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Dreizehntes Capitel.


Der Schlaf breitete noch seine schützenden Flügel über das kleine Haus im Walde, hielt noch die Augen der Bewohner desselben geschlossen, als Arnold mit dem anbrechenden Morgen dorthin zurückkehrte, ruheloser in seinem Innern, gebeugter als da er es verlassen. Eine neue Last hatte sich zu der gesellt, die abzuschütteln er hinausgeeilt war in Nacht und Einsamkeit; der schmerzende Stachel, den die Erinnerung an seine Jugend, an sein Vaterhaus in seine Seele gesenkt, war schärfer geworden, denn abermals lag ein Leid, eine Schuld vor ihm, zu dem die Härte der Mutter den Keim gelegt hatte, deren Ursprung er auf sie zurückführen und sie auf's Neue wider alle Gebühr und alle Natur vor den Richterstuhl seines Herzens ziehen mußte.

Sie war schuld an seinen unkindlichen Gefühlen, um derentwillen er jetzt in seinem zerstörten häuslichen Glück die Strafe empfing, sie war schuld an Elisabeth's zerbrochenem Charakter, der eben so wenig die Kraft gehabt, das ihr von der Mutter gebotene Schicksal zurückzuweisen, als er jetzt die Energie besessen, den lockenden Versuchungen der Sünde zu widerstehen. O wie schmerzte, wie demüthigte ihn die Schwäche der Schwester, wie verurtheilte, wie beklagte er sie, wie engelrein stand das Bild seiner Anna vor ihm, die an demselben tiefen Zwiespalt ihre Seele lieber schweigend verbluten ließ, als daß sie auch nur einen Augenblick das Glück mit einer Schuld erkaufte.

Immer wieder und wieder wiederholte er sich in Gedanken Elisabeth's Worte: »Es giebt nur eine Liebe!« Er glaubte an den Ausspruch; auch er konnte sich keine andere Liebe denken, als seine erste und einzige zu seiner Anna, seine consequente Natur litt keine Abweichung von der Regel, keine Verschiedenartigkeit der Auffassung; den Maßstab, der für ihn galt, legte er auch an die Empfindungen Anderer, und jede schwache Hoffnung, die aus dem Chaos seiner Empfindungen aufsteigen, die ihm die erste Liebe seines Weibes als einen Irrthum bezeichnen, die hell ihr friedliches Antlitz beleuchten wollte, um das friedliche, aus tiefstem Herzensgrunde emporgewachsene Glück desselben zu erklären, schlug er mit dem Gedanken zu Boden:

»Gott erfüllt die Drohung der Mutter! Gleichviel wie tief ihre oder meine Schuld ist, die Rache des Himmels für die Unnatur dieses Verhältnisses fällt auf mein Haupt. Ich soll nicht glücklich sein! Das Herz, das seine Mutter nicht zu lieben vermag, ist auch der Liebe Anderer nicht werth!«

An diesem Gedanken ging sein Glück zu Grunde, aber mit eiserner Festigkeit kämpfte er sich zur Resignation durch, gelobte er sich schweigend sein Geschick zu tragen und die Liebe, die er nicht in sich zerstören konnte, aller irdischen Ansprüche zu entkleiden, gelobte sich, wie die Vorsehung über dem Wohl und Weh seiner Frau zu wachen; ihr wie ein Freund zur Seite zu stehen, aber durch ein freiwilliges Aufgeben aller jener tausend innigen Beziehungen, die Mann und Frau mit einander verknüpfen, ihr so viel innere Freiheit wiederzugeben, als er ihr von dem geraubten Gut zu ersetzen im Stande sei.

Auch von allen Beziehungen zu seiner Familie riß er sich auf's Neue los. Einen Augenblick war der Wunsch mächtig in ihm geworden, der so plötzlich auf's Neue in sein Leben tretenden Schwester die Hülfe, den Rath, die Liebe eines Bruders zu bieten, aber er verwarf ihn.

»Was kann ich ihr helfen, wenn sie sich nicht selbst helfen will, und fruchtet die Warnung des Himmels nicht, der in dem Augenblick schmählichsten Selbstvergessens sie durch die harten Folgen versäumter Pflicht gegen ihr Kind zum Bewußtsein noch tieferer Schuld aus dem Taumel der Sünde emporriß – was vermöchte mein armseliger Rath? Und meine Liebe? Ach, an meine Liebe knüpft sich kein Segen. Ich habe das erste Naturgesetz der Liebe beleidigen müssen, deshalb stößt sie mich aus ihrem Paradiese und giebt mir nichts mit als ihr Weh.«

Aber aus allen diesen Betrachtungen rang sich wenigstens der Wunsch empor, der Schwester das Kind zurückbringen zu können. Dieser sehnliche Wunsch spornte seinen Eifer, spottete jeder geistigen und körperlichen Erschöpfung und verbannte zuletzt jeden Gedanken, der nicht mit demselben zusammenhing. Leider waren auch seine Bemühungen vergeblich geblieben. Er hatte jedoch die Hoffnung auf Erfolg noch nicht aufgegeben und war nur jetzt zurückgeeilt, seine Frau vor den Besorgnissen zu bewahren, die sie ängstigen könnten, wenn sie beim Erwachen bemerkte, daß er die ganze Nacht nicht daheim gewesen. So wie er ihr die nöthige Auskunft gegeben, wollte er auf's Neue in den Wald und sich nicht eher Ruhe gönnen, als bis das Kind aufgefunden sei.

Mit einem wortlosen Stoßgebet um Hülfe für die arme verzweifelnde Mutter überschritt er seine Schwelle und siehe da, aus dem Antlitz des schlafenden Kindes lachte ihm, wie ein göttlicher Morgengruß, die Erfüllung seines heißen Wunsches entgegen.

Wenige Worte genügten ihm, der nun gleichfalls erwachten Anna den Vorfall, welcher der Grund seines nächtlichen Fortbleibens gewesen, zu erklären, den er jedoch jedes Umstandes entkleidete, der einen Schatten auf Elisabeth werfen oder gar seine Beziehung zu derselben verrathen konnte. Anna erfuhr nichts als die Thatsache von der Verirrung des Kindes, von den bis jetzt vergeblichen Nachforschungen, von der Verzweiflung der Mutter, der Bekümmerniß des Vaters.

Ihre eigene, so unnütz ausgestandene Angst war vergessen, sie schämte sich fast derselben, sie sagte auch ihrem Manne nicht den Grund ihres späten Ganges in den Wald, bei dem sie das schlummernde kleine Mädchen gefunden, und erst als sie ging das Kind zu wecken und rasch anzukleiden, da Arnold es natürlich augenblicklich den Eltern zurückbringen wollte, erfuhr Richard durch Vater Reimer, welche Sorge und Angst sein spätes Ausbleiben erregte.

Er lächelte Anna freundlich zu, als sie mit dem Kinde an der Hand in's Zimmer trat, er widersprach nicht, als sie darauf bestand, ihm erst eine Tasse Kaffee zu bereiten, da sie für die Kleine eine Erquickung durchaus nöthig fand, aber er bat Vater Reimer voranzugehen und den Eltern wenigstens eine Kunde von dem Kinde zu bringen. Er gönnte jedoch sich wie der kleinen Flora kaum wenige Minuten Zeit zu der für nothwendig gehaltenen Stärkung, und der alte Mann war noch nicht weit, als er ihn, Flora an der Hand, einholte.

Vater Reimer blieb stehen.

»Ich dachte, ich hätte schon Siebenmeilenstiefeln an, aber mit Einem, der fliegt, kann ich nicht mit,« sagte er, »es ist aber gut so; nur voran, Herr Förster, ich komme dann nach, um von Ihnen zu hören, wie die Eltern sich gefreut haben.«

Arnold nickte ihm nur einen Gruß zu und eilte weiter, unempfänglich für Alles außer dem Gedanken, der ihn vorwärts trieb, gleichgültig gegen die Schönheit des Morgens, blind und taub für Waldesluft und Vogelfang. Nur das Geschwätz des Kindes fesselte ihn und berührte ihn bald froh, bald schmerzlich. Die Kleine war voll von dem Abenteuer des vergangenen Tages.

»Ich war böse auf die Mama,« sagte sie erklärend, als Arnold ihr die Angst vorwarf, die ihr Fortgehen derselben verursachte, »sehr böse, aber ich wollte ja nicht fortlaufen, ich wollte nur zum Papa. Die Mama sprach gar nicht mit mir und Onkel Dorn auch nicht. Weißt Du, ich habe Onkel Dorn sehr lieb, aber wenn die Mama immerfort mit ihm spricht und mit dem Papa und mir gar nicht, mag ich ihn nicht. Glaubst Du wohl, daß Onkel Dorn mit nach Amerika kommt? Er sagt nein und Mama und Papa auch, er kommt aber gewiß mit. Mit wem soll denn die Mama sprechen, wenn er nicht mit ist?«

»Wollt Ihr denn nach Amerika?« fragte Arnold erstaunt.

»Ja und bald, im Sommer schon,« versicherte das Kind.

»Aber warum?« fragte Arnold.

»Der Papa will dort Gold suchen,« versicherte Flora geheimnißvoll, »er sagt, ich soll reich werden.«

»Reich, das alte Lied!« bemerkte Arnold geringschätzend.

»Nein, es ist gar kein Lied,« warf Flora ein, »es ist eine Geschichte, d. h. es ist kein Märchen, eine wahre Geschichte. Papa erzählt sie mir immer: erst fahren wir zu Schiff über ein großes Wasser und dann kommen wir in das fremde Land, wo die Bäume goldene Blätter haben, und dann wohnen wir bei Onkel Thomson in einem großen Hause mit goldenem Dach, der ist sehr reich, und wenn wir eine Weile bei ihm sind, werden wir es auch.«

»Diese Geschichte hat Dir Dein Papa erzählt? gefällt sie Dir?« fragte Arnold.

Flora schüttelte den Kopf.

»Dorothee erzählt hübschere, aber Du mußt es dem lieben Papa nicht sagen,« flüsterte sie geheimnißvoll. »In Dorothee's Geschichten sind die Bäume grün und die Häuser haben Dächer von Stroh, aber sie sind doch hübscher.«

»Du machst Dir also nichts aus dem Reichwerden?« fragte Arnold.

»Ich weiß eigentlich gar nicht, was es ist,« versicherte Flora ernsthaft. »Papa sagt aber, wenn wir reich sind, kommen wir wieder, und darauf freue ich mich.«

»Du hast also die Heimath lieb?« fragte Arnold.

»Ich habe Alles lieb, auch das goldene Land, wenn es lustig ist« –

»Ach, wo das Gold klingt, ist es nie lustig,« unterbrach sie Arnold.

»Das will ich erst sehen, und wenn es nicht lustig ist, laufe ich davon.«,

»Du scheinst Dich schnell zum Fortlaufen zu entschließen,« sagte Arnold vorwurfsvoll, »hast Du schon vergessen, daß der Papa und die Mama um Dich weinen, weil Du es gestern gethan hast?«

»Das nächste Mal nehme ich sie Beide mit,« versicherte das Kind hochgeröthet. »Es wurde so dunkel im Walde und kein Mensch war da, und ich war so müde, daß ich mich hinsetzte und weinte, aber dann weiß ich nichts mehr bis heute früh. Jetzt ist's aber wieder hübsch,« setzte Flora hinzu und sah sich strahlenden Blickes um.

