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Lassalle wurde am 11. April 1825 in Breslau geboren, wo nach Eduard Bernstein bis zum Jahre 1848 die Juden nicht einmal formell emanzipiert waren. Das Bewußtsein, von jüdischer Herkunft zu sein, war ihm, ebenfalls nach Bernstein, »eingestandenermaßen noch in vorgeschrittenen Jahren peinlich« »Ferd. Lassalles Reden und Schriften«, mit einer biographischen Einleitung, hrsg. von Eduard Bernstein. Berlin 1892, Bd. I, S. 18.. Nach seinem erst um 1890 veröffentlichten Tagebuch ist es die Qual seiner jüdischen Abstammung, die ihn leitet und die den Schlüssel gibt für sein Leben. Schon als Fünfzehnjähriger schreibt er: »Ich könnte wie jener Jude in Bulwers ›Leila‹ mein Leben wagen, die Juden aus ihrer jetzigen drückenden Lage zu reißen. Ich würde selbst das Schafott nicht scheuen, könnte ich sie wieder zu einem geachteten Volke machen.« Ebd., S. 18. Sein Lieblingstraum ist, »an der Spitze der Juden, mit den Waffen in der Hand, sie selbständig zu machen«. Der Stachel der Torturen, von denen er spricht, drängt ihn, sich um jeden Preis Anerkennung und Geltung zu verschaffen. Alle seine hochfliegenden Pläne gelten der jüdischen Emanzipation. Er führt den sogenannten »Kasettenprozeß« der Gräfin Hatzfeld, führt ihn mit allen Mitteln, Spionage, Bestechung, Klatsch und Schmutz, nur um als jüdischer Ritter einer adligen Dame den Beweis zu liefern, daß das Talent entscheidet, nicht der Geburtsadel eines preußischen Junkers, gegen den der Prozeß sich richtet. Seine Passion, durch außergewöhnliche Unternehmungen zu verblüffen, entspringt einem Heißhunger nach Glanz, Macht und Ruhm.
Einen jüdischen Alkibiades erlebt Deutschland. 1845 tragen ihm Leipziger Weitlingianer ihre Führung an. 37jährig stellt er sich an die Spitze einer Bewegung, mit deren freiwilligem Verzicht auf Genuß, Macht und Ruhm, ja mit deren kommunistischer Intention, von Weitlings christlicher Idee ganz zu schweigen, er nicht das geringste gemeinsam hatte; denn typisch wie sein Ziel, diese Bewegung »zu einem Heerbann für seine hochfliegenden Pläne zu gestalten« Ebd., S. 17. Er prophezeite sogar, daß einmal revolutionäre »deutsche Soldaten- oder Arbeiterregimenter am Bosporus stehen« (Briefe an Carl Rodbertus-Jagetzow, 8. Mai 1863)., ist der Vorwurf, den Marx ihm später machen konnte, er habe das »Kommunistische Manifest« gefälscht oder nicht verstanden.
Er läßt sich von seiner Freundin Hatzfeld phantastische Unterredungen mit Bismarck vermitteln und schlägt ihm, kurze Zeit vor Ausbruch des Krieges von 1866, der als Bruderkrieg keineswegs Aussicht auf Volkstümlichkeit hatte, die Oktroyierung des allgemeinen Wahlrechts und Produktivgenossenschaften mit Staatsmitteln vor, zwei Vorschläge, die einem groben Vertrauensbruch der ihm blindlings ergebenen Arbeiterschaft gegenüber gleichkamen Bernstein, S. 160: »Daß Lassalle im Winter 1863/64 (also zur Zeit der Gründung der Internationale) wiederholte und eingehende Besprechungen unter vier Augen mit dem damaligen Herrn von Bismarck hatte, ist heute über jeden Zweifel sichergestellt. Die langjährige Vertraute Lassalles, die Gräfin Sophie von Hatzfeld, hat es im Sommer 1878, als Bismarck sein Knebelungsgesetz gegen die deutsche Sozialdemokratie einbrachte, aus eigener Initiative Vertretern derselben unter Hinzufügung der näheren Umstände mitgeteilt, und als der Abgeordnete Bebel die Sache im deutschen Reichstag zur Sprache brachte, gab Bismarck Tags darauf zu, Zusammenkünfte mit Lassalle gehabt zu haben, und suchte nur in Abrede zu stellen, daß es sich dabei um politische Verhandlungen gedreht habe. Bebel hatte, gestützt auf die Mitteilungen der Gräfin Hatzfeld, gesagt: ›Es drehte sich bei diesen Unterhaltungen und Unterhandlungen um zweierlei: erstens um Oktroyierung des allgemeinen Stimmrechts und zweitens um die Gewährung von Staatsmitteln zu Produktivgenossenschaften‹.« Lassalles Sympathie für den Machtpolitiker Bismarck ging so weit, daß er, als 1863 die Schleswig-Holsteinische Frage auf die Tagesordnung kam, allen Ernstes entschlossen war, auf einer Hamburger Massenversammlung eine Resolution einzubringen, des Inhalts, Bismarck sei verpflichtet, die Herzogtümer gegen den Willen Österreichs und der übrigen deutschen Staaten zu annektieren. Zur Zeit des Krimkriegs (1857) hatte Lassalle die besten Beziehungen zum preußischen Kabinett und zugleich zu Karl Marx in London, dessen Korrespondent er war.. Seine maßlose Eitelkeit gefällt sich in der Rolle eines Vertrauten Bismarcks, dem er von allen seinen Veröffentlichungen durch das Sekretariat des »Allgemeinen deutschen Arbeitervereins« ein Doppelexemplar in verschlossenem Kuvert mit der Aufschrift »persönlich« senden läßt Ebd., S. 163.; und der Ehrgeiz, Bräutigam eines adligen Fräuleins zu werden, zeigt diesen seltsamen jüdischen Revolutionär bereit, zum Katholizismus überzutreten, bei Ministern zu antichambrieren und junkerliche Duelle auszufechten Bernstein: »Jedes Mittel ist (ihm) recht, das Erfolg verspricht. Spione werden angestellt, die die Familie Dönniges (die Eltern der Braut) beobachten und jeden ihrer Schritte rapportieren müssen. Durch die Vermittlung Hans von Bülows wird Richard Wagner ersucht, den König von Bayern zu veranlassen, zugunsten Lassalles bei Herrn von Dönniges zu intervenieren, während dem Bischof Ketteler von Mainz der Übertritt Lassalles zum Katholizismus angeboten wird, damit der Bischof seinen Einfluß zugunsten Lassalles geltend mache« (S. 176).. Er verwechselt in naivster Weise den äußeren mit dem inneren Adel. Er kennt keine Rücksichten und Hemmungen, wenn seine »Ehre« (bei Junkern!) und seine Karriere (unter Deutschen!) auf dem Spiele steht, und gleichwohl schwuren auf dem »Gothaer Einigungskongress« zwischen Marxisten und Lassalleanern (1875) zwei Drittel der jungen sozialdemokratischen Partei auf seinen Namen. Zu spät verrieten seine Tagebücher das Geheimnis seiner Pläne, in denen das Proletariat nur die Rolle eines von ihm benutzten Instrumentes spielte, die Rolle einer Waffe, mit der er die persönliche Kraftprobe zu liefern gedachte. Man kennt die schmeichelhaften Worte, die Lassalle für die deutschen Arbeiter fand: »Sie sind der Fels, auf welchen die Kirche der Gegenwart gebaut werden soll!« Oder messianisch: »Der deutsche Volksgeist ist die metaphysische Volksidee und seine Bedeutung besteht darin, daß die Deutschen die hohe weltgeschichtliche Bedeutung haben, aus dem reinen Geiste heraus (!) demselben nicht bloß eine reale Wirklichkeit, sondern sogar die bloße Stätte seines Daseins, sein Territorium zu schaffen!« Das erste Zitat aus einer Berliner Rede »Über den besonderen Zusammenhang der Idee des Arbeiterstandes mit der gegenwärtigen Geschichtsperiode« (Frühjahr 1862), das zweite aus einer Festrede »Die Philosophie Fichtes und die Bedeutung des deutschen Volksgeistes«, gehalten am 19. Mai 1862 in der Berliner »Philosophischen Gesellschaft« zum 100jährigen Geburtstage Fichtes (mitgeteilt von Bernstein, S. 103, 105). Auch hier wieder zeigt sich die lebhafte Einwirkung des chauvinistischen Geistes der protestantischen Philosophie. Um so erstaunlicher, wie viel Nachsicht Eduard Bernstein noch 1892 für die delikate Natur der Lassalleschen Verhandlungen mit Bismarck besitzt. Bismarck schrieb zwar 1878: »Was hätte Lassalle mir bieten und geben können! Er hatte nichts hinter sich! In allen politischen Verhandlungen ist das do ut des eine Sache, die im Hintergrunde steht, wenn man auch anstandshalber einstweilen nicht davon spricht«, und er hatte darin recht! Aber ist es, nachdem das »allgemeine Wahlrecht« und die »Sozialgesetzgebung« der proletarischen Opposition die Spitze abbrachen, angebracht, mit fast Lassalleschem Stolz hierauf zu antworten: »Etwas konnte Lassalle ihm immerhin geben. Die Sache war nur die, daß es nicht genug war, um Bismarck zu bestimmen« Bernstein, S. 164. ?
Bismarck charakterisierte Lassalle sehr richtig: »Er war einer der geistreichsten und liebenswürdigsten Menschen, mit denen ich verkehrt habe, ein Mann, der ehrgeizig im großen Stile war, durchaus nicht Republikaner; er hatte eine ausgeprägte nationale und monarchische Gesinnung. Seine Idee, der er zustrebte, war das deutsche Kaisertum, und darin hatten wir einen Berührungspunkt. Ob das deutsche Kaisertum gerade mit der Dynastie Hohenzollern oder mit der Dynastie Lassalle abschließen sollte, das war ihm vielleicht zweifelhaft, aber monarchisch war seine Gesinnung durch und durch.« Mehring, »Geschichte der deutschen Sozialdemokratie«, Bd. III, S. 118. Hierzu bemerkt Mehring, bei diesen Unterredungen sei Bismarck der arme Teufel gewesen und sein Versuch, mit dem Sozialismus Kirschen zu essen (doch wohl Lassalles Versuch, mit Bismarck Kirschen zu essen), habe denn auch damit geendet, daß Bismarck die Steine bekam Ebd., S. 119.. Das ist jedoch eitel Großsprecherei, wie überhaupt die Sozialdemokratie unterm Einfluß des »Idealismus« zur Renommage neigt Man beachte die prunkend militaristischen Kapitelüberschriften, die Mehrings Lassalle-Darstellung begleiten: »Lassalles Feldzugsplan«, »Lassalles Schlachtenplan«, »Die rheinische Heerschau und der Sturm auf die Bastille«. Dabei ist Lassalle zeit seines Lebens nie an der Spitze einer bewaffneten Macht gestanden, wie etwa Mazzini und Garibaldi, noch hat man für ihn und seine Ideen je rebellisch zu den Waffen gegriffen. Mehring selbst gesteht: »Von den Tausenden, die atemlos an Lassalles Lippen gehangen hatten, schrieben sich höchstens Hunderte in die Liste des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ein, und von diesen Hunderten erfüllten kaum Dutzende die Pflichten, die sie damit übernahmen« (III, 141).. Lassalles Schwäche läßt sich nicht bemänteln. Er selbst gesteht: »Ich weiß nicht, trotzdem ich jetzt revolutionär-demokratisch-republikanische Gesinnungen habe wie Einer, so fühle ich doch, daß ich an der Stelle des Grafen Lavagna (in Schillers Fiesko) ebenso gehandelt und mich nicht damit begnügt hätte, Genuas erster Bürger zu sein, sondern nach dem Diadem meine Hand ausgestreckt hätte. Daraus ergibt sich, wenn ich die Sache bei Lichte besehe, daß ich bloß Egoist bin. Wäre ich als Prinz oder Fürst geboren, ich würde mit Leib und Leben Aristokrat sein.« Bernstein, S. 19. Und am Ende seiner Karriere: »Ach wie wenig Sie au fait in mir sind! Ich wünsche nichts sehnlicher, als die ganze Politik loszuwerden. Ich bin der Politik müde und satt. Zwar ich würde so leidenschaftlich wie je für dieselbe entflammen, wenn ernste Ereignisse da wären oder wenn ich die Macht hätte oder ein Mittel sähe, sie zu erobern – ein solches Mittel, das sich für mich schickt (!); denn ohne höchste Macht läßt sich nichts machen.« Ebd., S. 179.
Diese Gesinnung ist keineswegs als vorübergehende Depression oder als Scherz aufzufassen. Sie drückt die Enttäuschung Lassalles über das Mißlingen seiner allerpersönlichsten Machtpläne aus. Sie begleitete Lassalles Leben, und lebte in seiner Partei auch fort nach Lassalles Tode, als seine Testamentsvollstreckerin, eben jene Gräfin Hatzfeld versuchte, die Partei der Regierung in die Hände zu spielen Als Lassalles Verdienst rühmen die deutschen Sozialdemokraten, daß er das »Klassenbewußtsein« der Arbeiter geschaffen habe. Das »Klassenbewußtsein« in Deutschland ist ein euphemistischer Ausdruck für die preußische Militarisierung und Disziplinierung, deren politisches Instrument Lassalle war. Man hat 1866, 1871 und 1914 gesehen, was es mit dem Klassenbewußtsein auf sich hatte. Man sieht heute (November 1918) bei der sogenannten Revolution, wie die Sozialdemokratie bis in die Reihen ihrer Unabhängigen hinein sich als Gendarmerie- und Sicherheitsinstitut bis zur reaktionären Einberufung der Konstituante gebrauchen läßt. Schon 1847 sahen sich Marx und Engels genötigt (in der »Deutschen Brüsseler Zeitung«) gegen den »königlich-preußischen Regierungssozialismus« zu schreiben. 1864 war der »leitende Kopf« des »Sozialdemokrat« (Organ des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, Mitarbeiter Engels, Herwegh, Heß, Marx, Liebknecht) Jean Baptiste von Schweitzer, ein Mann, der von der »bedeutenden Politik« Bismarcks sprach, den »alten Fritz« (Friedrich II.) als »mächtiges Genie« pries und mit seinen Bismarckartikeln den Anschein erweckte, als solle die junge Arbeiterpartei in aller Aufrichtigkeit borussifiziert werden. Ein anderer Nachfolger Lassalles, Bernhard Becker, karikierte noch die persönliche Diktatur Lassalles im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, indem er sich als »Präsident der Menschheit« aufspielte. Und von der Testamentsvollstreckerin Lassalles, jener Gräfin Hatzfeld, berichtet Mehring, daß sie »in ihrer Verblendung die preußische Bundesreform als die Erfüllung von Lassalles nationalem Programm auffaßte, ja daß ihr ganzes patriotisches Treiben seit 1866 darauf hinauslief, den ›Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein‹ zu einem Werkzeug Bismarcks zu machen, mochte sie nun mit dem ›großen Minister‹ in näherer oder fernerer Verbindung stehen und die reichen Geldmittel, die sie aus dem Fenster warf, aus ihrem eigenen Vermögen oder aus anderen Fonds schöpfen«. Was damals aber Bismarck war, ist heute Hindenburg. Bernstein rühmt als das »große, unvergängliche Verdienst« Lassalles –: die Arbeiterschaft »zum Kampfe einexerziert, ihr, wie es im Liede heißt, Schwerter gegeben zu haben«. (S. 185.).
Heines Wort, daß die preußische Regierung sogar von ihren Revolutionären Vorteil zu ziehen weiß, auf Lassalle traf es zu. Lassalle wußte und schrieb an Marx: »Die preußische Justiz scheinst du in einem noch viel zu rosigen Lichte betrachtet zu haben. Da habe ich noch ganz andere Erfahrungen an diesen Burschen gemacht. Wenn ich an diesen zehnjährigen täglichen Justizmord denke, den ich erlebt habe, so zittert es mir wie Blutwellen vor den Augen, und es ist mir, als ob mich ein Wutstrom ersticken wollte!« Mehring, Bd. II, S. 327. Gleichwohl konnte er sich nicht entschließen, resolut mit diesem System zu brechen und sich ins Volk zu werfen, sondern verlangte 1863, als die Annexion Schleswig-Holsteins in Frage stand, Preußen solle mit einem »revolutionären« Entschlusse das Londoner Protokoll zerreißen und die Fetzen den europäischen Großmächten ins Gesicht werfen Ebd., S. 306. Der »chiffon de papier« war also nicht erst Bethmanns Erfindung.. Und vor denselben Richtern, die den »täglichen Justizmord« doch praktizierten, sagte er gelegentlich: »Wie breite Unterschiede Sie und mich auch trennen, das uralte Vestafeuer der Zivilisation, den Staat verteidige ich mit Ihnen gegen jene modernen Barbaren.« Mehring, Bd. III, S. 130. Schon Georg Brandes fand, daß Lassalles Bekenntnis zur revolutionären Demokratie und zugleich zum allgemeinen Stimmrecht des damaligen Preußenstaates ein Widerspruch war, den man »nicht ungestraft in seinem Gemüte hegt«. (»Ferd. Lassalle, ein literarisches Charakterbild«, Berlin 1877.) Das kam von der Hegel- und Fichteschule und vom Optivprotestantentum, dem außer Lassalle auch Heine und Marx verfielen. Lassalle war begeisterter Hegelianer. In seinem »System der erworbenen Rechte« (1861) bezeichnete er die Hegelsche Rechtsphilosophie als den ersten Versuch, das Recht »als einen vernünftigen, sich aus sich selbst entwickelnden Organismus nachzuweisen«, und wenn er auch eine »totale Reformation« der Hegelschen Philosophie verlangte, so wollte er mit seiner Auffassung des Positiven und Historischen »als notwendiger Ausflüsse der jederzeitigen historischen Geistesbegriffe« doch nur erweisen, »daß die Hegelsche Philosophie noch weit mehr recht hatte, als Hegel selbst wußte, und daß der spekulative Begriff noch weitere Gebiete und noch viel intensiver beherrscht, als Hegel selbst erkannt hatte« (Vorwort zum »System der erworbenen Rechte«). Wie viel freier zeigt sich dieser Erstickung des Naturrechts gegenüber die Rechtsphilosophie etwa des Jesuiten Victor Cathrein und anderer katholischer Rechtslehrer des 19. Jahrhunderts, die weit davon entfernt, das Ideal darzustellen, aber auch ohne den Anspruch, revolutionär zu sein, der positivistischen Verflachung entgegenarbeiteten. (Vgl. Victor Cathrein S. J., »Die Grundlagen des Völkerrechts«, Ergänzungshefte zu den »Stimmen der Zeit«, Kulturfragen, Heft 5.)
Als 1866 dann der Krieg mit Österreich bevorstand, erklärte Bebel als Opponent in einer Versammlung von Fortschrittlern und Nationalvereinlern, die ihre Bedenken vorbrachten: man solle doch nicht so furchtsam sein; aus dem Krieg könne etwas ganz anderes hervorgehen, als die Kriegführenden dächten. Was sollte wohl daraus hervorgehen? Die Revolution oder ein kaiserliches Großdeutschland? Der »Sozialdemokrat«, das Organ des »Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins« bot Preußen ein Bündnis an zur Herstellung eines »freien und einigen Deutschland«. J. B. von Schweitzer, jener Nachfolger Lassalles, den seine deutschen Genossen im Auslande selbst als Spion Bismarcks verschrien, betonte nach Mehring »namentlich, daß er und die Arbeiter seiner Richtung dem Auslande gegenüber auf preußischer Seite ständen« Mehring, Bd. III, S. 288.. Von den beiden damaligen Fraktionen warfen die »Lassalleaner« den »Eisenachern« vor, es sei ihnen mit dem proletarischen Klassenkampf nicht ernst, sie seien »Halbsozialisten«; die Eisenacher aber rächten sich, indem sie in ihrem »Volksstaat« schrieben: »Wäre Lassalle nicht von selbst gekommen, so hätte Bismarck ihn erfinden müssen.« Ebd., Bd. IV, S. 63. Erst auf dem »Gothaer Einigungskongreß« (22.–27. Mai 1875) fand die Verschmelzung der beiden Fraktionen zur Sozialdemokratischen Partei statt. Die Konfusion des Gothaer Programms zeigt sich übrigens darin, daß es zugleich eine revolutionäre Forderung erhob (den »vollen Arbeitsertrag«), und eine bürgerliche Reform verlangte (»durchgreifende Arbeiterschutzgesetzgebung«), also den bestehenden Staat anerkannte. Die großen Ideenkämpfe der 1. Internationale (1864–1874) hatten nach Mehrings Zeugnis »gar nicht oder so gut wie gar nicht« eingewirkt. Die Gräfin Hatzfeld hatte mit ihrer »stets gefüllten Kriegskasse« (etwa seit 1868) die Hauptagitatoren der Partei gewonnen, während Schweitzer die Arbeiterbewegung »in die breiteren und freieren Bahnen des Kommunistischen Manifestes« führte. Marx selbst hatte bis dahin bei seiner unpopulären, schwerverständlichen Schreibweise nur auf einige Führer gewirkt, mit denen er in persönlicher Korrespondenz stand. Überhaupt kümmerten sich ja Marx und Engels, die in London thronenden Parteipäpste, nach Eduard Bernstein »immer nur um die Weltrepublik und die Revolution; was aus Deutschland wurde, war ihnen ganz egal«. (S. 47.) Die Führer der französischen, jurassischen, belgischen, italienischen und spanischen Internationale fanden das Reformprogramm der deutschen Sozialdemokratie verächtlich, deren Prinzipien verworren, deren Führer indiskutabel. Das änderte sich erst um 1870 herum, als Marx, nach den deutschen Siegen, auf der Londoner Konferenz plötzlich mit der politischen Wahlaktion und als Diktator der Internationale im Namen des nach Deutschland verlegten »Schwerpunktes der Arbeiterbewegung« aufzutreten versuchte. (Haager Kongreß, 1872.) Jetzt beschäftigte man sich prinzipiell mit den deutschen Doktrinen, und der Erfolg war die Verabschiedung des deutschen Generalrats von London nach New York.
Lassalle versuchte, mit der protestantisch-liberalistischen Tradition ein Arrangement zu treffen. Das verlieh seinen Argumenten eine gewisse Basis und Kraft, seinem Enthusiasmus Schwung. Einen Ausgleich seiner Aspiration und Begabung scheint er empfunden zu haben im Attachement an Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen, jene beiden ritterlichen Oppositionelle des 16. Jahrhunderts, die Luther ein Bündnis anboten wider den Papst und für ein einiges Deutschland; und eine sympathetische Vorliebe für Fichte und Hegel, die spekulativen Machiavellisten. In einem Versdrama »Franz von Sickingen« (1859) zeigt dieser buntscheckige »Sozialist« sich als all das, was er nicht hätte sein dürfen, wenn er als Rebell für die Freiheit auftrat; zeigt er sich als Vernunftapologet, Schwertapostel und Monarchist.
»Ehrwürdiger Herr! Schlecht kennt Ihr die Geschichte, Ihr habt ganz Recht, es ist Vernunft ihr Inhalt«, läßt er sich hegelianisch vernehmen. Oder: nachdem er Oekolampadius (ist das ein Pseudonym für Weitling?) von der Entweihung der Liebeslehre durch das Schwert hat sprechen lassen, bringt er einen »Panegyrikus auf das Schwert«, an dem Bismarck und die Pangermanisten aller Zeiten ihre helle Freude haben konnten, und der schließt:
»So vor- wie seitdem ward durchs Schwert vollendet
Das Herrliche, das die Geschichte sah, Und alles Große, was sich jemals wird vollbringen, Dem Schwert zuletzt verdankt es sein Gelingen.« Bernstein, S. 35. |
Eine hübsche Prophezeiung von 1871 und eine Prophezeiung noch des Herrlichen, dessen liquidierende Zeugen wir heute geworden sind. Daß Bismarck aber in seiner Tagebuchnotiz den Nagel auf den Kopf traf, wenn er diesen Mann keinen Republikaner, sondern einen Monarchisten nannte, bestätigen die Worte Sickingens zu Hutten:
»Was wir wollen – – – – – – – – – – – – – –
Das ist ein ein'ges, großes, mächtiges Deutschland, – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Und machtvoll auf der Zeit gewalt'gem Drang Gestützt, in ihrer Seele Tiefen wurzelnd Ein – evangelisch Haupt als Kaiser an der Spitze Des großen Reichs.« Ebd., S. 38. |
Monarchisten mögen in Frankreich Gründe anführen, die diskutabel sind. Das französische Königtum hat der Welt Jeanne d'Arc und die französische Literatur geschenkt. In Deutschland dürfte es etwas mehr Anstrengung kosten, der Monarchie Geschmack abzugewinnen. Stellt sich aber an die Spitze eines Weitlingianerklubs ein streberischer Aventurier, ohne die Prinzipien seiner ersten Anhänger auch nur zu diskutieren, so sollten sozialistische Geschichtsschreiber endlich auch in Deutschland die Jugend aufmerksam machen, daß leider ein Pseudorebell einer der frühesten Führer gewesen ist.
