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Frau Artefeld hatte nicht verabsäumt, die Rechte ihrer, der Eltern so plötzlich beraubten Enkelin wahrzunehmen. Sie hatte bisher keine besondere Sympathie für das Kind gehabt Sie kannte es nicht und Elisabeth stand ihr zu fern, um es um derentwillen zu lieben, aber das tragische Schicksal der kleinen, in die Welt hinaus verschlagenen Waise regte ein so tiefes Mitgefühl für sie an, daß es in dem Herzen dieser Frau immerhin für Liebe gelten konnte und wenigstens alle die Handlungen hervorrief, durch welche sie Liebe zu zeigen pflegte.
Sie schrieb augenblicklich an Mr. Thomson, sie setzte ihn von dem Vorgefallenen in Kenntniß, meldete ihm seines Compagnons trauriges Ende, die Abreise der einzigen verwaisten Tochter desselben, forderte als nächste Anverwandte Rechenschaft von dem hinterlassenen Vermögen des Verstorbenen und der Art seiner Verbindung mit dem Hause Thomson, und wünschte einen Vormund, der in Gemeinschaft mit ihr die Verhältnisse ordne und für das fernere Schicksal des Kindes sorge, dessen augenblickliche Rücksendung nach Europa, wo es im Hause seiner Großmutter die natürlichste Zuflucht und angemessenste Erziehung finden würde, sie in ziemlich herrischem Tone verlangte. Diese erfolgte nicht gleich, wohl hauptsächlich deshalb, weil die kleine Flora kein Waarenballen war, der so ohne alle Umstände von einem Ende der Welt zum andern geschickt werden konnte, dann auch, weil Dorothee sich auf's ernstlichste gegen jede Maßregel sträubte, die zum Zweck hatte, Elisabeth's Kind derselben harten, lieblosen Behandlung zu überliefern, die das Mißgeschick dieser zum Theil verschuldet hatte, und drittens, weil Mr. Thomson Gefallen an dem Kinde, vielleicht auch an dem Vermögen desselben fand und es ihm nicht paßte, die mit dessen Vater soeben und zwar zu gegenseitigem Vortheil angebahnte Gemeinschaftlichkeit aufzugeben.
Das Alles forderte jedoch weitläufige und zeitraubende Verhandlungen, die durch Uebertragung an Mittelspersonen wahrscheinlich nur noch weitläufiger geworden wären.
Frau Artefeld empfing also vorläufig als Antwort auf ihre Auseinandersetzungen einen Brief Flora's, die ihr auf Dorothee's und des Onkels Veranlassung ihre glückliche Ankunft in New-York meldete und in kindlicher, naiver Weise alle empfangenen Eindrücke bunt durcheinander mischte: den immer wieder aufzuckenden Schmerz um die Mutter, Trauer um den Vater, Erstaunen und Bewunderung aller der neuen Dinge, die ihren kindlichen Geist auf's lebhafteste anregten, Regungen dankbarer Zärtlichkeit und Zuneigung für den Onkel, der sie nach ihrer Schilderung mit vieler Güte zu behandeln schien. Dieser selbst schrieb nur wenige Zeilen, die einen Dank für die Zuschrift Frau Artefeld's und die Anerkennung aller ihrer Rechte ausdrückte, aber die Erledigung der betreffenden Angelegenheit bis zu seinem längst projektirten und nun in nächster Zeit auszuführenden Herüberkommen vertagte, indem er eine Besprechung für das Zweckmäßigste hielt und es als selbstverständlich annahm, daß die Rechte der Waise in seinen Händen eben so sicher seien als in denen der Großmutter. Diese mündliche Besprechung schob sich allerdings noch ein wenig weit hinaus, weiter als selbst durch die gewaltige Entfernung der beiden dabei interessirten Personen zu erklären war, und Frau Artefeld, die kleine Hindernisse, wie selbst trennende Meere und widrige Winde, nicht anzuerkennen pflegte, wenn sie es sich herausnehmen wollten, ihre Beschlüsse zu verzögern, fing schon an ungeduldig zu werden und zu überlegen, ob sie nicht Jakobi mit Führung der Angelegenheit betrauen und ihn nach New-York schicken solle, um Alles in ihrer Weise zu ordnen und ihre Enkelin zu ihr zu bringen.
Noch ehe der Entschluß zur Reife kam, da sie unwillkürlich ein wenig zögerte, Jakobi noch mehr Einfluß zu gewähren, als er sich schon erobert oder erschlichen hatte, stellte sich ihr jedoch Mr. Thomson vor und gewann durch seine ruhige, offene, geschäftsmäßige Behandlung der Angelegenheit ihr Vertrauen, sowie durch eine klare Darstellung aller der für Flora erwachsenden Vortheile, wenn die Gemeinschaft mit ihrem Vater auf sie übertragen würde, Frau Artefeld's Zustimmung zu allen seinen Plänen.
