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»Weißt du, Birotteau, was ich denke, wenn ich dich so reden höre? Du kommst mir vor wie einer, der sich ohne Not selber Lasten aufladet. Erinnere dich daran, was ich dir gesagt habe, als es sich um deine Ernennung zum Bürgermeister handelte: deine Ruhe muß über alles gehen! Du bist, habe ich dir gesagt, für die Öffentlichkeit geschaffen wie mein Arm für einen Windmühlenflügel. Die Ehre würde dein Untergang sein. Du hast nicht auf mich hören wollen, und nun werden wir dem Untergang zusteuern. Wenn man eine politische Rolle spielen will, muß man Geld haben; haben wir denn genug? Wie, du willst dein Schild verbrennen, das sechshundert Franken gekostet hat, und auf die ›Rosenkönigin‹, die dich mit Recht berühmt gemacht hat, verzichten? Überlaß doch den andern den Ehrgeiz. Wer seine Hand in einen Scheiterhaufen steckt, der verbrennt sie sich. Heutzutage verbrennt man sich an der Politik. Wir haben schöne hunderttausend Franken in bar, die nicht in unserm Geschäft, unsrer Fabrik und unsern Waren angelegt sind. Willst du dein Vermögen vergrößern, so mach es wie im Jahre 1793. Die Renten stehen zweiundsiebzig, kauf Renten. Du wirst zehntausend Franken Zinsen haben, ohne daß diese Anlage unserm Geschäft schaden kann. Dann benutze das, um unsre Tochter zu verheiraten, verkaufe unsre Papiere, und wir ziehen in deine Heimat. Fünfzehn Jahre lang hast du von nichts anderem geredet als von dem Kaufe von ›Les Trésorières‹, dem hübschen kleinen Gut dicht bei Chinon, wo es Wasser, Wiesen, Bäume, Weinberge gibt, mit zwei Meiereien, die tausend Taler Pacht bringen, wo wir beide gern wohnen würden, und heute, da will der Herr durchaus ein Regierungsmann werden? Überlege dir doch, was wir sind: Parfümhändler. Wenn man dir vor sechzehn Jahren, bevor du die ›Doppelpaste der Sultaninnen‹ und das ›Eau Carminative‹ erfunden hattest, gesagt hätte: ›Du wirst soviel Geld haben, daß du Les Tresorières kaufen kannst‹, würdest du nicht krank vor Freude geworden sein? Nun, jetzt kannst du diesen Besitz erwerben, nach dem du so begierig warst, daß du von nichts anderem geredet hast; jetzt aber sprichst du davon, das Geld für Torheiten auszugeben, das wir im Schweiße unseres Angesichts erworben haben, ich kann wohl sagen, unseres, denn ich habe die ganze Zeit hindurch immer im Kontor gesessen wie ein armes Vieh in der Hundehütte. Ist es nicht besser, wenn wir ein Absteigequartier bei unsrer Tochter, nachdem sie die Frau eines Pariser Notars geworden sein wird, haben und acht Monate in Chinon leben, als hier nun anzufangen, aus fünf Sous sechs Pfennige zu machen, und aus sechs Pfennigen nichts? Warte, bis die Staatsrenten steigen, dann kannst du deiner Tochter achttausend Franken Rente mitgeben, zweitausend behalten wir für uns, mit dem Preis für unser Geschäft können wir Les Tresorières kaufen. Dort, in deiner Heimat, mein lieber Alter, mit unsern wertvollen Möbeln, werden wir wie die Fürsten leben, während man hier mindestens eine Million haben muß, wenn man etwas vorstellen will.«