»Hier bin ich gestern auch gewesen,« fuhr sie nach einer Weile fort, als sie über das freie Feld schritten, »ich bin auch hier schon mit der Mama und mit Onkel Dorn gegangen, und dann kamen wir immer durch einen Wald, ehe wir zu Hause waren, warum war's denn gestern anders?«

»Weil Du in einen falschen Wald gerathen warst,« erklärte ihr Arnold, »kleine Mädchen müssen nicht allein gehen, die kennen die Wege noch nicht«

»Mama kennt die Wege auch noch nicht,« versicherte Flora mit einer Miene, als halte sie sich über die Unkenntniß der Mama auf, »ich kenne sie eigentlich besser. Ich habe schon manchmal der Mama und Onkel Dorn gesagt: hier geht's nach Hause, wenn sie Beide an dem Wege vorbeigingen. Manchmal wurde aber die Mama böse und sagte, sie wolle noch weiter gehen. Ich glaube, die Mama hat Onkel Dorn sehr lieb, glaubst Du nicht auch?«

Es wurde Arnold schwer, die Frage so harmlos zu bejahen, als sie an ihn gestellt worden war, aber er that es natürlich, und Flora fuhr in ihrem Geplauder fort und enthüllte ihm in ihrer Unschuld manches Bild ihres häuslichen Lebens, das ihn mit Unwillen und Mitleid zugleich für die Schwester erfüllte, das ihn gleicherweise anzog und abstieß. Dennoch stand sein Entschluß, sich ihr nicht zu erkennen zu geben, nicht einen Schritt zu thun, der seine Existenz der Mutter verrathen konnte, felsenfest. Auch der Stolz hatte seinen Antheil daran. Nicht noch einmal wollte er sich mit dem Blick des Hochmuths messen, nicht noch einmal sich seines groben Rockes wegen unter die Diener seiner Mutter stellen lassen. Der Gedanke an jene Scene überwältigte ihn auf einmal mit neu ausbrechender Bitterkeit. Sie hatten die ersten Häuser des Dorfes erreicht, da ließ Flora ihn los.

»Du schämst Dich wohl, Dich mit einem Manne sehen zu lassen, der einen so groben Rock trägt?« sagte er bitter.

Flora sah ihn groß an.

»Ich dachte, ich könnte schneller zur Mama hinlaufen, aber es ist auch so gut, sei nur nicht böse,« bat sie.

Er schämte sich seiner unvernünftigen Frage, er bückte sich zu der Kleinen herab und küßte sie innig auf die Stirn.

»Findest Du Dich jetzt nach Hause?« fragte er.

»Dort das große Haus,« sagte sie, nach dem Ende der Straße deutend.

»So geh und bringe Deiner Mama das Glück wieder.«

Der Kleinen Augen leuchteten auf, wie ein Pfeil flog sie die Straße hinunter; Arnold blieb stehen, bis er sie in der Thür des Hauses verschwinden sah, dann wendete er sich um, den Weg zurückschreitend, den er gekommen.

 

Elisabeth war allein, in Angst und Verzweiflung allein.

Die Ohnmacht ihres Mannes hatte nur wenige Secunden gedauert; noch ehe sie sich so weit ermannt hatte, um Hülfe zu rufen, war er schon wieder zu sich gekommen, war mit allerdings noch wankenden Füßen an's Fenster getreten, hatte dasselbe aufgerissen und sich weit hinausgelehnt. Die frisch von der See herwehende Morgenluft gab ihm seine Besinnung, gab ihm den Gebrauch seiner Glieder vollständig wieder.

Er athmete tief aus, schloß dann das Fenster und schritt an Elisabeth vorüber in sein Zimmer. Sie hörte ihn dort an den Schreibtisch gehen, diesen auf- und zuschließen, hörte ihn hastig hin- und hergehen. Dann kam er wieder, im Paletot, den Hut auf dem Kopf. Sie folgte mit den Blicken jeder seiner Bewegungen; als er die Thür, die in's Freie führte, erreicht hatte, ermannte sie sich und eilte ihm nach.

»Wo willst Du hin, was willst Du thun?« fragte sie angsthaft.

»Weißt Du nicht, was ein Mann und Gentleman thut, wenn seine Frau ihn betrogen hat?« fragte er mit verbissener Wuth und verließ die Stube, sie in dem Zustand höchster Angst und gänzlicher Unfähigkeit, irgend etwas zu thun, zurücklassend, in dem sie noch war, als Flora mit einem jubelnden: »Liebe, einzige Mama, da bin ich!« in das Zimmer stürzte.

Elisabeth sank auf ihre Kniee. Sie war unfähig, ein Wort zu sprechen, sie breitete nur die Arme aus. Flora sank hinein.

»Wo ist der Papa?« fragte sie dann.

Elisabeth überhörte die Frage, wollte sie überhören.

Scham, Verzweiflung, Angst bestürmten ihre Seele. Sie schaute wie in einen Abgrund, als sie an den Eindruck dachte, den ihr Geständniß auf ihren Mann gemacht, als sie schaudernd die Folgen abwog, als sie sich zurückrief, wie vernichtet und zerbrochen der Mann zusammenstürzte, dessen Gefühle, dessen Ehre sie für nichts geachtet, mit welcher Miene tiefster Verachtung er sie verlassen hatte.

»Wird er zurückkehren?« fragte sie sich, »und wie? Was wird er thun? Wird er mich verstoßen, mich von dem Kinde trennen?«

Sie schloß Flora fest in ihre Arme. Des unschuldigen Kindes Lippen sprachen bewußtlos auf's Neue Worte, die erschütternd an das Gewissen der schuldigen Mutter schlugen, als sie fragte:

»Ist der Papa beim Onkel Dorn?«

»Gott verhüte es!« schrie Elisabeth auf und richtete sich hastig empor, »komm, wir wollen den Papa suchen, wir wollen ihn bitten,« sie hielt inne – konnte sie denn dem eigenen Kinde sagen, um was sie bitten, was sie erflehen wolle, nicht Verzeihung für sich, nein, nur Schonung für ihn!

Ebenso wie ihre Worte verstummten, versagte ihr auch die Kraft, dem Gedanken Folge zu geben, der sie emporriß. Sie war vollständig erschöpft. Sie sank auf den nächsten Stuhl und dort blieb sie sitzen, gelähmt an Geist und Körper, in halbe Lethargie versunken und wie im Traum dem Geplauder der Kleinen lauschend, die über dem Drange, die eigenen interessanten Erlebnisse mitzutheilen, die Abspannung der Mutter kaum gewahrte. –

 

Moritz war zu Dorn geeilt.

»Er ist noch nicht wieder aus dem Walde zurück,« sagte die Wirthin desselben auf Eisenhart's Nachfrage, einen mitleidigen Blick auf den unglücklichen Vater werfend. Dieser stürmte weiter in den Wald hinein. Er fragte einen der ihm Begegnenden nach Dorn. Jener sagte, wo er ihn zuletzt gesehen habe, und fügte dann seinerseits die Erkundigung hinzu, ob noch keine Spur von der Kleinen gefunden sei.

»Nein,« sagte Moritz und eilte weiter. »Kinderlos, ehrlos!« knirschte er zwischen den Zähnen, als er die ihm bezeichnete Richtung einschlug.

Er war noch nicht weit in derselben gegangen, als Dorn ihm entgegenkam. Er ging, in wilder Hast auf denselben zu.

»Führe mich auf den Platz, wo Du gestern mit Elisabeth warst, wo Ihr das Kind zuerst vermißtet,« herrschte er ihm zu.

»Ich komme eben von daher, es ist keine Spur dort von ihr zu sehen.«

»Das ist Alles gleich, führe mich nur hin, ich muß die Stelle sehen, ich habe dort zu thun,« fuhr jener in demselben Tone fort.

Dorn sah ihn zweifelnd an, aber er schob die entsetzliche Aufregung des sonst so gleichmüthigen Menschen natürlich nur auf die Angst und den Schmerz des Vaters; seine verwirrten Worte, sein Verlangen, den Platz zu sehen, schrieb er derselben Ursache zu und kehrte augenblicklich um, ihm den Willen zu thun.

Sie gingen ohne ein Wort zu sprechen miteinander weiter, Moritz stürmte so wild voran, daß Dorn ihm kaum folgen konnte, fast athemlos kamen sie auf der Höhe an.

»Also hier!« brach Moritz los, Wuth bebte durch seine Stimme.

»Bis hier herauf ist sie nicht mit uns gekommen,« entgegnete Dorn leise, »unten am Fuß der Anhöhe sprachen wir sie zuletzt.«

»Wo habt Ihr denn hier oben gesessen oder gestanden?« fragte Moritz.

Dorn zeigte den Platz auf den Steinen.

»Gut,« sagte Moritz, »stell' Dich doch einmal dorthin.« –

Halb mechanisch gehorchte Dorn.

»Da,« sagte Eisenhart, und zwei Pistolen aus der Tasche ziehend, reichte er ihm eine derselben, »da, ich werde mich Dir gegenüberstellen, wie viel Schritt sind's? Eins, zwei, drei, vier, fünf, gut! Auf fünf Schritt Entfernung und von dem Platz aus, wo Du gestern meine Frau geküßt, magst Du auf mich zielen, dort, wo sie in Deinen Armen gelegen, soll meine Kugel Dich suchen und den ehrlosen Betrüger strafen, wenn's noch Gerechtigkeit im Himmel und auf Erden giebt. Ha, denkst Du, daß ich kein Herz, keine Ehre habe, daß ich kein Gentleman bin!«

Diese letzte etwas pathetische Berufung auf Dinge, die sich von selbst verstehen müssen, das Raffinirte der verlangten Genugthuung, der leise Anflug von Ostentation, der in Eisenhart's Auftreten lag und zu tief in seinem Charakter begründet war, um selbst in einem so ernsten Augenblick verleugnet werden zu können, das Alles milderte den Eindruck nicht, den seine Forderung auf Dorn machte. Der tiefe Schmerz eines verwundeten Herzens, die gerechte Empörung über die erduldete Ehrenkränkung sprachen zu deutlich aus Eisenhart's verstörten Zügen, um auch nur den flüchtigen Verdacht aufkommen zu lassen, als sei der Affect, mit dem er sprach, ein künstlicher oder absichtlich gesteigerter.

Welchen Einfluß auch der Gedanke an die Bedeutsamkeit der eigenen Person, an die Offenkundigkeit seiner Handlungen und die denselben folgende unvermeidliche Kritik auf ihn haben mochte, nur unwillkürlich äußerte sich die Wirkung desselben, und das sonstige prahlerische Selbstbewußtsein Eisenhart's klang nur leise durch sein Pathos hindurch. Wie auch die strenge Richterin Moral seine Handlungsweise beurtheilen, wie sie seinen Zorn, seine Rache richten mag, in dem Augenblick, als beides ihn hinriß, sein Leben mit dem des Gegners zugleich gleichgültig dahinzuwerfen, ein gekränktes Herz, eine beleidigte Ehre zu sühnen, in dem Augenblick hob die Leidenschaft ihn hoch über jede Kleinlichkeit der Empfindung empor und verstärkte nur Dorn's Schuldbewußtsein. Dennoch war es nicht Mangel an Muth, der ihn mit einer entschiedenen Geberde das Pistol zurückweisen ließ.

»Willst Du mir Genugthuung versagen, verstehst Du's nur, die Frau zu küssen, aber nicht dem Manne Rede zu stehen für die Nichtswürdigkeit?« brüllte Moritz.

»Ich will mich mit Dir schießen, aber nicht jetzt, nicht in dieser Weise!« entgegnete Dorn ernst. »Ich will meine Schuld in dem vollsten Maß gelten lassen, das Du ihr beizulegen gesonnen bist, will Dir jede Genugthuung geben, die Du forderst, aber nicht in einem Augenblick, wo der Zorn Dir alle Besinnung raubt. Du bist jetzt weder im Stande, den Grad des Unrechts, das Du Deiner Frau wie mir schuld giebst, mit Gerechtigkeit abzumessen, noch fähig, die Rache zu üben, nach der Deine Leidenschaft verlangt. Ich schieße mich jetzt nicht!«

Moritz stampfte mit den Füßen, er wurde abwechselnd roth und blaß vor Wuth.

»Ich schieße mich jetzt nicht,« wiederholte Dorn, »Dir zittert die Hand und Leidenschaft umflort Dir den Blick. Spare Dir die Rache auf!« fuhr Dorn noch ernster fort, als er Moritz wie einen zum Sprunge gerüsteten Tiger vor sich stehen sah, »spare sie Dir auf, bis Du sicher bist mich zu treffen. Jetzt bin ich im Vortheil, denn ich bin kalt und Dir fehlt die Besinnung. Dir jetzt Genugthuung zu geben, hieße ein albernes Spiel treiben oder Dich morden. Morgen stehe ich Dir zu Diensten.«

»Du willst fort, Du bist feig!« stieß Moritz zwischen den bebenden Lippen hervor.

