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* * *

 

Zwei und ein halbes Jahr sind seit jener Zeit ins Land gegangen. Mutter Thordsen hat man in der gleichen Reihe zur ewigen Ruhe gebettet, wo Meta Norgaardts Mutter liegt. Buchsbaum und Immergrün sind auf dem Grabhügel gepflanzt, dazwischen liegt ein Mooskranz, der aber schon ganz grau geworden ist. Vor einigen Wochen hat ihr Sohn ihn daraufgelegt. Der Totengräber mußte ihm das Grab zeigen, denn er kam von Westindien und fand seine Mutter nicht mehr. Das Haus in Falshöft hat er dann dem Lotsen Johannsen verkauft, sein Geld auf die Geltinger Sparkasse getragen und ist wieder abgereist.

Auf Thomas Ottsens Grab steht ein hohes Denkmal aus braunrotem Granit mit weißer Marmortafel, eine Traueresche breitet ihre Zweige aus über das mit dicken Vierkant-Eisenstangen eingefriedigte Erbbegräbnis der Schnarstruphofer. – Die Witwe hat sich ein Abnahmehaus bauen lassen mit hohen Fenstern, eichenen Türen und mit Schieferdach.

Jens Norgaardt ist seit reichlich einem Jahre aus der Gegend verschwunden, das soll Peter Ottsen viel Geld gekostet haben. Wie ein Blutegel hatte er sich an den jungen Hofbesitzer herangeschlängelt und sich an ihm festgesogen; nach verzweifelten Anstrengungen war der ihn doch los geworden – so hieß es wenigstens.

Auf Schnarstruphof ist vieles anders geworden: Peter Ottsen hat die ganze Wirtschaft umgekrempelt. Er hatte die Ackerbauschule in Kappeln besucht und dann auf adeligen Gütern Schwansens mancherlei Neues gesehen, nun glaubte er der rechte Mann zu sein, um in der Heimat Neuerungen einführen und den alten Schlendrian austreiben zu können. Zunächst wurde auf dem Hofplatz ein sechspferdiger Göpel aufgestellt, und in der Scheune wurde mit einer Breitdreschmaschine das Korn ausgedroschen. Das war ganz zeitgemäß und praktisch, weniger gut aber war es, daß er sich darüber mit einem Teil seiner alten Tagelöhner erzürnte. Da kam es denn mal vor, daß eine Forke mit durch die Dreschmaschine ging – natürlich »aus Versehen«. Nichtsdestoweniger konnte die Maschine solche Brocken nicht verdauen: die Trommelwelle verbog sich und aus dem großen Triebrad flogen Zahnkämme. Peter Ottsen schimpfte und fluchte gotteslästerlich; das machte den Schaden aber auch nicht wieder heil, er mußte vielmehr die Maschine auf den Wagen laden und bei Nagel in Kappeln wieder reparieren lassen. Das kostete Geld und es ging Zeit verloren.

Als er ein paar Tage später dem Pächter von Düttebüll die Sache erzählte, schimpfte der auf die Schlägermaschinen und empfahl die viel besseren Zinkenmaschinen von Gebrüder Klemm in Eckernförde. Da könne so etwas nicht so leicht vorkommen, höchstens könnten in solchem Fall ein paar Zinken aus der Trommel fliegen. Das leuchtete Peter ein. Am nächsten Tage reiste er nach Eckernförde und kaufte eine große Zinkendreschmaschine. Nun hatte er zwei und konnte damit um die Wette dreschen.

Ähnlich ging's mit anderen Sachen. Peter Ottsen von Schnarstruphof mußte immer das Neueste haben, mochte es kosten, was es wolle. Er hielt sich auch mehr zu den Gutsbesitzern, als zu den Bauern seiner Nachbarschaft. Natürlich mußte er entsprechend auftreten. Die alte, schwerfällige Kutsche mit dem hohen Leder und den Glasfenstern gerade vor dem Sitz, mußte einer prachtvollen »Schäse« weichen. Gewöhnlich fuhr Peter in einem eleganten »Feitong« aus; ein paar flotte Traber davor, das Geschirr aus Lackleder mit Silber.

Eins aber fehlte ihm, das war eine Frau. – Die Sache mit dem Birkfuchs hatte ihn eine Braut gekostet. Wenn das nicht gewesen wäre, was dann? – Peter sagte sich jetzt, dann hätte er eine arbeitsame, aber langweilige »Bauersfrau« bekommen, die Taler auf Taler und Leinenzeug auf Leinenzeug legte, die mit den Nachbarsfrauen bei Kaffee und Kuchen über Milch und Butter, Schweineschlachten und Brotbacken redete, und die maulte, wenn er zu lange im Wirtshaus saß oder von einer Stadtreise etwas wankend heimkehrte. Und das kam vor! – Da war es doch besser, daß damals jenes Verhältnis gelöst war. Das hatte er ganz besonders empfunden, als er, ein Jahr nachdem sein Vater tot war, die Schwester des Verwalters von Ringhof kennenlernte. Das war eine Kielerin, eine sehr fein erzogene Dame, die Klavier spielte, flott tanzte und auch sehr gut zu Pferde saß! – In die war er bald verliebt, und je mehr seine Mutter dagegen redete, desto fester wurde in ihm der Vorsatz: Toni wird die Herrin von Schnarstruphof!

Peter Ottsen hatte unterdessen allerlei sich angeeignet. Der Verkehr mit Gutsherren und Inspektoren, Verwaltern und hoffnungsvollen Kostgängern hatte so manche äußere Unebenheiten abgeschliffen und ihn glatt gemacht. Dann aber hatte er den schönen Hof, und seine Angebetete hatte nichts. – Kein Wunder, daß sie ihn wollte. Nach kurzer Verlobungszeit wurde eine glänzende Hochzeit gefeiert, die Peter aber nachher bezahlen mußte.

