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An einem Oktobertage des Jahres 1830 erschien ein Jüngling im Palais Royal und stieg geradeswegs die Treppe des Spielhauses in Nr. 39 hinan.
»Ihren Hut! wenn's beliebt, mein Herr!« rief im Vorzimmer eine trockne, mürrische Stimme, und eine bleiche, ältliche Gestalt erhob sich plötzlich hinter einer Barrikade von Hüten und Mützen.
Man muß seinen Hut abgeben, sobald man ein Spielhaus betritt. Weshalb? Gilt es, der verderblichen Macht, mit der man sich einlassen will, ein Unterpfand zu reichen? oder soll die Ehrerbietung gegen die Plünderer befördert werden, daß man in bloßem Haupte vor sie hintritt? oder will man dem, der alles verloren hat, etwas noch übrig lassen? oder gar dem Haarausraufen nichts in den Weg legen? –
Der Greis, der die Hüte empfing, ohne Zweifel selbst ein Spieler von Jugend auf, glich jetzt der Leidenschaft in ihrem letzten Stadium. Mit todkalter Gleichgültigkeit trug er vielleicht seine magere Besoldung am Tage selbst, wo er sie empfing, zur Bank. Auch lag in seinen Mienen, als er den Hut dem Jüngling abnahm, in welchem er vermutlich den Neuling sogleich erkannte, ein gewisser unerschütterlicher Spielergleichmut, über den Reue, Gewissensbisse und Verzweiflung so wenig mehr vermögen als die Peitsche über den alten, eingefahrenen Gaul, der nicht mehr sein Geleise verläßt. Die Vorsehung schien in ihm ein lebendiges Warnungsbild an die Schwelle des Lasters hingestellt zu haben. Aber der Jüngling achtete nicht darauf, achtete auf nichts; vielleicht weil, wie Rousseau sagt, der nur begreiflicherweise zum Spiele geht, der zwischen dem Tode und sich nur noch seinen letzten Taler sieht.
Jede Spielerszene hat etwas Gemeinpoetisches, das aber seine Wirkung nicht verfehlt, wie ein Melodram voll Verbrechen. Die Spanier haben Stiergefechte, die Römer Gladiatorspiele, die Engländer nur Hahnenkämpfe; Frankreich dagegen besitzt Spielhäuser, und das Spiel ist ein Duell auf eine geladene und eine ungeladene Pistole; der Verlierer bekommt die geladene Pistole in die Hand, sich selbst zu erschießen. Nur daß das Ziel, zur Vermehrung der Lust und der Grausamkeit, meistens aufgeschoben wird, oft auch Geschicklichkeit das Glück verbessert. Diese Schauspiele finden jedoch mehr Teilnehmer als Zuschauer; zwar wechseln auf der Szene: Leidenschaftlichkeit ohne Grenzen und grausame Kälte, ausgelassene Jugendlichkeit und Alter, das nur im Laster wieder auflebt; – kurz, ein Überfluß der mannigfachsten Affekte. Aber die Szene ist zu bewegt für die Betrachtung, und das Personal ist zu groß; nur die menschliche Erniedrigung offenbart sich, nicht der Dämon des Spiels, der hier herrscht.
Als der Jüngling eintrat, schien sich die gewöhnliche Stille einigermaßen zu vermehren. Er ging auf den Spieltisch zu, warf nachlässig ein Goldstück auf die grüne Decke und blieb unbeweglich stehen. Neugierig wandten sich alle Blicke zu ihm und jeder stutzte wie beim Anblick von etwas Ungewöhnlichem. Es war nicht die Gestalt des Lasters, die sich hier dem Laster nahte. Ein edler Stolz lag auf der hohen, von dichten blonden Locken umgebenen Stirn, lag in der Haltung, im schlanken Ebenmaß des Wuchses. Ein würdiger Ernst gab den schönen Gesichtszügen Ausdruck und Adel. Die dunkelblauen Augen blickten finster, aber zugleich wehmütig unter den zusammengezogenen Brauen hervor, und die Marmorblässe, die Regungslosigkeit deutete auf einen geheimen Entschluß der Verzweiflung, wie Todeserwartung. So ruhten seine Blicke unbeweglich auf den Händen des Bankiers.
Lange zögerte dieser mit den vielfach gebrauchten Worten: »Faites le jeu – jeu fait!« Endlich ertönten sie wie der heisere Schrei eines Vogels, dessen Kehle keinen andern Laut hat.
Ein schwarzköpfiger Italiener, dem die Spielsucht aus den Augäpfeln blitzte, gewann indessen Zeit, eine Hand voll Geldstücke auf die entgegengesetzte Farbe zu legen. Das Mißgeschick pflegt seine Opfer zu bezeichnen; vielleicht erkannte der Italiener in der Gestalt des Jünglings diese Zeichen und gründete darauf seine Spielerkombination. Der Erfolg gab ihm Recht.
»Rouge perd!« verkündete offiziell der Bankier, und aus der Brust des Italieners erhob sich ein leises Jauchzen, als ihm der Bankier ein Päckchen Banknoten hinwarf. – Der Jüngling stand unbeweglich, bis der Stab des Croupiers sein Goldstück fortstrich. Stolz und schweigend, wie er gekommen, verließ er das Gemach.
»Hätten wir diesem Herrn gefolgt! wie?« sprach ein Greis zu einem andern, indem er auf den muntern Italiener deutete; der Angeredete zuckte die Achseln.
»Ich dachte es wohl, daß das Glück solche Spieler nicht begünstigt!« lachte der Italiener.
»Er ist kein Spieler!« entgegnete der Bankier, »sonst hätte er mit seinem Goldstück dreimal pointiert.«
Der Jüngling war währenddem schon durchs Vorzimmer geschritten, hatte dort seinen Hut zurückempfangen, ohne ihn zu fordern; war die Treppe hinab geeilt und verließ das Palais Royal. Bei der Rue St. Honoré schlug er den Weg nach den Tuilerien ein, durchstreifte den Garten, wie eine Wüste, hörte nicht das Geschrei der Ausrufer rings umher, stieß auf jeden, der ihm begegnete, und sah ihn nicht und war nur eines Gedankens fähig: Tod!
Als er mitten auf dem Pont Royal stand, blickte er finster in die Wellen. Ein Herbstwind durchwehte ihn mit kaltem Schauer. Ein altes Weib ging dicht an ihm vorüber, hüllte sich tiefer in ihren zerlumpten Mantel und sprach fröstelnd: »Böses Wetter, um sich zu ertränken; das Wasser ist kalt und die Seine schlammig!« Dicht bei den Tuilerien aber lag das Rettungsschiff, worauf mit zwölf Zoll großen Buchstaben geschrieben stand: »Secours aux asphyxiés«. Ein bittres Lächeln umzuckte seine Lippen. »Wer kann den Selbstmörder seiner Verzweiflung zurückgeben?« fragte er in sich. »Könnt ihr ihm aufdringen, was er mutig fortwirft? Nur den Todeskampf könnt ihr verlängern. O schlimm, daß ihr's könnt und es auch tut; – aus Dummheit! aus Grausamkeit nicht! – Es gibt Lagen, wo der Selbstmord Pflicht wird. Was soll ich ferner auf der Welt? Ich habe nicht Vater, noch Mutter, noch Freunde, noch Geliebte, noch Verwandte. Ich habe keinen Heller, mein Dasein zu fristen. Von anderer Güte leben mag ich nicht, betteln und betrügen kann ich nicht, viel leichter kann und will ich sterben. Freilich, alles wäre so nicht gekommen, hätte ich verstanden, wider mein Gewissen zu handeln. Aber mein böses Schicksal hat mich mit Herz und Geist begabt; darum kann ich dem Leben nicht dienen, wie alle andern, die von diesem kaltsinnigen Dämon sich zu Sklaven und Schurken machen lassen. Ich bin bettelarm, bin ein Dichter! folglich bin ich in der menschlichen Gesellschaft nichts wert, denn nichts kann ich nützen. Aber mein Leichnam wird mit 50 Franken bar bezahlt, und ich erzeige dem armen Bootsmann, der mich findet, eine Wohltat und belehre die jungen Ärzte, die mich zerschneiden. Wohltun und belehren! Im Leben wollt' ich's gern und konnte nicht! Ein Selbstmord – je nun, in Paris ist's keine Sache von Wichtigkeit und Belang. Es geschieht wohl!«
Unter diesem Selbstgespräch war er bis zur Ecke des Quais gelangt und stieg die Stufen hinab, die das Trottoir dort bildet.
»Bester Herr! – einen Sous zu Brot!« rief eine klägliche Stimme.
»Ein Almosen, bester Herr!« tönte dumpf und heiser eine andere Stimme.
Mechanisch hatte der Jüngling seine Hände in die Tasche gesteckt, wo einige Sous noch leise klimperten. Er warf das Geld den Bettlern hin, welche beide riefen: »Der Himmel erhalte Sie!«
»Bis es dunkelt! damit ich's vollbringe ohne die Menschenliebe, die auf der Seine schwimmt!« fügte er hinzu.
Wenige Schritte weiter, vor dem Laden eines Kunsthändlers, hielt eine glänzende Equipage. Eine hohe Gestalt schwebte den niedergeschlagenen Tritt hinunter; der Herbstwind, der durch ihre Gewänder flatterte, verriet die edelsten Formen. Ein göttergleiches Antlitz war künstlerisch in den Rahmen eines rosenfarbenen Seidenhuts gefaßt. Sie blickte den Jüngling an; er kannte sie, denn ein glühendes Rot färbte seine Wange. War es Liebe oder Zorn, oder Scham, was ihm das Blut ins Antlitz jagte? – Liebe gewiß, und Scham und Zorn über seine Liebe, die im letzten Augenblick seines Daseins noch Gewalt hatte über ihn. »Und wenn sie mein Erröten bemerkte, und wenn sie meinen Tod erfährt? – so wird sie einen Triumph mehr zählen, einen neuen Sieg feiern zu den vielen alten; sie wird in den Spiegel sehen und sagen: ›Ich muß heut recht hübsch ausgesehen haben.‹ Und aus ist's mit mir, und in der Welt bleibt alles beim alten! Jetzt! jetzt ist alles gut!« jauchzte er innerlich auf. Sein Geist stand an der Grenze der Trübseligkeit und hatte plötzlich den Mut zur finstern Tat in der Verzweiflung gefunden.
Ohne zu wissen, was er tat, folgte er der Schönen in den Laden. Mit dem leichten und nachlässigen Anstande eines Engländers, der Millionen zu verschwenden hat, trat er ein.
»Ich wünsche, das ganze Magazin in Augenschein zu nehmen, vielleicht daß irgend etwas Seltenes oder Außerordentliches mir ansteht.«
»Sogleich, mein Herr!« erwiderte der Ladendiener, ein pausbackiger, rothaariger Bursche. »Sehen Sie sich indes nur hier um; ich werde Sie sogleich eine Treppe höher führen, wo wir die besten und seltensten Sachen stehen haben.« Nach dieser merkantilischen Antwort wandte er sich wieder zur Dame, die einige Stammbuchblätter und Lithographien kaufte.
