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Seine bisherigen Erfolge hatte Metternich, wie Maupassants Bel Ami in dem bekannten Pariser Roman, alle den Frauen zu danken gehabt. Er hatte auch sonst viel Ähnlichkeit mit Bel Ami, dem Frauenfresser und Karrierenmann, mit dem einzigen Unterschied allenfalls, daß er dort anfängt, wo Bel Ami aufhört: bei der Geldheirat. Bei Metternich kam zum Geld noch der Adel und der Name Kaunitz, dessen Glanz nach dem Tode des größten österreichischen Staatsmannes noch lange weiterstrahlte, und in dessen Lichtkegel er nun trat. Hier hatte ihn die Fürstin Liechtenstein bemerkt, über ihn ein bißchen nachgedacht und »gezaubert«. Metternich war unter ihrer Mitwirkung für Dresden ernannt, nach Berlin versetzt worden, wo ihm wieder die Freundschaft der Königin Louise gleich eine Stellung machte. Jetzt aber, nach Berlin, wo seine Politik, Preußen in ein Bündnis gegen Napoleon zu zwingen, im Grunde Schiffbruch gelitten hatte, war es zum erstenmal ein Mann, der sich für sein Weiterkommen lebhaft einsetzte. Es war der französische Gesandte Monsieur La Forest, der ihn Napoleon empfahl, dem wieder die Verbindung mit dem Namen Kaunitz den jungen Mann interessant machte. Kaiser Franz stimmte zu, und 44 Metternich wurde Pariser Botschafter seines bei Austerlitz schon wieder aufs Haupt geschlagenen und noch ganz betäubten Landes.
»Die Herren mit den weißen Manschetten«, wie Rahel Varnhagen die Diplomaten einmal nennt, leben größtenteils von der Kunst, im richtigen Augenblick das richtige Wort zu finden und – auch dies eine Kunst – es auf eine wirksame Weise abzuschnellen. Als Metternich im September 1806 als neuernannter österreichischer Ambassadeur in St. Cloud zum erstenmal in seinem Leben vor Napoleon stand, sagte der Kaiser, nach einer einleitenden Frage, die Metternichs jugendliches Alter betraf: »Sie sind noch sehr jung, um Europas älteste Dynastie zu vertreten.« – »So alt, wie Eure Majestät am Tage von Austerlitz war!« war Metternichs rasche und doch überlegte Antwort, die beim ersten Schuß ins Schwarze traf. Es war zugleich ein Kompliment und eine Frechheit, eine Falschheit und eine Ehrlichkeit, eine Parade und ein Hieb – das Muster einer Diplomatenantwort. Metternich gab sie im Augenblick, als er sein Beglaubigungsschreiben Napoleon einhändigte. Aber diese Antwort war selbst eine Beglaubigung. Auch faßte sie Napoleon ohne Zweifel so auf. Er war selbst ein Meister des Plutarchischen Wortes und wußte es auch bei anderen zu schätzen.
