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Die Pantomime vom braven Manne.

Personen:

Pantalon.
Arlequin.
Pierrot.
Skaramouche.
Kolombine.
Die Polizei.

 

Motive:

 

Das Motiv der Kolombine, von der treuen Liebe. Ein heiterer, herzlicher, schlichter Walzer, etwa im Geiste der Lannerschen, wenn er unbegleitet und rein erscheint; aber gerne preziös, geziert und eitel, mit koketten Pirouetten, und als ob er sich selber nicht ernst nähme und ironisieren möchte, daß man das Vertrauen verliert; aber auf einmal wieder in lieben Tönen reiner Einfalt, rührend und fromm, daß man sich immer noch einmal betrügen läßt.

Das Motiv des Pantalon, von der leeren Tasche. Derb, im Tone des Volkes, wie irgendein Lied vagierender Burschen. Neben der Kolombine ist das Platte, Bürgerliche, Gemeine.

Der Ruf des Arlequin. Ein paar jähe, freche Töne, unverschämt hinauf, wie eine Trompete von Hoffahrt und von Dünkel. Grell und brutal, wie roter Mohn.

Das Motiv des Pierrot, vom guten Kerl. Dumpf, mühsam und beladen, wunschlos, ergeben, ohne Trost und Hoffnung, grau und fragend. Es klingt wie der müde, geduldige Trott von spanischen Eseln.

Das Motiv des Skaramouche, von der Polizei. Ein langsamer, holpriger, altväterisch gravitätischer Marsch, landstürmisch und invalide. Im Tone des »Immer langsam voran«.

Das Vorspiel mischt diese Motive, gesellt und trennt sie wieder. Jedes wird erst für sich gezeigt, dann an den anderen verglichen, der Reihe nach. Endlich der steife, hölzerne Marsch der Polizei, das Motiv des Skaramouche. Daneben verklingt der Tag, die Arbeit schweigt, die Stadt beruhigt sich vom Lärm, Man hört die Läden schließen, das stille Gebet der letzten Glocken und den Zapfenstreich. Und schwere, feierliche große Akkorde der Rast und der Nacht, unter welchen das Motiv des Skaramouche nur noch wie ein winziger Käfer kriecht.

Der Vorhang auf. Die Bühne ist, mit zierlichen schmalen Wegen und, unter Kastanien und Linden, mit heimlichen Bänken bedeckt, eine heitere Promenade vor der Stadt, zu welcher hinten eine steile, breite Straße führt. Diese kommt aus der zweiten Kulisse links, geht eben quer nach der dritten Kulisse rechts, steigt hier steil quer nach der vierten Kulisse links, wendet sich scharf und verläuft immer steil bergan, nach hinten rechts; an der vierten Kulisse links, wo die Straße sich wendet, ist eine Laterne. Im Grunde Mauern und Türme der Stadt. Vorne links eine Bank unter der Linde. Rechts dichtes Gebüsch.

Abend; Frühling. Heller Nebel taut. Hinten verschwimmen fahl im Dunst die spitzen Zacken und schmalen Giebel der alten Stadt.

Aus der zweiten Kulisse links der Nachtwächter, mit einer Leiter. Er schreitet langsam die Straße entlang zur Laterne, legt die Leiter an und entzündet die Laterne. Dann geht er stadtwärts rechts oben ab.

Das in den Tönen der Rast und der Nacht gedämpfte und verhüllte Motiv des Skaramouche wird lauter und näher. Rechts oben, vom Tore der Stadt her, kommt die Wache, sechs Mann hoch hinter Skaramouche, langsam, gebrechlich, gravitätisch, schnaufend, ohne Schritt. Am Fuße des Berges, vor der Promenade, halten sie und rasten. Sie lehnen die schweren Gewehre weg und trocknen den Schweiß. Skaramouche gibt gemessen Seine Instruktionen. Sie treten wieder ins Glied. Skaramouche zählt ab und teilt zwei Gruppen. Diese marschieren voreinander auf und präsentieren. Die eine geht rechts vorne, die andere, von Skaramouche geführt, links vorne ab. Der Marsch verklingt in die Akkorde der Rast und der Nacht, bis plötzlich aus ihnen, erst leise, bald heftiger, eine schmerzliche Klage wächst und schwillt, von Zorn, Verzweiflung, Sehnsucht, betrogener Hoffnung und verratener Liebe; die ringen und drängen und müssen doch alle zuletzt in das triviale, klägliche Motiv der leeren Tasche auslaufen.

