, ihr armen Enterbten, enterbt durch die Schuld eurer und unserer Priester!

Wir Führer des Menschengeistes (und ich werde einer sein) haben zwei Abwehrschilde zu halten; den einen gegen den Haß und das unbeirrbare Unverständnis der Nationalen und der Rassenschreier, den andern aber gegen das entsetzliche Proselytentum eures kleinen und so mächtigen Volkes. Nie hat eure Religion Proselyten machen wollen; aber da ihr sie verloret, dringt ihr in unsere Seelen ein; und weil es euch so unsagbar schwer gemacht, ihre Alldurchströmtheit zu empfinden, so sucht ihr euren Geist hineinzuleiten, in Millionen sichtbaren und unsichtbaren Kanälen.

Ihr seid lebensvoller als wir, leidenschaftlicher, sinnenfroher, kurz, stärker; aber eure Seele geht in die Irre. Die darf nicht zu uns reden; ihr seid elend durch sie und eure Allerbesten verzweifeln selber an ihr. Nehmt die hochherrlichen Mysterien (nicht unserer darin so armen Zeit, nein, des immer lebendigen Heidentums) zu euch und ihr seid erlöst.

Kehrt zur Erde wieder, abgemauerte Kinder, Ausgestoßene der großen Mutter!

Solches schrieb ich nieder auf dem letzten Malhügel von Flavia Solva, wie es mein Kärntner und ich dort auf den Gräbern des vergeblich totgesagten Heidentums ausredeten. Und was sind denn anderthalb Jahrtausende für die Menschheit? Das Ende von Christ und Jude steht in wenigen Jahrhunderten bevor. Aber was wir dort empfanden, das ist unzerstörbarer Wesenskern.

Jetzt steht die Welt vor der fürchterlichsten Wende aller Zeiten: Seele? Oder Scheol schon in diesem Leben, das den Tod nicht als jenes herrliche, ja sehnliche Verströmen der Ichkräfte kennt, als das ich es empfinde? Mit mir aber empfanden es alle, die göttlich genannt werden durften. Menschen aller Zeiten und Stämme.

Seele auf diesem Planeten, oder Scheol. Noch einmal, darum geht es, in diesen ungeheuren Tagen.

Glaubt ihr denn, ich, der armselige, betrogene und verhöhnte Alarich Tusch sage das, und es werde vergehen mit mir, oder gar nicht leben?

Ewig steht, was ich sage; denn es stand ewig und ist nicht mein.


Genug davon. Ich säe wieder meine Schwarzwurzeln, meine Karotten und meine Petersilie auf die abgeernteten Beete. Und ich ernte das wenige und unschöne, kleine Kernobst, das meine Bäumchen, als ersten Versuch, heuer trugen. Meint ihr, ich erwarte mir fürs erste Ausstellungsfrüchte von dem, was immer ich säe?

Neue Bäume sind schwach, und der Schwämme, Käfer und schädlichen Schmetterlinge viel.

Bäume sehen über zwanzig, über hundert, über dreihundert Jahre hinweg. Ideen über dreihundert, über tausend, über dreitausend Jahre.

Dann sind auch sie sterbensreif; wie alles, außer jener Idee aller Ideen, daß das Sterben kein Tod ist.

Ich empfinde den entsagungsmahnenden, adonisch schönen September wie eine Strahlenkrone um meine Schläfen, wie einen Erntekranz und wie einen Totenkranz. In jeder Minute lebe ich doppelt, weil ich in jeder Minute mit allem sterbe, was da stirbt.

Dies Leben ist vielleicht nur schön, weil es das Wort Ende hat.

Ja; das war nun der September meines Bekenntnisses.

Denn jetzt sind die Tage so kurz geworden und die Bäume so strahlend bunt und die Tage so verwundet schön und die Abende so nebelbedrängt und verduckt, daß sogar ich mich, der niemals in der großen Stadt vollkommen erlöst werden könnte, nach Menschen umsehe; – sogar, ich muß es gestehen, nach der Kunst.

Ich suche die vielen Lichter; ich suche Musik; ich verwende das bißchen Geld, das mir von den Abzahlungsraten für meine Bretterbude übrigblieb, aufs Theater. Immer noch bin ich allein; denn erst am fünften Oktober kommt Lore. Sie muß auf dem Lande bleiben, weil es dort genügend zu essen gibt. Das schrieb sie mir, und ich hoffe, immer um sie zitternd, daß nicht irgendein verführungsreicher Mann sie mir dort wieder genommen hat.

Immer verliere ich, was ich besitze, im Geiste. Das mag unsinnig scheinen, aber ich liebe die träumerischen, unbegründeten und doch so gut gegen die Wirklichkeit waffnenden Schmerzen, die daraus entstehen.

Ich sehe die Bäume an. Sie geben jetzt dem kleinsten Windhauche leicht und widerstandslos das und jenes von ihrer Schönheit. Und wenn Lore in so müder, lässiger Laune wäre, wie jene über und über schönen Bäume? Wenn sie auch mich so linde und selbstvergessen fallen ließe, wie die Baumfrauen dies und jenes Blatt? Was wäre es? Natur.

Ich bin nicht mehr jung. Auch fröstelt mich vor mir selber. Sollte Lore nicht frösteln, wenn sie an mich denkt? Sollte sie nicht irgendeinmal müde sein, mich zu tragen? Ich sehe den immer reichlicher abgestoßenen Blättern bei ihrem Totentanze zu. Ich denke an die endlosen Blattgespenster im Englischen Garten zu München und ich nicke; ich nicke wie ein Schlafbereiter. Wie einer, der, gegen sich selber, etwas gewährt.

Ich bin einverstanden, auch jetzt.

Denn die Oktoberschönheit drängt sich auf so wenige Stunden des Tages zusammen, daß diese hochfarbigen Stimmungen von einer Sättigung, von einer brennenden Kraft sind, wie nichts mehr im Jahre. Die Frühlingstage sind lang, die Herbsttage sind kurz. Kurz durch Verwöhnung im Sommer, kurz, weil der Oktober nur die Sonnscheindauer des Februars hat. Mich fröstelt, mitten im breitgelagerten Strahl der Mittagssonne, und ich liebe auch dieses Frösteln.

Die feistgewordenen Spatzen schreien zwar so toll, daß man sich mit ihnen freuen muß. Sie wissen noch nicht, was kommt. Sie überschilpen die Mittagsglocken mit ihrer Lebenskraft!

In meinem Garten haben drei ihrer Familien in jenen Kästchen gewohnt, die ich für Rotschwänzchen und Meisen bestimmt hatte. Immer hatten sie Familienfest. Drei Bruten flogen dieses Jahr aus; die alten Spatzen waren unverbesserlich und fingen immer wieder an, für den Finkensperber zu zeugen, für die Jungen mit dem Flobertgewehr, für die Hauskatze, für die Eule und den Iltis. Sie bildeten Gesellschaften beim Schlafengehen; später, als das Korn auf den Feldern milchig wurde und die Maiskolben auch, da flogen sie wie lustige kleine Wolken, die manchmal die Sonne verdüstern konnten, hinaus, gegen die vielgeküßte Mutter Ebene zu, hingen sich an die Ähren und Kolben, schwirrten an der Hecke des Bahndammes in erstaunlichen Zahlen empor, wenn ein Zug vorüberpolterte, und wanderten bei jedem Schusse, den man mit Vogeldunst unter sie tat, auf die Polentaschüssel, ohne den zurückgebliebenen Kameraden von ihrer unverwüstlich guten Laune auch nur das geringste wegzunehmen. Und ich sollte nicht gescheit sein, wie diese hier?

Nein. Um meine eigene Vernichtung zittere ich nicht. Um meines Kindes Vernichtung aber würde ich zittern.

Lore hat in ihre wenigen und sparsamen Briefe nicht die kleinste Andeutung hineingetan, als wäre sie Mutter geworden.

Das tut mir wohl.

Oder tut es mir vielleicht auch wehe?

So ist das Leben. Was ist Glück? Was ist Unglück?

Diese Spatzen verstreuen ihre Liebe dreimal, viermal im Jahre. Sie sind, zwei Monate lang, ergreifend zärtlich gegen die flügelzitternde Brut; dann beißen sie sie weg und denken wieder an ihr eigenes Lebensjucken, um abermals Großherzigkeit daraus zu ernten. Ich lache darüber, ich sinne darüber, ich bin mit ihnen und liebe sie. Wenn auf meiner Urne, die im Sonnenschein stehen bleiben muß, einst die Spatzen schilpen werden, dann wird noch ein Nachhall von Wohlbefinden durch mein Aschenrestchen darin rinnen.

Das Fest der Herbst-Tag- und Nachtgleiche habe ich mit Stimmung begangen. Schon in der Frühe ging ich in den stählernen, eigentümlich nach Eisen riechenden Duft meiner Stadtparkbäume hinein, die schmerzlich zu brennen und dennoch selig durchgoldet schienen. Herb, herb kam dieser Geruch zu mir, wie das Wort: es ist vorbei.

Zwei Mädchen saßen auf einer Bank und lernten Französisch. Sie waren mit lieben und stillen Gesichtern gesegnet; ich sah sie im Vorübergehen an, und die eine, die gerade eine Frage erhalten hatte, begann: » Je – –«

Ich hielt ein wenig inne: ich wollte warten, als käme ein » t'aime« hinterher? Jedenfalls interessierte mich die Fortsetzung. Da warfen sie die Bücher vors Gesicht und begannen in Verlegenheit loszulachen. Recht landmädelhaft.

So ging ich denn weiter.

Wenn es nur keine Großstädte mehr gäbe! Ich habe mir immer, wenn ich in Wien unter und hinter grauen und braunen Feuermauern zu ersticken drohte, den Blick auf dieses Stück Europa im Jahre Dreitausend vorgestellt.