»Ein Leonardo da Vinci?« fragte der Jüngling, indem er auf ein Ölgemälde, einen flüchtig in Farbe gesetzten weiblichen Kopf, deutete. »Ein Studium von diesem Meister oder einem seiner Schüler!«
»Ein Leonardo da Vinci!« antwortete der Ladendiener. »Der Herr sind Kenner!«
»O heilige Wahrheit der Kunst!« rief der Jüngling in wilder Laune. »Sehen Sie, Madame,« wandte er sich mit spöttischer Höflichkeit zur Schönen; »welche klaren Blicke der Unschuld, die Jungfräulichkeit und Seelenreinheit hier in Farbe und Gestalt! O sagen Sie nicht, hier sei Schönheit und Tugend mit toten Farben hingeheuchelt! Diese Schönheit«, fuhr er fort, indem er seine Worte stark betonte, »lebt im Geiste, diese Unschuld ward vom Künstler wirklich empfunden. Stellen Sie eine lebende Schönheit neben das Bild, und was ist sie? Eine Fleischform ohne Geist, gebildet durch Meister Zufall, ja wahrlich vom Zufall! Die Natur hat Schönheit nicht geschaffen zum Kokettieren, Witz nicht, um damit den Nächsten zu lästern, Keuschheit nicht, damit Habsucht, Selbstsucht ein Konservationsmittel für alternde Reize daraus mache. Denn wär' es Absicht der Natur, den schlechtesten Kern in eine gleißende Hülle zu fassen, so wäre der Geist, der sie lenkt, ein schadenfroher Kobold.«
Die Schöne zählte hastig mehrere Goldstücke für die erkauften Sachen hin und verließ eiligen Schrittes den Laden.
»Was ist Ihnen? mein Enthusiasmus für die Kunst kann Sie doch nicht beleidigen?« rief ihr der Jüngling halblachend nach.
Der Ladenbursche sah ihn zweifelhaft an. Kaum aber war sie verschwunden, als der Jüngling die ganze Last des Daseins doppelt auf seine Seele zurückgewälzt fühlte. Nur in ihrer Gegenwart hatte er Mut zum Äußersten, ohne sie keinen. Das begriff er, und sein Auge, im Laden umherirrend, sah hier einen Republikanersäbel friedlich bei einer Hellebarde stehen und hin und wieder Pistolen, Dolche, Streitäxte, Kolben, Morgensterne, Bogen und Pfeile, Waffen aller Zeiten und Völker neben Geräten des Friedens und der Betriebsamkeit. Warum hatte er nicht eines von all den vielen Mordgewehren ergriffen und vor ihren Augen sich getötet oder sie zuvor –? »Und war sie es wert?« fragte er; »nein, sie verdient es nicht!« gestand er sich ein. »Doch ich hätte den günstigen Moment benutzen sollen, erst meine Liebe zu ihr zu rächen, dann mich, um meine Liebe zu strafen. So wär's gelungen. Jetzt bleibt mir ein schwerer, qualvoller Todeskampf.«
Der Ladenbursche hatte die Schlüssel genommen und ihn gefragt, ob es ihm gefällig sei, das Magazin jetzt in Augenschein zu nehmen. Diese Frage mußte zweimal wiederholt werden, um statt aller Antwort ein stummes Zeichen zu erhalten, welches hieß: Geh nur voran!
Das Magazin öffnete sich mit seinen weiten und vielfachen Sälen und gewährte einen wunderlich chaotischen Anblick. Der Welt Anfang und die gestrigen Ereignisse vermählten sich hier in seltsamer Verträglichkeit. Natur, Kunst und Wissenschaft schienen ihre Trümmer und Splitter hierher geworfen zu haben, wie in eine allgemeine Weltrumpelkammer. Krokodile, Affen und Schlangen fletschten gegeneinander die Zähne und schienen sich und die Glasmalereien der Kirchenscheiben anzufeinden; sie schnappten nach den Vasen und Steinbildern und wollten die Schichten des mannigfachen Gerätes erspringen und erklettern. Ein elfenbeinernes Schiff, die Segel im vollen Winde geschwellt, ruhte da auf einer trägen Schildkröte. Madame Dubarry, gemalt von Latour, blickte mit zärtlichem Verlangen dort nach einer indischen Pagode, die nickend sie verhöhnte. Bonaparte und ein Sphinx des Sesostris betrachteten sich gegenseitig ernst und schweigsam. Kalt und fühllos blickten aus ihren Winkeln ehrwürdige Schöffen und Bürgermeister von niederländischer Schule auf die verworren angehäuften Schätze der Kunst und des Altertums hin. Dort stand der grüne, golddurchwirkte Pantoffel des Serail neben dem Kelch und der Monstranz; hier die Friedenspfeife des Wilden neben dem sarazenischen Halbmond; da der Federschmuck des Kaziken neben dem barbarischen Götzen. Und alles, alles wollte der Ladenbursche mit geschwätziger Zunge erklären, als der Jüngling unwillig ihm Schweigen gebot. Nicht auf das einzelne vermochte er seine Aufmerksamkeit zu richten; aber das hirnlos zersplitterte Ganze, die Menge von Gestalten des Schmerzes, der Erhabenheit, der Anmut, Gleichgültigkeit und Furchtbarkeit: dieses Chaos von Möbeln, Erfindungen, Moden, Ruinen und Nationalitäten, diese Buntheit von Industrie und Religion, von Meisterwerken, Götterbildern, königlicher und verschwenderischer Pracht, von Geist und Luxus, Phantasie und Torheit, worüber tausend Lichterchen scherzend hinflogen, tausend wunderliche Reflexe und Nüancen hinspielten und mit greller Willkür tausend grobe Licht- und Schatteneffekte sich bildeten, wo tausend häßliche Winkel und Ecken sich zackten und tausend krause Verzweigungen zu winken und zu deuten schienen; – dieses vielsinnige, vielköpfige, vielarmige, vieldeutige, hirnlose Ganze, das mit jedem Schritte sich veränderte und dennoch stets derselbe Unsinn blieb, dies war's, was den Jüngling zu betrachten erfreute. Und doch schien ihm, als würde sein Ohr von einem grellen, vielfachen Schrei zerrissen und Auge und Geist würden auseinanderfliegen, um, haftend an den unendlichen Einzelheiten, vernichtet zu sein.
So hatte er bald das Ende des letzten Saales erreicht und ließ sich dort erschöpft in einen Sessel nieder.
»Nun, mein Herr! steht Ihnen nichts von allen den Sachen an?« fragte der beleidigte Ladendiener. »Sie sitzen da auf einem kurulischen Stuhl, zwischen zwei kostbaren Mumien von Kairo, und zu ihren Füßen ruhen antidiluvianische Fossilien, die Sie keines Blickes würdigen!«
»Was enthält dieser Schrank?« fragte gedankenlos der Jüngling und deutete auf einen Schrein von Ebenholz, der mit einer starken silbernen Kette von der Decke herabhing.
»Der Herr hat den Schlüssel dazu,« sprach der Bursche mit wichtigen Mienen: »wollen Sie diesen Raffael sehen, so wage ich es, Ihre Wünsche meinem Herrn mitzuteilen.«
»Sie wagen es?« fragte der Jüngling: »ist Ihr Herr ein Prinz?«
»Aber ich weiß nicht!« – stammelte der Bursche, indem er den Unbekannten zweifelhaft anblickte, und da dieser schwieg, fügte er hinzu: »Der Raffael ward mit Goldstücken schon dreimal bedeckt und selbst für diesen Preis nicht losgeschlagen.« Jener indes schwieg immerwährend und saß nachlässig und gleichgültig da. Somit blieb dem Burschen nichts übrig, als seinen Herrn zu rufen, ob dieser mit dem seltsamen Fremden besser zurechtkommen würde. Er ging.
Der Jüngling blieb allein. Mit rötlichem Strahle blickte die untergehende Sonne in die Säle. »Bald ist es Zeit!« seuzte er bebend. – Da schien ein seltsames Leben aus dem magischen Lichte sich zu gebären; alles glänzte dem einsamen Anschauer wundersam entgegen und regte sich, lebte, grinste, kroch und schlängelte sich mit tausend Gliedern ihm entgegen. Dazwischen blickten holde Jungfrauenköpfe zärtlich ihn an: Steinbilder schossen aus den apfellosen Augen tote Blicke auf ihn, und alles bereitete sich, einen gemeinsamen Seufzer auszustoßen und dann in Moder zu verfallen; – da schwanden ihm die Sinne. Seine durch Leid, Aufregung, Gram und Hunger erschöpften Lebensgeister unterwarfen sich dem Schlummer willenlos.
Plötzlich weckte ihn eine Donnerstimme; er schlug die Augen auf, und vom Glanze, der ihm entgegenschlug, geblendet, mußte er sie augenblicklich wieder schließen.
Eine silberhelle, spiegelblanke Ampel warf ihre weißen Strahlen gerade auf sein Antlitz; ein Greis hatte sie mit dürrem Arm erhoben, um seine Züge genau zu prüfen.
Es war eine kleine dürre Gestalt in einem schwarzsammetnen Gewande, das ein silberner Gürtel um den Leib befestigte. Eine Kapuze von schwarzem Sammet war über das Haupt gezogen, ließ aber von allen Seiten die starken schneeweißen Locken hindurch, die samt dem gleichfarbigen Barte bis zum Gürtel hinabreichten. Seine Lippen waren so blaß und dünn, daß es besonderer Aufmerksamkeit bedurfte, die Umrisse des schmalen Mundes zu entdecken. Die grünlichen Augen blickten lebhaft und mit unheimlicher Festigkeit und Kälte. Der Betrachtete fühlte von diesen Blicken sich durchschaut und in all seine Einzelheiten zergliedert; – war es zu verwundern, daß der Jüngling von solcher Erscheinung, die einem gotischen Sarkophage oder einer ägyptischen Mumienhülle oder einem griechischen Aschenkruge entstiegen zu sein schien, plötzlich aus seinem Schlafe geweckt, sich in die Ammenmärchen seiner Kindheit versetzt glaubte und sich ernstlich fragte: – wie ist das möglich, wie kann dergleichen wirklich geschehen im neunzehnten Jahrhundert, in Paris, auf dem Quai de Voltaire, ein Name, der schon hinreicht, Visionen zu leugnen?