Dorn zuckte die Achseln.

»Ich muß Dir nur erst erklären, Dir sagen, daß Elisabeth, daß ich« – er stockte – das Wort: »daß wir unschuldig sind,« kam nicht über seine Lippen. Als er es aussprechen wollte, fiel es als eine Lüge auf sein Gewissen. Sie waren nur nicht in dem Grade schuldig, als Eisenhart es glaubte, ganz wegleugnen ließ sich ihre, ließ sich seine Schuld nicht. »Auf meine Ehre, morgen stehe ich Dir Rede!« versicherte er fest, »und für den einzigen Augenblick, in dem während unseres langen Verkehrs die Erinnerung an die Vergangenheit so mächtig in uns wurde, alle Ueberlegung zu verbannen, für den Augenblick – und es war nur einer – wo nicht das Glück der Liebe, sondern der Schmerz um sie uns besinnungslos zu einer ersten und letzten Umarmung hinriß, für das Unrecht, für die Sünde dieses Augenblickes sollst Du die Rache nehmen, welche Du willst.«

Er wandte sich zum Gehen, Moritz stürzte ihm nach.

Ihm war alles Blut in den Kopf gestiegen, seine Vernunft erlag den ungewohnten, so plötzlich auf ihn einwirkenden Affecten, er war gereizt bis zur Wuth. Mit dem geladenen Pistol in der Hand drang er auf Dorn ein, demselben die Waffe aufzudringen. Als jener mit fester Entschlossenheit dieselbe zurückwies und weiter schritt, verlor er den letzten Funken von Besinnung Er hob das Pistol, er schloß die Augen, vor denen das erregte Blut alle Gegenstände in buntem Wirbel durcheinander tanzen ließ, und drückte ab.

Als der Knall die Luft durchzitterte, als er Moritz Dorn wanken, mit den Händen eine Stütze suchen und dann, am Stamm desselben Baumes, unter dem er Tags vorher mit Elisabeth gesessen, niedersinken sah, erst da wurde ihm klar, was er gethan hatte.

Mord! Er sprach das Wort nicht aus, aber er fühlte das volle Gewicht desselben auf seine Seele fallen, und wie sein dunkles Gespenst zog es an seinen umflorten Blicken vorüber und warf alle die tiefen Schatten über seinen Weg, die als Vorboten einer rächenden Nemesis der Schuld auf dem Fuße folgen.

Mord! Das Wort löschte alle die wohlerworbenen Ehren der Vergangenheit, alle Hoffnungen der Zukunft aus, es verschlang Glück, Lebensfreude, Eitelkeit und Stolz, es strich Eisenhart's Namen aus der Liste seiner geachteten Mitbürger.

Es war zum Verzweifeln, es war ein Sturz aus der Höhe, so jäh, als öffne sich vor den Füßen eines ruhig auf ebener Straße Dahinwandernden plötzlich ein Abgrund und eine unsichtbare Hand ziehe ihn in die gähnende Tiefe. Im Sturz greift man auch in ein zweischneidiges Schwert um sich zu retten, ja Feigheit und Lebenslust oder der Instinct der Selbsterhaltung wirken stark genug auf engherzige Seelen, um die Rettung auch im Nothfall mit dem Leben eines Andern zu bezahlen.

Dieser Instinct war es, der Moritz von dannen trieb.

Niemand wußte, was er gethan, Niemand würde ihn verdächtigen, ein Jeder hielt Dorn für seinen intimsten Freund und – im schlimmsten Fall konnte er fort, ehe man die That entdeckt und der Verdacht die anklagende Stimme gegen ihn erhoben hatte. Fort also, fort! – –

Er mußte an Dorn vorbei, als er sich zur Flucht wendete. Er warf einen Blick auf den Besinnungslosen.

»Ich habe es nicht gethan, Gott hat ihn durch mich gestraft,« murmelte er leise, »er hat es verdient! Wenn ich ihm auch helfen wollte,« fuhr er in Gedanken fort, »es wäre Thorheit, Wahnsinn, Selbstaufopferung. – Nein, ich bin's ihm nicht schuldig,« sagte er wieder laut, »ich muß mich erhalten, ich habe Weib und Kind!«

Ein leises Stöhnen Dorn's antwortete ihm, der Ton beflügelte seine Schritte, obgleich er die anklagende Stimme seines Gewissens erhöhte. Er suchte sie zum Schweigen zu bringen, indem er sich immerfort in Gedanken wiederholte, daß er nicht anders könne, als Dorn seinem Schicksal überlassen, daß diesem sein Recht geschehen, daß er seinetwegen nicht Ehre, Ruf, guten Namen, ja sein Leben auf's Spiel setzen könne, daß er der Letzte sei, der den Beruf habe ihm zu helfen, dem Elenden, der sich so falsch, so nichtswürdig gegen ihn benommen, der hinter seinem Rücken, unter der Maske der Freundschaft, ihm die Liebe seiner Frau gestohlen hatte – er stachelte sich selbst zu immer größerem Zorn gegen Dorn, an der Schuld desselben stärkte sich die Ueberzeugung von seinem Recht. Dennoch schrie er fast vor Schreck auf, als er sich plötzlich in seiner Flucht aufgehalten sah, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte.

»Verzeihen Sie,« sagte Arnold, denn dieser war es, der, als sein Zuruf von dem Vorübereilenden überhört wurde, sich auf diese Weise Gehör zu schaffen suchte.

Arnold war, nachdem er Flora verlassen und nachdem er im Dorf gehört hatte, daß der arme Herr, dem das Kind angehöre, eben in verzweiflungsvoller Angst und Hast wieder in den Wald gestürzt sei, sein Kind zu suchen, diesem nachgeeilt, den Widerwillen, mit einem Gliede seiner Familie zusammen zu treffen, durch das Mitleid besiegend, das er dem unglücklichen Vater nicht versagen konnte.

»Das kleine Mädchen ist gefunden,« sagte er jetzt mit seiner sanften, ernsten Stimme, »sie hatte sich bis zu meinem Hause verirrt und ist die Nacht in der Obhut meiner Frau gewesen. Sie ist gesund und wohlbehalten bei den Ihrigen.«

Die Gefühle des Vaters waren in Eisenhart's Seele in den letzten Stunden gewaltig zurückgedrängt worden, auch jetzt herrschten sie nur halb in seinem Herzen, als er hochaufathmend sagte:

»Gott sei Dank, so kann ich fort, so fesselt mich nichts an diesen verfluchten, verwünschten Boden!«

Ohne einen Dank auszusprechen eilte er weiter, Arnold sah ihm nach, da kehrte jener noch einmal um.

»Wollt Ihr mir noch einen Gefallen thun, guter Freund,« rief er ihm hastig zu, »wollt Ihr den Herrn aufsuchen, mit dem Ihr mich in der Nacht zusammen gesehen. Er ist mein bester Freund« – unverkennbarer Hohn flog über Eisenhart's Gesicht bei diesen Worten, »er ist mein bester Freund und hat sich um meine Kleine geängstigt wie ich selber. Er irrt noch im Walde umher sie zu suchen, und ich fürchte, die Angst, die Nachtwache und Morgenkühle könnten ihm schaden. Sucht ihn auf, guter Freund, und bringt ihm Bescheid. Da ist etwas für Eure Mühe!«

Er warf ihm ein Achtgroschenstück zu und wollte weiter.

Aber da fühlte er wieder die Hand aus seiner Schulter, fühlte sich mit kräftigem Druck hinuntergebogen, während Arnold mit einer Stimme, die vor Unwillen zitterte, sagte:

»Hebt das Achtgroschenstück auf, guter Freund, und behaltet's für den, der unglücklich oder niedrig genug ist, einen Liebesdienst für Geld thun zu müssen. Ich nehme von Keinem Geld, und wer im Stande ist, in einer solchen Minute wie die jetzige in anderer Weise zu danken als mit einem warmherzigen Wort, einem Handschlag, einer Thräne oder einem Gebet, der verdient, daß der Himmel ihm keinen andern Reichthum verleiht als den, der die natürlichste Stimme des Herzens mit seinem metallenen Fluch übertönt. Lebt wohl, guter Freund, und richtet Eure Aufträge selbst aus!«

Moritz sah den Redenden verblüfft an. Arnold schritt stolz an ihm vorüber.

»Donnerwetter, das war eine Miene, wie meine Schwiegermutter sie anzunehmen pflegt, wenn ihr der Kamm vor Hochmuth schwillt,« brummte er zwischen den Zähnen. »Ich habe ihm Hülfe schaffen wollen, mehr kann ich nicht thun, es war schon zu viel. Soll ich Verrath an mir selbst üben?«

Verrath! Das Wort wirkte wieder wie Gespensterfurcht. Es verscheuchte alle Gedanken, bis auf den an die Nothwendigkeit der Flucht, es trieb ihn wieder mit rastloser Eile vorwärts und schob die Sorge für die eigene Sicherheit als gewaltigen Riegel vor alle besseren Regungen seines Herzens.

Arnold schritt mechanisch weiter. Der Zweck seiner Waldwanderung war zwar erreicht, der Angst des Vaters ein Ende gemacht – er lachte bitter zu dem Erfolg seiner Botschaft –, aber es trieb ihn dennoch nicht zurück in sein Haus. Er fühlte die Felsenlast auf seinem Herzen wieder doppelt schwer, er sehnte sich, sie los zu werden, sehnte sich, den Frieden des Waldes zu empfinden wie sonst.

Ohne seiner Wanderung ein ihm bewußtes Ziel zu stecken, schritt er unwillkürlich dem Platze zu, an dem er Tags vorher Zeuge jener uns bekannten Scene gewesen war, wo er wieder die eiserne Hand des Schicksals gefühlt hatte, die nicht aufhörte an den Banden zu reißen, die ihn noch unsichtbar mit seiner Kindheit verknüpften, die letzten Fäden, die mit schmerzlicher Gewalt sein Herz umschlossen hielten, für immer und unrettbar zu vernichten.

Den Blick auf den Boden geheftet, schritt er die Anhöhe hinan und ging langsam über den Platz. Plötzlich stutzte sein Fuß, sein Blick war wie gebannt, Blutstropfen schimmerten wie dunkle Rubinen durch die Thautropfen, die blitzend an den Grashalmen hingen. Er bückte sich zu ihnen herunter, fuhr dann rasch empor, und mit spähendem Auge den Platz überfliegend, gewahrte er Dorn's von der Bank herniedergesunkene, am Boden liegende, ohnmächtige Gestalt.

Ein jäher Schreck durchzuckte ihn, dann eine gemischte Empfindung der Erbitterung, der Indignation und des Mitleids, dieselbe Empfindung, die ihn ergriffen hatte, als er Tags zuvor den Sündigen sah, der jetzt vielleicht mit dem Leben die Schuld sühnte. Er verbannte aber augenblicklich jede unfruchtbare Reflexion und schritt mit rascher Besonnenheit dazu, dem Verwundeten Hülfe zu zu leisten. Er riß ihm die Kleider herunter, er stillte das Blut, das aus einer tiefen Wunde strömte, so gut er konnte, er zog sich den Rock aus, um ihn als Kissen unter das Haupt des Verwundeten zu legen. Während seiner Bemühungen kam Dorn zu sich. Er maß den Jäger mit starrem Blick, er öffnete die Lippen zum Sprechen, aber Arnold wehrte es ihm.

»Sie müssen jetzt ruhig sein,« sagte er ernst, aber nicht unfreundlich. »Sie müssen sich erst erholen, es wird immer noch Zeit sein, den Grund des Verbrechens zu erfahren und dem Verbrecher auf die Spur zu kommen!«

Dorn unterbrach ihn mit schwacher Stimme, und in Absätzen sprechend sagte er:

»Es darf kein Unschuldiger leiden, ich selbst trage die Schuld!«

Arnold warf den Kopf auf.