»Das hatte ich von dir erwartet, Frauchen«, sagte Cäsar Birotteau. »Aber so dumm bin ich noch nicht (obwohl du mich ja für sehr dumm hältst), daß ich daran nicht gedacht hätte. Nun höre mir aber ernsthaft zu. Alexander Crottat paßt uns vortrefflich als Schwiegersohn, und er wird Roguins Notariat erwerben; aber meinst du denn, daß er sich mit einer Mitgift von hunderttausend Franken begnügen wird (ich setze dabei voraus, daß wir alle unsre flüssigen Mittel für die Heirat unsrer Tochter hergeben, was auch meine Absicht ist; denn ich würde mich für den Rest meiner Tage gern mit trocknem Brot begnügen, wenn ich sie glücklich wie eine Königin sehen könnte, also als die Frau eines Pariser Notars, wie du sagst)? Nun, hunderttausend Franken oder selbst achttausend Franken Rente sind nichts, wenn man das Notariat Roguins kaufen will. Der kleine Xandrot, wie wir ihn nennen, hält uns, wie alle Welt, für viel reicher, als wir sind. Wenn sein Vater, der dicke Gutspächter, der ein richtiger Hamster ist, nicht auch für hunderttausend Franken Land verkauft, wird Xandrot nicht Notar werden, denn das Notariat Roguins ist vier- bis fünfhunderttausend Franken wert. Wenn Crottat nicht die Hälfte in bar zahlt, wie soll das Geschäft zustandekommen? Cäsarine muß zweihunderttausend Franken Mitgift bekommen; und ich will, daß, wenn wir uns vom Geschäft zurückziehen, wir es als wohlhabende Bürger mit fünfzehntausend Franken Rente tun. Also, wenn du das als sonnenklar einsiehst, wirst du dann nicht dein Schnäbelchen halten müssen?«
»Ja, wenn dir die Schätze von Peru gehören . . .«
»Ja, mein Herz, sie gehören mir. Ja,« sagte er, faßte seine Frau um die Taille und gab ihr ein paar leichte Klapse, erregt von der Freude, die sein ganzes Gesicht belebte. »Ich habe mit dir von dieser Sache noch nicht reden wollen, bevor sie reif war; aber morgen wird sie wahrscheinlich zustande kommen. Also höre: Roguin hat mir eine Spekulation vorgeschlagen, die so sicher ist, daß er sich mit Ragon, deinem Onkel Pillerault und noch zwei andern seiner Klienten daran beteiligt. Wir wollen an der Madeleine-Kirche Terrains kaufen, die wir nach der Berechnung Roguins für ein Viertel des Wertes haben können, den sie in drei Jahren erreichen müssen, wo wir sie dann, wenn ihre Verpachtung abgelaufen sein wird, nach unserem Belieben ausschlachten können. Wir beteiligen uns alle sechs daran mit bestimmten Anteilen, ich mit dreihunderttausend Franken für drei Achtel. Wenn einer von uns Geld braucht, wird Roguin ihm das verschaffen, indem er auf seinen Anteil eine Hypothek aufnimmt. Um den Stiel der Pfanne in der Hand zu behalten und zu sehen, wie der Fisch brät, will ich, dem Namen nach, Eigentümer der einen Hälfte sein, die Pillerault, dem guten Ragon und mir zusammen gehört. Roguin wird unter dem Namen eines Herrn Karl Claparon der andere Mitbesitzer sein und, wie ich, seinen Sozien einen Revers ausstellen. Die Kaufurkunde wird in privatschriftlicher Verschreibung ausgestellt, bis wir Besitzer aller Terrains sind. Roguin wird genau prüfen, welche Kontrakte realisiert werden müssen, denn er weiß noch nicht gewiß, ob wir die Eintragung ins Grundbuch vermeiden und die Kosten auf diejenigen, an die wir dann im einzelnen verkaufen werden, abwälzen können; aber das dauert zu lange, wenn ich dir das erklären wollte. Sind die Terrains bezahlt, so haben wir nichts zu tun, als mit gekreuzten Armen zuzusehen, und in drei Jahren besitzen wir eine Million. Cäsarine wird dann ihr zwanzigstes Jahr erreicht haben, dann verkaufen wir unser Geschäft und können, dank dem Himmel, bei aller Bescheidenheit zu hoher Stellung aufsteigen.«
»So, und wo willst du die dreihunderttausend Franken hernehmen?« sagte Frau Birotteau.