Zwei Jahre später haben sich die Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich und dementsprechend zwischen Kaiser und Botschafter derart verschlechtert, daß Napoleon, wenn er bei einem Empfang an Metternich vorübergeht, ihn, nur einen Augenblick haltmachend, nichts anderes mehr zu fragen weiß als: »Wie befindet sich Madame Metternich?« Worauf dann Metternich jedesmal auch seinerseits immer dieselbe Antwort gibt: »Immer im gleichen, Majestät!« Zwischen diesen beiden Gesprächsfiguren, jener kecken Antwort und dieser mürrischen, rollt Metternichs Pariser Botschafterlaufbahn ab. Er richtete nicht viel aus beim Kaiser, und das einzige, was er ihm 45 bei den nachträglichen Friedensverhandlungen nach dem unglücklichen Feldzug noch abzumarkten imstande ist, war Triest, das er im Jahre 1808 für Österreich erwarb und das dann mit einer kurzen Unterbrechung hundertzehn Jahre lang bei Österreich verblieb. Aber die Beziehungen zu Napoleon waren doch, zumal im Anfang, recht freundliche. Erst später wurden sie gespannt, was in einem spitzen Wort Napoleons zum Ausdrucke kam. »Metternich«, sagte er, »ist auf dem besten Wege, ein Staatsmann zu werden. Er lügt schon ganz hübsch.«
Metternich kam im Spätsommer 1806 in Paris angereist. Er richtete sich zunächst vorübergehend als Junggeselle ein, erst später kam Madame Metternich mit den Kindern nach und übersiedelte ihren Gatten ins Botschafterhotel. In der Zwischenzeit schrieb er einen immer noch galanten Brief an seine Jugendliebe, Madame Constance Caumont. Sie war kurz vorher in Paris gewesen und hatte in seiner nächsten Nähe gewohnt. Dann hatte sie sich auf ihr Schloß Chandai in der Bretagne zurückgezogen, vielmehr dort begraben. Vergeblich redet er ihr in seinem Briefe zu, noch einmal nach Paris zu kommen, da er sie doch »unmöglich« in Chandai besuchen könne. »Je ne devrais bien ne pas aller vous y voir.« Metternichs Briefe, die er als Liebhaber schreibt, haben den für die Nachwelt unschätzbaren Vorzug, indiskret zu sein. Man liest immer alles heraus. Kein Zweifel, die junge Frau mit den »schwarzen Haaren und blauen Augen«, die für eine Hebe hätte Modell stehen können, war immer noch sehr hübsch. Aber sie bleibt in Chandai, was vermutlich auch dem Wunsche des Herrn Caumont entsprach, und Metternich bezieht mit seiner Frau das Botschafterpalais.
Ein Bild von Gérard aus jener Zeit verewigt seine äußere Erscheinung. Der resedagrüne Cherubin von 1792, der auf dem Krönungsball in Frankfurt Menuett tanzte, hat sich in einen schon etwas statiösen dunkelgewandeten Herrn verwandelt, nur der blaue Blick in dem etwas impertinent lächelnden 46 Genießergesicht ist ihm geblieben und hat sogar etwas Kindliches bewahrt. Die Kleidung, soweit sie uns das Brustbild verrät, ist überladen im Empiregeschmack. Wir sehen einen jungen Freibeuter der Liebe, mit einem ganzen Kramladen von Tüchern und Orden um den Hals. So sah Metternich damals aus, wenn er nicht gerade die Malteseruniform – rot mit schwarzen Aufschlägen – trug, die ihn höllisch-interessant erscheinen ließ.
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Österreich war 1805 zum zweiten Male im Felde geschlagen und am Konferenztisch gedemütigt worden. Ein rückschrittliches Söldnerheer, nach dem verrosteten Werbesystem zusammengetrommelt, unter Führung verkalkter Generale, von denen Mack der verkalkteste war, hatte sich als unfähig erwiesen, dem vom Genius des Krieges befeuerten Volksheer der Franzosen Widerstand zu leisten. Der einzige Erzherzog Karl hatte sich als eine militärische Hoffnung erwiesen, auch er freilich zunächst nur ein noch uneingelöstes Versprechen für die Zukunft. Mittlerweile hatte Napoleon in den kaiserlichen Gemächern in Schönbrunn geschlafen, und die französischen Offiziere, denen die hübschen Wienerinnen nicht ungern nachblickten, hatten dem »Fidelio« eines gewissen Beethoven einen Erfolg bereitet, den die Wiener, die noch bei Gluck hielten, dem jungen Komponisten kühl verweigerten. Kaiser Franz aber hatte sich rechtzeitig von Wien hinwegbegeben, wie er dies auch im Jahre 1809 wieder tun wird. Er hatte eine natürliche Abneigung gegen Napoleon und traf nicht gern mit ihm zusammen. Erst nach der Schlacht von Austerlitz sah er sich genötigt, zwecks Waffenstillstandsverhandlungen Napoleons persönliche Bekanntschaft zu machen. Worauf er nach dieser Begegnung seinen Eindruck in den berühmten Satz zusammenfaßte: »Jetzt kann ich ihn erst recht nicht leiden.« 47
Was Napoleon in den ersten zehn Jahren seiner unerhörten Ruhmeslaufbahn mit Österreich gemacht hatte, war nicht weniger, als daß er es beim Genick gefaßt und in den Winkel von Europa gestellt hatte, mit dem Gesicht nach Osten. Vor zehn Jahren noch hatte Habsburgs langer Arm über Deutschland hinweg in die Niederlande gereicht, wie Metternich aus eigenster familiärer Erfahrung wußte; dieser Arm hatte die Deutsche Kaiserkrone gehalten, die linksrheinischen burgundischen Besitzungen, und hatte sich zur Faust geballt, wenn einer nach deutschem Besitz zu greifen wagte. All das gehörte jetzt der Vergangenheit an. Österreich hatte Belgien und Holland aufgegeben, die Kaiserkrone fallen lassen, Burgund verloren. Es hatte Venedig als Entschädigung erhalten, eine Stadt, erlauchter noch als das Haus Habsburg, mit der dieses aber nicht viel anzufangen wußte. Auch Galizien, das etwas später noch hinzukam, vermochte Österreich nicht zu entschädigen für den Westen Europas, von dem es sich abgeschnitten sah.