Eisenhart's Antheil am Geschäft, alle Vortheile, aller Gewinn künftiger Unternehmungen des Hauses Thomson und Eisenhart dienten natürlich nur dazu, das Vermögen der Enkelin Frau Artefeld's, die kaufmännische Bedeutung des Namens Eisenhart und somit den Werth naher Verwandtschaft mit ihr zu vermehren und zu erhöhen. Mr. Thomson's bekannte Firma, sein ehrenwerther Charakter, den Frau Artefeld vermöge ihrer Menschenkenntniß in der kurzen Zeit ihres Zusammenseins mit ihm vollständig durchschauen und würdigen lernte, boten die gehörige Bürgschaft für die Uneigennützigkeit seiner Vorschläge. Es entspann sich sogar aus dem Zusammensein eine engere kaufmännische Verbindung, die zwar Herrn Jakobi, der hiervon nicht ausgeschlossen werden konnte, in nicht geringes Erstaunen versetzte, da sie nach Frau Artefeld's früherer Auffassung in mancher Beziehung für gewagt gelten konnte, und es wurde auch noch ein anderes Band gewoben, das allerdings nur schon vorhandene Familienbeziehungen fester knüpfen sollte, aber in den Händen derer, die es knüpften, doch auch nur auf einen Handel hinauslief.
Als Mr. Thomson nach New-York zurückkehrte, hatte er sein sehr lustig gebautes und eigentlich nur für die günstigsten Witterungsverhältnisse berechnetes Haus auf eine bisher anerkannt solide Säule gestützt, und Frau Artefeld gefiel sich in dem Gedanken künftiger Vergoldung der Säule durch ihre Enkelin und künftige Schwiegertochter, die wahrscheinliche einzige Erbin des Hauses Thomson und Eisenhart.
Georg lachte, als seine Mutter ihm sagte, daß er einst Flora Eisenhart heirathen sollte, nahm es natürlich nicht für Ernst und vergaß es wieder, da sie ihn nicht weiter daran mahnte. Was hatte er auch an heirathen zu denken, er war ein Knabe und die Zeit noch fern, die männliche Leidenschaften bringen, männliche Entschlüsse reifen sollte.
Ob er zu letzteren je die Kraft haben würde, mochten wohl Alle bezweifeln, die nur einen oberflächlichen Blick für die innere Entwickelung des Knaben hatten und ihn in völliger Abhängigkeit von der Mutter sahen.
Es hat selten Jemand einen Maßstab für die Kraft der Seele, die ihre Opfer aus Liebe, das heißt gern bringt. Das über sich zu vermögen ist schwerer als dem Zwange folgen.
Georg's Leben verfloß in der von seiner Mutter bestimmten Weise, und was seine fernere Erziehung betraf, so folgte diese unausgesetzt den Principien, durch welche sie, gleichfalls aus Liebe, die früheren Zwangsmaßregeln zu modificiren gelernt hatte. Während sie in Richard alle Neigungen, die nicht mit seinem Beruf zusammenhingen, gewaltsam zu unterdrücken strebte, ließ sie bei Georg denselben scheinbar freien Spielraum und machte sie nur durch geschickten Wechsel unschädlich. Sie gratulirte sich zu ihrer Klugheit, die Georg's Passion für die Musik mit seiner Freude an ländlichem Leben und ländlichen Beschäftigungen in Schach hielt, die ihm die eine zum Vergnügen, die andere als eine zu seiner Gesundheit gehörende Nothwendigkeit gestattete, ihm aber begreiflich gemacht hatte, daß der günstige Einfluß, den Beides auf Geist und Körper ausübe, nur Mittel zum Zweck sein und seinem Beruf zu Gute kommen dürfe.
Georg war völlig damit einverstanden. Daß er Kaufmann werden sollte, daß er einen brennenden Wunsch seiner Mutter, gleichviel ob sie denselben auch Befehl nannte, damit erfüllte, wußte er, und da kam es bei ihm nicht in Betracht, ob und in wie weit der Wunsch durch die Verhältnisse gerechtfertigt erschien. Er war so klar darüber, was ihm zu thun oblag, so völlig entschlossen, es mit dem Herzen zu thun, daß selbst Herr Wagner, trotz seiner leidenschaftlichen Liebe zur Musik und trotz dem Glauben an Georg's Talent, dem er seit Victor's Abreise als Lehrer zu Hülfe kommen durfte, es nicht wagte den Versucher zu spielen, der seinen Schüler von dem vorgeschriebenen Wege ablockte.
