Berthold Auerbach
Drei einzige Töchter
Berthold Auerbach

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Der Fels der Ehrenlegion.

(Frühling 1870.)

1. Maskerade auf der Eisenbahn.

Im Schatten einer großen, mit frischem Frühlingsgrün belaubten Buche, unweit eines mitteldeutschen Bahnhofes, hielt ein mit zwei Schimmeln bespannter offener Wagen; darin saß in die gelblichen damastenen Kissen zurückgelehnt eine jugendliche, in Grau gekleidete Frauengestalt; sie hatte die Arme übereinander gelegt, und hielt ihre großen dunklen Augen nach dem Gebirge gerichtet, das in schön geschwungener Wellenlinie vor ihr lag.

Jetzt warf sie den Kopf zurück, auf dem eine Art modischen Tirolerhutes mit durcheinander wehenden grünen Hahnenfedern saß; sie erhob sich, nahm eine in grau Leinen gebundene Mappe aus der Seitentasche des Wagens und begann zu zeichnen, bald rasch in die Landschaft hinausschauend, bald den Blick streng auf das Papier geheftet. Ihre Züge nahmen einen tiefernsten Ausdruck an, das längliche Gesicht, etwas bräunlich angehaucht, von nicht mehr erster Jugendfrische, durchzog sich mit einer leichten Röthe. Sie preßte den schöngeschnittenen Mund, auf dessen Oberlippe sich ein leichter Flaum zeigte, wie in Aerger zusammen; ihre Arbeit schien sie nicht zu befriedigen; sie setzte mehrmals ab, schüttelte den Kopf, ja sie schlug sogar einmal das Buch zu. Vor sich hinnickend, wie sich selber Muth zusprechend, öffnete sie es wieder und arbeitete weiter; allgemach gewannen ihre Mienen einen beruhigten, ja fast zufriedenen Ausdruck.

Durch Anlage der Eisenbahn war ein neuer Standpunkt zur Betrachtung der landschaftlichen Schönheit gewonnen, dessen man vielleicht nie inne geworden wäre; denn das ist nach allen Seiten hin ein auszeichnender Charakter unserer Zeit, daß uns Alles in neue Gesichtswinkel gerückt wird.

Die Zeichnerin wurde immer heftiger in ihrer Arbeit. Trotz des nur mildwarmen Frühlingstages schien es ihr heiß zu werden. Sie nahm rasch den Hut vom Kopfe und legte ihn neben sich. Das dunkle Haar, über der Stirn schlicht angelegt, war in zwei starken Flechten im Nacken aufgesteckt, die Stirn, nicht besonders hoch, ließ zumal beim Ernste eine durch die Mitte sich hinziehende Falte wahrnehmen, deren Spur auch bei ruhigem Verhalten noch zu erkennen war. Das ganze Antlitz zeigte deutlich, daß der Ernst des Lebens seine Merkmale darauf eingeprägt.

Durch den Lerchensang in der Luft und Finkenschlag auf dem Baume tönte aus der Ferne ein langgezogener, schriller Ton der Locomotive. Die Zeichnerin machte noch rasch einige Striche, schlug das Buch zu, verbarg es wieder, setzte den Hut auf, und die Arme übereinander schlagend, schien sie wieder ruhig warten zu wollen.

Ein Diener in brauner Livree trat zu dem Kutscher, der die Pferde am Lenkriemen hielt; er lupfte den Hut mit der schwarzen Cocarde und sagte zu der Dame – er nannte sie »Fräulein« – der Zug sei bereits signalisirt. Er öffnete den Schlag und machte eine Bewegung, als wollte er der Dame aus dem Wagen helfen. Diese aber sagte, ohne den Diener anzusehen, in die Luft hineinstarrend: »Ich steige nicht aus, bringen Sie Fräulein von Korneck hierher.« Im Ton ihrer Stimme lag ein herrischer, vielleicht auch verdrossener Ausdruck.

Luise Merz, dies ist der Name der Wartenden, erwartete eine Jugendfreundin, zu der sie jene Intimität des Pensionats hatte, die sich nur selten fortführt, hier aber mit Beflissenheit erhalten wurde. Es war, als ob die Erwartete bereits die Unruhe verursachte, die sie immer mit sich brachte; denn Luise stand auf und setzte sich

wieder, sie schien zu überlegen, ob sie nicht doch die Freundin beim Aussteigen begrüßen solle; aber als sie jetzt bemerkte, daß die Beamten des Bahnhofes, die auf die Anlände getreten waren, nach ihr schauten, ja sogar Anderen sie zeigten und nach ihr hindeuteten, hielt sie sich wieder ruhig. Die Leute sollten nicht sehen, daß sie eine Freundin von so beweglichem Wesen hatte, die sich gewiß sehr erregt benehmen und Aufsehen erregen wird. Die ganze Umgegend sollte wissen, daß Luise Merz mit dem Leben abgeschlossen und eine matronenhafte Haltung habe.