Dann werden die Asiaten Kriegsmaschinen haben; dann werden sie ihre jungfräulich bewahrten Bergschätze dienstbar gemacht haben und Europa, das ewiggefährliche, ausgebrannt, verarmt und zur Einöde gemacht haben. Irgendein Großkhan oder Präsident wird nach altem Muster über die vier größten Wucherzentren dieser großen Karthagerhalbinsel Furchen ziehen und Salz hineinsäen lassen.

Die düsteren Ziegelmassen werden verödet sein bis dahin; Hügel werden die Ruinen andeuten, die das Kaufhaus Bondi und Kompagnie oder die Hofmuseen andeuten. Inmitten der höchste Hügel, rasenüberdeckt und efeuüberwuchert, wird auf die fieberdrohenden Donausümpfe herunterschauen. Gelbe Reisende werden darauf herumklettern und nach gotischen Steinfragmenten suchen. Und der Reiseführer wird ihnen sagen: »Hier stand einst eine der berühmtesten Pagoden des, nach Europa übertragenen, hebräischen Adonai. Sie war dem ersten christlichen Märtyrer gewidmet; das Volk hier aber lebte in genauestem Gegensatze zu seinem Schutzpatron. Bis zu jenen Bergen hin sollen über hundertfünfzigtausend Häuser gestanden haben (können Sie sich das vorstellen, meine Herrschaften?). Jedes Haus hatte einen Schlüsselbewahrer, ohne den niemand aus- und eingehen durfte. Diese Männer, welche den untersten Volksschichten angehörten, hatten einen Daseinsstandard, welcher ihnen erlaubte, täglich zweimal Braten und alle Sonntage ein Huhn zu essen, die Süßspeisen ungerechnet. Sie, meine Herrschaften, mit Ihrer gesetzmäßigen Portion täglichen Reises, werden sich daraus einen Begriff von der Üppigkeit machen können, bis zu welcher der (aus Altrom stammende) Gedanke der Überwindung des Erdkreises jene Imperialistenvölker befähigte. Sie wissen, wie sie sich, zuletzt, im Übermute ihrer Gier, gegenseitig anfielen, wie darauf die dunkeln Massen emporkamen und unserer reinen, bescheidenen und gesunden Philosophenrasse so alle Wege geebnet wurden. Vor den Trümmern von London und Paris (die von Berlin bieten nicht das mindeste Sehenswerte) werden Sie noch viel mehr erstaunen; keine Stadt aber wird Ihnen eine so gut erhaltene Pagodenruine, sogar mit Katakomben darunter, bieten, wie diese Pagode des Geistes Stefan. Kommen wir nun ins Innere herab, aber vorsichtig, meine Herrschaften, wegen der Spinnweben und der sehr glitschigen Treppe.«

So träumte ich. Ich ging mit den Fremden nicht hinunter; ich blieb im ewiggleichen Sonnenscheine auf dem rasengrünen Hügel über Sankt Stephans Kathedrale sitzen und schaute ringsum; selig, wie still und rein und goldklar die Welt doch wieder geworden wäre, seit es mit der Kohle bergab ging und das gierige, zuletzt nichts mehr als papierne Lügen und bestialische Massen zeugende Europa, endlich, seinen Pauschallohn erhalten hatte.

Wenn es nur keine Großstädte mehr gäbe!

Selbst von der größten Kleinstadt der Erde, also der holdesten, dem weinbergumgebenen Wien, träumte sich meine Sehnsucht nach der Schalmei des Hirten und der Einöde hinweg. Ich hörte noch, wie der Fremdenführer die Reisenden aufmerksam machte, daß in den Melodien der Pansflöte, welche der Hirte dort unten blies, immer noch Elemente aus der uralten, längst verschollenen, temperierten Tonleiter und jene eigentümliche (auf Instinktmathematik beruhende) sogenannte Harmonie enthalten wäre.

»Es war die einzige Harmonie, welche jene Herrschaften noch besaßen,« schließt lachend der Führer. »Und auch sie wurde in ebenderselben Zeit, als die Völker dieses kleinen, aber unbescheidensten aller Kontinente, sich gegenseitig zerfleischten, langsam abgebaut. Endlich wurde die alte, asiatische Chromatik, welche seinerzeit bis Griechenland hinübergereicht hatte, wieder rückübernommen. Ebenso, wie jetzt auch der asiatische Geist,« schloß der Führer erhebungsvoll. Ich ließ ihn mit den, in leichte Rohseide gekleideten, gelben Fremden fortgehen und träumte in Einsamkeit weiter.

Der Hirt spielte alte längstvergessene Motive aus einer Oper, welche ehedem berühmt gewesen war und die Zauberflöte hieß; sie allein lebte hier noch neben den Spinnen, den Eidechsen, der Rohrweihe und den Eulen. Spatzen gab es hier keine mehr. Die ziehen ja nur den Menschen nach.

Wenn es nur keine Großstädte gäbe!

In meiner Stadt bin ich bald im Grünen und bin also bald wieder Mensch. Das heißt nämlich Alldurchfühlender.

Denn wenn das andere, das Geschmeiß, Mensch heißen will, dann muß ich immer an den Bruder des Herrn Lukas Rabesam, den verschollenen Joachim, denken, der sich selber für etwas gänzlich Verschiedenes hielt, als jene verlogene und um ihre Seele betrogene Rasse, und, wie mir scheint, recht hatte. Ach, diesen Joachim Rabesam hätte ich gerne gekannt!

Der Einsame ist wirklich wie Gott.

Sein Wesen steht immer mitten in allen und leidet mit ihnen: – und sie alle stellen ihn außerhalb von sich.

Hier, ah: hier, in meiner kleinen Stadt kann ich noch meditieren, wie die Philosophen alter Tage, als ein Mensch, der, sich still ergehend, die Hände auf den Rücken legt. Die adligste Haltung, weil kein Tier und kein gedankenlos Hastender sie hat. In wenigen Minuten bin ich hier bei der Natur und muß nicht, mit jenen in einen elektrischen Kasten zusammengedrängt, seelisch proletarisiert und verbiestert, meine »Maße« verlieren, noch ehe ich hinauskam! Wie niedergepreßt gelangte ich immer aus Wien ins Freie, und gar: wie entsetzlich war die Rückkehr! Dazu, hin und zurück, drei herrliche Stunden verlorengegangen!

Hier bin ich, wie einst, aus dem Stadttor getreten auch wirklich vor dem Tor und außerhalb der Stadt. Alles ist dann so stille, so entsagend goldig, so wehmütig besonnt, so gottnahe auch im Verscheiden und Absterben, daß ich immer wieder fühle, wie unsterblich ich im Tiefsten doch bin!

Alles ist gut.

Aber eben weil ich, infolge meiner Natureinhelligkeit, beständigen Herzensfrieden habe, geht mein immerwährendes Bestreben daraufhin, ihn ein wenig zu stören.

Ich verwendete den ersten Abend der Herbst-Tag- und Nachtgleiche darauf, an Lore zu schreiben. Ich fröstelte; also entzündete ich an diesem feierlichen Tage, ohne mehr auf die Geliebte zu warten, die mir vielleicht inzwischen verlorengegangen war, das erste Feuer in meinem Kamin.

Das erste Feuer!

Das, dem Tode entgegengetrotzte Leben. Ein, aus zerstörten Resten anderer Wesen ertrotztes Leben, – wie alles Leben! Auch das erste Feuer ist ein Mord. Denn Mörder sind wir schon, indem wir unser eigen Kind zeugen.

Ich sitze am Kamin; ich spalte langsam, immer ein wenig fröstelnd, aber dennoch wollüstig langsam, ein wenig weiches Holz zu ganz schmalen Spänen und die lege ich kreuzweise hin, unter das Welserische Wappen aus alten Tagen.

Ich lächle es an; bald wird es erglühen.

Dann schichte ich mehrere Scheite darüber. Erst kleingespaltene, dann grobe. Nun zünde ich an: »Trügerische Schönheit, schöner Trug, wach auf,« sage ich und sofort plaudert ein kleines Flämmchen, wird größer, leuchtet umher, daß die Mauer rötlich übertanzt ist, und endlich bullert es in gleichmäßigen Schwingungen schnell dahin. Meine Knie werden warm, selig lehne ich mich zurück. Das erste Feuer im Herbste; der erste Trumpf gegen den Tod!

Chaire, – freue dich!

Und ich freue mich, weil das bummernde Feuer mich langsam abtastet und mich überströmt, bis ins Herz hinein.

Das schreibe ich Lore. Aus Angst um sie bin ich ihr treulos geworden, mit dem für sie bestimmten ersten Feuer.

Ich schreibe ihr, daß ich sie erwarte, Tag für Tag.

Ich schreibe ihr aber auch, daß ich bereit bin auf alles, und daß sie mir alles ruhig sagen könnte. Ich hätte zu lange dem Herbste zugesehen, wie leise und schön er entsagte und zerstörte. Und daß dieses Zuleidetun mir eben auch recht wäre.

Ich liebe die Blätter; ich liebe sie noch im Fallen, ich ergebe mich in ihre Kündigung und finde sie schön. Lore kann mir ruhig alles gestehen.

»Ich weiß nicht; sehne ich mich in diesem Augenblick nach der Süßigkeit des Nichtsmehrwissens? Sollte ich zu den Abendkindern gehören oder ist diese Sehnsucht nach dem Einschlummern nur kontrapunktierte Lebensgier?«

Dann habe ich den Brief an Lore vor mir liegen: am dreiundzwanzigsten September, steht darauf. Ich bleibe sitzen; ich bringe ihn nicht zur Post. Wenn ich jetzt in die feuchte, schwermütig vernebelte Dämmerung hinausginge, dann würde meine Feier der Herbstgleiche, die ein rechtes Fest der Maße sein soll, zwischen Entsagen und Gewinnen, dann würde sie ein kleines Sterbefest. Ich aber will es halten, wie die Sonne an diesem Tage, die auch in den Tropen nicht länger scheinen mag als heute hier! Ausgewogen will ich sein! Stäte und Maße!