»Der Herr wünschen, meinen Raffael zu sehen?« fragte höflich der Greis und stellte seine Lampe auf den Torso einer Säule, daß der ganze Strahl auf den Schrein von Ebenholz fiel. Hierauf drückte er an eine Springfeder und geräuschlos schob der Deckel sich fort. – »Für diese unsterbliche Schöpfung Raffaels«, sprach er, »ist mir bereits so viel Gold geboten, daß ich dreimal damit das Gemälde bedecken kann. Und Sie? Besitzen Sie Vermögen genug, solch' seltene Kostbarkeit zu erstehen?«
Aber der Jüngling sah, daß die Nacht völlig angebrochen war. »Wohlan denn,« sprach er, »es gilt zu sterben!«
»Mörder!« schrie der Greis, diese Worte mißdeutend und packte erschrocken die Hände des Jünglings, der auf keine Weise Widerstand leistete, sondern wehmütig sprach: »Lassen Sie mich los! Nur mein Leben gilt's, nicht das Ihre! Ich habe nur die Nacht herangewartet, um es sicherer zu vollbringen. Vergeben Sie einem Freunde der Kunst und einem Dichter, daß er seine letzten qualvollen Augenblicke hier zu vollbringen suchte.«
Der argwöhnische Greis betrachtete aufmerksam das Angesicht seines seltsamen Kundmannes; die edlen Züge, verschönt durch Schmerz, die weiche, herzergreifende Stimme beruhigten ihn endlich. Langsam ließ er ihn los, lehnte sich vorsichtig an einen nahestehenden Tisch von köstlichem Schnitzwerk und bewaffnete sich für den Notfall mit einem asiatischen Giftpfeil, dessen Spitze er auf den Jüngling richtete. Sodann fragte er kopfschüttelnd: »Sterben willst du? bist jung, angenehm, wohlgebaut und ein Dichter? Was in aller Welt läßt dich den Tod wünschen? bist du entehrt?«
»Mich nicht zu entehren, sterbe ich!«
»Bist du im lebendigen Marionettensplel ausgepfiffen? Ist deine Geliebte gestorben, und kannst du sie nicht beerdigen lassen? oder ist deine Mutter, dein Vater unzufrieden, daß du auf der Welt bist? oder hast du den Spleen, der, um der Langeweile zu entfliehen, den Tod sucht? Sprich!«
»Ach!« seufzte der Jüngling trostlos, und ein Tränenstrom entquoll seinen Augen. »Ich bin elend, da habt Ihr alles in allem; das tiefste, schmachvollste, entsetzlichste Elend ist mein Los, und ich kann's nicht mehr tragen. Aber ich will weder Hilfe noch Trost von irgend jemand erbetteln! Lebt wohl!«
»Halt! Halt!« schrie der Greis dem Ungestümen zu; »die Nacht ist lang, du hast noch Zeit genug zu sterben. Hör' mich nur an, ich will dich nicht bemitleiden noch trösten. Ich gab dir weder einen Sou, noch einen englischen Pence, noch einen spanischen Maravedi, noch eine venetianische Gazette, noch einen afrikanischen Kori, noch eine indische Rupie, noch einen amerikanischen Gourd, noch eine russische Kopeke, noch einen holländischen Dennier, noch eine levantische Para, noch einen Genueser Crusado, noch einen Genfer Groschen, noch einen deutschen Heller, noch einen schweizer Batzen, noch einen preußischen Sechser. Ich gab dir nicht Gold, noch Silber, noch Wechselpapier oder Banknoten; ist aber Elend dein Leid, so kannn ich dich reicher, angesehener und mächtiger machen, als unser Bürgerkönig selbst es ist. Nun, wie schmeckt dir das?«
»Spottet Ihr meiner?«
»Schau hierher!« fuhr der Greis fort und wandte seine Lampe nach der entgegengesetzten Seite. »Sieh' dieses Elendsfell! Du nennst dich elend? nimm dieses Fell! Gemacht vom Elend, macht es elend den Besitzer; doch du, so elend, um den Tod zu suchen, hast dieses Elendsfelles Elend nicht zu fürchten und kannst getrost das Fell gebrauchen wider dein Elend.«
»Wie?« rief der Jüngling und betrachtete aufmerksam das weit ausgespannte Fell, das wie Silber flimmte und blitzte. »Zum Überfluß«, fügte er hinzu, »auch das Siegel Salomonis drauf, oder das Zeichen, was die Orientalisten so nennen. Schämt Euch, daß Ihr eines Unglücklichen so spotten könnt!«
»Bist du Orientalist?« rief der Greis erfreut; »nun, so wirst du auch den geheimnisvollen Spruch verstehen, der von allem dich überzeugen kann.« Er leuchtete näher; die Inschrift war matter als das ganze Fell, doch wenn man von der entgegengesetzten Seite leuchtete, so schien das Fell matt und die Schriftzüge blitzten. Diese erschienen wie durch eine äußere Vorkehrung auf das Fell hingeworfen; man mochte die Haare empor oder hier- und dorthin streichen oder niederglätten, die Züge veränderten sich nicht und verloren nichts von ihrer Sauberkeit und Deutlichkeit. – »Die orientalische Industrie hat doch ganz eigentümliche Geheimnisse!« sprach der Greis.
Der Jüngling las die Inschrift:
»Wer mich besitzt, besitzt alles;
Wer mich besitzt, des Leben besitz' ich;
Wer mich besitzt, des Wünsche erfüll' ich;
Für jeden Wunsch zahlt seine Lebenszeit.
Wie ich mich mindre, mindert sich sein Leben,
Mit jedem Wunsche mindre ich mich!
Fremdling! willst du mich besitzen,
Greif zu!
Gott erlaubt's!«
»Du liest den Sanskrit sehr geläufig! warst du in Indien oder Bengalen?« fragte der Greis.
»Nein!« antwortete der Jüngling, das Wunder immer noch mit zweifelhaften Blicken anstarrend.
»Dies Geheimnis scheint dich sehr zu beschäftigen!«
»In allem Ernst, darf ich meinen Sinnen trauen? Träume ich nicht?«
»Die letzte Frage ist schwer zu entscheiden und läßt sich ebensogut mit ja, wie mit nein beantworten. Oft erlebt man mehr im Traum als je in der Wirklichkeit, oft verträumt man dort die Zeit unnützer als im Schlaf. Diese Frage also gehört nicht hieher. Indes hast du mehr Energie als irgendeiner, dem ich diesen Talisman zeigte. Jeder leugnete bisher dessen magische Gewalt und nannte dergleichen Aberglauben. Dennoch aber hatte keiner das Herz, nur zur Probe einmal zuzugreifen.«
»Ich wag' es drauf!« rief der Jüngling.
»Sachte!« entgegnete der Greis. »Der Besitz eines Talismans überträgt sich nicht wie der jeder andern beweglichen oder unbeweglichen Sache. Ein gründliches Verständnis muß zwischen Geber und Empfänger stattfinden, sonst bleibt das Elendsfell trotz allem Geben, Schenken und Übertragen stets im Besitz des alten Eigentümers. – Vernimm also mein Sohn, der du glaubst, mit diesem Talisman glücklich zu sein: daß es kein größeres Elend gibt, als im Besitz der Macht zu sein, die alle Wünsche erfüllt. Erfüllung raubt jedem Wunsch das Wünschenswerte: Erfüllung aller Wünsche macht uns Wünsche wünschen. Nur ein Wunsch aber bleibt dir im Besitz des Elendsfelles übrig, den dieses aber ausdrücklich versagt. Es zeigt dir stets die Dauer deines Lebens mit jedem Wunsche, wie gesagt, sonst auch mit jedem Tage, den du verlebt; schrumpft es zusammen, rückst du deinem Ende näher. Du wirst zuletzt nur zu leben wünschen, physisch nur zu leben, zu atmen, zu vegetieren wie eine Pflanze. Gibt's aber wohl ein größeres Elend, als alles andere nicht und dies nur zu wünschen? Und bei dem allen ist's noch ein Glück, daß man etwas wünscht, ist gleich dieser Wunsch eine Todesqual, die du allmählich erschöpfen mußt. Urteile daher, mit welchem großen Recht dieser Talisman »das Elendsfell« heißt. Zwar ergibt sich aus chemischen und naturhistorischen Untersuchungen, daß dies Fell ein Stück von der Haut des Elendtieres sei, magisch verarbeitet. Historisch läßt es sich vielleicht nicht nachweisen, wie ein indischer Zauberer zu einem Elendtier gelangte; allein Zauberer nehmen ja ihre Ingredienzien aus allen vier Himmelsgegenden, und in der Magie, wo das Wort zauberkräftig ist, muß Idee und Benennung eins sein. Mithin läßt sich annehmen, daß dies Elendsfell wohl nur vom Elendtier präpariert werden konnte. – Hiermit, mein Sohn, habe ich nun all meinen Pflichten Genüge geleistet, und es hängt jetzt von deinem freien Willen ab: ob du den Talisman willst oder nicht?«
»Was in der Welt«, rief der Jüngling, »kann mir das Leben wünschenswert machen? Ich wollte sterben, wohlan, so will ich angenehm sterben!« Mit konvulsivischer Bewegung ergriff er das Fell. »Untergehen will ich im Rausche des Daseins, im Vollgenuß aller Freuden!« rief er laut.
»Der Pakt ist geschlossen?« fragte der Greis.
»Er ist's!« rief der Jüngling: »ich will, was Himmel und Erde Genießenswertes haben, in einem Zuge erschöpfen, der Untergang soll meine Befriedigung sein. Ist's Sünde, mag es mein Schicksal verantworten, das in dem Augenblick, wo alle Begierden in mir, tierisch wild erregt, zum Tode sich drängten, diese Erfüllung mir in die Hände spielt. Vernimm, Alter! mich zerreißen alle Schmerzen, die je ein menschliches Eingeweide durchwühlt: verschmähter Liebe Pein, verhöhntes Kunstgefühl und Streben, erlittene Schmach und Selbstverachtung; und soll ich noch den physischen Schmerz des Hungers hinzuzählen, das Bedürfnis nach Schlaf, den der Gram mir geraubt? Ja! ich bin rechtmäßiger Besitzer des Elendsfelles. Ist der magische Name zugleich magisches Dasein, so sind das Elendsfell und ich Brüder, Teile eines Ganzen, gegenseitige Bedingnisse. Nichts ist es ohne mich, ich bin nichts ohne dasselbe. Nur mir kann es nützen, wie ich nur ihm. – Wohlan, so will ich jetzt denn glänzend und königlich speisen. Ein Bacchanal entstehe vor meinen Augen, das alle Genüsse vereint und Luxus und Eleganz auf ihre höchsten Spitzen treibt. Meine Tischgenossen sollen so ausbündig lustig und drollig sein, um einem Sokrates und Plato ein Lächeln abzunötigen. Und alle sollen meine Gesinnung und mein hochgestimmtes poetisches Gemüt anerkennen, so sehr es sie auch anfangs befremdet; und Weiber, anbetungswert an Geist und Körper, die solche Huld rings um sich her ergießen, daß jeder Jüngling sich zum Gotte träumen muß, sollen als Sklavinnen nur mir dienen!«
»Gemach, Freundchen!« unterbrach der Greis ihn lachend; »denkst du, dein Glücksrausch könne mein Magazin hier zerstören, ohne daß ich diesen Fall vorausgesehen und mitbedungen hätte? Sollen diese Wände sich hier auseinander begeben, diese Gegenstände hier alle sich entfernen, um deinen Tafeln, Freunden und Mädchen Platz zu machen?«
»Wie?« fragte der Jüngling.
»Deine Wünsche erfüllen sich, ohne daß Wunder geschehen,« antwortete der Greis. »Übrigens sind sie so gemeiner Art, daß ich reich genug bin, sie zu erfüllen. Doch will ich dem Elendsfell nicht vorgreifen, das jetzt einig und eins ist mit deinem Schicksal. Gib acht, noch eh' du längs dem Kai gegangen bist, erfüllen sie sich auf die einfachste Art von der Welt; irgendein reicher Mann wird dir begegnen, dem du vielleicht früher einen Dienst geleistet hast, und wird dich in solch eine Gesellschaft, wie du beschrieben, führen.«
»Wie? So fände ich nur Erfüllung in Alltäglichkeit?«
»Das Elendsfell verwirklicht deine Wünsche; daß die Wirklichkeit enttäuscht und nicht befriedigt, wirst du wissen.«
»So bin ich betrogen!« rief der Jüngling.
»In keiner Hinsicht konnte ich dich betrügen. Sieh! ich gestehe dir, daß ich gern des Besitzes dieses Elendsfells mich entledigen wollte. Achtzig Jahre bin ich alt, bin reich, gelehrt, kunstverständig, vielleicht auch weise. Diese Triebe, die keine Wünsche sind, befriedige ich vollkommen; daher ist mir das Leben lieb, welches aber durch dies Fell einigermaßen bedroht wird; denn so alt und weise und reich ich sein mag, bin ich doch immer ein Adamssohn und konnte, eh' ich mich dessen versah, auf Kosten meines Lebens auf irgendein Begehren verfallen. Du aber wolltest sterben, drum schenkte ich dir eine Waffe, die deinen Selbstmord genußreich macht und nach Belieben ihn auch verzögern wird.«
»Jetzt endlich versteh' ich dich!« sprach der Jüngling, »und vermag es, dir Glauben beizumessen. Nicht großmütig hast du gegen mich gehandelt, sondern meine Verzweiflung nur als Mittel betrachtet, dich eines verderblichen Besitzes zu entledigen. Oh, du handelst sehr menschlich!«
»Du magst dir einbilden, göttlich zu handeln,« entgegnete der Greis spöttisch; »du kannst ja sagen, du opferst dich, um diesen Talisman zu vernichten, der einem andern Menschen verderblich werden könnte. Befrei' also die Welt von diesem Ungeheuer und sei stolz auf dein Heldentum!«
»Und wenn ich nun deinen Tod jetzt wünsche?« rief der Jüngling mit Donnerstimme, erzürnt über diesen Spott.
»Um Gottes willen!« kreischte der erschrockene Greis.
