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Sühneversuch und neuer Zerfall.

Am Morgen hatte Luzian die zufällige Entdeckung von gestern nicht vergessen; er machte seine Frau ganz glücklich, indem er ihr die fünfzehn Eier aus dem verborgenen Nest brachte. Die undankbare weiße Henne wurde darauf von Bäbi im Hofe müde gejagt, sie flog manchmal über den Kopf der Verfolgenden weg, sank aber doch endlich ermattet nieder, wurde gefangen und blieb fortan eingesperrt.

Luzian führte den Braunen zum Schmied Urban und ließ ihm dort das Eisen wieder aufschlagen. Er hielt den Huf empor, fast die ganze Last des Tieres lag auf ihm; da kam der Schütz und sagte: »Luzian, du sollst aufs Rathaus kommen, vor den Kirchenkonvent.«

»Ich muß mir vorher ein Eisen aufschlagen lassen, daß der Schinder auch was 'runter reißen kann, wenn er mich auf den Anger kriegt. Sag nur, ich komm' gleich.«

»Luzian, es ist kein gut Zeichen, wenn man so wilde Späß' macht. Es wär' bös, wenn das die ganze Kunst vom Unglauben wär',« so sagte der Schmied Urban. Der Angeredete schien betroffen, und erst nach geraumer Weile erwiderte er lächelnd: »Wer sich mausig macht, den frißt die Katz'. Nicht wahr?«

Luzian hatte des Kämpfens eigentlich schon übergenug, zumal da er das nächste faßbare Ziel sich selber entrückt hatte. Es war doch nur ein einziger Tag, seitdem er in offenem Kriege oder besser im Zweikampfe stand, aber es dünkte ihn schon eine unermeßlich lange Zeit, so viel hatte er durchgemacht.

Wenn nicht eine Schar von Genossen den Kämpfer umgibt und in ihrer eigenen Entflammung die Kampfeslust immer neu vor Augen führt und im Urheber anfacht, wenn nicht sichtbar von außen der Brand, den man geworfen, in Flammen fortlodert, so glaubt der einzelne leicht, er könne alles ändern, noch sei es in seine Hand gegeben; es ist vorbei, wenn er sich selbst zurückzieht. Er vergißt im Gefühl des Rechts und der Großmut, daß er den Feind zur Gegenwehr gereizt, die sich nicht mehr halten läßt.

In allerlei Gestalt tritt die Versuchung auf. Sie sagt oft, kaum nachdem der erste Streich gefallen: laß ab, du hast genug gethan, du hast deiner Ueberzeugung gewillfahrt, du dringst doch nicht durch.

So war Luzian in seltsam friedfertiger Stimmung nach dem Rathaus gegangen; er machte sich keine Vorstellung davon, wie denn wieder alles ins alte Geleise kommen könne, genug, er war in sich begütigt. In der kleinen Ratsstube nickte er den Versammelten, worunter auch der Pfarrer, unbefangen zu, und sein »Guten Tag bei einander« tönte so fest und hell, daß man nicht wußte, was darin lag.

Der Pfarrer winkte dem Schultheiß deutlich mit der Hand, er solle reden, und dieser begann:

»Der Herr Pfarrer hat heute wieder Mess' in der Kirch' gelesen, von Entweihung ist demnach kein' Red' mehr. Jetzt, Luzian, sei nicht vonderhändig, der Herr Pfarrer will's christlich mit dir machen. Thu's wegen dem Ort, wenn du's nicht wegen deinem Seelenheil thust. Denk nur, wie wir wieder im ganzen Land verbrüllt werden, wenn die Sach' auskommt. Der Herr Pfarrer jetzt will's im stillen abmachen. Du hast ja sonst immer so aus das ganze Ort und aus unser Ansehen gehalten?«

»Ja, wie? was soll ich denn machen? Was will man denn von mir?«

»Du wirst schon merken. Nicht wahr, Herr Pfarrer, es wird glimpflich sein? du sollst dir halt eine Kirchenbuß' auflegen lassen.«