»Die eigene Hand vermag es nicht, die Kugel in dieser Richtung in den Körper zu senden –«

»Sie muß es vermögen, sie hat es gethan,« unterbrach ihn Dorn; »wenn ich es sage, wer wird mir widersprechen?«

»Der gesunde Menschenverstand zuerst, dann der Arzt, vielleicht auch die Gerichte,« antwortete Arnold ruhig.

Dorn stöhnte und schloß die Augen. Es drängten sich ein paar geflüsterte Worte über seine Lippen. Arnold verstand nur den Namen: Elisabeth.

Plötzlich riß Dorn sich wieder aus der halben Ohnmacht empor. Er sah eine Weile forschend in Richard's Gesicht, dessen edle Züge den Eindruck nur verschärfen konnten, den seine tiefe, der weichsten Modulation fähige Stimme, seine von einer weit über seinen Stand gehenden Bildung zeugende Ausdrucksweise auf Jeden hervorbringen mußte. Ein helles Roth, eben so rasch aufsteigend als verfliegend, zog über Dorn's blasse Wangen.

»Ich kenne Sie, Sie haben mich gestern gesehen, belauscht vielleicht,« sagte er, »nun gut, denken Sie von mir, was Sie wollen, aber leiden Sie nicht, daß die Welt sich in die Geschichte mischt, die auch Sie nicht verstehen können. –

Um alles Dessen willen, was Ihnen theuer ist,« fuhr er in beschwörendem Tone fort, der um so feierlicher klang, da es schien, als ringe er sich aus der Brust eines Sterbenden empor, »um Ihres Glückes, Ihrer Seligkeit willen, glauben Sie mir und sorgen Sie, daß Andere mir glauben. Ich will das hier gethan haben, ich werde es bis zum letzten Athemzuge behaupten. Mag es Lüge nennen, wer es will.«

Arnold widersprach nicht, Dorn reichte ihm die Hand hin, unwillkürlich legte er die seine hinein, die kalten Finger des Verwundeten schlossen sich fest um die seinen. Dorn sagte nichts mehr, heftete aber einen Blick auf ihn, der beredter als Worte das Verlangen seiner Seele aussprach und in fast angsthafter Spannung Gewährung erwartete.

Als ein kräftiger Händedruck des Försters sein stummes Verlangen beantwortete, athmete er erleichtert auf, sank aber dann auf's Neue ohnmächtig zusammen.

Arnold war ein starker, kräftiger Mann, von muskulösem Körperbau. Er hob den Ohnmächtigen auf, und Richtwege einschlagend, auf denen man nicht zu lange zu wandern brauchte, um die Häringsdorfer Försterei zu erreichen, trug er seine Last dorthin. Er fand Friedrich zu Hause, und dieser war eben so bereitwillig, den Verwundeten aufzunehmen, als Frau Wallner's schnell erregtes Mitleid sich zu jeder Hülfleistung gern und willig hergab, während Arnold eilte, den Arzt herbeizuholen.

Letzterer war ein alter wohlwollender Mann, dessen Discretion zu trauen war. Arnold, der bei der traurigen Veranlassung des Todes eines seiner Kinder Gelegenheit gehabt hatte, ihn genau kennen zu lernen sowie seine Freundschaft und Achtung zu gewinnen, machte ihn mit dem Vorfall bekannt.

»Es ist ein Unsinn, zu glauben, daß der Verwundete sich selbst von hinten die Kugel in die Schulter jagte,« sagte er, »aber er behauptet es, und wozu könnte es dienen, seinem Wunsch und Willen zuwider eine That aufzudecken, an die sich vielleicht eine Schande knüpft, die, auf ihn selbst zurückfallend, auch noch Andere in das Verderben reißt?«

»Ahnen Sie den Zusammenhang?« fragte der Arzt.

»Ja,« sagte Arnold leise, »ich war am Tage vor der That ungesehener Zeuge einer Zusammenkunft, die mir den Schlüssel zu dem verübten Verbrechen giebt, ein Verbrechen, das gleichwohl der Sterbende mit einer solchen Herzensangst verleugnete, daß ich glaube, die Verfolgung der Spur würde seinen Tod zur Folge haben.«

»Nun, mein Beruf ist's ja, Wunden zu heilen,« entgegnete der alte Mann freundlich. »Wer sie schlug, geht mich nichts an, wenn ich nicht da gefragt werde, wo ich Antwort nicht verweigern darf.«

Er begab sich sogleich nach der Försterei und fand den Kranken im heftigsten Wundfieber.

»Er sagt, er sei ein Selbstmörder,« flüsterte Frau Wallner geheimnißvoll, »ob's wahr ist?«

»Es mag leicht sein,« entgegnete der Arzt, »aber, liebe Frau, damit haben Sie und ich nichts zu thun. Ich werde ihn heilen und Sie ihn pflegen, das Weitere überlassen wir dem lieben Gott und schweigen darüber.«

Er gab seine Verordnungen, verlangte vor Allem Ruhe für den Kranken, gewann durch einige geschickte Schmeicheleien Frau Wallner's leicht erregtes Herz noch mehr für den ihrer Pflege anvertrauten Patienten und schied mit dem Versprechen baldiger Wiederkehr.

Schon vor ihm war Arnold gegangen. Welche Gedanken begleiteten ihn durch den Wald? – –

Die Schwester ehrlos, ihr Mann die Schuld rächend durch gemeinen Meuchelmord, der Verführer an seinem Leben getroffen, am Rande des Grabes gezwungen, zu einer Lüge zu greifen, um der Welt den Abgrund der Schande zu verhehlen, er selbst mit hineingerissen in die Lüge und Schande!

So waren die, mit denen die Natur ihn auf's engste verknüpft hatte. Er tobte innerlich wieder gegen die Bande, die ihn hielten. Wieder warf er sie ab wie Ketten und wollte nicht hören, was sie ihm in die Seele klirrten.

»Fort mit dem herzbeklemmenden Kummer!« sagte er dann halblaut, »was kümmert es mich denn, was sie thun? Mögen sie sich in Schande und Elend stürzen, was geht's mich an? Seit ich das Vaterhaus verließ und meinen Namen abwarf, habe ich keine Verwandten mehr. Ich stehe allein, mich hält nichts als das, was ich halten kann! Es ist leider blutwenig genug, Gott bessere es!«

Er wollte weiter, aber die Ketten hielten ihn, ja, sie zogen ihn zurück zu der, mit deren Sünde er keine Gemeinschaft haben wollte. Er und sie litten ja dieselbe Qual. Sie liebten Beide und ihre Liebe war eine vergebliche. An dem Gedanken zerschmolz die Härte, mit der er ihre Liebe gebrandmarkt, weil sie eine sündige war, erwachte sein Mitgefühl. »Was habe ich zu richten?« sagte er auf einmal, »was habe ich mit ihrer Schuld zu thun; ihr gemartertes Herz schreit um Hülfe, und schutzlos und hilfsbedürftig ist sie der Rohheit und Gemeinheit verfallen. Eisenhart wird nicht barmherzig sein!«

Er kehrte rasch um und schritt nach dem Dorfe zurück. Er fand vor dem Hause, das ihm Flora als ihre Wohnung bezeichnet hatte, eine Menge von Leuten versammelt. Sein Herz bebte.

»Was ist hier los?« fragte er, »ist ein neues Unglück geschehen?«

Von vielen Stimmen tönte ihm nun ein Bericht des Unglückes entgegen, das Dorn betroffen. Durch die Magd aus dem Forsthause war die Nachricht gekommen, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet und die verschiedenartigsten Färbungen erhalten.

»Mord, Selbstmord, Duell!« so tönte es ihm, eines Jeden Auffassung gemäß, entgegen.

»Das weiß ich am besten,« sagte Arnold ruhig, »ich bin's, der den Verunglückten gefunden und in dies Försterei gebracht hat. Nichts da von Mord oder Duell. Ihm ist das Gewehr losgegangen, als er nach einem Seeraben schießen wollte, ich weiß es aus seinem Munde. Ich selber habe den Arzt hingeholt, es hat auch mit der Wunde keine Gefahr, er muß nur eine ganze Weile ohne Hülfe gelegen haben und so hat ihn der starke Blutverlust erschöpft. Gefahr ist aber nicht«.

Er sprach absichtlich mit lauter Stimme, er hoffte, Elisabeth sollte es hören. Er warf einen raschen Blick nach ihrem Fenster, aber kein Gesicht erschien an demselben.

»Es könnte es wohl Einer dem Herrn sagen,« wendete er sich nun an die Leute, »er bat mich vorhin, dem Verunglückten Nachricht von dem wiedergefundenen Kinde zu bringen, dabei fand ich ihn. Die Herren scheinen gute Freunde zu sein.«

»Gute Freunde, ja, das sind sie wohl am längsten gewesen,« bemerkte einer der Umstehenden, »wer würde es auch Herrn Eisenhart verdacht haben, wenn er der saubern Freundschaft mit dem Pistolenschuß ein Ende gemacht hätte. Mit dem Mann gut Freund sein und es heimlich mit der Frau halten, pfui!«

»Nun, ihr wird die Vergeltung schon kommen,« sagte ein Anderer, »ich beneide sie nicht um die Heimreise!«

»Ach, er wird es so schlimm nicht machen,« fügte ein Dritter hinzu, »wenn er die Wuth ausgetobt hat, wird er wieder zahm. Die Frau ist zu hübsch, sie ist auch solche heimliche Natur, die ist schlau, die wird sich ausreden.«

»Jetzt sah sie eher aus, als ob sie sterben wollte,« bemerkte eine der Frauen, »ich glaubte, sie würde aus dem Wagen stürzen, als sie von dem Unglücksfall hörte, das arme Ding!«

Arnold war zu Muth, als müsse er in die Erde sinken vor diesen Reden. Er nahm sich aber zusammen und fragte so gleichmüthig als möglich: »Ist die Familie abgereist?«

»Jawohl,« sagte der Wirth und erzählte nun die Art, wie es geschehen, beschrieb die Eile und Hast Eisenhart's, sein verstörtes Wesen, und lockte dadurch zwar bei Einzelnen ein bedenkliches Kopfschütteln, bei den Meisten aber Aeußerungen unbedingten Mitleids mit dem armen, schmählich betrogenen Manne hervor. Für Elisabeth erhob sich keine Stimme, selbst unter den Frauen blieb diejenige, die vorhin »armes Ding!« gesagt, vereinzelt mit ihrer Theilnahme. Sie warfen Alle den Stein auf sie, und Keine übte in der Liebe Namen Barmherzigkeit an der Liebe, mit ihrem Leid, ihrem Schmerz, ihrem Unglück ihre Schuld versöhnend.

Arnold entfloh den Reden. Seine Seele war zerrissen.

 

Nicht minder unglücklich, nicht minder in seinem Innern zerrissen und zugleich von dem erbärmlichsten Feinde männlicher Kraft und Würde, von der Furcht begleitet und gejagt, war Moritz nach Hause gekommen, und in dieser Stimmung sah er sein Kind wieder. Nur einen Augenblick gönnte er sich, die jubelnde Flora zu umarmen, dann gewann der Gedanke an Flucht wieder die Oberhand.

»Packe ein, wir reisen fort,« herrschte er seiner Frau zu, »in einer Stunde geht das Dampfschiff ab. Nicht lange besonnen und gezögert, sondern gehorcht! Wer ist der Herr hier, ich oder – Dorn?«

Elisabeth erhob sich mit wankenden Knieen, einen flehenden Blick auf ihren Mann, auf Flora werfend.

»Ja so, das Kind,« sagte Moritz und biß die Zähne zusammen.