Ein geschlagener, überalterter, auf vier Fünftel seines Umfanges abgemagerter Staat; eine Armee, die den Glauben an sich selbst verloren hatte; eine unfähige, schläfrige Verwaltung und zu drei Vierteln bankrotte Finanzen; dazu ein gedrückter Kaiser, der bei aller Geneigtheit, seine tägliche Pflicht am Schreibtisch zu erfüllen, sein Reich aufzugeben schien und bloß hin und wieder noch einen traurigen Witz mit der Weltgeschichte machte, nach Art zynischer Schwächlinge, die ihre Ohnmacht in Gelächter verwandeln: das war der Hintergrund, von dem sich die scharlachrote Malteseruniform Metternichs, seine von Ordenssternen beglänzte Geheimratsbrust abhob, mit dem künstlich in die Höhe geschraubten, von Halstüchern und Steilkragen wallartig umringten und umringelten, allzu jugendlichen Haupte, das fast knabenhaft aus dieser Empiretracht herauslugt – kann man sich eine undankbarere Aufgabe bei Antritt eines neuen Botschafterpostens vorstellen? Noch dazu 48 für einen so jugendlich wirkenden Mann. Es wird behauptet, daß Metternich sein allzu blondes Haar in diesen Jahren künstlich puderte, um etwas älter und grauer auszusehen, als er war.
Die undankbare Aufgabe stößt den mittelmäßigen Schauspieler ab; den großen reizt sie zuweilen. Metternich war ein großer Schauspieler. Er hatte nicht nur die Ernennung nach Paris angenommen, was ja selbstverständlich war, denn »ein solcher Eckladen findet sich nicht alle Tage«, wie ein Berliner Publizist anläßlich der Abdankung des Kaisers Wilhelm sagte – er trachtete auch dieser Stellung das Höchste abzugewinnen, was sich ihr abgewinnen ließ, die diplomatische Rückgängigmachung eines verlorenen Feldzugs. Ist ihm dies in den Jahren 1806 bis 1809 in Paris gelungen? Wenn man die Frage auf diesen Zeitraum beschränkt, muß man sie verneinen. Dehnt man ihn über Metternichs Pariser Botschafterzeit bis 1814 aus, so darf man sie kühn bejahen. Was diese frühen Jahre in Paris an Erfolg vorerst zeitigten und was sie zu Metternichs Charakterbild beisteuern, trug noch nicht das Merkmal der Größe, aber es war die Vorbereitung künftiger Größe.