Die Pferde mußten im Zügel gehalten werden, da jetzt der Zug heranbrauste. Ein weißes Tuch wehte aus einem Wagen zweiter Classe. Jetzt hielt der Zug an. Eine Frauengestalt reichte dem Diener behutsam ein Wickelkind aus dem Wagen, dann stieg sie aus; sie war von schlanker Gestalt, hellfarbig gekleidet; sie grüßte nochmals in den Wagen zurück und dann nach der wartenden Freundin unter dem Baume. In ihren Bewegungen war eine behende Lebhaftigkeit, und sie schaute in die Luft, in die Gesichter der Menschen, als wollte sie ständig fragen, ob es nichts zu lachen gebe. Schachteln und Handtaschen wurden schnell auf den Boden gestellt. Die Angekommene nahm dem Diener das Eingewickelte ab, es schien ein junges Kind zu sein; sie hielt es behutsam und eilte damit zu der Freundin. Die Diener gingen mit dem Gepäck hinterdrein, auch der Bahnhofs-Inspector trug eine Tasche, er kannte die Angekommene, deren Vater einst sein Hauptmann gewesen war.

Als sie bei der Freundin am Wagen stand, rief sie mit heller Stimme: »Luise, was sagst Du dazu, daß ich ein Kind mitbringe?«

Noch ehe die Staunende antworten konnte, wickelte sie die Kissen auseinander, und aus denselben sprang ein braun und weißgefleckter Wachtelhund, schüttelte die langen Ohren, wie wenn er aus dem Wasser käme, sprang hin und her und schaute auf seine Herrin, die ihn aber keines Blickes würdigte, sondern unter dem Gelächter der Umstehenden, bald zu dem Inspector, bald zu Luise gewendet, rief: »Ist dies nicht ein artiges Kind unter zehn Jahren? Die reglementstarren Herren Bahnbeamten wollten mir nicht erlauben, meinen wohlerzogenen Freund Scheck mit in den Wagen zu nehmen. Nun denn! Die Tyrannei macht die Menschen klug! Ich habe Scheck als Kind maskirt, und habe damit die lustigsten Abenteuer erlebt. Die Mode, daß man jetzt nur kinderlose Miether in den Häusern haben will, dehnt sich auch auf die Eisenbahnen aus. An mehreren Wagen, wo ich mit dem vermeintlichen Kinde einsteigen wollte, hat man mir sehr menschenfreundlich zugerufen: Hier ist kein Platz mehr! und als ich endlich zornig eingestiegen war, wollten die Frauen das verschleierte Kind sehen, und ein noch sehr acceptabler Wittwer, dem ich gestehen mußte, daß ich keinen Mann hätte, machte mir einen halben Heirathsantrag. Herr Inspector,« wendete sie sich zu diesem, der übermäßig lachte, »Herr Inspector, ich hoffe, Sie sind kein Philister, daß ich Strafe zu zahlen habe.« Und als jetzt der Hund, der wissen mochte, daß von ihm die Rede sei, an seiner Herrin emporsprang, sagte sie zu ihm gewendet: »Ja, du warst sehr artig; du hast Menschenverstand.«

Die Bahnbeamten und alle Reisenden, die hier ausgestiegen waren, standen umher und lachten, ja die Kellner aus der Restauration kamen herbei und die Köchin erschien unter der Küchenthür, blickte nach der Gruppe und betrachtete ihren Anzug, der ihr nicht erlaubte, sich von ihrem Reiche zu entfernen. Der Hund schien etwas davon zu ahnen, daß dort ein gutes Herz für ihn sei, denn er verschwand plötzlich.

Mitten in der Heiterkeit der Umstehenden schaute Luise verdrossen drein. Sie bat, daß man fortzukommen eile. Dieser übermüthige Scherz der Freundin war ihr unbehaglich. Kisten, Schachteln und Handtaschen wurden ausgepackt, und als man eben abfahren wollte, fehlte Scheck. Auf wiederholtes Rufen kam er aus der Küche, er leckte sich noch die Lefzen ab, schaute noch einmal zurück zu seiner Wohlthäterin und wurde in den Wagen zu seiner Herrin gesetzt. Die Diener mußten sich offenbar Mühe geben, um nicht fort und fort zu lachen.

Der Wagen rollte auf der Landstraße dahin, die auf dem Bahnhofe Zurückbleibenden schauten ihm lange nach. Der Inspector erzählte den mit den Menschen in der Umgegend minder Bekannten, wer die beiden Damen seien. Der Wirth und die Wirthin gaben Ergänzungen, aber sie wußten doch nicht Alles.

2. Die Tochter des Parlaments.

Die Meinungen sind getheilt, die Einen behaupten, Luise sei erst fünfzehn, die Anderen, sie sei schon achtzehn Jahre alt gewesen, als ihr Vater, der reiche Fabrikant Merz, vor zehn Jahren zum ersten Mal zum Abgeordneten gewählt, mit seinem einzigen Kinde nach der Hauptstadt übersiedelte. Als unabhängiger, erfahrungsreicher und gebildeter Mann war Herr Merz ein angesehenes Mitglied der freisinnigen Mehrheit, die ein Ministerium ihres Charakters hatte. Dieses Ministerium war freilich noch nicht streng verfassungsmäßig aus der Mehrheit des Hauses hervorgegangen, vielmehr aus der Wahl des Fürsten, aber es herrschte doch eine eigenthümlich gehobene Stimmung, da man sich einer Regierung erfreute, die mit der allgemeinen Richtung wesentlich übereinstimmte.