An einem Frühlingstage war es, die Syringen blühten in den Hecken, und der Goldregen stand in voller Pracht, als der Herr von Schnarstruphof mit seiner jungen Frau von der Hochzeitsreise zurückkehrte. So etwas hatte man in der Gegend noch nicht gesehen. Auf dem Bock saß der Kutscher in Livree und mit weißen Handschuhen, das war nicht der alte Niklas, der Peter Ottsens Eltern früher gefahren hatte, sondern ein junger, frischer Kerl, der es verstand, »mit Vieren lang« zu fahren. An allen Gartenzäunen und Pforten standen Kinder und Dienstboten mit verwunderten Augen, die Alten standen drinnen und schauten hinter den Gardinen hervor; man war nicht wenig erstaunt. Mit Vieren fuhr er, das allein war schon ein Ereignis. Nun aber erst das junge Paar! – Die Frau trug Sammet und Seide, und Peter Ottsen war so fein gekleidet, wie der junge Baron. Sie lehnten vornehm zurück in den hellen Polstern und fanden es ganz in Ordnung, daß alle Welt sie bewunderte. Lehrer Lorenzen stand gerade am Kreuzweg, als der Wagen bei der Mühle um die Ecke bog. Er blieb stehen und zog höflich die Mütze. Peter legte nur einen Finger nachlässig an den Hutrand, ohne den Kopf zu wenden. Die junge Frau grüßte freundlich und fragte: »Wer ist der Herr?« – »Der alte Bakelmeister!« sagte Peter, und zwar so laut, daß Lorenzen es hörte. Peter sagte noch etwas mehr, was Lorenzen nicht verstand, der sah nur, wie die schöne junge Frau den Kopf halb nach ihm zurückbog und lachte. – Ruhig setzte er seine Mütze auf und ging dem Wagen nach, seinem Hause zu. Als er in die Allee einbog, traf er den alten Niklas, der mit der Schaufel vom Felde kam. »Nun bün ick affsett«, sagte der und deutete zum Hof hinüber. Lorenzen sagte etwas Gleichgültiges von alten und neuen Zeiten und ging weiter. Er hörte aber noch, wie Niklas vor sich hinredete: »Sein Großvater ist diesen Weg auch oft gefahren, aber nicht mit Vieren! Der hat mit dem Düngerwagen das Geld zusammengebracht. Der Junge fährt es wieder hinaus mit dem Staatswagen. – De Bur schall en Bur blieven! Wenn he en grote Herr warn will, ward he licht en Narr, un viellicht en Pracher!«

Nun ging das lustige Leben auf Schnarstruphof los. Ein freundschaftlicher Verkehr mit der »besseren Gesellschaft«, den Hofbesitzern und Gutspächtern, wurde angebahnt; die junge Frau gewann überall die Herzen, und Peter zeigte sich den Höherstehenden gegenüber von der besten Seite. Da gab es denn große Gesellschaften, wo nachher die Champagnerpfropfen knallten, und es gab Herrenabende, wo Rotwein und Grog die laute Lustigkeit hineinbrachten. Den Rum lieferte nicht mehr Lewetz; der kam aus Hamburg, da gab's bessere Sorten! – Oft war auch Besuch aus Kiel da, dann wurden Ausflüge gemacht und um die Wirtschaft kümmerte sich der Hofherr wenig.

Viel Aufsehen erregte es, wenn die junge Frau auf dem schönen Blauschimmel ausritt, den ihr Mann ihr bald nach der Hochzeit geschenkt hatte. So etwas hatte man in der Gegend auch nicht gesehen. Damals allerdings, als in Gelting »der Hof von Angeln« war, vor mehr als hundert Jahren, hatten solche Moden geherrscht. Die Urahne des Birkfuchses daran erinnerte man sich jetzt wieder – sollte auf feurigem Rappen durch die Dörfer über Saat- und Erntefelder geritten sein, und wie Feuerbrand war ihr das rote Haar um die Schultern geflogen. – Das hatte aber ein schlechtes Ende genommen!

Und die alten Leute steckten die Köpfe zusammen und erzählten allerlei und meinten, Hochmut käme vor dem Fall. Es gab aber auch solche, die da meinten, auf Schnarstruphof könne das Geld nicht alle werden.

Es dauerte aber nicht so ganz lange, als Peter Ottsen merkte, daß der goldene Born von Schnarstruphof nicht unerschöpflich sei. Ihm war schon zu wiederholten Malen das Geld knapp geworden, Verlegenheiten oder Geldklemmen, die sich sofort in das Gegenteil verwandelten, wenn am Fälligkeitstage die von ihm gekündigten Gelder ausgezahlt wurden. Er hatte nämlich noch immer etwas zu kündigen gehabt. Nun war das vorbei. Das letzte Geld wurde ihm zum Novembertermin von der Geltinger Sparkasse ausgezahlt. Der alte Aagesen drohte mit dem Finger, sagte aber nichts. Peter sagte auch nichts, er steckte das Geld schleunigst ein und spülte gleich darauf im Krug den Verdruß mit einer Flasche Wein hinunter.

Bald darauf kam ein Verwandter seiner Frau auf Schnarstruphof zum Besuch, ein Ingenieur aus Kiel, namens Merkel. Der Mann war weit umhergekommen in der Welt und hatte vieles gesehen. Als sie einmal am Kliff herum und übers Moor gingen, sprach Herr Merkel von den schier unerschöpflichen Reichtümern, die hier ungehoben lägen.

»Ich kann gerade nicht darüber klagen«, sagte Peter Ottsen lächelnd, »daß mir das Moor Reichtümer einbringt. Der Torf, der hier gestochen wird, kommt teuer genug, und wenn wir einen regnerischen Sommer haben, dann kommt gar nichts dabei heraus. – Das beste an dem Moor ist, daß man ab und an eine Bekassine hier schießen kann.« Herr Merkel aber faßte nach:

»Hier muß man eine Preßtorffabrik anlegen«, erklärte er. Peter lachte und erzählte dann eine Jagdgeschichte.

Als Herr Merkel aber doch wieder mit der Preßtorfgeschichte anfing, sah ihn Peter etwas von der Seite an und brummte: »Räubergeschichten!«

»Räubergeschichten?« meinte etwas überlegen der Ingenieur. »Wir sprechen nachher noch davon.«

Am Abend erzählte er, daß man in England seit einiger Zeit die Torfmoore ausnutze. Mittels Wasserdruckpressen verstehe man es, den Moorboden aufs äußerste zusammenzudrücken und gleichzeitig zu entfeuchten. So verwandele man ihn, mit geringen Kosten, in ein vorzügliches Heizmittel. Das sei aber nur die eine Seite des neuen Verfahrens. Sehr wichtig für die Landwirtschaft sei die gleichzeitige Gewinnung eines vorzüglichen Düngemittels. Nun horchte der Landmann auf.

»Düngemittel? Im Torf ein Düngemittel? – Das ist ja nicht möglich!«

»Lieber Freund, hören Sie mal zu«, fuhr nun mit wichtiger Miene der Ingenieur fort. »In Ihrem gesegneten Angeln hält man bis jetzt von künstlichen Düngemitteln nicht viel, ich weiß das. Hier glaubt man, das liebe Vieh habe allein für die Düngung zu sorgen. So hat's der Großvater gemacht, so macht's der Enkel. Sie, Herr Ottsen, haben aber doch die Ackerbauschule besucht, Sie werden also gehört haben, daß man dem Boden die ihm durch Kornbau entzogenen Stoffe auf besserem Wege zuführen kann, als durch den Kuhmagen. Bekanntlich« – Herr Merkel sagte »bekanntlich«, weil er wußte, daß man damit Halbwissern am leichtesten imponiert – »bekanntlich geschieht das am billigsten und besten durch gewisse, den Bodenverhältnissen genau angepaßte künstliche Düngerstoffe.«

»Die kommen wegen der weiten Frachten hier bei uns zu teuer«, warf Peter Ottsen ein.