Um sich mit Napoleon messen zu können, mußte Metternich seinen inkommensurablen Gegner vorerst kennenlernen; mehr noch, er mußte ihn studieren. Hiezu hatte er in Paris Gelegenheit und er wußte sie zu nützen. Was aber heißt, einen Menschen erkennen? Es heißt, ihn mit dem eigenen Ich in Vergleich setzen. Menschenkenntnis setzt Selbsterkenntnis voraus; Würdigung einer Persönlichkeit ist an die Bedingung geknüpft, daß man selbst eine ist. Das war Metternich bereits, als er jenen ersten großen Brief an den Kaiser Franz, seine Ernennung bedankend, schrieb; er war es in Dresden und Berlin, als er bübisch wie Alkibiades mit dem Ruhme halb noch spielte; bewußte Persönlichkeit wurde er jedoch erst in Paris. Nicht so sehr der Bewältigung seiner Aufgabe kommt die Pariser Zeit zustatten, als daß er sich der zu bewältigenden innerlich näherte. Nicht so 49 sehr der Überwindung Napoleons, sondern daß er die Fähigkeiten entwickelte, dank welcher er Napoleon später überwindet. Der größte Erfolg von Metternichs Pariser Zeit war, daß er Paris als Metternich verließ. Bis zu diesem Zeitpunkt sehen wir ihn immer noch wachsen und auf der Suche nach sich selbst seine Persönlichkeit ausbauen. Von da ab war sie eine gegebene Größe.
Die Persönlichkeit ist das eine. Das andere ist der Wille, der die Persönlichkeit beseelt. Erst wo diese beiden Elemente zusammenkommen und sich fruchtbar verbinden, entsteht die geschichtliche Tat.
Welches nun war Metternichs Wille? Ein Durchschnittsdiplomat würde antworten: seinem Kaiser zu dienen, mit einer Auszeichnung seinen Platz zu verlassen und nachher womöglich Außenminister zu werden, um andere Botschafter zu lenken, wie man selbst gelenkt worden war.
Das war nicht Metternichs Wille in Paris. Er war, obwohl Monarchist, kein Fürstendiener in diesem Sinne; kein ehrgeiziger Beamter, der von Rangklasse nach Rangklasse schmachtet; kein Ordensammler. Er war auch kein Patriot im Lesebuchsinne; weder ein deutscher, noch ein österreichischer. Eher schon ein europäischer. Er wollte Europa gegen den Umsturz realisieren. Er wollte eine Idee verwirklichen, und zu diesem Ende, als den Träger eben dieser Idee, das gesunkene Österreich wieder hoch aufrichten. Das war sein Wille in Paris und von Paris angefangen, wie es auch schon vorher, schattenhaft vorschwebend, sein Wille gewesen war. Jetzt aber, hier in Paris, im Schattenwurf Napoleons, bemächtigt sich der Staatskünstler, der er werden sollte, des zu gestaltenden Stoffes. Um ihn zu meistern, ist er auf die Welt gekommen; das weiß er jetzt. Und er wird ihn meistern. 50
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Davon abgesehen, war Paris Paris und Metternich war Metternich, das heißt eine Persönlichkeit, in deren innerem Gefüge der Staatskünstler und der Lebenskünstler immer einander die Waagschale hielten. Er fing gleich mit Caroline Murat etwas an und etwas später mit der Gattin Junots, den Napoleon nach seinen spanischen Siegen zum Herzog von Abrantès machte. War die eine – die später kam – eine Herzogin, so die andere, die den Liebhaber pariserisch lancierte, Napoleons leibliche Schwester. Das war nicht immer ein Vergnügen für Napoleon, dem es seine Damen nicht eben leicht machten. Was hatte er von Pauline auszustehen, der viel zu schönen, der gegenüber er noch dazu wehrlos, weil selbst in sie verliebt war! Was von Hortense! Es ist wahr, Caroline Murat war etwas klüger als die beiden, auch war sie lange nicht so hübsch. »Une tête de Cromwell sur les épaules d'une jolie femme« hat Talleyrand ihre äußere Erscheinung mit zwei Strichen witzig gekennzeichnet. Für Cromwell hatte Metternich sicherlich weit weniger übrig als für das übrige; er war ein Gegenrevolutionär und Cromwell ein Empörer. Doch ist es auch nicht ausgeschlossen, daß gerade hierin ein gewisser Reiz für den Erzreaktionär Metternich lag, wie auch umgekehrt den Cromwell-Kopf der Reaktionär angezogen haben mag, obwohl sie ihn anfänglich mit einer »tête de crème« verächtlich abtat. In der Liebe verwandelt sich die gegensätzliche politische Einstellung oft genug in erotische Anziehung, und umgekehrt ist Parteigenossenschaft, selbst für den charaktervollsten Politiker, noch kein Grund, sich in jemand zu verlieben.