»Von Geschäften verstehst du nichts, mein Herz. Ich gebe die hunderttausend Franken her, die bei Roguin stehen, vierzigtausend Franken nehme ich auf die Baulichkeiten und das Gartenland unsrer Fabrik im Faubourg du Temple auf, für zwanzigtausend haben wir Wechsel im Portefeuille, das sind zusammen hundertsechzigtausend Franken. Bleiben noch hundertvierzigtausend, für die ich Wechsel an die Order des Bankiers Karl Claparon geben werde; er übernimmt die Valuta dafür nach Abzug des Diskonts. Damit sind unsre hunderttausend Taler bezahlt: vor dem Termin braucht man nicht zu zahlen. Werden die Wechsel fällig, so können wir sie mit unsern Überschüssen einlösen. Und können wir das nicht, so wird Roguin mir Geld zu fünf Prozent leihen und es als Hypothek auf meinen Anteil an den Terrains eintragen lassen. Aber es wird gar nicht zu diesem Geldborgen kommen: ich habe eine Essenz gegen den Haarschwund erfunden, das Comagenöl! Livingston hat mir eine hydraulische Presse aufgestellt, mit der ich mein Öl aus Nüssen herstelle, denen unter solchem Druck all ihr Öl sofort ausgepreßt wird. Nach meinen Berechnungen werde ich wenigstens hunderttausend Franken daran verdienen. Ich brüte über einer Annonce, die mit den Worten beginnen soll: ›Weg mit den Perücken!‹ und die eine großartige Wirkung machen wird. Du hast von meinen schlaflosen Nächten gar nichts gemerkt! Schon seit drei Monaten raubt mir der Erfolg des Makassaröls den Schlaf. Aber ich will das Makassaröl schon tot machen!«
»Das sind also die feinen Projekte, mit denen du seit zwei Monaten dein Gehirn abarbeitest, ohne daß du mir etwas davon sagst. Eben habe ich mich als Bettlerin an meiner eigenen Tür erblickt, das war ein Wink des Himmels. In kurzer Zeit wird uns nichts weiter bleiben als die Augen, um sie uns aus dem Kopfe zu weinen. Solange ich lebe, wirst du die Sache nicht machen, verstehst du mich, Cäsar? Dahinter stecken gewisse Machenschaften, die du nicht merkst, du bist zu anständig und zu ehrlich, um bei andern Betrügereien zu vermuten. Weshalb bieten sie dir Millionen an? Du beraubst dich aller deiner Ersparnisse, du engagierst dich über deine Mittel hinaus, und wenn nun die Wertsteigerung der Terrains nicht eintritt, womit willst du dann deine Wechsel bezahlen? Etwa mit den Schalen deiner Nüsse? Um in die feine Gesellschaft zu kommen, soll dein Name nicht mehr in der Firma erscheinen und das Schild der Rosenkönigin verschwinden, dafür aber willst du marktschreierische Annoncen und Prospekte loslassen, die den Namen Cäsar Birotteau an allen Ecken und auf allen Brettern, überall wo gebaut wird, anzeigen werden.«
»Oh, da bist du im Irrtum. Ich errichte eine Filiale unter der Firma Popinot, in irgendeinem Hause in der Nähe der Rue des Lombards, wo ich den kleinen Anselm hineinsetze. Damit werde ich zugleich die Schuld der Dankbarkeit gegen Herrn und Frau Ragon abtragen, wenn ich ihren Neffen etabliere, der so sein Glück machen kann. Die armen Ragons scheinen mir seit einiger Zeit sehr bedrückt auszusehen.«
»Aha, deshalb wollen diese Leute dein Geld haben.«