»Nun, mag's jetzt gut sein, wir wollen uns das Weitere aufsparen. Geschwind jetzt eingepackt, ich werde das Uebrige besorgen.«

Er stürzte hinaus, verlangte vom Wirth die Rechnung, kündigte demselben seine nahe Abreise an und ging in höchster Ungeduld, den Boden stampfend, in dessen Stube auf und ab, während jener in der Küche mit der Frau Rücksprache hielt, ob der plötzlich gebrochene Contract eine Verringerung der Miethe erheische, wie Moritz trotz all' seinem Kummer, seiner Wuth es verlangte. Die Frau war dagegen, aber der Mann sagte:

»Ich reize ihn lieber nicht. Die Angst um das Kind, die Wuth über die schlechte Frau haben ihn toll gemacht. Ich glaube, er schlägt drauf los, wenn ich ihm widerspreche.«

Die Frau machte eine sehr charakteristische Geberde. Der Mann lachte.

»Ach was, ich lass' es laufen,« sagte er, »die Wohnung werden wir schon los, und mir thut der arme Narr leid.«

So wurde denn in diesem Sinn die Rechnung ausgestellt und von Moritz augenblicklich bezahlt. Dann stürzte er zu den Seinigen zurück. Er fand Elisabeth noch auf derselben Stelle sitzend und riß sie heftig empor.

»Hast Du nicht gehört?« donnerte er ihr zu, »einpacken sollst Du, ich will abreisen; reize mich nicht, oder es geht ganz zu Ende zwischen uns!«

Elisabeth stand wie versteinert. Sie war sichtlich nicht im Stande, auch nur zu fassen, was er wollte.

»Mamachen, ich werde Dir helfen,« sagte Flora rasch, »ich kann sehr gut einpacken, Dorothee hat mich helfen lassen, als wir abreisten, ich weiß, wie's gemacht wird. Mama, komm doch!« flehte sie dringender.

Die Bitte des Kindes brachte sie zu sich. Als sie erst begriffen hatte, was sie sollte, vollbrachte sie es maschinenmäßig. Flora half, auch Moritz, dessen Ungeduld keine Grenzen kannte. Noch ehe der Wagen kam, sie zum Dampfschiff zu bringen, war Alles fertig. Inzwischen ging es im Hause noch zu wie im Taubenschlage. Nicht nur Eisenhart's Bekannte, auch ganz Fremde kamen, entweder nachzufragen, ob das Kind oder wie und wo es gefunden sei. Der Wirth fertigte sie ab, denn Moritz hatte erklärt, Jedem das Gehirn einschlagen zu wollen, der ihn jetzt belästige.

Daß Flora gefunden sei, ging wie ein Lauffeuer durch das Dorf, ebenso die Notizen des Wirthes über Eisenhart's Seelenzustand, der allgemeines Mitleid erregte. Man sprach viel gegen Elisabeth und Dorn, und man gab dem bösen Schein das volle Recht der Wirklichkeit.

Als Moritz mit seiner Frau und der Kleinen eben in den Wagen gestiegen, um abzufahren, erreichte sie noch eine Hiobspost. Fast athemlos kam einer von Eisenhart's guten Freunden an den Wagen gestürzt.

»Dorn ist erschossen!« rief er ihm zu. »Weißt Du's noch nicht? Der Förster Arnold hat ihn im Walde gefunden. Jetzt ist er in der Försterei, der Arzt hat gesagt, die Wunde soll gefährlich sein.«

»Hol? ihn der Henker! Was kümmert er mich?« rief Moritz.

Elisabeth war aufgesprungen. Wie ein zündender Blitz war die Nachricht von der Ermordung Dorn's in die Nacht ihrer Gedanken gefallen. Ihr schwindelte, sie vergaß alle Rücksicht. Ohne zu wissen, was sie that, bog sie sich über den Wagenschlag, um ihn zu öffnen.

»Laß mich,« sagte sie befehlend zu ihrem Manne, »soll er ohne mich sterben?«

»Mama!« rief Flora ängstlich und griff nach der Hand ihrer Mutter. Der Ruf, die Berührung wirkten. Die Hand des zarten Kindes riß die unglückliche Frau vom Abgrund fort. Sie sank auf ihren Platz zurück, die Augen auf ihr Kind geheftet, die kleine Hand desselben angsthaft umfassend.

Den Augenblick benutzte Moritz.

»Zugefahren, Kutscher!« rief er, »wir erreichen sonst das Dampfschiff nicht mehr!«

Der Wagen rollte fort, dahin durch den schönen Buchenwald, am Strande entlang. Die Sonne leuchtete zwischen einem Baldachin purpurner Wölkchen auf das Meer herab, dessen Silberwellen über ein Rosenbeet dahinzufluthen schienen.

Weder Eisenhart noch Elisabeth hatten ein Auge für die Schönheit des Morgens; ihm stand trotz des kühlenden Seewindes der Schweiß auf der Stirn, sie sah nur immer starr auf das kleine Mädchen, als stehe über dem Haupt desselben ein Stern, dem sie folgen müsse – mit der letzten Anstrengung ihrer sterbenden Kräfte, folgen bis zum letzten Athemzuge.

Sie fühlte, so wie sie den Blick abwendete, würde der Stern untergehen, selbst flammendes Gebet fesselte sein Licht nicht. Sie konnte auch nicht beten, weder beten noch denken, noch brachte sie ein anderes Wort über die Lippen, als die dem kleinen Mädchen beim Besteigen des Dampfboots in's Ohr geflüsterte Bitte:

»Laß mich nicht los, Flora!«

So führte denn nicht die Mutter das Kind, sondern die Kleine war es, deren Aufgabe es blieb, die Mutter zu leiten.

Ein wenig raffte sich Elisabeth aus ihrer Gedankenabwesenheit empor, als sie sich auf dem Dampfschiff der Beobachtung so vieler Menschen ausgesetzt sah, die halb mit Neugier, halb mit Mitleid das blasse, verstörte Aussehen der schönen jungen Frau prüften. Sie nahm sich gewaltsam zusammen und versuchte es sogar, mit Lächeln und einigen erwidernden Worten auf Flora's Geplauder einzugehen, deren Redelust erwachte, so wie sie nur einige Zeichen der Theilnahme bei ihrer Mutter bemerkte. Auch Moritz näherte sich in wieder erwachter Gutmüthigkeit seiner Frau, durch ihr leidendes Aussehen beunruhigt, auch der Leute wegen, denen es doch hätte auffallen müssen, wenn er sich gar nicht um Frau und Tochter bekümmerte.

Er that dies denn auch in so lauter Weise, daß man über das halbe Dampfschiff hin seine Erkundigungen nach dem Befinden und den etwaigen Wünschen seiner Frau und Kleinen hören konnte. Immer laut, war er es im Beisein Anderer in verdoppelter Manier, wie alle diejenigen, die von der Wichtigkeit der eigenen Person durchdrungen sind, ohne doch ihre Ansprüche auf etwas Anderes stützen zu können, als auf die eigene eitle Einbildung und Selbstüberschätzung.

Elisabeth wich scheu vor ihres Mannes Annäherung zurück; sie beantwortete seine Fragen so leise als kurz. Mit einem Gefühl des Schauders wies sie die Erfrischungen zurück, die er ihr brachte, durch die er ebenso vor den Leuten den aufmerksamen Mann spielen, als ihr zu verstehen geben wollte, daß er bereit sei ihr zu vergeben.

Ihr leidendes Aussehen rührte ihn wirklich, sie erschien ihm schöner als je, er legte sich ihre Scheu nicht als Widerwillen, er legte sie sich als Reue aus. Von einer wahnsinnigen Angst über die Folgen seiner That erfüllt und der Rechtfertigung auch vor sich selbst bedürfend, griff er, um dieser einen Vorwand zu geben, zu dem zunächst liegenden Mittel, er malte Dorn's Schuld so schwarz als möglich und überredete sich, daß er vollständig berechtigt gewesen sei ihn zu strafen. »Wenigstens wollte ich den sehen, der an meiner Stelle anders gehandelt haben würde!« schloß er den Versuch zu seiner Freisprechung.

Wie viel tiefer wurde aber Dorn's Schuld, wenn Elisabeth unschuldig, wenn sie nur durch ihn und fast mit Gewalt auf den Abweg gerissen war. So mußte es auch sein; der Mensch hatte sie bethört mit seiner glatten Zunge und seiner dummen Romantik, die ihren schwärmerischen Kopf für einen Augenblick irre führte. Anders war es gar nicht zu erklären. Er hatte doch auch die Augen offen, er hätte es doch bemerken müssen, wenn Elisabeth verliebt gewesen wäre. In den Laffen verliebt und er war ihr Mann! Er war fast versucht über den Gedanken zu lächeln.

Er rief sich Elisabeth's sichtlichen Widerwillen gegen Dorn und dessen Begleitung nach Häringsdorf zurück, er erinnerte sich, wie sie, selbst ihm zu Gefallen, sich nicht hatte entschließen können, freundlich und herzlich gegen den zu sein, den er damals seinen Freund genannt. Seinen Freund! O diesen falschen, verrätherischen Freund! Ihm war recht geschehen, als die Kugel ihn niederwarf, ganz recht. Moritz schauderte, als er sich die blutende Gestalt zurückrief, die brechenden Augen; es durchrieselte ihn doch wohl noch ein anderes Gefühl als nur die Angst vor der Verfolgung, vor dem Richterspruch des Gesetzes.

Unerträglich langsam verging ihm die Zeit der Ueberfahrt, aber er war vollständig mit dem Plan zu seinem ferneren Verfahren fertig, als das Dampfboot im Hafen von Stettin anlegte. Er fuhr nach seiner Wohnung, wo er Flora den Auftrag gab für die Mutter zu sorgen, dieser anbefahl, die kurze Zeit zum Ausruhen zu benutzen, und sie dadurch, daß er Miene machte, sie auf's Sopha zu tragen, bewog, sich eiligst von selbst dorthin zu legen. Dann rief er die eben so erstaunte als erschrockene Dorothee in die andere Stube und sagte in möglichst gleichgültigem Tone:

»Wir müssen uns rühren, Alte, in einer Stunde will ich weiter, ich will nur das Nöthige wegen Nachsendung des Gepäckes besorgen, wir nehmen nur das Nothwendigste mit, ich werde die Koffer bezeichnen, die mitgehen. Ich habe mich entschlossen, schon jetzt abzureisen. Bah, man spart sich sehr viel Abschiedsthränen, wenn man die Sache kurz macht! Elisabeth weiß meine Absicht noch nicht, sie braucht es nicht eher zu erfahren, als bis wir zu Schiff gehen, auch hier will ich nicht davon gesprochen haben. Ich will alle Abschiedsscenen und Feierlichkeiten vermeiden. Also kein Wort zu Elisabeth, und seid mit den Anordnungen fertig, bis ich zurückkomme.«

Damit ging er. Dorothee sah ihm erstaunt nach. Was hatte denn das zu bedeuten? Sie hatte ihn nie so hastig und verstört gesehen, der Entschluß, alle Feierlichkeiten zu vermeiden, sah ihm so wenig ähnlich, widersprach so sehr den glänzenden Farben, mit denen er seinen Abzug von Stettin zu schildern pflegte. So ging er nun wie der Dieb in der Nacht, ja, es sah ganz einer Flucht ähnlich, und drinnen lag die Frau leichenblaß auf dem Sopha und der kleinen Flora sonst so lustiges Gesichtchen formte die betrübten Züge der Mutter nach.

Einen Augenblick ging die Alte zu den Beiden hinein, ehe sie sich an die Ausführung ihres Auftrages machte, Flora kam ihr auf den Zehen entgegen.

»Die Mama schläft,« sagte sie leise. »Ach, Dorothee, ich glaube, sie ist krank und ich bin schuld daran.«

»Du Herzchen, was hast Du denn gethan?« fragte Dorothee mitleidig.