So habe ich mir die schönsten von meinen Kartoffeln in ein Eckchen verglimmender Kohlen gelegt; dort singen die bratenden jetzt, nervös und leise. Ein Duft geht durch meinen verglasten Vorraum, bald sind sie gar. Da stehe ich auf und hole Wein und hole mir sogar ein nußgroßes Stückchen von dem heilig verwahrten Fett dazu!

Ich sprenge etwas Wein in die Flammen, denen ich ein neues Scheit reiche und sage: »Ihr Guten!« Das ist mein Abendgebet.

Dann esse ich, mit allen Sinnen, die man zum Essen hernehmen kann; denn sogar das Ohr hat am Singen der bratenden Kartoffeln, am Glucken der Weinflasche und am Knallen des lustig aufbrennenden Holzes seinen Teil. Es fährt mir wärmend durch die Glieder. Vergessen ist das Todesfrösteln, so not es mir täte, auch daran zu denken, – an diesem Tage der Resignation.

Und lächelnd sehe ich auf den Brief an Lore hin. Sie wird auch lächeln. Kann es denn sein, daß sie sich, nach so bitterlichem Irrgang, abermals einem Brunstvieh unterwarf? Einem Vieh hinter eleganter Krawatte, die sie hinterblicken gelernt hat. Ach, nein, nein!


Ja also. Und heute, am vierten Oktober, habe ich Lores Antwort.

»Vor allem, Alo: morgen abend hast Du mich. Vielleicht schon nachmittags. Ich bin tief erdbraun, wie Du es gerne hast. Aber sonst sage ich Dir: – ich war den ganzen Sommer in Gesellschaft; ich hielt förmlich Hof, Alo. Ich erstickte in Anbetung. Alles, damit ich Dir treu bleiben sollte.

Denn ich wollte mich nach Einsamkeit sehnen lernen, also nach Dir, Alo! Wäre ich, ich Geschöpf des Wechsels, so wie Du wolltest, den langen Sommer entlang allein geblieben, nur mit Büchern und Wiesen zusammen, ich hätte mich diesen Winter in Kontraste stürzen müssen. So verhungere ich jetzt nach irgend etwas, wie fernem Hoboenklang, zwischen Ried und Rohr und Weide! Pan oder so was. Kaum ein wenig Theater, und auch da nur schöne, alte Musik und nachdenkliche Stücke.

Und sonst nichts, als Dich haben!

Ruth hat einmal geweint, als Dein Name genannt wurde. Ich bin eifersüchtig. Dieses Kind liebt Dich, mit der ganzen verhohlenen Kraft, mit der ein Kind lieben kann. Und ich liebe Dich nur um so mehr, weil sich wer anderer unterfängt, Dich zu lieben! Morgen also, – vielleicht schon zwei Stunden vor Sonnenuntergang!

Deine Lore.«

»Meine Lore!« Und mit solchem Meisterbrief. Gescheit, gescheit war mein Mädel! Und wie braun sie sein wird! Altrömisch kampagnabraun, heidebraun!

An diesem Tage, da Lore kommen sollte, hatte ich (wie schon dreimal im Jahre) nicht die Kraft, zu arbeiten. Das waren beinahe meine einzigen Feiertage; denn oft arbeitete ich an Sonntagen für Lores Mann. Heute aber gönnte ich mir die Ferialpracht eines leuchtenden Südwettertages. Die Bäume strahlten hochherrlich, und als ich auf den Schloßberg stieg, da war es, als schritte ich durch Aladins Schatzhöhle. Links und rechts und über mir war rotes und gelbes Gold aufgestapelt und gewölbt, fieberhaft grell durchleuchtet. Und es hatte, als Kontrastfarbe, einen solchen Himmelsazur, daß Leonhard von Keutschachs Fürstenzimmer auf Hohensalzburg, das ja auch völlig in blauem Azursammet mit Goldsternen und Goldblättern erstrahlte, abendlich müde und verloschen dagegen aussehen mußte. Es war, als schrie der Herbst, vor Übermut und Wonne; todesnahe, und früchteschwer und weintrunken!

Oben, an der Brüstung der Bastei, blieb ich stehen und schaute auf die violfarbig patinierten Ziegeldächer der Stadt und auf die mitisgrünen Kirchenkuppeln des Domes und des Mausoleums herunter. Ameisenhaft ging das Mittagsgewimmel durch die beschäftigten Straßen. Und als die Glocken schlugen, ins Blauferne hineinschwimmend anschlugen, da hab' ich die Augen zumachen müssen, damit ich in den Wohllaut gänzlich versänke. Sie hatten ausgeschlagen, dann ausgeläutet und jetzt hob das Glockenspiel an. Treuherzige und einfache Dinge trug es, halb zerrissen, und darum desto ahnungsreicher, bis zum Festungsberge herauf, und ich hielt die Augen immer noch geschlossen, damit ich das viele Licht und die vielen Klänge allein empfinge und so besser genösse.

Auch wieder ein Nichts und auch wieder ein Kunstwerk. Und ebenfalls eine jener Stimmungen, deren erinnerungsreiche Zahl die Summe unseres ganzen Lebensglückes ausmacht.

Ich denke manchmal daran, ob jener Mittag der Erwartung, als durch mein ganzes Blut die Mittagssonne, die Mittagsglocken und ihre Lieder, das Gold und Blau zu einem fassungslosen Glücksgefühl zusammenströmte, ich denke daran, ob jener aus der ganzen Natur zusammengefaßte Akkord nicht noch beseligender gewesen sein möchte, als das Wonnefrösteln der Sekunde, da Lore sich in meine Arme warf und unsere Lippen, nach einem erstickten Begrüßungsseufzer, Ströme, ganze Ströme von irrsinnigem Trennungsweh lautlos vermählten.

Größte aller Kräfte: ich wurde dennoch geliebt!

Ich hatte es für unmöglich gehalten, aber ich wurde dennoch geliebt!

Einen werbenden, ablenkenden Sommer lang hatte die schönste Frau, um die ich jemals wissen durfte, alle andere Liebe freundlich absagend von sich weggelächelt, hatte jene zu mir schweigsam im Innersten behalten und mit vielen Gedanken genährt.


So fliegt euch keine um den Hals, die etwas ausgegeben hat, inzwischen! So küßt nur die Gier namenlosen Hungers nach dem Einzigen!

Ich glaubte, ich würde wahnsinnig vor Glück! Was war das für ein Kuß! Nein, kein Kuß. Ein stummes, regungsloses Aufeinanderpressen der Lippen, um das geliebte Andere zu fühlen, mit allen Poren.

Schweratmend hielten wir uns, hinter der zugefallenen Türe meines Häuschens, in den Armen und Lore sank gegen den Türstock; sie legte ja all ihre Seelenkräfte und ihr Bewußtsein in dieses Hinhalten ihres Mundes. Sie behielt keine Kraft übrig, um auch nur stehen zu können, und ich mußte sie halten.

Jedes Weib, das liebt, hat dieses Hingeworfensein im Kusse. Es stürzte hin, wenn ihr es nicht hieltet. Aber nie merkte ich das.

Erst heute bei Lore, weil mir selber Arme und Knie bebten, merkte ich, wie schwer ein aufgelöstes Weib darniederhängen kann. Und ich nahm, was mir dieses Sinken gab …

Dieses Dahinsterben (des Weibes vollkommenste Liebeserklärung), schwiege es dir oft – und so! Nun erst wußte ich, daß Lore mich immer geliebt hatte. Auch damals, als sie, so gräßlich, abgeirrt war, daß es jetzt noch mein Gehirn durchtobt, wenn ich mir vorstelle – – genug, stille!

Es war schwerer Oktober und ich erntete mehr, viel mehr, als ich überhaupt vom Leben gewollt. Dort lag mein kleiner Garten im Abendgesumme der wenigen Insekten, welche die Nachtfröste ertragen hatten; dort lebten die kleinen Gottheiten, auf die ich mich beschieden hatte. An eine Liebe hatte ich gar nicht mehr gedacht! Nun hing ein solches Weib an meinem Halse, und wie hing es!

Es war gegen alles Gesetz und Recht. Ich war ohne Liebe glücklich, schon deshalb, weil ich aus der Sehnsucht eine wahre Bildergalerie für mich zurechtbereitet hatte. Aber das durchdringende Erfülltsein dieser heutigen Stunde glühte wie das Sonnwendfeuer selber.


Lore wollte mit mir in den Wald, in den Herbstwald, als das letzte Nachschauern verzittert war in unsern Körpern. Darum erhoben wir uns und gingen, anfangs mit schweren Schritten und erst später, vom Sauerstoffe der beginnenden Höhe und des raschen Atems angefeuerter, zu den schönen, ungemein sanften und weitblickenden Höhen ober Sankt Peter empor. Wir sahen die Ebene, wir sahen am Hügelrande ein Hirtenfeuer. Blaukriechend, wie ein Traumwurm, wand sich der Rauch über die gilben Wiesen hin und zwischen die ersten Waldstämme hinein. Wir schritten durch die Obstgärten mehrerer Bauernsiedlungen, rechts vom Wege abweichend, gegen die Wälder über dem Dorfe, dessen roter Kirchturm am Fuße der Hügellände über die Waldbäume emporleuchtete. Überall lagen die Äpfel; die Mostpresse knarrte, es duftete zum Anbeißen obstlich.