Georg trieb mit Eifer und so viel wie es seine immer noch leicht zu erschütternde Gesundheit erlaubte, die Studien, die zu seinem Beruf nöthig waren, und daß er andere Dinge lieber getrieben haben würde, tastete die Heiterkeit seines Gemüthes, seine frische Lebenszuversicht nicht an, eben so wenig wie es je einen vorwurfsvollen Gedanken gegen die Mutter in ihm erregte. Er hatte Träume, ja Pläne für die Zukunft, er wollte Reisen machen, die Welt sehen, große Handelsstädte kennen lernen, er verschönerte sich seinen künftigen Lebensberuf durch eine möglichst großartige Auffassung desselben; er abstrahirte in seinen Anschauungen von dem Einfluß kaufmännischer Geschäfte auf das Loos des Einzelnen, er faßte die weltgeschichtliche Bedeutung des Handels in's Auge, seinen Einfluß auf die Cultur der Völker, auf die Geschicke derselben. Frau Artefeld verstand ihn nicht, aber sie gewährte ihm die kindischen Phantasien, in denen sie doch eine Garantie für seinen Gehorsam sah, ja, sie faßte sogar seine Gedanken an künftige Reisen beistimmend auf, wenn auch in sehr beschränktem Sinne und hauptsächlich deshalb, weil sie kleine, natürlich sehr kleine Ausflüge vielleicht für ein gutes Mittel hielt, den für seine Gesundheit nöthigen Aufenthalt auf dem Lande zu ersetzen, wenn sie einmal bemerken sollte, daß er sich zu sehr der Freude des Landlebens hingab.
Georg hatte gewünscht, seine ersten kaufmännischen Studien nicht in dem Comptoir seiner Mutter zu machen, wurde aber auf's bestimmteste mit seinem dahin zielenden Anliegen zurückgewiesen. Neben anderen Gründen, an denen es seiner Mutter nicht fehlte, mußte selbst seine Gesundheit zum Vorwand dienen, ihm die Unstatthaftigkeit seines Wunsches in jeder Weise klar zu machen. Georg war nicht krank, selbst sein Fuß war geheilt, aber er war rasch gewachsen und sah schmächtig aus, war eine lebhafte, erregbare Natur, die seiner Mutter schon deshalb einen krankhaften Eindruck machte, weil sie ihrem eigenen gemessenen, gleichmäßigen Wesen widersprach. Sie war zudem gewöhnt ihn zu pflegen und das Gewohnte wurde ihr jederzeit Nothwendigkeit. Sie fühlte sich zu Georg's physischem wie moralischem Gedeihen gleich unentbehrlich, die Angst, daß er ihr entfremdet werden könnte, die sie von seiner Kindheit an immer dazu getrieben hatte, möglichst jeden fremden Einfluß von ihm abzuwehren, empfing durch seinen Wunsch neue Nahrung und ließ sie denselben mit einem so sichtlichen Schreck aufnehmen, daß er ihn im Herzen schon zurückzog, noch ehe sie ihr Nein ausgesprochen hatte.
Er zog ihn aber nur für eine Weile zurück, und als er unter Jakobi's Leitung seine Arbeiten im Comptoir der Mutter begann, begleitete ihn der Gedanke, sich des vollen Zutrauens derselben würdig zu machen und dadurch das Recht zu gewinnen, die Fesseln sanft zu lösen, die seiner freien Entwickelung im Wege standen.
Er sprach ganz offen mit seiner Mutter darüber. Es wäre klüger gewesen es nicht zu thun, denn sie verstand nicht das Reisen des Verstandes, das eigene Gedanken, eigene Anschauungen hervorbringt, mit Bewußtsein in's Leben schauen lehrt und das Gefühl der Verantwortlichkeit und mit diesem auch das unabweisliche Verlangen nach selbstständiger Handlung weckt.
So vergingen die Jahre, während Victor auf Reisen war. Während dieser sich durch das Leben selbst auf seine Künstlerlaufbahn vorbereitete, tausend wechselnde Bilder sah und zahllose verschlungene Wege zu seinem Ziele einschlug, bezeichnete die höchste Einförmigkeit Georg's Weg und das ihm vorgesteckte Ziel.
Mit seinem melancholischen Reisegefährten hatte Victor eine verhältnißmäßig nur kurze Gemeinschaft gehabt, obgleich sie immer lange genug gewährt hatte, diesen sowie dessen Vater zu warmen und dankbaren Freunden zu machen. Der Trübsinn des jungen Mannes war weniger dem Einfluß der wechselnden Reisebilder, als dem einer Reisebekanntschaft gewichen, die, während sie sein Herz hinriß, alle düsteren Phantasien seines Geistes besiegte. Aus dieser Bekanntschaft war eine Liebe und dann eine Heirath geworden, die Victor's Mentorschaft ein Ende machte und ihn auf freie Füße stellte. Daß er auch auf feste zu stehen kam, war halb und halb sein Verdienst, halb Gunst des Schicksals und der Gönner, die er sich erworben. Er hatte nichts versäumt, weder seine Jugend, noch seine Kunst, noch die Gelegenheit, die Welt und das Leben kennen zu lenken. Alle Kräfte seines Geistes hatten sich geregt und allem frischen Uebermuth seiner Jahre war Rechnung getragen worden. Ja, selbst eine kindische Phantasie hatte er befriedigt, als er sich einer Londoner Künstlergesellschaft zu einer Kunstreise nach Amerika anschloß.