Hatte Lassalle eine deutsche Tradition für sich, so ist es typisch für Marx, daß er mit ihr brach und im französischen und englischen Ausland neue Prinzipien suchte. Der jüdische Emanzipationskampf findet in Marx einen Vertreter von ungleich tieferer, grundsätzlicher Bedeutung. Fast hat es den Anschein, als sei das Judentum in der Figur Marxens aufgehoben. Das ist jedoch nur eine Täuschung.
Marx begann als Student der Rechtswissenschaften und der Philosophie. 1842 trug er sich noch mit der Absicht, sich als Dozent für Philosophie zu habilitieren. Als seinem Freunde und Studiengenossen, dem Theologen Bruno Bauer die venia legendi entzogen wird, geht Marx 24jährig als Redakteur der »Rheinischen Zeitung« in den Journalismus über.
Das jüdische Problem tritt bei Marx nicht nur tiefer und energischer, sondern auch differenzierter und in größerem Umriß zutage als bei Lassalle. Es darf nicht nach seinen einzelnen Äußerungen und Werken beurteilt werden, es ergibt sich nur aus dem Zusammenhang seiner Persönlichkeit mit der geistigen und politischen Situation seiner Zeit, ja seines Jahrhunderts. Die Sympathien und Antipathien Marxens entscheiden dabei oft mehr als sein persönliches Geständnis, und man würde das Werk dieses Mannes, der einer der verantwortlichsten Führer der Nation wurde, sehr unterschätzen, wenn man seine Prätention mehr im Auge behielt, als den politischen Umkreis, in den er sich stellte.
Mit ungestümem Temperament tritt Marx zur Zeit Jungdeutschlands auf. Erst völlig im Banne der Hegelschen Doktrinen, deren talmudistische Dialektik, deren theologischen Autoritätsglauben und abstrakte Subordinationsmethode er nie bezweifelte, ist er bemüht, unter Bauers und Feuerbachs Einfluß mit Hegelschem Werkzeug eine realistische Antithese gegen die Hegelsche Philosophie aufzustellen: eine Welt schonungsloser Verneinung sowohl auf politischem wie auf ökonomischem und religiösem Gebiet; eine Welt der Materialität gegen die theologisch-idealistische Theodizee; eine Welt der Revolte gegen den verhätschelten Staat; des Wissens gegen den Glauben, des Proletariats gegen die Bourgeoisie. Sein doktrinärer Widerspruch, sein gewollt antithetisches System zwangen ihn zu Gewaltsamkeiten und Gegensätzen, die heute nicht mehr aufrecht zu erhalten sind. Gegensätze wie Materialität und Idealismus, Wissen und Glauben, Proletariat und Bourgeoisie gibt es kaum mehr in solch schneidender Schärfe wie Marxens Methode sie vortrug. Auch schätzen wir nicht mehr Kritik für Kritik und die Negation um ihrer selbst willen. Aber das Nein auf das Ja, der Widerspruch, der als Rebellentum galt, war immerhin neu und von Wert einer Zeit gegenüber, die mit stets schmunzelndem Wohlgefallen sogar noch den Abgrund bewundern konnte.
Die »Deutsch-Französischen Jahrbücher« zeigen den Jüngstdeutschen Marx als ebenso scharfsichtigen wie selbstbewußten Kämpfer. In politischer Hinsicht zeigte er sich radikal in einem Maße, daß eine Steigerung kaum mehr denkbar war. Neben den heftigsten Ausfällen gegen die Monarchie findet sich eine fast zynische Verachtung aller derer, die sich beherrschen lassen. Der »Philisterstaat« Friedrich Wilhelms IV. ist es, dem unter offenbarer Nachwirkung romantischen Geniekultes sein ganzer Haß und Abscheu gilt. »Die Philisterwelt ist die politische Tierwelt, und wenn wir ihre Existenz anerkennen müssen, so bleibt uns nichts übrig, als dem status quo einfacherweise recht zu geben.« »Dem Philister gehört die Welt, um so genauer müssen wir diesen Herrn der Welt studieren. Es hindert uns also nichts, unsere Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen.« Aus Briefen des jungen Marx mitgeteilt von Fritz Brupbacher, »Marx und Bakunin«, S. 13.
Louis Blanc hatte recht, wenn er sagte, das sei ein löblicher Vorsatz. Aber hat Marx ihn befolgt? Hat er den »Herrn der Welt«, den Philister, studiert? Er analysierte die Anfänge Friedrich Wilhelms als den Versuch eines gescheiten Monarchen, den Philisterstaat auf seiner eigenen Basis aufzuheben, einen Versuch, der scheiterte und zum alten Diener- und Sklavenstaat zurückführte. Aber er glaubte dann, das Philistertum bestehe nur im Besitz, und die Säkularisation der Privilegien durch das Proletariat beseitige auch das Philistertum, und diese rein ökonomische Auffassung des »Bourgeois«, die die Ideologie unterschätzte, die übersah, daß nur der Verzicht auf den Besitz die moralische Macht hat, das Philistertum aufzuheben, wurde sein Evangelium. So trieb er die Analyse der Bourgeoisiemacht, des Kapitals, bis zur Auflösung und rührte doch im geringsten nicht an jenen »Schlaf der Welt«, vor dem Hebbels Kandaules Jahrzehnte später noch warnte; nicht im geringsten an die eigentlichen, ideologischen Ursachen des deutsch-österreichischen Philisterstaates, dessen tausendjährige Dornröschentradition sich keineswegs dem Besitz, sondern den spezifisch deutschen Lastern der geistigen Trägheit und Trunkenheit, und dem moralischen Quietismus mittelalterlicher Dogmen verdankte, unter denen das Heilige Römische Reich Deutscher Nation seit Olims Zeiten verwahrlost und brach lag. Wie konnte man ernsthaft von einer politischen oder sozialen Revolution sprechen, ehe das religiöse Philisterium zu Bewußtsein gebracht war? Ehe das Märchen vom toten, gekreuzigten Gotte beseitigt war, und die göttliche Aktivität wieder aufstand? Erst Schopenhauer und Nietzsche haben bei uns die Kritik des Moral-Philisteriums zu schreiben versucht. Ein Programm aber wie das damalige Marxens: »Selbstverständigung der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche« mußte notwendig an der Oberfläche bleiben, solange es unter »Kämpfen« nur die wirtschaftlichen Klassenkämpfe und unter »Wünschen« nur die Aufteilung der Genüsse verstand. Es bedurfte ganz anderer als kritischer Mächte, die gesamte Welt aus dem Schlafe zu rütteln, ehe heute an ihre Änderung geschritten werden kann, und dies ist der Grund, weshalb nur ein Lärmen blieb, was da so aufgeregt vor Bismarcks Zeiten nach Revolution schrie.
Das eine sah Marx, daß Deutschland hinter den anderen Staaten unendlich weit zurückblieb. Er fand, Deutschland sei längst noch nicht dort angelangt, wo Frankreich schon vor 1789 stand; sah, daß Deutschland zwar keine moderne Revolution mitgemacht, dafür aber die Restaurationen aller anderen Völker geteilt habe. »Ich gebe zu, sogar die Scham ist in Deutschland noch nicht vorhanden; im Gegenteil, diese Elenden sind noch Patrioten.« »Die Deutschtümelei ist sogar in die Materie gefahren; während das Problem in Frankreich und England lautet: Politische Ökonomie oder Herrschaft der Sozietät über den Reichtum, lautet es in Deutschland: Nationalökonomie oder Herrschaft des Privateigentums über die Nationalität.« »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«, Deutsch-Französische Jahrbücher, S. 75 ff. Einzig die Philosophie, und zwar die Hegelsche findet Anerkennung. Sie ist ihm »die einzige, mit der offiziellen modernen Gegenwart al pari stehende deutsche Geschichte« Ebd., S. 77.. Das war die Hegelsche Philosophie zwar nicht, wenigstens wurde sie in Paris nicht al pari anerkannt, und Paris entscheidet nun einmal über den letzten Wert von Philosophien. Aber sie bot immerhin die Möglichkeit eines antithetischen Systems der Un-Vernunft, das, in Hegelschen Maßen aufgestellt, al pari mit der historischen Entwicklung Europas hätte stehen können Die Universalität der Vernunft war die Hauptthese Hegels. Ein System der universalen » Unvernunft« wäre die eigentliche Antithese gewesen. , und wenn weder Marx noch Bauer, noch Feuerbach ein solches System lieferten, so blieb ihnen als doktrinären Atheisten, Materialisten und Anthropomorphisten das Verdienst, zwar die englische und französische Aufklärung von Grund aus zu verstehen, nicht aber den neuen christlichen Geist, den in England und Frankreich das Elend des Proletariats wachrief. Marx irrte sich genau wie Heine, wenn er, von Hegel und Feuerbach erfüllt, die protestantische Philosophie als Ausgangspunkt einer Revolution überschätzte. Nicht nur, daß die politische Situation in Deutschland, zerrissen und zerspalten wie sie war, in keiner Weise die französische und englische Parallele ertragen konnte. Philosophien und Systeme haben selbst heute noch im deutschen Volk gar keine Wurzel. Anzunehmen also wie Marx, die Theorie der Philosophie werde die Massen ergreifen und dadurch Macht gewinnen »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«, S. 85., hieß leere Versprechungen machen oder sich täuschen.
Aufschlußreicher als die Stellung zur Nation und zur Philosophie ist die Stellung des jungen Marx zur Religion. Sie führt ihn in einer Polemik mit Bauer zum jüdischen Problem und zwingt ihn, seine innersten Überzeugungen zu formulieren. Ein Aufsatz »Zur Judenfrage« in den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« ist für die Beurteilung Marxens von größter Wichtigkeit. Bauer hatte in seiner »Kritik der evangelischen Geschichte« (1841) hervorgehoben, daß der Weltherr in Rom, der alle Rechte repräsentiere, der Leben und Tod auf seinen Lippen trage, an dem Herrn der evangelischen Geschichte, der mit einem Hauch seines Mundes den Widerstand der Natur bezwinge oder seine Feinde niederschlage; der sich schon auf Erden als den Weltherrn und Weltrichter ankündige, einen feindlichen Bruder zwar, aber einen Bruder habe Mehring, »Geschichte der deutschen Sozialdemokratie«, Bd. I, S. 127.. Bauers Kritik streifte bereits bedenklich den alttestamentarischen Obrigkeitsgott Jehova, den rächenden, strafenden Judengott, Ludwig Feuerbach vollends analysierte im »Wesen des Christentums« (1841) die jüdische Religion als die Religion des selbstischen Interesses. »Die Juden haben sich in ihrer religiösen Eigentümlichkeit bis heute erhalten. Ihr Prinzip, ihr Gott ist das praktischste Prinzip der Welt –, der Egoismus, und zwar der Egoismus in der Form der Religion. Der Egoismus ist der Gott, der seinen Diener nicht zuschanden werden läßt. Der Egoismus ist wesentlich monotheistisch, denn er hat nur eines, nur sich zum Zwecke. Der Egoismus sammelt, konzentriert den Menschen auf sich, aber er macht ihn theoretisch borniert, weil gleichgültig gegen alles, was nicht unmittelbar auf das Wohl des Selbst sich bezieht.« Ebd., S. 130. Und wiederum meinte Bauer, solange die Juden Juden blieben, könnten sie nicht emanzipiert werden; das aber sei für die Juden, die sich von jeher dem geschichtlichen Fortschritt widersetzt und in ihrem Hasse aller Völker sich das abenteuerlichste und beschränkteste Volksleben geleistet hätten, deren Religion tierische Schlauheit und List sei, außerordentlich schwer, wenn nicht unmöglich Ebd., S. 131..
Durch solche Kritik und Betrachtung war die jüdische Religion und Absonderung tief kompromittiert, und so findet sich in Marxens Polemik mit Bauer jener verzweifelte Sprung aus der Tradition seiner Väter, den Marx mit dem Satze unternimmt: die Kritik der Religion sei die Voraussetzung aller Kritik. Ohne die humanistisch sich neigende Haltung Feuerbachs einzunehmen, der die jüdischen Elemente des offiziellen Christentums abzulösen gedachte mit erlöster Liebe des Menschen zum Menschen, also mit dem Neuen Testament, warf Marx die Religion als Kategorie beiseite wie ein verbrauchtes Gewand, ohne in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die er ja ebenfalls später für Phrasen erklärte, einen Ersatz zu finden. Die Religion ist ihm jetzt »die phantastische Verwirklichung des Menschen«, »das Opium des Volkes«, denn in der Religion »kommt das menschliche Elend zum Ausdruck, und durch sie wird gleichzeitig das Bewußtsein eingeschläfert«; die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«, Deutsch-Französische Jahrbücher, S. 72. Es ist dieselbe Verwechslung von Religion und Mißbrauch der Religion, Verwechslung der zeitlichen Form mit der ewigen Idee, die auch drei andere große Feuerbachschüler (Stirner, Bakunin und Nietzsche) als resolute Anthropomorphisten und bewußte oder unbewußte Protestanten das Kind mit dem Bade ausschütten ließ. »Der Protestantismus«, sagt Masaryk, »hat aus Gott einen Menschen gemacht: Christus der Mensch ist der Gott des Protestantismus.« Und leider glaubte auch er 1899 noch, daß der Protestantismus durch seine »praktische Negation Gottes« das Denken gekräftigt habe, »bis sich schließlich in ihm die Philosophie kundtat«. (Th. G. Masaryk, »Die philosophischen und soziologischen Grundlagen des Marxismus., S. 24.). Aber nicht genug damit. Marx wendet sich gegen die ebenfalls kompromittierte ökonomische und egoistische Voraussetzung dieser Religion, den »weltlichen Grund des Judentums, den Schacher« und dessen »weltlichen Gott, das Geld« »Zur Judenfrage«, Deutsch-Französische Jahrbücher, S. 209.. Er zeigt im Judentum ein »allgemeines, gegenwärtiges, antisoziales Element«, das um so gefährlicher geworden sei, als auch das Christentum sich wieder in das Judentum aufgelöst habe und der praktische Christ wieder Jude geworden sei. Er trifft auf die »chimärische Nationalität des Juden«, die Nationalität des Geldmenschen und Kaufmanns, und gelangt am Ende dieser Selbstzerfleischung zu dem Schlusse: »Die gesellschaftliche Emanzipation der Juden ist die Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum.«
Für diese Untersuchung ist es wichtig, festzustellen, daß also Marxens Kritik des Kapitals seiner eigenen Auffassung nach ursprünglich eine Kritik des Judentums darstellen soll, und es ist wichtig, zu betonen, daß sein Aufsatz »Zur Judenfrage« von 1844 nicht nur das religiöse, sondern auch das ökonomische Problem im Hinblick auf die politische Emanzipation der Juden behandelt. Seine Irreligiosität und sein Auftreten gegen das Kapital sind Opfer des Juden, der, da er seine eigene Religion und die Finanzwut seiner Rasse zu opfern gezwungen ist, jegliche Religion und jegliches Eigentum geopfert wissen will Die superlativische Neigung, überall ins Extrem zu verfallen und sich zu berauschen an der eigenen Leidenschaft, Verzweiflung oder Radikalität, eignet nicht nur dem orientalischen Judentum, sie eignet allen Egozentrikern und Absolutisten. Bei Kleist und Wagner findet sich dieser überbietende, sich selbst und den Gegenstand zerfleischende Geist, ganz besonders auch bei Lassalle, der, als er Österreich als reaktionäres Prinzip einmal erkannt hatte, auch wollte, daß der Staatsbegriff Österreich »zerfetzt, zerstückt, vernichtet, zermalmt, in alle vier Winde zerstreut« werde..
Einen Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament erkennt Marx nicht an. Ein gegen den Staat gerichtetes oder wenigstens außerhalb des Staates konstituiertes Christentum im Sinne Weitlings und Tolstois liegt ihm ganz fern. Die Trennung von Kirche und Staat, ohne beide einander entgegenzusetzen, genügt ihm. Und so versucht er, uns glauben zu machen, daß »dort, wo der Staat ein politischer Staat ohne Staatsreligion ist«, die Judenfrage »gänzlich ihren theologischen Charakter verliert und zu einer weltlichen Frage wird« »Zur Judenfrage«, S. 198..
Die Frage: wie sollen die Juden weiterhin »emanzipiert«, wie soll das Vorurteil gebrochen werden, das gegen sie besteht, führt ihn begeistert zum Kommunismus, dem er eine streng materielle, Religion und Moral zerstörende Wendung gibt. Er ist geschickt genug, sich nicht nur gegen die privilegierte Religion, den »christlichen Staat« (und zwar leider mehr gegen die Christlichkeit als gegen den Staat) zu wenden, sondern auch gegen das privilegierte Kapital. Er hofft, als ob solcher Optimismus nicht sträflich wäre, innerhalb Preußens und der gemeinsamen Staatsidee die Elemente eines neuen Staates vorbereiten zu können, in dem die Wissenschaft die Theologie ablöst und der Gelehrte den Rabbi Es lassen sich gewiß Dokumente anführen, nach denen sich Marx prinzipiell gegen jeden Staat ausspricht. Masaryk hat sie zusammengestellt. (»Die Grundlagen des Marxismus«, Seite 390–394.) Sie stammen aus der Zeit von 1848 und bekämpfen unter dem Einfluß Feuerbachs und Proudhons mit demselben Temperament den »Christlichen Staat«, die Theokratie (siehe Deutsch-Französische Jahrbücher, S. 187 und 207), wie Marx unter dem Einflusse Hegels vorher im Staat den »eigentlichen Führer der Gesellschaft« sah. Bereits im »Kommunistischen Manifest« von 1847, unterm Einflusse Louis Blancs, kommt er wieder zum Staat zurück (Staatssozialismus und Eroberung der politischen Macht), ohne zu berücksichtigen, daß die preußische Staatsidee mit der französischen weder nach Stabilität noch nach Abscheulichkeit verglichen und gleichgesetzt werden kann. Enttäuschung der Jahre 1848/49 bestärkt ihn in seinen politischen Anschauungen, und die deutschen Siege von 1870/71 lassen ihn sogar das Wahlsystem befürworten. Man muß sich hüten, diese verschiedenen Marxe durcheinander zu werfen oder aus der wissenschaftlichen Aufzählung der einzelnen Widersprüche eine Art arithmetisches Mittel zu ziehen. Marx war ein großer Eklektiker, ein riesig aufsaugender Schwamm fremder Ideen. Was er in Frankreich als besonders radikal und aussichtsvoll kennenlernte, das akzeptierte er für sein System, ohne den relativen Stand der deutschen Entwicklung in Betracht zu ziehen..
So wie die Reformation theoretisch begonnen wurde, soll auch die Revolution der Zukunft theoretisch begonnen werden. Vom Proletariat, und zwar von dem durch die Fabrik schon halb militarisierten Fabrikproletariat, soll diese Revolution ausgehen. Das Proletariat wird das Kapital und die Produktionsmittel säkularisieren; das atheistische Proletariat wird mit der Religion die Judenfrage wegräumen und zugleich die Geldwirtschaft. Die Vergewaltigung ist nicht die Fabrik, die Maschine, die Entpersönlichung durch Akkordarbeit, sondern nur die Usurpation dieser Abstrakta durch ein noch abstrakteres Abstraktum, das privilegierte Kapital, das Geld.
Marx entfaltet eine fieberhafte wissenschaftliche Tätigkeit. Proudhons Kritik des Eigentums wird eine »Art Offenbarung« für ihn. Babeuf und Owen, Saint-Simon und Fourier lösen Hegel ab. Noch schreibt er in Briefen: »Ich bin nicht dafür, daß wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. Wir müssen den Dogmatikern nachzuhelfen suchen, daß sie ihre Sätze sich klar machen« Brupbacher, »Marx und Bakunin«, S. 14., und doch schreibt er auch schon, daß die religiösen und politischen Fragen in die »selbstbewußte menschliche Form« gebracht werden sollen. Noch findet er, »der Kommunismus, wie ihn Cabet, Dezamy und Weitling etc. lehren, ist eine dogmatische Abstraktion« Ebd., S. 14 f., und doch wird er später unduldsamer als der Papst gegen Andersgläubige. Während das Proletariat in Deutschland »erst durch die hereinbrechende industrielle Bewegung zu werden beginnt«, gelangt er bereits zur Auffassung, daß die politische Ökonomie, und sie allein, die Analyse der bürgerlichen Gesellschaft ermöglicht und sieht er in der grobmateriellen Produktion die Geburtsstätte für alle Geschichte »Herr Vogt«, S. 35..
Seltsam genug: dieser Revolutionär ohne revoltierbare Nation hat ein Interesse an der industriellen Zentralisierung, weil sie ein deutsches Proletariat schaffen wird, und auf diesen Zustand arbeitet er hin, weil er ein zentralisiertes Proletariat braucht für die Emanzipation, die er träumt. So wird er nach Brupbachers treffendem Wort der »ökonomische Psychoanalytiker« und »technische Verstand« der Arbeiterbewegung, und obgleich ihm die französischen und englischen Klassenkämpfe viel mehr Voraussetzungen liefern als die deutschen, empfindet er besonders seinen französischen Lehrern gegenüber doch nur wenig Dankbarkeit, ja sogar eine gewisse Feindschaft Siehe seine Polemik mit Proudhon, »Das Elend der Philosophie«, Brüssel 1847.. Das rein intellektuelle Interesse steht im Vordergrund, nicht die Liebe. Der Ehrgeiz, Autorität und Führer zu sein, diktieren ihm, nicht das Herz und der Glaube an Menschenrechte Die Anerkennung der Menschenrechte ist ihm, nach Mehring, »nichts anderes als die Anerkennung des egoistischen bürgerlichen Individuums (!) und der zügellosen Bewegung der geistigen und materiellen Elemente. Die Menschenrechte befreien den Menschen nicht von der Religion (!), sondern geben ihm die Religionsfreiheit; sie befreien ihn nicht vom Eigentum, sondern verschaffen ihm die Freiheit des Eigentums; sie befreien ihn nicht vom Schmutze des Erwerbes, sondern verleihen ihm vielmehr die Gewerbefreiheit. Die Anerkennung der Menschenrechte durch den modernen Staat hat keinen anderen Sinn als die Anerkennung der Sklaverei durch den antiken Staat.« (»Geschichte der deutschen Sozialdemokratie«, Bd. I, S. 175.). Wohlgefallen am eigenen Geist ersetzt ihm die Religion, und für den Stachel des Apostatentums rächt er sich durch eine hämisch-sarkastische, mitunter wohl auch perfide Polemik, wenn er im Allerheiligsten, seiner Eitelkeit, sich verletzt fühlt Bakunin behauptet (ich glaube in einem Brief an Morago): die Tatsache, daß er Marxens »Kapital« nicht sofort nach Erhalt lobte, habe genügt, ihm die heftige Ungnade Marxens einzutragen. – Das »Kapital« erschien 1867, das erste öffentliche Rencontre zwischen Marx und Bakunin ereignete sich 1868 auf dem Kongreß zu Basel. Bakunin war der erste, der das »Kapital« und das »Kommunistische Manifest« ins Russische übersetzte. .
Weitlingianer und Buonarottisten sind es, an deren Spitze er, aus Paris vertrieben, 1845 in Brüssel tritt. So paradox die Berufung Lassalles durch Anhänger Weitlings war, so paradox ist es, daß die konspiratorische Führung des kommunistischen Handwerkervereins in Brüssel gerade an Marx übergeht. »Weißt du«, plaudert er 1848 in Berlin, »ich stehe jetzt an der Spitze einer so wohldisziplinierten sozialistischen Geheimgesellschaft, daß, wenn ich einem ihrer Mitglieder sagen würde: töte Bakunin, er dich töten würde.« Nettlau, »Michael Bakunin«, Bd. I, S. 93. Weitlings Urchristentum mit der unendlichen Bedeutung des Individuums und der Freiheit, abgelöst von einem abstrakt subordinierenden und herrschsüchtigen jüdischen Gelehrten hier, von einem ehrgeizigen jüdischen Flagellanten dort! Beide aber als Staatsdoktrinäre und Wissenschaftsabsolutisten Hegelscher Provenienz in tiefem inneren Widerspruch mit dem Brüderbewußtsein, wie es in den Weitlingschen Zirkeln der vierziger Jahre im Aufleben begriffen war Es waren Halbwahrheiten, wenn Marx damals in der »Deutschen Brüsseler Zeitung« schrieb: »Die sozialen Prinzipien des Christentums haben die antike Sklaverei gerechtfertigt. Die sozialen Prinzipien des Christentums predigen die Naturnotwendigkeit einer herrschenden und einer unterdrückten Klasse. Die sozialen Prinzipien des Christentums erklären alle Niederträchtigkeiten der Unterdrücker gegen die Unterdrückten entweder für gerechte Strafe der Erbsünde oder sonstiger Sünden. Die sozialen Prinzipien des Christentums predigen die Feigheit, die Selbstverachtung, die Erniedrigung, die Unterwürfigkeit, die Demut, kurz alle Eigenschaften der Canaille. Die sozialen Prinzipien des Christentums sind duckmäuserisch, und das Proletariat ist revolutionär.« Diese Sätze trafen auf die protestantische und katholische Theokratie, nicht aber auf die sozialen Prinzipien des Christentums zu, wie Münzer, Cabet, Weitling sie neu formulierten, und wie Marx sie wohl gut genug kannte, um einen Unterschied gelten zu lassen. Marxens antichristliche Aktion geht irrtümlicherweise von der Voraussetzung aus, daß die Analyse des Bewußtseins, das sogenannte »Wissen«, die Religion und den Glauben ausschließt. Über seinen Bruch mit Weitling vgl. Mehring Bd. I, S. 330: »Der utopistische Dünkel Weitlings (!) war nicht mehr zu kurieren, und so blieb nichts übrig, als der Entwicklung des Proletariats diesen Hemmschuh aus dem Wege zu räumen.« Hat je ein dreisteres Jakobinertum im Reich des Gedankens existiert?!