»O du weise Jammergestalt!« entgegnete verächtlich der Jüngling. »Nein, ich kann dir weder zürnen, noch dich hassen. Aber belustigen sollst du mich, zur Strafe für deinen Spott. Mögest du, weise, reich und alt, in eine alberne, unansehnliche, leichtfertige Tänzerin dich verlieben und alle Güter, deren du dich rühmst, seufzend zu ihren Füßen verschwenden. Ich aber will heute noch, was ich mir gewünscht, in magischer Vollkommenheit erblicken, und allen Zauberrausch des Geistes und Gefühls will ich erschöpfen!«
Gleichzeitig zuckte der Greis die Achseln, als wollte er sagen: Liebster! schon längst liebe ich mit all meinen genannten Eigenschaften eine solche Tänzerin und seufze zu ihren Füßen; und so wunderbar dir das auch vorkommen mag, so wirklich und der Wirklichkeit gemäß ist es doch. Auf diese Art, mein Freund, wirkt das Elendsfell, und so vereinen sich Wünsche mit Wirklichkeit.
Demungeachtet unterließ der Greis nicht, seinen Kundmann mit der feinsten Höflichkeit bis an die Haustür zu komplimentieren. Das Elendsfell, anfänglich hart wie eine Metallplatte, erweichte sich in der Hand des Jünglings und gewann eine Biegsamkeit gleich der eines wollenen Tuches, das man bequem in die Rocktasche stecken kann, wie es mit dem Elendsfell denn auch dieses Mal geschah.
Als der Jüngling die Tür des Magazins heftig zuschlug und auf die Straße hinausstürzte, rannte er drei junge Leute, welche eben Arm in Arm vorüberschlenderten, hart an. »Grobian!« riefen diese. »Aber das ist ja Raphael! Sieh da, und wir suchen dich; bist du es denn wirklich?« Diese freundschaftlichen Begrüßungen folgten der Injurie auf dem Fuße, da eben eine Laterne ihren hellen Schein auf die Gruppe der Verwunderten warf. »Bester Freund!« – rief derjenige, der von Raphael (so heißt der Held unserer Erzählung) fast über den Haufen gerannt worden wäre, »du mußt sogleich mit uns kommen!«
»Aber was gibt es denn?«
»Komm nur, unterwegs sollst du alles erfahren!«
Hiermit umringten ihn die lustigen Freunde und schleppten ihn halb mit Gewalt, halb gutwillig zum Pont des Arts.
»Teuerster!« begann jener wieder; »wir sind schon seit acht Tagen auf deine Fährte aus. In deinem achtbaren Hotel St. Quentin Rue Cordiers erfuhren wir, du habest eine Landpartie gemacht. Doch wir sahen ja nicht aus wie Goldmenschen; Manichäer oder Exekutoren; auch hatte Rastignac dich am Abend im Theater du Buffons gesehen! Wir faßten also Mut und begannen eifrig nachzuforschen, ob du in den Wipfeln der Bäume der Champs Elisees übernachtetest, oder für zwei Sous auf den Stricken jener philanthropischen Anstalt, oder vielleicht sehr glücklich in einem reizenden Boudoir beherbergt würdest. Nirgends jedoch warst du zu finden, weder auf den Listen von St. Pelagie, noch auf denen von La Force. Die Präfekturlisten, Kaffeehäuser, Bibliotheken. Journalbureaus, Restaurationen, die Galerien und Theaterfoyers, kurz alle anständigen und unanständigen Lokale von ganz Paris wurden durchsucht und ausgespürt, und wir seufzten über den Verlust eines Mannes von solchem Genie, das an allen Versammlungsorten, ja in Gefängnissen selbst so sehr gesucht wurde. Wir beschlossen, dich als ein Opfer der Julitage zu kanonisieren und dich zu bedauern!« Bei diesen Worten standen sie mitten auf dem Pont des Arts, und Raphael blickte in die Seine, deren murmelnde Gewässer mit dem Scheine der Laternen und der erleuchteten Fenster ihr Spiel trieben. »Auf Ehre! Bedauern!« – fuhr der Redner fort – »denn wir führen Dinge im Schilde, die dich hauptsächlich betreffen; das heißt dich, als einen ungewöhnlichen Menschen, der, wenn er Lust hat, alles vollbringen kann. Hör' zu! – Ernster als je geht man jetzt darauf aus, den konstitutionellen Ball unter den königlichen Becher zu praktizieren. Die absolute Monarchie, die der Volksheroismus stürzte, war ein leichtfertiges Weib, mit der man lachte und bankettierte: das Vaterland dagegen ist eine tugendhafte und strenge Gattin, und die leidenschaftlichsten Beweise unserer Liebe nimmt sie nur als schuldigen und pflichtmäßigen Tribut auf. – Aber die Macht, wie du weißt, ist von den Tuilerien auf die Journalisten übergegangen. Auch das Budget ist eingezogen vom Faubourg St. Germain nach der Chaussee d'Antin; daher – und das ist, was du nicht weißt – daher fühlt unsere Regierung, ich will sagen, die Aristokratie der Bankiers und Advokaten – welche jetzt das Vaterland machen, wie ehemals die Pfaffen die Monarchie – die Notwendigkeit, das französische Volk mit Worten, Neuigkeiten und Ideen zu mystifizieren; just wie es die Staatsmänner des Absolutismus taten. Es handelt sich gegenwärtig um nichts weniger, als eine gute, brauchbare Nationalmahnung zu erfinden, um uns etwa zu beweisen, daß wir glücklicher sind, wenn wir 1200 Millionen und 33 Centimes dem Vaterlande, repräsentiert von den Herren so und so, zahlen, als 1100 Millionen und 9 Centimes einem König geben, der statt ich wir sagt. Kurz, ein Journal soll gegründet werden, und ist bereits mit 2–300 000 guten Frankenstücken ausgerüstet, dessen Zweck eine Opposition ist, die Mißvergnügten zu beruhigen, ohne der Nationalregierung zu schaden. Übrigens werden wir uns über Freiheit ebenso lustig machen wie über Despotismus, über Jesuitismus wie über Unglauben. Unser Vaterland ist nur die Hauptstadt, die unsere Geisteskinder adoptiert, die alle Tage herrliche Gastmahle und zahlreiche Schauspiele uns gibt, in der es wimmelt von leichtfertigen Sirenen, wo Abendschmäuse sich bis zum Sonnenaufgang verlängern, wo jede Glocke uns eine Schäferstunde schlägt. Mit einem Wort: Paris bleibt uns das angenehmste aller Vaterländer für und für; das Vaterland der Freude, Freiheit, des Geistes, der schönen Weiber, der Taugenichtse und feurigen Weine. – Um jeder Macht uns zu entziehen, um ganz als Schlaraffen zu leben, wollen wir den Volksgeist modeln, wir die Schauspieler zurichten, wir das alte Wrack der Regierung kalfatern, wir neue Lehren ausdenken und alte abdanken. Die Republik kochen wir auf, die Bonapartisten rufen wir zusammen, das Zentrum lassen wir wieder aufleben, um über alles zu lachen. Auch machen wir uns zur Bedingung, daß wir nicht nötig haben, unserer eigenen Meinung zu sein, wenn wir nur lustig leben; denn das ist die Hauptsache. Da du aber die Zügel dieses burlesken und schwelgerischen Reiches führen sollst, so schleppen wir stehenden Fußes dich zu einem der Gastmahle mit, das uns von den Gründern des bewußten Journals gegeben wird. Gib acht! wie einen Bruder wird man dich empfangen und dir huldigen; du sollst das Oberhaupt jener geistigen Frondeurs sein, die jedes Wort wagen, mit ihrem Scharfsinne alles durchdringen: alle Zwecke und Geheimnisse auswärtiger Regierungen, ehe diese selber daran gedacht. Ja, wir ernennen dich zum Souverän jenes Geisterreichs, welches der Welt die Mirabeaus, Taillerands und alle die kecken Crispine schenkte, die mit dem europäischen Schicksale je Schach spielten. So bist du von uns geschildert; auch nannten wir dich den kühnsten Streiter, der je Faust an Faust mit der Schwelgerei gerungen und von diesem zerstörenden Ungeheuer, mit dem alle starken Geister kämpfen, noch nie besiegt worden ist. Unser Wirt hat uns versprochen, das heutige Saturnal solle alles übertreffen, was je in Paris von mitternächtlichen Festen gesehen wurde, und er ist reich genug, alle Eleganz, Annehmlichkeit, Genüsse und Laster in ganz Paris so zu plündern, daß die kühnsten Wünsche einer Phantasie wie deine« –
»Die kühnsten Wünsche! – Still! still! Das ist also die Wirkung meines Elendsfells?« rief Raphael.
»Deines Elendsfells?« lachte der Redner; »bist du ein solches?«
»Ja, der Besitz desselben macht mich dazu.«
»Geht ein Elendsfell solch einem Götterabend entgegen, als uns bevorsteht?«
»Das ist ja, was ich wünsche. Pfui! und alles wird nur, wie ich's sagte, nichts, wie ich's dachte. Alles gewöhnlich, alt, alltäglich und gemein. Elende Elendshaut!«
»Was Teufel redest du von Elendshaut und Elendsfell?« fragten die Freunde.
»Kinder! Kinder! Kein größeres Elend gibt's, als die Verwirklichung unserer Wünsche, und nichts wünschen zu können, was sich nicht verwirklicht! Es wird mich noch zum Einsiedler machen, das verfluchte Elendsfell!«
»Hast du den Verstand verloren?« fragten seine Freunde ernstlich besorgt.
»Nicht doch!« entgegnete Raphael; »Zeit meines Lebens habe ich nicht so weise gesprochen.« Bei diesen Worten standen die Freunde vor einem prächtigen Hotel der Rue Joubert und traten ein.
Zu beiden Seiten der breiten Treppe, die sie erstiegen, prangten, grünten, blühten und dufteten Blumensträucher, Myrten und Orangenbäume, und Raphael sagte: »Dennoch wirkt diese duftende, wärmende Halle wohltätig auf mich. Ich habe selten solchen Luxus im Peristil gefunden und wäre schon zufrieden, fühlte ich mich nur einigermaßen überrascht.«
»Und oben, Teuerster, sollst du erst recht aufleben!« sprach einer der Freunde.
»Und wenn wir nun erst das Schlachtfeld behaupten und als Sieger über alle jene Köpfe hinwegschreiten, sind wir dann besser, klüger, reicher in irgendeinem Stücke?« – Spöttisch zeigte er auf die Gäste in den von Licht und Luxus schimmernden Sälen, deren große Flügeltüren sich ihnen aufgetan.
Viele junge Leute, die durch Geist oder Talent damals einiges Aufsehen machten oder einigen Ruf zu erwerben im Begriff standen, bildeten die Gesellschaft. Junge Maler, deren erste Bilder mit der Schule der Kaiserzeit wetteifern sollten; Autoren, die mit neuen Werken der romantischen Poesie eine neue Bahn brechen wollten; Bildhauer, die durch ihre rohe Haltung auf ihre Kunst und Genialität anzuspielen sich bemühten; allbekannte Spötter, die keine Autorität erkannten als die eigene; Karikaturisten, die selbst den besten Stoff für ihren Stift abgaben; Tonkünstler, die ausgepfiffen, ohne an ihrer Kunst zu verzweifeln, und Redner, die auf der Tribüne gefallen, ohne sich weh zu tun. Hier schwatzten Autoren ohne Stil mit Autoren ohne Gedanken; dort ein Prosaist poetisch mit einem prosaischen Poeten. Da beklagten sich Tänzer, Bühnensänger und Schauspieler über die vielfachen Kabalen, um deretwillen sie nicht nach Verdienst anerkannt wurden. Ein St. Simonist wollte alles zu seinem Orden bekehren; ein kecker Politikus dagegen alles reformieren; ein berühmter Gelehrter wollte alles erklären und besser wissen und ein Vaudevillist alles dramatisieren.