»Ich bin fortgelaufen,« erzählte die Kleine betrübt, »das heißt, ich wollte nach Hause gehen, denn Mama und Onkel Dorn sprachen immerfort zusammen, und wenn ich mitsprechen wollte, schalt die Mama und sagte, ich sollte sie nicht stören. Da war ich sehr böse, nicht auf die Mama, aber auf den Onkel, und wollte nach Hause gehen und verlief mich im Walde und schlief ein, und da fand mich eine hübsche Frau und der ihr Mann trug mich den andern Morgen zur Mama zurück. Sie hatten mich aber die ganze Nacht gesucht, Papa, Mama und Onkel Dorn und eine Menge Leute, und die Mama sah gleich so blaß aus und der Papa schalt sie und dann mußten wir einpacken, ich habe aber mehr gepackt wie die Mama.«

»Ja, aber warum reistet Ihr denn gleich und wo ist denn Onkel Dorn, ist der denn dageblieben?« fragte Dorothee

»Ja, auf den ist der Papa auch böse,« berichtete Flora weiter, »ich habe es wohl gemerkt, ich glaube, weil er nicht auf mich aufgepaßt hat und mich hat fortlaufen lassen. Und als wir fortfuhren, kam Jemand und rief etwas in den Wagen herein von Onkel Dorn, ich weiß aber nicht was. Aber der Papa war sehr böse und schimpfte sehr, er sagte auch was vom Henker, und die Mama wollte zum Wagen hinausspringen, aber da hielt ich sie fest, und nachher hat mich die Mama gebeten bei ihr zu bleiben, und sie hat mich immer an der Hand festgehalten und – aber sie ist wach, die Mama, sie rührt sich, da muß ich zu ihr. Sie fürchtet sich ohne mich.«

Wirklich schaute Elisabeth's Blick ängstlich nach der Kleinen aus, diese setzte sich ihr augenblicklich zu Füßen, aber Elisabeth schickte sie fort, ihr ein Glas Wasser zu holen. Dann rief sie Dorothee zu sich herein und flüsterte ihr in ängstlicher Hast zu:

»Du mußt nach Häringsdorf schreiben, aber heute noch, gleich, liebe Alte, aber Moritz darf es nicht wissen. Sie sagten, Dorn hätte sich erschossen, ich habe abreisen müssen ohne zu erfahren, ob es wahr ist.«

»Gott erbarm' sich!« sagte Dorothee. »Was ist nur geschehen, ich habe mir gleich nichts Gutes von dem Zusammenreisen gedacht.«

»Es ist gar nichts geschehen,« stöhnte Elisabeth, »ich habe ihn nur so lieb, daß ich sterben muß ohne ihn. Ich habe ihn ja nicht lieb haben wollen, aber ich habe es gemußt, ich muß ja immer. Es ist Jeder stärker als ich, aber die Liebe zwingt am unwiderstehlichsten. Ich muß ihn lieben, Dorothee, ich kann es nicht ändern.«

Die Alte weinte.

»Sage Flora, sie soll noch draußen bleiben, ich muß Dir erzählen, mein Herz trägt es nicht allein,« bat Elisabeth.

Dorothee gehorchte. Sie gab der Kleinen ein Buch und sagte ihr, sie solle eine Geschichte lesen, um sie nachher der Mama zu erzählen, da sie krank sei und zerstreut werden müsse, dann kehrte sie zu Elisabeth zurück, die Aufträge des Herrn unbekümmert hinausschiebend.

»Ich bin von früh bis spät mit ihm beisammen gewesen, mein Mann wollte es so,« sagte Elisabeth, in fieberhafter Aufregung sprechend. »Du weißt, wie ich hier vor ihm geflohen bin, ich wußte ja, daß ich ihn noch lieb hatte, und ich scheute mich die Liebe wachsen zu lassen. Ich wollte Moritz treu bleiben, ich war doch einmal seine Frau. Er trieb mich mit Gewalt in die Gefahr hinein. Er zwang mich Dorn zu sehen, Tag für Tag. Mit ihm vereint athmete ich die frische, belebende Waldesluft, mit ihm vereint tauchte ich das Auge in den Farbenreichthum des Himmels, in die Silberfluthen des Meeres. Ich kniete mit ihm vor dem Altar der Natur – und das heiligste Naturgesetz ist Liebe. Meine Jugend, gewaltsam unterdrückt, sprengte die Knospenhülle, meine Liebe, in Bann gehalten durch die Eisdecke kalter Pflicht, fluthete empor und zerbrach das Eis. Was konnte ich dafür?

Wir waren im Walde, Alles so schön um uns her, so frühlingsfrisch, so still und leise. Das Scheiden war nah und Flora nicht dabei, da wollte der Thor mich überreden, daß er sein Herz einer Andern schuldig sei, wie ich das meine meinem Manne. Da war's vorbei mit der mühsamen Zurückhaltung, mit dem furchtbaren Zwang. Mochte seine Behauptung wahr sein, was in meinem Herzen sprach, enthielt auch eine unwiderlegliche Wahrheit. Sie drängte an's Licht, sie zerbrach jede Fessel, sie riß ihn mit fort. Einen Augenblick hat er zu meinen Füßen gelegen, einen Augenblick ruhte ich in seinen Armen und er küßte mich, Dorothee! Der Augenblick war Sünde, aber ich möchte ihn doch nicht hingeben und müßte ich ihn mit dem Leben bezahlen. Der Augenblick war der einzige, in dem ich wirklich gelebt habe, es ist der Mühe werth, für ihn zu sterben!«

Sie schwieg, sie hatte wie im Fieber gesprochen, ihr Antlitz glühte, ihre Augen flammten. War es auch ein Unrecht, was sie begangen, ein tiefes Unrecht, denn eine gebrochene Treue ist immer Sünde, und fiel es der Alten auch nicht ein, das beschönigen zu wollen, so hatte sie doch inniges Mitgefühl mit der Verirrten, ja, sie konnte es kaum zurückweisen, in dem machtvollen Gefühl, in der tiefen, gewaltigen Leidenschaft, welche die arme Frau in das Unrecht hineingerissen, etwas Großes zu finden, einen Reichthum, eine Kraft, eine Fülle des Lebens, die unsagliches Glück zu gewähren im Stande gewesen wäre, wenn man sie nicht künstlich niedergehalten, in blinder Thorheit übersehen, in eine falsche Richtung hineingetrieben, ihr alle Nahrung entzogen hätte, bis sie gewaltsam alle Schranken durchbrach und sich nun in's Maßlose verirrte.

Reich beanlagten, tief empfindenden Gemüthern muß man lehren, hauszuhalten mit den ihnen verliehenen Schätzen, muß sie aber nicht dazu treiben, diese vor Anderen zu verleugnen und ängstlich zu verbergen; es arbeitet sich dabei selten die Kraft heraus, die nöthig ist, die Herrschaft über sie zu behaupten. Licht besiegte das Chaos, nicht der Sturm.

In jedem jungen Kopf und Herzen herrscht mehr oder weniger ein Chaos, aber es ist nur Dunst und Nebel; ein Sonnenstrahl der Mutterliebe, ein Lichtblick ihres verständigen Geistes vermag leicht aus dem Dunkel hellen Tag zu schaffen. Bleibt es der Welt, der Erfahrung überlassen, so wird ein günstiges Resultat oft erst tausend Kämpfen abgewonnen, aber unzählige Male reicht die Kraft des Geistes nicht dazu aus, und das irregeleitete Herz verliert sich im Labyrinth unklarer Gefühle, unwahrer Anschauungen.

 

»Sie sagen, er sei todt,« fing Elisabeth wieder an, und zwar sprach sie es mit einer Ruhe aus, wie sie nur vollständiger Gleichgültigkeit oder der Verzweiflung entspringen kann – »ich habe es auch vielleicht nur geträumt, daß sie es sagten, aber wenn es wahr ist, wenn er wirklich todt ist« – sie hielt schaudernd inne, es flog ein seltsamer Ausdruck über ihr Gesicht, der wie Irrsinn aussah und dem auch die Tonlosigkeit der Stimme entsprach, als sie hinzufügte: »Es schadete nicht, wenn er todt wäre, wenn sie nur nicht verlangen, daß ich leben soll!«

Sie schwieg, lehnte sich in's Sopha zurück und schloß die Augen. Flora kam auf den Fußspitzen hereingeschlichen.

»Ich kenne die Geschichte jetzt, ich kann sie der Mama erzählen,« flüsterte sie leise, setzte sich aber dann, als sie sah, daß Elisabeth die Augen geschlossen hatte, zu ihr.

Dorothee, sich der Aufträge ihres Herrn erinnernd, entfernte sich seufzend. Praktisch und rasch, wie sie von Natur war, und gewohnt, sich ganz dem hinzugeben, was ihr einmal zu thun oblag, holte sie das Versäumte nach und war mit Allem fertig, als Moritz von seinem Geschäftswege zurückkehrte. Elisabeth schien noch zu schlafen.

»Gut,« sagte er, »sie hat noch Zeit, bis die Extrapost kommt, dann kann es weiter gehen, dann werde ich bald Alles hinter mir haben, was mit dem alten Leben zusammenhängt. Ich hab's nicht gedacht,« fügte er grimmig hinzu, »daß ich von meiner Vaterstadt so würde scheiden müssen!«

Elisabeth richtete sich auf, sie hatte Alles gehört, aber ihr Kopf war ihr so schwer, daß sie sich besinnen mußte, was die Worte zu bedeuten hatten. Als sie dieselben begriff, als sie verstand, daß von gänzlicher Abreise die Rede sei, kam ihr auch blitzschnell die Erkenntniß, was diese eilige Abreise zu bedeuten habe. Mit zitternder Stimme fragte sie:,

»Gehen wir ganz und gar fort, jetzt schon, auf Nimmerwiederkehren? bedeutet diese Reise, daß wir jetzt schon zu Schiff gehen?«

»Nun ja, was soll sie anders bedeuten?« sagte er, durch ihre scheinbare Fassung getäuscht, und, da er es nun nicht nöthig glaubte, sie zu schonen, sich seiner unfreundlichen Stimmung überlassend. Ehe er weiter sprach, schickte er jedoch Flora hinaus, dann fragte er höhnisch: »Denkst Du, ich werde jetzt eine Vergnügungsreise mit Dir machen, Dich zu zerstreuen, he? Es wäre gerade der richtige Moment. Nein, mein Kind, da könnte wohl lange Zeit vergehen, ehe ich das thäte. Für's Erste werden wir Beide nicht auf Rosen wandeln.«

»Das ist keine Reise, das ist Flucht,« sagte Elisabeth mit schneidender Stimme. »Sie begann schon in Häringsdorf, die Hast und Eile, und als sie uns nachriefen, Dorn sei erschossen, da war es erst recht, als jagten Dich böse Geister. Er hat nicht Hand an sich gelegt, Du hast es gethan – deshalb fliehen wir!«

»Du bist verrückt!« fuhr er heftig auf.

»Warum sollte er sich denn das Leben nehmen?« fuhr sie mit einer Bitterkeit im Tone fort, die Eisenhart durch die Seele schnitt, »er hat andere Mittel, sein Schicksal zu verbessern und seine Liebe zu vergessen, er heirathet!«

»Er heirathet?« fragte Moritz erstaunt.

»Ja,« fuhr sie in demselben Tone fort, »er will es, er sagte es mir, es war ihm ernst, aber in dem Ernst lag ein unsaglicher Spott. Er heirathet, um sich vor der Liebe zu mir zu retten. Der Thor wollte es sich nicht eingestehen, aber er wußte es wohl, darum riß ihn mein Geständniß zu meinen Füßen.«

»Dein Geständniß?« knirschte Moritz, »Du hast ihm ein Geständniß gemacht, und das sagst Du mir? Hast Du denn ganz vergessen, mit wem und was Du sprichst?«

»Ich habe Alles vergessen,« sagte sie tonlos,. »nur nicht, daß ich ihn liebe und daß Du sein Mörder bist.«

»Gut, so schrei's doch auch recht laut, daß es Alle hören,« unterbrach er sie zitternd vor Angst und Wuth; »es ist nicht wahr, aber wenn Du es nur frech behauptest, wird es vielleicht geglaubt, und sie befreien Dich von dem Manne, der zwar Dein rechtmäßiger Mann ist, aber Deiner Liebschaft im Wege steht. Schrei es nur aus und raube Deinem Kinde den ehrlichen Namen.«

Sie sah ihn verwirrt an, er fuhr fort:

»Ich will Dir sagen, was an der Geschichte ist. Ich habe mich mit Dorn duellirt und ihn verwundet. Kein Mensch kann mir etwas deswegen anhaben, denn jeder Ehrenmann wird mir das Recht zugestehen, den Liebhaber meiner Frau zu strafen. Ich fliehe, weil ich eine Untersuchung vermeiden will. Scheust Du den Schimpf nicht, nimmst Du keine Rücksicht auf Dich und mich, so nimm sie auf Flora. Sollen die Leute ihr sagen: Deine Mutter ist eine Ehebrecherin?«

Elisabeth rang die Hände.