»Aber welche Leute denn, mein Kind? Etwa dein Onkel Pillerault, der uns lieb hat wie sein eignes Fleisch, und alle Sonntage bei uns ißt? Oder der gute alte Ragon, unser Vorgänger, der vierzig Jahre ehrenhaften Lebens hinter sich hat und mit dem wir unsern Boston spielen? Oder schließlich Roguin, ein Pariser Notar, ein Mann von siebenundfünfzig Jahren, der sein Notariat seit fünfundzwanzig Jahren verwaltet? Ein Pariser Notar, das wäre der Gipfel, wenn nicht alle ehrenhaften Leute den gleichen Wert hätten. Also, wenn Not am Mann wäre, würden mir meine Sozien schon beispringen! Wo ist denn nun also das Komplott, mein Liebchen? Aber ich muß dir einmal meine Meinung sagen! So wahr ich ein anständiger Mensch bin, das liegt mir auf dem Herzen. – Immer bist du mißtrauisch wie eine Katze gewesen! Sobald wir nur für zwei Sous Eigentum in unserm Laden hatten, hast du die Kunden für Spitzbuben gehalten. – Kniefällig muß man dich bitten, daß du gestattest, dich reich zu machen! Für ein Pariser Kind hast du wirklich recht wenig Ehrgeiz! Wenn du nicht ewig klagtest, könnte es keinen glücklicheren Menschen geben als mich! – Wenn ich auf dich gehört hätte, niemals hätt' ich die Sultaninnen-Paste und das Eau Carminative gemacht. Unser Ladengeschäft hat uns wohl ernährt, aber diese beiden Erfindungen und unsre Seifen haben uns hundertsechzigtausend Franken eingebracht, die wir klar und nett besitzen! – Ohne meine Erfindungsgabe – und ich habe Talent für die Parfümerie – wären wir kleine Detailhändler geblieben, wir würden uns plagen müssen, um unser Auskommen zu haben, ich würde nicht zu den angesehenen Kaufleuten gehören, die für die Wahl zum Handelsrichter in Frage kommen, ich würde weder Richter noch Beigeordneter geworden sein! Weißt du, was ich wäre? Ein Krämer, wie der alte Ragon einer war, womit ich ihn nicht beleidigen will, denn ich achte das Ladengeschäft, unser Hauptvermögen rührt ja daher! – Aber nach vierzig Jahren Handel mit Parfüms würden wir wie er dreitausend Franken Rente haben; und bei dem, was heute alles kostet, wo sich die Preise verdoppelt haben, würden wir, wie sie, kaum zu leben haben. (Täglich mache ich mir um das alte Ehepaar immer mehr Sorgen. Ich muß da endlich mal klar sehen, und ich werde das entscheidende Wort morgen von Popinot hören!) – Wäre ich deinem Rate gefolgt, dir, die du immer in Sorgen bist und dich immer fragst, ob du das, was du heute in der Hand hast, morgen noch haben wirst, so würde ich keinen Kredit, würde nicht das Kreuz der Ehrenlegion und nicht die Aussicht haben, eine politische Persönlichkeit zu werden. Ja, schüttle nur den Kopf, wenn unsre Angelegenheit zustande kommt, kann ich Deputierter von Paris werden. Oh, nicht umsonst heiße ich Cäsar, mir ist alles geglückt. – Es ist nicht zu glauben, jedermann erklärt mich für einen fähigen Kopf; nur zu Hause hält mich die einzige, der zuliebe ich so handle, daß ich Blut und Wasser schwitze, um sie glücklich zu machen – ausgerechnet hält mich gerade die für einen Dummkopf.«
Obwohl diese Phrasen durch beredte Pausen unterbrochen und wie Kugeln abgeschossen wurden, wie es von all denen geschieht, die sich in die Brust werfen, um ihren Gegner zu beschuldigen, drückten sie doch gleichzeitig eine so tiefe, so unerschütterliche Zuneigung aus, daß sich Frau Birotteau im Innersten bewegt fühlte; aber wie alle Frauen benützte sie die Liebe, die sie einflößte, um die Sache zu ihren Gunsten zu entscheiden.