Pantalon kommt aus dem Grunde der Promenade, düster, verhärmt, brütend. Er hält, zögert, versinkt in sich, schüttelt sich ratlos und wandert wieder, ohne Trost. Vor der Linde vorne links ergrimmt er, hadert wild, wütet, ballt die Fäuste und tobt. Hier hat sie tausendmal mit ihm gesessen, hier hat sie ihm tausend Eide geschworen! So schön, so lieb und so falsch! Mit dem verfluchten Lumpen von Arlequin! Das Motiv der treuen Liebe und die höhnische Trompete des Arlequin. Er fällt auf die Bank und heult erbärmlich. Dann trocknet und schüttelt er sich und starrt dumpf hinaus. Er kann es noch immer nicht glauben, von ihr nicht glauben, die er so herzlich geliebt und die es ihm so herzlich vergolten. Er denkt an die keusche Güte ihrer schmalen, weichen Miene, an die sanfte Treue ihres frommen Blickes, an die liebe Unschuld ihrer hellen Rede. Er kann, er kann es nicht glauben! Aber sie ist ihm doch fort! Er hat doch den Brief! Er darf nicht zweifeln. Er holt den Brief und weint und wütet und zerknittert und glättet ihn gleich wieder ängstlich, weil es ja wenigstens ein Andenken ist. Das einzige, das ihm geblieben. Sonst hat er nichts mehr, nichts mehr auf der Welt. Ja – weil er kein Geld mehr hat! Er zeigt die leeren Taschen. Alles für sie verpraßt und dann ist sie fort! So sind die Weiber! Was soll aus ihm jetzt werden, ohne sie, ohne Geld, ohne Mut, Freude und Hoffnung? Er sinnt lange ratlos auf der Bank unter der Linde.

Plötzlich, schrill zwischen die scheuen Klagen der irrenden Geigen, der freche Ruf des Arlequin. Rechts oben, vom Tore her, erscheinen Arlequin und Kolombine. Pantalon springt hastig auf und will ihnen entgehen. Aber er wendet sich wieder und überlegt: Arlequin ist ja viel stärker; Arlequin wird ihn verhauen; dann wird er auch noch ausgelacht. Dann hat er sie erst recht nicht mehr, und noch immer kein Geld und obendrein Prügel. Er kriegt eine ohnmächtige Wut. Er tobt und windet sich und ballt die Fäuste. Wie sie in die Promenade treten, versteckt er sich hinter dem Gebüsch rechts und lauscht.

Arlequin, bunt und üppig gekleidet, mit eitlen, prahlerischen Gesten, ein rechter Geck und Fanfaron. Kolombine, sehr schlank, sehr schmal, sehr zart, spitze, herbe, kindlich dürftige Formen unter dem weiten, faltigen Gewande. Sie kommen Hand in Hand die Straße herab, von einem langsamen, zierlichen Menuette geleitet: Arlequin leidenschaftlich, eindringlich und pathetisch, Kolombine spröde und geziert. Er deklamiert von seiner Liebe. Sie liebt ihn ja auch. Er zieht sie heiß an sich. Sie widersteht verschämt. Er will sie küssen. Sie löst sich geschmeidig. Er bettelt und fleht und drängt. Sie beteuert ihre Liebe, aber auch ihre Tugend. Er wird gewaltsam. Sie entflieht. Er hascht sie. Sie weint. Er tröstet sie und schmeichelt ihr. Er will ihr ja doch nichts tun; es wird gar nichts geschehen; sie soll bloß vernünftig sein. Und er wiederholt seine heftige, unverwindliche, närrische Liebe, und wie herrlich sie es bei ihm haben soll, und ein Kerl wie er findet sich nicht alle Tage, und läßt die großen Taler klimpern. Aber wie er wieder nach ihr greift, entwischt sie ihm wieder, und es ist lange ein munteres Spiel von Werben und Sträuben, von Haschen und Fliehen, von Begehren und Versagen, bis sie sich endlich ergibt. Sie küssen sich lange. Pantalon raschelt im Gebüsch. Sie horchen erschreckt. Sie zeigt auf die Laterne und die Nähe der Stadt. Er zieht sie ins Dunkel der Promenade, wo sie einsam und versteckt ist. Links vorne ab.