Von dort war er jetzt zurückgekommen, als die Pläne, die sein junger russischer Freund und dessen Vater für ihn hatten, zur Reife gediehen waren. Ihnen, oder vielmehr ihrer richtigen Würdigung seines Talentes, hatte er den Ruf als Capellmeister nach Riga zu danken, ein Ruf, der ihm zugleich nur als erste Stufe bezeichnet war und ihm einen ähnlichen nach Petersburg in Aussicht stellte. Ehe er die Stelle antrat, hatte er jedoch seinen Besuch in seiner Vaterstadt angesagt, um seinen alten Lehrer und seine vielen guten Freunde und Bekannten wiederzusehen, bevor er auf's Neue dem Sterne folgte, den er sein gutes Glück nannte und der noch überall, ob in der Heimath oder in der Fremde, hell über seinem Haupte gestrahlt hatte.
Von Georg war seine Ankunft in einer Aufregung erwartet worden, die seine Mutter für eine unbedingt krankhafte nahm und sie deshalb vielleicht zu einer solchen machte, weil ihr Kopfschütteln und ihr Brausepulver, sowie ihr Verlangen, er solle sich auf's Sopha legen, ihn zwangen, dieselbe zu unterdrücken. Diese erzwungene Zurückhaltung veranlaßte nur einen um so größeren Ausbruch, als Victor, der seine Ankunft nicht gemeldet, eines Abends in Herrn Wagner's Begleitung ganz unerwartet in's Zimmer trat.
Georg hing mit einer unbeschreiblichen Liebe an Victor, mit dem seine frühesten Kindheitserinnerungen zusammenhingen, mit einer Liebe, die nur gewachsen war, je mehr der Unterschied der Jahre sich auszugleichen anfing. Er fühlte es mehr, als daß er es klar verstand, wie viel er dem Einfluß dieses frischen, kräftigen Geistes verdanke, der ihn belebend angeweht hatte, wie die kräftigende Meeresluft kranken Nerven die gewohnte Spannkraft wiedergiebt. Schon der Anblick Victor's hatte ihn in den Jahren seines Siechthums gestärkt und ein aufmunterndes Wort von ihm mehr gethan als alle Pflege der Mutter, die eine zu sichtbare, zu absichtliche war, um wohlthuend zu wirken.
Frau Artefeld hatte ihn immer für kränker, Victor ihn immer für gesünder genommen, als er war, und der arme kleine Knabe von damals sehnte sich so mit der ganzen Seele nach Gesundheit, daß schon Victor's Voraussetzung ihn mit Hoffnung erfüllte.
Es riß ihn jubelnd in Victor's Arme, als dieser nach so langer Abwesenheit wieder einmal vor ihm stand, er lachte und weinte zugleich und äußerte eine so stürmische Freude, daß Frau Artefeld schon wieder besorgt nach seinem Puls greifen wollte, was Georg jedoch zurückwies und lachend sagte:
»Du mußt mich jetzt austoben lassen, Mama!«
So tobte er denn auch in seiner Weise aus, das heißt, er war fröhlich und belebt, aber seine Lebhaftigkeit wie sein Frohsinn hatten etwas so Naturwüchsiges, daß nur ein befangener Sinn dabei an krankhafte Reizbarkeit denken konnte. Die Stunden vergingen wie im Rausch, wie im Sturm, und wogen doch Jahre auf, denn jede Minute hatte ihren Inhalt.
Victor erzählte viel, ohne jedoch eine geregelte Reisebeschreibung zu liefern, was meistentheils langweilig oder doch abspannend ist. Er griff blind hinein in den Schatz vergangener Erlebnisse, und was er herausgriff, blühte unter seiner Schilderung zur Gegenwart auf.
»Ach reisen, reisen können!« sagte Georg.
Frau Artefeld erkundigte sich nach Flora. Sie wußte, daß Victor fast ein halbes Jahr in New-York verweilt und offenen Zutritt in dem Hause Mr. Thomson's gehabt hatte.
»Sie ist ein prachtvolles kleines Geschöpf,« sagte Victor, »ein Paradiesvogel im goldenen Käfig. Sie widersteht all der steifen Pedanterie, die sie umgiebt, und der Goldstaub, unter dem sie aufwächst, wird auf ihrem bunten Fittig zu Lichtfunken. Sie ist so frisch und übermüthig, wie ein Waldbach im Gebirge, und so unartig und rücksichtslos, wie ein kleiner Schuljunge hinter dem Rücken des Lehrers. Sie ist zum Schelten und zum Küssen zugleich.«
»Sie scheint mir sehr unerzogen,« bemerkte Frau Artefeld.
»Man erzieht sie auch nicht, man zieht sie nur an,« entgegnete Victor, »man putzt an ihr von außen und innen und kann doch die Ursprünglichkeit der Natur nicht verderben.«
»Du scheinst sie sehr genau studirt zu haben,« lachte Herr Wagner.