Am Hausspalier nahm ein Mädchen Weintrauben herunter und ich kaufte Lore die größte blaue Traube. Sie war hundertbusig, wie die gütige Diana der Epheser, und mächtig, als käme sie aus dem Lande Kanaan. Ein Rebhühnervolk schnurrte dann vor uns auf, als wir in den kleinen Heideflecken eintraten, wo die Jungwaldschonung begann, und bald flog auch, unbeholfen und gackernd, daß es klang, wie ein großer Blechtopf, ein Fasanhahn empor. Lore schrie auf; da sauste aber der blanke und schillernde Vogel schon so schmissig dahin, daß all seine dumme Hühnerhaftigkeit vergessen werden mußte. Wie der Vogel Phönix erglühte er, bronzerot in der Abendsonne der Waldstämme, durch die er jetzt, sausend wie ein Bolz, hindurchstieß und verschwand.

Unten in der frischen Ackerfurche nickten spazierend die Krähen. Am Waldrande saß eine Häsin, die Ohren ergeben links und rechts an die Flanken gelegt, und überlegte mümmelnd, ob es geraten wäre, jetzt schon gänzlich aus dem Holze zu rücken.

Wir waren »bei uns«.

Ferne klang das Geläute jagender Hunde, – dann fiel ein Büchsenschuß.

Alles erntete.

Der Bauer, das Mädchen in den Reben, die Saatkrähe, der Jäger. Erfüllung lag schwermütig schön überm Land, vom bronzenen Gluthimmel an, bis in die blauverschatteten Wälder. Es klopften noch hinter uns die Nüsse aus den lichtgewordenen Baumkronen herunter, es pochten schwerstürzende Äpfel und Birnen, und vor uns fiel schon leise die Buchecknuß auf die tröstlich annehmende Walderde, und das gesegnete Kind des Südwestens, die Edelkastanie.

Überall dies leise Fallen und Klopfen, wenn wir stillestanden.

Als tropfte es nach einem schweren Sommerregen von den Zweigen.

Und diese Zweige waren allerorten niedergebeugt, getroffen, schnellend und zurückfedernd in Bewegung, als huschten Eichhörnchen fortwährend über sie hin. Es ging wie Geisterlein von Baum zu Baum im verdunkelnden Walde.

Wir setzten uns auf einen großen Baumstumpf und verhielten uns. Hinter uns, ganz nahe, lockte ein Rebhahn: Zerrrritt! Zerrrrritttt! Bis nahe vor unsere Füße huschten die Hühner vorbei; dann, als die Dämmerung stieg, kam eine Igelfamilie, murksend, übereinander hinfallend, schattenhaft verschwindend.

Aus der Ebene kam ferner, mostfroher Jubel. Dann war alles doppelt geweiht, doppelt empfängnisstille.

Lore zupfte ein wenig an ihrer Traube, aß andächtig, lächelte mich an und schob sie mir hin, wie Eva den Apfel gereicht haben mochte. Ich aber küßte ihr bloß die Süßigkeit der Traube von den Lippen weg, dann horchten wir wieder. Ferne, zwischen den Stämmen, zog sich der Fluß, blaßgelb wie der Westhimmel, durch seine Auen. Da und dort Heidefeuer mit blauem Rauch. Die Ferne war sanft und klar.

Im Walde tropfte es immerzu, vom Fallen der größeren Kastanien und der kleinen Bucheckern; dann fing es leise an, wie Schellengeklingel, so daß Lore überrascht in die Lüfte schaute. Denn von dort oben kam es.

»Der Wintermann fährt zum ersten Male auf seinem Schlitten rekognoszieren,« sagte ich lächelnd. Aber dann zeigte ich Lore den Streifen, der vor uns im Blaßblauen und Grauvioletten sich verlor. Ein großer Schof Enten zog gegen die Auen hin. Ihr Flug machte dieses schnelle »dschippschippschipp«.

Es wurde dunkler; Eulen umfächerten uns lautlos, immer wieder. Noch nie hatte Lore so viele Eulen gesehen, und sie wurde abergläubisch.

»Ach nein,« sagte ich. »Es ist jetzt ihre Zugzeit. Sie gehen nicht weit fort, aber sie wandern viel. Erschrick mir nicht auch, wenn der Kauz im Walde lebendig wird und heult. Das ist mir einer der liebsten Wälderlaute.«

»Wie heult er?«

Da machte ich es ihr vor, und zornig antwortete gleich, weit hinten in den verdunkelten Baumwirrnissen, ein beunruhigtes Original. Der Weise aller Dämmerungen, der Nachtjäger und Mäusetöter! Gleich darauf stand er uns zu, umflog uns, ohne daß man das Wehen seiner Schwingen hörte, und bog reißend schnell in die alte Finsternis ab.

Jetzt lachte auch Lore.

»Ist er im Herbst auch immer noch eifersüchtig?«

»Im Herbst vielleicht nur auf die gefräßige Konkurrenz,« sagte ich.

»Prosaisch,« sagte Lore. Sie hätte gerne etwas von Liebe gehört. Nun hielt sie die Waldschnepfe ebenfalls für eine Eule, und den Ziegenmelker auch, und wunderte sich, daß es soviel Nachttiere gäbe, als ich ihr die Namen der neuen Dämmerungsflieger sagte.

»Fehlen ohnehin noch Fuchs und Grimbart, der Dachs,« sagte ich. Denn von diesen beiden, die unglaublich nahe bis an unsere Stadt heranwohnen, kam heute keiner an uns vorbei.

»Wie alles lebt,« sagte Lore.

Ach, es war so südmilde, daß es sich wohl noch eine Weile leben ließ für die kleinen Brüder und Schwestern, ehe der Wintergrimm sie niederzwang.

Von der Rebhecke her sangen die Weinhähnchen ihre sehnlich gezogenen Wehmutslaute, und ich erinnerte Lore an die Zikaden im Sommer. »Sie kommen bis zu uns herauf vor, die Lieblinge Anakreons; aber heute hören wir keine. Weiter im Unterlande schrillen sie in warmen Oktobernächten immerzu.«

Anderes Leben erwachte. Das waren die Lichter an den Berghängen, welche hier und dort dahinwandelten von Gesange begleitet. Und da war es denn, als sängen diese Wanderlichtlein selber, in der Nachtferne.

Und immer wieder das Pochen und Herunterrieseln und Trommeln der Fallfrüchte im Wald.

»Beinahe ist mir angst,« sagte Lore jetzt leise.

Ich erwiderte: »Horch zu. Es ist schön, auch wenn du Angst hast.«

»Jetzt kommt der Winter,« klagte Lore.

»Ich habe Haus und Feuer und Vorrat,« sagte ich froh.

Lore schwieg eine Zeit. Dann faßte sie mich um den Hals und ließ sich fallen. Ich breitete meinen Mantel unter uns, wir glitten daraufhin und, mitten im Vergehen und Gruseln, und mitten in den Erfüllungen des Früchtefalles, hatten auch wir, was Vergehen und Erfüllung in einem bedeutet.

Das war unsere Herbstfeier.

Ich hatte sie mir vertiefter gedacht. Aber wenn ein junges Weib dabei ist, dann dringt keiner tiefer in die Natur, als die Liebste es hat – und will.

Die Waldgötter haben mir's vergeben.

Bei kaltem Mondschein kamen wir nach Hause, und so sehr fröstelte jetzt mein schönes Mädchen, daß ich sie, trotz des wunderlichen Gesichtes, das Herr Degrassi heute wegen Zuspätkommens vielleicht machen sollte, an mein frisch entfachtes Feuer setzte.

Ja, da erlebte auch sie die Göttlichkeit der ersten Herbstglut im Kamin. Ich hatte eine alte, glockenspeisene, flache Tiroler Pfanne mit drei Füßen; die stellte ich, mit Maronen belegt, ans Feuer. Es knacksten und dufteten die herrlichen Mehlfrüchte. Dann aßen wir sie, tranken ein Glas oktoberlich frohen Weines und küßten uns auf die benetzten Lippen.

Wohlig durchwärmt ging Lore fort. Am Gartengitter sagte sie mir, noch über den Zaun herüber: »Ich werde dich in die Sterne versetzen lassen, wenn ich einmal soviel Macht habe. Du bist mehr als ein Mensch.«

»Ich bin alles und weiß das. – Es ist aber ein sehr einfaches Geheimnis,« sagte ich lachend und ging ins Haus zurück, um vom hinteren Gangfensterchen meinem leichtschreitenden Mädel nachzusehen und ihr zu winken, bis sie sich endlich in andere Gassenwinkel verlieren mußte, weil Leute kamen.

»Nun ja.« Mit diesem ehrlich müden Seufzer ging ich schlafen. Es war schön gewesen. Ich wußte bald nichts mehr; es überwältigte mich der Schlaf.«


Dies ist die Stelle, bis zu welcher Alarich Tuschens Aufzeichnungen reichen. Das Weitere schreibe ich, der Herausgeber dieser Blätter.

Gegen Ende der Oktobertage besuchte ich ihn nämlich und fand ihn, im Garten erntend und neue Beete vorbereitend; ganz stille, im Nebelreißen eines kühlen Tages vor sich hinarbeitend. Er führte mich in sein Haus.

Darinnen war alles so, wie es diese seine Blätter schildern. Im offenen Kamin der Veranda erkannte ich im Flackern des Feuers sogleich das Welserische Wappen und fragte ihn nach seinem Onkel.