Herr Merz hatte kaum mit einer nennenswerthen Gegnerschaft zu kämpfen gehabt, und er nahm das Mandat um so lieber an, als er seinem Naturell nach nicht gerne zur Opposition gehörte, sondern sich freute, seinen Grundsätzen getreu, loyal sein zu können. Freilich wurde es ihm schwer, seinen großen Fabrikbetrieb einem wenn auch vertrauenswürdigen Geschäftsführer zu überlassen, aber er hoffte auch durch Ortsveränderung und neue Thätigkeit seinen tiefen Lebensschmerz zu verwinden oder doch zeitweise zu vergessen; denn er hatte vor Kurzem seine Gattin, mit der er in glücklicher Ehe gelebt, verloren.

In der Miethswohnung, die man in der Residenz bezogen hatte, gestaltete sich bald eine anmuthende Häuslichkeit, der die Schwiegermutter, die den Sohn und die Enkelin begleitete, vorstand.

Die öffentlichen Kammerverhandlungen brachten keine Rede des Herrn Merz, um so wirksamer arbeitete er aber in den Abtheilungen, sogenannten Commissionen; er vollführte mit Eifer jene Arbeiten, die wie die Grundmauern eines Gebäudes nicht zu Tage treten, aber den Bau tragen.

Die Großmutter und Luise saßen halbe Tage lang auf der für die Angehörigen der Abgeordneten aufbehaltenen Gallerie. Die Herren unten im Saale blickten oft hinauf nach der würdigen Matrone und dem schönen Mädchen an ihrer Seite, das im Trauerkleide um so anmuthiger erschien. Oft auch kam in Pausen oder langwierigen Abzählungen dieser und jener von den näheren Bekannten aus den Abgeordnetenkreisen auf die Gallerie zu den Damen und unterhielt sich mit ihnen. Luise war meist schweigsam, aber die vielen Dinge, die sie hörte, bildeten eigenthümliche Elemente ihres innern Lebens.

Der Frühling, das Ende der Tagsatzung, wurde wie eine Befreiung begrüßt. Als man auf die Fabrik zurückkehrte, war es Allen, als ob man jetzt erst ins Freie käme aus der schwülen Luft des Abgeordnetenhauses. Luise zumal schien neu aufzuleben.

Als sie mit Vater und Großmutter im Herbste wieder in die Residenz kam und jetzt nicht mehr in Trauerkleidern, wurde sie von einem großen Kreise als traute Bekannte begrüßt. Auch andere Abgeordnete hatten Frauen und Töchter mitgebracht, es bildete sich ein eigner Kreis, der seinen besonderen Reiz darin hatte, daß nicht nur eigenthümliche Naturen aus allen Theilen des Landes sich zusammenfanden, sondern auch, daß man monatelang in der Fremde mit einer besonders gearteten Häuslichkeit lebte.

Im dritten Jahre fand sich eine belebende Neuerung. Eine Pensionsfreundin Luisens, Marie von Korneck, war mit ihrem Vater nach der Residenz versetzt worden. Die beiden Mädchen waren wohl Freundinnen in der Pension gewesen, ohne sich derart zu verbinden, daß sie diese Beziehung über die Trennung hinaus aufrecht erhielten. Jetzt aber war es, als ob man in der innigsten Freundschaft gestanden hätte: man hatte gemeinsame Jugenderinnerungen, man hatte einander viel zu erzählen von den in alle Welt zerstreuten Genossinnen, von den Pedanterien der Erzieherinnen und einzelner Lehrer, aber auch von jenem Geschichtslehrer, in welchen alle Schülerinnen verliebt waren. Gerade die Gegensätzlichkeit, die in dem Wesen der beiden Mädchen bestand, schien eine neue Anziehungskraft zu üben. Marie hatte etwas soldatisch Entschlossenes, sie war fertig im Wort und sah das Leben als heiteres Spiel an; Luise dagegen hatte etwas Bedachtsames, sie hatte keine raschen Einwürfe und Zwischenreden, sie hörte aufmerksam und ruhig zu, und wenn sie dann sich äußerte, so geschah es in wohlgeordneter geschlossener Rede. Auch die Väter fanden freundlichen Anschluß, und da eben ein liberales Ministerium obenauf war, als dessen Stütze die Partei des Herrn Merz erschien, hatte der Major Korneck keinerlei Hinderung, mit einem politischen Manne von entschieden liberaler Richtung freundschaftlich zu verkehren. Marie von Korneck war rasch in die gesellschaftlichen Vergnügungen der Residenz eingetreten, sie kannte die besten Tänzer, die amüsantesten alten Herren, und der junge Fähnrich von Birkenstock, der ein weitläufiger Verwandter von ihr war und sie Cousine nennen durfte, war ihr dienstwilliger Verehrer, der sich auch der Freundin ergeben zeigte.

Luise wurde bald in den Strudel der Wintervergnügungen gezogen. Den Abgeordneten und ihren Angehörigen waren die Salons der Minister und die ersten gesellschaftlichen Kreise geöffnet. Durch manchen Ballsaal gingen Luise und Marie Arm in Arm, und viele bewaffnete und unbewaffnete Augen richteten sich auf sie.

Man sprach auch von Bewerbern um Luise, aber diese war gleichmäßig freundlich gegen Jedermann und bevorzugte Niemand. Sie war ein belebendes Element in den Männerkreisen, schlagfertig und entschieden in den Antworten; sie hatte nicht umsonst mehrere Tagsatzungen mit angehört, sich bei der Debatte bald für diesen, bald für jenen Redner entschieden, um zu erkennen, daß es ihr an Selbständigkeit des Urtheils fehlte, bis sich diese herausbildete.