Das Wissen, wo es als höchstes Prinzip auftritt, tötet notwendig den Enthusiasmus, den Geist und jenen aus irrationalen Quellen fließenden menschlichen Instinkt, der für die Konflikte die einfachste Lösung findet. Das Wissen multipliziert die Probleme, die Begeisterung löst und vereinfacht sie. Das Wissen lähmt und verwirrt, die Begeisterung stärkt und befreit. Das Wissen wird unter Marxens Führung zum Tabernakel des Weltgeistes, dessen erhabener Besitzer Karl Marx der Stifter wird einer Doktrin, an der so wenig gerüttelt werden darf, wie am allein seligmachenden Glauben der katholischen Kirche.
Hieß es bei Weitling noch: »Wir armen Sünder glauben auch alle an Gott, obwohl wir nicht viel davon sprechen und selten zu ihm beten; was aber wissen wir von Gott? Nichts« »Evangelium der armen Sünder«, S. 12., so ist jetzt die Losung: »Selbstverständigung der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche.« Brupbacher, S. 16. Hieß es bei Weitling noch: »Christus ist ein Prophet der Freiheit, seine Lehre ist die der Freiheit und Liebe. Dieser Christus muß uns armen Sündern Freund und Bruder sein, kein übernatürliches, undenkbares Wesen, sondern wie wir, denselben Schwächen unterworfen« »Evangelium der armen Sünder«, S. 17., so wurde nun aus dem in 20 Sprachen auf der Londoner Mitgliedskarte des kommunistischen Arbeitervereins stehenden Motto »Alle Menschen sind Brüder« die Parole »Proletarier aller Länder, vereinigt euch« Mehring, Bd. I, S. 207, bemerkt hierzu: »Die Fahne des wissenschaftlichen Kommunismus war aufgepflanzt.« Aber James Guillaume weiß es besser: »Es ist nicht wahr, daß die Internationale eine Schöpfung von Karl Marx war. Er war an den vorbereitenden Arbeiten, 1862 bis September 1864, durchaus nicht beteiligt. Er schloß sich der Internationale an, als sie soeben durch die Initiative englischer und französischer Arbeiter zustandegekommen war. Wie der Kuckuck kam er und legte sein Ei in ein fremdes Nest. Sein Plan vom ersten Tage an war, aus der großen Arbeiterorganisation ein Instrument seiner persönlichen Ansichten zu machen.« (»Karl Marx Pangermaniste«, S. 11.) Nicht einmal das Motto der Internationale stammt ursprünglich von Marx. Bereits Jean Meslier (1664–1733) schrieb: »Proletarier, vereinigt Euch! Vereinigt Euch, wenn Ihr das Herz habt, Euch von all Eurem gemeinsamen Elend zu befreien! Ermutigt Euch einander zu einem edlen und wichtigen Unternehmen... Vereint wird es den Völkern gelingen... Alle Streitigkeiten und Feindseligkeiten gegeneinander müssen die Völker unterdrücken, allen Unwillen gegen die gemeinsamen Feinde, gegen die übermütigen, überstolzen... Menschen wenden, die sie elend machen und ihnen die besten Früchte ihrer Arbeit rauben.« (Jahrbuch der Freien Generation für 1914, redigiert von Pierre Ramus, 5. Band, Zürich, S. 30.)!
Nach der gelenkigen Abfertigung unbequemer Rivalen blieb die Arbeiterbewegung denn auch »vom christlichen Sozialismus« wie Mehring verkündet, »nicht lange mehr behelligt«. Als Marx und Engels auf dem Londoner Bundeskongreß 1847 ihr »Manifest der kommunistischen Partei« vorlegten, wußten sie (ebenfalls nach Mehring), »daß in harten Klassenkämpfen nichts ausgerichtet wird mit jener dünnen und unfruchtbaren Stimmung, die der Philister sein menschliches Mitleid und seine sittliche Entrüstung nennt« Mehring, Bd. I, S. 216.; »keine Spur von Sentimentalität war in ihnen«. Aber dann ist es auch eine Philisterphrase, von ihnen zu sagen: »sie liebten das helle Lachen der Kinderwelt; am Christus der Bibel gefiel ihnen nichts so sehr als seine Kinderfreundschaft« Ebd..
Für Marx war die Ware gleich Arbeitskraft und die Arbeitskraft gleich Ware. Die revolutionäre Klasse war ihm »von allen Produktionsinstrumenten die größte Produktivkraft« Mehring, Bd. I, S. 325, Marx gegen Proudhon.; er addierte sogar den Lebensunterhalt seiner Herdentiere wie ein abgefeimter Kapitalist zum Herstellungspreis der Ware. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verdarben ihm als Imponderabilien notwendig die Rechnung, und man kann sogar sagen, daß Marx als erster Deutscher dem Begriff »Menschenmaterial« zu theoretischem Ausdruck verhalf.
War der Materialismus solcher Betrachtungsweise »revolutionär«, protestierend? Marx lieferte nicht nur der Arbeiterbewegung, er lieferte auch dem kritisierten Kapital die handfesten Begriffe. Und es ist doch merkwürdig genug, daß sich 1867, als das »Kapital« erschien, nach Freiligraths Zeugnis »am Rheine viele junge Kaufleute und Fabrikbesitzer für das Buch begeisterten« Franz Mehring, »Sozialistische Lyrik«, Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, hrsg. von Karl Grünberg, IV. Jahrgang, Leipzig 1913, S. 112.. Arbeitern ohne Gymnasialbildung mußte es bei seinem undurchdringlichen Stil notwendig verschlossen bleiben.
Hat Marx die Religion seiner Väter wirklich verraten? Ist sein spiritueller Materialismus, die desillusionierende Betrachtungsweise, die er Kritik nennt, im konventionellen Sinne nicht jüdisch geblieben? Und spiegelt sich darin nicht viel mehr die Anschauung des Fabrikherrn wider als die des Arbeiters? Gewiß, er verlangte im »Kommunistischen Manifest« die Expropriation der »Bourgeoisie« und den Übergang der Produktionsinstrumente an das Proletariat. Das waren, solange die Gegensätze so schneidend zutage traten wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unmißverständlich Prinzipien einer sozialen Revolution. Aber er schrieb auch von »Arbeitszwang« und »Armeen von Arbeitern« »Das Kommunistische Manifest«, Vorwort von Karl Kautsky, Vorwärts, Berlin 1917, S. 45., und wenn man diese Dinge umdreht, heißen sie »Zwangsarbeit« und »Arbeiterarmee«. Wohin mußte seine Umsturzpartei gelangen, wenn er das Staatsmonopol bestehen ließ? Wenn er, 1847, den Feudalismus von der Bourgeoisie für »zu Boden geschlagen« halten konnte Ebd., S. 31., während dieser Feudalismus wenige Jahrzehnte später eine Militärmacht aufstellte, die, auf den Namen Bismarcks getauft, den Kontinent erzittern ließ; und 1871 sogar riet, auf dem Boden des gerade von ihm doch so grimmig befehdeten Bourgeoisstaates den parlamentarischen Kampf aufzunehmen In der Vorrede zur Ausgabe von 1872 (!) erklärten die Autoren des »Kommunistischen Manifestes«, daß sie auf praktische Forderungen kein besonderes Gewicht mehr legten, sich vielmehr »im Großen und Ganzen mit allgemeinen Grundsätzen« begnügen wollten, und in der Ausgabe von 1883 setzte Engels auseinander, »der durchgehende Grundgedanke« des Manifestes sei der historische Materialismus. Erst in der Vorrede von 1890 (zur Zeit der Entlassung Bismarcks und des Eisenacher Programms) kann man wieder lesen, daß Marx an den endlichen Sieg der im Manifest niedergelegten »Grundsätze« glaube. Jetzt wurde auch der Streit zwischen den beiden durch die Namen Lassalle und Marx gekennzeichneten sozialdemokratischen Richtungen endgültig beigelegt (Erfurter Parteitag 1891). Der Hallesche Parteitag (1890) hatte beschlossen, daß die »Wissenschaft« im Programm zu vollen Ehren gelangen solle. Die Wissenschaft: das war in der Hauptsache das »Kommunistische Manifest«, das Elaborat eines deutschen Gelehrten: verschroben, utopisch und doktrinär.?
Marx zerlegte den Mechanismus der Fabrik, des Kontors und des Marktes. Er war ein glänzender Wirtschaftsanalysator. Seine Zweiklassenteilung Proletarier – Bürger vergaß jedoch in der Rechnung den beide sehr bald beherrschenden Junker, und von dem Moment an, wo in Deutschland der souveräne Junkerstaat mittels Wahlrecht und einer umfassenden Sozialgesetzgebung den Proletarier zum Bürger und Beamten arrivieren ließ, um ihn für die Armee zu gewinnen, hatten der Fabrikarbeiter sowohl wie Marxens System zunächst aufgehört, die Freiheitsprinzipien zu verkörpern Man hat diese Tatsache wenig beachtet und unterschätzt sie noch heute. Das deutsche »Proletariat« unterschied sich vor dem Krieg und unterscheidet sich noch heute nicht nur ökonomisch und ideell, sondern vor allem in seiner Stellung zur preußisch-protestantischen Staatsidee so ungeheuer von jedem anderen Proletariat der Welt, daß der internationale Begriff Sozialdemokratie dieses Proletariat mit den andern wirklich nur durch die gemeinsame rote Fahne verbindet. Die deutsche Staatsidee (vor der ich mit diesem Buch warnen möchte) ist mit dem Staatsgedanken keines anderen Volkes zu vergleichen, was Grausamkeit, Härte und Unmenschlichkeit betrifft. Da aber der Sinn der Sozialdemokratie gerade ist, daß sich in ihr der allgemeine soziale Gedanke auf die nationale Staatsidee bezieht, so hätte man bei einiger Kenntnis des antisozialen Charakters unseres Staates billigerweise zu der Erkenntnis kommen müssen, daß eine sozialdemokratische Internationale mit einer großen deutschen Partei überhaupt nicht möglich ist und im Ernstfall scheitern müsse. Die Sozialdemokratie schließt, solange nicht eine nach gemeinsamen Gesichtspunkten geordnete Weltrepublik besteht, überhaupt jede gemeinsame internationale Aktion aus. In Deutschland gelang es dem Preußentum, die Sozialdemokratie als revolutionäre Partei völlig unschädlich zu machen. Die deutsche Sozialdemokratie ist bis auf verschwindende Minderheiten eine kleinbürgerlich-militaristische Organisation, von der nichts zu erwarten ist als ihre Zerstörung von seiten einer neuen moralischen Idee. Niemals hat in Deutschland auch nur eine universale demokratische Partei bestanden, die den notwendigen Boden und die Voraussetzung des Sozialismus hätte schaffen können, wie das in den übrigen Kulturländern der Fall war..
Marxens Internationale war von allem Anfang an nicht die der Freiheit, der Religion oder Moral, sondern die der Wirtschaftsinteressen und des Arbeitsmarktes, eine Staatsdoktrin κατ' εξοχεν. Daß er die Bedarfs- und Gebrauchsgegenstände über die religiösen und ideellen stellte, die Materie über den Geist – diese Überschätzung des Schachers, die mit dem Anspruch einer Philosophie auftritt, trotzdem sie im Reich der Idee nichts zu suchen hat, diese Umwertung aller Werte, ist sein Werk. Seine Internationale ist weder die Weitlingsche des Christentums, noch die Bakuninsche einer auf die Arbeitssolidarität gegründeten Freiheit und Humanität, sondern eine Internationale des Angebots und der Käuflichkeit, der moralischen Destruktion Die russischen Bolschewiki, die konsequentesten und begeistertsten Marxschüler, die ihrem Meister Denkmäler setzen und an ihrer Marx-Universität frühere Agenten der »Ochrana« anstellen, haben es an den Tag gebracht.. Sie zielt auf die Abschaffung der Qualität und der Ritterlichkeit ab, auf die Verflachung der nationalen und persönlichen Individuen. Ihre zynische Überzeugung ist: der Profit regiert die Welt. Der Profit ist – die Weltseele.
Nach Marx sind die Probleme überall gleich, weil mit dem Aufschwung der Industrie der Häuptling von Owambu und der Telegraphenbeamte in Stockholm gleicherweise Röllchen tragen; nach Marx bestimmt in Amerika, England und Rußland gleicherweise »das Kapital« die letzten Ziele der Nation, weil der Weizen dort wie hier riecht, auch ebenso schmeckt und nur im Preis differiert Im Falle eines Krieges trifft infolgedessen nach den Marxisten das »internationale Kapital« die Schuld. Nach Marx war ja der Feudalismus bereits 1847 »zu Boden geschlagen«. Daß dieser Bodenschlag 1870 und 1914 dem Faß den Boden ausschlug, das wollen die deutschen »Internationalisten« keineswegs zugeben. So lächerlich ihr höchst nationaler Stolz ihre Junkerkaste schützt – lächerlicher noch ist, daß es ihnen gelang, in allen angrenzenden Ländern Proselyten zu machen und Verteidiger zu finden.. Marx ist weit davon entfernt, aus der universalen Materialität, die er erkannt zu haben glaubt, den Schluß zu ziehen, daß dieser Zustand aufgehoben werden muß, und zwar durch seinen Gegensatz, die universale Idealität. Er erkennt ihn vielmehr an, er wird sein Prophet. Indem er bemüht ist, ihn überall nachzuweisen und ihn sogar als Prinzip der Geschichte aufzustellen, depraviert er als einer der tödlichsten Volksfeinde die letzte Kraftquelle der Moralität, die Armut, das proletarische Volk.
Hervor ging die marxistische Internationale aus der Desperation eines deutschen Patrioten, der sein Volk weder wirtschaftlich noch moralisch auf der Höhe des übrigen Europa sah und bei einer Generalgleichmacherei alles zu gewinnen, nichts zu verlieren hatte Die Beweise hierfür finden sich in Marxens Jugendschriften, insbesondere in jenem Aufsatze »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern, den ich Kap. IV, zitiere. .
Die große christliche Bewegung, die auf das Auftreten Napoleons folgte, verkannte Marx völlig. Er zerlegte haarscharf die materielle Situation des Fabrikarbeiters, aber er verweigerte ihm ein seelisches Residuum und die Kraft, sich gegen die Entwertung seiner Persönlichkeit im autoritären Staat zu behaupten. Zum Vorteil des Staates und Unternehmertums zerstörte er mit vollem Bewußtsein den Freiheitsgedanken. Indem er nur Quantum und Maße bedachte, führte er denselben nihilistischen, auflösenden Geist in das Proletariat ein, der die Finanz beherrschte, revolutionierte er zwar die Wissenschaften, nicht aber die Personen. Seine unduldsame Haltung gegen allen Individualismus, der in der Arbeiterbewegung sich geltend machte, mußte notwendig den Enthusiasmus verwirren und furchtbar werden, wenn der einzelne erst begann, seine menschliche Mission über der Interessenpolitik zu vergessen.
Es hat an Warnungen vor dieser »Philosophie« diktaturlüsterner Notdurft nicht gefehlt. Um so mehr, da sie nicht auf den moralischen, sondern auch auf den politischen Idealismus verzichtete. Im Frühjahr 1868, zur selben Zeit, da Marxens »Kapital« erschien und die »Internationale« ihre ersten Kongresse abhielt, schrieb Michael Bakunin in einem Brief an Chassins »Démocratie européene« in Paris: »Ich bedaure gleich Ihnen die Verblendung jener, hoffen wir, an Zahl nicht allzu beträchtlichen Arbeiterpartei in Europa, die sich einbildet, daß sie ihren materiellen Interessen desto besser dient, je mehr sie sich in den politischen Fragen ihres Landes jeder Intervention enthält, und die glaubt, sie werde ökonomische Gleichheit und Gerechtigkeit auf einem anderen Wege als auf dem der Freiheit erlangen können. Die Gleichheit ohne die Freiheit ist eine heillose Fiktion, geschaffen von Betrügern, um Dummköpfe zu täuschen. Die Gleichheit ohne die Freiheit bedeutet den Staatsdespotismus. Unser aller großer Lehrer Proudhon sagte in seinem schönen Buche von der ›Gerechtigkeit in der Revolution und in der Kirche‹, die unglückseligste Kombination, die kommen könne, sei die, daß der Sozialismus sich mit dem Absolutismus verbände; die Bestrebungen des Volkes nach ökonomischer Emanzipation und materiellem Wohlstand mit der Diktatur und der Konzentration aller politischen und sozialen Gewalten im Staat. Mag uns die Zukunft schützen vor der Gunst des Despotismus; aber bewahre sie uns vor den unseligen Konsequenzen und Verdummungen des doktrinären oder Staatssozialismus. Seien wir Sozialisten, aber werden wir nie Herdenvölker... Suchen wir die Gerechtigkeit, jede politische, ökonomische und soziale Gerechtigkeit auf keinem andern Wege als auf dem der Freiheit. Es kann nichts Lebendiges und Menschliches gedeihen außerhalb der Freiheit, und ein Sozialismus, der sie aus seiner Mitte verstieße oder sie nicht als einziges schöpferisches Prinzip und als Basis annähme, würde uns geradenwegs in die Sklaverei und die Bestialität führen.« Nettlau, »Michael Bakunin«, Bd. II, S. 246 ff. Daß Marx diesen Brief gelesen hat, beweisen die Entstellungen, mit denen er ihn in seiner Allianzbroschüre (»L'Alliance de la Démocratie socialiste« etc., S. 85) zitierte, und von denen Nettlau schreibt, daß sie es gerade waren, die ihn auf das Original aufmerksam machten. Marx versuchte aus diesem Briefe Bakunins Zustimmung zur Wahlaktion zu beweisen, während dieser unter »politischer Intervention« etwas sehr anderes, nämlich Sturz des Empire verstand. – Ch. L. Chassin war Mitglied der von Bakunin 1864 begründeten »Fraternité internationale«; die »Démocratie européenne« war also eigentlich eine bakunistische Gründung. Die betreffende Nummer enthielt u. a. Briefe von Victor Hugo, Michelet, Jules Barni, Aristide Rey; von Garibaldi, Garrido, Albert Richard.
Wie stand Marx zur politischen Freiheit? Wie stand die Sache der Juden im »christlich-germanischen« Staat? Hören wir Mehring, einen der berufensten Kenner: »Der christlich-germanische Staat mißhandelte, unterdrückte, verfolgte die Juden, während er sie zugleich duldete, begünstigte, ja liebkoste. Im 18. Jahrhundert hatte der alte Fritz (Friedrich II.) die Juden vollständig rechtlos gemacht, ihnen aber zugleich einen weitreichenden Schutz gewährt, hauptsächlich deshalb, um ›Handel, Commerce, Manufakturen, Fabriquen‹ zu fördern. Der philosophische König gab den Geldjuden, die ihm bei seinen Münzfälschungen und sonstigen zweifelhaften Finanzoperationen halfen, die Freiheit von christlichen Bankiers.« »In den vierziger Jahren des vorigen (19.) Jahrhunderts verfolgte Friedrich Wilhelm IV. die Juden mit allen möglichen Scherereien, aber das jüdische Kapital wurde deshalb nicht weniger durch die ökonomische Entwicklung gefördert. Es begann sich die herrschenden Klassen zu unterwerfen und schwang seine Geißel über die beherrschten Massen, über das Proletariat als Industrie-, und weit mehr noch über die große Masse der kleinbäuerlichen und kleinbürgerlichen Klassen als Wucherkapital.« Mehring, »Geschichte der deutschen Sozialdemokratie«, Bd. I, S. 169/170.
Gegen die jüdische Idee, als die »Religion des selbstischen Interesses«, war Feuerbach aufgetreten. Gegen das unter königlichem Schutze stehende »jüdische Kapital« versprach Marx in seinem Aufsatze »Zur Judenfrage« die Feder zu führen. Aber das war eine prekäre Sache. Man mußte den königlichen Schutz und das Kapital zugleich angreifen, wenn man gegen das letztere etwas ausrichten wollte. Gegen den »Philisterstaat« Front machen, hieß nur das Problem divergieren, und vom »christlich«-germanischen Staat sprechen, hieß ebenfalls nur den Blick von der viel wesentlicheren jüdisch-germanischen Staatsidee ablenken, die immer bewußter die Grundlage des Preußentums bildete.
Für seine Ansicht über das Verhältnis vom Gelde zum Souverän ist eine Stelle in seiner Kritik der Proudhonschen »Philosophie des Elends« bezeichnend. Nach Proudhon waren Gold und Silber zu Geld geworden durch die souveräne Weihe, die ihnen das Siegel des Monarchen aufdrückte. Proudhons System war anarchisch. Die Abschaffung des Geldes bedeutete für ihn zugleich die Abschaffung der Monarchie und des Staates. Marx dagegen betonte: »Man muß jeder historischen Kenntnis bar sein, um nicht zu wissen, daß die Souveräne sich zu allen Zeiten den wirtschaftlichen Verhältnissen fügen mußten, aber ihnen niemals das Gesetz diktiert haben. Sowohl die politische wie die bürgerliche Gesetzgebung proklamieren, protokollieren nur das Wollen der ökonomischen Vorsehung. (!) Das Recht ist nur die offizielle Anerkennung der Tatsache. Ebd., Bd. I, S. 315.
In diesen Sätzen findet sich nicht nur der Marxsche Superlativismus, der die Resultate gerade der französischen Wirtschaftskritik übertreibt, es findet sich bereits auch die völlige Verkennung der preußischen Dynastie, die sich gerade seit Friedrich II. entschlossen hatte, selber die Vorsehung zu spielen. Und es findet sich darin die später bei Marx und den Marxisten immer wiederkehrende Geneigtheit, die Monarchie trotz ihrer ungeheuren theologischen und militärischen Stützen als eine passagere, vom Kapital abhängige Erscheinung darzustellen, während man zu bemerken unterläßt, erstens daß der Monarch in gewissen Staaten der größte Grundbesitzer und Kapitalist ist, zweitens daß infolgedessen die Finanz das größte Interesse an der Aufrechterhaltung der Dynastie besitzt, wofür drittens die Dynastie mit allen ihr zu Gebote stehenden Machtmitteln und Repräsentationstiteln die kapitalistische Ausbeutung fördert. Die einstige Bekämpfung des Industriekapitals konnte von Bismarck sogar als eine besondere Demuts- und Ergebenheitsgeste aufgefaßt werden, und wenn Marx auch die Mitarbeit am amtlichen Staatsanzeiger ablehnte – der Antrag wurde ihm gestellt Vgl. Mehring, Bd. III, S. 235: »Im Oktober 1865 schrieb Bucher an Marx, um ihm die Mitarbeit am amtlichen Staatsanzeiger anzutragen. Als er damit bei Marx abblitzte, wandte er sich mit demselben Anliegen an den Privatdozenten Eugen Dühring. Dühring ging auf die Mitarbeit am Staatsanzeiger ein, um sich bald mit der Redaktion zu überwerfen. Trotzdem erschien im April 1866 Wagener bei ihm und bestellte für den ›intimen Gebrauch‹ des Staatsministeriums eine Denkschrift über die Frage, wie ›etwas für die Arbeiter getan‹ werden könne. Dühring lieferte auch dies Pensum ab. Dann wurde Schweitzer am 9. Mai aus der Haft entlassen.« –, so ist doch durch eine Publikation des preußischen Pressechefs Otto Hammann bekannt geworden, daß die preußisch-deutsche Regierung bereits unter Caprivi die marxistische Opposition gegen die Industriekonzerne ganz bewußt gewähren ließ, ja daß gerade einer der Gründe für Bismarcks Entlassung sein kurzsichtiger Terror gegenüber der Sozialdemokratie war Vgl. Otto Hammann »Der neue Kurs«, Berlin 1918, S. 3 und 131 ff. Hammann war Pressechef unter Caprivi, Hohenlohe, Bülow und Bethmann. Bezeichnend ist, daß ihm zwar die »auf lauter groben Kategorien, ›Arbeiterklasse‹ und ›Kapitalistenklasse‹, ›Staat‹ und ›Gesellschaft‹, ›Menschheit‹ und ›Menschentum‹ aufgebaute Marxsche Gedankenwelt« nicht gefällt, daß er aber »als Beispiel für die gleißende Sprache und die beispiellose, mit lauter schillernden Gegensätzen arbeitende Dialektik« Marxens einen längeren Passus aus dem »Kommunistischen Manifest« zitiert, in dem zu lesen ist, daß »die Bourgeoisie die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpfen, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übrig gelassen habe als das nackte Interesse, als die gefühllos bare Zahlung«; worin der bösen Bourgeoisie vorgeworfen wird, daß sie »die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt« habe etc. etc. Das Buch erschien im Frühjahr 1918, vor der großen Offensive gegen Paris, in einer Zeit, in der sich die Bolschewiki als konsequente Marxisten mit der »passageren« preußischen Heeresleitung über die »bourgeoisen« westlichen Demokratien einig waren..