Caroline war eine maßlos ehrgeizige Frau. Wie Madame Bovary nach dem berühmten Worte Flauberts zugleich tot sein und in Paris leben möchte, so wollte Caroline zugleich Königin von Polen und von Spanien werden. Schließlich wurde sie Königin von Neapel, und dazwischen Metternichs Geliebte; vielleicht auch aus Ehrgeiz. Er verkörperte am Hofe des 51 Emporkömmlings Napoleon, über den sich die geschulten Höflinge immer noch heimlich lustig machten, die Welt von früher, das souveräne achtzehnte Jahrhundert. Er war ein junger Kavalier der alten Schule; und er vertrat die konservative Macht beim »Sohne der Revolution«. Eine gefährliche Voraussetzung für eine Frau, die, unzufrieden, wie es die Ehrgeizigen sind, auf einen erotischen Abweg gerät, weil sie einen politischen Ausweg sucht.
Napoleon selbst hat ihn ihr anempfohlen und die beiden gewissermaßen aufeinander gehetzt, wenn auch nicht zusammengeführt. »Amusez ce niais«, sagte er zu seinem Schwesterlein, um Metternich in die Hand zu bekommen. Caroline nahm es wörtlich; und bald darauf hatte Napoleon tatsächlich, wie er es sich gewünscht hatte, einen Spion. Nur war es ein Spion nicht für ihn selbst, sondern für Metternich. Durch Caroline erfuhr dieser und konnte es nach Wien berichten, daß Napoleon sich wieder einmal eine Krone aufs Haupt zu stülpen gedachte – die lombardische vermutlich –, weil nämlich Josephine, wie er von Caroline wußte, eine neue Krönungstoilette in Auftrag gegeben hatte. Er erfuhr aber auch, daß Napoleon an Scheidung dachte – jahrelang, bevor er diesen Gedanken ausführte; oder daß es in Spanien entschieden schief ging, und derlei mehr, lauter wichtige Nachrichten aus erster Hand. Er war – große Seltenheit bei einem österreichischen Gesandten – immer ausgezeichnet informiert.
Der Fall der schönen, üppigen Laure Junot, Herzogin von Abrantès, mit der er Caroline alsbald, doch mehr zu seinem Vergnügen, hinterging, lag ganz anders. Das war eine romantische Frau, die ihren Roman haben wollte und hatte. Ihresgleichen lieben, wenn sie lieben, vor allem, um davon zu reden: mit dem Freund zuerst, später mit der Freundin, zuletzt, wenn es glückt, mit der Nachwelt. All das tat Laure Junot in der gewissenhaftesten Weise und ohne übertriebene Rücksicht auf 52 den büffelhaften Herrn Gemahl, vor dem sie zitterte, indem sie ihn betrog. Schließlich schrieb sie sogar Memoiren, in denen sie uns den Braten ihres großen Erlebnisses, mit holden Übertreibungen gespickt und im Geschmack der Romantik reichlich mit Tränensaft beträufelt, noch einmal auftischt. Danach hätte sie der schöne Botschafter mit den Kinderaugen und dem mephistophelischen Lächeln auf dem Lande aufgesucht, in Folie St. James, ihrem Sommersitze in Neuilly bei Paris. Man war allein, er warf sich ihr zu Füßen, sie beugte sich zu ihm hinab, ihre Lippen fanden einander. Dann sprang er auf und trug sie auf seinen Armen in eine nahegelegene Grotte, wo Laure nachher »blutige Tränen«, wie sie behauptet, über ihren Fehltritt geweint haben will, nicht anders, als ob es ein Moderoman von Eugène Sue wäre, von dem sie die blutigen Tränen vermutlich zu herabgesetzten Preisen bezogen hat. Übrigens blieb es nicht bei diesem ersten stürmischen Besuch und jener feurigen Liebeserklärung unter Donner und Blitz. Sanftere, freundlichere Stunden eines oft endlosen Beisammenseins erschlossen sich ihr und würzten das lange Alleinsein der Marschallin, deren Gatte in Spanien Fahnen eroberte. »Jeden Abend«, weiß sie, sicher übertreibend, sich nachher zu erinnern, jeden Abend kam »Er«, nämlich Metternich, um zehn Uhr im Wagen angefahren, den er sofort wegschickte. Um drei Uhr früh, wenn er seine schöne Kalypso in ihrer »Grotte« verließ, nahm er dann regelmäßig einen anderen, der ihn in einer Seitengasse verborgen erwartete. Nur wenn er »Staatsgeschäfte« hatte, was schließlich auch bei einem Botschafter vorkommen kann, blieb er aus, und zu den Staatsgeschäften gehörten freilich auch gewisse Einladungen Caroline Murats. In diesem Falle entschuldigte er sich bei Laure und fuhr zu Caroline. Nicht, weil ihn das Cromwell-Köpfchen mehr lockte, sondern weil die Schwester Napoleons ihn mit Talleyrand und Fouché zusammenbrachte, die beide gegen den Kaiser Napoleon bereits konspirierten. Auch zwischen Laure 53 und Caroline verlor der Pariser Metternich sein Ziel nie aus den Augen, das ihm unter allen Umständen wichtiger blieb als Laure und Caroline.