»Sie ist ein Kind, bei dem das der Mühe lohnt,« versicherte Viktor, »es ist aber nebenbei ganz mühelos, denn sie ist eine so durchsichtige Natur, daß nur ein befangener Blick sich in ihr täuschen könnte. Ein Kind sieht man aber nicht leicht mit befangenem Auge an.«
»Sie ist also wohl ihres Vormundes Liebling?« fragte Frau Artefeld mit einem Tone, der die ganze inhaltschwere Bedeutung dessen ausdrückt, was es heißt, eines Millionärs Liebling zu sein, und fuhr dann fort: »ich wünschte jedoch nicht, daß er aus Schwäche ihre Erziehung vernachlässigte, er dürfte doch ihre künftige Bestimmung nicht aus den Augen verlieren.«
Victor sah die Redende erstaunt an; er wußte nichts von dem Abkommen, das Flora zu Georg's künftiger Frau bestimmte, doch diesem fiel es bei der Mutter Worten wieder ein, er lächelte aber nur darüber.
»Hast Du Mr. Thomson genauer kennen gelernt, Viktor?« fragte Georg.
»Nein,« antwortete jener, »dazu ist er zu glatt. Ich bin ein paarmal in der Woche in seinem Hause gewesen, weil Miß Flora den Wunsch hatte, bei mir Musikunterricht zu nehmen, das hat mir jedoch keine nähere Bekanntschaft mit ihm verschafft. Er ist wie eine polirte Wand, hoch oben mit einem Fenster, wo man erst hinaufklimmen muß, will man sehen, was dahinter ist. Aber mir schien das Fenster blind; und da habe ich mir das Klettern erspart.«
»Mir hat er sich sehr offen und zugänglich gezeigt,« bemerkte Frau Artefeld mit einer Miene, die hinzuzusetzen schien: »wie sollte er sich auch mir anders zeigen können!«
Viktor widersprach nicht, er lenkte von dem Gegenstand des Gesprächs ab auf allgemeinere Dinge und fing dann an, die musikalischen Erlebnisse und Erfahrungen seiner Reise zu schildern. Es kam ganz von selbst, daß er nach Georg's Violine griff und diese und jene Reminiscenz in Tönen wiedergab, an die sich wieder neue Schilderungen knüpften.
Es war eine originelle Art des Erzählens! Melodien rauschten dazwischen, welche die Seele aus dem bunten, lustigen Weltgewühl hinaus, himmelan trugen und doch mit zauberischem Klange wieder zurück zu irdischem Jubel, irdischem Schmerz, irdischem Glück lockten. Der Wolkenvorhang vor dem verhüllten Himmel echten Künstlerruhmes zerriß, und doch waren es irdische Stimmen, die mit begeistertem Beifall dem Erdensohn huldigten, der die Himmelfahrt gewagt.
Georg hörte mit flammenden Wangen und Augen zu.
»Musicire ohne zu erzählen;« wandte sich Frau Artefeld an Victor, »Deine wirren Erzählungen regen ihn auf.«
Victor gehorchte. Er warf keine erläuternden Worte mehr bunt in seinen musikalischen Vortrag hinein, für Georg waren sie auch nicht nöthig, er verstand die Sprache, die in Klängen redet, sie regte im Augenblick eine schon oft zum Schweigen gebrachte, unaussprechliche Sehnsucht wieder an.
Als Frau Artefeld, durch Jakobi abgerufen, für eine kurze Zeit das Zimmer verließ, stand Georg auf, nahm Victor das Instrument aus der Hand und sagte:
»Ich wollte manchmal, ich hätte nichts an irdischem Besitzthum, nichts an Gold als die goldenen Töne, die hier eingeschlossen sind.«
»Das sage nicht,« unterbrach ihn Victor lebhaft. »Wünsche Dir nur freie Anwendung dessen, was Du hast, weiter fehlt Dir nichts.«
»Aber damit auch Alles,« war Georg's rasche Entgegnung, die er jedoch in der nächsten Minute mit kräftigem Bogenstrich auszulöschen suchte. Er spielte noch, als seine Mutter wieder eintrat und ihr lautes Zuschlagen der Thür, wie die geräuschvolle Art, mit der sie sich ihren Stuhl an de Tisch rückte, ihn in seinem Spiel störte.
Mit einem kleinen Anflug von Verstimmung brach er ab und legte die Geige auf den Tisch.
»Spiele doch erst zu Ende,« sagte die Mutter, »ich kann solch unordentliches Spiel gar nicht leiden, es ist so schülerhaft; wenn man etwas anfängt, muß man doch nicht mitten darin abbrechen.«
»Ja, oder gar nicht erst anfangen, was man doch nicht zu Ende bringen kann,« entgegnete Georg zwar freundlich, aber doch mit einem Seufzer, der einen zurückgehaltenen Gedanken verrieth. »Ich wollte, ich hätte nie einen Ton gespielt,« fuhr er fort.
»Du kannst ja jederzeit aufhören, wenn Dir die Lust dazu vergangen ist,« meinte Frau Artefeld.
»Die Lust dazu vergangen?« wiederholte er, »ach, wenn es das wäre – sie überwältigt mich vielmehr! Ich möchte manchmal die Violine auf den Rücken nehmen und in die Welt wandern, den Kopf voll Melodien, und das Herz voll Verlangen, sie ausströmen zu lassen!«
»Georg!« sagte Frau Artefeld.