Marxens Kampf geht nach Beseitigung der beiden stärksten Hindernisse, der »bürgerlichen« Ideologie (alias Moral) und der staatlich geschützten Religion (alias Christentum). Wozu aber den Staat selbst bekämpfen, der in Deutschland wie nirgends sonst eine Zwangsmacht darstellt? Wozu auch nur die Monarchie angreifen? Ist sie doch nur eine zufällige Verwaltungsform! Trägt sie doch dazu bei, die Masse gefügig zu machen, sie zum willigen Instrument abzurichten, dem jede Autorität, auch die eines Gelehrten, gebieten kann, wenn er versteht, mit dem Anschein profundester Rebellion die Geste des Menschenfreundes zu verbinden!
Marx bekämpfte das Kapital, aber innerhalb einer geschonten Monarchie, deren Willkürregiment ihn trotz eines Korrespondenten wie Lassalle nicht weiter beunruhigt Wie gut Marx durch Lassalle über Preußen unterrichtet war, geht aus folgendem Passus der Lassalle-Biographie Eduard Bernsteins hervor: »Es ist nicht unmöglich, daß Lassalle durch Verbindungen der Gräfin Hatzfeld, die ziemlich weit reichten, davon unterrichtet war, daß sich in den oberen Regionen Preußens ein neuer Wind vorbereite. Wie weit diese Verbindungen reichten, geht aus Informationen hervor, die Lassalle bereits im Jahre 1854, beim Ausbruch des Krimkrieges, an Marx nach London gelangen ließ. So teilt er Marx unterm 10. Februar 1854 den Wortlaut einer Erklärung mit, die einige Tage vorher vom Berliner Kabinett nach Paris und London abgegangen sei, schildert die Zustände im Berliner Kabinett – der König und fast alle Minister für Rußland, nur Manteuffel und der Prinz von Preußen für England – und die für gewisse Eventualitäten von demselben beschlossenen Maßregeln, worauf es heißt: ›Alle die hier mitgeteilten Nachrichten kannst Du so betrachten, als wenn Du sie aus Manteuffels und Aberdeens eigenem Munde hättest!‹ Vier Wochen später machte er wieder allerhand Mitteilungen über beabsichtigte Schritte des Kabinetts, gestützt auf Mitteilungen ›zwar nicht aus meiner offiziellen, aber doch aus ziemlich glaubhafter Quelle‹. Am 20. Mai 1854 klagt er, daß seine ›diplomatische Quelle‹ eine weite Reise angetreten habe. ›Eine so vorzügliche Quelle, durch die man kabinettsmäßig informiert war, zu haben, und dann auf so lange Zeit wieder verlieren, ist überaus ärgerlich.‹ Aber er hat immer noch Nebenquellen, die ihn über Interna des Berliner Kabinetts unterrichten, und ist u. a. ›zeitig vorher von Bonins Entlassung etc. benachrichtigt worden‹.« – (S. 27) Es besteht danach kaum ein Zweifel, daß das Berliner Kabinett sich von den guten Beziehungen zu Herrn Lassalle mancherlei versprach, und man sollte einmal nachprüfen, wie Marx die guten Informationen verwertete. 1849 hatte Lassalle noch flammende Entrüstung für die »schmachvolle und unerträgliche Gewaltherrschaft«, die »über Preußen hereingebrochen«: »Warum zu soviel Gewalt noch soviel Heuchelei? Doch das ist preußisch.« Und: »Vergessen wir nichts, nie, niemals. Bewahren wir sie auf, diese Erinnerungen, sorgfältig auf, wie die Gebeine gemordeter Eltern, deren einziges Erbe ist der Racheschwur, der sich an diese Knochen knüpft.« 1854 aber hat er seine »kabinettsmäßigen Informationen«, und 1857 erwirkt er durch die Vermittlung Alexander von Humboldts (desselben Humboldt, der in Paris die Demokraten der Deutsch-Französischen Jahrbücher ausweisen ließ) vom König von Preußen die Erlaubnis, seinen Wohnsitz in Berlin nehmen zu dürfen. Es gehört schon eine gute Dosis Naivität dazu, all dies »interessant«, nicht aber zweideutig und kompromittierend zu finden. »Ihn dürstete nach Anerkennung, nach Ruhm, nach Taten, und dazu bedurfte er des Bodens der Hauptstadt«, so Bernstein. Nun, die Scheidemann, Radek und Parvus dürstet es ebenfalls nach Anerkennung, nach Ruhm und Taten! Nach Lassalles Informationen zur Zeit des Krimkriegs erscheint aber auch Marxens antislawische Politik in neuer Beleuchtung.. Ja, er sympathisiert mit den offiziellen Erfolgen des Junkerstaates. Beförderten sie doch den Zentralismus, den Marx für seine Verelendungstheorie braucht, trugen sie doch dazu bei, das Schwergewicht der Arbeiterbewegung allmählich nach Deutschland zu verlegen. Und darin konspirierte er mit Lassalle, der ja ebenfalls vom preußischen Geiste sich allerhand Nutzen für die Organisation der »revolutionären« Arbeitermassen versprach. Als aber die Revolution nicht hielt, was sie erst versprochen hatte – erlebte man nicht, daß Hermann Cohen 1915 in seiner zitierten Schrift gerade die Staatstreue der Marx und Lassalle der antisemitischen Autokratie in Rechnung stellte?
Es ist interessant genug, die historische Entwicklung des politischen Marxismus zu verfolgen. Im »Kommunistischen Manifest« von 1847 kämpft »die kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt«, noch »gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei« »Kommunistisches Manifest«, a. a. O., S. 56.. 1848 aber, als es ernst wird mit der deutschen Revolution, wenden sich Marx und Engels nicht nach Berlin, sondern bleiben, literarisch beschäftigt, in dem weniger gefährlichen Köln, dekretieren gegen die »Revolutionsspielerei« Herweghs in Baden und spinnen Intrigen gegen den »Panslawismus« desselben Bakunin, der als erster Europäer in Prag die Auflösung Preußens, Österreichs und der Türkei verlangt »Aufruf an die Slaven«, Selbstverlag, 1848: »Aufgelöst erklärt die Revolution aus ihrer Machtvollkommenheit die Despotenstaaten... aufgelöst das preußische Reich... aufgelöst Österreich... aufgelöst das türkische Reich... aufgelöst das russische Reich... aufgelöst also, umgestürzt und neugestaltet den ganzen Norden und Osten Europas... und das Endziel von allem: die allgemeine Föderation der europäischen Republiken, und das alles im Namen der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit aller Nationen.«.
Jener Passus im »Kommunistischen Manifest« scheint eine Konzession Marxens an energische demokratische Strömungen innerhalb der Emigrantenbewegung gewesen zu sein. Denn 1843, bei der Lektüre von Weitlings »Garantien« nimmt er bereits jene Scheidung vor, die Bakunin in seinem oben zitierten Briefe an Chassin als Ausflucht vor der politischen Intervention bekämpft: »daß Deutschland einen ebenso klassischen Beruf zur sozialen Revolution habe, wie es zur politischen unfähig sei«; und 1847 in der Polemik mit Proudhon leugnete er die selbständige Macht der Souveräne, die doch gerade damals in Preußen infolge einer zielbewußten Hauspolitik und eines Bündnisses mit den schlimmsten romantischen Mächten der Reaktion schrullenhafter und selbstbewußter dekretierte als irgendwo sonst Vgl. den Text S. 221 ff. und Anmerkung "»Von großer Frömmigkeit«...". Es ist übrigens bezeichnend, daß nirgends die Staatsidee so gewaltsam und omnipotent auftrat als in Preußen-Deutschland und doch sich nirgends so wenig eine anarchistische, außerstaatliche, diese Staatsidee bekämpfende Partei fand. .
Unter dem nachhaltigen Eindruck der Ereignisse von 1849 rückt Marx noch entschiedener von der »politischen Intervention« ab. Warum wohl? Sanktioniert denn die Aussichtslosigkeit einer Sache den Verzicht auf die notwendige Stellungnahme? Wenn es auch richtig ist, daß, um mit Marx zu reden, eine politische Revolution ohne die soziale »die Pfeiler des Hauses stehen läßt«, so ist es doch ebenso richtig, daß eine soziale Revolution ohne die politische – wenigstens solange sich die Dinge in der Theorie aufhalten – die Rechnung ohne den Wirt macht. Beide aber sind wertlos, ja unmöglich ohne die moralische Revolution, und von der wollte Marx freilich nichts hören.
»Das Resultat der Bewegungen von 1848/49«, schreibt Brupbacher, »war, daß Marx nach dieser Zeit im schroffen Gegensatz zu Bakunin durchaus nicht mehr an die Möglichkeit einer nahen Revolution glaubte.« »Marx und Bakunin«, S. 16. Um so mehr mußte es darauf ankommen, die Freiheitsprinzipien sorgfältig zu prüfen und sie vor allen ihnen im Wege stehenden oder sie gefährdenden Elementen zu hüten. Je stärker der preußische Staat wurde, desto reinlicher und energischer galt es, von ihm abzurücken; galt es, nicht nur seine ökonomischen, sondern auch seine politisch-moralischen Grundlagen zur Diskussion zu stellen, das heißt: die seit 1848 zutage tretende Einheits- und Zentralisationsbewegung auf ihre Gefahren hin zu analysieren.
Marx hat diese Aufgabe nicht anerkannt. Er verfolgte erbittert alle in dieser Hinsicht innerhalb der Internationale seit 1868 vorgebrachten Ideen. Mit allen ihm zu Gebote stehenden erlaubten und unerlaubten Mitteln wandte er sich gegen die föderalistisch-anarchische Richtung, wie gegen das christliche Hilfsideal. »Wie von den Demokraten das Wort Volk zu einem heiligen Wesen gemacht wird, so von uns das Wort Proletariat!« Marx wollte sich damit gegen die »Phrase der Revolution« gewandt haben, gegen die bürgerlichen Begriffe von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, in die das Proletariat nach dem Willen der »Bourgeoissozialisten« »gehoben« werden sollte. Er war also wohl mit den Anarchisten der Meinung, daß das Proletariat aus sich selbst heraus neue, vereinfachte, menschlichere Formen der Gesellschaft zu produzieren habe, und einen anderen Sinn durfte die Konservierung des Proletariates auch nicht haben, wenn klassenbewußtes Proletariat nicht gleichbedeutend mit klassenbewußter Unfreiheit, klassenbewußtem Bildungsmangel und klassenbewußtem Elend sein sollte. Man kann zwar philosophisch den Primitivismus einer unausgeprägten, entrechteten Menschenschicht gegen eine entartete, entwurzelte, unterdrückende und ausbeutende Gesellschaft ausspielen – ist das aber nicht schon eine Frivolität? Ist nicht die große Aufgabe des Sozialismus Vertiefung der Menschlichkeit? Die Diktatur des Proletariats aufstellen, hieß auf die Emanzipation verzichten, zu Gewaltmethoden greifen und die Grundlagen der Gesellschaft zerstören. Wir haben die Lehre des Bolschewikentums. Die Eroberung der politischen Macht vorschlagen (Eroberung also eines verbrauchten politischen Systems), hieß auf die eigentümlichsten moralischen Kräfte der Masse verzichten, ja sie der Korruption ausliefern, und dieser pseudorebellische Widerspruch in Marxens politischem Programm, das gleichwohl mit aller Arroganz der Unfehlbarkeit auftrat, war es, was die großen Vorzüge seiner ökonomischen Kritik aufwog und ihn ganz wie Lassalle in eifersüchtigerem Wettstreit mit den Vertretern der offiziellen Politik, als mit den großen Emanzipatoren der Menschheit erscheinen ließ Worauf Marxens »Politik« abzielte, offenbar ein Brief an Engels vom 11. September 1868: »Unsere Assoziation (die ›Internationale Arbeiter-Assoziation, Generalrat London, Leitung Karl Marx‹) hat große Fortschritte gemacht... Bei der nächsten Revolution, die vielleicht näher ist, als es scheint, werden wir (das heißt Du und ich) dies mächtige Instrument in unserer Hand haben. Vergleiche damit das Resultat der Operationen von Mazzini etc. während dreißig Jahren! Und alles das ohne Geld, und trotz der Intrige der Proudhonisten in Paris, Mazzinis in Italien, und der Odger, Cremer, Potter in London, die uns beneiden; und trotzdem wir Schultze-Delitzsch und die Lassalleaner in Deutschland gegen uns hatten. Wir können wirklich sehr zufrieden sein!« (James Guillaume, S. 54, zurückübersetzt.).
Gegen den »Bonapartismus« zur Rechten, gegen den »Zarismus« zur Linken hatte Marx die Donnerkeile des Jupiter. Für den in der Maienblüte seiner Abscheulichkeit stehenden Bismarckianismus aber nur eitel Nachsicht und Naivität. Engels an Marx, 11. September 1868: »Da Du Beziehungen zu Vermorel hast, könntest Du nicht dafür sorgen, daß er nicht solche Dummheiten über Deutschland schreibt? Er versteift sich darauf, zu verlangen, daß Napoleon III. sich liberalisiert, bürgerlich liberalisiert, und dann Deutschland den Krieg erklärt, um es von der Tyrannei Bismarcks zu befreien! Diese Kröten etc. etc.« »Karl Marx Pangermaniste«, S. 34. Die Motivierung, warum die Franzosen »Kröten« sind, ist außerordentlich lehrreich, und die Vorschrift, wie sie sich gegen Deutschland zu benehmen haben, selbst wenn sie eine Revolution machen, noch unverschämter als die hier zitierte Stelle. Die volkserzieherische Wirkung der Marx und Engels kann man nach solchen Kraftproben unschwer ermessen. Und Marx an Engels, 20. Juli 1870, als dann, von Bismarck provoziert, der Krieg ausbrach: »Die Franzosen brauchen Prügel. Siegen die Preußen, so wird die Zentralisation der Staatsgewalt nützlich der Zentralisation der deutschen Arbeiterklasse. Das deutsche Übergewicht wird ferner den Schwerpunkt der westeuropäischen Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland verlegen (!), und man hat bloß die Bewegung von 1866 bis jetzt in den beiden Ländern zu vergleichen, um zu sehen, daß die deutsche Arbeiterklasse theoretisch und organisatorisch der französischen überlegen ist. Ihr Übergewicht auf dem Welttheater (!) wäre zugleich das Übergewicht unserer Theorie über die Proudhons.« Ebd., S. 85. Die französische Arbeiterschaft hatte am 12. Juli 1870 eine Adresse an die Deutsche Arbeiterschaft gerichtet, die mit den Worten begann: »Frères d'Allemagne, au nom de la paix n'écoutez pas les voix stipendiées ou serviles qui cherchent à vous tromper sur le véritable esprit de la France. Restez sourds à des provocations insensées, car la guerre entre nous serait une guerre fratricide.« Daß diese Adresse, unterzeichnet u. a. von Tolain, Murat, Avrial, Pindy, Theisz, Camélinat, Chauvrière, Langevin, Landrin, Malon, aufrichtig war, bewies die Commune. Marxens hier zitierter Brief bezog sich ausdrücklich auf diese Adresse; denn er beginnt: »Ich schicke Dir den Réveil.« Es war die Nummer des Réveil vom 12. Juli, in der die Adresse erschienen war. (James Guillaume, S. 84.) Eine seltsame Logik und Argumentation: preußische Siege bringen das »Übergewicht« über die Theorie Proudhons! Unterscheidet sich diese Ansicht von der Lassalles, daß durch das Schwert zuletzt alles Herrliche vollendet wird?
Brupbacher leitet Marxens geringe Wertung des Freiheitsbegriffes aus der »Besitznahme von Marx durch Hegel« ab. »Marx wird durch Hegel zum Propheten der Idee der historischen Notwendigkeit für die Vergangenheit, aber auch für die Zukunft. Er wird Mitwisser der Gesetze des Weltgeistes und erhält das harte rücksichtslose Selbstbewußtsein der Wissenden gegenüber den Unwissenden. Er wird wie Engels die Schweizer, die für ihre Freiheit kämpfen, Reaktionäre schelten, weil die Weltgeschichte Zentralisation verlangt und sie für Föderalismus und Freiheit eintreten. Er hat nicht das Bewußtsein, ein Autoritär zu sein, aber er weiß, die Weltgeschichte ist autoritär, und er ist ihr Diener auf Erden.« »Marx und Bakunin«, S. 8. Das heißt idealistische Erklärungen finden für sehr materielle Beweggründe. Es ging um die Macht, und Marx wußte das Proletariat tüchtig zu handhaben.
Ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wo der Weltgeist mit Preußen denn eigentlich hinwollte und ob der Weltgeist nicht samt Preußen zum Teufel unterwegs sei, trat Marx bereits 1852 gegen Bonaparte auf. Und die zweite Auflage seiner Schrift »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte« erschien just 1869, als der deutsch-französische Krieg vor der Türe stand! Statt den österreichisch-preußischen Rivalitätsstreit um die deutsche Kaiserkrone seiner hohen Aufmerksamkeit zu würdigen, wandte er sich 1866 in seinem Pamphlet »Herr Vogt« wiederholt mit den heftigsten Ausfällen gegen die »verrottete bonapartistische Wirtschaft«. Statt die Thronbesteigung Wilhelms I., die Heeresreform und die Blut- und Eisenpolitik derer von Roon und Bismarck mit einem Gedenkblatt zu versehen, enthalten die Statuten der »Internationale« (1864) in aller Allgemeinheit nur den hinterhältigen Paragraphen, daß die politische Aktion der ökonomischen als Mittel unterzuordnen sei Es ist evident, daß dieser Paragraph selbst für Marx und Engels anfänglich etwas ganz anderes bedeutete, als sie später hineininterpretierten. 1864 kam es ihnen darauf an, die politische Intervention in den Angelegenheiten der nationalen Politik der ökonomischen Emanzipation unterzuordnen, das heißt, die Bismarckische Politik möglichst gewähren zu lassen. 1871 aber, auf der Londoner Konferenz, nach den glänzenden Bismarcksiegen, fürchteten sie, den Anschluß zu versäumen. Also schoben sie jetzt das Mittel der politischen Aktion in den Vordergrund und legten es im Sinne einer parlamentarischen Reformpartei aus.. Die Erstausgabe des »Kapital« (1867) enthält noch den später verschwundenen Passus: »Wenn in Europa die Entwicklung des kapitalistischen Einflusses gleichen Schritt hält mit dem wachsenden Militarismus, den Staatsschulden und Steuern etc., möchte die vom Halbrussen und ganzen Moskowiter Herzen so ernst prophezeite Verjüngung Europas durch die Knute und obligate Infusion mit Kalmückenblut schließlich doch unvermeidlich werden.« Es bedarf keiner Erwähnung, daß Alexander Herzen dergleichen nie gefordert oder prophezeit hat. Herzen glaubte an die verjüngende Kraft der russischen Dorfgemeinde, des Mir, an die regnerative Bauernkraft Rußlands, dem westlichen »Verfall« gegenüber. Er glaubte an den ungebrochenen naiven Idealismus des russischen Volkstums. Keineswegs aber verlangte er eine »obligate Infusion mit Kalmückenblut und eine Verjüngung durch die Knute«. Das war nur der gewissenlose Superlativismus Marxens und eine seiner böswilligen Entstellungen in der Hetze gegen die »Panslawisten«. 1868 aber, als die Luxemburger Streitfrage mit dem Krieg zwischen Deutschland und Frankreich drohte, erscheint auf dem Berner Kongreß der »Friedens- und Freiheitsliga« mit Marxschen Instruktionen Borkheim, um gegen die »Friedensagitation« zu sprechen, die nur ausgespielt werde gegen eine »Einzelregierung Zentral- und Westeuropas« (also Deutschland) und in deren Hintergrund Rußland, der »erklärte Feind der ökonomischen Entwicklung« stehe Michael Bakunin, »Aux compagnons de la Fédération jurassienne«, Manuskript 1873 (mitgeteilt von Nettlau). Bakunin bemerkt dazu: »Wenn Herr von Bismarck auf den Genfer Kongreß einen Agenten hätte schicken wollen, – hätte er eine andere Sprache führen können? Im Augenblick, da er mit furchtbaren Mitteln den Sturz der französischen Hegemonie und die Begründung der deutschen Herrschaft auf deren Trümmern vorbereitete, – wäre es nicht von seinem Standpunkte aus hervorragende Politik gewesen, die öffentliche Aufmerksamkeit von seinen Rüstungen und dem deutschen Ehrgeiz auf die viel fernere Gefahr einer Drohung Rußlands abzulenken? War das nicht Pangermanismus, der sich Europa unter dem frommen Vorwand berechtigten und gemeinsamen Hasses gegen den Panslawismus anempfahl? Hieß das nicht Deutschland von allem politischen und sozialen Unheil, das es angerichtet hat und das es heute (1873) in monströsem Maße verbreitet, reinwaschen, dafür aber die Schuld auf seinen leider nur allzu gefügigen und getreuen Schüler Rußland schieben?« – Die Friedens- und Freiheitskongresse von Genf und Bern (1867/68) waren in der Hauptsache von Westschweizern und Franzosen einberufen und beschickt. Im Mittelpunkt ihrer Aktion stand der Russe Bakunin..
Wer sich einen Begriff davon machen will, mit welchen Mitteln Marx gegen den »Panslawismus« auftrat, ohne den Pangermanismus mit einem Wort zu erwähnen, der lese zwei Schriften Bakunins: »Aux citoyens rédacteurs du Réveil« (1869) und in »L'Empire knoutogermanique« von 1870/71 den Abschnitt »L'alliance russe et la russophobie des Allemands«. Es ist kein Zufall, daß beide Schriften um die Zeit des deutsch-französischen Krieges erschienen. Sie enthüllen restlos nicht nur den mit der Bismarckpolitik konspirierenden Charakter der Marxschen Aktion und eine der unerhörtesten Verleumdungskampagnen; sie beweisen auch, daß Marxens Panslawistenhetze, in die alle deutschen Sozialisten seiner Zeit einstimmten, schon damals als das erkannt wurde, was sie war: ein Versuch deutscher Patrioten, die Aufmerksamkeit von dem in Aussicht stehenden pangermanischen Kaiserreich auf das »die westliche Kultur bedrohende« Rußland abzulenken Erbitterte Anti-Slawisten waren neben Marx und Engels auch Lassalle, Bebel und Wilhelm Liebknecht. Noch 1914 fiel fast die gesamte deutsche Sozialdemokratie auf das Märchen vom russischen Angriffskrieg herein. Es war tüchtig vorgearbeitet: ein halbes Jahrhundert lang. .
Wie sehr Bakunin recht behielt, als er schon 1871 das neue deutsche Reich als eine größere Gefahr für die Zivilisation empfand als das zaristische Rußland, hat die russische Revolution von 1917 erwiesen, und es ist nicht nur sehr zu bedauern, sondern es kennzeichnet die Wut und Nachhaltigkeit der marxistischen Intrige, daß die für die Beurteilung Marxens wichtigsten Schriften Bakunins noch 1918 ins Deutsche nicht übersetzt sind. Etwas mehr Kenntnis dieser Dinge hätte vielleicht 1914 in Deutschland und 1915/1916 auf den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal dazu beigetragen, die Stellungnahme zu erleichtern.