»Wer von diesen allen hat eine Zukunft?« fragte sich Raphael wehmütig. »Gerät der Witz und die Lustigkeit in diesem Jahrhundert so schlecht, daß mein Elendsfell bessere Tischgesellen für mich nicht finden kann?«
Der Wirt, sorgfältig heiter, wie ein Mann, der zweitausend Taler an einem Abend verschwendet, blickte von Zeit zu Zeit ungeduldig zur Tür; man erkannte in diesen Blicken deutlich, daß die Gesellschaft vollzählig war bis auf einen – da erschien zur Freude des Wirtes der eine: ein kleiner, dicker Mann, schwarz gekleidet. Man bewillkommnete ihn von allen Seiten so artig und schmeichelhaft, daß sich leicht erkennen ließ, er sei der Notar, der das neue Journal gestiftet.
Ein Diener in Großgala öffnete jetzt die Tür des Speisesaales, wohin man sich verfügte und ohne Umstände an der reichbesetzten Tafel seinen Platz aufsuchte.
Zögernd trat Raphael ein. Der Saal war mit Gold und Seide reich bekleidet; große Wandleuchter mit einer Unzahl von Lichtern gossen ihren blendenden Schein über die goldenen Friese, das Schnitzwerk und die prangenden Meubles aus. Seltene Blumen in Töpfen und Kästchen, von Bambus künstlich geflochten, verbreiteten ihren aromatischen Hauch. Alle Draperien atmeten anspruchslose Pracht, und alles bildete eine geschmackvolle und harmonische Wechselwirkung von Glanz und Farbe. »Es gefällt mir,« sprach Raphael: »ja! es gefällt mir. Ich wünsche nur, ich hätte es nicht gewünscht; aber mich hungert ja, und darum will ich essen.«
Schweigend betrachteten die Gäste die Tafel; sie war bedeckt mit einem Tischtuch, weiß wie frischgefallener Schnee, und schien mit der Kühle des Saales im Bunde zu stehen, die durch ein leises Frösteln Eßlust und Begier nach feurigen Getränken erregte. Ringsum reihten sich die Kuverts wie nach einem System und waren sämtlich mit gelblichen Brötchen gekrönt. Die Kristallflaschen und Gläser spielten in Regenbogenfarben; die Speisen unter Massen von Silber erweckten durch ihren Dampf Begier und Lüsternheit; Worte ließen sich nicht vernehmen. – Die Gläser füllten sich, die leeren Teller schwanden; der erste Gang war in königlicher Pracht vorüber. Es war die Exposition des Festes, und es folgte roter und weißer Burgunder, gleichsam als fortschreitende Handlung. Der zweite Akt ward geschwätziger als der erste. Manche Flasche Burgunder war des Todes verblichen, manche Nase und manche Stirn erschien von ihrem Inhalt gerötet: die Wangen fingen an zu brennen, die Augen zu schwimmen. Es war die Morgenröte der Trunkenheit. Aber immer noch hielt sich das Gespräch in den Schranken des Anstandes. Witze, Bonmots und Sarkasmen durchkreuzten sich schon blitzend, und Verleumdung, Neid und Mißgunst, heimisch unter allen Personen, die einer gewissen Öffentlichkeit genießen, fingen an, mit ihren Flügeln leise zu wehen.
Der dritte Gang fand alle Geister in aufrührerischer Gärung. Man aß sprechend und sprach essend, leerte zugleich die Gläser, unbekümmert, wohin der Wein floß. Man begeisterte, parfümierte und badete sich mit den Getränken. Da kamen die Gewächse der Rhone, die alten Roussillons, und die langverschonten Champagnerflaschen entfesselten knallend ihre Pfropfen. Das Dessert ward in einem großen Aufsatz, der stückweise aneinandergesetzt die ganze Tafel bedeckte, aufgetragen. Niedliche und zierliche Gestalten hielten die Gelees und Eise von Erdbeeren, Ananas und frischen Datteln, Orangen und Granatäpfeln, kurz, alles, was Luxus und Gaumenkitzel nur wünschten, die seltensten und verführerischsten Leckerbissen waren in silbernen, goldenen, kristallenen, perlmutternen Gefäßen aufs neue im Übermaß verschwendet. Und die ganze Überraschung des plötzlich neu gedeckten Tisches erschien den Augen der trunkenen Gäste eine doppelte, denn sie sahen alles doppelt und schrien, als ob jeder zwei Stimmen habe. Alles schwatzte, räsonierte, lehrte und bewies, ohne daß man das eigne Wort vernehmen konnte. Man erzählte unerhörte Geschichten, und sie blieben ungehört; fragte, was nicht beantwortet wurde, und antwortete, was nicht gefragt war; kurz, jeder schwebte auf eigentümliche Weise zwischen Torheit und Vernunft. In diesem schien die Tollheit vernünftig, in jenem die Vernunft toll geworden; über alles hinaus aber erhob das Fest selbst seine schreiende Stimme und schwoll und schwoll wie ein Crescendo von Rossini; dann folgte plötzlich Stille. Der Wirt hatte sein Glas gefaßt und sich erhoben, die Gaste alle folgten seinem Beispiel. »Unser neues Unternehmen lebe, blühe und gedeihe!« rief er, und Unisono wiederholten es alle. Dieser Toast schien der Schlußakkord der Lärmsymphonie, dem eine Totenstille von zwei Sekunden folgte. Jedermann trank.
Plötzlich lärmten Pauken und Trompeten. Eine Harmoniemusik von Blechinstrumenten stimmte ein schmetterndes Allegro an. Mit einem Male verschwand geräuschlos eine Draperie des Saales, der Tafel gegenüber, und alle Genüsse des Festes schienen zu erbleichen vor dem Anblick, der sich jetzt den Gästen bot.
Man blickte in das Innere eines türkischen Zeltes, das von Schmelz, Flittern und Silber mit seinen ringsumher laufenden Polstern wie aus Licht und Glanz gewoben schien. Ein Kristallkronleuchter warf über alles ein so blendendes Licht, daß der Saal wie verdunkelt schien. Rings auf den Polstern lagen in reizender Stellung Odalisken, die, wie allmählich die Musik sanfter ward, einander sich aufzumuntern schienen, aufzustehen und einen Tanz zu beginnen. Endlich ließen sich nur noch Flöten, Hoboen und Harfen vernehmen im zärtlichen Andante. Die Feengestalten begannen den langsamen Tanz, und es schien, als wollten sie Arme und Leib in dem schimmernden Lichtmeer baden, das sie rings umfloß. Aber ihre leuchtenden Augen schienen dennoch den so künstlich hervorgezauberten Glanz zu überstrahlen und die Musik sich im zarten Muskelspiel der Arme und des Halses, bei jeder Stellung, die sie allmählich annahmen, zu wiederholen. Auch der Faltenwurf der leichten Kleider, der die weiche Fülle aller Formen bald hier, bald dort verriet, schien mit in diesen Takt einzustimmen, den gleichsam Amor mit einem scharfen Pfeile schlug.
Eine jede hatte sich nach ihrer Phantasie, oder auch wie ihre Schönheit es begehrte, oder vielmehr nach den Kaprizen ihrer einzelnen Reize, deren jeder sich geltend machen wollte, gekleidet. Hier diente ein kohlschwarzes Halsband, auf die blendende Weiße eines Halses die Augen zu lenken, dort umflatterte ein feuerroter Gürtel die entzückende Taille einer Brünette; dort verriet ein völlig zurückgeschlagener Ärmel die Vollkommenheit eines Armes. Die eine schien ohne Herz und Liebe alle Stellungen der Liebe und Zärtlichkeit im Tanze anzunehmen, nur um sich darüber lustig zu machen: die andere schien sehr ruhig und behaglich ganz darin zu leben. Eine dritte schien ängstlich den Empfindungen sich entziehen zu wollen, ward aber wider Willen darin festgehalten. Kurz, alle taten, erschienen, fühlten und geberdeten sich, wie es sie am besten kleidete, und lebten für den Augenblick in der Vollkommenheit ihrer selbst.
Mit weit aufgerissenen Augen hatten die Gäste dies Schauspiel angestarrt; einer nach dem andern wurde sich des Zustandes seines Rausches bewußt und bemühte sich, ihn zu bekämpfen. Einer nach dem andern hatte allmählich den Sitz verlassen, seine Beine geprüft und war dem Zelte immer näher und näher getreten: und während alle bezaubert von den Künsten der Tänzerinnen da standen – die in so unmittelbarer Nähe, wo Auge in Auge blickt, wo jeder Atemzug und jede Bewegung gleich ihr Ziel treffen, viel gewaltiger wirken als von der geräumigen Bühne herab, von wo aus man sie gewöhnlich nur halb bewundert – sprangen die Tänzerinnen plötzlich zu den Zuschauern hin. Ein jede nahm einen oder zwei derselben bei der Hand und führte sie ins Zelt. Die Musik schwieg. Aus der Kunst geriet man in die Wirklichkeit, die reizend kostümierten Odalisken wurden längst gekannte Tänzerinnen. deren Freunde oder Anbeter oder Günstlinge, ja, auch einige wenige Ehemänner in der Gesellschaft sich befanden. Man ließ sich auf die Polster nieder: Kaffee und Liköre, Mandeln und Zuckerwerk wurden aufgetragen, wonach vorzüglich diejenigen mit Begierde griffen, die sich nicht fest mehr auf den Beinen erfunden hatten. Man unterhielt sich mit den Tänzerinnen, machte ihnen den Hof und Komplimente, ließ sich beglücken von einem geistigen Blick und sparte keinen Seufzer, kein Schmachten und keine Artigkeit. Es bildeten sich einzelne Gruppen, wo jedesmal eine ausgezeichnete Schöne wie eine Bienenkönigin in ihrem Stocke herrschte.
Eine hohe königliche Gestalt von stolzem Anstande und Wesen hatte Raphael und einen berühmten Porträtmaler bei der Hand gefaßt und neben sich zu den Polstern geführt. Ihr pechschwarzes, mit künstlerischer Nachlässigkeit geordnetes Haupthaar fiel in den dichten Locken auf die starken und glänzenden Schultern. Arme, Hals und Nacken waren fast gänzlich entblößt. Ihre dunklen, großen Augen leuchteten matt aus den halbgeschlossenen Augenlidern, von langen Wimpern schwärmerisch beschattet, hervor, der weiche Mund war halb geöffnet, und trotz ihrer majestätischen Gestalt lag sie matt und wie aufgelöst in dem schwellenden Sitze. Sie sprach kein Wort, aber ihre großen Augen ruhten immer verstohlen auf Raphaels Profil, der diese Blicke nicht beachten wollte. Es war die Schönste aller Anwesenden, und die Schönheitaristokratie. die sich in Gesellschaften dieser Art leicht bildet, sicherte ihr die Huldigungen aller, die sie wiederum nicht achtete. Sie war es, die Raphael zum Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit machte. Alle Blicke kehrten sich zu ihm hin.