Er überhörte den erschrockenen Ton, in dem sie seinen Namen aussprach, oder trotzte ihm vielleicht in einer Regung des Uebermuths, mit der er die niederdrückenden Reflexionen der letzten Minuten zu bekämpfen strebte, und fuhr mit herausforderndem Scherz, aber doch nur im Scherz fort, Gedankenbildern und Träumen, die ihn lebhafter beschäftigt hatten, als er es sich vielleicht eingestanden, Worte zu geben. Daß er sie in ein possenhaftes Gewand kleidete, täuschte seine Zuhörer nicht. Er hielt jedoch ganz erschrocken inne, als er plötzlich auf dem Antlitz seiner Mutter die Wirkung seiner Worte sah, eilte auf diese zu, ergriff ihre Hand, und sagte lebhaft:
»Aber Mama, es ist ja nicht mein Ernst, ich träumte nur ein wenig.«
»Ich will nichts mit Träumern zu thun haben,« sagte sie hart, »sie träumen eine Weile und dann glauben sie an die Träume und wollen sie zur Wahrheit machen. Ich habe genug Erfahrungen der Art gemacht, sie haben mir das Leben verbittert, haben mir Qual, Mühe und Arbeit gegeben, die müßigen Träumereien wenigstens für Anders als die Träumer selbst unschädlich zu machen. Ich glaubte, ich hätte es damit nun abgethan. In solchen Träumen spukt ein Dämon, der alle Familienbande zerreißt. Fängst auch Du damit an, es könnte mich unter die Erde bringen!«
Georg stand da mit einem Gesicht, auf dem sich die lebhafteste Betrübniß malte, Herr Wagner fuhr mit einem Scherz dazwischen, der aber doch eigentlich nur Ernst enthielt, als er sagte:
»Lassen Sie doch den Dämon ein wenig austoben, es wird sich dann zeigen, ob es ein Teufel, ob es ein Gott ist. Ich glaube an das Regiment des Letzteren, der überall das Gute siegen läßt, und ich meine, diese Bogenstriche, mit dieser Hand geführt und dieser Seele empfunden, müssen alle Teufeleien zum Teufel jagen und den Himmel und die himmlischen Heerschaaren erfreuen.«
»Aber nicht mich,« entgegnete Frau Artefeld, »nicht mich, die ich mir nicht durch Faseleien will den Boden unter den Füßen wegnehmen lassen. Noch stehe ich hier fest, noch habe ich etwas zu sagen. Ich habe es in meinem Leben bewiesen und denke es ferner zu beweisen, daß ich mir keinen Strich durch die Rechnung ziehen lasse. Wer es versucht., der mag sehen, wie er seine Rechnung allein abschließt. Sie wird Brüche genug erhalten für die volle, runde Zahl, die bei mir noch immer durch das Facit sich ergeben hat. Ich werde meine Pflicht thun, wie ich sie immer gethan habe, und müßte ich daran sterben. Sie könnten Besseres thun, Herr Wagner, als durch Ihre Zuflüsterungen einen jungen Menschen von seiner Pflicht verlocken; Du, Victor, solltest nicht vergessen, daß es zweierlei ist, ob man eine Bettlerexistenz oder ein gesichertes glänzendes Schicksal an zweifelhaften, sogenannten Künstlerruhm wagt.« –
»Aber Mama!« unterbrach Georg die Mutter flehend und ging dann zu Victor und schloß seine Arme um ihn mit einer so ausdrucksvollen Miene, gleichsam Verzeihung für die Mutter erflehend, daß dieser freundlich sagte:
»Sei unbekümmert, lieber Georg, Deine Mutter kann mich nicht kränken. Eine Bettlerexistenz war die meine nicht, das weiß sie, und wenn es so gewesen wäre, sie hätte sie wahrlich nicht zugelassen. Sie hat mir ja selbst auf den Weg zweifelhaften Künstlerruhmes geholfen; ich hoffe es ihr dadurch zu danken, daß ich ihn zu einem wirklichen mache.«
»Das soll mir lieb sein, wahrhaftig, um Deinetwillen lieb,« versicherte Frau Artefeld einigermaßen begütigt; »ich bekümmere mich ja nicht um das, was Andere thun und lassen, und gönne es Jedem, seinen Weg in seiner Weise zu machen, mein Sohn soll es aber in der meinigen, und wer mir dazwischen tritt, der mag es vor Gott verantworten, denn er giebt mir den Todesstoß.«
»Weiß Gott, die Absicht liegt mir fern,« entgegnete Victor ernst.