»Daß sie es aber sagen würden, kannst Du sicher überzeugt sein., denn das schwöre ich Dir, machst Du den Schimpf öffentlich, so schone ich Dich nicht. Darum sei vernünftig, Elisabeth,« fügte er in freundlicherem Tone hinzu, »mach' keine Scene. Es kann noch Alles wieder gut werden, wenn Du bereust. Du bist bis jetzt eine gute, treue Frau gewesen, hast an Keinen gedacht, wie an mich; Dorn hat Dich bethört. Ich bin nicht hart, Elisabeth, Du siehst, ich kann daran denken, Dir zu vergeben und Dich wieder lieb zu haben, aber Du mußt es gut machen wollen. Du wirst sehen, die Reise wird uns Beiden helfen, die See spült Alles fort. Ich bin immer gut gegen Dich gewesen, Du mußt das einsehen und mir vergelten.«

Sie stand noch immer sprachlos und ohne sich von der Stelle zu bewegen. Moritz stampfte ungeduldig mit dem Fuße auf. Der Wagen war inzwischen gekommen.

»Dorothee, Flora!« rief er, »wo bleibt Ihr, wir wollen fahren!«. Beide kamen auf den Ruf herein. Er nahm Flora auf den Arm und schritt mit ihr an Elisabeth vorüber. »Wir steigen ein, wirst Du kommen?« sagte er.

Sie folgte mechanisch, aber ihre Kniee wankten, Dorothee mußte sie unterstützen und Eisenhart sie in den Wagen heben, was sie ohne Widerstand geschehen ließ.

Die Reise war, da damals noch keine Eisenbahnverbindung stattfand, immer keine ganz kleine zu nennen, die Reisenden gönnten sich aber keine Rast, wenigstens keine andere, als die zum Wechseln der Pferde auf den Stationen nöthig war. Eisenhart hatte die Absicht gehabt, gleich nach Hamburg zu fahren, aber in einer Tour in Schwerin angekommen, mußte er seine Absicht aufgeben. Elisabeth schien unfähig, noch weitere Anstrengungen zu ertragen.

Eisenhart war im höchsten Grade ärgerlich, aber die alte Dorothee sagte:

»Herr Gott, läuft uns denn Amerika davon, daß wir Hals über Kopf nach müssen, soll die Madame sterben auf der Reise? Es sieht ja wahrhaftig aus, als wären die Gerichtsdiener hinter uns.«

Eisenhart ballte die Faust, gebot aber dem Postillon, nach einem Wirthshaus, das er ihm näher bezeichnete, zu fahren. Es war eins zweiten Ranges und lag in einem ziemlich entlegenen Theile der Stadt.

»Die Herrschaften, die mit Extrapost fahren, kehren da nicht ein,« bemerkte der Postillon, in der Meinung; einen Irrthum zu berichtigen, aber sein ungeforderter Rath wurde mit einer vollen Ladung des Zorns zurückgewiesen, in dem Eisenhart einen Ausweg für alle gewaltsam unterdrückten Empfindungen der Angst, der Kränkung, des verletzten Ehrgefühls, der verhöhnten Eitelkeit suchte. Er hörte erst auf zu schimpfen, als sie vor dem bezeichneten Gasthofe hielten. Elisabeth war besinnungslos. Eisenhart trug sie die Treppe hinauf, in eins der geforderten Zimmer, überwies sie Dorothee's Pflege und zog sich in das andere zurück mit den zu der Alten in sehr befehlendem Tone gesprochenen Worten:

»Sorgt, daß sie Beide schlafen, Flora und Elisabeth, morgen in aller Frühe geht es fort.«

Statt dessen aber lag Elisabeth am andern Morgen im Delirium des heftigsten Fiebers. Moritz war außer sich.

»Ich muß fort,« sagte er, »ich werde mit Flora reisen. Ihr könnt bei ihr bleiben und sie pflegen; oder ich schicke sie in ein Krankenhaus, ich kann sie nicht, vielleicht wochenlang, in dem theuern Wirthshause unterhalten, ich habe nicht Geld genug, es auf die Straße zu werfen. Und für eine solche Frau noch dazu!«

Statt aller Antwort zeigte die Alte nur auf die Kranke.

Sie lag da mit weit offenen, aber seltsam verschleierten Augen, die Wangen glühten, aber die dunkeln Schatten unter den Augen zeigten, daß es nicht die Farbe der Gesundheit war, die jene trügerischen Rosen auf das feine Antlitz malte.

Sie sprach leise, aber unausgesetzt und Alles wirr durcheinander, sie nannte keinen Namen, drückte nichts klar aus, aber auf Eisenhart's Gesicht wechselte Röthe und Blässe, als er ihren Phantasien zuhörte.

Er wies Dorothee's Ansinnen, einen Arzt herbeizuholen, fast entrüstet zurück.

»Sie wird sich erholen, in ein paar Stunden wird der Anfall vorüber sein, was sollen wir erst müßiges Gerede hervorrufen?«

Aber die paar Stunden gingen vorüber und der Anfall nicht.

»Wenn Sie nicht gleich einen Arzt holen, thue ich es,« erklärte Dorothee, »sie hat ein Gehirnfieber, sie wird sterben, läßt man sie ohne Hülfe liegen!«

»Glaubst Du wirklich, daß sie gefährlich krank ist?« fragte Eisenhart verzweifelt.

»Sehen Sie sie doch nur an, hören Sie doch nur, ist das die Stimme und das Aussehen eines gesunden Menschen?«

»Nun denn, meinetwegen, gesund oder krank, sie richtet mich zu Grunde,« murmelte Eisenhart.

Dorothee schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Eisenhart nahm seinen Hut und stürzte fort. In kurzer Zeit kehrte er mit einem Arzt zurück, den der Wirth des Hauses ihm als geschickt und, da er erst ein Anfänger sei, als billig bezeichnet hatte.

Er bestätigte Dorothee's Annahme, machte die nöthigen Verordnungen und versprach an demselben Abend noch einmal wiederzukommen.

»Wird die Sache lange dauern?« fragte Eisenhart; »ich bin Geschäftsmann, meine Zeit ist Geld, jede Versäumniß bringt mir einen Schaden, der sich nicht wieder gut machen läßt.«

»So würde ich Ihnen rathen, sich nicht durch die Patientin zurückhalten zu lassen,« sagte der Arzt, »die Dauer der Krankheit läßt sich nicht berechnen, noch schwerer die Zeit angehen, die zur Erholung nöthig sein wird. Wissen Sie dieselbe in guten Händen, so könnte Ihre Anwesenheit hier ja auch nichts nützen, vielleicht eher schaden, denn Sie scheinen sehr lebhaften, unruhigen Temperaments zu sein und hier ist die größte Ruhe nöthig.«

»Ich bin sonst der ruhigste Mensch von der Welt,« behauptete Eisenhart, »aber solch' Schicksal kann auch den Ruhigsten aus der Fassung bringen. Mir brennt der Fußboden unter den Sohlen, und da legt sie sich hin und wird krank und – stirbt am Ende noch!«

Der Arzt zuckte die Achseln.

»Wir wollen das Beste hoffen,« sagte er und ging.

Eisenhart setzte sich an's Fenster und stützte den Kopf auf beide Hände. Aus der offenstehenden Nebenstube klangen die wirren Reden Elisabeth's zu ihm herein, sah er auf, erblickte er das blasse Gesichtchen der kleinen Flora, die wie festgebannt am Bett der Mutter saß, denn die Blicke der Kranken folgten ihr mit angsthafter Spannung, so wie sie sich nur einen Augenblick vom Bett entfernte, und ein geisterhaftes Lächeln auf dem Gesicht der Mutter, wenn Flora sich wieder zu ihr setzte, bewies, daß der in jeder andern Richtung zerstörte Geist entweder die Kleine erkannte, oder doch eine Ahnung davon hatte, wie innig das Herz mit dem Kinde verwachsen war.

In Eisenhart's Kopf stürmte es. Was sollte er thun?

Jede Stunde konnte eine Entdeckung der That herbeiführen, die ihn in die Flucht gejagt hatte. Man konnte Dorn längst gefunden, dieser ihn als den Mörder bezeichnet haben. Und selbst wenn Dorn todt – er schauderte – was lag denn näher als der Verdacht, daß er, Eisenhart, ihn getödtet hatte.

Die Welt war gewiß nicht so blind gewesen wie er; sie hatte gewiß längst die Treulosigkeit Elisabeth's, die Falschheit Dorn's durchschaut, die Welt ist nicht so gutmüthig, so vertrauensvoll, als er es gewesen war. O, sie hatte ihn gewiß längst seiner Kurzsichtigkeit wegen verspottet. Er stampfte mit dem Fuß auf, als er das bedachte. Dorn's Verwundung, Dorn's Tod mußte auf ihn zurückgeführt werden, schon seine eilige Flucht klagte ihn an. Und nun saß er hier, mit Kummer und ohnmächtigem Zorn kämpfend, gefesselt durch die Frau, die er über Alles geliebt und die ihn erst in Schande, nun in's Verderben gestürzt hatte. Und Flora, sein Stolz, seine Freude, sie, die er zur Erbin hatte machen wollen! Ha, ihr Erbtheil war ihr sicher genug, war der durch Vater und Mutter gleicherweise mit Schmach bedeckte Name!

Dem unglücklichen Manne liefen die hellen Thränen über das Gesicht. Mit einem leise ausgestoßenen Fluch wischte er sie ab, seufzte tief, als habe er nun einen Entschluß gefaßt und als sei ihm leichter darnach, und beschied durch einen Wink Dorothee zu sich.

»Ich werde abreisen,« sagte er kurz, »es geht nicht anders, ich und Flora; wenn Elisabeth gesund ist, mag sie mir nachkommen.«

»Das Kind kann nicht fort,« erklärte Dorothee eben so bestimmt, »man würde die Mutter morden, nähme man ihr das Kind, Sie werden doch nicht einen Mord auf Ihre Seele laden wollen?«

»Dummes Zeug!« sagte Eisenhart unwillig, aber der kalte Schweiß brach ihm aus. Das Wort Mord und Dorothee's seltsame Miene dabei hatten ihn bis in's Innerste.

»Die Madame wird unruhig, wenn Flora nur durch die Stube geht,« fuhr Dorothee fort, »in der Nacht habe ich das Bett der Kleinen so stellen müssen, daß die Mutter sie sah. Versuchen Sie es einmal und rufen Sie Flora nur hier herein!«

Eisenhart that es. Augenblicklich richtete Elisabeth sich im Bett auf, folgte Flora mit den Augen und brach, als sie dieselbe nicht mehr gewahrte, in eine Fluth verzweiflungsvoller Klagen und flehentlicher Bitten aus, verirrte sich dann in für Eisenhart's Geheimniß so äußerst gefährliche Phantasien, daß dieser, entsetzt, das erschrockene Kind augenblicklich in das Krankenzimmer zurückschickte. Es dauerte lange, ehe Elisabeth sich wieder beruhigte und in den traumhaften Zustand zurückversank, der diesen heftigeren Ausbrüchen des Deliriums zu folgen pflegte.

Als sie wieder still auf ihrem Kissen lag und Dorothee es wagen konnte sie zu verlassen, setzte Eisenhart die unterbrochene Berathung fort.