Ein ganz neues Leben that sich ihr auf, als sie mit Marie in die Malerschule eintrat, die ein namhafter Künstler ausschließlich für Mädchen errichtet hatte. Marie verstand gut, menschliche Figuren zu zeichnen, aber sie liebte es noch weit mehr, Carricaturen zu fertigen; Louise hatte Neigung und Talent für die Landschafterei. Im Atelier führte Marie das große Wort, sie wußte von Allem, was in der Residenz, besonders aber in militärischen Kreisen vorging. Wie von selbst aber machte es sich, daß Luise als die Urtheilsvollste angesehen wurde, und wenn sie um eine Meinung gefragt, gab sie dieselbe mit solcher Begründung und Erwägung etwaiger Einwendungen, daß sie, wie von selbst, den Namen erhielt: »Tochter des Parlaments«.

Marie war überaus lustig und besonders neckisch gegen den Vater Merz. Dieser hatte sich gelobt, nach dem Tode seiner Frau ausschließlich seinem Kinde und den allgemeinen Anliegen des Vaterlandes zu leben, aber schon im ersten Winter, als Marie täglich im Hause verkehrte, fand er eine Anmuthung im Umgange mit ihr, daß er in seinem Vorsatze schwankend wurde. Marie, der diese Neigung nicht entging, hatte nichts Ablehnendes; ja, sie war besonders zutraulich gegen ihn, und selbst der Major hatte ein Benehmen gegen Herrn Merz, als wollte er beständig sagen: Warum bist Du denn so zaghaft, alter Knabe? Die Sache wäre ja mit zwei Worten abgemacht. . . .

Wochenlang hörte Herr Merz nichts von den Debatten, die um ihn her im Abgeordnetenhause gehalten wurden; denn er hörte nur die Debatten in seinem Innern, und diese waren so stürmisch, die Parteien kämpften so unparlamentarisch, daß der Vorsitzende, als ruhiger Verstand, sie oft zur Ordnung rufen mußte.

Herr Merz verschloß jede Kundgebung seiner Herzensbewegung, aber diese entging doch seiner Schwiegermutter nicht. Wenn Alles von dem muntern Wesen Mariens entzückt war, Vater und Tochter in ihrem Lobe mit einander wetteiferten, und man sich nach ihrem Weggange so öde und leer vorkam – da schüttelte die alte Dame oft verweisend ihr graues Haupt und löste die seine Hand von dem Strickzeuge, indem sie sagte: »Schade, schade! Fräulein von Korneck wäre eine vortreffliche Schauspielerin!«

Herr Merz bezwang sich und wiederholte mit Geflissentlichkeit, sowohl vor Marie wie vor ihrem Vater, daß er auf jede eigne Lebenserneuerung unbedingt verzichtet habe und Alles nur noch von Luise erwarte. Er hoffte immer, daß sein Kind doch bald den Mann finden würde, der diese Fülle von Herz und Geist und diese tiefe Begabung zu würdigen wisse. Auch Luise war frei genug zu gestehen, daß sie sich zu verheirathen wünsche; aber Jahr um Jahr verstrich, Luise stand mit den besten Männern des Landes in freundlicher Beziehung, anfangs scherzend, dann immer ernster sagte sie, es scheine, daß nur verheirathete Männer sich ihr als tüchtig und gradezu darstellten; die Ledigen wollte sie immer geckenhaft oder sentimental finden, und bald auch glaubte sie, daß dieser und jener nur ihres zu erwartenden bedeutenden Reichthums wegen sich ihr nähere.

Im Sommer kam ein Brief von Marie, worin sie anzeigte, daß ihr Vater gestorben sei und sie nun allein und verlassen dastehe. Luise wünschte, daß der Vater Marie zu sich ins Haus nehme; aber dieser, der sonst seinem Kinde keinen Wunsch versagte, lehnte es auf das Entschiedenste ab. Er behauptete, daß Luise durch den Anschluß an die Freundin dann ganz sicher kein eignes Leben gewinnen werde; sie sollte eine gewisse Sehnsucht nicht loswerden, um doch noch zu einem eigenen Hausstande zu kommen; insgeheim aber hatte er einen Widerwillen gegen Marie, der seltsamer Weise aus der bezwungenen Neigung stammte. Marie schrieb bald darauf, daß sie sich entschlossen habe, mit einer alten Dame auf Reisen zu gehen.

Herr Merz, der sich immer mehr nur dem politischen Leben widmen wollte und es für Pflicht hielt, daß Männer von unabhängiger Stellung sich solchem ausschließlich hingäben, verkaufte seine Fabrik. Er wollte ganz in der Residenz bleiben, nur auf Andringen Luisens zog er nach dem Landgute, das er im Gebirge besaß. Aber eben das Jahr darauf, als er sich völlig frei gemacht hatte, um sich nur dem staatlichen Leben zu widmen, wurde er nicht wiedergewählt. Nach dem ersten Schmerze der Zurücksetzung getröstete er sich aufrichtig – es war nicht bloße Redensart – daß es so viele tüchtige Menschen gebe, welche die Angelegenheiten des Vaterlandes vertreten können. Er sagte oft: man muß dem Rufe folgen, muß aber auch still abwarten können, wenn man nicht gerufen wird, bis wieder die Zeit kommt.