»Spei aus und red anders.«

»Luzian, man weiß ja gar nicht mehr, was man dir sagen soll; bigott, du bist ein Fetzenkerl, und man sollt' ja mit dir umgehen wie mit einem schallosen Ei, beim Blitz, und du bist doch sonst ein ausgetragenes Kind.«

»Genug, genug. Sag' deinem Herr Pfarrer, er soll vor Gott verantworten, was er predigt und lehrt, und ich will auch verantworten, was ich than hab' und noch thu'. Ich brauch' deinen Herr Pfarrer mit seiner Buß' nicht zum Schmuser zwischen unserm Herrgott und mir, wir finden schon allein einander und werden handelseins. So ist's, aus und Amen.«

»Sie sehen, meine Herren,« begann der Pfarrer mit ruhiger, fast bittender Stimme, »Sie sehen, ich habe keinen Versuch zur Aussöhnung unterlassen; ich bitte das gehörig der Gemeinde zu verkünden, wenn die Sache nun wider meinen Willen den gerichtlichen Lauf geht.«

»Gut, besser als gut,« erwiderte Luzian. »Es ist kein Strick so lang, man findet sein End'. Ich will nichts mehr reden, es wird jetzt alles in eine andre Schüssel eingebrockt B'hüt's Gott!«

In festem, siegesfrohem Kraftgefühle verließ Luzian das Rathaus; jetzt ging der Tanz erst von neuem an, er freute sich dessen. So wogte es hin und her im Gemüte, bis der Kampf ein faßlich persönlicher wurde.

Es klingt erhaben und rein, einen Kampf bloß um der Idee, wie man's nennt, des Prinzips willen zu beginnen und ausfechten, sich selbst und den Gegner dabei aus dem Spiele zu lassen; aber erst dann gedeiht die lebendigere Entscheidung, wenn du aus allgemeiner Ueberzeugung oder durch eine wirkliche Thatsache dich persönlich angegriffen fühlst durch den herrschenden, gegnerischen Gedanken.

Luzian war jetzt erst recht aufgelegt zum unnachgiebigen Kampfe, er fühlte sich durch die Zumutung der Buße gekränkt und angegriffen. Wir dürfen hoffen, daß er das allgemeine darin nicht verkennt, aber jetzt erst ging's Mann gegen Mann.

Wie emsig arbeitete er im Felde. Dort hatte er mit Händen etwas zu fassen. Leicht, als wäre das ein Kinderspiel, schwang er die Garben auf den Wagen, band er den Wiesbaum fest. Keiner der Knechte wagte Einhalt zu thun und zu bemerken, daß wohl überladen sei. Beim Abfahren erwies sich's nun doch, daß etwas hoch geladen war; Luzian ließ daher den Oberknecht auf den Sattelgaul sitzen, er selber stemmte sich samt dem zweiten Knechte mit der Gabel gegen die aufgetürmten Garben; bei mancher Biegung hatte er sich scharf anzustrengen, damit er nicht von der reichgeladenen Frucht überstürzt würde. An einem abschüssigen Hügel machte das Schimmelfüllen, das los und ledig nebenher sprang, fast die ganze Fuhre über den Haufen fallen; es sprang unversehens den Pferden vor die Füße, diese scheuten; schnell besonnen fuhr der Knecht in einen Steinhaufen am Wege, der Wagen stand still, wenn auch schwankend und überhängend. Ohne Unfall, wenn auch mit heißer Not, gelangte man endlich nach Hause.

Als Luzian eben die Stubenthür öffnete, hörte er noch, wie seine Frau dem Viktor einschärfte: »Du darfst dem Aehni nichts davon sagen,« sie wusch dem Knaben dabei eine große Stirnwunde aus, Schiefertafel und Lineal lagen zerbrochen neben dem heftig Schluchzenden.

