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Vorwort.

Vorliegende Memoiren sind dem literarischen Nachlaß eines angesehenen Bürgers entnommen, welchen sein Schicksal in der schönsten Zeit seines Studentenlebens an den Kämpfen des Achtundvierzigerjahres teilnehmen ließ. Der Herausgeber übernahm die Verpflichtung, in Rücksicht auf noch lebende Teilnehmer und Verwandte, eine Anzahl chiffrierter Namen (außer den in der Geschichte des Jahres 48 allzubekannten) verhüllt zu lassen und nicht richtigzustellen. Jedoch dürfte die Vermutung erlaubt sein, daß dieses Werk eine interessante Auskunft über das Schicksal des im genannten Jahre sehr beliebten und vielgenannten »Arbeiterkönigs«, des Studenten Willner, geben könnte.

Der Herausgeber hat das hübsche Dokument fast unberührt und mit ganz unwesentlichen Streichungen veröffentlicht.

Der historische Quellenwert des Werkes dürfte als romanhaft erzählendes Memoire (es scheint »Wahrheit und Dichtung« vermischt) teilweise nicht allzu hoch anzuschlagen sein. Desto wertvoller erscheint uns das Werk als Beitrag zur Psychologie des Studententums von damals – und des Wienertums. Als solchem erhoffen wir ihm einen großen Erfolg.

Wien, Ende März 1905.
Der Herausgeber.

 


 

Diese Erinnerungen, ursprünglich Tagebuchblätter, später memoirenhaft umgearbeitet und ein wenig zusammengestimmt, liegen nun schon bald ein halbes Jahrhundert in meinem Schreibpult. Sie stammen aus einer Zeit, welche viel verachtet und verlacht worden ist.

Heute aber, wo das politische Leben und das Wesen vieler Volksvertreter in ernsten Menschen einen kräftigen Ekel erzeugt, wendet man sich wieder rückwärts nach jenen idealeren Tagen, welche im blauen Dufte der Entfernung reizvoller aussehen als die heutigen. Man beginnt über jene Zeit zu dichten.

In Österreich feiert man sogar den armen Messenhauser, Stadtkommandanten Wiens von der Mitte bis Ende Oktober 1848, wie einen dramatischen Heros.

Messenhauser, der verzauderte Messenhauser ein Dramenheld! Wir, wir kannten ihn: Ein Schwätzer, trunken von den eigenen schlechten Tiraden, dessen Kommandantschaft man niemals an Handlungen, sondern nur an seinen Stilübungen fühlte, welche als Proklamen täglich frisch wie Semmeln an allen Straßenecken zu haben waren. Ein schwankes Rohr, aber ein weiches Herz mit der Sehnsucht nach dem Guten! ein liebenswürdiger Phantast mit jähen Rucken, sich eine harte Republikanerhaltung zu geben, welche ihn jedoch schnell ermüdete. Daß er wollte, was er nicht zu sein vermochte, zeigt besser als alle Schilderungen der Humor einer kleinen Tatsache: Der Unglücksmensch hieß Wenzel; der Name gefiel ihm nicht, und er nannte sich Cäsar!

Warum ich so lange über Messenhauser spreche, der in meinem Buche fast gar nicht hervortritt? Weil er alles ist, ach alles, was unser manchem in tiefem, selbst erkennenden Unmut am Herzen frißt: Ein Österreicher! Sehr beliebt, sehr gefällig, sehr eitel! Eine wohlgebildete Gestalt, nur nicht aus Marmor. Voll Talente! Aber der Stahldraht der Rasse fehlt in allen Sehnen, – sie schlottern.

Es stehen in der Geschichte jenes Jahres fast nur erbärmliche Namen zu lesen. Wer jedoch danach urteilen wollte, der würde an der wahrhaften Größe jener Zeit ebenso irre werden, wie wenn er die Völker nach einzelnen Vertretern in den Parlamenten beurteilen müßte.

Der Deutsch-Österreicher hat Helden und hatte sie auch damals. Aber es ist der Fluch einer nach dem Äußerlichen strebenden Zeit, daß in diesem Volke wie in einem Sumpfe nur Blasen an die Oberfläche gelangen.