»Ganz recht!« stimmte Merkel bei. »Wenn man sie aber aus gewissermaßen wertlosen Stoffen als Abfallprodukte herstellen kann, während man gleichzeitig ein wertvolles Heizmittel gewinnt, so liegt die Sache doch anders.«

Er schwieg einen Augenblick und sah seinen Gastfreund triumphierend an. »Dann liegt die Sache natürlich anders«, gab dieser zu. Dann belehrte Merkel weiter:

»Sehen Sie, beim Auspressen der Moorerde fließt eine braune Flüssigkeit ab; diese ausgepreßte, wässerige Humussäure enthält jene wertvollen humussauren Salze, die als Düngemittel gerade Ihren Boden zu dem ertragreichsten der Welt machen würden.« – Eine Stunde lang erzählte der Ingenieur von der »Wissenschaft im Dienste der Technik und der Landwirtschaft«. – Und er verstand es, gut zu reden! Als er aufhörte, sah Peter Ottsen im Geiste vor sich Torfberge und weite, wogende Weizenfelder. Auf dem magersten Lande am Noor sah er goldene Rapssaat reifen und daraus wurden Haufen von Talern. Was der Ingenieur sonst noch erzählte vom Abdunsten mit Kali und Kalk, von Humussäuresalz, das in Fässern eingestampft und versandt werden könnte, das verstand er nicht recht, aber der Gedanke hielt ihn fest, dort im Moor lagen Reichtümer. – Am nächsten Tag fuhr er nach Wittkiel, um mit dem bekannten Erfinder der Wiesen-Rieselmethode Petersen über die Sache zu sprechen. Etwas enttäuscht kam er zurück und wollte nun von der Torfgeschichte nichts wissen.

»Dieser Merkel ist ein netter Kerl«, sagte er seiner Frau, »aber ein Luftkutscher und Wolkentreiber, vor dem muß man sich in acht nehmen.« Sie lachte und auch der Ingenieur lachte, als sie es ihm wiedererzählte, aber seine Pläne gab er darum doch nicht auf. Er war davon überzeugt, daß sie vortrefflich seien.

Ein paar Tage war von der Angelegenheit keine Rede. Eines Morgens aber, als Peter Ottsen nach dem Noor zu ging, schloß sich ihm Herr Merkel an.

Sie standen auf dem Wall zwischen Haselbüschen und Schlehdorn, vor ihnen lag das Moor. Ein breiter Graben zog sich hindurch, angefüllt mit klarem Wasser von leicht bräunlicher Färbung; am Rande wuchsen Hahnenfuß und Blumenbinsen, in der Mitte schwammen die breiten Blätter der Wasserrose, zwischen diesen hindurch leuchteten die gelben Kelche in der Sonne. Eine Schar Karauschen stand dicht an der Oberfläche und zog langsam durch den Blätterwald hindurch, an das gegenüberliegende Ufer heran, als der Schatten der beiden Männer auf das Wasser fiel. Hinter dem Graben lag eine grüne Fläche; sie war dicht bewachsen mit Sumpfgras und Schachtelhalm, und dazwischen wogte weißes Wollgras im Winde. Der grüne, mit silbernen Flocken bestreute Teppich hob sich scharf ab von der schwarzen, steilen Moorwand, die ihn nach dem Noor zu begrenzte. Dort hatte man im vorigen Jahr Torf gegraben.

»Hier liegt wirklich ein Kapital vor uns!« rief Merkel aus. »Man braucht nur die Hand auszustrecken, dann hat man's.« Er malte nun wieder mit flinkem Pinsel ein goldenes Bild. Es ist merkwürdig, wie so etwas reizt.

»Günstiger kann das Gelände gar nicht liegen! Es muß nur alles richtig betrieben werden. Eine Lokomobile gehört dazu, eine Presse und einiges mehr. Sehen Sie, hier am Wege wird ein Schuppen aufgestellt, ein ganz leichter Bau. Darin findet die ganze Anlage Platz.« –

»Aber die Kosten!« warf Peter Ottsen ein.

»Die Kosten?« – Schon aus der Handbewegung, die der Ingenieur machte, sah man, daß sie keine Rolle spielten. »Die Kosten sind geringe. Das Geld zur Anschaffung der Anlage muß natürlich da sein, das andere sind Betriebskosten, die deckt sofort die Ware. Der Dampfkessel wird nämlich gleich mit dem Preßtorf geheizt, das kostet also gar nichts. – Man redet oft vom perpetuum mobile, jener Maschine, die Kraft liefert und mit einem Teile der Kraft selbst getrieben wird. Hier haben Sie das Ding vor sich. Es geht!«

Peter Ottsen brummte: »Donnerwetter, das wäre eine feine Sache!«

»Und dann der bequeme Transport«, fuhr der Ingenieur fort und zeigte mit der Hand über das Noor hinweg nach dem weißen Ufersaum und der sich dahinter abhebenden blauen Ostsee. »Wenn man so nahe am Wasser liegt, kann man seine Ware leicht los werden. Von hier bis an den Strand wird eine Seilbahn angelegt, die wird von der Maschine getrieben. Hoch über Noor und Gräben hinweg gehen dann Wagen auf Wagen, sie bringen die fertige Ware in die Schiffe. Nach Flensburg, Kappeln und Schleswig, ja nach Lübeck geht Ihr Preßtorf. Sie werden ein reicher Mann. – Das sind Sie freilich schon, aber hier in diesem Moorboden liegt mehr Gold, als Ihr Vater und Ihr Großvater aus ihren Feldern und Wiesen, aus Korn und Butter gemacht haben.«

Es kam Peter Ottsen in diesem Augenblick so vor, als wenn ein Zauberer mit seinem Wunderstabe an die schwarze Moorwand geschlagen habe, die vor ihm lag: Der Berg tat sich auf, und er schaute hinein in die gähnende Spalte, weit hinein in geheimnisvolle Tiefen. Drinnen schimmerte und flimmerte es von Gold und Silber. – Er stand allein am Wall, sein Begleiter grub eifrig mit seinem Stock im Moor.

»Ganz vorzügliche Qualität!« rief er hinüber. »Die beste weit und breit in der Gegend.«

Als sie nach Hause gingen, sagte Peter Ottsen aus seinen Gedanken heraus:

»Es ist nichts los mit der Landwirtschaft! Wenn die Ernte gut ist, wird das Korn billig, und sind die Kornpreise hoch, dann sind unsere Scheunen leer. Die Händler verdienen das Geld, und wir müssen für sie schuften.«

Bald darauf reiste Herr Merkel ab. »Sie hören von mir«, rief er, als die Pferde anzogen, und er unterließ es nicht, das Eisen zu schmieden, so lange es warm war. Nach zehn Tagen kam eine schöne Zeichnung und ein Brief von ihm an: fix und fertig lag der Plan vor Peter Ottsen. Die ganze Anlage sah sehr einfach aus, und die herausgerechnete Betriebskraft war gering. Angeführt waren die Gutachten einiger »Autoritäten«. Aus einer Schrift: »Zur Polytechnologie unserer Zeit« von Kastner ging hervor, daß das Verfahren ganz außerordentlich rentabel sei. Ein Schwede, Orgesson, der ausgedehnte Ländereien bei Helsingfors besaß, arbeitete mit ähnlichen Maschinen; er sollte ein riesiges Vermögen damit erworben haben und ein Wohltäter seines Landes geworden sein. Kurz, die Sache war in dieser Aufmachung ganz großartig.