»Was? was nicht sagen?« frug Luzian, »Viktor, die Ahne hat's nicht ernst gemeint. Du weißt, du kriegst kein Schläpple von mir, wenn du die Wahrheit berichtest; frei heraus: was ist geschehen?«

»Ja . . . ich sag's, ich sag's.« Und nun erzählte Viktor, immer von Schluchzen unterbrochen: »Der Herr Pfarrer hat halt die Religionsstund' heut selber geben, und da hat er viel davon gesagt, daß der Teufel die Gottlosen holt und daß er sie nachts im Bett mit Gedanken verkratzt wie tausend und tausend Katzen, und da haben sie in der Schul' alle nach mir umgeschaut, und des Hannesen Christoph, der neben mir sitzt, hat nur so pispert: ›Das ist dein Aehni!‹ Und da hab' ich geheult, und da hat der Pfarrer gesagt, ich soll still sein, es geschieht niemand nichts, der fromm ist und zu den Heiligen betet. Nun müsset Ihr noch wissen, daß in einer früheren Stunde einmal die Bank knackt hat, und da hat der Pfarrer gesagt, das wär' der Teufel, der die Bank knacksen macht, damit wir nicht aufpassen auf die guten Lehren; der Teufel treibe allerlei Possen, damit man an andre Sachen denkt. Jetzt wie der Pfarrer gerade redt, macht des Wendels Maurizle, der vor mir sitzt, die Bank knacksen und sagt so leislich: ›Der Teufel ist wieder im Spiel.‹ Der Pfarrer hat aber nichts davon gemerkt und hat uns befohlen, jeden Abend beim Einschlafen und jeden Morgen beim Aufwachen ein Gebet für die armen Sünder zu beten, und des Wendels Maurizle hat in der Bank vor mir gesagt: ›Ich kann für keinen andern beten, das muß er selber thun. Wenn ich für einen andern bet', kann ich auch für ihn essen.‹ Jetzt hat der Erste das Gebet an die Tafel schreiben müssen, wie's ihm der Pfarrer vorgesagt hat, und wir haben's alle abgeschrieben; da steht's auch auf meiner Tafel, ist aber fast ganz ausgelöscht.«

Viktor hob die Schiefertafel auf und zeigte sie vor.

»Viktor! Wie bist denn zum Raufen kommen?« fragte Luzian.

»Jetzt, wie die Schul' aus ist, da schreien sie alle auf mich 'nein: ›Morgen hast du keinen Aehni mehr, den holt der Teufel‹ und so. Des Wendels Maurizle hat mir aber gesagt: ›Der Pfarrer weiß auch nicht alles.‹ Gestern nacht hab' ich noch gehört, wie mein Vater zum Schmied sagt: ›Der Luzian ist doch braver als alle Pfarrer.‹ Und jetzt sind alle Buben auf mich 'nein und haben geschimpft: ›Teufelsenkele!‹ und da hab' ich des Hannesen Christoph einen Tritt geben, er muß ihn noch spüren, und da sind sie auf mich los, aber der Maurizle ist mir beigestanden, und sie haben doch auch ihr Teil kriegt, bis der Lehrer kommen ist. Da, da hab' ich noch den Stein, den mir eines an den Kopf geworfen hat; den zeig' ich dem Pfarrer.«

Viktor zeigte das Genannte vor, und Luzian sagte:

»Viktor, schmeiß den Stein weg; von heut an, hörst du? gehst du nicht mehr in die Schul'. Hörst du? Und wenn dich eins fragt, warum? da sagst du, ich hab's gesagt.« Am Fenster stehend sprach dann Luzian vor sich hin: »Ich bin doch ein schlechter Kerl, daß ich nicht die Axt nehm' und dem Pfarrer das Hirn einschlag'.«

Kaum war dem Viktor das weiße Tuch um den Kopf gebunden, als er behend auf die Straße sprang und jubelnd seinen Kameraden verkündete, daß er nun gar nicht mehr in die Schule gehe.