Ich kannte einen von jenen, welche mit ringendem Herzen in der Tiefe erstickten und in Dunkelheit starben. Es sind heilige Erinnerungen, welche ich jetzt, als alter Mann, preisgebe. Unberührt! Hans Gottschalk steht mit all seinen Irrtümern als ein Beispiel für jene da, welche gleiche Wege wie er wandeln möchten und sich an einem gänzlich unbrauchbaren Material bankerott arbeiten wollen wie er. Auch mich habe ich gezeichnet, wie ich war: Der österreichische, leichtbegeisterte und leicht nach allen Seiten zu führende Junge, – als Warnung für alle jene, welche nach außen wirken wollen, da ihnen ihre Art doch für ein Leben lang nach innen zu arbeiten gäbe! Solche Menschen sollten sich nicht um Volksvertretung, Partei und Staatsform kümmern, sondern allein um die Läuterung und Stärkung ihrer Seele.

Es wird vielleicht auffallen, wie im ersten der drei Hauptstücke dieses Buches viel geträumt, philosophiert und in allen dreien viel geredet wird. Jene Zeit war wirklich so träumerisch und so redselig. Ich habe die Äußerungen all meiner Bekannten möglichst so gelassen, wie sie sich in meinen Notizen aus damaliger Zeit konserviert haben. – Soviel von dem, was ich unberührt gelassen habe.

Jedoch gestehe ich, die Tatsachen manchmal zurechtgerückt, gruppiert, ja eindringlicher dargestellt zu haben als sie sich zeigten: Dichtung, einer tiefern Wahrheit zuliebe. Einzig die Namen habe ich, noch lebenden Personen zuliebe, gefälscht.

Die Absicht, nachliegende Erinnerungen zu veröffentlichen, besteht schon so lange wie diese Erinnerungen selbst. Vor vierzig Jahren stand als Titel darüber: Der letzte Student. Ich lernte aber doch noch einige solch wahrhafter und lebenslänglicher Feuerherzen in Akademikern kennen und tilgte den pessimistischen Titel.

Der lyrischen Bewegtheit, der naturnahen Ergriffenheit gemäß, welche sich als Unterstimme in Harmonie durch mein ganzes Leben zog, hätte ich dieses Buch gerne nennen mögen: Ein Oktober.

Denn in einem einzigen Oktober reifte die Sehnsucht, hernach das Schicksal und zuletzt die Erkenntnis meines geliebten Freundes Johannes fix und fertig heran. Ach! Der stille Hans hat den stürmischen nunmehr über fünfzig Jahre überlebt – um seine Geschichte zu hinterlassen.

Im Jahre 1897 schien sich der Völker Österreichs eine ähnliche Erregung zu bemächtigen, wie jene anno 48 war: – als die Völker unseres schönen Reiches nach allen Winden auseinandergehen wollten. Das Reich zerfiel damals und 1897 nicht, so viel darüber prophezeit wurde, aber, es ist schlimm genug und will gesagt werden:

In vielen Herzen ist und bleibt es zerfallen.

Seit jenem Jahre 48! Und diese Idee vermag kein Staatsanwalt auszurotten.

Von diesem Standpunkt kommen mir meine alten Bekannten aus jener Zeit wie Typen vor. Es gibt viele solcher Offiziere, wie der Hauptmann einer war, welche gegen eine Welt von öffentlicher Meinung das alte Staatswesen mit lachender Gewalt behaupten würden, und es gibt viele Bürger, wie Meister Blank. Solange beide Arten zahlreich sind, wird Österreich bestehen. Wenn aber ein Hans Gottschalk ersteht und den Erfolg an sich zu reißen vermag, dann sind die Hager, Hirsch und Wurzinger jubelnd hinter ihm drein, dann – – –!

Dann werden sie nicht um ein Haar glücklicher sein in ihrem neuen Staate. Wir Deutschen in Österreich – uns fehlen ganz andere Dinge!

Wien, am Beginn des neuen Jahrhunderts.
Johannes Hager.


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