Daneben war ein Umschwung in den Verhältnissen eingetreten, der es ihm seiner Gemüthsart nach erwünscht machte, nun nicht zur strengen Opposition gehören zu müssen. Er war keine kämpfende Natur, die sich in schroffem Widerstreit wohl fühlt; er liebte die Verträglichkeit, natürlich nur so weit sie mit seinen Grundsätzen vereinbar.

Jetzt konnte er die Sündfluth, die das Chaos zu bringen schien, in seiner behaglichen Arche abwarten. Die Tauben, die ihm die Nachrichten vom Wasserstande draußen brachten, waren die Zeitungen. Er las die Kammerverhandlungen mit großem Eifer; er hatte treffende und auch rednerisch wohlgeordnete Entgegnungen im Kopfe, die er nun leider nicht mehr anbringen konnte. Er widmete sich den Angelegenheiten der Gemeinde und der Landschaft, aber er empfand doch immer eine Leere und hoffte eine Erfrischung seines Lebens nur noch von der Verheirathung Luisens. Aber diese hatte das Vierteljahrhundert überschritten und bekannte nun offen, sie habe endgültig mit dem Leben abgeschlossen und wolle sich ganz ihrem kleinen Talente widmen.

Marie war von ihrer zweijährigen Reise zurückgekehrt und wohnte mit der alten Dame in der Garnisonstadt. Als sie zum Besuche auf das Landhaus des Herrn Merz kam und mit ihm allein war, erkannte sie schnell dessen Befangenheit und sagte im heitersten Tone: »Ach, Herr Merz, warum haben Sie mich nicht vor Jahren geheirathet? Jetzt ist es zu spät, ich bin verlobt.«

»Darf man wissen, mit wem?« fragte Herr Merz.

»Nein, das darf man noch nicht wissen.«

Seit jenem ersten Besuche hatte man sich nicht wiedergesehen. Jetzt war Marie eingeladen worden, da man noch einige Tage zusammen sein wollte, bevor Herr Merz und seine Tochter nach Italien reisten.

3. Auf eigenem Boden.

In raschem Trabe fuhr der Wagen mit den beiden Mädchen die Landstraße entlang.

»Ach, wie glücklich bist Du, solchen Wagen Dein eigen zu nennen!« rief Marie. »Man sollte gar nicht glauben, daß man so finster drein schauen kann, wenn man im eigenen Wagen dahinfährt.«

Luise kannte das beständige Hadern der Freundin mit ihren ökonomischen Verhältnissen und sie entgegnete nichts, da Marie durch allerlei Scherz sich die abhängige und eigentlich traurige Lage befreite und erheiterte. Marie mochte den Gedankengang der Freundin ahnen; sie erklärte, daß das Leben eitel Possenspiel sei, und das Beste wäre, man spiele frischweg mit. Sie erzählte mit großer Lustigkeit, welche Abenteuer sie unterwegs gehabt.

Luise lenkte sie hievon ab und fragte, wie es ihr bei der Dame ergehe, deren Gesellschafterin sie war.

»Ach!« rief Marie, »sie klagt immer über ihre früheren Gesellschafterinnen und klagt zu Anderen gewiß auch über mich. Die edle Dame will immer sehr geliebt sein und dabei sehr wenig Honorar geben! Kehrbesen und Staubwedel sollten sich auf ihrem Wappen kreuzen, denn Auskehren und Abstäuben sind ihre beiden Lebensziele. Jeden Abend muß ihr das Dienstmädchen eine alte Zeitung in kleine Schnitzel zerreißen, diese zerstreut sie dann in den Stuben in alle Ecken, um andern Tages sicher zu sein, daß überall gekehrt worden ist.«

»Du mußt doch aber froh sein, einen Beruf zu haben,« suchte Luise abzulenken.

»Beruf? Ich sage wie Rückert – oder ist es nicht von Rückert? – ›Hätt' ich hunderttausend Thaler Renten, ich hätte mich Euch niemals aufgetischt.‹ Beruf? Sag' mir doch das Wort nicht mehr. Wenn ich reich wäre, ich heirathete einen Mann, der mir gefällt, und ließe Anderen den Beruf.«

Ein ernster Ton wurde nun von Marie angeschlagen, da sie die Freundin ermahnte, doch nicht fort und fort die Spröde zu bleiben und alle Bewerber abzulehnen.

Luise entgegnete, daß sie mit dem Leben abgeschlossen habe.

»Abgeschlossen?« lachte Marie. »Warum sagst Du nicht auch: Ich habe ausgerungen, überwunden? Du bist ja ein Jahr jünger als ich. Ach, wenn nur Jemand käme, der Dich einmal bändigte!«

»Bändigte? Bin ich denn wild?«

»Nein, nimm mir's nicht übel, im Gegentheil, Du bist zu zahm, ich meine zu gebildet.«

»Zu gebildet?«

»Ja, Du hast zu viel gesehen, zu viel gedacht. Du erkennst an Jedem sofort die Mängel und daneben denkst Du: der will nicht mich, der will mein Geld. Bei jeder Erscheinung eröffnet sich in Dir eine parlamentarische Debatte. Du bist die Tochter des Parlaments.«

»Gut! Nun hast Du Alles gesagt, nun, bitte, sprich hierüber nichts mehr.«

Luise sagte dies in entschiedenem Tone, und man fuhr geraume Zeit still dahin. Man näherte sich den landwirthschaftlichen Gebäuden, die eine kleine Strecke von dem Herrenhause entfernt waren. Die Hofhunde bellten, sie merkten wol den neuen Ankömmling, und Scheck war, wie seine Herrin, schnell zur Antwort bereit. Aber Marie befahl ihm, nicht das letzte Wort zu behalten, er gehorchte und schwieg.