»Nun also, Birotteau,« sagte sie, »dann laß mich doch auf meine Weise glücklich werden. Weder du noch ich haben eine Erziehung genossen, wir können weder uns unterhalten noch einen Diener machen, wie die Leute der feinen Gesellschaft: und wie sollen wir da in einer öffentlichen Stellung Erfolg haben? Und ich, ich würde so glücklich in Trésorières sein! Immer habe ich die Tiere und die kleinen Vögel gern gehabt, und ich würde so gern mein Leben damit verbringen, für die Hühner zu sorgen und eine Landfrau zu sein. Wir wollen unser Geschäft verkaufen, Cäsarine verheiraten und du laß deinen Größenwahn fahren. Wir werden den Winter in Paris leben, bei unserm Schwiegersohn, wir werden so glücklich sein, und nichts, was in der Politik oder im Handel passiert, wird unsre Lebensweise beeinflussen können. Warum wollen wir denn die andern tot machen? Genügt unser jetziges Vermögen nicht für uns? Wenn du Millionär sein wirst, kannst du dann zweimal Mittagbrot essen? Wünschst du dir noch eine andere Frau als mich? Denk doch an meinen Onkel Pillerault! Der hat sich verständigerweise mit seinem kleinen Vermögen begnügt und verbringt sein Leben damit, andern Gutes zu tun. Braucht der etwa schöne Möbel? Natürlich hast du schon die Möbel für mich bestellt: ich habe Braschon hier gesehen, und er ist sicher nicht hergekommen, um Parfüms zu kaufen.«
»Jawohl, mein Herz, deine Möbel sind schon bestellt und mit den Arbeiten hier wird morgen angefangen; geleitet werden sie von einem Architekten, den mir Herr von La Billardière empfohlen hat.«
»Mein Gott,« rief sie aus, »erbarme dich unser!«
»Aber so sei doch vernünftig, liebes Kind. Willst du dich denn mit siebenunddreißig Jahren, so frisch und hübsch, wie du bist, in Chinon begraben? Ich bin ja auch erst, Gottlob, neununddreißig. Das Glück eröffnet mir eine neue Laufbahn, soll ich sie nicht betreten? Wenn ich mich hier mit der gebotenen Vorsicht bewege, dann kann ich ein Haus begründen, das unter der Pariser Bourgeoisie ehrenvoll genannt wird, wie das früher geschehen ist; dann kann ich die Birotteaus begründen, wie es die Kellers gibt, die Jules Desmarets, die Roguins, die Guillaumes, die Lebas, die Nucingens, die Saillards, die Popinots, die Matifats, die in ihrem Viertel etwas bedeuten oder bedeutet haben. Und wenn noch diese Sache nicht so sicher wie Gold wäre . . .«
»Sicher?«
»Jawohl, sicher. Seit zwei Monaten habe ich es mir ausgerechnet. Ohne daß jemand etwas gemerkt hat, habe ich über die Bauten im Stadthause und bei den Architekten und Unternehmern Erkundigungen eingezogen. Herr Grindot, der junge Architekt, der unsere Wohnung umändern soll, ist unglücklich, daß ihm das Geld fehlt, um sich an unserer Spekulation zu beteiligen.«
»Weil er die Bauten ausführen will, deshalb drängt er euch dazu und will euch ausnutzen.«
»Lassen sich Leute wie Pillerault, Karl Claparon und Roguin ausnutzen? Nein, der Gewinn ist so sicher wie bei der Sultaninnen-Paste.«