Man kann bei den Geschichtsschreibern der deutschen Sozialdemokratie immer wieder in der gehässigsten Variation die dunkle Nachricht vernehmen, daß ein gewisser Utopist Bakunin die erste (deutsche) Internationale gesprengt habe. Warum er diese Frivolität beging, vernimmt man nicht. So soll es hier mit klaren und unzweideutigen Worten stehen: weil er sie als ein Propagandainstitut für die Bismarckschen Pläne empfand, wie wir heute die Reste der zweiten (sozialdemokratischen) Internationale, die marxistische Zimmerwald-Kienthal-Gründung, als ein Propagandainstrument Ludendorffs bekämpfen und die Beweise in den Friedensverträgen von Brest-Litowsk vorzeigen Vgl. die ausgezeichnete Darstellung »Der Irrtum von Zimmerwald-Kienthal« von S. Grumbach, Bümpliz-Bern 1916, die bestätigt, daß der doktrinäre Verzicht auf die Landesverteidigung und die marxistische Wirtschaftsideologie es waren, die Rußland der obersten deutschen Heeresleitung auslieferten. Präsident der Zimmerwald-Kienthal-Gründung war der germanophile Schweizer Sozialdemokrat Robert Grimm, Hauptwortführer Genosse Radek und der Großinquisitor der »verbürgerlichten« Internationale, Ulianow Lenin, dessen Überschätzung der revolutionären Neigungen des deutschen Proletariats sich noch bei weitem utopischer zeigte, als sein Versuch, den Marxismus zu »verwirklichen«. Lenin sowohl wie seine russischen Genossen Trotzkij und Sinovjew nennen sich » revolutionäre Marxisten«. Die groben Irrtümer Lenins hinsichtlich der deutschen Mentalität sind samt und sonders in seinem Marxismus beschlossen. Gleich Marx hielt er den preußisch-französischen Krieg von 1870 bis zum Sturze Napoleons für einen »Freiheitskrieg«: »Im deutsch-französischen Kriege beraubte Deutschland Frankreich, aber dies ändert den grundlegenden historischen Charakter dieses Krieges nicht, der viele Millionen Deutsche von der feudalen Zersplitterung und Unterdrückung durch zwei Despoten, den russischen Zaren und Napoleon III. befreite.« (Lenin und Trotzkij, »Krieg und Revolution«, hrsg. von Eugen Levin-Dorsch, Zürich 1918, S. 102.) Mit Marx versuchte er, noch am 8. April 1917 die internationale Arbeiterschaft glauben zu machen, das deutsche Proletariat sei »der treueste und zuverlässigste Bundesgenosse der russischen und der internationalen Revolution« (Ebd., »Abschiedsbrief an die Schweizer Arbeiter«, S. 159). Und gleichwohl hat er den Marxismus, von dessen »lebendiger revolutionärer Seele« er noch heute überzeugt zu sein scheint, schlechter verstanden als der preußische Generalstab, sonst hätte er nicht schreiben können: »In Wirklichkeit wird diese (deutsche) Bourgeoisie zusammen mit den Junkern alle ihre Kräfte, ohne Rücksicht auf den Ausgang des Krieges anstrengen, um die zarische Monarchie gegen die Revolution in Rußland zu schützen« (S. 137). Oh nein! Dieser Generalstab (von der antislawistischen Bourgeoisie, auch der sozialdemokratischen, gar nicht zu reden) wußte sehr wohl, daß sich mit »revolutionären Marxisten« bei weitem besser arbeiten läßt, als mit einer von religiöser Feindschaft getragenen Monarchie. Und die Ereignisse bewiesen, daß es dem Generalstab gelang, Rußland durch seine Marxisten gründlicher zu ruinieren, als zehn schreckliche Iwans es vermocht hätten.. Die Marxsche Doktrin vom abstrakten internationalen Kapital, gegen das in erster Linie revoltiert werden müsse, und das überall, ja in England und Amerika despotischer als sonstwo, die Herrschaft führe, enthüllt sich als die Ausflucht eines patriotischen Juden, der über die mit kontinentalen Ansprüchen auftretende Militärautokratie seines Landes hinwegtäuschen wollte; hinwegtäuschen wollte über die Tatsache, daß der Sitz der Weltseele, Berlin, seit 1871 Sitz der Weltreaktion geworden war Aus Bakunins »Abschiedsbrief an die jurassische Föderation« nach dem Kongreß der antiautoritären Internationalisten, 1873: »So ist Euer Sieg, der Sieg der Freiheit und der Internationale gegen die autoritäre Intrige, vollständig. Aber bevor wir uns trennen, gestattet mir noch einen letzten brüderlichen Rat: Meine Freunde, die internationale Reaktion hat ihr Zentrum heute nicht mehr in diesem armen Frankreich – so possierlich von der Versailler Versammlung dem Sacré-Coeur geweiht –, sondern in Deutschland, in Berlin; und ihre beiden Vertreter sind ebenso gut der Sozialismus von Marx als die Diplomatie Bismarcks. Diese Reaktion setzt sich als Endziel die Veralldeutschung Europas und droht zu dieser Stunde alles zu verschlingen und umzukehren. Sie hat der Internationale, die heute nur noch aus den autonomen und freien Föderationen besteht, den Krieg aufs Messer erklärt. Wie die Proletarier aller anderen Länder, sollt auch Ihr, obgleich Ihr zu einer heute noch freien Republik gehört, die Reaktion bekämpfen, denn sie steht zwischen Euch und dem Endziel, der Emanzipation des Proletariats der ganzen Welt. – (Brupbacher, »Marx und Bakunin«, S. 160.).
Vielleicht schlägt einmal die Stunde der allgemeinen Völkerverbrüderung. Dann hat den deutschen Gedanken die Arbeit aller Generationen Europas genährt. Solange aber ist die Exaltierung der wichtigsten Idee Europas und der Welt, der Freiheit, nicht möglich, als in einem Volk von der Größe des deutschen die primitivsten Voraussetzungen dafür fehlen. Die Zeit theoretischer Versprechungen ist vorbei. Die ganze Welt wartet auf uns. Werfen wir die Gewaltmethoden und die Sophistik ab, und die neue Internationale ist gegründet. Die marxistische Pseudologie hat Rußland ins Verderben gestürzt und den Despotismus stärker gemacht als je. Sie versucht heute Revolutionen in Frankreich und Italien zu provozieren, um im eigenen Lande den Militärgeist zu retten; denn Bevormundung, »Ordnung und Sicherheit« erscheinen dem deutschen Philister und auch Proleten bequemer und weniger schrecklich als Rebellion. Unsere historische Schuld ist zu groß. Bekennen wir es! Gestehen wir's zu! Wir werden nicht eher Versöhnung finden, als bis wir in weißen Fahnen die Freiheit tragen.
Die Bedeutung des preußischen Junkertums und sein detestabler Einfluß auf die deutsche Politik konnten nur deshalb im Auslande unterschätzt werden und 1914 überraschen, weil man im deutschen Parteileben in den wenigen Jahrzehnten seines Bestehens zu wenig politische Schule und zu viele patriotische Hemmungen hatte.
Über kein Thema ist in Deutschland so wenig geschrieben worden, wie über den deutschen Adel. Und wenn schon geschrieben wurde, so mit einer himmelschreienden Harmlosigkeit, mit einer jeder Nerven- und Phantasiekraft baren Devotion; ohne allen Blick für den volksfeindlichen Charakter seiner Ränke, für die Gefährlichkeit seiner erheuchelten oder verschimmelten nationalen Beteuerungen; ohne die leiseste Skepsis seiner Gedankenarmut und säbelsicheren Staatsräson gegenüber. Ganz und gar aber ohne jene bis zum Exzeß gehende Eindringlichkeit, die dem Gegenstand angemessen gewesen wäre und die von unserer, der Rebellen Seite, auch der außerdeutschen Mitwelt Neues sagen konnte.
Wer kennt im Auslande Franz Mehrings »Lessinglegende«, in der sich das friderizianische Junkertum und die vertuschende Zuhaltetaktik deutscher Universitätsprofessoren in die Geißelhiebe eines überlegenen Gelehrten teilen? Wer glaubte bei uns zu Hause auch nur an die Möglichkeit ehrlicher Entrüstung und den Fanatismus, der Hermann Roesemeiers kraß plakatierende Junkerskizzen mit grimmiger Ironie erfüllt? Und ist es nicht ebenso traurig wie wahr, daß bis zum Erscheinen von Hermann Fernaus Ostelbierbuch »Das Königtum ist der Krieg«, das einen ungeschminkten Abriß der preußischen Verfassungsgeschichte und des Junkertums enthält, Mehrings Pamphlet gar vereinsamt blieb?
Das ist nur für denjenigen überraschend, der die Geschichte der deutschen Zensur und die Tradition der deutschen Staatsidee nicht kennt; der die Herabstimmung der freiheitlichen Forderungen durch ein rückständiges Parlament und die überwältigende Bestechlichkeit physikalischer Kraftleistungen für deutsche Gemüter außer acht läßt. Mit einer Naivität und Hingabe, wovon noch 1917 Herr Walther Rathenau verzeichnen konnte, daß man »bis an die äußerste Grenze der Kraft jede geforderte Leistung hergibt«, hat das Volk seinen Fürsten gedient. »Pflichtbewußtsein ist nicht der Ausdruck dieses Verhältnisses, noch weniger ist es blinder Gehorsam, weil freie Neigung mitspielt, am nächsten ist es kindlicher Folgsamkeit verwandt.« Walther Rathenau, »Von kommenden Dingen«, S. 263. Wörtlich beginnt dies Zitat: »Dieses hingebungsvolle Unterschichten- und Untertanenbewußtsein erfüllt in Preußen Millionen von Seelen und dringt bis hinauf in das freiere (!) Bürgertum, wo es dann freilich verderbte und sittlich gefährliche Formen annimmt. In seiner reinsten Form zeigt es kindlich schöne Züge (!) und fügt sich in das glückliche Patriarchenverhältnis, das uns in jeder Völkerjugend rührt. Volkspsychologisch sind diese Züge von hohem Wert; sie schaffen die disziplinierbarste und organisierbarste Masse, die wir kennen etc. etc.« Der solchen Galimathias schreibt, erläßt heute als »Führer der Nation« und Präsident der A. E. G. Aufrufe an die Jugend und versteht es auch sonst, die »spekulative« deutsche Tradition bestens zu handhaben. Bezeichnend für solche Gesinnung ist, daß man während des Krieges jegliche Warnungsstimme im Lande widerstandslos ersticken oder verdächtigen durfte; bezeichnend, daß man ohne nennenswerte Empörung im Reichstag nicht nur Liebknecht und Dittmann verurteilen, Muehlon und Lichnowsky für geisteskrank erklären konnte, sondern auch den 70jährigen Mehring in Schutzhaft nahm.
Die Reden und Schriften dieser ausgezeichneten Männer sind weiten Kreisen bekannt. Gleichwohl möchte ich mir nicht versagen, Adel und Junkertum auch in ihrem ideellen Zusammenhang etwas näher zu beschreiben. Ihre drei Haupteigenschaften sind:
1. Die Verkrampfung in die theokratische Ideologie des deutschen Mittelalters, die sie als Sachwalter der heiligsten nationalen Überzeugungen gegen befremdliche internationale Strömungen (Sozialismus, Pazifismus und Judentum) erscheinen läßt Die Bekämpfung dieser junkerlichen Ideologie erfordert einen geläuterten Nationalismus, der das Heil der Menschheit nicht in der Umgehung der Nation und im Verzicht auf ihre spezifischen Hilfsmittel und Traditionen, sondern gerade in der Erfüllung und Sublimierung der nationalen Idee, in der Ausprägung und Gewissenserhebung ihrer wahrhaft menschlichen Leistungen erblickt. Das Herz der Nation zur Menschheit tragen, das ist die Aufgabe verantwortlicher Geister..
2. Die aristokratisch-sporthafte Auffassung des Soldatentums, worin sie sich seit dem friderizianischen Zeitalter dem um Hab und Gut besorgten Zivilisten und der sogenannten Nützlichkeitsmoral überlegen fühlten; ihr Idealismus und Heroismus sozusagen, eine bäurisch dandyhafte Philosophie von der Nichtsnutzigkeit des Privatmanns und der Wertlosigkeit des Lebens, der in der Politik ein ebenso dreister wie grober Machiavellismus entspricht Hauptverteidiger dieses junkerlichen Heroismus sind die Herren Dr. Max Scheler und Prof. Werner Sombart, letzterer in seinem Buche »Händler und Helden«, das Nietzsches Angriff auf den »philosophischen Geist überhaupt« für seine fadenscheinige Beweisführung in Anspruch nimmt und damit die »platte englische Krämermoral«, den Common sense der Bentham, Spencer, Godwin, Owen, Hume, zu erschlagen sucht. »Deutsch sein heißt Held sein!«.
3. Ein skrupelloser Zynismus, der nicht nur weite Kreise der bürgerlichen Intelligenz, sondern auch des werktätigen Volkes zu verführen wußte; der sich trotz Ludwig XIV. und der Französischen Revolution, trotz 1830 und 1848 gegen Christlichkeit und Aufklärung, gegen Humanität und Menschenrechte so wohl zu behaupten wußte, daß man heute fast sagen kann, diese Begriffe seien dem Bewußtsein der Nation entschwunden.
»Es soll schwer sein«, sagt Mehring, »in der ganzen Weltgeschichte eine Klasse aufzufinden, die durch so lange Zeit so arm an Geist und Kraft und so überschwenglich reich an menschlicher Verworfenheit gewesen ist wie die deutschen Fürsten vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert.« Franz Mehring, »Die Lessinglegende. Zur Geschichte und Kritik des preußischen Despotismus und der klassischen Literatur«, S. 76. Das ist der Ausgangspunkt.
Den zum Jenseits gewandten phantastischen österreichischen Kaisern zur Zeit der Reformation gelang es nicht, diesen Adel zu bändigen. In Frankreich führte die Unterwerfung der Provinzialfürsten zu jenem Hofadel, der die Blüte der französischen Literatur schuf. In England paßte sich der die Revolution überlebende Adel den Interessen des Volkes an. Ja, im russischen Dekabristenaufstand verschwor sich der Adel sogar im Sinne der Volksemanzipation und gegen seine eigenen Privilegien wider den Zaren. In Deutschland aber? »Deutschland wimmelt von Fürsten«, schrieb in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Kenner der deutschen Höfe, Graf Manteuffel, »von denen drei Viertel kaum gesunden Menschenverstand haben und die Schmach und Geißel der Menschheit sind. So klein ihre Länder, so bilden sie sich doch ein, die Menschheit sei für sie gemacht, um ihren Albernheiten als Gegenstand zu dienen. Ihre oft sehr zweideutige Geburt als Zentrum allen Verdienstes betrachtend, halten sie die Mühe, ihren Geist und ihr Herz zu bilden, für überflüssig oder unter ihrer Würde. Wenn man sie handeln sieht, sollte man glauben, sie wären nur da, um ihre Mitmenschen zu verlieren, indem sie durch die Verkehrtheiten ihrer Handlungen alle Grundsätze zerstören, ohne die der Mensch nicht wert ist, ein Vernunftswesen zu heißen.« Ebd., S. 224. Die Intelligenz aber – sympathisierte oder fluchte sie? Von Luther bis Rathenau trugen die hervorragendsten Geister zur Stärkung dieses Adels bei, indem sie sich begnügten mit der » intelligiblen Freiheit«, die, ob sie Musik, Transzendenz, innere civitas dei oder »Freiheit eines Christenmenschen« hieß, auf ein freiwilliges oder notgedrungenes Abdanken hinauslief und sogar auf eine versteckte, servile, zwinkernde Konspiration wider die Weltmoral.
Überall waren die Vorrechte des Adels mit dem Aufkommen des Bürgertums beschnitten worden, nur, dank Luther, in Deutschland und Preußen nicht. Die Bauernkriege versanken im Blutbad. Drei weitere Revolutionen gingen spurlos vorüber. Der preußische Junker, der verwegenste von allen, saß und sitzt noch heute auf seinem Dominium wie ein König, mit dem Bewußtsein, sein Stammbaum ist ebenso alt, wenn nicht älter als der seines Dienstherrn. Die alten Begriffe von Lehensherrschaft und Vasallentum blieben bestehen. Die alten augsburgischen Begriffe von gottgewollter Abhängigkeit leben noch heute. In dem skurrilen Verhältnis Bismarcks zu Wilhelm I. genossen noch unsere Väter ein Beispiel davon. Bismarck: »Er kann nicht lügen, ohne daß man es merkt.« Der König: »Mein größtes Glück, mit Ihnen zu leben.« Der Vasall beherrscht seinen Fürsten, setzt ihm zu, faßt ihn beim Porte-épée, macht ihn schamrot in einer Unterhaltung über Pietismus. Der König, eingeschüchtert, ist ihm verfallen wie die Taube dem Habicht. »Warum«, fragt der Junker, »wenn es nicht Gottes Gebot ist, soll ich mich sonst diesen Hohenzollern unterordnen? Es ist eine schwäbische Familie und nicht besser als die meine.« Zitate aus Emil Ludwig, »Bismarck«, S. 70/73; 58. Als 1848 die Truppen unter den Steinwürfen der Menge auf Königs Befehl zurückgehen müssen ohne zu feuern, rät er den Generalen ganz offen zur Insurrektion. Kadavergehorsam kennt er nicht. Oberster Kriegsherr? Zum Lachen! Nur vor der Kanaille gilt es Dekorum zu wahren.
In Preußen zeigt das Naturburschentum der Junker die rührigste Farbe. Mit einem »üppig wuchernden, zahlreichen, scheußlichen Krautjunkergeschlecht« balgt sich der Große Kurfürst um die Kontribution für sein stehendes Heer Vgl. Kap. II, S. 96 f.. Die Junker sind pfiffig. Der Bauer muß schließlich die Lasten tragen. Friedrich Wilhelm I., Begründer der preußischen Hausmacht, dekretiert im Jahre 1717, daß »die Junkers ihre Autorität wird ruinieret werden. Ich aber stabiliere die souveräineté wie ein rocher von bronce.« Doch schon Friedrich II. sieht sich gezwungen, mit den Junkern zu paktieren, »sintemalen des Edelmannes Söhne das Land defendieren und die Rasse davon so gut ist, daß sie auf alle Art meritieret, conservieret zu werden« Zitate aus Hermann Fernau, »Das Königtum ist der Krieg«, Bümpliz-Bern 1918, S. 27 ff.. Friedrich Wilhelm I. ging ärgerlich prügelnd mit dem Stock durch Berlin, wenn er nach dem Rechten sah, und noch Friedrich II. läßt seine Journalisten ausprügeln. In deutschen Geschichtsbüchern findet man das schnurrig genug, als vergilbte Historie, aber noch 1918 erlebte man den Prozeß gegen den mecklenburgischen Junker von Oertzen zu Roggow, der einen Schnitter sich entkleiden ließ, ihn an einen Baum schnürte und ihm 50 Hiebe mit der Reitpeitsche auf den nackten Körper zeichnete.
Es ist wohl ohne weiteres klar, daß in dem völlig verrohten Knuten- und Schinderstaate Preußen von milderen Regungen schwerlich die Rede sein konnte. Was die vielgerühmte Toleranz unter Friedrich II. betrifft, so hat Lessing ihr ein Denkmal gesetzt, das gerade heute wieder eine gewisse Aktualität erlangt hat. In einem Brief an Nicolai vom August 1769 schreibt er: »Sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freiheit zu denken und zu schreiben ja nichts. Sie reduziert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion (siehe Marx und Nietzsche) so viele Sottisen zu Markt zu bringen, als man will; und dieser Freiheit muß sich der rechtliche Mann nun bald zu bedienen schämen. Lassen Sie es aber doch einmal einen in Berlin versuchen, über andere Dinge so frei zu schreiben... , dem vornehmen Hofpöbel so die Wahrheit zu sagen..., lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Untertanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte... und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist.« »Die Lessinglegende«, S. 340. Nicht nur Lessing hat sich übrigens über die Denkfreiheit unter Friedrich II. so geäußert. Ähnlich schrieb auch Sir Charles Hanbury Williams 1750 aus Berlin: »Es ist gar nicht zu glauben, wie dieser pater patriae sich um seine Untertanen sorgt: er läßt ihnen in der Tat keine andere Freiheit als die des Denkens. Ich denke Hamlet sagt irgendwo: Dänemark ist ein Gefängnis. Das ganze preußische Gebiet ist ein solches im buchstäblichen Sinne des Wortes«. Oder der italienische Dichter Alfieri in seiner Selbstbiographie über einen Aufenthalt 1770 in Preußen: Berlin sei ihm vorgekommen wie » eine große Kaserne, die Abscheu einflößt«, der ganze preußische Staat aber »mit seinen vielen Tausend bezahlter Satelliten wie eine ungeheure ununterbrochene Wachstube«. Oder Lord Malmesbury, 1772: »Berlin ist eine Stadt, wo es weder einen ehrlichen Mann, noch eine keusche Frau gibt. Eine totale Sittenverderbnis beherrscht beide Geschlechter aller Klassen. Die Männer sind fortwährend beschäftigt, mit beschränkten Mitteln ein sehr ausschweifendes Leben zu führen, die Frauen sind Harpyen, denen Zartgefühl und wahre Liebe unbekannt sind und die sich jedem preisgeben, der sie bezahlt« (S. 250). Man vergleiche auch die Auszüge aus den Briefen Winckelmanns, die Mehring mitteilt und aus denen die tiefste Verzweiflung eines preußischen Untertanen Friedrichs II. spricht.
Nach der Niederlage von Jena und Auerstädt (1806) ist das preußische Junkertum gezwungen, sich bürgerliche Heeresreformen gefallen zu lassen. Scharnhorst und Gneisenau als Revolutionäre, weil sie die »Junkerstellen« im preußischen Heer abschaffen und die »Freiheit des Rückens«, das heißt die Abschaffung der Prügelstrafen, erwirken! Im Handumdrehen aber erzwingt die junkerliche Fronde die Entlassung zweier reformlerischer Freiherren, des vom Stein und des von Hardenberg, dieweil der eine eine Art »preußischen Volksstaats«, der andere versöhnlicher, eine »Revolution im guten Sinne« verlangte. Die Reformen ermöglichen es gerade, daß unter Preußens Führung die »Befreiungskriege« unternommen werden können, und diese verhelfen der Reaktion wieder zur Herrschaft Es ist typisch für Preußen, daß dort »Revolutionen« von Zeit zu Zeit gerade dann gestattet werden, wenn der Despotismus neuer Kraftzufuhr bedarf. Die Revolution ist eine Art vereinfachter Beamtenselektion und Karriere. Man sollte sich warnen lassen, heute, Dezember 1918, wo wieder, wie 1848, eine Nationalversammlung bevorsteht und in politicis eine Verwirrung herrscht, die sich von der um 1848 in keiner Weise unterscheidet, weder im Mangel an Energie auf Seiten der Rebellen, noch im Mangel an Dreistigkeit auf Seiten der Reaktion. Deutschland erscheint unfähig, Revolutionen, selbst wenn sie ihm aufgezwungen werden, zu erfassen und im volksfreundlichen Sinne durchzuführen..
Die Philosophie aber, die große Führer- und Verführerin zu Freiheit und Volkswohl, die Schutzheilige und Madonna der Menschheit gegen die Attentate der Usurpatoren, diese unsere Jeanne d'Arc der Erlösung vom Dunkel und allen Verbrechen wider die Sozietät – wo blieb sie? »In einer weltgeschichtlichen Komödie«, schreibt Mehring, »hatte der preußische Korporalstock die deutsche Philosophie in immer höhere Höhen getrieben, bis er, was eine gewitterschwangere Wolke war, für ein harmloses Kamel oder Wiesel ansah.« »Lessinglegende«, S. 421.
Die romantisch-deutschen Ideen verbanden sich mit dem Protestantismus, die Reichsherrlichkeit des feudalen Mittelalters mit der protestantischen Prätention einer Ablösung der päpstlichen Autokratie durch das preußische Summepiskopat. In Hegels Philosophie wurde System, was unter Friedrich Wilhelm IV. Philisterideal war: der exaltierte, vertiefte, der kirchlich begründete Absolutismus. »Es drängt mich«, erklärte der König im April 1847 bei Eröffnung des vereinigten Landtags, »zu der feierlichen Erklärung: Daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll, Mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch eine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionell-konstitutionelles zu wandeln, und daß Ich es nun und nimmermehr zugeben werde, daß sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren.« »Von großer Frömmigkeit«, beschreibt Fernau diesen verrücktesten preußischen Monarchen, »und doch scheinbar liberal, ganz vollgepfropft mit mittelalterlichen Vorstellungen und doch, wie er sich im Gegensatz zu seinem Vater selbst nannte, ein ›moderner Mensch‹, versuchte er die Herrlichkeit eines romantischen teutschen Mittelalters und die Prächtigkeit einer römischen Herrscherkirche mit den Freiheitsideen (!) des Protestantismus und des 19. Jahrhunderts zu verbinden. Die ›Schreiberkaste‹ war ihm zuwider. Und darum hatte das Junkertum sein Wohlgefallen an diesem Herrscher. Es umgab ihn mit ›Heiligen und Rittern‹, entfremdete ihn völlig seinem Volk und seiner Zeit und lullte ihn in Weihrauch und herrliche Redensarten von Gottesgnadentum ein.« (»Das Königtum ist der Krieg«, S. 45.) Es war am Vorabend der Revolution. Dem von englisch-französischen Revolutionsideen gestärkten Bürgertum riß die Geduld. Am 18. März 1848 war der patentierte Stellvertreter Gottes gezwungen, zu dekretieren: »Der König will, daß Pressefreiheit herrsche; der König will, daß der Landtag sofort berufen werde; der König will, daß eine Konstitution auf der freisinnigsten Grundlage alle deutschen Lande umfasse etc. etc.«
Die Nation ließ sich düpieren. Sie redete und schwatzte, räsonierte und zankte, aber sie handelte nicht. Sie war über ihren eigenen Erfolg verblüfft, wie die Junker verblüfft waren über das sonderbare Schicksal ihres bislang so absoluten Königs. Die Parallele zur heutigen Situation liegt erschreckend nah. Am 27. April 1849 bereits hatte sich das Junkertum von seinem Schreck wieder erholt. Die preußische Regierung jagte die zweite Kammer auseinander. Am 28. April lud sie diejenigen Regierungen, die mit ihr die »deutsche Einheit gründen wollten«, zu gemeinsamen Konferenzen nach Berlin ein, versicherte, daß für unvorhergesehene Fälle alles Nötige bereit sei, und bot sich für etwaige Bedürfnisse in »gefährlichen Krisen« sogar nach auswärts an. Die Hofkamarilla schien zwar beseitigt. Aber Wilhelm I. richtete als »leidenschaftlicher Soldat« alsbald sein berühmtes Militärkabinett ein. Leiter dieses Kabinetts wurde von Manteuffel, Kriegsminister der junkerliche Hetzer von Roon, und der letztere erklärte gleich bei seiner Berufung, daß er »von der ganzen konstitutionellen Wirtschaft nie etwas gehalten habe«. Militärkabinett und Kriegsministerium heckten zusammen den neuen Mann aus: den Junker Otto von Bismarck.