»Er ruft; ruft mich immerzu,« sagte Tusch. »Aber ich mag nicht. Dieses ganze Volk dort oben hat einen Ton, als wäre es schwer leberleidend. Übellaunig, anherrschend. Alles schreit sich an. Bis ganz hinunter, alles.«

»Welser hat aber keinen Erben.«

»Ich verlange von ihm nur eines. Er hat in Bozen, am Guntschnaberge, ein kleines Weingut am Abhang der Felsen. Dort soll er mir, so hoch, daß kein Rotzjunge (welchen Alters immer) hinaufklimmen kann, eine kleine Höhlung einmeißeln lassen, für meine Graburne, und testamentarisch verfügen, daß die auch wirklich dorthin gebracht und mit eisernen Zapfen verklammert werde in ihrem Kubikulum, falls ich nach ihm stürbe. So werde ich ewig nach Süden und in die Heimat der alten Götter schauen, nach denen ich mich gesehnt habe mein lebelang!«

»Immer denkst du ans Sterben.«

»Was!? Dichter! Das ist ja doch gerade Fortleben! Und, höre: ich mag nicht unter die Erde. Im Sonnenscheine will ich bleiben, im Sturm und im Regen! Das andere, an mir und in mir, fliegt ohnedies weiter und vibriert unersättlich fort. Aber sogar die tote Asche soll hoch oben im Freien stehen! Verstehst du, daß das nichts als lebenssehnsüchtige, nicht zu stillende Heidengier ist?

Auch meine Asche im Anblick des ewigen Wechsels der Gestirne.«

Ich habe damals gelächelt und träumend in die knallenden Flammen gehorcht. Nicht wußte ich, daß es vielleicht Ahnung von ihm war, mir das zu sagen. Gerade mir, der ich sein Testamentsvollstrecker werden konnte. Denn kein Philister hätte das unternommen, was dann der alte Arbeiter, Birnbaumer und ich taten und was ihm doch so wichtig war!


Ich habe nur mehr wenig zu erzählen vom Leben, aber noch einiges Schöne vom Tod und der Bestattung des Alarich Tusch. Diese jedoch gehört (das ist wesentlich) unbedingt mit zu seinem Leben.

Noch lebte er, als hätte er ewig dazusein auf einer Erde, die er so sehr liebte. Trat er ja, wie er sagte, sogar mit ihr in den Ehestand, den ihm sein angebetetes Gärtlein bedeutete. Wie hat er mich darin umhergeführt!

Ich mußte jedes ausgeflogene Spatzennest vom Sommer, ich mußte jede übriggebliebene Sonnenblumenstaude, jeden annoch stehenden Kohlkopf bewundern, und zum Abschied steckte er mir eine allerletzte Resede und drei Astern an den Hut, die ich nachher, säuberlicher, ins Knopfloch tat, damit ich nicht aussähe wie ein Urlauber.

Sein Häuschen war noch viel schöner, als er es in diesen Blättern geschildert hat; denn er hatte vergessen, zu erzählen, daß er es blitzeweiß gefärbelt hatte; den Balkon und die Blumenkisten vor allen Fenstern und an der Veranda entlang grün, und lustig rot leuchtete das Dach. Die Form der winzigen Baulichkeit war von traulichster Altmodelei. Ich begriff, warum die ganze Stadt davon redete und warum sogar die reichen Leute Sehnsucht nach Tuschens Einschränkung auf jenen allermindesten Standard bekamen, in den man ein voll zivilisiertes und kultiviertes Leben überhaupt noch zusammenpressen konnte.

Die Ärmeren, die alle sahen, daß man solch ein Glück auch um weniges haben konnte, wurden mutiger zum Leben; die Reichen lernten sachte, daß es nicht so schlimm sein möchte, in evangelische Einfachheit zurückzugehen und der Üppigkeit ihres gelangweilten Lebens zur Ader zu lassen. Alarich Tusch verbrauchte nur von einem viel; das waren Schuhsohlen. Denn wie ein schwänzefroher Schuljunge lief er, jede erstohlene liebe Stunde, weit hinaus ins Freie, über die Höhen oder in die Wiesen und Auen.

Etwas ist komisch. Ich habe den Gedanken gehabt, seine mit Tagen datierten Aufzeichnungen mit den barometrischen Druckmessungen der Luftschwere jedes jener Tage zu vergleichen, weil ich längst schon der Ansicht bin, daß ein Instinktmensch (und ein solcher bis zum allerhöchsten und allerletzten war Alarich Tusch) das rätselhafte Feingefühl des Tieres in sich trüge. Anders wäre seine stürmische Erklärung zum Heidentum gar nicht zu verstehen; denn er war alles weniger, als ein Ästhet!

Nun. Bei tiefem Barometerstande rannte er hinaus in die Ebene und fand alles, was Wiese und Au und Fluß heißen wollte, göttlich. Wenn aber hoher Luftdruck eintrat, dann riß es ihn mächtig zu den Bergstraßen empor und er jubelte auf den Höhenwegen dahin, trunken vor erneutem Glück!

Menschenkinder, merkt euch das!

Unser Glück besteht aus einer solchen Menge physiologischer Bedingnisse, daß es oft sogar leicht wäre, dem Selbstmorde zu entrinnen, könnte man nur geschwinde unter andern Luftdruck gesetzt werden!

Ich hätte noch eine ganze Menge solcher Fußnoten unter diesen Panegyrikus des Heidentums zu setzen, aber ich unterlasse es der Ziemlichkeit wegen, weil ich, der ich kein deutscher Gelehrter bin, nicht die Pflicht in mir fühle, alle Menschen rings um mich zu langweilen. Genug mit jenem ganz kleinen Hinweis!

Daß Alarich Tusch seit jenem fünften oder sechsten Oktober bis zum Ende des Monates nichts mehr hinschrieb, das mag seine Ursache darin haben, daß sich das Verhältnis zu seiner Lore zu einer Hochglut der Leidenschaft gestaltete, welche von der ganzen Stadt bemerkt und aufgeregt beredet wurde. Nur jene beiden, und vielleicht auch Degrassi, schienen keine Ahnung davon zu haben. Wie es bei solchen Dingen immer zugeht.

War Lore (natürlich hieß sie anders, und ich habe Namen und Berufe geändert), war Lore durch das frevelhaft selbständige, kleine Hauswesen des Hagestolzes so angezogen worden und liebte sie dieses? Wie die Katze, welche das Haus dem Herren vorzieht? Sie kam immer nur dorthin, und wenn sie Alarich Tusch am Stadtparke oder in Anlagen begegnete, ließ sie von ihrer sonstigen Gesellschaft niemals ab. Aber zu ihm lief sie beinahe alle Tage hin; die Nachbarschaft wußte es längst und bald auch die ganze Stadt.

Alarich mochte nicht unrecht haben, als er Lores Bemerkung bestätigt fand, daß ihn die Frauen um seines Hauses willen verliebt ansahen (was vordem, wie er behauptete, nie geschehen war). Aber vielleicht brauchen die Frauen überhaupt nur irgendeine Legende über einen Mann; irgend etwas, wodurch er von sich reden macht, und schnitte er einem schönen Hunde den Schweif ab!

Denn sonst wären sie wirklich den Katzen ähnlich.

Mein Gott, was wollten damals Mädel unsern Alarich heiraten, und sich mit den beiden Räumen seiner Bretterbude seliglich begnügen! In allen Konditoreien stritten sie, wie sie sich's dort einrichten könnten!

Der gute Alo hatte von dieser allgemein aufgewühlten Frauenliebe keine Ahnung. Um so mehr aber Lore! Je öfter sie über ihn ausgefragt wurde, desto hungriger lief sie zu ihm. Je mehr sie erfuhr, daß unserm Tüschlein die reizende Konkurrenz nachstellte, desto köstlicher wurde er ihr. Sie war wie verrückt vor Liebe zu ihm und zu seinem, enorm in die Mode gekommenen Häuschen. Alarich Tuschens Philosophenbude und sein kleiner Garten galten für einzig!

Mein! Denke ich an dieses Häuschen und an ihn, wie er alle Tage um zwölf Uhr mittags (zehn Minuten vor zwölfe verließ er Degrassis Bureau auf eine kleine Stunde), wie er alle Tage dort oben, mit einem Blick, die Sonne von seinem Balkon aus grüßte! Das war ihm ein stummer Gottesdienst, den er unauffällig, aber pünktlich versah. Natürlich sprach sich das bald in der Stadt umher: »Wenn ihr den Tusch sehen wollt, der Kauz ist alle Tage Punkt zwölfe auf seinem Balkon!« Wäre er alt geworden, man hätte deshalb Sagen um ihn gesponnen. Jetzt waren immer ein paar Mädel dort, und promenierten, ganz zufällig.

Wenn die Glocken zusammenläuteten, dann trat er heraus, bemerkte gar nichts als Himmel und Wolken, hob sein etwas schmales, ehrliches Gesicht mit der tüchtigen Nase und dem langen, großen Kinn gegen Himmel und suchte, auch bei dem verdecktesten Wetter, wo die Sonne stehen mochte. Einen langen, langen Blick warf er hinauf, dann ging er wieder.

Mehrere Male, wenn sich an einem Feiertage gar zu viel Mädel dort zufällig machten, trat auch die schöne Frau Lore neben ihm hinaus, wie eine ovationsfordernde Königin. Dann duckte sich, vor dem strahlenden Gold ihre Haarkrone und unter den Blicken ihrer Augen, unter so dunkeln Wimpern, das ganze Kleinemädelgetuschel.

Nachher schnatterte es freilich, in alle Gassen zerstreut, um so erregter weiter. Mein schwermütiger Freund war beliebt, wie kaum ein Tenor, und hatte keine Ahnung davon.

Auch ich selber liebte ihn; aber ich wagte mich nicht in seine Nähe, aus Ehrfurcht. Denn ich hielt ihn für so unberührbar glücklich, daß ich es bittstellerhaft gefunden hätte, wenn ich ihm oft in die Nähe gekommen wäre. Könnt ihr euch denken, wie mich später jene Stelle rührte, welche in seinen Aufzeichnungen von mir redet? Auch er hatte also Sehnsucht nach mir empfunden!