»Aber, Liebster, was hat Roguin denn nötig, zu spekulieren, wenn er auf sein Notariat nichts mehr schuldig ist und ein Vermögen gemacht hat? Ich sehe ihn manchmal vorbeigehen, sorgenvoller als ein Staatsminister, mit etwas Verstecktem in seinem Blick, was mir nicht gefällt; als ob er Sorgen verbergen wollte. Seit fünf Jahren hat er ein Gesicht wie ein alter Bummler bekommen. Wer sagt dir, ob er nicht ausrückt, wenn er euer Geld in der Tasche hat? So was ist schon vorgekommen. Kennen wir ihn denn wirklich genau? Mag er sich immer seit fünfzehn Jahren unsern Freund nennen, ich möchte nicht meine Hand für ihn ins Feuer legen. Denke daran, daß er eine Stinknase hat und nicht mit seiner Frau zusammenlebt; sicher hat er Mätressen, die ihn ruinieren; ich kann mir keinen andern Grund für seine trübselige Miene denken. Wenn ich beim Ankleiden durch die Gardinen gucke, sehe ich ihn morgens zu Fuß nach Hause gehn; niemand weiß, wo er da herkommt. Ich habe den Eindruck, daß er noch einen zweiten Haushalt führt, er bezahlt einen und seine Frau einen. Ist das ein Leben, wie es sonst ein Notar führt? Wenn man fünfzigtausend Franken einnimmt und sechzigtausend ausgibt, dann ist das Vermögen in zwanzig Jahren aufgebraucht und man steht nackt da wie ein neugeborenes Kind; weil man aber daran gewöhnt ist, groß aufzutreten, plündert man ohne Erbarmen seine Freunde aus; jeder ist sich selbst der Nächste. Er ist intim mit dem kleinen du Tillet, diesem Lumpen, unserm früheren Kommis; mir ahnt nichts Gutes bei dieser Freundschaft. Wenn er sich über du Tillet nicht klar ist, dann muß er sehr blind sein; wenn er es aber ist, warum ist er so vertraut mit ihm? Du wirst mir antworten, daß seine Frau du Tillet liebt. Nun, ich halte nichts von einem Manne, der in bezug auf seine Frau kein Ehrgefühl hat. Und schließlich, sind die jetzigen Besitzer dieser Terrains wirklich so dumm, daß sie für hundert Sous hergeben, was hundert Franken wert ist? Wenn dir ein Kind begegnet, das nicht weiß, wieviel ein Louisdor wert ist, wirst du ihm nicht sagen, wieviel er gilt? Eure Sache kommt mir, ohne euch beleidigen zu wollen, wie ein Schwindel vor.«
»Mein Gott, wie komisch seid ihr Weiber manchmal, und wie bringt ihr alle Gedanken durcheinander! Wenn ein Roguin nicht bei der Sache beteiligt wäre, dann würdest du sagen: du willst dich auf etwas einlassen, Cäsar, wo Roguin nicht dabei ist? dann ist die Sache nichts wert. Jetzt tritt er dabei als Garant auf, und nun sagst du . . .«
»Ich denke, das ist Herr Claparon?«
»Aber ein Notar kann doch nicht mit seinem Namen bei einem Spekulationsgeschäft hervortreten.«
»Weshalb macht er denn dann etwas, was das Gesetz verbietet? Was denkst du denn darüber, du, der du doch immer nur nach dem Gesetze handelst?«
»Laß mich doch ausreden. Weil Roguin dabei ist, soll die Sache nicht gut sein. Hat das einen Sinn? Dann sagst du, er macht etwas Gesetzwidriges. Aber er wird schon offen hervortreten, wenn es nötig ist. Ferner sagst du: er ist aber doch schon reich. Kann man nicht von mir dasselbe sagen? Würden vielleicht Ragon und Pillerault zu mir gekommen sein und gesagt haben: Weshalb beteiligst du dich denn, wo du Geld hast wie ein Schweinehändler?«
»Kaufleute und Notare haben nicht die gleiche Position«, sagte Frau Birotteau.
