Ernst Barlach
Güstrower Fragmente
Ernst Barlach

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Weihnachtsfesttag 1912

Mildes, weiches und klares Wetter über den Feldern, alle Teiche tiefblau, ovale oder runde Gesichter mit Haar und Bart von gelbem Schilf. Weither blinken Seen, rechts der Parumer, links der Sumpfsee, und hinten, hinter der nächsten Erdwelle, weiß man, da gehts wieder hinab zum Inselsee. Man sieht nur milde Helle überall, man hört das Nichts des Windes an den Ohren vorüberstreichen, man fühlt seine unsichtbaren kühlen Hände an die Stirn tasten und über die Schultern streicheln. Die fernen Wege nach Zehna und nach der Gleviner Burg stoßen mit den regelmäßigen Punktlinien ihrer Chausseebäume aus der Stadt hervor. Das riesig geschwellte Meer der Felder trägt die Sanftheit seiner Gewalt im Sinken und Steigen seiner Bogen lautlos und doch heftig voran; die Vogelscheuchen, sparsam verteilt, schütteln ihre grauen Lumpen wie einsame Segler. Der Mistberg, der wohl erst gestern zum Streuen hier abgeladen ist, dampft noch; und über ein anderes Feld, das schon unter der Mistdecke liegt, spritzt ein Schwarm von Geelgöschen, gelb und braun wie der Mist selbst, und läßt sich nieder in der weichen Wärme seiner eigenen Farben. Aber die tiefbraunen Streifen, wo frisch gepflügt ist, biegen im Zuge der Schwellungen ihre Blöße, die zu duften und in der Wärme leise auszuatmen scheint wie eine Seele von unerschöpflicher Trächtigkeit, neben den mattseidigen, grünen Breiten mit Winterkorn auf und nieder; sie sind die Großen im Strom der leisen und weichen Formen und Farben, sie wälzen sich tief und saftig, manchmal schwarzbraun wie schwarzes Brot, manchmal wie ein rauchgedunkelter Lederband auf ihrer Bahn, und gegen so ein unermeßliches Selbstgefühl versinkt die schüchterne Ferne zur Scheinlosigkeit und Formverlassenheit.

Tod und Sänger, Kohlezeichnung
35 X 25,3 cm
Barlach-Nachlaßverwaltung Güstrow (Heidberg)


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