Die Umkehr der Moralbegriffe, die Luther vornahm, indem er der Brutalität deutscher Fürsten des 16. Jahrhunderts die päpstliche Würde, der Obrigkeit und dem Staate göttliche Kraft verlieh, bestätigt die Erbsünde unserer Nation, ihren paradoxalen Freiheitsbegriff, das Wohlbehagen im Zustande der Barbarei. Mereschkowski nannte die Reformation den »zweiten Einbruch der Barbaren« in die lateinischen Sitten Dmitri Mereschkowski, »Vom Krieg zur Revolution«, München 1918, S. 96 (Von der religiösen Lüge des Nationalismus).. Und in der Tat: die Freude an der geglückten Zerstörung – die sogenannte Schadenfreude – und die Heiligsprechung der Profanation sind der Sinn des Lutheranismus, dessen Gipfel ist: die Verherrlichung aller Attentate auf den Geist, die Abschaffung der Moral und des Allmenschentums, die Zerstörung der Religion und des Menschheitsgewissens.
Die Weltseele mußte Bismarck erfinden, um Europa an einem flagranten Beispiel zu zeigen, worin man in Deutschland sich einig ist und was einer vermag, der die deutschen Freiheitsbegriffe versteht. Man hat Bismarck »von allen Deutschen den deutschesten Mann« genannt Houston Stewart Chamberlain, »Deutsches Wesen«, München 1916, in dem Kapitel »Bismarck der Deutsche«, S. 40., und wenn die Bismarcktürme aller deutschen Gaue etwas beweisen, dann mit Recht. Er hat die Nation tiefer entfesselt als Luther und Nietzsche. Er war der »freieste Deutsche. Selbst vor den schlimmsten Instinkten scheute er nicht zurück. Er hat die Nation an den Tag gebracht wie keiner vor ihm, unmißverständlich und ohne Bedenken.
Der Begriff deutsch steht selbst unter Deutschen keineswegs fest, und unter Ausländern nur als Schimpfwort. Hervorragende Führer haben sich vergebens bemüht, eine Norm aufzustellen, was eigentlich deutsch sei. Sie widersprachen sich alle. Fichte kam dem Problem am nächsten. Deutsch sein, heißt originell sein, fand er. Und da er Lutheraner war, bedeutete das, die Originalität bestehe im Bruch mit der Tradition, in jenem stets neu und von vorne Beginnen, das die Ideen verneint, statt sie auszubauen, das den Gedanken bekämpft, kaum daß er gefunden ist. Deutsch sein, heißt quer zu der Menschheit stehen; deutsch sein, heißt alle Begriffe verwirren, umwerfen, beugen, um sich die »Freiheit« zu wahren. Deutsch sein, heißt babylonische Türme errichten, auf denen in zehntausend Zungen der Unsinn Anspruch auf Neuheit macht; deutsch sein, heißt renitente Systeme voller Sophistik ersinnen aus einfacher Furcht von Wahrheit und Güte.
Mit solcher Philosophie ist man Widersacher und Sonderling. Mit solcher Philosophie ist man Nörgler und Volksfeind, flieht man die Realität und das Elend und Opfer, bleibt man in Konstruktionen, Verschrobenheiten; stammelt, verneint man und schwebt in der Luft. Das erklärt zur Genüge den Beifall, den Bismarck fand, als er bestimmte: deutsch sein, heißt Erfolg haben, gleichviel mit welchen Mitteln. Es war überraschend, daß einer es wagte, sozial zu sprechen, gleichviel mit welcher Gesinnung. Es war eine plausible und handliche Formel, die viel Spintisieren und fruchtloses Grübeln beendete; auf die sich heißhungrig alle die torturierten Gemütsmenschen stürzten, die gerne Geschäfte machten, dieweil es verboten war. Das Leben bekam einen Sinn, die Nation einen Sinn, Verschlagenheit wurde jetzt Recht, Gerissenheit wurde Moral. Keine Faxen mehr, seien wir praktisch Die Ablösung der Ideologie durch den praktischen Geschäftsgeist war es, was Bismarck so rasch zum Heroen erhob. Die abstrakte, volksfremde Ideologie (der deutsche Träumer) hatte die Nation so furchtbar verwildern lassen, daß der Geschäftsgeist, der jetzt zutage trat, an Immoralität den »Kapitalismus« jeden anderen Landes überbot. Die alldeutschen Verbände (Junkertum und Schwerindustrie), Händler und Helden in innigem Verband, wuchsen in kurzem zu jener ungeheuren, die deutsche Politik und das Wirtschaftsleben fast unumschränkt beherrschenden Macht, die seit den 80er Jahren mit vollem Bewußtsein auf einen neuen segensreichen Krieg, auf den Weltkrieg hinarbeitet. Die religiöse Weihe aber gab diesem Bunde Luther. »Sobald Luther erhaben wird, wird er praktisch«, schrieb Chamberlain, und er selbst unterstrich den Satz und fügte hinzu, daß der praktische Geist nach seinem Dafürhalten sogar »die Achse dieser gewaltigen Persönlichkeit ausmacht«. (»Deutsches Wesen«, S. 51, »Martin Luther, ein ergänzender Abschnitt zu den Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts«.)!
Und Bismarck hatte Erfolg, eminenten Erfolg, wenigstens für den Augenblick von einigen Jahrzehnten. Mit den verwegensten Mitteln »öffnete er Deutschland die Bahn«; war er der deutscheste Mann; glückte es ihm, Alldeutschland berauscht und gefesselt der Junkerschaft auszuliefern, wie ein geschickter Detektiv sein Opfer erst ködert und dann überrumpelt. Alle Kronen schmiedete er gewaltsam zum Ring, und daran band er ein großes Volk in entsetzlicher, heute dem Volke noch kaum zu Bewußtsein gekommener Sklaverei. Wenn aber sein System nun zusammenbrach? Das Erfolgsystem, das Gewaltsystem, das Betrugsystem, die moralische Freibeuterei? Was blieb dann vom Deutschtum übrig? Was mehr als ein Jammer?
»Roter Reaktionär, riecht nach Blut, später zu gebrauchen«, soll Friedrich Wilhelm IV. gesagt haben, als er Bismarck fürs erste von der Ministerliste strich Fernau, »Das Königtum ist der Krieg«, S. 54.. Der verschuldete, arme und hungrige Landjunker Bismarck war ein Kind seiner romantischen Zeit. Als Romantiker las er Byron und Shakespeare, als Junker Machiavelli. Es war die Zeit, da erbötige Hegelianer die Offenbarungen der Weltseele übersetzten in den Jargon der preußischen Bürokratie, und einer von ihnen schrieb eine Rechts- und Staatsgeschichte, worin der preußische Staat auftrat als Riesenharfe, ausgespannt im Garten Gottes, um den Weltchoral zu leiten. Gegen diese Bürokratie, deren Pünktlichkeit, Ordnung und Stabilität das Königtum stützte, kämpften die Junker. Für sie brauchte die Vernunft der preußischen Monarchie nicht erst aus der Weltseele abgeleitet zu werden. Das war ihnen zu hoch und abgeschmackt, Schöngeisterei.
Den Widerwillen gegen die staatsrechtlich argumentierende Bürokratie, die sich allerhand auf ihr akademisches Wissen zugute tat, teilte auch Herr von Bismarck. Nicht daß er Volksrechte geltend machte, wie sollte er auch? Dem Deichhauptmann war die »Schreiberkaste« zuwider. Er fand vielmehr die delikaten Worte: »Die Bürokratie ist krebsfräßig an Haupt und Gliedern. Nur ihr Magen ist gesund, und die Gesetzesexkremente, die sie von sich gibt, sind der natürlichste Dreck von der Welt.« Mehring, »Geschichte der deutschen Sozialdemokratie«, Bd. II, S. 217. (Brief an Wagener.) Man beachte den Neid in der Magenfrage und die Anspielung aufs Naturrecht, das damals noch im Gelehrtentum spukte!
Die Romantik Bismarcks ist von der üblichen Romantik etwas verschieden. Sie ist eine junkerliche Romantik. Von all den abenteuerlichen geistigen Exkursionen seiner Zeit, die instinktiv zurück zum Mittelalter strebte, blieb ihm allein der Machtgedanke jener frühen Kaiser, der Scharfrichterglaube an die gewaltsame Lösung von Konflikten, die Shakespearewelt voll monströser Intrige, der Glaube an Blut und Eisen als Universalmittel politischer Kuren; und so selbstbewußt er gegen die Ideologen, Träumer und Phantasten auftrat, so sehr blieb er seiner junkerlichen Kraft-, Rauf- und Zechromantik treu Die politische Sackgasse, in die Bismarcks zentralistische Machtromantik führte, hat unter Deutschen seit Konstantin Frantz besonders Fr. W. Förster systematisch bekämpft. (Vgl. »Bismarcks Werk im Lichte der großdeutschen Kritik« in der »Friedenswarte«, Bern, Januar 1916): »Die rein individualistische Großmachttheorie ist nur eine kurze Phase, eine Verwirrung, sie konnte nur in jenem Interregnum aufkommen, in dem die mittelalterliche Vorstellung der civitas humana zerfallen war, ohne daß neue große weltorganisatorische Ideen an ihre Stelle getreten wären... Diese Entwicklung kann nun allerdings nicht durch bloße politische Vorschläge in Gang gebracht werden. Es kommt vielmehr darauf an, daß die junge Generation in Deutschland sich gründlich von der Bezauberung freimacht, mit der die falsche Romantik der neuen Reichsgründung die Seelen der älteren Generation umspannen, deren ganzes Denken über völkerpolitische Probleme verengt und es im Namen der Realpolitik den realsten Tatsachen und Bedürfnissen der neueren Weltentwicklung entfremdet hat.«. Das Raubritter- und Vasallentum, der blutige Sadismus altdeutscher Landsknechtsmetzeleien, der rostige Waffenspektakel elisabethanischer Trauerspiele – in Bismarck fanden sie ihren spätesten Apologeten, geschwächt durch Nervenkrisen und Weinkrämpfe, beargwöhnt von einem fadenscheinigen »Christenglauben«, der in beständigen Konflikt geriet mit den Wirtschaftsproblemen des 19. Jahrhunderts, aber beklatscht vom ganzen egoistischen Pseudo-Nationalismus der Lutherschule. Wo konnte jene feudal-heroische Reichsherrlichkeit des Mittelalters, die in der Rumpelkammer und auf dem habsburgischen Throne moderte, überhaupt noch einmal auferstehen, wenn nicht in Hinterpommern, in Preußen? Aber mußte sie noch einmal auferstehen? Das ist eine andere Frage.
Der ungeduldig sich langweilende junge Herr von Bismarck, dem es bevorstand, sich »noch einige Jahr mit der Rekruten dressierenden Fuchtelklinge zu amüsieren, dann ein Weib zu nehmen, Kinder zu zeugen, das Land zu bauen und die Seelen seiner Bauern durch planmäßige Branntweinfabrikation zu untergraben« (seine eigenen Worte), leidet an »Verwilderung und Liebesmangel«. Der »Umgang mit Pferden, Hunden und Landjunkern« (seine eigenen Worte) ruiniert ihn. Er ist eine Art Rimbaud ohne Paris. Zu Königs Geburtstag wird er sich »besaufen und Vivat schreien«. Im ersten Rang der Oper benimmt er sich »so flegelhaft wie möglich« Zitate aus Emil Ludwig, »Bismarck«, Berlin 1917, S. 19, 28.. Aber während Rimbaud seine hochbrandende Charität aus der Verkommenheit des Kontinents zu den Negern trägt und am Ende seines Lebens in Marseille nach blendenden Wirren und Abenteuern sich schluchzend zu Jesus bekennt, ist Bismarck im Sachsenwald eine Caliban mit umgeschnalltem Schleppsäbel und doppelten Tränensäcken, dem zwei große Tränen betbrüderlich aus den Augen rinnen, als Dryander ihm aus der Bibel zitiert: »Vor unseligem Großwerden behüte uns, o Herr« Die Parallele zwischen dem jungen Bismarck und dem jungen Rimbaud liegt sehr nahe. Auch Rimbaud ist in seiner Jugend ein »Desperado des Instinkts«; von seinen gallischen Vorfahren hat er die »Idolatrie und die Liebe zum Sakrileg«. Christus ist ihm ein »éternel voleur des énergies«, Moral »une faiblesse de cervelle«. Germanisch und barbarisch, sagte man von ihm, brachen seine Verse in die französische Kultur ein. »Ich war niemals aus diesem Volke, war niemals Christ. Ich bin von der Rasse, die beim Todesurteil sang; ich verstehe die Gesetze nicht, habe keine Moral, bin ein roher Mensch.« (So Rimbaud, und fast ebenso Bismarck.) – Aber – und hier trennen sich die Wege dieser beiden so verwandten Geister – Rimbaud findet: »Die minderwertige Rasse hat alles bedeckt – Volkstum, wie man sagt, Vernunft, Nation, Wissenschaft.« Und er zieht daraus den Schluß: »Das Böseste ist, diesen Kontinent zu verlassen, wo die Tollheit herumstreicht, um diese Armen mit Geißeln zu versehen.« Er wird Heiliger, Gott und hilfreicher Medizinmann verschollenen Negerstämmen im schwärzesten Sudan. »Ich bin ein Tier, ein Neger; aber vielleicht bin ich gerettet. Ihr seid falsche Neger, Wahnsinnige, Wilde, Geizige.« In inbrünstigen Gebeten stirbt er am 10. November 1891. Welcher von diesen beiden Männern war der größere Held? Die Frage ist an das Volk und die Jugend gerichtet. .
Der schwarze Tag von Olmütz, wo Preußen 1850 von Österreich eine so komplette Abfuhr erlebte, daß sich die richtigen Junker, nach Mehring, wie Katzen in Baldrian wälzten, dieser Tag lenkte den Blick seines romantischen Königs auf ihn. Bismarck, der 1848 noch die deutsche Einheit als Gefährdung der preußischen Junkerherrlichkeit verstand und als ein echter Teufel in die Menge feuern lassen wollte, wird Vertreter des gedemütigten Preußischen Hofes am wiederhergestellten Frankfurter Bundestage, und so beginnt seine Laufbahn.
Die Ära Bismarck ist typisch junkerlich. Gekennzeichnet in der inneren Politik durch Staatsstreiche, Massenverbote, »Maulkorbgesetze« und alle empörenden Gewaltmaßregeln einer mit dem Polizeiknüppel argumentierenden Milltärdiktatur. In der äußeren Politik erst durch allerergebenstes Zukreuzekriechen (Olmütz), dann durch ein frischfröhliches Schieben (die sogenannten »dilatorischen Verhandlungen«), dann durch Düpierungsmanöver (1866 und 1870) und zuletzt durch eine weltgeschichtliche Provokation, die preußisch-deutsche Reichsgründung. In der Diplomatie ergänzen sich Anmaßung, bäurischer Jesuitismus und frömmelnde Heuchelei, um den völligen Mangel einer moralischen Überzeugung zu verdecken. Ziel ist gleichwohl die Herrschaft über den Kontinent.
Einige Kernsprüche Bismarcks, Parade- und Gemeinplätze von ebenso unbewiesener wie selbstgewisser Wucht, mögen die erschreckende Geistesarmut belegen. »Revolution machen in Preußen nur die Könige.« (Zu Napoleon III., Abschiedskonferenz, 1862.) Oder: »Die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates ist der staatliche Egoismus, nicht die Romantik.« (Vor dem preußischen Landtag, 1853.) Oder: »Die Einflüsse und Abhängigkeiten, die das praktische Leben mit sich bringt, sind gottgewollte Abhängigkeiten, die man nicht ignorieren soll und kann etc. etc.« Emil Ludwig, »Bismarck«, S. 65, 193, 195. Als er gegen Österreich rüstet, hält er die »Phrase vom Bruderkrieg« für nicht stichfest. Es gibt nur eine »ungemütliche Politik, Zug um Zug und bar«. Und an Andrassy schreibt er nach Abschluß des deutsch-österreichischen Defensivvertrages von 1879: »Si vis pacem, para bellum. Nicht unsere guten Absichten, nur unsere verbündeten Streitkräfte sind die Bürger des Friedens.« Hans Blum, »Fürst Bismarck und seine Zeit«, München 1895, Bd. V, S. 293. Der Brief ist datiert 18. Dezember 1879 und bezieht sich auf das »schließliche Ergebnis unserer Anstrengungen« (den Vertrag vom 7. Oktober 1879). Beachtenswert ist, daß Bismarck den französischen Botschafter in Wien, Herrn Teisserance de Bort, von den vorhergehenden Verhandlungen unterrichtet hatte, dabei aber den friedlichen Charakter des deutsch-österreichischen Bündnisses betonte. Bismarck hatte sich am 21. September 1879 nach Wien begeben und verhandelte dort mit Andrassy, dem Baron Haymerle und dem ungarischen Ministerpräsidenten Tisza, sowie mit Kaiser Franz Joseph selbst. Dieses Parabellum-Bündnis war der Keim des Krieges von 1914. Seine Vorbereitung bedeutet einen Betrug gegenüber Frankreich. In seinen »Gedanken und Erinnerungen« gesteht er: »Das europäische Recht wird durch europäische Traktate geschaffen, wenn man aber diese Traktate nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Moral für haltbar hielte, wäre das eine Illusion.« Und erst im Alter wächst dieser »ehrliche Makler, der das Geschäft wirklich zustande bringen will«, nach den Worten seines Predigers »in eine immer freiere und weitere Frömmigkeit hinein« und bringt denen, die »keine Offenbarung mehr glauben« (!) im Reichstag von 1882 zum Bewußtsein, daß »ihre Begriffe von Moral, Ehre und Pflichtgefühl wesentlich nur die fossilen Überreste des Christentums ihrer Väter sind« Emil Ludwig, S. 133, Ideale, Gottesfurcht..
Ist der Staat an sich schon die Negation der Menschlichkeit, und der preußische insbesondere, weil seine militärischen, juridischen und theologischen Grundlagen die Grausamkeit und den Hohn korrumpierter Klassen systematisch zur Geltung bringen, so muß er unter der Despotie einer Persönlichkeit wie Bismarck unerträglich und für die ganze Welt eine um so empörendere Herausforderung werden, je weniger die Nation, die ihm zum Opfer fällt, ein Empfinden dafür zeigt. Aber nicht nur die Gewalt, noch mehr empört seine pharisäerhafte Unaufrichtigkeit.
Bismarck ist ebenso typisch Protestant wie Junker. Ja, man kann sagen, daß er dem Begriff des Protestantismus unter Deutschen zu einer Renaissance verholfen hat: durch Einbeziehung romantischer Kaiserideen, die wesentlich auf das vorlutheranische Mittelalter zurückgingen Ebd., S. 130/32: »Bismarck war ganz und gar Protestant. Rom ist ihm ewig wesensfremd geblieben. Sein Wissen von den Mächten der Welt, sein starker Verstand, seine Selbständigkeit, vor allem sein weit über die Grenze der Religion hinausragender Glaube an die eigene Absolution drängten ihm den Protestantismus geradezu auf. Es klingt, als hätte es Luther selbst geschrieben, wenn man ihn am Abend des entscheidenden Juli 1870 ein Lied im Gesangbuch lesen, einen Eintrag über diesen bedeutungsvollen Tag machen und die plattdeutschen Worte hinzufügen sieht: ›Dat walt Gott und dat kolt Isen‹ (Das walte Gott und das kalte Eisen)«. Herr Emil Ludwig fährt fort: »Bismarcks Protestantismus hat eine besondere Färbung; man möchte ihn preußisch nennen. Er nennt sich Gottes Soldat; sein Amt werde er tun; ›daß Gott mir den Verstand dazu gibt, ist seine Sache‹.« . Als Privatperson: er geht zum Abendmahl, und Tränen rollen ihm über die Wangen. Es handelt sich jedoch nicht um das Mysterium der Liebe, sondern um den Staat, »denn im Reiche dieser Welt hat Er (der Staat) das Recht und den Vortritt«. Er hält Betstunden ab mit seinem Prediger, aber dem Konsul Michahelles legt er seines Glaubens Zeugnis ab: »Ja, wir stehen alle in Gottes Hand, und in solcher Lage ist der beste Trost ein guter Revolver, damit man die Reise wenigstens nicht allein anzutreten braucht.« Ebd., s. 131, 132. Durch die Ausnahmegesetze gegen die Sozialisten werden 500 Familien brotlos. Die Höhe der gerichtlich verhängten Freiheitsstrafen verteilt sich auf 1500 Personen und beläuft sich auf etwa 1000 Jahre. Aber die berühmte Sozialgesetzgebung, einer der größten und verhängnisvollsten Korruptionsversuche aller Zeiten, erfolgt »im Anschluß an die realen Kräfte des christlichen Volkslebens« und ist eine Eingabe »praktischen Christentums«, wie das stehende Heer des Großen Kurfürsten eine Eingabe praktischen Christentums und protestantischer Armenpflege war Zu Luthers Geburtstag, 10. November 1888 wurde Bismarck von der Universität Gießen zum Ehrendoktor der Theologie ernannt. Das lateinische Elogium widmete diese Ehrung »dem reichbewährten, vornehmsten Ratgeber der evangelischen Könige von Preußen, der erlauchten Stütze der evangelischen Sache in aller Welt, welcher darüber wacht, daß die evangelische Kirche gemäß ihrer Eigenart und nicht nach fremdartigem, für sie verderblichem Vorbilde regiert werde; dem tiefblickenden Staatsmanne, der erkannt hat, daß die christliche Religion, die ihm die Religion der tatkräftigen Liebe, nicht der Worte, des Herzens und Willens, nicht der bloßen Spekulation ist; dem einsichtigen Freunde aller deutschen Universitäten, der zumal den evangelischen Fakultäten teuer geworden ist durch die Entschlossenheit, mit der er für deren Freiheit eintrat, ohne die sie dem Evangelium und der Kirche nicht dienen können«. Und Bismarck erwiderte (22. November) dankend: »Meinem Eintreten für duldsames und praktisches Christentum verdanke ich diese Auszeichnung etc.« (Hans Blum, »Bismarck und seine Zeit«, Bd. VI. S. 323)..
Wann überzeugt man sich in Deutschland, daß jener Mönch von Wittenberg ein Verhängnis war? Wenn Friedrich Naumann fand: »Die katholische Gegenreformation war das Grab des deutschen Geistes an der Donau«, so nannte man Bismarck den »zweiten Luther«, den »größten der Protestanten«, denn er verdrängte ja die reformationsfeindliche Dynastie Habsburg aus Deutschland und ersetzte sie durch das Haus Hohenzollern. Wenn die »Preußischen Jahrbücher« für 1900 von den Befreiungskämpfen schreiben konnten: »Der Genius Luthers zog in dem Frühlingsbrausen des Jahres 1813 vor seinem heiligen Volke einher wie die Feuersäule vor dem Volke Israels in der Wüste«, wie sehr hatte dann jener Superintendent Meyer recht, der Bismarcks Kaiserreich als die »nationale Krönung des Reformationswerkes« bezeichnete! Einen rosigen Blick in die Zukunft aber eröffnete Treitschke, indem er verkündete: »Es ist Preußen, die größte protestantische Macht der Neuzeit, welche den andern dazu helfen wird, die Fesseln der allumspannenden Kirche abzuschütteln.« Zitate aus einer sehr interessanten kleinen Schrift: »Ist Deutschland anti-katholisch?«, Bums & Oates Ltd., London 1918. Man erinnere sich übrigens, damit auch der Humor nicht fehlt, jener Worte des Prinzen Heinrich von Preußen am Vorabend seiner Abreise nach China im Jahre 1897: »Mich zieht nur eines: das Evangelium Ew. Majestät christlicher Person im Auslande zu künden, zu predigen jedem, der es hören will, und auch denen, die es nicht hören wollen.« Wilhelm II. als Jesus, und der Prinz Heinrich, sein Bruder, als Apostel! Wann wird man beginnen, Preußen den umgekehrten Kulturkampf zu machen?
Da hat man neben der protestantischen Politik auch die protestantische Philosophie: sie »schüttelt die Fesseln ab«. Der Krieg ist für Bismarck »doch eigentlich der natürliche Zustand des Menschen«. Das Jägerleben ist »doch eigentlich das dem Menschen natürliche«. Also Jagd auf Tiere und Menschen. »Gefangene?«, ruft er in Versailles aus, »daß sie noch immer Gefangene machen. Sie hätten sie der Reihe nach füsilieren sollen!« Und als man ihm von verlassenen Häusern spricht, deren Wertsachen für die Kriegskasse konfisziert worden seien, lobt er dies und meint: »Eigentlich sollten solche Häuser niedergebrannt werden, nur träfe das die vernünftigen Leute mit, und so geht es leider nicht.« Zitate aus Emil Ludwig, S. 57, 77. (Emil Ludwig benutzt Bismarcks Reden, Briefe, »Gedanken und Erinnerungen«, die Memoirenwerke von Booth, Busch, P. Hahn, Hofmann, Keudell etc. etc., sowie die von Brauer, Marcks und v. Müller neuerdings gesammelten Erinnerungen.) Eigentlich. Eigentlich...