»Mein Gewissen ist hierbei ganz ruhig«, fuhr Cäsar fort. »Die Leute, die verkaufen, tun das, weil sie dazu gezwungen sind; wir betrügen sie ebensowenig, wie man die betrügt, von denen man Renten zu fünfundsiebzig kauft. Heute kauft man die Terrains für den Preis, den sie heute wert sind; in zwei Jahren ist er ein anderer, wie bei den Renten. Und das solltest du wissen, Konstanze Barbara Josefine Pillerault, daß du Cäsar Birotteau niemals auf einer Tat ertappen wirst, die auch nur im geringsten der strengsten Rechtlichkeit, dem Gesetz, dem Gewissen oder dem Zartgefühl widerspricht. Wie kann man jemandem, der seit achtzehn Jahren etabliert ist, in seiner eigenen Familie Unredlichkeit vorwerfen!«
»Nein, Cäsar, nein. Beruhige dich nur. Eine Frau, die so lange an deiner Seite gelebt hat, die kennt dich doch durch und durch. Und schließlich bist du ja der Herr. Du hast doch das Vermögen verdient, also kannst du auch darüber verfügen. Und wenn wir ins äußerste Elend gerieten, weder von mir, noch von deiner Tochter würdest du auch nur ein vorwurfsvolles Wort hören. Aber eins gebe ich dir zu bedenken: als du deine Sultaninnen-Paste und deine Eau Carminative einführtest, wieviel hast du da riskiert? Fünf- bis sechstausend Franken. Heute willst du dein ganzes Vermögen auf eine Karte setzen, und das ist ein Spiel, wo du nicht allein beteiligt bist, sondern wo du Teilhaber hast, die sich als gerissener erweisen können, als du bist. Meinetwegen gib deinen Ball, kauf neue Möbel, das ist zwar überflüssig, das kann uns aber nicht ruinieren. Aber gegen die Sache mit den Terrains an der Madeleine lehne ich mich direkt auf. Du bist Parfümeriehändler, bleibe das, aber werde nicht Terrainhändler. Wir Frauen, wir haben für so etwas ein instinktives Gefühl, das uns nicht täuscht! Ich habe dich gewarnt und nun kannst du ja nach deinem Kopfe handeln. Du bist Handelsrichter gewesen, du kennst die Gesetze, du hast dein Schiff gut gesteuert und ich werde immer mit dir gehn, Cäsar! Aber ich zittere so lange, bis unser Vermögen sicher angelegt und Cäsarine gut verheiratet ist. Gebe der Himmel, daß mein Traum nicht eine Warnung war!«
Diese Unterwürfigkeit war Birotteau peinlich, und er gebrauchte eine unschuldige List, zu der er schon bei ähnlichen Gelegenheiten gegriffen hatte. »Höre, Konstanze, eine bindende Erklärung habe ich noch nicht abgegeben; aber ich habe so gut wie zugesagt.«
»Ach, Cäsar, dann ist es erledigt, reden wir nicht weiter darüber. Erst kommt die Ehre, dann das Vermögen. Und nun geh schlafen, mein Lieber, wir haben kein Holz mehr. Und im Bette werden wir besser reden können, wenn dir das Spaß macht. Ach, dieser scheußliche Traum! Mein Gott, wenn man sich so doppelt sieht! Es ist furchtbar! Cäsarine und ich, wir werden gehörig beten, daß die Terrainsache glückt.«
»Gewiß wird die Hilfe des Himmels nichts schaden«, sagte Birotteau feierlich. »Aber die Nußessenz ist auch eine Macht, mein Kind. Ich habe diese Erfindung wie die der Sultaninnen-Doppelpaste einem Zufall zu verdanken: das erstemal, als ich ein Buch öffnete, diesmal, als ich den Stich von Hero und Leander betrachtete. Du erinnerst dich, wo eine Frau Öl auf das Haupt ihres Geliebten gießt; ist das nicht reizend? Die sichersten Spekulationen sind die auf die Eitelkeit, die Eigenliebe und die Prahlerei. Diese Gefühle werden niemals aussterben.«
»Ach ja, das sehe ich.«