»Wer ist der junge Mensch dort unten?« fragte der kleine, dicke, schwarze Notar, »wär' es vielleicht Valentin, von dem sie mir so viel gesagt?«
»Was reden Sie von einem simplen Valentin?« antwortete dieser. Es war einer jener drei Freunde und hieß mit Vornamen Emil. Es ist ein von Valentin, Sprößling des griechischen Kaisers Valentinus, des Ahnherrn aller Valentiner und Gründers von Valencia in Spanien und Valence in Frankreich!« –
»So wünsch' ich ihm Geld und Truppen«, entgegnete der Notar, »sein legitimes Eigentum Konstantinopel sich wieder zu erobern. Bis dahin mag er unser Journal redigieren.« –
»Oh!« bemerkte Emil: »er würde ebenso leicht eine griechische Zeitschrift in Konstantinopel, oder eine indische, ebräische oder eine englische, spanische oder deutsche Zeitschrift redigieren, denn, wie gesagt, ist er, was man ein Universalgenie nennt. Reden Sie einmal mit ihm, seine erste Antwort wird Sie von allem dem überzeugen. Sprechen Sie deutsch?« –
»Nein!« –
»Schade! Er spricht deutsch wie ein viereckiges Haupt von Geburt. Er hat diese Sprache zuletzt getrieben, und weil er alsdann auf den Geist, die Nationalität und Sitten eines jeden Volkes mit Leib und Seele eingeht, ist er jetzt ganz Deutscher. Hat er nicht heut bei Tisch gegessen und getrunken wie ein Deutscher? Und sehen Sie, die großen feurigen Becher, die manchen von uns umwarfen, haben ihn nicht einmal lustig gemacht.«
»Meine Herren!« begann der Notar laut zu aller Gesellschaft, »den Zweck unserer Zusammenkunft haben wir heute fast noch gar nicht berührt. Erlauben Sie mir zuvörderst, Ihnen den Chef unserer Unternehmung, den Redakteur des Journals, an dem die meisten von uns tätigen Anteil nehmen, in der Person des Herrn von Valenti vorzustellen, dem Enkel des griechischen Kaisers Valentinus, Erbauers von Valentin und Valence.«
Raphael aber fühlte sich bei diesen Worten, so wenig ihnen auch eine Empfindung zugrunde lag, von plötzlicher Begeisterung erfaßt. Das Bewußtsein seiner neuen Tätigkeit kam über ihn, und er sprach mit geröteten Wangen: »Meine Herren, schenken Sie mir Gehör für einige Augenblicke! Zwar ist der Ort und die Umgebung für ernste Reden nicht geeignet, ich aber habe etwas Niegesagtes zu sagen, was lange schon meine Brust bedrängt und quält, das auszusprechen finde ich hier Gelegenheit und ergreife sie bei dem Stirnhaar. Hinweg mit Freuden, hinweg mit Sinnenrausch! der einen Mann von Geist nur reizt, so lange er ihn nicht kennt, so lange er mit Neulingsfurcht und Gewissensangst noch zu kämpfen hat. Was ich zu sagen habe, fesselt den Geist mehr als irgendein Kitzel, und es ist meine Pflicht, über meine Gesinnungen mich zu rechtfertigen und darzulegen: ob ich das Vertrauen verdiene, das man zu mir zu hegen scheint.« –
Diese Worte waren von seltsamer Wirkung, die Männer horchten auf, die Damen, aufs innigste verletzt, zogen böse Gesichter, und nach einigem Schweigen kicherten oder lachten sie laut, indem sie behaupteten: dergleichen Effronterien noch nie erlebt zu haben. Sie konnten nur dadurch beruhigt werden, daß ihre Anbeter ihnen versicherten, der tolle Sonderling würde es sicher noch viel bunter und lächerlicher treiben, und man müsse ihn nicht hindern, seinen ganzen auffälligen Wahnsinn darzulegen.
Nach einem ruhig verächtlichen Blick auf die Weiber fuhr Raphael fort:
»Nichts in der Welt kann mich bewegen, wider meine Ansichten zu handeln, und was ich meine Ansichten nenne, ist meine Überzeugung. Ich erkenne das Interesse, in welchem ich das Blatt redigieren soll, für das Interesse von ganz Frankreich an und bin entschlossen, Wahrheit zu sagen, Wahrheit, die Frankreich noch nie gehört, deren es ungewohnt sein und die es für Lästerungen halten wird, aber in diesen Lästerungen, so helfe mir Gott, spricht sich ein reiner, echter Patriotismus aus.«
»Bravissimo!« rief der Notar, um die Gesellschaft wieder günstig für den Redner zu stimmen. »Frankreich zu lästern und zu schelten, ist neu. Ein lästernder Patriotismus ist noch nicht dagewesen, er wird Glück machen!«
»Ja!« nahm Raphael das Wort, »alle Blätter bemühen sich, die Nation um ihre Julitage hochzupreisen, und wir selbst finden ein Gefallen daran, uns zu schmeicheln und unser eignes Lob über ganz Europa auszutrompeten. Selbstlob ist unwürdig, ja schimpflich! Jedwede Größe ist schweigend und bewußt. Laßt uns groß sein! Es ist nicht zum ersten Male, in diesem Jahrhundert sogar, daß ganz Europa von unserm Ruhme widerhallt. Blicken wir auf unsere Kaiserzeit! Das Heldentum ist uns eigentümlich, der Ruhm eine legitime Eigenschaft Frankreichs. Haben wir uns nur dreier großer Tage in unserer Geschichte zu rühmen? Gelang uns nur diese letzte Tat? War dies Gelingen ein Almosen des Glücks, dem es wieder einfiel, Frankreich auf den geschichtlichen Schauplatz zu erheben? Sind wir solche Glückspilze der Größe, daß der Glanz einer einzigen gelungenen Tat dermaßen uns selbst verblendet, daß wir, seiner entwöhnt, über uns selbst uns wundern und im eignen, selbstgeschaffnen Beifall uns berauschen? Nein! Laßt uns Wahrheit suchen, Wahrheit hören, wo sie laut wird, und fragen wir uns: was ist Frankreich, was bedeutet der Name Franzosen jetzt in Wahrheit? Bezeichnet dieser Name immer noch den braven, edlen, hochherzig gesinnten Mann? – Ach nein! – Der Name ist außer Kurs gesetzt, nicht von Ausländern, von uns Franzosen selbst. Der Franzose traut nicht mehr dem Franzosen; der Republikaner nur dem Republikaner, der Liberale nur dem Liberalen; der Bonapartist nur dem Bonapartisten. Und wenn ein Ausländer fragt: gibt's keinen Geist in Frankreich mehr, würdig des Vertrauens der ganzen Nation? oder ist die Nation nicht mehr fähig, einem ihrer Geister zu vertrauen? – was sollen wir darauf antworten? – Ja, so ist's! und weil's so ist, muß es gewiß so sein; vielleicht trägt die traurige Gegenwart in Zukunft gute Früchte. – Dem echten Patrioten aber zerschneidet es das Herz, daß die Nation, die den Namen der großen einst sich errang, jetzt all' ihre geistigen und physischen Kräfte zersplittert, verschwendet und vernichtet in einem Streben nach etwas, das nur durch Bescheidenheit, Vertrauen und Ruhe zu einem Ziele führt; durch Anmaßung, Parteisucht und im Rausch eines leidenschaftlichen Temperaments nur Unsinn und Unheil zuwege bringt.«
»Bravo! Bravissimo!« riefen die älteren Mitglieder der Gesellschaft, »noch nie wurde die Mäßigkeit mit so unmäßigem Enthusiasmus verfochten!«
»Das ist's,« fuhr Raphael fort, »was dem Autor zu sagen ziemt, der seine Zeit richten, nicht von ihr sich hinreißen lassen soll. Aber hier sitzen ja so manche Stimmführer der öffentlichen Meinung, und sie wissen es selbst am besten, wie sie's treiben, auf welche Weise die Worte: Freiheit, allgemeines Wohl und Menschheit von ihnen gebraucht werden, wie sie den Journalismus zur Mode, Religion und Modereligion erheben, um als Priester der Göttin »öffentliche Meinung« all jene Pfaffenränke zu begehren, um deretwillen sie die Pfaffen und Jesuiten nicht genug anschwärzen und verdammen können. Wahrlich, es gibt Jesuiten der Aufklärung, wie Jesuiten der Finsternis; die letzten sind nicht mehr gefährlich, und von den ersten, von euch, ihr Journalisten, steht zu wünschen, daß Frankreich euer Treiben bald durchschaue. Ich möchte euch fragen: ob euer prahlerisches, ephemeres Streben euch selbst nicht anwidert? Aber es gibt keinen Autor, keinen Dichter in Frankreich, der nicht ebenfalls nur Tagesinsekt wäre, der nicht löge, wo sein Interesse es begehrt, nicht aus Absicht, sondern aus persönlicher Befangenheit in seinem Interesse. Nennt mir den Franzosen, des angeborenes Genie, der Zeit und allen Hindernissen trotzend, über sein Volk sich erhöbe, es zu beseelen, zu bessern und zu sich heranzubilden! – Nein! All und jeder dient der Zeit, der Gelegenheit und dem Publikum, zu dessen Sklaven er sich laut bekennt. Seinen Dichternamen macht er zur Handelsfirma eines Krämers, seine poetische Unsterblichkeit verkauft er für den Ruhm eines Fabrikanten, der kaufenswerte und abgängige Ware liefert. Wie ein Bankier mit Staatspapieren, so spekuliert er mit seinen Versen und besingt allemal die Zeitereignisse, die den besten Kurs haben. – Blickt umher, welche Genien unsere Nachbarländer gebaren! Frankreich hat keinen Shakespeare, keinen Calderon, keinen Dante. Ja! unsere alteren Dichter haben wir entthront, die höfisch zugestutzte Allongeperücke Racines, den geistvollen Popanz Voltaire, und dafür gewonnen: was? – Etwa die französische Auflage des Lord Byron, Casimir de la Vigne, oder de la Martine, der mit Krönungssalböl schreibt, oder die poetische »drapeaublan Chateaubriand! Kann Frankreich im Vergleich mit seinen Nachbarländern auf diese Genien stolz sein? – Hier ist das Feld, wo Frankreichs Dichter und Schriftsteller für Frankreichs Ehre zu sorgen haben, und weil sie alle es hier versäumen, lassen sie alle Frankreichs Ehre und ihre eigene aus den Augen. Demungeachtet sind sie die lautesten Wortführer und Eiferer, um die Nation zu lehren, was zu tun sei. Wie voreilig! Beweist zuvörderst euer Genie, beweist, daß ihr würdig seid, die Nation zu belehren: denn obschon einmal Gänse durch Schnattern das römische Kapltol retteten, so erfolgt daraus nicht, daß diejenigen Großes bewirken, die selber nicht groß sind. – Und was lehren unsere Schriftsteller? Wir sind die Gesetzgeber aller zivilisierten Nationen: Wir müssen die Menschenrechte für alle andern Völker verfechten! Um Gotteswillen, hört nicht auf diese pomphaften Anpreisungen unseres Unglücks!
»Seit den vierzig Jahren, daß wir revolutionieren, haben wir uns nur für das ganze zivilisierte Europa die Finger verbrannt. Wir waren nicht Märtyrer, die sich für alle Welten opferten, wir hatten den eigenen Vorteil im Auge, während wir uns Wunden schlugen, von denen zu genesen, es der Jahre bedurfte. Freilich! In dieser vernünftigen Welt kann man nicht vollkommen sinnlos handeln. In der göttlichen Weltgeschichte geschieht nichts gänzlich zweckwidrig. Aber das Gute und Nützliche, was geschieht, läßt sich nicht immer den Handelnden zurechnen. Laßt uns endlich aufhören, in Taten zu rasen, laßt uns denken, lernen; es tut not! Der bessre Geist muß in Frankreich erwachen, das ist die Aufgabe, die jetzt seine Geschichte ihm stellt. Der Geist, der befestigt, beruhigt und kräftigt für alle Ewigkeit, er allein ist das Heil! Kann er auch jetzt zu diesem Ziele nicht gelangen, – bedenkt, Franzosen, wir hatten die Kraft, Europa zu erobern, jedoch nicht den Geist, das Erworbene festzuhalten – führt Frankreichs jetziger Meinungskampf auch zu keiner Wahrheit, dann ist's geschehen um unsere zukünftige Größe, und unsere Geschichte, auf die wir bisher stolz sein durften, reicht nur bis zu den Julitagen, wo wir Freiheit erkämpfen konnten, die wir aber von neuem nicht zu würdigen noch zu erhalten vermögen.
Wohlan, Freunde! – Dies laßt uns dem Volke sagen, und sind wir mehr mit Geist begabt als unsere Landsleute, da wir als Dichter und Künstler unter ihnen gelten, so laßt uns dies göttliche Geschenk zu etwas Besserem als zum Broterwerb benutzen. Die Schutzgeister unseres Volkes müssen wir sein! Und in den Staub mit unsern Gegenfüßlern, mit den Dämonen, die eine Herrschaft sich anmaßen, mit den journalistischen Schreiern allen! Die Wahrheit steht auf unserer Seite, und Wahrheit verkünden heißt siegen. Jene Macht dagegen ist schon untergraben. Mit dem Sturz der absoluten Monarchie, mit der Freiheit der Presse ist der Gegenstand ihnen geraubt, und das Recht, sich laut zu machen. O glaubt nur, dieser Herbst ist auch der Journalisten Herbst; sie werden schreien, um sich tot zu schreien, und erfrieren im allgemeinen europäischen Frieden, den der Himmel uns bald bescheren mag zu unserm Sommer!