Wie Bismarck blasphemisch zur Religion steht, so steht er höhnisch zum Volke. Das Parlament nennt er ein »Haus der Phrasen«, was sich gut sagen läßt, wenn man geladene Gewehre hinter sich weiß, und er hält dafür: die äußere Politik, die er zu seiner Privatsache gemacht hat, sei schwer genug; durch »dreihundert Schafsköpfe« könne sie nur noch mehr verwirrt werden. Ein Gemütsmensch, ohne Zweifel; »von allen Deutschen der deutscheste Mann«. Kennt er praktische Rücksicht? Praktische Güte? Er kennt nur praktische Brutalität. Er folgt »dem Naturtrieb ohne große Skrupel«. Ihn empört es nun einmal, wenn ein preußischer General sich mit der Bevölkerung von Tours, die die weiße Fahne hißt, in Verhandlungen einläßt. Er, Bismarck, hätte »mit Granaten gegen die Kerls« fortgefahren, bis sie »400 Geiseln herausgeschickt hätten« Ebd., S. 82. (Vgl. auch Moritz Busch, »Tagebuchblätter«, Leipzig 1899, III. Bd.), woraus folgende Äußerungen Bismarcks Erwähnung verdienen; »Frankreich ist eine Nation von Nullen, eine Herde... Es waren 30 000 000 gehorsame Kaffern, jeder Einzelne von ihnen ohne Klang und Wert – nicht einmal mit den Russen und Italienern auf einen Fuß zu stellen, geschweige denn mit uns Deutschen« (Bd. I, S. 200). Oder: »Wenn wir in unserem Kreise nicht alles mit Garnisonen versehen können, so schicken wir von Zeit zu Zeit fliegende Kolonnen nach solchen Orten, die sich rekalzitrant benehmen, erschießen, hängen und sengen.« Oder: »Für jeden Tag Rückstand sollen den Gemeinden fünf Prozent des Betrages mehr abgefordert werden. Fliegende Kolonnen mit Geschützen sollen vor die sich hartnäckig weigernden Ortschaften rücken, sich die Steuern herausbringen lassen und falls dies nicht ohne Verzug geschieht, mit Beschießung und Anzünden vorgehen.« Und weiter: »Ich (Bismarck) denke, wenn die Franzosen erst Zufuhr an Lebensmitteln gekriegt haben und dann wieder auf halbe Ration gesetzt werden und wieder hungern müssen, das wird wirken. Es ist wie mit der Prügelbank. Wenn da etwas länger gehauen wird – hintereinander – so macht das nicht viel aus. Aber wenn ausgesetzt wird und nach einer Weile wieder angefangen, das ist unerwünscht.« (Bd. II, 57/58, 81/82 und 84.). Es ist die sattsam bekannte, in ihrem rüden Tonfall immer wiederkehrende Sprache der Junker, die nicht erst Schule zu machen brauchte, und die zwischen Feinden und den eigenen Volksgenossen nicht einmal einen Unterschied kennt. Es ist jene wüste Instinktbarbarei, welcher schöngeistige Feuilletonisten wie Herr Emil Ludwig vergebens den Goetheschen Mantel der Dämonie und der Problematik umzuhängen bemüht sind. Es ist jene Erhebung der heiligen Blut- und Gewaltmenschen, die den preußischdeutschen Parnass auszeichnet Vgl. die vom preußischen Generalstab inspirierten Dokumente alldeutscher Kriegswut in O. Nippolds berühmten Buche »Der deutsche Chauvinismus« (Bern 1913 und 1917), insbesondere die den Tatsachen durchaus entsprechende Äußerung eines Medizinalrat Dr. W. Fuchs vom 12. Januar 1912: »Welche Männer ragen denn am höchsten in der Geschichte der Nation, wen umfängt der Herzschlag der Deutschen mit heißester Liebe? Etwa Goethe, Schiller, Wagner, Marx? O nein, sondern Barbarossa, den großen Friedrich, Blücher, Moltke, Bismarck, die harten Blutmenschen. Sie, die Tausende von Leben hinopferten, sie sind es, welchen aus der Seele des Volkes das weicheste Gefühl, eine wahrhaft anbetende Dankbarkeit entgegenströmt. Weil sie getan haben, was wir jetzt tun sollen. Weil sie so tapfer, so verantwortungsfreudig waren, wie sonst keiner.« »Nun muß aber die bürgerliche Moral«, fährt der Medizinalrat fort, »alle jene Großen verdammen; denn der Volksgenosse hütet nichts ängstlicher als seine bürgerliche Moral – und trotzdem huldigen seine heiligsten Schauer den Titanen der Bluttat! etc.« – Heil dem großen Psychoanalytiker Fuchs! Er hat die Wahrheit, die lauterste Wahrheit gesprochen und das Rätsel aufgedeckt. Das schlechte Gewissen des deutschen Volkes ist seine – Moral. Das Verbrechen ist seine Natur, Rebellen aber sind diejenigen, die das Naturrecht der Bluttat restituieren! Das ist das Geheimnis der deutschen Geistesgeschichte. .
Das Aufkommen Bismarcks und seiner Gesinnung bedeutet: daß die Bestialität sich fürder ihres Namens nicht mehr zu schämen braucht; daß sie Philosophie wird. Das Aufkommen Bismarcks bedeutet die Vorbereitung des dritten und letzten Einbruchs deutscher Barbarei in die romanische Zivilisation: den Weltkrieg von 1914. Pascal und Rousseau, wenn sie vor Überhebung warnten und auf die nahe Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier hinwiesen, meinten ein Demutsideal. Bismarck und Nietzsche, indem sie die Tierinstinkte als den eigentlich menschlichen Naturzustand bezeichneten, rissen die Humanität nieder und forderten den Dompteur, als Nihilisten und Zyniker. Das Hündische wird heroisches Ideal; wieder ist der Weg gefunden, auf dem man originell ist, und die Überzeugung verbreitet sich: auch moralische Erfolge werden mit dem Ellenbogen erstritten, mit Drohungen erlistet, mit Gerissenheit erschoben.
Will man erfahren, worin Frankreich und Rußland 1914 sich verbunden fühlten, so schließe man endlich nicht mehr vom eigenen schlimmen Motiv auf das der andern, sondern lese in Léon Bloys »Sueur du sang« jenes Kapitel »Bismarck chez Louis XIV.« nach, aus dem zu ersehen ist, daß das Volk der Bloy und d'Aurevilly 1871 nicht anders die Preußen empfand als das Volk Leo Tolstois 1813 die übermenschlichen Franzosen. Bismarck erscheint als »une combinalson de goinfre, de goujat et de sanguinaire cafard qui déconcerte«, und das Haus der Frau Comtesse de Jessé, das der Herr Kanzler bewohnte, wird mit Säuren desinfiziert, nachdem der Herr Kanzler es wieder verlassen hat Léon Bloy, »Sueur du sang« (1870/71), Extrait du manuscrit de »L'Exégèse des lieux communs«, Paris 1914, S. 186/88..
Es ist eine kaum genügend beachtete Tatsache, daß dem System Bismarcks und seiner Nachfolger in Deutschland kein ebenbürtiger Gegner erwuchs; kein Antipode und Apologet überlegener Artung, der im Namen der Nation protestierte und die geistige Macht besaß, Bismarcks Argumente zu entkräften, wenn nicht für diese, so für die nächste Generation.
Dem Welfen Windthorst, Bismarcks stärkstem Gegner im Parlament, gelang es zwar, den Eindruck zu erwecken, »als wenn so ruchlose Leute in der Regierung unseres Königs säßen, die den heidnischen Staat anstreben«; als sei das Schulaufsichtsgesetz von 1872 »dazu bestimmt, das Heidentum, einen Staat ohne Gott, bei uns einzuführen, als seien der Herr Abgeordnete für Meppen (Windthorst) und die Seinigen hier noch die alleinigen Verteidiger Gottes« Worte Bismarcks aus seiner Rede vom 9. Februar 1872 zum Schulpflichtgesetz (vgl. Hans Blum, Bd. V, S. 49/56).. Aber Bismarck spielte den päpstlichen Anspruch alleiniger Gnadenverwaltung gegen ihn aus, und es gelang ihm damit, die »Heiterkeit« der lutheranischen Mehrheit auf seine Seite zu bringen. Auch erklärte sich Windthorst ja selbst für das »monarchisch-christliche Prinzip im Staate« Aus der Rede Windthorsts vom 8. Februar 1872., und auf dieser Basis sank seine Opposition zur kirchlichen Interessenpolitik herab. Die Kulturkampf-Initiative war auf seiten Bismarcks gegen die römische Kirche, statt umgekehrt, und es gelang dem Kanzler, damit sogar die Sympathie nationalistischer Rebellen zu gewinnen, die auf politischem Gebiet seine wildesten Gegner waren.
Für die Sozialdemokratie bekannte sich August Bebel im neuen Reichstag »zum Atheismus auf religiösem, zum Republikanismus auf politischem, und zum Kommunismus auf wirtschaftlichem Gebiete«, und gewiß war Bebel überzeugt, damit eine Formel tödlicher Feindschaft aufgestellt zu haben. Aber er war doch bei all seiner ehrlichen Tapferkeit ein preußisches Soldatenkind, das bereit war, für eine anständige Sache auch den »Schießprügel auf den Buckel zu nehmen«, und leider mußte man den junkerlichen Krieg von 1870 für solch eine anständige Sache halten. Bekannte doch selbst Mehring noch: »Mochte Bismarck was immer gesündigt haben, und der Norddeutsche Bund wie wenig immer mit einem Idealstaate gemein haben, so galt es, dem Auslande endlich einmal zu zeigen, daß Deutschland entschlossen und fähig sei, seinen eigenen Willen zu haben. Durch alle diplomatischen Lügen hindurch (durch alle?) sah das Volk nur die eine Tatsache, daß der Krieg geführt werden müsse, um die nationale Existenz sicher zu stellen.« Mehring, »Geschichte der deutschen Sozialdemokratie«, Bd. IV, S. 5.
Erst eine neunmonatige Gefängnishaft belehrte Bebel darüber, daß das Volk nicht für die Freiheit und nicht um seine nationale Existenz gekämpft hatte, sondern im Gegenteil für die Freiheit der Junker und ebenso für deren nationale Existenz. Den »Atheismus auf religiösem Gebiete« brauchte Bismarck nicht zu fürchten, und den »Kommunismus auf wirtschaftlichem Gebiete« ebenso wenig. Den ersteren vertrat er selbst viel gründlicher wie Bebel, wenn auch in pietistischer Verbrämung, den Staatskommunismus aber durchschaute er in seiner materiellen Lüsternheit und warf ihm die Gnaden- und Versöhnungsbrocken der Sozialgesetzgebung zur Stillung seines Appetits zu.
Bismarcks System war mächtiger als seine offiziellen Gegner. In dieses System mündete der hundertjährige Machiavellismus der Nation, mündeten die autoritären Systeme von den offiziellen Staatskirchen bis zum sozialdemokratischen Dogmenverband. Gierig nach Geschäften, Karriere, Genuß und Versorgung erkannten in diesem Systeme sich potenziert die atheistische und materialistische Schule, die anthropomorphe und die naturphilosophische. In ihm gipfelte jene Zerstörung der Moral, deren schlimmster Repräsentant Bismarck nach Luther und Hegel ist Von Ideen ist nach Bismarck nicht mehr die Rede. Es gibt nur noch Staatsphilosophie und Kriegswirtschaft. Die Gobineau, Treitschke und Chamberlain beherrschen den Denkapparat. Vgl. Dr. H. Roesemeier, »Die Wurzeln der neudeutschen Mentalität« (Der Freie Verlag, Bern 1918): »Der führende Geist des neuen Deutschland – übrigens sein einziger literarischer Vertreter von urwüchsiger Kraft und Fülle der Persönlichkeit – wurde Heinrich von Treitschke, der Historiker, der im preußisch-deutschen Reiche Bismarckischer Nation den Gipfel der Weltentwicklung erblickte, der die Hegelsche Vergottung des Staates aus der Sphäre abstrakten Denkens in die Wirklichkeiten praktischer Politik überführte, der den Grund legte zu dem furchtbaren Englandhaß, wie er die jetzige Generation der deutschen Intelligenz beseelt. Gar nicht hoch genug einzuschätzen ist Heinrich von Treitschkes Einfluß auf die neudeutsche Mentalität.« (S. 25.).
Man halte die Deutschen nicht für oberflächlich. Sie sind tief, sehr tief, tiefer als der Tag gedacht. Sie graben unterirdische Schächte und Gänge nach allen Seiten, aber – nur in der Verschlagenheit, in der Ausflucht: wenn sie den geraden, den aufrechten, den menschlich logischen Weg gehen sollten; nur wenn es die Zerstörung, sei es der Moral, der Religion oder der Gesellschaft, wenn es ihre »Freiheit« betrifft. Ich spreche nicht von der Musik, dem Glanze unserer Versklavung. Ich spreche von der Versklavung selbst, jenem abgeblendeten, verkrochenen, unheimlichen Wesen, das unter der albernen Oberfläche eines konzilianten, bieder schmunzelnden Optimismus die böswillige Rache derer übt, die, lange verderbt, ihr aufrechtes Manntum eingebüßt haben. Es ist die furchtbare Tiefe, die unsere einzige Hoffnung ist, wenn wir begeistert den Gott, statt den Teufel hinunterführen, und wieder ans Licht kommen, reiner, begeistert, wissend, zermürbt.
Im jungen Nietzsche war Bismarck eine Gefahr geboren, mächtig genug an Begabung und Schwung, den Götzendienst aufzuheben, das Wotanschwert zu zerbrechen. Unter Wagners sibyllischem Einfluß wuchs er heran. Tradition der Romantiker wirkte hier fort: Abschüttelung der versuchten Entartung, Gottverschwärmtheit in menschlicher Nähe. Aufhebung der Pedantenschulen, die da moralische Weltordnungen erdachten und sie despotisch verhängten. Aufhebung der Herzens- und Geistesversklavung, Befreiung unserer verschütteten, schüchternen, süßesten vox humana: Geistige Einheit der Nation. In Wagners Musik lebten Baader, Novalis und Hölderlin fort; lebte der Geist Beethovens und Susos. Die materielle, wirtschaftliche, äußere Einheit hatte Bismarck gesucht; mit Pöbelmethoden, gräßlich und gröblich. Die innere, geistige, höhere Einheit galt es zu suchen und finden.
Nietzsche kam aus der besten Schule: Schopenhauers und Wagners, zweier Kirchenväter der Romantik; zweier der menschlichsten, unerschöpflichsten Geister, die die Nation hervorgebracht hat. Die pessimistische Absage Schopenhauers rührte und leitete ihn; dessen herb nach innen gerichteter Überschwang. Was war denn Schopenhauers Pessimismus, wenn nicht die Enttäuschung eines fanatischen Wahrheitsfreundes, der den Schwindel einer selbstherrlichen Welt voll goldener Herzen und gemeinsten Philistertums durchschaute Vom Glücke sagte Schopenhauer, daß es bestimmt sei »vereitelt oder als eine Illusion erkannt zu werden«, das Leben bezeichnete er als einen »fortgesetzten Betrug, im Kleinen wie im Großen«. (Schopenhauers Werke, Bd. II, S. 674, Ausgabe von Eduard Grisebach, Leipzig.) Interessant ist die Bemerkung des Biographen Johannes Volkelt hierzu: »Ist nicht Schopenhauers Weltverwerfung und Lebensverneinung längst als schrullenhaft bekannt! Besonders die gegenwärtige Jugend ist erfüllt von dem Durste nach stark herausgelebtem Glück, nach Genußempfindungen, die alle Lust wie sie von den früheren Geschlechtern gespürt wurde, an Mannigfaltigkeit, Neuheit und ausschöpfender Tiefe weit übertreff en sollen; und sie ist zugleich voll des kühnen Glaubens an die Erreichbarkeit solchen Glücks.« (Johannes Volkelt, »Arthur Schopenhauer. Seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein Glaube«, Stuttgart 1900, S. 1.)? Wer hat die »Kultur« und das neue deutsche Reich Hegelscher Provenienz mit seinem Kraft- und Geistprotzentum so gründlich abgelehnt wie er? Wer den allgemeinen Taumel zu Genuß so bissig und unbarmherzig gegeißelt? Mag Mehring ihn immer nach seiner Parteischablone den »Philosophen des geängstigten Spießbürgertums« nennen Mehring, »Lessinglegende«, S. 422: »Seit dem Erscheinen des Kommunistischen Manifestes im Jahre 1848 war es mit der bürgerlichen Philosophie in Deutschland vorbei. Ihre patentierten Vertreter an den Hochschulen kochten allerlei eklektische Bettelsuppen, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt abgestandener wurden. Für die philosophischen Bedürfnisse der Bourgeoisie aber sorgte eine Reihe von Modephilosophen, von denen einer den anderen ablöste, je nach der wechselnden Entwicklung des Kapitalismus. Von Anfang der fünfziger Jahre bis etwa in die Mitte der sechziger war Schopenhauer der Mann des Tages (!), der Philosoph des geängstigten Spießbürgertums, der wütende Hasser Hegels, der Leugner jeder historischen Entwicklung, ein Schriftsteller nicht ohne paradoxen Witz (!), nicht ohne ein reiches, wenn auch mehr weitläufiges, als eindringendes und umfassendes Wissen, nicht ohne einen Abglanz der klassischen Literatur, die er zum Teil noch unter Goethes sonnenhaften Augen mit erlebt hatte, aber in seiner duckmäuserigen, eigensüchtigen und lästernden Weise doch recht das geistige Abbild des Bürgertums, das, erschreckt durch den Lärm der Waffen, sich zitternd wie Espenlaub auf seine Rente zurückzog und die Ideale seiner größten Zeit wie die Pest verschwor.« Wahrlich ein klassisches Urteil! Der wütende Hegelhasser, das ist es! Die Hegelsche Philosophie mit ihrem Glauben an die in der Geschichte selbsttätig sich immer mehr verwirklichende Vernunft, der Hegel-Marxsche Evolutionismus, der freilich galt Schopenhauern als »halb verrückt«.. Schopenhauer wußte um einen Begriff, der leider der deutschen Entwicklung verloren ging: den der Hybris, der Sünde und Schuld; und er wußte um einen Heroismus, der die ganze teutsche Sozialdemokratie begräbt, den Heroismus des Heiligen und des Asketen Volkelt, »Arthur Schopenhauer«, S. 250: »Dann aber hören wir plötzlich, daß die Welt an sich einen moralischen Sinn habe. Die stärksten Ausdrücke sind für Schopenhauer noch immer kaum stark genug, wenn er die naturalistische Weltanschauung brandmarken will. Er hält es für den ›fundamentalen‹ und ›verderblichsten Irrtum‹, ja für ›eigentliche Perversität der Gesinnung‹, wenn der Welt ›bloß eine physische, keine moralische Bedeutung‹ gegeben wird. ›Die Hauptsache des menschlichen Lebens ist sein ethischer, für die Ewigkeit geltender Wert‹. Schon in seiner Jugend bemerkte Schopenhauer gegen Schelling, daß das Moralische das Allerrealste sei, demgegenüber alles, was sonst real erscheint, in Nichtigkeit versinke.« Man vergleiche die darauffolgenden Ausführungen über Sünde, Schuld und Buße (S. 251/56): »Jetzt darf von einer heiligen moralischen Ordnung der Welt – freilich ist sie von furchtbarer Art – die Rede sein. Das Leiden der Welt rechtfertigt sich durch die zugrunde liegende Schuld. Man kann aus Schopenhauer den guten Sinn herauslesen: das Bejahen des Lebens sei eben als gieriges, besinnungsloses Bejahen die Urschuld.«. Schopenhauer hätte nicht Kriegskredite bewilligt, Schopenhauer nicht die geistige Einheit der nationalen und politischen geopfert, und nicht die menschliche Einheit der nationalen. Und Schopenhauer hatte eine Gemeinde. Die junge intellektuelle Partei seiner Zeit, auf seinen Namen schwor sie den »ruchlosen Optimismus« ab, der 1871 seine Saturnalien feierte und 1918 gerichtet wurde, aber noch heute darüber nicht zur Besinnung gekommen ist. In Schopenhauer stand Pascal wieder auf, die Apologie des Herzens und der Tränen, die Apologie wahrhafter Vernunft und unerschütterlicher Redlichkeit. Seine Philosophie, die an den Leidenschaften litt, nicht sie suchte; seine Philosophie, die die Wunden des Gekreuzigten bluten sah aus jeglicher Kreatur; seine tief christliche Genielehre – das Geheimnis, das Rätsel, Gott muß erlöst werden –; seine Philosophie der Illusion, die von den Schmerzen der Isoliertheit und der Beschränkung hinausführte zur Kommunion aller in der Kunst –, das war es, was Wagner und Nietzsche gleicherweise in seinen Bann schlug In Wagners »Nibelungen« und insbesondere in der Gestalt Wotans (des Kriegs- und Schlachtengottes) kam Schopenhauers »schuldvoller Wille« als Wesen der Welt zu erhabenem Ausdruck. (Vgl. Artur Prüfer, »Die Bühnenfestspiele in Bayreuth«, Leipzig 1899, S. 110 ff.).
Ich möchte den individuellen Erlösungsgedanken Schopenhauers keineswegs befürworten. Ich halte seine Ästhetik sowohl wie sein Nirwana für eine Ausflucht und habe dagegen denselben Einwand, den ich gegen einen andern romantischen Begriff, den der Universalität, nicht verschwiegen habe Vgl. die Ausführungen Kap. II, S. 84.. Es handelt sich (seit der Französischen Revolution) nicht mehr darum, Selbsterlösung zu treiben und vor der unannehmbaren Realität in die Kunst und die Illusion zu flüchten. Es handelt sich vielmehr um die Auflösung dieser Realität, um die Erlösung der Gesellschaft bis ins letzte verlorenste Glied. Es handelt sich um die materielle und geistige Befreiung all derer, die leiden; um die christliche Demokratie. Doch Begriffe müssen vorhanden sein, bevor sie in fruchtbarer Weise angewandt werden können, und so gebührt Schopenhauer und Wagner das hohe Verdienst, dem Erlösungsgedanken inmitten einer Zeit überzeugtester Philisterblüte zur Wiedergeburt verholfen zu haben Ein Aphorismus Nietzsches aus dem Jahre 1874 lautet: »Tiefe Begierde nach Wiedergeburt als Heiliger und Genius. Einsicht in das gemeinsame Leid und die Täuschung. Scharfe Witterung für das Gleichartige und die gleichartig Leidenden. Tiefe Dankbarkeit für die wenigen Erlöser.« (»Schopenhauer als Erzieher«, Werke Bd. X, S. 319.).
Man muß die Jugendschriften Nietzsches lesen, um zu ermessen, welch Pandämonium großer und fruchtbarer Gedanken diese drei Männer verband. »Der Schopenhauersche Wille zum Leben«, schreibt Nietzsche, »bekommt hier (bei Wagner) seinen Kunstausdruck: dieses dumpfe Treiben ohne Zweck, diese Ekstase, diese Verzweiflung, dieser Ton des Leidens und Begehrens, dieser Akzent der Liebe und der Inbrunst.« Werke Bd. X, S. 449 (»Gedanken über Richard Wagner aus dem Januar 1874«). Und in das Studium Schopenhauers versunken: »Seine (Schopenhauers) Größe ist außerordentlich, wieder dem Dasein ins Herz gesehen zu haben, ohne gelehrtenhafte Abziehungen, ohne ermüdendes Verweilen und Abgesponnenwerden in der philosophischen Scholastik. Er zertrümmert die Verweltlichung, aber ebenso die barbarisierende Kraft der Wissenschaften, er erweckt das ungeheuerste Bedürfnis, wie Sokrates der Erwecker eines solchen Bedürfnisses war. Was die Religion war, ist vergessen gewesen, ebenso welche Bedeutung die Kunst für das Leben hat. Schopenhauer steht zu allem im Widerspruchs, was jetzt als Kultur gilt.« Werke Bd. X, S. 302.
Die Anwendung des Erlösungsgedankens auf die »Kultur«: das war die Aufgabe, die einem redlichen Geiste gestellt war. Doch Nietzsche war Protestant, auch er; von der Selbstsucht seiner Nation und der Zeit tiefer erfaßt, als er wähnte. Unter dem Einflusse Jakob Burckhardts und der Renaissance regen sich bald Bedenken bei ihm, sowohl gegen Schopenhauer wie gegen Wagner, und ach, gerade gegen dasjenige Band zwischen beiden, das er hätte stärken müssen, und das er löste; den Geist der Schuld und des Verzichts, den Geist der Demut und Schwäche, den Geist der Verfehlung und Abirrung.