»In einem gewissen Alter sind die Männer, die kein Haar mehr haben, zu allem fähig, um wieder welches zu bekommen. Seit einiger Zeit höre ich von den Friseuren, daß nicht nur das Makassaröl geht, sondern alle Arten von Haarfärbemitteln und von Mitteln, bei deren Anwendung angeblich die Haare wachsen. Seit dem Friedensschlusse sind die Männer viel mehr hinter den Weibern her, und die haben die Kahlköpfe nicht gerne, nicht wahr, mein Liebling? Die Nachfrage nach diesem Artikel erklärt sich also aus der politischen Situation. Ein Mittel, das die Haare gesund erhält, würde abgehen wie warme Semmeln, und um so mehr, da diese Essenz sicher von der Akademie der Wissenschaften approbiert werden wird. Mein lieber Herr Vauquelin wird mich wohl auch dabei wieder unterstützen. Morgen gehe ich hin und unterbreite ihm meine Idee, und dabei werde ich ihm den Stich verehren, den ich nun endlich, nach zweijährigem Suchen in Deutschland, erhalten habe. Er befaßt sich gerade mit der Haaruntersuchung. Chiffreville, der Teilhaber bei seiner Fabrik chemischer Produkte, hat es mir mitgeteilt. Wenn meine Erfindung mit seinen Resultaten übereinstimmt, wird meine Essenz von beiden Geschlechtern gekauft werden. In meiner Idee, ich wiederhole es, steckt ein Vermögen. Ich kann wahrhaftig deshalb nicht schlafen. Glücklicherweise hat der kleine Popinot das schönste Haar, was man sich denken kann. Wenn man dann noch ein Kontorfräulein nimmt, mit Haar, das bis auf die Erde fällt, die, wenn das ginge, ohne bei Gott und Menschen Anstoß zu erregen, sagen könnte, daß das Comagenöl (es wird jedenfalls ein Öl sein) das bewirkt hat, dann werden sich alle Grauköpfe darauf stürzen, wie das Elend auf die Welt. Sag mal, Kleine, und was wird mit unserm Ball? Ich bin nicht bösartig, aber ich möchte gern diesen Kerl, den kleinen du Tillet, dabei sehen, der mit seinem Vermögen großtut und mir auf der Börse immer ausweicht. Er weiß, daß ich etwas, das er gemacht hat, kenne, was nicht schön war. Vielleicht bin ich doch zu gut zu ihm gewesen. Ist es nicht komisch, mein Kind, daß man immer für seine guten Taten bestraft wird, hier auf Erden versteht sich! Ich habe wie ein Vater gegen ihn gehandelt, du weißt gar nicht, was ich alles für ihn getan habe.«
»Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn du nur seinen Namen erwähnst. Wenn du gewußt hättest, was er aus dir machen wollte, hättest du über die gestohlenen dreitausend Franken nicht geschwiegen, denn ich habe erraten, wie die Sache arrangiert worden ist. Hättest du ihn der Polizei angezeigt, dann hättest du vielleicht vielen Leuten einen guten Dienst erwiesen.«
»Was beabsichtigte er denn aus mir zu machen?«
»Ach, nichts. Wenn du heute auf mich hören wolltest, dann würde ich dir den guten Rat geben, Birotteau, deinen du Tillet beiseite zu lassen.«
»Würde man es aber nicht merkwürdig finden, wenn ich einen Kommis, für den ich für die ersten zwanzigtausend Franken, mit denen er sein Geschäft angefangen hat, Bürgschaft geleistet habe, nicht einlade? Geh, laß uns gütig sein um des Guten willen. Übrigens hat sich du Tillet auch vielleicht gebessert.«
»Hier wird ja nun wohl alles drunter und drüber gehen.«
»Was redest du da von drunter und drüber? Alles wird hier wie am Schnürchen gehn. Hast du denn schon vergessen, was ich dir über die Treppe und das Mieten der Räume im Nachbarhause, nach der Abmachung mit dem Schirmhändler Cayron, gesagt habe? Wir müssen beide morgen zu Herrn Molineux, seinem Hauswirt, gehn, und ich habe morgen so viel Geschäfte wie ein Minister . . .«
»Du hast mir mit deinen Projekten den Kopf ganz verwirrt,« sagte Konstanze, »ich finde mich nicht mehr zurecht. Und im übrigen will ich jetzt schlafen, Birotteau.«
»Also guten Morgen«, sagte er. »Höre doch, ich sage dir guten Morgen, denn es ist schon Morgen, mein Liebling. Ach, sie schläft schon, das gute Herz. Ja, du sollst sehr reich werden, oder ich will nicht mehr Cäsar heißen.«