Pantalon aus dem Gebüsche rechts. Der Mond löst sich von leichten Wolken. Er gießt ein dünnes, helles, in mildes Grün versponnenes Grau auf die Bäume, über die Wege. Hinten die Türme und Giebel der Stadt ragen schwarz. Die Laterne scheint gelb, fahl, feindlich. Das Motiv von der leeren Tasche in den großen Akkorden der Rast und der Nacht.

Pantalon ist verzweifelt. Es gibt keine Hoffnung und Hilfe. Sie liebt ihn nicht mehr, und ohne sie kann er nicht leben. Sonst freut ihn nichts. Was soll er noch auf der Welt? Ohne Geld und ohne Liebe! Es hat keinen Sinn. Er will nicht mehr leben. Er holt eine Schnur aus der Tasche, prüft ihre Kraft, sieht, welchen Baum er wählen soll, geht nach der Laterne und will sich erhenken. Es gelingt nicht gleich. Er ist ungeschickt. Er fällt und muß es noch einmal versuchen. Der weiche, breite, alte Schlapphut geniert ihn. Er wirft ihn zornig weg. Endlich hat er es, zieht die Schlinge, strampelt noch ein bißchen, schnappt und baumelt. Sein müdes, schlaffes, versunkenes Gesicht ist im schrillen Gelb der Laterne; aber der Leib wird im blassen Silber des Mondes wie ein entrinnender, zerfließender Schatten. So schwankt er im Winde. Das schwere, dämliche, bedrückte Motiv des guten Kerls verkündet die Ankunft des Pierrot.

Pierrot von vorne rechts mit einem Karren, sehr kümmerlich, dürftig und verzagt. Wo die steile Straße beginnt, rastet er eine Weile, dumpf, müde, gedankenlos, ohne Wunsch und Hoffnung, tierisch ergeben. Er rafft sich auf und schiebt den Karren über den Berg, keuchend und mühsam. Vor der Laterne erschrickt er, hält und sieht verblüfft nach der Leiche. Er stellt den Karren weg und zupft den Pantalon. Er will klettern, rutscht aus und schlägt hart nieder. Er steht auf und reibt sich schmerzlich die Nase. Was tun? Die Sache ist nicht so einfach. Aber er kann ihn doch nicht hängen lassen! Er klettert behutsamer und ängstlicher, und es gelingt ihm endlich, die Schnur zu lösen. Der Körper fällt. Pierrot erschrickt, fährt mit dem Kopfe jäh zurück, schlägt an die Scheibe der Laterne, welche klirrend zerbricht, läßt los und plumpst auf den Gehenktem Er wischt sich schaudernd ah, als ob vom Tode etwas kleben bleiben könnte, und sinnt eine Weile. Er will den Körper nach der Promenade tragen, auf die Bank. Der Körper ist zu schwer. Er leert den Karren und ladet ihn auf. Die Musik vermischt, während er mit dem Karren nach der Promenade kommt, die Motive der leeren Tasche und des guten Kerls und verspottet beide.

Er legt ihn sorglich auf die Bank und möchte ihn wecken. Er reibt ihn, bläst auf ihn, wischt ihn mit nassem Gras. Endlich reckt sich der schlaffe Leib.