Vielleicht war es auch diese Unnahbarkeit mit, die ihm soviel Getuschel und zugleich soviel Liebe eintrug.

Lores Liebe zu ihm entzündete sich sicherlich zu großem Teile daraus, daß er ihr bewiesen hatte, wie selig man ohne ein Weib werden kann (und das ärgert jede!). Dann aber, zum andern Teile, aus der wachsenden Begehrtheit, welche der reizvolle, billige und dennoch so glückhafte Kriegsunterschlupf des Robinsons meiner Heimat, Alarich Tuschens Gartenhäuschen, bei allen keimenden Hausfrauennaturen erregte. Im Eigenen mit dem Liebsten zu Bette gehen, und wenn's zwei Meter lang und ebensoviel breit wäre! Na ja.

Mein Alarich Tusch! Dann war das Jahr deiner Aufzeichnungen um und du mußtest zur dunkeln Persephoneia. Oder vielmehr, die Nixen nahmen dich in die Arme, dionysischer Freund!

Er hatte mich einmal zu einem kleinen, allerletzten Herbstspaziergange, flußabwärts, in die beinahe völlig entlaubten Auen gebeten, um soviel bunte Blätter, als, vielleicht, noch an geschützten Sträuchern festhielten, zu sammeln, für seine kleine, liebe Ruth, die jetzt wieder oft bei ihm sein durfte.

Er kam aus seinem Häuschen, das strahlend in der Sonne lag, welche damals schon bis in den Hintergrund der Zimmer schien. Er kam, um Birnbaumer zu holen, der bei mir wartete, wo wir auch ein paar Flaschen Wein aufnehmen wollten. Denn es sollte ein Picknick werden.

In meiner Wohnung riß es den guten Tusch zurück, als wäre er angerufen worden. Wie gebannt stand er vor einem Kamin, den auch ich habe und den alle meine Freunde kennen, den aber er zum ersten Male sah.

»Auch Sie kultivieren solch eine Opferstätte?« fragte er staunend.

Ich lachte und ließ ihn das hübsche Bildwerk bewundern, das schon vielen Leuten Freude gemacht hat. In die kupferne Kaminhaube eingelassen ist nämlich ein Bronzerelief des guten, alten Clodion, der es seinerzeit (mit den hinten eingegrabenen Worten » à son Excellence Monseigneur le prince de Rohan. M. C. 1784«, – das M. C. heißt Michel Claude –) gerade im Jahre der Halsbandaffäre dem unglücklichen Liebhaber Marie Antoinettens gewidmet hatte. Es ist ein schönes Stück, mit grünlicher Patina. Faune und Nymphen nahen in dionysisch lärmendem Festzuge dem Altare Pans, wo sie einen Bock opfern. In den rotmarmornen Aufsatz des Kamins aber ist ein Relief des kindlichen Bacchus eingelassen, ein rundes Medaillon aus weißem Marmor, von einem unbekannten Meister aus derselben Zeit: eine ganz herrliche Arbeit, beinahe vollkommen erhaben. Das Knäblein mit dem trunkenen Blick hält einen Becher und eine Traube. Etwas Zärtlicheres als die Arbeit des Kinderkörpers, des weingeschwellten Gesichtchens und der Locken kann man sich schwer vorstellen. Der gute Tusch hatte für die Schönheit der Arbeit weniger Sinn, als für die Erinnerungen an alte Götter, die ihm leibhaftig fortbestanden. Er erbat sich ein Glas Weines, sprengte mit heiterer Feierlichkeit seine Libation und trank das Glas aus, indem er sagte: »Auf daß ihr wieder gefühlt werdet von den Menschen, wie ich euch fühle, ihr Unsterblichen, Pan und Dionysos!«

Die kleine Ruth schaute ihm mit großen Augen zu. Birnbaumer nahm ihn unter den Arm und sagte: »Lieber Narr.« Ich, der ich seine Aufzeichnungen noch nicht kannte, fragte verwundert: »Ist Ihnen denn das Ernst? Leben die alten Götter wirklich in Ihnen?«

»Glauben Sie denn,« fragte mir Tusch entgegen, »daß etwas tot ist, bloß weil es war? Sind nicht vielmehr wir die Toten, die von der Erde durch eine Asphaltschichte getrennt sind? Wozu leben wir heute? Wäre nicht alles der lächerlichste Aufsitzer, den man ersinnen könnte, wenn es immer nur ums Jüngel, und niemals ums Ich ginge? Das Bewußtsein ist uns doch bloß gegeben, damit wir unser Ich im All auflösen lernen!«

Er sagte das mit leiser, aber um so bedeutsamerer Stimme, und nie werde ich den andächtigen Ton dieser Worte vergessen.

Wir gingen, und auf der Treppe sagte Tusch noch: »Man darf nur niemals ein Zeitungspapier als Lampenschirm zwischen sich und die Gottheit halten.«


In jenen Tagen stürzte das alte Österreich zusammen.

Es war eine Hölle von unverstandener Anarchie, gemildert nur dadurch, daß sie vorerst einen einzigen Strich, einen einzigen Richtungszug hatte: »Nach Hause, fort, nach Hause.« Wie übel wäre es damals ohne Bahnen ergangen! Schon auf unserm Ausfluge schoß man aus den Zügen auf uns, auf Ruth, auf die Krähen, es war alles eins.

So glitt millionenfache Bestialität, wie in einem sehr engen Kanon, vorbei an uns, an den bunten und kahlen Wäldern, an allen Mahnungen der Natur, heillos, heulend, schießend, entfesselt. Um Ruths willen eilten wir, um bald in die Auen zu entkommen.

Ruth hatte bei Tusch auf uns gewartet. Als wir hingingen, brauste ein großer Föhnsturm, der aber nur eine Viertelstunde währte. Die Wolken trieben, drohend schwarzblau, so nahe der Erde dahin, daß man keine Berge mehr sah, und es hieb und peitschte die Regentropfen, daß sie wie Hagelkörner schmerzten. Aufruhr überall.

Alarich Tusch aber hatte mich mit den Worten hineingeführt:

»Sehen Sie, wie schön!«

»Es ist doch der Teufel los, bei den Menschen und im Himmel,« hatte ich geantwortet.

»Zuerst horchen Sie, wie der Sturm in meinem Kamin heult. Wer das anhört, der vergißt auf Revolution und Schakalherdenchromatik. Alle jene Lautverbindungen werden verklungen sein. Diese wird bleiben. Hören Sie?

›Wjuuuuuuhh, wuiwuihiuuuu!‹ Das ist Expressionistik, die ich mir gefallen lasse. Göttlich.« Und er setzte sich an den Kamin und versank in Wonnen.

Die Verandafenster prasselten, gezüchtigt von hunderttausend Peitschenhieben, er schwamm in Stimmungen. »Zu alledem kehre ich zurück,« sagte er mit halbgeschlossenen Augen. »Ich gehöre dazu; ich habe niemals weggehorcht und niemals das Blutverwandtschaftsgefühl dafür verloren. Ich kann nie sterben; denn ich bin ewig in alledem, was ich liebte.«

Und jetzt, wo wir den vollgepackten Heimkehrerzügen, aus denen man wahllos herausschoß, entkommen waren, da stand Alarich Tusch abermals stille und sagte wieder: »Wie schön!«

Freilich war es schön. Eine Novembersonne war nach jenem kurzen Regensturme voll hervorgetreten; königlich glänzend, huldvoll, serenissima! Saphirhaft durchsichtige Himmelsflecke drängten sich zwischen den ersterbenden, weißen Wölkchen übermächtig hindurch, so überfarbig, daß es ganz unglaubwürdig und traumhaft aussah.

Ferne stampften die Heimkehrerzüge vorüber; dann und wann knallte irgendeiner sein ganzes Patronenmagazin hinaus; der Himmel lächelte wie ein verklärter Märtyrer dazu und fühlte das alles so wenig, wie bald wir selber.

Unseres Freundes Ekstase ließ uns alles vergessen. Er juchte, weil unter einer Hecke die Veilchen zum zweiten Male blühten, Novemberveilchen! Und er zeigte uns auch die zweiten Primeln überall: »Denn nicht einmal von diesen wissen die meisten Menschen,« sagte er zu Ruth.

Als das furchtsame, kleine Mädchen bei einer neuen Schießerei zusammenzuckte, rief er ihr lachend zu: »Da; siehst du's? Österreich fällt. Der Himmel steht.«

Er ging weiter, streichelte ihre Wangen, bis sie ruhig dreinsah, und sagte dann: »Merk dir das, du winzig kleines Menschenkind, denn du bist doch schon sehr gescheit: Die Hohenzollern und die Lothringer, die krachig glänzenden Kaisergeschlechter, die sind lächerlich dahingefegt, ehe noch das letzte gelbe Laub von diesen Büschen weggejagt wurde. Unser Reich erstrahlt, wie je! O ihr ewigen Götter der Flur!

Kleine Ruth, siehst du hier die Schmetterlingspuppe? Wie vertrauensvoll hat sich der Wurm eingesponnen, ohne Bankdepot – ja so, das verstehst du nicht. Also ohne Kaiser, ohne Religionsunterricht, kleine Ruth. Und dennoch glaubt er an Gott! Merk' dir's; jeder Wurm glaubt mehr an Gott als der klügste Gelehrte. Er fühlt ihn tausendfach und in immer neuen Kräften. Und dieses Gefühl ist, was ich die Götter und Heidentum nenne.