Leider stand in dem Kostenanschlag eine böse Endsumme, das war der Grund, warum Peter Ottsen das Schreiben in seine Brieftasche legte und es trotz wiederholten Drängens nicht beantwortete. Von Zeit zu Zeit zog er die Papiere aber hervor, und es wuchs in ihm das Verlangen, den Plan zu verwirklichen. Leider hatte er kein Geld flüssig. – So stand die Sache.

Und eines Tages saß Peter Ottsen dann wieder in Gelting-Krug. Er wollte eigentlich zu Aagesen, aber der damals erhobene Finger schreckte ihn ab, jedenfalls sollte eine Flasche Wein ihm erstmal Stimmung und Mut zu diesem Schritt geben. – Er trank und sann: Gab es denn keinen anderen Weg, Geld zu bekommen und die Moorschätze zu heben? – Wege genug, man mußte nur Mut haben, sie zu gehen! –

Er trank hastig sein Glas leer und goß den Rest aus der Flasche ein. »Herr Jörgensen, noch eine Bottel Rotwein, aber diesmal vom besten!«

»Sie erwarten wohl jemand?« fragte der Wirt, als er die Flasche brachte. »Kann sein!« lautete die ausweichende Antwort. Der Wirt wollte nicht weiter stören und ging.

Der Wein ging glatt ein, verscheuchte die grauen Wolken, die der alte Aagesen heraufbeschworen hatte, und malte die Welt rosig. – »Du kannst Geld genug bekommen«, flüsterten ihm die freundlichen Geister des Weins zu. »Du nimmst einfach eine größere Hypothek auf dein Gut.« Und eine andere freundliche Stimme sagte: »Verkauf deinen Kronsgaarder Wald, der alte Franzen von Lohbeck wollte doch neulich mit dir darum handeln. – Was brauchst du Wald und Buchenholz, wenn du so viel Preßtorf hast, daß du die ganze Gemeinde damit versorgen kannst!« – Peter Ottsen nickte; was sie sagten, gefiel ihm. Dann aber meldete sich im Innern ein unbequemer Mahner, der sagte: »Schäme dich, Peter! Das stolze Gut deiner Väter willst du mit Hypotheken belasten? Den Buchenwald willst du fortgeben? Du kannst nicht mit gutem Gewissen am Grabe deines Vaters und deines Großvaters stehen, wenn du das verschleuderst, was sie erwarben.« –

Zwei Wege sah er dann klar vor sich; entweder den großen Herrn an den Nagel hängen und den kleinen Bauern herauskehren, der von früh bis spät arbeitet, oder etwas wagen, um neue Geldquellen zu erschließen. –

Wenn er im Sommer früh aufgestanden und über das taufrische Feld geschritten war, wenn über ihm die Lerchen sangen und vor ihm das hohe Korn im Winde wogte, hatte ihm in letzter Zeit schon häufig die innere Stimme gesagt: »Du mußt anders wirtschaften.« Dann furchte sich seine Stirn; er dachte daran, daß seine Frau gar nichts von der Wirtschaft verstand und doch nicht wollte, daß seine alte Mutter dahineinredete. – Wenn er sie aber abends in fröhlicher Gesellschaft sah, heiter, schön und elegant, dann schwanden die lästigen Gedanken, dann strich sie mit schelmischem Finger die Wölkchen von seiner Stirn. Aber so ging es doch nicht mehr. – Er trank, und sein Mut stieg! – Der alte Weißkopf hatte ihm mit dem Finger gedroht, Peter Ottsen wollte ihm zeigen, daß er klüger war als alle Grauköpfe; sie sollten bald sehen, was er konnte.

Hastig trank er aus und ließ anspannen. Sein Gesicht war rot, seine Bewegungen waren hastig, doch war er nicht betrunken. – Nein, das konnte man von Peter Ottsen nicht sagen, das bißchen Rotwein tat ihm nichts. Er hatte ihn nur zu einem Entschluß gebracht, den er – das sagte er sich jetzt – zu lange schon aufgeschoben hatte. Eine halbe Stunde später war er in Lohbeck. Der alte Franzen tat etwas verwundert, als um diese Zeit dieser Besuch vor ihm stand, doch ließ er sich durchaus nichts merken, daß er eine Ahnung habe, worum es sich handle. Er sprach vom Wetter und den Schweinepreisen, von Wegeausbessern und Pferdezucht, aber nicht vom Kronsgaarder Holz. Und wenn Peter das Gespräch darauf lenkte, so tat er, als ob er gar nichts merke, denn er war ein kluger und vorsichtiger, echter Angliter Bauer. Endlich kam Peter Ottsen geradeheraus mit dem, was er wollte. Er erfuhr, daß der alte Franzen sich das eigentlich inzwischen anders überlegt habe, aber er meinte, man könnte doch mal darüber reden.

Die Sache zog sich ziemlich in die Länge. An Peter Ottsen lag das freilich nicht, sein Entschluß war gefaßt. Der Alte aber hatte ganz geschickt seine Angel ausgeworfen und als er merkte, daß Peter sich festgebissen hatte, ließ er ihn zappeln. – Es waren verschiedene Gläser Grog getrunken, als sie endlich handelseinig wurden.

Am nächsten Morgen erwachte der Besitzer von Schnarstruphof mit etwas schwerem Kopf. Er hatte einen bösen Traum gehabt. Im Kronsgaarder Holz war er zum Nüssepflücken gewesen, er und andere Jungen mit ihm. Sie kletterten umher in den hohen Haselbüschen und pflückten die dicksten Sechs- und Achtkluster massenweise. Auf einmal war aber der alte Aufseher Westerström gekommen mit seinem dicken Schwarzdornstock, der hatte ihn am Kragen gepackt und ihm die Nüsse abgenommen. Peter hatte gescholten und gedroht; es wären seines Vaters Nußbüsche und er wollte Westerström verklagen. Der aber hatte höhnisch gelacht und gesagt, das Holz gehöre Jens Norgaardt. – Dann war sein Vater gekommen und hatte geweint und geklagt, ihm gehöre von Schnarstruphof gar nichts mehr, als der vierkantige Raum des Erbbegräbnisses, auf dem er liege. – »Es ist nicht gut, wenn man Grog auf Wein trinkt«, so erklärte sich Peter Ottsen diesen seinen Traum. Seine Frau gab ihm recht, dann beredeten beide, daß sie gleich nach Mittag zusammen nach Kappeln fahren wollten. Er hatte dort Geschäfte zu erledigen mit der Kappeler Bank, sie mußte zu Moses, um neue Moden anzusehen.