Pantalon erwacht und sieht erstaunt herum, ohne daß er sich gleich recht besinnen könnte.

Große Freude des Pierrot; er ist stolz und selig.

Pantalon erinnert sich. Leise klingt das Lied von der treuen Liebe und der Ruf des Arlequin. Er wendet sich und sieht nach der Laterne. Er wird sehr wild. Nun ist seine ganze Arbeit wieder umsonst. Nun hat er alle Mühe des Sterbens gehabt, ohne den Gewinn des Todes. Nun kann er noch einmal von vorne beginnen. Was braucht der fremde Kerl sich um ihn zu kümmern? Wird er für ihn sorgen? Bringt er ihm seine Kolombine wieder? Na also – dann konnte er ihn auch baumeln lassen!

Pierrot findet das ungerecht. Er hat es anders erwartet. Er meint, daß er ihm vielmehr danken müßte.

Danken? Das wird ihm Pantalon gleich zeigen, wie er es verdient. Er schlägt ihn mitten ins Gesicht und läuft davon.

Pierrot reibt sich verdutzt die Backe und kann es nicht verstehen. Die Welt ist nicht gerecht. Man hat keinen Dank. Er schiebt den Karren wieder hinauf, hält vor der Laterne und ladet ein.

Das Motiv des Skaramouche. Die Wache kommt von der Streifung zurück. Von vorne links langsam über die Promenade nach dem Fuße des Berges. Skaramouche erblickt den Pierrot, die zerbrochene Laterne und den verlassenen Hut des Pantalon daneben. Die Sache ist verdächtig. Sie halten und beraten. So ein Bösewicht wird oft sehr unangenehm. Es gehört Verstand und Mut dazu. Skaramouche entwickelt seinen Plan. Einer soll rechts, einer links am Rand der Straße schleichen, heimlich, leise, scheinbar ohne Arg an dem Pierrot vorbei. Oben wenden sie sich und warten, bis Skaramouche mit dem dritten angerückt und also der Verbrecher rings umzingelt ist. So geschieht es. Pierrot ist sehr verwundert, was die Polizei mit den gefällten Bajonetten will. Es hat sich einer gehenkt und er hat ihn gerettet. Ja, das kann jeder sagen. Er wird verhaftet. Sie nehmen ein umständliches Protokoll mit ihm auf.

Arlequin und Kolombine kommen vorne links zurück, zärtlich verschlungen, girrend und schnäbelnd, selig und müde. Sie beteuern ihre Gefühle und preisen das Glück. Sie werden sich niemals verlassen. Kolombine sieht die Gruppe auf der Straße. Sie nähern sich neugierig. Gerade hebt Skaramouche den Hut des Pantalon vom Boden. Sie erkennen ihn und erstaunen. Arlequin läuft hinauf: Was ist das für ein Hut, woher kommt der Hut? Pierrot erklärt es ihm, daß es der Hut des Gehenkten ist, den er gerettet hat. Arlequin schleppt den Pierrot wütend von der Wache weg vor Kolombine. Sie wird sehr zornig. Was geht ihn der Pantalon an? Ein anderes Mal soll er ihn ruhig hängen lassen. Das wäre viel bequemer. Sie prügeln den Pierrot. Die Wache braucht eine Weile, bis sie wieder im Gliede und abgeteilt ist. Arlequin nimmt Skaramouche beiseite, gibt ihm Geld und erklärt die Geschichte. Skaramouche sieht es ein. Er, hat gleich gewußt, daß es ein gefährlicher Verbrecher ist. Ihn betrügt man nicht. Aber der soll es büßen. Er wird nichts zu lachen haben. Sie binden ihm die Hände, nehmen ihn in die Mitte und führen ihn stolz nach der Stadt, während Arlequin und Kolombine, zärtlich verschlungen und mit vielen Küssen, langsam folgen. Der Vorhang fällt.


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