»Mir auch,« bekräftigte »Herr Wagner, »obgleich es schade bleibt, daß ein solches Talent brach liegen soll.«
»Nicht dazwischen treten,« sagte Frau Artefeld bitter, »und doch geschieht es mit jedem Wort. Hätte ich es nur gewußt, ich hätte wahrlich den Unterricht nicht zugegeben, der, wie ich jetzt sehe, seine Eitelkeit geweckt und müßige Träumereien in ihm erregt hat. Ich hoffte, Georg theilte meinen Sinn für Thätigkeit, hätte mein Pflichtgefühl geerbt, das die Arbeit höher stellt als müßige Lust, und nun sehe ich es an seiner Aufregung, höre es seinen Reden an, wie man mir entgegenarbeitet, wie man falschen Ehrgeiz in ihm geweckt, ja, wie man ihn verleitet hat, seine eigentlichen Gedanken vor mir zu verbergen. Zu seiner Unterhaltung habe ich es ihm gestattet, Musik zu treiben, ich habe ihn nicht gehindert, zu spielen, wenn mir auch der Kopf von anderen Dingen voll war und der Lärm mich störte; daß meine Güte dem Ungehorsam eine Waffe gab, ahnte ich nicht«
»Ich denke nicht an Ungehorsam, bei Gott, ich denke nicht daran!« betheuerte Georg.
»Aber Du würdest lieber Musikus werden, als Kaufmann, nicht?« fragte sie mit einer Spannung in ihren Zügen, die um ein Nein anzuflehen schien.
Georg sagte:
»Stünde ich ganz frei in der Welt, so, ich bekenne es offen, würde ich es gern für meinen Beruf ansehen, die mir von Gott verliehene Gabe zu möglichst hoher Meisterschaft auszubilden; ich stehe aber nicht frei da, und da Du es bist, liebe Mama, die meine Freiheit beschränkt, füge ich mich von Herzen Deinem Ausspruch und Willen. Ich habe nie ernstlich daran gedacht, um meiner eigenen Befriedigung willen Deine Absichten zu durchkreuzen, ich will nie wieder einen Ton spielen, wenn er Dir Besorgnisse für meine kindliche Gesinnung, meinen kindlichen Gehorsam einflößt.«
»Das mag heut noch Deine Absicht sein, wer steht mir für morgen?« sagte sie, in ihrer Erbitterung vergessend, vor wem sie sprach. »Es ist ja nicht allein mein Blut in Deinen Adern, es kann ja der Augenblick kommen, wo sich die Abstammung von Deinem Vater geltend macht.«
Glühende Röthe überflog Georg's Gesicht und einen Augenblick flammte etwas wie Zorn in feinen Augen.
»Wenn Du solche Augen machst, siehst Du ans wie Richard!« fuhr sie entsetzt auf. »Mit Blicken fängt man an, dann folgen die Worte und zuletzt die That. O, ich sehe schon den Augenblick kommen, wo Du die Geige nimmst und mir den Rücken kehrst; meine Kinder haben alle ein Spielzeug, das sie, mag es so erbärmlich sein wie es will, doch ihrer Mutter vorziehen. Du wirst auch keine Ausnahme machen, aber was die anderen nicht vermocht, wirst Du thun, Du wirst mir das Herz brechen!«
»Gott wird mich vor dem Unglück, der Schuld bewahren,« sagte Georg, »noch wüßte ich kein Opfer, das Dir zu bringen mir schwer würde. Ich werde keinen Ton mehr spielen, die Freude an der Musik ist nicht groß genug, gegen Dein Mißfallen zu streiten.«
»Es wird nur ein vergebliches Kämpfen sein,« entgegnete sie bitter, »ich sehe es schon kommen. Du bist besser wie Richard, Zügellosigkeit des Willens, der Hang zu gemeinem Vagabondenleben wird Dich nicht verführen, aber falscher Ehrgeiz, Eitelkeit und phantastische Vorspiegelungen von Beifall und Ruhm. Ich habe Dich doch noch nicht genug gehütet, und der Keim, den die albernen Märchen Flora's einst in Deine Kinderseele gepflanzt, blüht jetzt auf. Ich habe es nicht um Dich verdient, in Deiner Liebe dem elenden Ding da« – sie zeigte auf die Violine –»nachgestellt zu werden.«
Georg hatte mit niedergeschlagenen Augen und bedrückter Miene seiner Mutter zugehört, die noch nie so harte Worte zu ihm gesagt hatte. Statt aller Antwort ging er ruhig an den Tisch, nahm die Violine von demselben, trat an das Kamin, in dem hell lodernde Kohlen dem nahenden Winter die erste Huldigung darbrachten, und legte ohne eine sichtliche Spur von Kampf oder Erregung das kleine Instrument, das ihm so zahllose Freuden gespendet, in die glühenden Flammen.
»Die kostbare Geige, er ist rein verrückt!« brauste Herr Wagner auf.
Victor hing mit den Blicken an Georg, stumme aber lebhafte Bewunderung in seinen sprechenden Zügen; Frau Artefeld hatte erst eine kleine Bewegung gemacht, als wollte sie Georg zurückhalten, kreuzte aber dann die Arme über der Brust und blieb stehen, den Kopf erhoben, als gelte es eine Regung der Schwäche in sich zu besiegen. Es gelang ihr, sie hinderte das Opfer nicht.