Heute hatte Luzian keinen »weltsmäßigen Hunger«, obgleich ihm die Frau aus dem aufgefundenen Schatze Rühreier gemacht hatte.

Die Pferde waren im Felde, Luzian ging zu Fuße nach der Stadt.

Als er sich dem Pfarrhause näherte, sah er, wie die Fenster aufgerissen wurden, mehrere Geistliche drängten sich in denselben, und Luzian hörte hinter sich rufen: »Der ist's.«

Luzian geht so langsam, daß wir wohl einen Seitensprung hier in das Pfarrhaus machen können. Wir wollen uns nur so lange aufhalten, als man einem Vogel am Wege zuhört.

Fünf nachbarliche Amtsbrüder hatten ihren streitenden Genossen heimgesucht; sie hatten sich's wohl munden lassen, das bezeugte die Zahl der Flaschen auf dem Tisch, die die Zahl der Köpfe überstieg; der jüngste Amtsbruder, der die Würde am wenigsten zu achten schien, war in Hemdärmeln, möglichst aufgeknöpft waren alle. Eine alte Magd brachte den Kaffee, der Ortspfarrer zündete ein Licht an und reichte Zigarren.

Wer je in einer Gesellschaft abschließlicher Leutnants war, wie sie etwa in der Wachstube unter sich über einen kecken Civilisten losziehen, der da und dort ihre Standesehre und allseitig notwendige Uebermacht in Wort und That zu erschüttern wagte – wir sind hier bei anders Uniformierten in gleicher Gesellschaft.

»Fridolin,« sagte der Jüngste, Hemdärmelige zum Ortspfarrer, indem er sich über den Tisch bog und die Zigarre anbrannte, »Fridolin, sei froh, daß du einen solchen Häretiker oder Apostaten unter der Gemeinde hast. Du kannst Kirchengeschichte an ihm studieren.«

»Laß ihn laufen,« rief ein andrer, »wie der Baron Felseneck einen emballierten Hammel bei seiner Herde laufen hat, damit er weiß, welche Schafe bocken wollen.«

Man lachte über diesen Vergleich, bis ein Gefährte mit hochblonden, roten Löckchen begann: »Ich bleib' dabei, Fridolin, du verfehlst es besonders, weil du ein Aristokrat bist, politisch unfrei. Abgesehen von der Zeit- und Vernunftwidrigkeit deiner politischen Ansicht reizest du dadurch unnötig gegen die Kirche. Schon aus Politik müßtest du dich auf Seite der Freiheit stellen. Schau nur auf Belgien hin, auf Frankreich; und selbst der heilige Vater ist uns hier ein Vorbild. Der Zug der Zeit geht auf politische Freiheit.«

»Eine renovierte schwarzrotgoldene Rede,« unterbrach ihn ein vierschrötiger Mann mit fettem Doppelkinn, der sehr nach Kampfer roch; »Rollenkopf, man merkt dir stets an, daß du bei der Tübinger Burschenschaft affiliiert warst. Ich halte nun einmal dieses Hätscheln der politischen Freiheit qua talis für eine Verblendung, die uns traurige Früchtlein bringen kann. Man muß weiter sehen. Selbst das weltliche Regieren muß als Priestertum festgehalten werden. Nicht umsonst ist's, daß im heiligen römischen Reich der Kaiser gesalbt wurde. Die Obrigkeit ist von Gott eingesetzt. Gibt man dem Volke zu, daß der Regent nicht mehr von Gottes Gnaden ist, so muß man folgerecht auch den Schritt weiter; auch der Priester ist dann nicht mehr von Gottes Gnaden, ist Gleicher unter Gleichen. Das selfgovernment hat dann ebensoviel Recht in kirchlichen und religiösen wie in politischen Dingen. Das Volk, das sich selber Gesetze gibt und seine Herrscher einsetzt, bildet sich dann auch seine Religion und seinen Gott. Die französische Revolution war konsequent, wenn sie Gott zu- und abdekretierte.«

»Als vereinigter preußischer Landstand wärest du sehr am Platze,« entgegnen der Ortspfarrer, Fridolin Schwander.