Der Wagen hielt vor der Freitreppe des Herrenhauses. Herr Merz hieß Marie willkommen. In das Antlitz des älteren Mannes, das glatt rasirt war, trat eine leichte Röthe; er hatte es vielleicht doch noch nicht ganz verwunden, daß er einstmals zur Freundin seiner Tochter eine Neigung empfunden hatte. Marie schlug sofort den neckischen Ton gegen Herrn Merz an und dieser erwiderte ihn mit Freundlichkeit.

Marie wurde auf ihre Zimmer geführt, sie kam aber bald wieder herab und ging mit Herrn Merz vor dem Hause auf und ab. An einem neuen, noch nicht fertigen Anbau, der ein großes Fenster mit einer einzigen Scheibe hatte, fragte sie, was das sei. Herr Merz erwiderte, daß er für Luise ein Atelier gebaut habe, es solle während der Reise nach Italien, die man vorhatte, fertig gemacht werden, da Luise sich ganz ihrem künstlerischen Talente widmen wollte.

»Das ist sehr unrecht von Ihnen. Das durften Sie nicht thun!« rief Marie trotzig. Auf die verwunderte Frage des Herr Merz erklärte sie, er hätte nicht willfahren dürfen, daß Luise ihren Vorsatz, mit dem Leben abzuschließen, zur Ausführung bringe. Jetzt habe ein Freier eine neue Concurrenz zu bestehen.

»Ich bleibe dabei,« rief sie, »Luise muß heirathen. Und wenn ich den Schwanenritter her beschwören muß, sie soll heirathen. Abgeschlossen haben mit dem Leben! Fertig sein! Hat man je so etwas gehört von einem schönen, reichen Mädchen, das – nun ja – das sechsundzwanzig Jahre alt ist! Geben Sie mir Vollmacht, was ich will in Bewegung zu setzen?«

»Und wenn ich sie Ihnen nicht gebe?«

»Da haben Sie Recht, dann thue ich's doch. Aber es ist besser, daß ich's gesagt habe. Diese Urlaubstage sind mein, ich will sie nützen,« recitirte sie mit Pathos.

Luise kam herab und der Vater entfernte sich bald. Die beiden Mädchen hielten sich umschlungen und gingen miteinander in den Park.

Plötzlich hielt Marie an und rief: »Ach, ich möchte wissen, wie man auf eigenem Grund und Boden spazieren geht. Also so tritt man auf!«

Sie hob ihr Kleid etwas in die Höhe, ein feiner Fuß in braunen Stiefeletten zeigte sich und sie setzte ihn mit Nachdruck auf den Boden. In überschwänglichen Ausdrücken führte sie dann weiter aus, wie glücklich doch Menschen sein müßten, die ein Stück Erde ihr eigen nennen und eine feste Heimath haben. Luise widersprach nicht, denn sie war von tiefem Mitgefühl beherrscht für ein Mädchen, das, aus der höheren Gesellschaftsschichte stammend, heimathlos in der Welt war und das Brod der Dienstbarkeit essen mußte, einer Dienstbarkeit, die sich noch mit einem Scheine der Freiwilligkeit umgab. Sie entgegnete nur endlich, daß Marie reich genug sei, denn sie besitze einen unerschöpflichen Schatz von Humor.

»Berufe mir das nicht!« rief Marie mit Aengstlichkeit. »Wenn man so etwas beruft, ist es vorbei.«

Die beiden Mädchen waren in ein Dickicht eingetreten, wo die Vögel lustig sangen. Luise stand still und fragte die Freundin, ob sie ihr nicht endlich Näheres sagen wolle zu Andeutungen in einem Briefe, daß sie auf ihrer Reise ein Herz gewonnen habe.

»Jetzt noch nicht,« fiel Marie rasch ein, »aber bald werde ich es Dir sagen. Bitte, frage mich nicht weiter. Wenn es Zeit ist, werde ich Dir Alles erklären und Du sollst mir helfen.«

Sie sprachen nun von der beabsichtigten Reise nach Italien. Luise bedauerte, daß Marie sie nicht begleiten konnte; sie wäre eine gute Führerin gewesen, denn sie kannte bereits Alles.

Marie wußte es und Luise ahnte etwas davon, warum der Vater, der sonst seinem Kinde keinen Wunsch versagte, entschieden ablehnte, daß Marie sie begleite. Schweigsam gingen sie durch den Garten und den Park und kehrten endlich in das Haus zurück. Die Großmutter, die den Tag über unwohl gewesen, hatte sich am Abend erholt. Man saß wohlgemuth beisammen, und nach dem Abendessen begann Marie noch eine Schachpartie mit Herrn Merz. Sie war eine sehr gewandte Schachspielerin, die Partie dauerte sehr lange, die Großmutter und Luise zogen sich zurück und Marie saß allein mit Herr Merz.