Bete den Baum da an, er ist der allerletzte, der über und über voll eitel Golde steht. Im November, denk' nur! Allerseelen! Da blühen sonst nur die Talglichter auf den Friedhöfen. Und heuer nicht einmal die, weil die Menschen jetzt den Talg selber fressen! Ruth, ist der Baum nicht schön?«

»Ja,« sagte die kleine Ruth, etwas betreten. Heute verstand sie den Herrn Tusch offenbar gar nicht recht; sonst soll sie sehr an ihm gehangen haben.

Und dann geschah das Erschreckende.

Wir waren bis an den Fluß gekommen, in den hier ein Mühlgang hineinmündete. Ein schmaler Brettersteg führte über diesen Arm, der bei seinem Einströmen in den wilden und raschen Fluß, welcher durch den Gewitterregen trübe und hochgehend war, einen zerrenden Wirbel bildete.

Es war ein Glück, daß Birnbaumer mich in eben diesem Augenblick auf einen Kahn aufmerksam machte, der weiter unten angebunden schwankte. Birnbaumer sagte zu mir noch: »Schade, daß der Fluß so angeschwollen und reißend ist; wir hätten sonst dem Kind das Vergnügen einer kleinen Piratenfahrt gemacht.«

Tusch wollte, wie er immer auf Ausflügen zu tun pflegte, ein Lagerfeuer anzünden und suchte nach Holz. So vergaß er einen Augenblick auf das kleine Mädchen, das mit vorgespitzten Füßchen über das Brett trippelte, welches knapp an der Mündung des Mühlganges über diesen gelegt war.

Einen zufälligen Augenblick sahen wir sorgenvoll nach dem Kinde hin, ob ihm wohl nichts widerfahren könnte; Birnbaumer sah hin, ich sah hin, Tusch schaute ebenfalls auf. Das arme und verschüchterte Kind bemerkte aber, daß wir alle große Augen nach ihr hinmachten. Da trat sie in ihrer Verlegenheit, etwa etwas Verbotenes angestellt zu haben, daneben und fiel, vollkommen schweigend, vom Brette herunter. Kerzengerade vor lauter Schreck und Wohlerzogenheit, streckte sie die Händchen wie verzeihungerbittend nach oben und versank, ohne einen Laut von sich gegeben zu haben.

Tusch sprang empor, in den Augen tiefsten Jammer und namenloses Entsetzen.

»Seht ihr das, seht ihr das und rührt euch nicht?« schrie er. Und der durch alle Nerven gehende Ton seiner Stimme brachte uns wieder ins Leben.

»Den Kahn, den Kahn dort,« rief ich und rannte mit Birnbaumer darauf zu.

»Was Kahn,« schrie es aber hinter uns. Und während wir immer nur auf das schneeweiße Kinderkleidchen schauten, das, bald auftauchend, bald halbverdeckt von den braunen Fluten, nahe am Ufer dahintrieb, begab sich das Allerletzte. Tusch sprang, ohne auf uns zu hören, mit einem Aufschrei namenloser Verzweiflung ins Wasser. Wir sahen nur eine groteske, windmühlenhafte Drehbewegung seiner langen Beine, seiner Arme, – da schnitten wir auch schon den Kahn los, stießen in die Fluten und langten bei dem dahintreibenden Kindchen an. Wir rissen es hinauf, legten es ins Boot und starrten dann nach unserm unbesonnenen Freunde umher.

Nichts mehr war zu sehen.

Die schmutzigen Fluten trieben eilig an uns vorüber, sie verrieten nichts.

Ich handhabte das Ruder mit verzweifelter Kraft, während Birnbaumer das kleine Geschöpf ins Leben zurückzurufen strebte. Er löste ihm die zurückgekrampfte Zunge, hob ihm die Arme und ließ sie in einförmiger Bewegung auf und nieder winken. Es sah aus, als riefe das verstummte Kind den Freund, der für es gestorben.

Kinder haben viel Sauerstoff im Blute. Die kleine Ruth kam zu sich, während ich vergeblich zuerst den ganzen Fluß absuchte und dann nutzlos hinunterfuhr, wohl eine Stunde lang.

Endlich mußte ich daran denken, daß das gerettete Kind sich nicht noch erkälte. Ich stieß, selber ganz bewußtlos, ans Land und fachte ein Feuer an. Birnbaumer und ich weinten beide, als die klare Flamme emporknatterte. Unser armer, verschollener Heide hatte sich so sehr darauf gefreut.

Jetzt loderte es ohne die innige Freude seiner Augen.

Wir trockneten die Kleider des vollkommen verschüchterten Kindes, das alles mit sich geschehen ließ und nur dann und wann nach Onkel Alo fragte.

»Er ist zu Mama gelaufen, einen Wagen für dich holen,« log ich.

»Aber Sie weinen ja?«

»Aus Schreck, daß du bald ertrunken wärest,« sagte Birnbaumer.

»O, das war gar nicht schrecklich,« sagte Ruth träumerisch, rückte aber mit ersehbarem Behagen dem Feuerchen nahe und nahm von dem Weine, den wir ihr diesmal zubilligten.

Es war ein sehr, sehr trauriges Picknick da am Flusse.

»Wenn er in die Unterströmung gekommen ist,« sagte Birnbaumer, »so schwemmt es ihn erst in Lebring ans Land. Dort ist eine Stelle, die wirft alle Leichen aus. Bringen Sie das Kind jetzt nach Hause. Ich eile und telephoniere mein Lagerkommando an; die Stelle liegt gar nicht weit von uns. Man wird genau abpassen, ob er angetrieben kommt. Das Wasser kann durchschnittlich drei Meter in der Sekunde machen. Das sind, bei elf Kilometern –«

Ich ließ ihn seine Berechnung anstellen und eilte, das arme Kind zu den Seinen zu bringen.

Zu den Seinen!?


Das war das abrupte Ende unseres Heiden, der uralt werden wollte, um Jude und Christ zu erlösen. Der die Menschheit dazu erziehen gewollt, die Übervölkerung dieses unseligen Planeten wissend zu verhindern. – Doktrinär, wie nur je ein Deutscher. – Und der gerade um eines Kindes willen, sinnlos vor Jammer, Mitleid und Liebe, in den Tod gegangen war. Triebhaft und inkonsequent, wie nur je ein Österreicher!

Da es aber noch etwas wirklich Schönes zu erzählen gibt, so wolle der gütige Leser das Buch noch nicht aus der Hand legen.

Am folgenden Tage telephonierte Birnbaumer aus dem Flüchtlingslager, daß das arme, tote Menschenkind wirklich bei Lebring an der unfehlbaren Stelle ans Land gespült worden sei. Wenig entstellt wäre er und sähe, mit seinem wachsweißen Antlitz, zufrieden aus. Ich sollte »nach Flavia Solva« hinunterkommen, und wenn ich noch einen Freund Tuschens wüßte, so möchte ich den mitnehmen. Er brauche Hilfe zu einem Plan, um dem Toten einen letzten Liebesdienst zu erweisen.

Ich hatte Frau Lore, vorsichtig und liebevoll, ein Unglück des Freundes ahnen lassen. Sie hatte mir die Schlüssel zu seinem Häuschen übergeben, damit ich in seinen Aufzeichnungen nachsuchte, ob sich dort nicht Andeutungen fänden, was er vorgehabt haben könnte, ehe er »verschwand«. Sie selber mußte sich der kleinen Ruth widmen und war selbst hiezu kaum fähig, so zerbrochen war sie.

Auf diese Weise kam ich zur Kenntnis und später in den Besitz der hier mitgeteilten Aufzeichnungen des Ärmsten, die ich jene ganze, lange Novembernacht hindurch las, bis am Morgen Birnbaumer mich anrief.

Da wußte ich nun freilich, was der gute, mutige und frische Doktor vorhatte. Es galt, dem toten Freunde eine heidnisch fromme Leichenfeier zu bereiten.

Ich nahm den alten Arbeiter Hannibal mit, sonst niemanden. Der schönen Frau Lore verschwieg ich alles Weitere. Ihre Nerven waren vielleicht nicht stark genug zu dem, was wir vorhatten.

Der Tag, an dem ich in Wagna ankam, war der letzte schöne jenes Jahres, auch was das Wetter anging. Im übrigen wurde die Republik erklärt. Wenige Kilometer von uns tat sich, seit heute, fremdes und feindliches Land auf. Aus dem, ohnedies fast völlig geleerten Lager liefen die allerletzten Wachen, Krankenpfleger und Dienstpersonen, nach allen Windrichtungen davon.

Wir, Birnbaumer, der alte Arbeiter Hannibal, ich und der Tote, den Birnbaumer agnosziert und von der Behörde angefordert hatte, wir waren so vollkommen frei, unbeobachtet, allein gelassen und unter uns, wie dies zu irgendeiner andern Stunde der Weltgeschichte, vielleicht seit dem Zusammenbruche des weströmischen Reiches, nicht mehr möglich gewesen wäre!

Zur größeren Vorsicht meldete Birnbaumer jedoch den Gendarmerieposten und Feuerwehren in der ganzen Umgegend, daß, wie gewöhnlich, unbrauchbare und schwer mit Bakterien infizierte Uniformreste und verseuchte Bettware verbrannt werden würde. Kein Mensch kümmerte sich übrigens heute darum.

So schleppten wir, vom frühen Morgen bis zum Vormittage, Scheitholz, Bretter von abgetragenen Baracken, halbgeleerte Teerfässer und Holzwollsäcke herbei und schichteten einen so mächtigen Scheiterhaufen, daß wir einen Handwagen herbeischieben mußten, auf den wir Tische stellten, um den starrgewordenen Leichnam des Freundes, den wir in zwei große, linnene Laken gehüllt hatten, obenhin lagern zu können. Er ruhte auf einer dichten Schichte dunkelgrünen Föhrenreisigs, und wunderbar streckte sich die antik weiße Gestalt, wie in Toga und Tunika gehüllt, auf dem Piniengrün aus.