»Das Köstlichste von allem,« sagte der Hemdärmelige wieder, »ist, was die Zeitungen bringen, daß der König von Preußen alle bisher von den Deutschkatholiken geschlossenen Ehen für null und nichtig, für Konkubinate erklärt. Jetzt sind diese Sektierer von innen heraus gesprengt. Ich seh's, wie Mann und Frau voneinander laufen, wie's ihnen beliebt. Dadurch ist nun die sittliche Abfaulung eingeätzt, und diese Religions-Zigeuner sind von innen heraus getötet.«

»Und ich muß bekennen,« rief der Rollenkopf und schlug dabei auf den Tisch, »daß dies ein potenziertes, hundertfach empörendes Seitenstück zum Koburger Gelde ist; es ist ganz ähnlich: eine Herabsetzung und Entwertung dessen, was man selbst geprägt und anerkannt hat. Ein unauslöschliches Brandmal wird die Geschichte den Urhebern –«

»Hoho! du machst dir's bequem, du hältst das Sakrament der Ehe nur für ein staatliches Gepräge wie bei der Münze,« schaltete der Hemdärmelige ein und brach seine Zigarre mitten entzwei, weil sie keinen rechten Zug hatte. Rollenkopf setzte die weitere Verhandlung in leisem Zwiegespräch fort. Während dessen zog der Kampfermann ein gedrucktes Blatt aus der Brusttasche und sagte zu unserem Ortspfarrer: »Hier in den Mainzer Sonntagsblättern ist eine Rezension über deine Schrift: Die Trennung von Kirche und Staat. Du bist über das Bohnenlied hinaus gelobt.«

»Ich werde gegen dich schreiben. Es ist eine verkehrte Welt jetzt. Man verlangt Fürsorge des Staats für die materielle Arbeit, und die geistige soll ganz ohne Oberaufsicht sein? Unsere Zeit schwankt zwischen Omnipotenz und Impotenz des Staats,« so sprach Rollenkopf, über die Achsel gewendet.

Unser Ortspfarrer schaute nur lächelnd, ohne zu antworten, von dem Blatte auf, dessen Inhalt ihm wohl zu thun schien. Jeder Kreis und jede Meinungsschattierung hat seine öffentliche Krönung.

Ein kluges Wort kam jetzt aus einem Munde, der bisher noch nicht gesprochen.

»Hat's ein gutes Bier im Rößle?« fragte einer der Jüngeren.

Der Ortspfarrer bejahte, und man brach auf zu Kegelspiel und Bier.

Suchen wir vorher die Thür zu erreichen; mit etwas raschem Schritt holen wir Luzian ein, wir treffen ihn noch auf der Straße im Neuensteiger Walde. Der Fußsteig über den Berg ist näher, aber Luzian liebt das Bergsteigen nicht, zumal in der Mittagshitze, auch begegnen ihm auf der Straße mehr Menschen. Er hat seinen Rock über die Schulter gehängt und schreitet leicht und fest dahin; es ist ihm aber doch schwer und schwankend zu Mute, denn in ihm spricht's: »Was hast du gethan? Hättest du's nicht können bleiben lassen? Hast dir und all den Deinigen den Frieden verscheucht und für was? Schau, da ziehen die Menschen hin: der schafft sein Holz aus dem Wald an die Straße, der führt am Horn seine rindernde Kuh zum Sprunge, der holt Bretter aus der Sägmühle, und der führt sein Korn heim. Ich möcht' hinrennen und sie rufen: kommet mit, alle mit, ich geh' für euch; ficht's denn euch gar nichts an? Wacht auf, faßt ein Herz und seid frei! Wenn ich nur auf einen einzigen Tag allen die Augen aufmachen könnte. Freilich, der Wendel hat recht, ich hab' das Beil zu weit 'naus geworfen. Ich hab' nicht anders können. So ist's.«

Wie man berichtet, so wird gerichtet, sagt ein inhaltreiches Sprichwort; darum wollte Luzian heute kein Hindernis anerkennen, er mußte nach der Stadt, um selber seine Sache vorzubringen.