Kaum aber waren sie allein, als Marie die Figuren zusammenwarf und sagte, sie müsse nochmals von Luise sprechen. Herr Merz solle ihr doch die Männer der Umgegend bezeichnen, die morgen zu Gaste kommen sollten, welche darunter seien, die sich um Luise bewerben und welchen der Vater am meisten wünsche; denn es sei von großer Bedeutung, wenn eine Freundin ihr Wohlgefallen an einem Bewerber kundgebe, und sie hoffe damit einen Entschluß Luisens zu Stande zu bringen. Der Vater nannte mehrere, ein Gutsbesitzer und ein junger Beamter aus der nahen Kreisstadt waren ihm gleich werth, aber Luise schien gegen beide Bewerber gleichgültig.

Marie blieb dabei, daß sie die Freundin doch zu einem Entschluß bringe.

4. Eine Revue.

Am andern Mittag, er war hell und frisch, kamen Wagen und Reiter aus der Nachbarschaft, Männer und Frauen wurden bewillkommt. Marie hatte es durchgesetzt, Luise hatte eine neue Frisur annehmen, auch ihre Lieblingsfarbe – das elegische Grau, wie Marie es nannte – ablegen und sich hellfarbig kleiden müssen. Die Nachbarn und Nachbarinnen sahen sie beim ersten Begegnen staunend und befremdet an. Marie freute sich dessen, denn sie wußte, daß Luise nunmehr viel jugendlicher und lebhafter aussah.

Als der benachbarte Gutsbesitzer und der junge Beamte Marie vorgestellt wurden, machte sie eine Verbeugung, wobei sie jedoch die Augen nicht niederschlug, sondern fast gewaltsam aufriß. Sie musterte Beide und fand, daß dem äußern Anscheine nach die Wahl allerdings schwer sei.

Marie hatte das Glück, daß der angesehenste Mann des Freundeskreises ein ehemaliger Kamerad ihres Vaters gewesen. Sie trat dadurch sofort in eine bevorzugte Ehrenstellung, der ganze Kreis gruppirte sich um sie, und Luise that Alles, um sie zum Mittelpunkte des heutigen Tages zu machen.

Der junge Beamte, der sofort erkannte, daß Marie bei Luise von entscheidender Bedeutung war, zeigte sich überaus zuvorkommend gegen sie. Er wußte sich ihr zuzugesellen, als man einen Gang durch den Garten machte. Im Laufe des Gesprächs sagte er leichthin, daß er auch Landwehr-Officier sei; er durfte voraussetzen, daß dies bei Marie einen besonders günstigen Eindruck hervorbringe.

Marie fand Erscheinung und Benehmen des Mannes sehr ansprechend, aber – war es Wirklichkeit oder spielte er's nur? – er that schmachtend, er war nicht kühn und selbstbewußt genug. Marie sagte sich innerlich, daß dies nicht der Rechte sei; denn wer Luise gewinnen wollte, mußte sie eigentlich dahin bringen, daß sie nach ihm verlangte.

Der junge Beamte schien sich nicht nur auf die Bedeutung von Baumschlag und Vordergrund eingeübt zu haben, er sprach sogar sehr eifrig von dem Glücke des künstlerisch bewußten Schauens und wie die heutige Blüthe der Landschaftsmalerei dem naturforschenden Charakter unserer Zeit entspreche; er deutete auf eine Baumgruppe, auf den Himmel und pries das Glück, in der Wiedergabe von Licht und Luft schwelgen zu können. – Er setzte Alles dies Marie auseinander und gab es doch, wie man sagt, nur zur Post; Marie sollte es der Freundin berichten.

Marie lächelte vor sich hin. »Der ist abgethan. Laß sehen, was der spröde Gutsbesitzer für ein Menschenkind ist!«

Der Gutsbesitzer hielt sich vorzugsweise zu Vater Merz. »Gute Manier, und nicht übel gewählt,« dachte Marie. »Er hat wahrscheinlich hohe Achtung vor dem Manne, oder auch er heuchelt sie in diesem hohen Grade. Immerhin! Das wirkt gut auf Luise, denn sie liebt ihren Vater schwärmerisch, und wer diese Liebe mit ihr theilt, hat viel gewonnen.«

Im Gegensatz zu dem jungen Beamten sah der Gutsbesitzer in Marie ein Hinderniß. Er war eine ernste, neben seinem Berufe vorzugsweise der Politik zugewandte Natur. Ein Wesen wie Marie, das er schnell erkannt hatte, lenke den Sinn der Freundin auf das Leichte, Flatterhafte. Er glaubte sogar zu bemerken, daß in dem Benehmen Luisens gegen Marie etwas Gezwungenes sei, er wollte daher mit dieser nicht gemeinsame Sache machen. Ja, als ihn Luise fragte, wie Marie ihm gefalle, sagte er gradezu: »Sie gefällt mir wie Ihnen. Ich glaube, daß Sie nur zeitweise mit einem solchen gewaltsam moussirenden neckischen Wesen leben können.«

Luise suchte ihn in seinem Urtheile zu berichtigen, aber sie that es doch in einer Art, die ihm nicht ganz Unrecht gab, und zum ersten Male schien der Gutsbesitzer seine Hoffnungen für berechtigt halten zu dürfen.