An diesem Tage wurde beschlossen, Schnarstruphof mit einer größeren Hypothek zu belasten, und die Kappeler Bank übernahm es, das Geld zu beschaffen. Der Grund dafür war, Peter Ottsen wollte ganz wesentliche Verbesserungen einführen, die sich ohne Frage bald glänzend lohnen würden.

Im nächsten Jahre, als der letzte Schnee verschwand, wurden am Moor zwei große Schuppen aufgebaut. Auf der Richtfeier ging es lustig her, denn es gab Schnaps und Braunbier so viel die Leute wollten. Drei Wochen später waren die Schuppen fertig; leider waren die Maschinen noch nicht da. Endlich kamen auch diese. Sechs Pferde hatte man vor die schwere Lokomobile gespannt, aber sie hatten ihre Arbeit, das Ungetüm den Feldweg entlang zu ziehen. Die Peitschen knallten, die Knechte fluchten, die Pferde stiegen hoch und warfen sich mit Gewalt in die Sielen, daß die Stränge rissen. Langsam, Schritt für Schritt ging es vorwärts. – »Dor schall erst mannigeen Torf maakt warn, ehr dat all betaalt is«, meinte der alte Tagelöhner Peter Thomsen. »Ick glöw, mit de Hannen und de Föt geiht dat Törfmaken bäter!« – Er kratzte sich bedenklich hinter den Ohren. »Du büst en Döskopp«, sagte der Kutscher Chrischan Karstens und hieb auf seine Pferde ein.

Es war ein großer Tag, als zum ersten Male auf dem Moor der Schornstein der Lokomobile rauchte und die Dampfmaschine sich drehte. Es fehlte dann nicht an neugierigen Nachbarn, und Peter Ottsen zeigte gern die Anlage. Er ließ sie und sich bewundern. Die Jüngeren lobten seinen Unternehmungsgeist und zweifelten nicht daran, daß er viel Geld verdienen würde. Die Älteren drückten sich vorsichtiger aus. Man tadelte und krittelte nicht geradezu, denn man konnte ja doch nicht wissen, wie die Sache sich machen würde. Der Angeliter ist vorsichtig in seinem Urteil. Einer schüttelte sehr bedenklich den Kopf, das war der alte Petersen von Wittkiel.

»Ich habe Sie gewarnt und Ihnen erklärt, das würde viel Geld kosten, Ottsen«, sagte er zuerst ganz ruhig. »Das Geld ist da, Petersen«, war die kurze Antwort.

Ja, es steckt darin, es soll aber wieder heraus.«

»Es soll noch viel, viel mehr heraus!«

Ein Wort gab das andere, und als der alte Petersen ging, da brummte er in den Bart: »Ich hätte mein Geld lieber in die Torfkuhle geschmissen, dann wüßte ich doch, wo es läge.«

Peter Ottsen lächelte überlegen und meinte: Jeder kann ja mit seinem Gelde machen, was er will. – Und ich sage Ihnen, das geht noch über Ihre Rieselmethode.«

Herr Merkel arbeitete mit Eifer Tag und Nacht. Die Pressen wollten nicht so recht arbeiten, es mußte allerlei daran geändert werden. Darüber verging ein Tag nach dem anderen. Als das Pressen ging, war ein Kesselrohr leck, und dann lief sich der Kurbelzapfen der Dampfmaschine warm; das alles war sehr ärgerlich, denn man wollte in diesem Sommer noch viele Zentner Torf machen. Aber das seien doch nur alles Kinderkrankheiten, so tröstete man sich. – Hinter dem Noor sah man ein paar Ewer am Strande liegen, sie warteten auf Ladung. Sie warteten schon acht Tage, die Fabrik konnte anfangs nur so viel Torf fertigstellen, als der Lokomobilkessel selbst verschlang.

»Das ist gerade so, als wenn mein August Kirschen pflückt«, sagte der alte Peter Thomsen, der mit dem schmalen Spaten die fettglänzenden Soden vom Moorberge abstach und sie auf den Wagen der Feldbahn warf. »Die meisten gehen in seinen Magen und die wenigsten kommen in Mutters Korb!«

»Das wird alles besser, wenn der Kram man erst ordentlich in Gang ist«, meinte der Maschinist.

Die Lokomobile pustete und dampfte, die Funken flogen aus dem Schornstein, und ganze Aschenberge wurden unter dem Rost herausgeholt. Die Pressen arbeiteten jetzt auch gut, sie drückten in dickwandigen Zylindern mit eisernen Stempeln die lose Masse zusammen, daß sie steinhart wurde. Das war früher anders. Damals traten Pferde und Menschen den Moorboden mit Füßen und arbeiteten ihn mühsam zu einem gleichmäßigen Brei. Dann wurde dieser in Formen gestrichen, und die nassen Torfsoden wurden in langen Reihen auf dem Grasboden zum Trocknen ausgebreitet. Dann mußten sie gekantet und gekehrt und endlich zu luftig durchbrochenen Türmen aufgeschichtet werden. Man hatte viel Mühe damit, sie trockenzukriegen, sie mußten oftmals durch die Hand gehen, ehe sie im Torfstall lagen. Damals gab es noch keine Steinkohlen auf dem Lande, und Holz war zu teuer; darum war der Torf fast so nötig wie die Kartoffeln. Peter Thomsens Kinder aber hatten ihre »Torfkasse«, da kamen Hamburger Schillinge und blanke Markstücke hinein, denn die kleinen hellhaarigen und barbeinigen Buben hatten flinke Hände und einen geschmeidigen Rücken zum fleißigen Bücken. Das alles war nun vorbei, man brauchte weder die Tagelöhnerfrauen, noch die Kinder, noch des Herrgotts Sonne zum Torftrocknen. Denn alles besorgte die Maschine, sie preßte die Feuchtigkeit aus der Masse heraus. Das ging viel schneller als nach alter Methode, aber es war auch viel teurer.

Die Hängebahn wurde endlich fertig, es war ein Wunderwerk! Von weitem sah man nur einige lange Stangen und eine dünne Linie, die in schlanken Bögen von der Torffabrik bis ans Haff führte. An diesem Drahtseil entlang glitten die Wagen über das Noor hinweg, immer einer nach dem anderen, ohne Rast und Ruh'. Mit Befriedigung schaute Peter Ottsen am ersten Tage vom Kliff aus den wie von Geisterhänden gezogenen Wagen zu. Und voller Stolz war er. Nun mußte die Sache in Schwung kommen! Das mußte Geld bringen! – Bald aber ging die Bahn langsamer, ganz schneckenartig zuletzt. Dann stand sie still.

Er lief den Abhang hinunter und sprang über den nächsten Graben. Nach einigen Minuten war er bei der Fabrik. »Was ist denn los? Warum steht die Bahn still?« rief er.

»Wird gleich wieder gehen«, tröstete ihn Herr Merkel, »wir hatten nicht Dampf genug, die Maschine wollte nicht durchziehen.«

»He kunn dat nich trecken«, erläuterte in populärer Mundart der Heizer den Vorfall.