Das Ziel war, Napoleon zu stürzen, und dazu brauchte Österreich ein Heer, das ihm gewachsen war, und eine Führung, die gelernt hat, daß »eine siegreiche Schlacht erst am Tage nach der Schlacht gewonnen ist und eine verlorene Schlacht erst vier Tage nach der verlorenen Schlacht verloren«. Kein großer Soldat hätte diese Erkenntnis bündiger formulieren können, als dies der Staatsmann Metternich in einem seiner fleißigen Berichte von Paris aus tat. Und kein Prophet hätte im Jahre 1807 deutlicher voraussagen können, was 1813 tatsächlich geschah. Metternich weissagte schon sechs Jahre vorher in einer Depesche nach Wien das unvermeidliche Ende des Empire und den schließlichen Sturz Napoleons.
Zunächst freilich hatte es damit noch seine guten Wege. An der Tatsache immer noch fortschreitender und sich übergipfelnder Erfolge Napoleons änderte die bloß sittliche Überzeugung Metternichs von der Unhaltbarkeit jeder Gewaltherrschaft fürs erste nicht das geringste. Die Franzosen waren ein im Grunde friedliebendes Volk, das sich zu fortwährenden Kriegen wider Willen nur gezwungen sah, das hatte der junge österreichische Botschafter in den Pariser Salons, wo er seine friedlichen Eroberungen machte, richtig erkannt. Aber diese Erkenntnis schloß nicht aus, daß diese selben Franzosen in Spanien im Blute wateten und daß der von Metternich gehörnte Murat, Carolinens Gatte, Madrid eroberte, während Napoleon die königliche Familie, um sie abzusetzen, nach Bayonne befahl. Bayonne war im Jahre 1808 nur, was 1938 München war, eine Scheinlösung, die schließlich nicht einmal den Schein mehr wahrte. Napoleon machte seinen Bruder Joseph zum König von Spanien, so ungefähr wie Hitler Herrn Bürckel zum Statthalter von Österreich oder den Baron Neurath zum Protektor der Tschechoslowakei 54 erhob. Aber der Krieg ging weiter. Spanien wehrte sich wie Polen und wurde, wie Polen, noch mehr militärisch niedergetreten als besiegt. Indessen blieb die große Abrechnung mit England, die hinter dem Kriege mit Spanien stand, wie sie ein paar Jahre später hinter dem verschneiten russischen Feldzug steht, immer noch unberichtigt und erst bei Waaterloo wird sie beglichen. Um was es Napoleon eigentlich zu tun war: die Kontinentalsperre gegen England lückenlos zu gestalten, dies war ihm weder in Portugal, wo er es zuerst versuchte, noch in Spanien gelungen, und so mußte schließlich, da England unbesiegt und unbesiegbar blieb, auch alles andere mißlingen. Das hatte Metternich ganz richtig durchschaut. Nur daß, wie ein deutscher Philosoph gesagt haben würde, Idee und Erfahrung zunächst nicht übereinstimmten. Es war etwas von einem deutschen Philosophen in dem Staatsmann Metternich, und es war nicht das Schlechteste an ihm. »Ich war zum Denker geboren«, sagte er in späteren Jahren einmal rückschauend von sich.