Bei Tische ging es heiter zu, der alte Herr von Beuthen, der Marie zu Tisch geführt, hatte das Vorrecht, rücksichtslos sein zu dürfen.

Man sprach von der Reise nach Italien, die Herr Merz und seine Tochter unternehmen wollten, und der alte Beuthen rief: »Sie haben ein Unrecht begangen! Warum bauten Sie für unsere liebe Luise ein Atelier? Eine Kinderstube wäre besser.«

Man lachte. Die Augen Mariens gingen funkelnd am Tische hin und her. Sie sah, wie der junge Beamte erröthete; der Gutsbesitzer aber lachte mit.

Aller Blicke waren auf Luise gerichtet. Diese aber sah drein, als ob der Scherz sie gar nichts anginge. Mit haltungsvoller, unbewegter Stimme sagte sie endlich – sie fühlte, daß sie etwas sagen müsse –: »Ich freue mich, daß ich Herrn von Beuthen zu einem so anmuthigen Scherz Veranlassung gab.« Sie unterhielt sich sehr eifrig mit einem stattlichen Manne, der neben ihr saß, so daß dessen Frau, die der junge Beamte zu Tische geführt, immer röther im Gesicht wurde, und diese Röthe wurde nicht vermindert, da sie auf Zureden des Beamten von den verschiedenen starken Weinen trank, die nach einander auf den Tisch kamen.

Man stand endlich von Tische auf; die älteren Herren blieben auf der Terrasse bei der Cigarre sitzen. und Herr von Beuthen sagte mit gewaltiger Stimme ganz laut: »Es ist eine Schande für das ganze ledige Männergeschlecht, daß Fräulein Luise noch unverheirathet ist.«

Die jungen Leute erlustigten sich im Garten. Luise stand noch eine gute Weile bei ihrem Tischnachbar in eifrigem Gespräch, aber Marie rief immer dringlicher, und sie gesellte sich endlich in den jugendlichen Kreis. Scherz und Munterkeit herrschte, und aus einem Dickicht hörte man helles Jodeln, wie von einem jungen Gebirgsbewohner.

Marie hatte es dahin gebracht, daß Luise, die nicht eigentlich singen konnte, aber eine besondere Meisterschaft im Jodeln hatte, diese ihre Kunst preisgab. Sie hatte dabei die Gewohnheit, daß man sie nicht ansehen durfte, sie wendete sich ab, legte die feine linke Hand an die Wange und jodelte mit einer Kraft, als ob der Widerhall von Felsenbergen zurücktönte.

Die Alten und die Jungen mischten sich unter einander und es herrschte Heiterkeit, bis der Abend hereinbrach und die Gäste davonfuhren.

Als Luise wieder mit der Freundin allein war, sagte sie – und ihr Angesicht wurde flammroth –:

»Ach, Marie, es ist doch gräßlich, und ich begreife es nicht. Ich bin doch . . .«

»Was denn?«

»Nein, es ist besser, ich sag's nicht!«

»Auch mir nicht? Sprich doch!«

»Sieh, da waren so tüchtige, gediegene Männer« – sie nannte diesen und jenen – »aber die mir ein Gefallen erwecken und die ich gescheit und anmuthend finde, sind . . .«

»Verheirathet,« fiel Marie ein.

»Ja,« bestätigte Luise und bedeckte das Gesicht mit der Hand, »warum gefallen mir nur solche? warum kann ich nur zu ihnen frei reden?«

»Und das weißt Du nicht? Du, die Tochter des Parlaments? Freilich, es ist zu einfach. Du läßt Dich solchen gegenüber frei gehen und sie können auch zu Dir unbefangen sein. Bei einem Ledigen aber, da glaubst Du immer, er habe Absichten auf Dich und nun gar auf Deinen Reichthum; da kommst Du natürlich nie dazu, harmlos zu sein und Andere unbefangen kennen zu lernen!«

»O, wie recht hast Du, wie recht!«

Lange gingen die beiden Freundinnen still neben einander her, plötzlich trat ein schelmisch triumphirender Zug in die Mienen Mariens und sie sagte:

»Komm, setz' Dich hier zu mir, ich will Dir auch mein Geheimniß sagen.«

Sie faßte die Hand Luisens, ihre Stimme stockte; Luise sah darin eine tiefe Herzensbewegung, aber es war doch etwas Anderes. Marie erzählte, ganz gegen ihre sonstige geläufige Redeweise, öfter innehaltend, sie habe sich heimlich soviel als verlobt mit dem Rittmeister v. Birkenstock in der nahen Garnisonstadt, der, obgleich ein entfernter Verwandter von ihr, doch immer nur auf kurze Stunden und in Gesellschaft mit ihr zusammengewesen. Sie habe nun den Wunsch – denn es sei ihr wichtig, daß sie sich nun näher kennen lernten – Herr Merz möge den Rittmeister zu Besuch einladen, er könne auf dem nahen Gute bei dem Pächter wohnen; es sei ohnedies seine Absicht, den Abschied zu fordern und eine Gutspachtung zu übernehmen, denn er sei der Sohn eines Landwirthes.

Luise versprach das zu bewirken; Marie ging allein auf ihr Zimmer und bald brachte ihr Luise einen offenen Einladungsbrief ihres Vaters. Marie schrieb noch lange in der Nacht einen Brief, den ein Bote noch spät nach dem Bahnhofe trug.


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