Der Kompromiß, den Wagner seit der Reichsgründung mit Rom und Bayreuth einging, mit den Kommerzienräten und Beichtvätern seiner Majestät, die hysterische Materialisation der Erlösungsmusik, – Nietzsche leitete sie vom Pesthauche einer »absterbenden Religion« her, statt von dem Mangel an Widerstand gegen ein prostituierendes Zwangssystem. Statt seine Verneinung gegen den Staat zu richten, der Religion und Gewissen entehrte, wendet sich Nietzsche, ganz im Sinne des Staates, gegen die vermeintlichen »Überreste« der Religion, die er für die Schwenkung des Meisters verantwortlich macht und von denen er behauptet, sie seien dem »germanischen Wesen« fremd und zuwider Schon von Wagner sagte Nietzsche: »Er erfand den deutschen Geist gegen den romanischen« (Werke Bd. X, S. 446). Und: »Wagner fand einen ungeheuren Zeitpunkt vor, wo alle Religion aller früheren Zeiten in ihrer dogmatischen Götzen- und Fetischwirkung wankte: er ist der tragische Dichter am Schluß der Religion, der Götterdämmerung« (Ebd. S. 457). Bald aber betont er selbst: »Will man behaupten, daß der Germane für das Christentum vorgebildet und vorbestimmt gewesen sei, so darf es einem nicht an Unverschämtheit fehlen. Denn das Gegenteil ist nicht nur wahr, sondern auch handgreiflich. Woher sollte auch die Erfindung zweier ausgezeichneter Juden, des Jesus und des Saulus, der zwei jüdischsten Juden, die es vielleicht gegeben hat, gerade die Germanen mehr anheimeln als andere Völker? Beide meinten, das Schicksal jedes Menschen und aller Zeiten vorher und nachher nebst dem Schicksale der Erde, der Sonne und der Sterne, hänge von einer jüdischen Begebenheit ab: dieser Glaube ist das jüdische non plus ultra. Wie reimt sich diese höchst moralische Subtilität, welche einen Rabbiner- und nicht einen Bärenhäuter-Verstand so geschärft hat..., die priesterliche Hierarchie und das volkstümliche Asketentum, die überall fühlbare Nähe der Wüste, und nicht die des Bärenwaldes –, wie reimt sich das alles zum faulen, aber kriegerischen und raubsüchtigen Germanen, zum sinnlich kalten Jagdliebhaber und Biertrinker, der es nicht höher als bis zu einer rechten und schlechten Indianerreligion gebracht hat und Menschen auf Opfersteinen zu schlachten noch vor zehnhundert Jahren nicht verlernt hatte?« (Werke Bd. XI.). Ja, er bezeichnet die christliche Moral als das eigentliche Verderben, statt eben diese Moral zum Ausgangspunkt einer Kritik der Staatsidee zu nehmen.
Jetzt findet er: »Die Verneinung des Lebens ist nicht mehr so leicht zu erreichen: man mag Einsiedler oder Mönch sein – was ist da verneint?« Und: »Es gibt so viele Arten angenehmer Empfindung, daß ich verzweifle, das höchste Gut zu bestimmen.« Statt in die Schule des frühen Mittelalters, begibt er sich in die der französischen Moralisten des ancien régime, und in die Schule der Feuerbach, Bauer und Stirner. Den germanischen »Urtext« sucht er wiederherzustellen, den »eigentlichen« Naturzustand des Germanen, die vorchristliche Wildheit, um, wie er glaubt, eine reine Nation nach Ausscheidung orientalischer, jüdischer Moralismen zu erreichen; und sucht das kommende Genie vor jener Ideenverwirrung und Stagnation zu retten, der er Wagner verfallen sah »Schon im Sommer 1876, mitten in der Zeit der ersten Festspiele, nahm ich bei mir von Wagner Abschied. Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in Deutschland war, condeszendierte er Schritt für Schritt zu allem, was ich verachte, selbst zum Antisemitismus. Richard Wagner, scheinbar der Siegreichste, in Wahrheit ein morsch gewordener verzweifelnder décadent, sank plötzlich hülflos und zerbrochen, vor dem christlichen Kreuze nieder.« (»Nietzsche contra Wagner«, 1888, S. 246.) Warum denn nicht hülflos? Warum nicht zerbrochen? Weshalb durfte er das nicht?. Das gewitzigte Individuum wird ihm mit Luther, Kant und Stirner Garant des Gewissens, und so gerät er, wenn auch aus Geschmacksgründen, gegen die Reformation, doch in ihre Bahn und in eine Position, die dem seit 1789 neu erwachten Kollektivbewußtsein der Völker widerspricht.
Noch in der unter Wagners Einfluß geschriebenen »Geburt der Tragödie« hatte er eine tragische Kultur prophezeit und die Auflösung des Individuums in der Tragödie befürwortet. Jetzt glaubte er radikaler zu sein, wenn er den Kampf gegen die Kirche zum Kampf gegen das Christentum als gegen die Philister- und Herdensanktion, ja gegen die Moral selbst ausdehnte »Hat man mich verstanden?«, hieß das letzte Wort in »Ecce homo« (1888), »Dionysos gegen den Gekreuzigten«. Und an Georg Brandes schrieb er (20. November 1888): »Das Buch heißt ›Ecce homo‹ und ist ein Attentat ohne die geringste Rücksicht auf den Gekreuzigten; es endet in Donnern und Wetterschlägen gegen alles, was christlich oder christlich infekt ist, bei denen einem Hören und Sehen vergeht. Ich bin zuletzt der erste Psychologe des Christentums.«. Gerade die christlichsten, menschlichsten Tugenden greift er an: Nächstenliebe, Mitleid, Charität. Der Pastorensohn regt sich in ihm. Hochmut und Selbstüberschätzung des Protestanten aus altem Priestergeschlecht, geboren auf dem Schlachtfelde zu Lützen.
Er wird »originell«, er verfällt der Erbsünde des Protestantismus. Und er gerät in immer engere Sympathieallianz mit dem preußisch-protestantischen Pflicht- und Soldatengeist. Statt die mittelalterliche Weisheit zu exaltieren, wie Schopenhauer es tat, hält er ihre Ideen für erschöpft und verbraucht, wirft er wie Marx sie beiseite Fast mit denselben Worten: »Religionen verstehe ich als Narkosen.« Der Nachsatz lautet: »aber werden sie solchen Völkern gegeben wie den Germanen, so sind sie reine Gifte« (Werke X, 407)., und kann doch keinen Ersatz dafür finden. Er statuiert eine Herren- und Sklavenmoral und rechnet zur letzteren die Freiheitsideale der großen Französischen Revolution und der Evangelien, zur ersteren aber die Selbstvergötterung der Renaissance und des vorsokratischen Hellenentums. Er hofft, die Instinktkonfusion, den Mangel an Distanzgefühl, die deutsche Bassesse zu treffen und zieht in seiner Verblendung vor, es eher mit der Arroganz preußischer Zucht- und Disziplinarvorschriften, als mit der hierarchischen Rangordnung der katholischen Kirche und der geistigen Disziplin der Mönche zu halten »Mein Ausgangspunkt ist der preußische Soldat: hier ist eine wirkliche Convention, hier ist Zwang, Ernst und Disziplin, auch in Betreff der Form. Sie ist aus dem Bedürfnis entstanden. Freilich weit entfernt vom ›Einfachen und Natürlichen‹! Seine Stellung zur Geschichte ist empirisch und darum zuversichtlich lebendig, nicht gelehrt. Sie ist, für einige Personen, fast mythisch (!). Sie geht aus von der Zucht des Körpers und von der peinlichst geforderten Pflichttreue. Goethe ist sodann vorbildlich: der ungestüme Naturalismus (!), der allmählich zur strengen Würde wird...« (Werke X, S. 279, »Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben«, 1873.). Er glaubt, den Todesschlaf der Welt zu erschüttern, indem er dem Teutonentum seine letzten Gewissensketten abnimmt, und er wird wider Willen der Herold und Totengräber jener rastaquierenden Hyänen mit hellblauen Augen und einer Sadistenfalte um den verzerrten Mund, die nun aus Gründen der Philosophie die nationalen Leidenschaften aufpeitschen und hetzen.
Bei vollem Bewußtsein und im Gefühle seiner Verantwortung untergräbt er Schritt für Schritt und immer prinzipieller seine eigene Basis, gegen sein Gefühl, gegen seine Nerven, ja gegen seine Einsicht »Ich habe die Verwünschung Pascals und den Fluch Schopenhauers auf mir! Und kann man anhänglicher gegen sie gesinnt sein als ich?« (Werke Bd. XI, aus der Zeit von »Menschliches, Allzumenschliches«, 1875/79.), und je mehr er sich isoliert, desto lauter nennt er diese Isolation seinen neuen Heroismus, seine bessere Geistigkeit, seine Tapferkeit. Bis er zuletzt, ohnmächtig zu fesseln, was er selbst entbunden hat, jene höchste Gewalt verliert, die Gewalt über sich selbst, die persönliche Schlüsselgewalt, und in dem Augenblick zusammenbricht, wo er mit dem größten Satanisten der neueren Geschichte, mit Napoleon Bonaparte, zusammentrifft, und sich gezwungen sieht, die strengste Despotie, die Züchtung, die Dressur zu fordern.
Es kann nicht die Absicht dieser Untersuchung sein, in den Disput theologischer Schulen einzutreten. Gleichwohl ergibt sich die Notwendigkeit, dafür zu stimmen, daß die Religion völlig befreit, statt völlig vernichtet werde, und so jene mächtigste Kaste der Intelligenz zu rütteln, die der Priester und Seelenbeamten.
Zwei gewaltige Strömungen haben in ihrem Widerspruch das Gedankengebäude der Kirche errichtet: die Lehre der offiziellen Orthodoxie und die Lehren der Heiligen, Mystiker und der Propheten. Ich sage, in ihrem Widerspruch, um nicht Gegensatz zu sagen; denn oft wußte die Orthodoxie nicht, ob ihre Heiligen Ketzer waren oder Söhne Gottes, und diese Tatsache allein könnte zureichen, den Begriff der Kirche als der Inkarnation Christi und der Person Christi als der Inkarnation Gottes zu erschüttern. Zwei Worte des Evangeliums widersprachen einander: »Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen« und: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt«.
Die Evangelienkritik der verschiedensten Zeiten und Schulen hat ergeben, daß die Evangelientexte schon von frühesten jüdischen Ekkleslastikern und Rabbinern bearbeitet wurden; ja daß die Apostel selbst bewußte oder unbewußte Redakteure des göttlichen Wortes waren. Christliche Intention und guter Wille mögen mich und den Leser vor Unheil schützen, wenn ich in theologicis die Partei Thomas Münzers und jenes Abt Joachim nehme, die da leugneten, daß Jesus Christus wahrhaft Gott und der Evangelientext des 4. Jahrhunderts wahrhaft Gottes Wort sei. Jesus Christus gab Zeugnis, die Evangelien geben Zeugnis. Gott kann weder inkarniert noch dargestellt werden. Es gibt keine Wunder, es gab Wunderbares, mitten unter uns. Ein Wunder wäre die vollendete Inkarnation des Ewigen in zeitlicher Gestalt. Sie war nie, und wird nie sein. Gott und die Freiheit sind eins. Reich Gottes auf Erden ist Sakrileg. Sichtbare Kirche ein Sakrileg. Unfehlbarer Stellvertreter Gottes ein Sakrileg. Theokratie, von Gott eingesetzte Gewalt, das Sakrileg aller Sakrilegien. Gott ist die Freiheit des Geringsten in der geistigen Kommunion aller. Gott ist All-Güte, All-Liebe, All-Mitleid, All-Weisheit, höchster Gedanke, nie zu erreichen und stets zu erstreben. Gott ist die Qual und die Sehnsucht erdgebundener Menschen. »Söhne Gottes«, Propheten und Heilige, werden sich ihm nähern, um desto tiefer nur ihre Schuld an die Menschheit zu finden.
Der Offenbarungsglaube theologischer Akademien führte die grundlegenden Irrtümer ein, auf denen das sichtbare Kirchengebäude errichtet wurde. Die Lehre von der Inkarnation Gottes in der Person Christi, erfunden gegen den Judenhaß der römischen Aristokratie und um der neuen Lehre im abergläubigen Volke mehr Autorität zu verleihen, schuf die absolute Heilswahrheit und eine falsche, übertriebene, individuelle Erlösungslehre. Alles ist getan, die Welt ist erlöst, der Mensch schuldet nichts mehr als den Glauben. Die Lehre von der Inkarnation der vollendeten Heilswahrheit in der Kirche schuf das Monopol der Hostienverwaltung. Die göttliche Intelligenz ist Privileg des Klerus, die Unwissenheit der Laien verlangt die Bevormundung, die Bevormundung fördert den Gegensatz eines theologischen Adels und eines animalisch-profanen Proletariats.
Wenn das Evangelienwort von Petrus, dem Fels, und der Kirche, die darauf gebaut werden soll, authentisch ist, war die Sünde Christi, daß er aus einem Zeugen Gottes zum Rellgionsstifter wurde; die Sünde der Apostel aber, daß sie aus dem Buchstaben des Evangeliums einen Erlösungsbetrieb ableiteten. Demut, Schuldgefühl und Zerknirschung beruhen auf freimütiger Einsicht und sind Postulate hoher moralischer Selbstverpflichtung, die nicht fürs Gesetzbuch dogmatischer Verfassungen taugen. An die Liebesgebote Christi, wie sie, einfach und aller Kreatur verständlich, die Bergpredigt enthielt, knüpfte Paulus, der bekehrte Rabbiner, seine persönliche Interpretation der persönlichen Tragödie Christi, und die Lehre vom Opfertod eines Gottmenschen mit all ihrer tiefen, aber auch volksfremden und schwerverständlichen Symbolik sicherte der kirchlichen Intelligenz die Suprematie über den Laienverstand.
Positive Pragmatik und jüdische Exaltationslust haben das Werk eines Meisters entstellt und ein verderbliches Regiment für die Seelen errichtet. Im 4. Jahrhundert schloß die Kirche einen Kompromiß mit dem heidnischen Staat, wovon sogar Iwan Karamasow gesteht, daß es eher einem irdischen Königreiche entsprechen sollte, sich in die Kirche zu transformieren und auf Ziele zu verzichten, die mit der Kirche nicht in Einklang zu bringen sind, als umgekehrt. Und im 10. Jahrhundert schloß die Kirche einen weiteren Kompromiß mit der Wildheit deutscher Könige, denen sie die Würde von Schutzherren und »Kaisern der Christenheit« gegen die Zusicherung der Verbreitung des Christenglaubens durch das Schwert übertrug. Die theologische und die feudale Aristokratie gingen ein patriarchalisches Bündnis ein, das trotz aller gegenseitigen Befehdungen in Fragen des Vorrangs eine universale Intelligenz- und Milltär-Despotie über einer gemeinsamen Herde errichtete, die all ihren Besitz an Leib und Geist, an Gut und Blut bewußt darzubringen und zu opfern hatte. Der Universalstaat und seine wohlbestallten geistigen und weltlichen Beamte verwalten mit abgefeimter Arroganz die gesamte Arbeitskraft leibeigener Sklaven. Die »gottgewollte Gesellschaftsordnung«, die »gottgewollten Abhängigkeiten«, die »gottgewollten Realitäten« datieren von da und wirken noch heute. Der Kompromiß der Kirche mit dem Staat ließ das Evangelium der Armen in Vergessenheit fallen und rückte die Opfertragödie in den Vordergrund der Betrachtung. Der Kompromiß der Theologie mit dem irdischen Reich abstrahierte vom »Opfertod« Christi blutsaugerische Ausbeutungsmethoden den gekreuzigten Völkern gegenüber, schmorte die Ketzer und Rebellen und verwies etwaige Glücksansprüche der Herde auf ein besseres Jenseits. Die Theokratie wurde Züchtungssystem aller erdenklichen Servilität.
Nicht auf das Glück, auf das Leiden war sie gegründet. Das Leiden war Dogma. Von göttlicher Sendung bezog sie die Ehrfurcht, vom Glauben der Untertanen die Autorität. Liebeslehre ward mit Gewalt verbreitet, das Leiden gewaltsam aufrechterhalten oder erzwungen. Gehorsam war höchste Tugend. Die Welt ist ein trügerischer, zu überwindender Schein. Die allgemeine Verworfenheit bedarf eines konzentrierenden Fürsten. Treue, Schlichtheit, Pflichterfüllung finden »Gnade«. Auf dem Stellvertreter Gottes ruht die Gnade des Himmels, auf dem weltlichen Fürsten die Gnade des Papstes. Es ist das Christo-Chinesentum eines Totenreiches. Die Welt ist erlöst. Gott hat gelebt. Alles ist geschehen.
Daß die Ideologie dieses auf götzenhaften Voraussetzungen beruhenden Systems (die ganze Inkarnationslehre ist Götzendienst) heute noch in Kraft und keineswegs zu leerem Zauber und zur Zeremonie herabgesunken ist, ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, daß noch vor kurzem die hierarchischen Titel des österreichischen Kaisers eine Welt von Jesuiten und Lakaien in Bewegung hielten oder der deutsche Kaiser als Summepiscopus der protestantischen Kirche Pastoralreichskanzler bevorzugt hat. Nein, auch die Servilität blieb bestehen. Noch immer finden sich freigeborene Intelligenzen, die der katholischen oder der protestantischen Staatskirche ihre Gedankensysteme anbieten. Der preußische König als summus episcopus war zugleich Rector magnificentissimus seiner Universitäten und oberster Chef des Generalstabs. Die Universitätslehrer waren seine wissenschaftliche Leibgarde. Sie konnten abkommandiert werden wie Unteroffiziere und wurden es auch.
Im theokratischen Sinne muß man die Handlungen der deutschen und österreichisch-ungarischen Regierungen und die Haltung der ihnen unterstehenden Volksmassen interpretieren, wenn man den Sündenturm wahrhaft erkennen will. Alle Vorurteile der alldeutschen Ideologie weisen zuletzt auf Vorurteile der Theokratie und des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zurück. Die Anmaßung moralischer Überlegenheit und des Messiasberufes, die Anmaßung kultureller Superiorität, das Recht auf gewaltsame Unterwerfung der »Randvölker« und die Überzeugung von der sittlichen Minderwertigkeit dieser Randvölker; die Richterallüre im Kriege und in Fragen der europäischen Politik, die Strafexpedition wegen Hochverrats gegen das »moralische Herz und Zentrum Europas« das alles sind Vokabeln aus dem romantischen Wortschatz des mittelalterlichen Universalstaats und jener langen Jahrhunderte, da ein gemeinsamer heiliger römischer »Kaiser der Christenheit« gerade von Deutschland aus die Kulturwelt »schützte« und Deutschland der Schauplatz seines Gepränges, aber auch Tummelplatz seines Gesindels und seiner betrunkenen Heerlager war.
Das christlich-germanische Dogma von der Herrschaft Gottes über die Welt und des Geistes über die Materie, oder von der Vormundschaft des Kaisers, über seine Untertanen und der Gelehrtenkaste über die unwissenden Plebs, hat dann zur Zeit der Reformation eine Spaltung erfahren. Die Theokratie des katholischen Adels bevorzugte das Jenseits, die des protestantischen das Diesseits. Das Aufkommen der Hohenzollern und die Ausdehnung ihrer Herrschaft von Preußen auf Deutschland war nur möglich infolge der Vernachlässigung Deutschlands unter politisch universal, religiös aber weltflüchtig gerichteten habsburgischen Kaisern wie Rudolf II. und Karl V. Der katholische Zweig zeichnete sich aus durch »passives« Christentum, größere Spiritualität, Weltverachtung, Musik, Romantik und Geheimdiplomatie; der protestantische mehr durch »praktisches« Christentum, umfassende Versuche einer Sanierung der überkommenen Nichtsnutzigkeit und Verschlampung, Staats- und Rechtspflege, Gefängnis- und Armenwesen, Erziehungsanstalten, Sachlichkeit und vollendete Zwecksetzung (Organisation genannt). In Österreich dominierte die »Kulturmission«, begleitet von Brutalitätsanfällen, in Preußen die »ehrliche« Säbelautorität. In Preußen ward Ideal und Sinn der Theokratie der zum Soldaten begnadigte Sträfling (vgl. Kapitel II, Abschnitt 5) In Österreich der disziplinierte göttliche Schwärmer, Spion und Schauspieler der Sinne, der weltmännische Jesuit. Österreichs glänzendsten Name ist Metternich, Freund des Papstes, Bezwinger des groben Napoleon, Schöpfer der »Heiligen Allianz«, über die er sich lustig macht, und Dirigent jenes »Europäischen Konzerts« von 1815, des erlauchtesten Reaktionskongresses theokratischer Herrscher und Diplomaten. Preußens heiligster Name: Friedrich II., protestantischer Papst (er zuerst entdeckte das), Besieger einer »Weltkoalition«, despotisches Gerippe der Pflichterfüllung und des Sadismus, erster Diener des Staates und Meister einer stammelnden deutschen Intelligenz, der in französischer Sprache er preußische Haltung beizubringen das Zeug und die Laune hat.
Die Geschichte des Machiavellismus in Deutschland müßte geschrieben sein! Sie würde erstaunliche Resultate ergeben. Sie würde zeigen: erstens, daß den preußischen Herrschern die theologische Idee im Rivalitätskampfe mit Habsburg aufging (unter Friedrich II.), daß aber die preußischen Machiavellisten auf Thron und Katheder diese Idee von Anfang an nur nach ihrem Nutzwerte schätzten, so daß sich die preußische Staatsomnipotenz dem symbolischen Kaisergedanken zuerst in Deutschland (unter Bismarck), dann auch in Österreich selbst (unter Ludendorff) unterwarf und ihn als Mittel und Werkzeug benutzte. Zweitens: daß der machiavellistische Gedanke und die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert mit dem christlichen Gewissen der deutschen Philosophen in Widerspruch geriet und zu lebhaften Systemkämpfen führte, bis unterm Einfluß Napoleons der praktische Geist siegte, die Ideologien zum Teufel gingen und Bismarck mit der deutschen Reichsgründung ein Gebäude errichten konnte, in dem der schändlichste Geschäftsmachiavellismus mit der Fassade des lutheranischen Gottesstaats prunkte. Es würde sich drittens ergeben, daß selbst der protestantische »Idealismus« der deutschen Philosophie (Fichte, Humboldt, Hegel) auf die romantischen Universalstaatsideen nie völlig verzichtete. Das ontologische (Trägheits-)Prinzip ihrer Systeme entspricht dem Dogma vom gestorbenen Gotte und der vollzogenen Erlösung. Die Welt steht still; ihre Probleme sollen nur mehr definiert, beschrieben, begriffen, alsdann hierarchisch eingeordnet werden. Maskierte Geheimpolizisten der alten Orthodoxie sind diese Philosophen, in die Welt geschickt, um den wahren Gott, die wahre Welt und die wahre Vernunft – zu lähmen. Kein anderes System ergibt sich aus ihren Systemen. Keiner tritt klar für den Christus, keiner tritt klar für den Teufel ein. Die radikalste Freiheitspartei und das servilste Hofschranzentum können sich gleichzeitig für die entgegengesetztesten Zwecke auf sie berufen.
In summa würde sich zeigen, daß die Geschichte des Machiavellismus in Deutschland, in der auch Marx und Lassalle ein Kapitel zu widmen wäre, den systematischen Gottesgedanken des Heiligen Römischen Reiches im Nützlichkeitssinn pervertierte und daß diese Kämpfe um die Bestimmung der höchsten Autorität noch heute in Deutschland nicht abgeschlossen sind. Daneben aber erwiese sich der volksfremde Kastengeist und die Scholastik sogar der humanistischen Glanzperiode Deutschlands, deren Repräsentanten Kant, Fichte, Schelling, Humboldt und Hegel in ihren politischen Spekulationen sämtlich noch von der Bösartigkeit und Verworfenheit der Individuen ausgehen, auf denen der Staat zu errichten ist. Der deutsche Schulmeister, der die Kriege von 1866 und 1870 gewonnen haben soll, hütete sich, die liberalistische Attitüde der deutschen Denker ins Volk und bessere Meinungen vom Volk und der »Herde« in die hagestolzen Gelehrtenzirkel zu tragen. Es fehlte an Liebe, Hingabe und Leid. Russische Nihilisten, Pioniere der Intelligenz für das Volk, gab es in Deutschland nicht. Es gab nur Pedanten, Träumer und Streber.
Und so gebe ich wie zu Beginn so zum Ende in tiefer Verehrung und Liebe Dostojewskij das Wort, der 1870 aus Dresden an Malkow schreibt: »Die Professoren, Doktoren und Studenten sind es, die die Aufregung und das Gezeter machen, nicht das Volk. Ein Gelehrter mit weißen Haaren schreit: ›Man muß Paris bombardieren!‹ So weit brachte sie ihre Albernheit, wenn nicht ihre Wissenschaft. Mögen sie immer Gelehrte sein, sie sind darum nicht weniger kindisch. Eine andere Bemerkung: das Volk kann hier lesen und schreiben, aber es ist trotzdem unglaublich ungebildet, stupide, beschränkt und von den niedrigsten Interessen geleitet.« Oder am 5. Februar 1871: »Sie schreien: ›Jungdeutschland!‹ Ganz umgekehrt ist es. Sie sind eine Nation, die ihre Kräfte erschöpft hat, denn sie bekennt sich zur Schwert-, Blut- und Gewaltidee. Sie hat nicht die geringste Ahnung, was ein spiritueller Sieg ist, und sie lacht darüber mit einer soldatischen Brutalität.«
Was Dostojewskij in Deutschland sah, war der verwilderte Doktor Faust, die martialische Totenmaske einer erschöpften Theokratie.