In der Oberamtei mußte er lange warten, ehe er den Amtmann sprechen konnte. Er wurde freundlich begrüßt und gebeten, übermorgen wieder zu kommen.

»Ich hab' wollen –« sagte Luzian.

»Ich weiß schon alles, der Steinmetz Wendel war heute in aller Frühe da und hat mir den ganzen Hergang erzählt; kommen Sie von übermorgen an, wann Sie wollen, auch außer den Amtsstunden.«

»Nur noch ein Wort,« sagte Luzian, »ist mein Sach' kriminalisch?«

»Keineswegs. Sie brauchen auch keinen Advokaten, es ist reine Polizeisache. Entschuldigen Sie –« und fort wischte der Oberamtmann wieder.

»Es soll aber kriminalisch sein!« sagte Luzian vor sich hin, als der Amtmann schon längst verschwunden war. Dann verließ er, schwer den Kopf schüttelnd, die Oberamtei.

Wir werden wohl später erfahren, was Luzian mit seinem absonderlichen Gelüste wollte; jetzt war es ihm nur überlästig, daß er wieder Tage warten und still herumlaufen sollte, ohne daß etwas geschah. Auf dem Heimweg schlug er oft mit den Armen um sich, aber wo war's? was sollte er fassen?

Auf das teilnehmende Herz und den hellen Geist des Oberamtmanns hatte Luzian viele Hoffnung gesetzt. Das gestand er sich jetzt erst, als er so leer, wie er gekommen war, davon ging. Warum hat er auch nicht ein ermunterndes, mutiges Wort gesprochen?

Ein Herz, das die Folgenschwere eines Ereignisses oder einer freien That in sich trägt, verlangt oft zu sehr nach Handreichung, aber die Menschen um dich her sind alle mit sich und tausend andern Dingen beschäftigt, sie sehen und verstehen deinen bittenden Blick nicht. Erwarte keine Hilfe von außen, sei stark in dir.

Luzian kehrte nicht mehr die Straße heimwärts, er ging den Waldweg; dort war es still und feierlich, und seine Gedanken beteten inbrünstig zu Gott, daß ihn die Kraft nicht verlassen möge, die ganze volle Wahrheit zu bekennen und ihr alles zu opfern. Gern hätte er ein Gebet in Worten gehabt, aber er fand keines.

Tief im Waldgrunde sang ein Bursch, der wohl neben einem beladenen Holzwagen herging, ein »einsames« Lied. Luzian stand still horchend:

O Bauerensohn, laß die Röslein stehn,
Sie sein nicht dein,
Du trägst noch wohl von Nesselkraut
Ein Kränzelein.

Das Nesselkraut ist bitter und saur
Und brennet mich;
Verloren hab' ich mein schönes Lieb,
Das reuet mich.

Es reuet mich sehr und thut mir
In meinem Herzen weh,
Behüt' dich Gott, mein holder Schatz!
Ich seh' dich nimmermehr.

Zwischen jeder Strophe knallte der Bursch mit der Peitsche, daß es weithin widerhallte. War das nicht die Stimme Paules, der also sang? Was hatte der zu klagen? Nein, der kann's wohl nicht sein . . .

Im Weitergehen dachte Luzian: »Der Bursch hat das Lied auch nicht selber gesetzt, und es erleichtert ihm doch das Herz; so auch hat der eine Mensch Gebete für andre gemacht.«

Die zahllosen Gebetbücher entstanden und waren gerechtfertigt vor dem Geiste Luzians.

Still und gedankenvoll schritt er dahin, es begegnete ihm niemand.