Georg blieb vor dem Kamin stehen, bis das letzte Spähnchen seiner geliebten Geige, der er so unzählige Freuden verdankte, zu Asche verglimmt war, dann wendete er sich zu seiner Mutter und sagte freundlich:
»Ich will wirklich nicht mehr spielen, liebe Mama, ich bringe die Versuchung aus dem Wege.«
Es war selten, daß Frau Artefeld unbedingt einer Regung des Herzens folgte, aber hier that sie es. Sie sagte kein Wort, sie öffnete nur die Arme, sie umfing ihren Sohn mit einer Wärme und Innigkeit, die sie zwar immer für dieses Kind empfunden, aber doch nie in dieser überwältigenden Stärke in ihre Zärtlichkeit gelegt hatte.
»Wird nun die Reaction kommen, wird er weinen, wird sie bereuen, wird sie wirklich im Stande sein, ihm nicht eine neue Violine zu versprechen?« dachte Herr Wagner.
Aber es fiel ihr gar nicht ein, sein Opfer rückgängig machen zu wollen, ja, Georg's unveränderte Stimmung brachte sie bald zu dem Glauben, er habe kein so großes Opfer gebracht.
Die Musik war im Hause verhallt, die Stelle, wo Georg's Violine gehangen, blieb leer, sein Notenpult verschlossen.
Es war wieder einmal eine Blüthe des Lebens verwelkt, die in dem düstern Hause nicht Raum zum Gedeihen fand, wieder einmal ein Zauber verscheucht durch die trivialste Wirklichkeit, die alle Poesie als Aberglauben verachtete, aber der Engel der kindlichen Liebe, der kindlichen Pietät bewachte Georg's Herz.
Das dargebrachte Opfer wurde durch keine Thräne, keinen Seufzer entweiht; der Sieg, den Frau Artefeld's hochmüthiger Glaube an die Unfehlbarkeit ihrer Meinung und ihr nicht zu leugnender Despotismus erfochten, war ein vollständiger, und ihr Triumph darüber ein so großer, daß sie es sich sogar zugestand, die Gefahr überschätzt zu haben, mit der Georg's musikalisches Talent den werdenden Kaufmann bedroht. Sie meinte jetzt aber einen tiefen Blick in seine Seele gethan zu haben.
»Er ist mein, ganz mein,« dachte sie, »ich fürchte die kindischen Liebhabereien, die Ausgeburt müßiger Stunden nicht mehr, sie sind Verirrungen seiner jugendlichen Phantasie, Arbeit wird sie in Ordnung bringen und mein Wille das Uebrige thun. Eine kleine Abweichung von dem gewohnten Wege habe ich nicht zu fürchten, ich darf nur die Hand ausstrecken, so habe ich ihn wieder. Gottlob, er wird in Ehren halten, was ich für ihn gesammelt, wird fortführen, was ich für ihn begonnen, so wie ich das Werk meines Vaters in Ehren gehalten habe.«
Sie sah ihr Haus fortblühen und gedeihen, sah Georg an dessen Spitze, während sie von ruhigen Tagen des Alters träumte, die zu genießen gleichwohl ihr Geist so wenig geeignet war. Ueber's Meer verschrieb sie dem Sohne die Gattin, dem Hause die reiche Erbin, die Zukunft desselben in jeder Weise zu sichern und auch in der Gegenwart manche kleine Bruchrechnung auszugleichen, die sich unwillkürlich in das große Exempel eingeschlichen und auf Rechnung widriger Ereignisse geschrieben wurde. In Jakobi hatte sie sich einen geschickten Buchführer, einen treuen, zuverlässigen Diener herangezogen, einen, der auch in seinem Ton und Betragen der Schule Ehre machte, in der er gebildet war. Genug, sie hatte Alles gethan, die Aufgabe ihres Lebens zu erfüllen, hatte Alles vorhergesehen, vorbedacht, geführt und geleitet, und sah Alles gelungen. Sie hatte nur Eins vergessen, daß Gott die Welt regiert und daß alle Freiheit unserer Entschlüsse und Handlungen uns doch nicht die Erreichung der erstrebten Ziele verbürgt; wir sehen den Anfang des Weges, den wir wandeln, aber nicht das Ende, wir könnten es oft wissen, wohin er führt, und verschließen das Auge, wir greifen nach morschem Stab, uns darauf zu stützen, und er zerbricht uns unter den Händen.
Gott regiert und führt die Welt, der Mensch regiere und führe sich selbst, und vor Allem erkenne er sich in seiner Schwäche.
Es zieht kein Gewitter am Himmel auf, das nicht aus leisen Dünsten emporstieg, es trifft kein Schicksalsschlag die Menschen, der nicht irgendwo seine Quelle fand in bösem Thun; deshalb bedenke Jeder sein Handeln und prüfe die Quelle desselben, denn über die hat er Gewalt, aber nicht über die Strömung, die sie über das Ufer reißt. Wer höher steigen will, als seine Füße ihn tragen können, wer in stolzer Vermessenheit in Gottes Regiment einzugreifen sucht, den wird er beugen bis in den Staub, damit er die eigene Ohnmacht erkenne und nicht nach einem Scepter greife, das zu führen irdische Kraft und irdische Einsicht nimmer ausreicht.