»Dummes Zeug!« schalt nun der Ingenieur. »Passen Sie nur ordentlich auf Ihren Kram auf, dann wird die Maschine ihre Pflicht schon tun. Ganz bequem zieht sie das! Aber Sie müssen Dampf halten, Frieg Scheel! Dampf müssen wir haben!«

Da öffnete der zum Heizer und Maschinisten aufgerückte Schmiedegeselle Frieg Scheel die Feuertür und zeigte mit breitem Grinsen hinein in die gewaltige Flamme, die vom Rost aus an den Wandungen der Feuerbüchse emporschlug und durch die Siederohre fuhr. »Mehr geiht dor nich in«, bemerkte er ruhig.

»Dann wird die richtige Spannung auch schon kommen!« war die überlegene Antwort. »Sie hatten sie nur zu weit heruntergehenlassen. Zehn Atmosphären müssen wir haben. Immer höher hinauf!«

»Acht Atmosphären steht auf dem Kesselschild!« bemerkte Peter Ottsen.

»Das macht nichts! – Wenn da acht steht, dann ist der Kessel auf dreizehn Atmosphären geprüft und hält noch viel mehr aus. Mit zehn können wir ruhig fahren. Ich garantiere dafür!« entschied der Ingenieur und drehte mit dem englischen Schraubenschlüssel an der oberen Schraubenmutter des Sicherheitsventils.

»Wenn dat man gud geiht?« brummte Frieg Scheel und fuhr ängstlich zusammen, als vom Ventil her ein kurzer zischender Ton drang. Merkel tat, als wenn er nichts gehört hätte; das Zischen hörte auf, er hatte das Ventil auf zehn Atmosphären eingestellt.

Der Zeiger des Manometers stieg. Als er auf zehn zeigte, ließ Merkel die Dampfmaschine angehen, und drückte die Riemen ein: alles lief glatt. »Nun halten Sie aber Dampf!« rief er dem Heizer zu.

Frieg Scheel heizte, was er konnte. Der Schweiß lief ihm in schwärzlichen Tropfen von der Stirn und in den krausen Bart; die Arbeit und die Angst trieben das Wasser heraus. Die Maschine keuchte; puffend fuhr der in der eisernen Lunge verbrauchte Dampf durch den Schornstein ins Freie. »Steam up!« schrie Merkel dazwischen, »Steam up, Frieg Scheel!« – Der schmiß nach Kräften Torf auf den Rost und sah ängstlich nach dem kleinen schwarzen Zeiger des Manometers. Einen Augenblick schien es, als wenn er höher hinauf wolle, und Frieg überlegte schon, ob es nicht klüger sei, dem Ingenieur die Torfschaufel vor die Füße zu werfen und mit dem Ruf: »Ick heff to Hus Fru un Kinner!« den gefährlichen Dienst aufzugeben. Er wollte denn doch lieber mit dem schweren Vorhammer vor einem ehrlichen Amboß stehen, als vor diesem gefährlichen Gesellen! – Aber gleich darauf sah er, daß das Manometer auf neun stand und unaufhaltsam auf acht und auf sieben herunterging. Nun atmete Frieg Scheel auf!

»Steam up!« schrie wütend Herr Merkel, denn die Maschine drehte sich schwerfällig. »Donnerwetter, mach' Dampf oder ich schmeiß dich hinaus!«

»Allens full Törf!« berichtete Frieg.

Da nahm der Ingenieur selbst die Torfschaufel, warf die ganze Feuerbuchse voll und riß den Bläserhahn auf, um mehr Zug zu machen. Dichter, schwarzer Rauch quoll aus dem Schornstein und zog wie eine Gewitterwolke über das Noor hin, ein Funkenregen von halbverbrannten Torfteilchen wurde über den aufwallenden Qualm hinweg nach oben geschleudert, aber aus dem verstopften Magen war nichts mehr herauszuholen. Die Maschine kroch nur noch herum. – Frieg Scheel saß draußen auf einem Torfhaufen, schaute gedankenvoll auf das Loch in seinem Hemdsärmel, das ein herabfallender, glimmender Torfbrocken hineingebrannt hatte, und brummte vor sich hin: »Dor kümmt nix nah.« – »Dat ward all mien Daag nix.«

Peter Ottsen, der abseits am Graben gestanden und, ohne sich hineinzumischen, den ganzen Vorgang beobachtet hatte, kam nun heran; halb neugierig, halb höhnisch fragte er:

»Na, nun geht die Karre wohl nicht mehr, da muß ich wohl das Butterpferd vorspannen lassen!«

Ärgerlich antwortete der Ingenieur: Ja, lassen Sie den Schinder mal herholen, dann kann ich ja wohl nach Hause gehen.«

»Richtiger wäre es wohl, wenn Sie erst Ihre großen Versprechungen wahr machten!« Peter Ottsen überkam das unheimliche Gefühl, als ob das nie geschehen würde, und aus dieser Stimmung heraus kam das harte Wort: »Sie haben mich schön hineingelegt!«

»Davon verstehen Sie nichts!«

»Sie anscheinend auch nicht, das ist eben das Schlimme.«

Das war die Einleitung zu einem Riesenkrach. Am Abend, als Herr Merkel abreisen wollte, bemühte sich die junge Frau, den Riß zu flicken. Der Ingenieur ließ sich besänftigen, und Peter machte gute Miene zum bösen Spiele, denn er brauchte den Mann zu nötig.

Herr Merkel bastelte nun weiter an der Anlage herum und Peter Ottsen mußte Geld schaffen, so ging der Sommer hin, ohne das etwas erreicht wurde.

*

St. Pauli! Jeder Seemann, der mit seinem Schiff an den Hamburger Quais gelegen hat, kennt den Namen, aber oft sagt er: »St. Liederlich!« Vor dem Zollanschluß lagen die Segelschiffe in langen Reihen an den Vorsetzen entlang; sie erhielten dann elbaufwärts ihre Liegeplätze. Dadurch ist das Hafenbild ein ganz anderes geworden, auch St. Pauli selbst hat ein anderes Aussehen bekommen nach dem Zollanschluß.

Hans Thordsen war Matrose auf dem Hamburger Vollschiff »Pompejus«, das kam mit einer Ladung Salpeter von Jquique. Als sie in die Elbe einfuhren, kam ihnen schon der Schlepper der Reederei entgegen, die schwere Schlepptrosse wurde an Bord gezogen und am Poller festgemacht, dann ging's mit Dampf die Elbe aufwärts.