Das Gewitter vom vorletzten Sonntag hatte sich hierher verzogen und auch hier noch arg gehaust; da war ein Baum ganz entwurzelt, dort ein andrer mitten gespalten wie zerfleischt, und dort hingen abgeknackte Aeste, selbst die jungen Schäleichen waren in zahlloser Menge zu Boden gebeugt, der Fußsteig war oft unwegsam. Hinter Neuensteig umging Luzian eine gewaltige Eiche, die quer über dem Weg lag; er geriet dadurch in einen Sumpf, wo Erlen standen, und rettete sich nur mit schwerer Mühe daraus.

Kaum war Luzian wieder hundert Schritte auf trockenem Wege, da begegnete ihm ein Mann; es war der uns bekannte, Rollenkopf genannte Pfarrer. Man begrüßte sich beiderseits mit einem »Guten Tag« und ging aneinander vorüber. Luzian stand bald still. Sollte er den Pfarrer nicht vor dem Sumpf warnen? Der Pfarrer überlegte gleichfalls bei sich, ob er nicht den Häretiker, den er wohl wieder erkannt hatte, ansprechen und ein gutes Wort beibringen sollte. Plötzlich rief Luzian: »Heda!« Hinter dem Ruf tönte es wie ein Echo, und doch war's keines, denn der Pfarrer hatte im selben Augenblicke den gleichen Ruf gethan.

»Seid Ihr nicht der Luzian Hillebrand von Weißenbach?« rief der Pfarrer aus dem Thale herauf, von den Bäumen verborgen.

»Ja freilich, aber ich hab' Euch doch was zu sagen. Dort unten, wo die Eiche liegt, müsset Ihr rechts ab, sonst kommet Ihr bei den Erlen in den Sumpf.«

»Wartet, ich komm',« tönte es wieder, und Luzian ging dem Rufenden entgegen, weil er sich nicht verstanden glaubte, er wollte es genauer bezeichnen oder selber mit zurückkehren. Der Pfarrer hatte ihn aber verstanden und begann nun mit ihm über den Kirchenstreit zu sprechen. Anfangs war Luzian mißtrauisch, selbst die freien Worte Rollenkopfs sah er nur wie einen Spionenkniff an, aber was lag ihm an allem Auskundschaften! Er hörte darum mit einer gewissen Ueberlegung zu. »Du hast vieles zu verhehlen, ich nicht,« dachte er. Als aber Rollenkopf schloß: »Wie gesagt, es regt sich ein freier Sinn in der Kirche, der siegen muß. Darum müssen aber auch die freien Männer innerhalb der Kirche bleiben, sich nicht davon trennen. Wenn die Freien ausscheiden, was bleibt uns? Die träge, verstandlose Masse, der ewige faule Knecht.«

»Soll das auf mich gesagt sein?«

»Gewiß. Ihr müßt in der Kirche bleiben und helfen, sie rein und frei zu machen.«

»Ich glaub' aber nicht an Gottes Wort und brauch' kein' Kirch'.«

»Aber Eure Brüder bedürfen ihrer, und Ihr seid verpflichtet, sie nicht zu verlassen.«

»Ich hab' kein Amt und kein' Anstellung in der Kirch'.«

»Eure Menschenpflicht ist Euer Amt, und Euer Gewissen Eure Anstellung.«

»Alles schön und gut, aber ich müßt' lügen und heucheln, und das kann einmal kein Mensch mehr von mir verlangen.«

Der Pfarrer suchte noch Späne abzuhauen, aber den eigentlichen Klotz konnte er nicht bewältigen. Man schied mit freundlicher Handreichung, und auf dem stillen Heimweg dachte Luzian: »Der ist grad wie der Amtmann; dem wär's auch lieber heut als morgen, wenn man die ganze Verfassung mit samt dem König über den Haufen schmeißen thät', und doch bleibt er im Amt. Ich thät' ja lieber schaffen, was es wär', daß mir das Blut unter den Nägeln 'rauslauft; halb satt zu fressen, wär' besser als so ein Amt, das man eigentlich nicht haben darf.«

Stolz und groß erhob sich Luzian in diesem seinem Selbstgefühle.


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