Durchdrungen von der Unhaltbarkeit des napoleonischen Regiments – eine Auffassung, in der ihn der von Caroline begünstigte nahe Umgang mit Talleyrand und Fouché wesentlich bestärkte – hetzte Metternich in Wien zum Krieg. Dann kam er nach Paris zurück und Napoleon stellte ihn bei einem Empfang: »Wünscht Ihr Kaiser, daß ich ihn in Wien besuche?« Er wirft dem Botschafter zornig vor, daß Österreich aufrüste. Metternich erwiderte ebenso sanft wie impertinent: »Sire, seien Sie überzeugt, daß, wenn Sie die Köpfe unserer Soldaten zählen, wir auch die Ihrigen zu zählen wissen.« Bei solchem Frage- und Antwortspiel hält sich ein Botschafter erfahrungsgemäß nicht lang, ob er nun Henderson oder Metternich heißt. Alsbald sieht dieser sich höchst peinlich überwacht. Er bangt um sein Leben und schreibt an seinen illustren Kollegen, den Fürsten Schwarzenberg, nach Petersburg: er, Schwarzenberg, möge 55 nicht zweifeln, daß er, Metternich, wenn es dazu kommen sollte, zu sterben wissen und alle belastenden Dokumente vorher rechtzeitig verbrennen werde. Bald darauf bricht der Krieg von 1809, der dritte, den Österreich in zehn Jahren gegen Frankreich führt, tatsächlich los. Napoleon, der sich lang genug über Metternich hat ärgern müssen, kündigt ihm bei einem allerletzten Empfange mit diktatorischer Unverblümtheit an, daß er über Rastatt und München nach Wien marschieren werde. Dann steigt er zu Pferde und läßt sich nach einer kurzen Ansprache von seiner Garde kriegerisch bejubeln; der versammelte Hof und der österreichische Botschafter müssen es schweigend anhören. Gleich darauf tritt der französische Außenminister, Monsieur Champagny, auf ihn zu und versichert Metternich im Namen des Kaisers, daß Napoleon persönlich keinerlei Feindschaft gegen ihn hege, wenn es auch manchmal so ausgesehen habe. Metternich verneigt sich wohlerzogen: »Sagen Sie Seiner Majestät, daß ich Seine Äußerungen nie ganz ernst genommen habe.« Aristokratie gegen Parvenütum: Anfang und Ende von Metternichs Pariser Aufenthalt. Freilich, wehrlose Aristokratie zunächst. Spitze Worte sind ihre einzige Waffe.
Schließlich ging es dann doch nicht so glatt. Metternich wird bei Ausbruch des Krieges verhaftet, in Paris zurückgehalten, auch der übliche Austausch an der Grenze gegen den französischen Geschäftsträger macht unverhältnismäßige Schwierigkeiten, weil die Österreicher den Franzosen ungebührlich lang in Wien zurückhalten.
Am Ende ist man so weit, Graf Metternich darf sich, entsprechend gedeckt und gesichert, quer durchs süddeutsche Land im Postwagen wieder nach Hause begeben. Vor Wien wird eben eine große Schlacht geschlagen, die Schlacht bei Wagram. Metternich steigt aus der Chaise und wohnt ihr bei. Mit Hilfe eines Fernrohrs, das er sich eigens für diesen Zweck angeschafft haben soll, verfolgt der zurückgeschickte Botschafter, 56 hinter seinem Kaiser stehend, höchst interessiert die prachtvollen, wenn auch leider vergeblichen Sturmanläufe der österreichischen Regimenter gegen die mörderischen französischen Artilleriesalven. Dann schraubt er, zurücktretend, sein Perspektiv gefaßt wieder zusammen.
Die Frivolität der »Herren mit den weißen Manschetten«, wenn sie auf dem Rücken der Völker Schach spielen, versetzt zuweilen noch die Nachwelt in kopfschüttelnde Verwunderung. Deren einziger Trost mag dann sein, daß die Leichtfertigkeit dieser Schachkünstler im vorigen Jahrhundert um nichts geringer war als in den letzten dreißig Jahren europäischer Geschichte.