Flach breitet sich an beiden Ufern das Land aus. Hinter den Deichen liegen die Häuser mit ihren grauen Strohdächern, die Gärten mit ihren vielen Obstbäumen, grüne Wiesen und braune Ackerfelder. Dann verengt sich der Strom. Von links her treten Höhenzüge bis hart an den Strom heran. Der Süllberg sendet den Heimkehrenden seinen Gruß und von Blankenese herüber winkt man zum Willkommen. In der Ferne taucht dann der St. Michaelisturm auf, sein grüner Hut hat einen leuchtenden weißen Rand von frischem Schnee, der blitzt und flimmert im scheidenden Abendsonnenstrahl. – –

»Hallo, der große Michel!« rief der Mann am Ruder des »Pompejus«. »Heute abend geht's nach St. Liederlich.«

Dann verschwand das alles im Grau der Dämmerung vor den Blicken der Heimkehrenden. Man sah nur den Lichtschein über dem Häusermeer. Der wurde größer und heller; freundlich grüßten die vielen Laternen, als das Schiff an Altona und St. Pauli vorüberfuhr. Es war dunkel auf dem Strom, als der »Pompejus« die Trosse des Schleppers schuppen ließ und am Duc d'Alben festmachte, dicht hinterm Hafentor. Wer nicht zur Wache gehörte, ging noch an Land.

Hans Thordsen und sein Maat Theodor Fein waren die letzten, die fortgingen.

»Zuerst muß ich mir Draht holen bei Vater Tostedt, komm man mit«, sagte Thetje Fein, als sie bei der St.-Pauli-Landungsbrücke aus der Jolle stiegen.

»Dann kriegst du auch gleich deinen Taler wieder, den du mir geliehen hast«, setzte er aufmunternd hinzu. Das war ein Grund, der sich hören ließ. Beide steuerten also nach der Erichstraße, nach einem Hause, an dem geschrieben stand: »Heinrich Tostedt, Schlaf- und Heuerbaas.« An den Fenstern war noch zu lesen: »English spoken here.« »Her tales dansk« usw.

Mit kräftigem »Gut'n Abend, allzusammen«, trat Thetje hinein in die Gaststube.

Einen Augenblick schaute die Frau, die mit einigen Bierseideln im Zimmer stand, den Eintretenden an:

»Süh mol door, Thetje Fein!« rief sie dann so vergnügt, als ob es für sie keinen lieberen Menschen auf der Welt gäbe. Sie schüttelte ihm die Hand und versicherte ein über das andere Mal:

Junge, Junge, wat ward Vadder sick freuen, dat du wedder hier büst.«

So wurde nämlich jeder wiederkehrende Gast empfangen und aufgenommen, der früher gut verzehrt und gut bezahlt hatte. »Wat wist du drinken, mein Jong?« hieß es dann.

»Geld muß ich haben, Geld!« platzte Thetje gleich heraus.

»Kannst du auch kriegen, mein Jong, kannst du ja allens haben. Wieviel soll es denn sein?«

»Zwanzig Meter«, sagte Thetje ruhig.

»Natürlich, mein Jong, sollst du zwanzig Mark haben. Abers iß und trink hier man erst en büschen. Was wist du denn essen?«

»Böffstöck und 'ne Salzgurke, aber schnell!« Und als »Mudder« forteilte, rief er ihr noch nach:

»Zweimal! Mein Maat hat auch Hunger.«

»Für mich nicht«, wehrte Hans Thordsen ab, aber es war schon zu spät. – Gleich darauf stand auch schon Bier vor den beiden. Als am Nebentisch einige Leute, die hier schon länger vor Anker lagen und nach passender Heuer ausschauten, etwas von großem Durst und wenig Geld verlauten ließen, da wurde nicht lange gefackelt. »Mudder« mußte eine Runde bringen und tat es auch gern. Für Thetje Fein wurde im Hauptbuch ein Konto eröffnet, sein Bett stand bereit, denn sobald abgemustert war, wollte er natürlich herziehen. Mit Hans Thordsen war vorläufig kein Geschäft zu machen; der wollte erst mal nach Hause reisen, wurde aber freundlich eingeladen, nachher hier zu wohnen. »Bald muß der »Poseidon« von Singapore kommen, Kappen Homann is en alten Freund von uns, da könnt ihr beide zusammen wieder anmustern«, meinte sie.

Die Schluckspechte am Nebentisch horchten auf. Sie waren von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, erst auf die »Ragusa« und nun auf den »Poseidon« vertröstet, und rechneten stark darauf, bald fortzukommen, denn ohne Geld in Hamburg herumzubummeln, machte keinen Spaß.

»Verdammi!« brummte ein langer, verwitterter alter Matrose und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Den »Poseidon« höre ich nun schon so lange tuten, aber er kommt nicht in Sicht.«

»Man ruhig, du Eisbär, man ganz ruhig!« ermahnte Mutter Tostedt. »Wenn du alter Vollgießer nicht in den ersten drei Tagen fast deine ganze Heuer mit dem Mädchen verzwutscht hättest, dann brauchtest du nun nicht hier trocken zu sitzen.«

»Das Lied kenne ich schon!« rief der Alte.

»Wenn ihr Geld habt, dann seid ihr verrückt«, fuhr Mutter Tostedt eifrig fort. »Hättest du mir das Geld zum Aufbewahren gegeben, dann hättest du noch was und könntest hier gut leben.«

»Das ist ganz einerlei«, knurrte ärgerlich der Matrose. »Das Geld muß doch erst weg, und Schulden muß man auch haben, eher kriegt man hier keine Heuer.«

»Süh mal, süh!« begehrte nun Mutter Tostedt auf, stemmte die Arme auf die breiten Hüften und trat vor den Krakehler hin. »Süh mal, süh! – So einer büst du! – Erst versäuft er sein Geld bei anderen Leuten und dann will er uns noch schlecht machen! Das paßt mir grade. Na, laß man Vatern kommen, dann sollst du mal den Wind von vorne kriegen. Der soll dir mal den Kompaß regulieren! – So'n Schleef will ich nicht länger durchfüttern, wo ich mir so an ärgern muß!«

»Na, man nicht so bös«, begütigte nun der Aufsässige. »So schlimm war das nicht gemeint.« – Sie wollte gerade zu einer neuen Rede ansetzen, da bat der Alte: »Sei man wieder gut, Mutter! – Wenn ich angemustert habe, gibt's ja Vorschuß auf die Heuernote, und dann wird alles glatt gemacht.« Sie sah ihn scharf an. Er schloß: »Dann geb' ich auch 'ne Bowle Punsch aus«, und erreichte dadurch, daß Mutter Tostedt sagte: »Man tut doch was man kann und will bloß euer bestes.«

»Das Geld«, dachte Hans Thordsen.

Sie aber erklärte: »Ein Seemann auf Land und ohne Geld, das ist gar nichts! Ich muß heute abend noch mit Vatern sprechen, daß er Rat schafft und du fortkömmst. Sonst kömmst du zu doll in Schulden. Das geht nicht mehr!«

Thetje Fein und Hans Thordsen hatten sich ihr Abendessen gut schmecken lassen. Hans wollte seine Portion bezahlen, das litt aber sein Maat nicht. »Hier bin ich zu Hause«, behauptete er. Mit zwanzig Mark in Kleingeld und der freundlichen Mahnung versehen: »Kommt man nich ünner de Torfewers!« zogen beide los.