Feierlich ernst starrte das beruhigte Antlitz gegen Himmel und wartete: – so schien es.

Wir dreie umstanden, wohl eine Viertelstunde lang, ergriffen den gewaltigen Holzstoß, den uns nur die Ruinen des alten Regimes so reichlich zu liefern vermocht hatten, und sahen zu dem stillen Freunde empor, von dessen majestätischem Anblick wir uns kaum zu trennen vermochten. Am liebsten hätten wir ihn noch einen Tag und eine Nacht so thronend gelassen, in seiner ergreifend schönen und stillen Hingestrecktheit.

Aber die andern, das viele, viele Gesindel!

Wir mußten ihn heimschicken, ehe der stupide Buchstabe sich seiner so bemächtigte, wie aller andern, beiläufig Gezeugten. So stieß ich am Fußende des Katafalkes die Fackel in den Holzstoß, Birnbaumer zur Linken des toten Freundes, Hannibal zu dessen Rechter. Ungeheuerlich loderte die Flamme empor, beinahe augenblicklich, so daß wir alle drei hastig zurücktreten mußten.

In diesem Augenblick begannen von der Stadt her die Mittagsglocken zu läuten.

Die Spätherbstluft war vollkommen windstill, der Himmel strahlend rein. Golden und klar stieg die enorme Flamme empor und hüllte jenen in seiner weißen Toga so vollkommen ein, daß wir ihn lange Zeit nicht mehr erblicken konnten. Kein Laut, der Abscheu erregt haben könnte, wurde hörbar, kein Geruch von verbranntem Fleische kam zu uns hernieder; alles riß sich im Knallen und Prasseln des Feuers himmelauf. Endlich ließen die Flammen, dann und wann, ein wenig Vorhanges frei und wir sahen die völlig verdüsterte Gestalt, aus der selber Flammen emporstachen, würdig, aber schon etwas geisterhaft liegen. Einen Augenblick neigte sie sich etwas nach der Seite, wie ein Träumender, der sich eine bessere Lage sucht, dann loderte die großgewaltige Flamme von neuem, höher und mächtiger als je, über ihm zusammen. Sinternd senkte sich der Holzstoß, wurde wohl um ein Drittel niedriger, aber er hielt. Hannibal hatte mehrere eiserne Stangen festgerammt, damit der Scheiterhaufen nicht nach einer Seite überhängen oder gar stürzen sollte. So sank das Ganze, gerade unter sich und ruckweise zusammen; ergreifend groß und ruhig.

Wunderbar war auch, daß ein kleiner Vogel unaufhörlich um die Flammen kreiste; es schien, als wollte er sich in sie hineinstürzen. Hannibal scheuchte ihn, aber zwitschernd flog er, immerzu, um und sogar über die fackelhellen Feuerzungen. Endlich war er fort. Er war vielleicht eine halbe Stunde mit uns Trauergast gewesen. Der Stoß brannte nun schon über eine Stunde, und von Zeit zu Zeit sackte er sich, dumpf krachend, zusammen. Dann fauchte die Flamme jedesmal um so höher empor.

Vom toten Heiden war nichts mehr zu sehen, wenn die Flamme des Stoßes Grat freigab. Sogar der Schädel schien geborsten und auseinandergetan in Frieden.

Bis zum verdüsternden Abend brannte das große Feuer; dann war es so niedrig geworden, daß wir hinzutreten und darüber hinwegsehen konnten. Schneeweiße, hellglühende Knochen lagen in halbkenntlichen Formen auf dem Geringel des verbrannten Föhrenreisigs und zerfielen, als Hannibal mit einer Schürstange an sie rührte.

»Es ist gut,« sagte Birnbaumer leise. »Lassen wir, wenn die Nacht windstill sein sollte, alles verlöschen, wie es ist. Morgen sammeln wir seine Asche.

Über Nacht fiel ein sehr milder, leiser Regen, der löschte die letzte Glut, welche wir am andern Morgen, nach antiker Sitte, mit Weine zu dämpfen bereit gewesen wären. So kamen wir in grauester Frühe am zusammengekohlten, schwarz und hellgrauweiß überflitterten Stoße zusammen und nahmen die deutlich sichtbaren, kalkigen Reste des völlig verbrannten Gebeines hinweg. Keines der reinen und klingenden Stückchen war größer, als etwa das Köpfchen eines skelettierten Sperlings. Alles andere wirkliche, weiße Asche.

Ach, das war alles so rein, so schön, so erhebend, wie eine Geisterhochzeit gewesen.

Noch jetzt überkommt mich eine Erhebung, daß ich dem Ende beinahe sehnsüchtig entgegensehe, wenn ich an jenen, uralt schönen, Totenbrand denke, der Alarich Tusch in sein geliebtes All emporriß.

Ich habe immer das Ende unserer Reste in der Flamme für das einzig schöne gehalten, habe darüber gedichtet und gefabelt und bin in bittere Klage über eine Menschheit ausgebrochen, welche den liebsten Mund, bloß weil er schweigen muß, mit Würmern zu füllen imstande ist! Seit ich aber solch antikem, heroischem Schlußakkorde selber beigewohnt und seinem erhaben aufschwingenden Flügelrauschen zugehört habe, seit dieser Stunde kann ich mir das Ende (eines rein und groß verlebten Daseins wenigstens!) nicht mehr anders denken. Es gehört zu einem sehnlichen, leidvoll schönen Leben, wie das Tedeum zum Festgottesdienst, wie die Abendröte zum Sonnenuntergang, wie der Gesang zu einem Menschendasein. Unmöglich, scheußlich und über alle Maßen empörend erscheint mir seit jener Zeit die aus Verpowerung erwachsene, stinkende Beisetzungsform altchristlichen Barbarentums.

Das könnte Alarich Tusch gesagt haben; das sage aber ich selber.


Es bleiben mir nur wenige Worte mehr zu erzählen übrig.

Ich mußte unseres armen Freundes Asche in eine leere Blechdose schütteln, da eine Urne, weder aus Stein noch aus Bronze, zu erhalten war. Mochte Herr von Welser ein würdiges Behältnis für seinen heimkehrenden Verwandten aus Österreich finden!

Ich hatte genug damit zu tun, um mich mit der Asche durch die Grenz- und Zollbehörden zu schlagen, welche, allein in der allgemeinen Unordnung, die dümmste Quälerei aller unschuldigen Reisenden, als Banner der alten Zeit, aufrechterhielten. Wenig fehlte und man hätte die Überreste des armen Tusch chemisch untersuchen lassen; ob vielleicht nicht eine neue Form von Konterbande da mit im Spiele wäre?

Während man mich mit meiner Kunstdüngerprobe, wie es hieß, von Beamten zu Beamten, durch alle Grenzbehördenräume zerrte, sah ich, wie deshalb zwanzig Hamsterfamilien und mehr, mit ihren Körben und Rucksäcken, mich segnend, durchglitten!

Endlich durfte ich mit meiner traurigen Fracht nach München weiter fahren. Ich mußte einen Revers unterschreiben, daß ich die Stadt binnen dreien Tagen wieder verlassen würde.

»Wir brauchen dort weder Dichter noch Künstler mehr!«

Sonderbar umfing mich das alte Schloß, in dem ich in stolzerer Zeit ausgeruht hatte. So sonderbar, daß ich zu träumen glaubte. Denn hier schien die Zeit wahrhaftig stille stehen geblieben zu sein.

Ja; – das war am Kamin des alten, großen Herrn.

Herr von Welser saß, wie ehedem, zurückgelehnt am offenen Feuer.

Auf eiserner Platte erzitterte, bald rußig dunkel, bald goldhell aufflammend, das alte Welserwappen an der Hinterwand des Kamins. Der Freiherr starrte, nachdem er mich schwerblütig, aber liebevoll angesehen hatte (er wußte durch mein Telegramm alles), auf dieses Wappen, dessen letzter Träger er nun war.

Platt auf den Bauch hingedrückt lag der Bully des Herrn auf dem Teppich vor dem Feuer; schwarzbraun, wie aus Japanbronze gegossen, und rührte sich nicht. Nur im Kamin der Wind und das widerborstige Knacken des Holzes hatten das Wort.

Hinter den Fenstern war das weite, das Holzmoor entrollt. Birken und Fichten stöhnten im Anstoß des Windes, und ganz ferne lag die liebe Stadt, die im Frieden fast gänzlich freie, deutsche Stadt, in der es nun düster gärte. Die Frauentürme sagten, wo sie lag.

Der Freiherr sprach lange Zeit gar nichts, ließ sich aus dem alten, getriebenen Kessel aus Augsburger Silber seinen Tee einlaufen, reichte auch mir eine Tasse und sah an die Decke oder ins Feuer; nur nicht auf das, was ich ihm brachte.

Endlich aber, nach einem besonders lauten Aufbrausen des Sturmes, dem ein Erschauern der Fenster gefolgt war, fragte er:

»Ist das alles von Alo?«

Schweigend stellte ich die armselige Blechdose mit der Asche hin. »Es ist ebensoviel, als was die deutsche Herrlichkeit aus Österreich zu machen wußte,« sagte ich.

Herr von Welser legte die Hand an die Stirne. »Haben Sie kein Wort von ihm an mich?«

»Doch. Diese Blätter; für alle Menschen. Aber ich fürchte, sie werden so ungesehen und so einsam bleiben mit ihrem Leuchten, das er hinterlassen wollte, wie jedes Gute und Große, was von uns kommt – aus Österreich … Eine Konservenbüchse voll Asche; das ist vorderhand alles, was die Welt von uns weiß.«

»Ich bin ein alter Mann und habe Zeit zum Nachdenken,« sagte Herr von Welser langsam.

»Ich will doch lesen, was er aufgeschrieben hat, der arme Tollkopf.«

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