Seid mit mir! und euch allen steht eine herrliche Zukunft bevor. Denn vernehmt: ein Genius wird nächstens unter euch auftreten, ein Genius, groß in allem; groß als Staatsmann, Feldherr und Dichter. Und sein Erscheinen bloß, die Sensation allein, die sein erstes Auftreten erregt, wird hinreichen, den Zeitenschwindel zu beruhigen. Wie jeder Neuheit wird man nur ihn der Aufmerksamkeit für wert halten, aber er ist ihrer wert und wird alle Teilnahme immer und ungeteilt sich rege zu erhalten wissen.
O glaubt mich nicht unbescheiden, well ich auf diese Weise mich selbst ankündige. Ich bin im Besitz eines wundertätigen Talismans, und nicht mein Ich, der Besitzer solch eines Talismans spricht jetzt aus mir!
Ja, dies ist die Aufgabe meines Lebens, und so bin ich des Glückes wert, die Elendshaut zu besitzen. Ja, was ich euch sage, ist wahr! Mein Elendsfell unterwirft Fortuna mir als Sklavin, mit deren Beistand selbst Unmögliches gelingt. Wohlan! ich werde Frankreich die Konstitution geben und die Reform, wodurch es glücklich wird für immer, und werde, dies zu ermöglichen, wie Salomo von Gott Weisheit, so Genie von meiner Elendshaut erbitten.«
Ein kreischendes Gelächter unterbrach hier den Redner. Das unglückliche Wort »Elendshaut« hatte, zum erstenmal ausgesprochen, nur Befremden erregt, und Emil, der sich erinnerte, schon vorhin das seltsame Wort von seinem Freunde vernommen zu haben, blickte mit Ängstlichkeit auf ihn. Da aber sprach es Raphael zum zweitenmal aus, und man unterdrückte das Lachen noch aus Achtung für den kraftvollen und begeisterten Redner. Endlich aber hieß es zum drittenmal: das Elendsfell, aus dem Frankreichs ewiges Wohl hervorgehen sollte, und jetzt hatte es eine gellende Explosion zur Folge, die den Redner nicht wenig kränkte.
Er streckte die Arme aus und rief wie ein Beschwörer: »Ei, so lacht, bis euch der Atem vergeht! Ich will es so!« Und das Lachen hielt eine gute Weile an, ohne daß irgend wer noch ahnte, woher er lachte. Da aber merkte eine Dame, welche garstige Linien das Lachen im Angesicht ihrer Nachbarin zog und deutete mit dem Finger auf sie hin. Diese, welche dieselbe Bemerkung über jene Lacherin machte, antwortete mit gleicher Gebärde. Eine dritte machte die Gruppe auf eine ähnliche eigentümliche Art vollständig, eine vierte, fünfte, sechste und zuletzt die übrigen lachten eine über alle. Die Herren aber waren in die weichen rings umher laufenden Kissen gesunken und hielten sich die Bäuche; von ihrem konvulsivischen Gelächter schien das ganze Zimmer zu beben. Der kleine, dicke Notar schrie endlich: »Ich muß platzen, ich muß platzen!« und mühte sich ab, seinem Lachen zum Trotze das Zimmer zu verlassen. Draußen empfingen ihn die Diener, die, erschrocken über das furchtbare Geräusch im Saale, herbeigeeilt waren. Kraftlos sank er in ihre Arme und sein Gelächter widerhallte fürchterlich in der Wölbung des Peristils, wie das Gebrüll eines wilden Tieres. Im Saale indessen schien die Lachlust immer noch heftiger zu werden, je mehr man jetzt angefangen hatte, sich dawider zu sträuben. Die Damen fielen einander zu Füßen und flehten und beschworen sich, mit Lachen innezuhalten; denn jede glaubte, nur vom allgemeinen Lachen angesteckt zu sein. Tausend Flüche erhoben sich wider Raphael, der immer so ernsthaft in die allgemeine Qual hineinschaute, daß man nur noch heftiger lachen mußte, wenn man ihn ansah; die Männer krümmten sich auf ihren Sitzen und beklagten laut ihre Unmäßigkeit im Essen und Trinken, und schon waren vom Lachen nur noch die Mienen da, und das Gekreisch war das der Angst und Verzweiflung, als Emil und Aquilina endlich, welche Raphael in seine Beschwörung nicht mitbegriffen hatte, obschon sie anfangs mit eben so herzlichem Lachen in den lustigen Auftritt einstimmten, diesen zu besänftigen vermochten, daß er der Gequälten schone und seine Wundermacht nicht an Wehrlosen ausübe.
»Ich ergebe mich,« sprach Raphael endlich, von diesen Bitten gerührt. »Jetzt wißt ihr, daß ich mich keiner Kräfte rühme, die ich nicht besitze.« Augenblicklich erfolgte Stille, die nur von den tiefen Atemzügen und dem Röcheln der erschöpften Lungen unterbrochen wurde.
»Dennoch,« fuhr Raphael fort, »welche Beruhigung ist es mir, euch von meiner Macht überführt zu haben? Warum überhaupt legte ich euch meine Pläne dar? Ihr könnt diese eben so wenig verstehen, als jene würdigen! – Schlaft alle ein!« fügte er unwillig hinzu, indem er von neuem die Arme beschwörend ausbreitete. »Ich kann eure Gegenwart nur ertragen, wenn ihr schlaft, oder vielmehr: Ich will allein sein mit meiner Macht und meinen Gedanken!« – Auf der Stelle fielen allen Anwesenden, bis auf Emil und Aquilina, die Augen zu, von neuem sanken sie in die Polster zurück, und ihre starken Atemzüge verkündeten einen festen und tiefen Schlaf.
Noch einmal winkte Raphael, und aus dem Boden schossen Stämme und Stauden hervor, die, sich anmutig verschlingend, über die Häupter der drei Wachenden eine Laube bildeten. Dort gossen Granat- und Orangenblüten ihre Kelche von Wohlgerüchen über sie aus, hier schlängelte sich eine Rebe mit großen dunkelblauen Trauben an einem Stock von weißen Rosen empor. Dazwischen wankten Pyramiden von Glockenblumen, und alles änderte die Farben: die weißen Rosen fingen an zu glühen wie Rubin, die Trauben glichen ganz Perlen von unschätzbarer Größe. Am Boden aber wucherten allerlei saftreiche und üppige Pflanzen, deren breite Blätter und große, prächtige, bunte Blumen die Schläfer ganz und gar bedeckten.
»Träume ich?« fragte Emil, der diese Wunder mit zweifelhaften Blicken anstaunte. –
»Kehre dich nicht an dieses Blendwerk!« sprach Raphael mit vornehmer Freundlichkeit, »du siehst, meine Macht ist mehr als Traum. Emil! Ich halte dich für besser und klüger als irgendeinen meiner Bekannten, darum sollst du das Geburtsfest meiner neuen Macht und Herrlichkeit feierlich mit mir begehen. O Teuerster! Ich bin sehr glücklich! Ein Selbstgefühl wehet in dieser Brust, das in eigner Macht und Freiheit, in selbstbewußter Seligkeit schwelgt. Ich habe nie geglaubt, daß man auf Erden sich so göttlich fühlen könnte; ich muß, muß einen Freund haben, der teilnimmt.«
»Schönes Mädchen!« wandte er sich zu Aquilina, an deren langen, dunklen Wimpern große Tropfen hingen. »Empfindung muß dir zugestehen, wer dich sieht; wie aber soll ich deine Tränen deuten? Weiber weinen gar so leicht; Tränen sind die erste Zuflucht des oberflächlichen Gefühls und stehen der Empfindungslosen am ersten zu Gebot.«
Aquilina aber entgegnete mit klangreicher und empfindungsvoller Stimme: »Wer bist du, Jüngling mit der Göttergestalt, dem solche Wunderkräfte gegeben sind, und dessen Wort so tief ergreifend alle Angelegenheiten der Menschen und ihre Fehler und ihre Schwäche nennen, schätzen und strafen kann? Muß ich nicht vor Ehrfurcht weinen, weil ich dich solche Wunder tun sehe? Gern will ich dir glauben, daß meine Empfindung, mit der deinigen verglichen, nur oberflächlich sein kann, doch immer wirst du, was ich fühle, Gefühl nennen müssen. Oh, glaube nur, mein Gefühl ist schärfer als all' meine andern Sinne, denn längst hat es in dir geahnt, wovon sich später erst Ohr und Auge überzeugten, und du« – fuhr sie fort, indem sie schmeichlerisch seine Hand ergriff – »hast auch gemerkt, wie ich dir gesinnt war, denn nicht umsonst hast du vor allen andern mich ausgezeichnet und nicht gleich ihnen mich eingeschläfert, sondern mich wach um dich erhalten.«
»Du liebst mich?« fragte Raphael mit flnstern Blicken.
Plötzlich lag Aquilina weinend zu seinen Füßen und verbarg ihr Antlitz an seinen Knien, die sie umschlang.
»Stille, stille, gutes Mädchen!« sprach Raphael sehr ernst und nachdenklich. »Wisse! Es ist nicht freie Wahl deines Herzens, mich zu lieben: du siehst, ich bin mit der Macht begabt, all' meine Wünsche zu erfüllen, und ich gestehe dir, ich wünschte vorhin, geliebt zu werden von einem Wesen deiner Art. Als ich so wünschte, kannte ich dich noch nicht, sonst hätte ich mit deinem Herzen so nicht gespielt. Doch steht es in meiner Macht, dich von dieser Leidenschaft zu befreien!«
»Ich will nicht befreit sein.« seufzte Aquilina, »wenn du mich auch nicht wieder liebst!«
»Du hast recht!« entgegnete Raphael. »Die nicht erwiderte Liebe ist die glückliche; die unglückliche, die Gegenliebe findet, denn sie geht zugrunde. Man liebt nur einmal, diese Bestimmung unsres Herzens, nur einmal erlebt sie sich, und wer diese Erfahrung gewonnen, ist unfähig, sie sich zu erneuern. Nur einmal sieht man im Weibe die Göttin, und gewitzigt durch Enttäuschung, sehen wir in Zukunft in der Göttin nur das Weib. – Auch ich habe geliebt und wohl mir deswegen. Ich liebe jetzt wie ein Dichter in der Ahnung, nicht mehr wie ein Jüngling. Meine Liebe war ein Wesen, mit aller Vollkommenheit geschmückt, des Geistes wie des Körpers, aus Vollkommenheiten bestehend, nur ohne Seele! Sie war ein Kunstwerk; die Vollkommenheit, die ihr Wesen bildete, war Werk eines göttlichen Meisters, sie selbst an sich war nichts. Und ich, ein Pygmalion, wünschte dies Steinbild belebt, wie töricht! Die Liebe ist besser als ihr Gegenstand, die Ahnung einer Göttin mehr als das wirkliche Weib; letzteres lernen wir in glücklicher Liebe kennen, jenes behaupten wir in unglücklicher Liebe. – Nicht so, Aquilina? Verstehst du mich?«
»Mir ahnte es wohl, daß ich, nicht mehr als ein Weib, dir nicht genügen würde!« seufzte Aquilina.