»Es bleibt mir nichts Anderes übrig, ich muß reisen,« sagte er in einem Tone, der den heftigen Kampf seines Innern verrieth, »es steht Alles auf dem Spiel, ich möchte verrückt werden über das Schicksal, das mich unschuldigen Menschen getroffen hat. Herr Gott, womit habe ich das verdient! Ich bin doch so gut gegen meine Frau gewesen, wie nur ein Mann sein kann, ich habe keinen Hund schlagen können, wahrhaftig, ich bin der beste Mensch von der Welt gewesen, und nun!« –

Er konnte nicht weiter sprechen. Die Alte hatte das innigste Mitleid mit ihm. Sie mußte Alles zugeben, was er von sich sagte, und der Ernst der Situation ließ ein Lächeln über das reich gespendete Selbstlob nicht aufkommen.

»Habe ich Undank von Elisabeth verdient?« fragte er bitter.

»Nein, nein, eigentlich nicht,« sagte sie freundlich, »Sie haben's wohl kaum einmal gewußt, daß sie einen Andern liebte, als das arme Ding Sie heirathen mußte«

»Herr Gott, das ist ja so lange her, da kann man doch einen Liebhaber vergessen, wenn man einen guten Mann hat!« wandte er ein.

»Gewiß, gewiß,« sagte sie, »es ist aber ein Schicksal, daß sie ihn wiedersehen mußte.«

»Wißt Ihr Alles, und woher?« fragte Eisenhart auf einmal mißtrauisch.

»Vieles habe ich vorher gefürchtet,« entgegnete sie, »Einiges hat sie mir selbst gesagt, als sie noch bei Besinnung war, und das Andere errieth ich aus ihrem Irrereden, schloß ich aus dem Umstand, daß Sie trotz Allem, was sie zurückhalten könnte, doch reisen wollen.«

»Ich muß, ich muß,« bestätigte er. »Ihr braucht übrigens nicht Schlimmeres zu denken, Alte, als was wirklich geschehen ist,« fuhr er fort.

»Ach, ich mache mir gar keine Gedanken, was geht es mich an!« sagte Dorothee. »Ich weiß nur, daß Sie abreisen und daß Herr Dorn erschossen ist.«

»Im Duell, im Duell,« unterbrach sie Eisenhart »Ihr wißt, was ein Duell zu bedeuten hat, wie es manchmal unvermeidlich ist, wie Bravour und Ehre es gebieten.«

»Ach, das sind Dinge, mit denen ich nichts zu thun habe! Ob es brav und ehrlich ist einen Menschen zu erschlagen, mag der liebe Gott entscheiden, ich kümmere mich nicht darum,« entgegnete Dorothee.

»Ich sage es Euch nur, damit Ihr wißt, wie Ihr meine Abreise zu erklären habt, wenn sie Jemand in anderer Art als in dieser mit Dorn's Verwundung oder Tod zusammenbringen sollte, hört Ihr?«

Die Alte nickte.

»Und nun schwört mir, Alte,« fuhr er fort, »daß Ihr mir die Meinigen nachbringt, so wie Elisabeth gesund ist. Macht Ihr Euch anheischig, sie dazu zu bewegen? Sonst nehme ich Flora doch mit, denn wenn das Kind bei mir ist, kommt sie auch.«

Bitterer Verdruß, fast Schmerz lag in dem Tone, mit dem er die letzten Worte aussprach, die ja zugleich deutlich genug seine Ueberzeugung ausdrückten, daß er, für seine Person, davon abstehen müsse, die Anziehungskraft auf sie auszuüben, die der Mann auf die Frau auszuüben bestimmt ist, die geschworen hat ihm überallhin zu folgen, Alles mit ihm zu theilen.

Er that der alten Dorothee doch sehr leid, er konnte am Ende ja auch nichts dafür, daß die eigenmächtige, herzlose Mutter ihre einzige Tochter, ohne Rücksicht auf deren Herz, deren brennende Wünsche, dem ungeliebten und wenig liebenswürdigen Manne zur Frau gegeben.

»Ich bringe die Beiden nach, so wie die Frau gesund ist,« versicherte Dorothee, »sie wird auch selbst gehen wollen, denn wenn sie erst wieder klare Besinnung hat, wird sie auch einsehen, daß es recht ist, wenn sie geht.«

»Ihr müßt aber auch Niemand zu ihr lassen, damit Keiner ihr schlechten Rath geben kann. Es braucht es Niemand von ihrer Familie zu erfahren, daß sie hier krank liegt, nicht ihre Mutter, nicht ihre Schwester, hört Ihr? Sie dürfen doch nicht erfahren, warum es geschieht, und es ist nicht nöthig, daß sie mich für hartherzig halten. Ihr versprecht es mir also, daß Ihr Keinen zu ihr laßt, und sobald sie reisen kann, geht Ihr nach Hamburg und schifft Euch auf dem zuerst abgehenden Schiff ein. Ich werde Euch die Adresse an einen dortigen Geschäftsfreund geben und die nöthigen Wechsel. Ich will wahrhaftig das Geld nicht ansehen. Wir müssen es später durch Sparsamkeit wieder einbringen. Ich denke, bis Ihr kommt habe ich nicht nöthig eine eigene Haushaltung zu führen. Mein Schwager Thomson wird's nicht anders leiden, als daß ich so lange sein Gast bin. So ist die Ausgabe einigermaßen gedeckt.«

Dorothee hatte wenig auf seine Auseinandersetzung gehört, ihr Geist weilte bei dem Gedanken, daß ein Beisammensein mit der Schwester, der guten, verständigen, stets hülfbereiten Flora, vielleicht gerade der armen Elisabeth zum größten Troste gereichen würde. Sie sprach den Gedanken aus, er wurde aber auf's heftigste von Eisenhart zurückgewiesen.

»Ich will nicht noch mehr Weiberzungen mit der Geschichte in Bewegung setzen, als durchaus nöthig ist,« sagte er. »Denkt Ihr denn, Alte, daß ich gar kein Herz, gar kein Zartgefühl habe? Soll es die halbe Welt wissen, daß ich von meiner Frau betrogen bin und daß sie mir nicht folgen kann, weil sie aus verrückter Leidenschaft für einen Andern todkrank ist? Ihr Weiber nehmt das sehr leicht, aber Männer von Ehre haben einen andern Standpunkt Darum, wollt Ihr mir nicht feierlich geloben, sie mit Keinem ihrer Verwandten oder Bekannten zusammenzubringen, so überlasse ich sie ihrem Schicksal und reise mit Flora ab.«

Dorothee gab, wenn auch seufzend, nach.

»Wenn sie nun aber sterben sollte?« fragte sie leise.

Moritz wurde leichenblaß.

»Gott verhüte es!« sagte er; »ich habe sie doch lieb, sie ist doch einmal meine Frau, und wenn sie nur erst gesund ist, wird sie mich auch wieder lieb haben. Die Geschichte mit Dorn ist ja Wahnsinn, nichts als Wahnsinn!«

»Wenn sie nun über sterben sollte?« wiederholte Dorothee.

»Dann kommt Ihr mit Flora, Ihr bringt Flora nicht zur Großmutter,« sagte Eisenhart bestimmt.

»Nein, gewiß nicht,« versicherte Dorothee.

»Ihr bringt sie auch nicht nach Elbing – Ihr habt eine Passion für die Tante, ich weiß es – Ihr bringt sie zu mir, Alte, kann ich mich darauf verlassen?« sagte Eisenhart dringend.

»Gewiß,« entgegnete Dorothee, »Sie haben ja doch ein Recht, über Ihr Kind zu bestimmen.«

»Du schwörst es mir bei Allem was Dir heilig ist,« fuhr Eisenhart fort, in den Pathos verfallend, der denen eigen zu sein pflegt, deren Gefühle selten aus dem ruhigen Geleis der Gewohnheit heraustreten, die aber doch den Anspruch erheben, mit sehr reichen Gefühlen begabt zu sein, also des Wortschwalls nicht entbehren können, wo ein wirkliches Gefühl sie fortreißt. »Ihr schwört es mir,« fuhr er feierlich fort, »bei Allem was ich gelitten habe, bei dem Andenken an Euren Vater und Eure Mutter, bei Allem, was Ihr je geliebt habt und noch liebt, bei der Asche Eures Mannes –«

»Gott erbarme sich, ich habe ja gar keinen gehabt,« unterbrach die Alte die feierliche Anrede und fügte dann hinzu: »Ich verspreche es, weil Sie es verlangen können und weil es unbarmherzig wäre, einem Vater sein Kind vorzuenthalten. Ich bringe Flora nach New-York, wenn ich anders das Leben noch habe. In die Hände der Frau Artefeld liefere ich das Kind nicht, und so mag es schon am besten sein, wenn Niemand von unserm Zurückbleiben etwas erfährt«

Es wurden nun noch alle nöthigen Verabredungen getroffen; Eisenhart berechnete genau die Kosten des längeren Aufenthaltes der Seinigen, berechnete die Ansprüche des Arztes, die Fahrt nach Hamburg, die Kosten der weiten Seereise. Er berechnete nach Art geiziger Leute, die aber gern die Großmüthigen spielen, Alles auf's knappste und fügte mit der Miene der größten Freigebigkeit eine Summe als Ueberschuß hinzu, die nicht an das hinreichte, was er überall von dem Nöthigen abgezogen hatte.

Dorothee ließ es ruhig geschehen. Sie dachte im Stillen seufzend:

»Die Eine von uns wird wohl der Himmel versorgen, für uns Andere muß es dann reichen,« und trieb dann selbst Herrn Eisenhart zur Abreise an.

Er versuchte es, von Elisabeth Abschied zu nehmen, sie verstand ihn weder noch kannte sie ihn, aber als sie sah, daß er Flora in seine Arme schloß, als sie hörte, wie das Kind weinte und schluchzte, schrie sie laut auf und, streckte so verlangend die Arme nach Flora aus, daß Dorothee mit Gewalt der Scene ein Ende machte und Eisenhart fast zur Thür hinausdrängte. Eisenhart war ganz fassungslos.

»Vor sechs Wochen war ich noch der glücklichste Mensch,« seufzte er, »und jetzt! –«

»Sie können es wieder werden, machen Sie nur, daß Sie fortkommen,« bat Dorothee; »an einem Krankenbett muß man all' sein Gefühl nur inwendig haben. Selbst die kleine Flora hatte das schon begriffen und bemühte sich ein freundliches Gesicht zu machen, bis Ihr lamentabler Abschied sie herausbrachte. Alles Weinen und Klagen hilft nichts. Von Thränen wird kein Mensch gesund, aber von Pflege und Ruhe, und für beides wird sich besser sorgen lassen, wenn Sie fort. Reisen Sie mit Gott, will's der Himmel, kommen wir bald Alle nach.«

»Will's der Himmel!« stöhnte Moritz und reichte der Alten die Hand. »Sorgt an meiner Statt für die Meinigen, tröstet Flora und Elisabeth über meine Abwesenheit,« sagte er dann ruhiger, »ich schreibe von Hamburg, mit welchem Schiff ich abgereist bin, und muß ich mich dort noch aufhalten, so theile ich es Euch mit, damit Ihr mir Nachricht dorthin schicken könnt. Und nun lebt wohl, alte treue Seele, wenn wir uns wiedersehen, soll es nicht zu Eurem Schaden gereichen. Lebt wohl, und wenn Ihr Lügen über mich hört, so sagt es den Leuten, daß es Lügen sind, sagt ihnen, daß ich ein guter Gatte und Vater und Herr bin, ein Gentleman durch und durch. Ihr könnt's wissen, Alte, laßt mich nicht verleumden, hört Ihr?«

Damit schied er. War's auf Nimmerwiederkehr, auf Nimmerwiedersehen? – –

Als der Arzt den Abend nach seiner Abreise kam, fand er Elisabeth um Vieles kränker, und die alte Dorothee war nicht überrascht, als er ihr erklärte, daß wenig Hoffnung zur Herstellung der Patientin sei.


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