»O Mädchen,« rief Raphael, »dieser Auftritt lehrt mich, welch reiner Mensch der sein muß, der seiner Wünsche Erfüllung begehren darf. Ich fühle mehr und mehr, wie ernst meine Bestimmung ist, und wie wenig ich mit Leichtsinn und Willkür mich befassen darf. Vernimm, Aquilina, du würdest ganz mein Herz empfangen, könnte ich mich nur mit dem Gedanken versöhnen, daß ich meine Liebe bei dem Schicksal bestellt. – Hinweg damit! Sei meine Freundin! Unsere Freundschaft laß aus freiem Willen uns auswechseln!«
Aquilina reichte ihm die Hand, und Emil fragte: »Wer aber, Raphael, ist das geheimnisvolle Wesen, das Bild aller Vollkommenheiten, der Inbegriff aller Scheintugenden und wirklichen Laster, von der dir hin und wieder unzusammenhängende Worte entschlüpften, der du, wie wir alle merkten, Zeit, Vermögen, Herz und Geist opfertest, um – alles zu verlieren?«
»Und das Leben obendrein!« antwortete Raphael. »Es ist noch nicht sechs Stunden, daß meine Verzweiflung kein anderes Ziel kannte als den Grund der Seine: nur ein Wunder konnte mich retten.«
»So oft wir baten,« fiel Emil ein. »uns die Geschichte deiner Qualen mitzuteilen, entgegnetest du: Hier ist nicht Ort und Zeit, angemessen meinen Empfindungen und Schmerzen. Doch dieser Ort und dieser Abend werden ihrer würdig sein, und du kannst meine Bitte mir nicht länger versagen.«
»Du hast recht!« sagte Raphael. »Heut und hier sollst du alles erfahren, und keine Falle meines Herzens bleibe dir unenthüllt. Der gute Mensch darf alles entdecken, denn er ist besser als die, welche ihn betrügen: er ist besser als sein Geschick. Komm denn, Freund, laß uns schwelgen in Erinnerung vergangener Leiden und aus den eigenen bitteren Erlebnissen die Mysterien des irdischen Daseins erfassen.«
»Es fehlt noch zur Vollkommenheit dieses Abends!« rief Emil. »Welch ein Abend! – Bedenk' nur. Erst das schwelgerische Mahl mit dem Dessert und der süßeren Überraschung eines Balletts; dann der geistige Aufschwung, den deine Rede uns gab, dann die tolle Lustigkeit aller Gäste: ein Sokrates hätte mitlachen müssen. Dann ging alles ins Wunderhafte über, und nun sitzest du hier, umgeben rings von magischer Pracht und Vollkommenheit, um mit deinem Freunde und deiner liebenswerten Freundin – dir mehr als freundschaftlich gesinnt – ganz deines Selbst, deines herrlichen Schicksals und Daseins dir bewußt zu werden.«
»Emil! Emil! was sagst du!« schrie Raphael plötzlich auf. »Welch ein tückischer Dämon gab dir diese Worte ein, die alle meine Begeisterung plötzlich töten? Emil! ich wollte mich berauschen in Gedanken und Empfindungen; ich wollte es, und in diesem Rausch habe ich bis hierher mich getäuscht. Du hast mich geweckt, indem du sagtest: Hier ist alles nun erfüllt. Und meinen eignen freien Willen wußte das Elendsfell zu benutzen, um meine eignen Wünsche zu erfüllen. Oh, was ist Schicksal und Geschick! Ein Rechenexempel, aus dem Gang der Gestirne heraus zu punktieren. Wir werden geboren mit unseren Multiplikatoren, Divisoren, Quotienten und Faziten, und unsere Gedanken und Gefühle sind Traumzahlen und eingebildete Größen. Ich wollte Weisheit erbitten; – o, besser ist's zu rasen, als zu rechnen. Fort mit der Rechenkunst! O Feodora, ich bin derselbe noch, der am Abend deinetwillen sich in die Seine stürzen wollte! – verflogen ist der Rausch, der mich über mich selbst und meine Liebe erhob. Dein bin ich wieder! Dein! du böser, schöner Dämon! Was hilft das Sträuben, wo die Natur ihre Rechte fordert, die mich an dich gekettet?! Ich muß dich lieben oder tödlich hassen, und ich gehorche meinem Schicksal. Willst du aus freien Stücken mir nicht Gegenliebe schenken, so gebrauche ich meine Macht, aufs elendeste dich zu verderben.«
»Um Gotteswillen, Freund! welche Anwandlung?« rief Emil; »wo sind alle deine großen Pläne?«
»Ach, es waren Träume! Ein Rausch des Geistes trieb mir diese Blasen ins Gehirn, sie platzten vor deinem Spruche. Meine Sterne wollen nicht, daß ich groß sei in der Geschichte. Ich bin ja nichts als ein lyrisches Gedicht auf Feodora! Ein Seufzer, der, statt in Sonettform, auf zwei Beinen mit Kopf und Händen einhergeht!« –
»Kleinmütiger! Dein Wille macht dich groß.«
»Hast du Lust, groß zu sein? Ich will zu einem Nero oder Bonaparte dich machen, daß du mit jedem Atemzug tausend Menschenleben vernichtest, wie die Pest oder ein hundertfaches Schafott. Willst du aber lieber mit Völkerglück spielen, so sollst du ein Minister werden, oder willst du es mit Licht und Farbe, Empfindungen oder Gestalten, so mache ich dich zum Künstler. Nein, du ziehst vor, mit Gold und harten Talern zu spielen. Nicht? dies ist auch meine Wahl, der einzige Sinn des Lebens! – Hinweg mit der Laube; erwacht, ihr Schläfer! – Ich will nichts als jährlich Millionen Franken! Herbei damit, vermaledeites Elendsfell! sogleich!«
Die Laube schwand, die übrige Gesellschaft ward wieder sichtbar, und ein lautes Pochen an der Tür ließ sich vernehmen.
»Offne, Emil!« rief Raphael, »ich habe vorhin die Tür verschlossen, öffne, meine Millionen kommen an!«
»Raphael,« entgegnete dieser ängstlich, »bald ist's auch um meinen Verstand geschehen!«
»Es ist alles eins! Niemand entgeht seinem Schicksal. Und will dein Schicksal um deinen Verstand dich bringen, schenke ihm denselben, das Leben wird um so leichter. Was mich betrifft, ich trage mein Stück Schicksal hier in der Tasche!« – Er zog das Elendsfell hervor und erblaßte, denn es war fürchterlich eingeschrumpft.
»O Gott, was ist dir?« rief der besorgte Emil.
»Nichts. Freund, nichts! wenigstens werde ich bald soviel sein. Wenn du Indisch verständest, so würdest du lesen können, daß ich mit meiner Lebenszeit die Erfüllung jedes Wunsches bezahle. Ich habe diese Nacht fürchterlich darauf los gelebt, und siehst du wohl, mir bleibt keine Zeit, ein großer Mann zu werden. Will ich's sein, so kann ich nur mein Testament machen.«
Immer lauter war das Pochen geworden, und Emil öffnete endlich. – Indes ward's auch auf den Polstern lebendig. Man stöhnte, gähnte, seufzte, brummte, reckte knackend die Arme, dehnte und wälzte sich. Die Frauen hatten ihren eleganten Kopfputz vernichtet und ihre Kleider zerdrückt; ihre Augen waren matt und trübe, ihre Haut hatte die Frische und Weiße verloren; manche geheime Toilettenkünste verrieten sich und entstellten ihre Gebieterin, und mit den Herren stand es noch viel schlimmer. Sie klagten über Kopfschmerz, Unbehagen, und ihr Aussehen, wie lebende Leichen, klagte dies alles viel besser. Noch wußte keiner, was mit ihm geschehen; jeder schämte sich und suchte sich den Blicken der übrigen zu entziehen.
Endlich war die Tür geöffnet, und Tageshelle drang in den Saal, dessen Lichter zu erlöschen drohten. Der Notar trat ein, bat um Schweigen, und als dieses erfolgt, begann er:
»Ich bringe hier jemandem aus dieser Gesellschaft 20 Millionen Franken.« Es entstand eine Pause des Erstaunens und ehrfurchtsvollen Schweigens.
»Mir!« sagte Raphael fest.
»Wissen Sie schon? Ich erhielt die Nachricht mit einem Expressen. – Ihre Mutter, ist sie eine geborne O'Flahaty?«
»Ja, Barbara Maria Charlotte, geboren zu Tours.«
»Haben Sie Ihren und Ihrer Mutter Geburtsschein zur Hand?«
»Ja.«
»Wohlan, Martin O'Flahaty, gestorben am 15. August zu Kalkutta, hat Sie zum Universalerben seines Vermögens von 20 Millionen Franken eingesetzt.«
»Der lange verloren geglaubte Bruder meiner Mutter!« entgegnete Raphael ruhig; »wie alles, was ich wünsche, von selbst sich fügt, als sympathisiere mein Begehren gänzlich mit der Ordnung der Dinge, hängt aber auch ebenso genau mein Tod damit zusammen? – Fruchtloses Grübeln! Ich hätte Weisheit erbitten sollen und wozu? Um die Trostlosigkeit des ganzen Daseins zu erfahren. Alles, was ich gelernt, seit ich im Besitz des Elendsfells bin, bezieht sich nur auf einen solchen Sinn, und den Kern der Weisheit habe ich schon gefunden.« – Er wollte sich entfernen, aber der Wirt hielt den Gedankenvollen zurück.
»Wohin, Herr Marquis von Valenti? Wünschen Sie nicht ein kleines Frühstück erst einzunehmen?«
»Ich wünsche nichts!« sprach Raphael fest und verließ das Gemach.
»Der hat sehr bald schon alle Vornehmheit eines reichen Mannes sich anzueignen verstanden!« rief einer der jungen Leute ihm nach.
»Er kann alles, was er will,« versicherte Aquilina: »er hat einen Talisman, den er Elendshaut nennt, und der alles vollbringt, alles! Erinnern Sie sich nur, meine Damen, daß Sie alle gestern lachen mußten: daß Sie einschliefen und eben erst wieder erwachten, geschah auf sein Geheiß!«
Anfänglich schüttelte man ungläubig die Köpfe, mehr und mehr wurden aber Tatsachen angegeben, die das Wunder außer Zweifel stellten. Man erschöpfte sich in Verwünschungen und Scheltworten gegen Raphael, der andere Leute zu lachen und zu schlafen zwänge, wie es ihm einfiele. Als man aber gewahrte, daß Emil noch gegenwärtig sei, der Freund und Vertraute Raphaels, beruhigte man sich ein wenig. Eine Dame wollte sogar fest überzeugt sein, daß der liebenswürdige und großherzige Marquis von Valenti den Schabernack, den er getrieben, jedem reichlich ersetzen würde. »Was mich betrifft,« fuhr sie fort, »so werde ich um eine große Schnur echter Zahlperlen bitten, und« – fügte sie mit einem schmelzenden Blick auf Emil hinzu – »Sie haben sicherlich die Güte, ihm dies plausibel zu machen. Er darf ja nur wollen!«
»Freilich! freilich!« sprach ein junger Mann. »Der Marquis von Valenti wird kein Knicker sein. Ich bin fest überzeugt, er bezahlt meine Schulden!«
»Er wird meinem großen hagern Oheim einen Schlagfluß zusenden, damit ich ihn beerbe!« rief ein Zweiter.
»Wenn er mich nur vom Podagra befreite!« rief der Wirt.
»Wenn er doch mir zuliebe die griechischen Papiere steigen ließe!« ein Rentier.
Eine schöne junge Tänzerin behauptete zuversichtlich: »Wenn ich ihn wiedersehe, muß er mir eine Equipage mit zwei englischen Pferden schenken.«
Aquilina sprach: »Ich bin bescheiden, ich wünsche nur einen echttürkischen Schal, ihm zum Andenken.«
»Meine Herren und Damen!« sprach Emil, »mein Freund besitzt auch die Gabe der Weissagung, und er hat mir zuvor eine Antwort auf alle diese Bitten erteilt.«
»Geschwind, geschwind, welche?« tönte es von allen Seiten.
Er sagte: »Der Weise wünscht nichts, und um weise zu sein, bedarf man keines Elendsfells!«