Zuerst ging es nach »Cap Horn«.

Das Südkap von Amerika hat schon vielen braven Seeleuten Kummer gemacht. Schwere Stürme und die sich gegeneinander aufbäumenden Wogen zweier Weltmeere schafften ihnen böse Tage und schlechte Nächte. Auch um St. Paulis »Cap Horn« herum gibt es Stürme, Klippen und mancherlei Gefahren. Mit vollen Segeln kommt Jan Maat angefahren, mit starker Schlagseite zieht er nicht selten weiter und kann froh sein, wenn er ohne Lotsen seinen Kurs finden und in seiner Koje vor Anker gehen kann. Mancher treibt steuerlos umher und muß ins Schlepptau genommen werden, mancher wird im Nothafen der nächsten Polizeiwache vertäut. Am nächsten Morgen, wenn der Sturm ausgerast hat und der Nebel verflogen ist, bezahlt er sein Liegegeld und läuft wieder aus in die See, die so viele falsche Lichter und Lotsen hat.

Es ist Sonnabend. In »Capstadt« ist volles Leben. Arbeiter kommen und gehen; einige sind noch schwarz von der Arbeit und tragen ihren Kaffeetank und ihren Futtertopf am Riemen über den Rücken gehängt; andere sind schon in der Sonntagskluft und haben den Bibi unternehmend aufs Ohr gedrückt. Vor dem Schanktisch stehen die Leute in dichter Reihe und »stärken sich«. – Drei Gehilfen, kräftige Gesellen mit aufgekrempelten, weißen Hemdsärmeln, mit kurzem Stiernacken und breiter Brust, die richtigen Athletenfiguren, arbeiten mit Fässern und Flaschen, mit Seideln und Gläsern. Sie schwingen ihr Handwerkszeug fix und flink. Sie können aber auch mit gleicher Fixigkeit einen unliebsamen Gast hinausbefördern.

Der Wirt wird Fietje Fettback genannt, wenn er's nicht hört, – sonst heißt er Herr Guhlmann. Seine Freunde und besseren Kunden reden ihn kurzweg Fietje an. Man sieht ihn durch das Lokal schreiten, hier mit Lächeln die gut zechenden und zahlenden Bekannten grüßend, dort einen säumigen Kunden mahnend, hier mit einem Scherzwort die Unterhaltung belebend, dort mit kühlem Blick die etwas zu wild aufwallende Spiritushitze dämpfend. Sein Getränk ist nämlich »gut und kräftig«, es treibt das arbeitsträge Blut rascher durch die Adern und ins Gesicht. Zuweilen trinkt Fietje Fettback auch ein Glas Grog mit, aber das kommt selten vor und gilt als eine besondere Ehrung, darauf kann der Gast wirklich stolz sein. Er gießt dann etwas Rotwein in sein Glas und nicht zu wenig Wasser. – Sein Arzt hat's ihm nämlich verboten, viel zu trinken, sagt er.

Die beiden Matrosen, die eben eingetreten sind, grüßt er freundlich. Thetje Fein flüstert Hans Thordsen zu: »Siehst du, Fietje Fettback kennt mich gleich wieder. Hab' hier auch manchen Grog verknackt. – Der hält was auf seine Kunden.«

Hans Thordsen sagt nichts, es steckt in ihm immer noch ein Stück vom Angeliter, der zu freundliche Leute ein bißchen von der Seite anschaut.

Beide setzen sich im Hintergrunde an einen Tisch und trinken ihren Grog. Thetje Fein erzählt von Hamburger Kökschen und anderen Vertretern der holden oder leichtlebigen Weiblichkeit, die er auf den »Salons« kennen- und liebengelernt hatte.

Im Lokal bilden sich hier und da Gruppen; es wird politisiert und gelacht, mit den Händen gefuchtelt und mit den Füßen gestampft. An den Tischen spielt man Skat und Sechsundsechzig oder würfelt. Verliert einer, so gibt's eine neue Runde immer noch »zum Abgewöhnen«. Der Qualm von Zigarren und Kalkpfeifen steigt empor, mischt sich mit dem Dunst der Grogs und mancherlei anderen Gerüchen. Schwere Wolken lagern an der Decke und wirbeln um die Flammen der Gasarme.

Die Uhr schlägt zehn, man hört es nicht im Stimmengebraus, denn immer dichter füllt sich der Raum. Die Köpfe werden rot, die Augen gläsern und stier. Die Stimmen klingen rauh und heiser – man muß der Lust doch kräftig Luft machen! – Wo sind sie nun geblieben, die Sorgen, die manchen der Gäste bedrückten, die mit ihm aufstanden und abends mit ihm zu Bett gingen? – Er hat sie fortgeschwemmt, der Allerweltströster, der dort in den großen Fässern aufbewahrt wird und immer da ist, wenn man nur Geld in der Tasche hat. Das ist so einfach und so verlockend! – Ein Glas, und lichter wird's im Gehirnkasten: nicht mehr so schwarz zeigt sich die Zukunft. – Noch eins! – Nun dämmert schon ein Ausweg aus der Bedrängnis; wie konnte man sich nur so viel Sorgen machen, um so alltägliche Sachen! – Noch eins! – Wo ist er denn nun, der lästige Geselle, der täglich sich einstellte, um einem das Leben zu vergällen?! Seine mißtönende Stimme ist verklungen in fröhlichem Lärm, sein Gesicht hat sich ganz verändert. Hinter den großen Fässern schaut er listig lächelnd hervor, als wollte er sagen: Du Narr, sorge dich nicht um morgen! – Noch eins also! – So, nun kann man schon mit einstimmen in den Chor: »Brüder, laßt uns lustig sein!« – Nun weitet sich die Brust. Nun fallen die Gewichte und Ketten, nun wird der Mensch frei und froh, mutig und selbstbewußt. – –

»Das hat dein Meister gesagt?«

»Wenn mein Meister das sagt, dann hau' ich gleich in'n Sack!«

Ja, dem will ich Montag denn auch mal die Wurst anschneiden!«

»... Meine Frau, meinst du? Die hat nichts zu sagen.«

»Wer mir zu nahe kommt, der kriegt seinen Flicken.«

»Wer redet da von nach Hause gehen? Noch lange nicht! Man muß sich die ganze Woche von früh bis spät schinden, heute wollen wir lustig sein. Hurra! – Was sind wir doch für fixe Kerls!«

So geht's heute, so lange noch Geld da ist.

Ein langer Schiffsmaler mit schwarzem Schlapphut lehnt neben der Tür. Er war nachmittags schon da; er würfelte und trank und war einer der lautesten und übermütigsten. »Karl, gib noch 'ne Runde aus!« drängte sein Nebenmann. Er lacht blöde und greift tastend in die schmierige Tasche. – Es ist noch Geld drin. »Sechs, acht Glas Grog!« ruft er laut und gröhlend ...

Er muß trinken. Im Hintergrunde lauert eine dunkle Gestalt, die will sich auf ihn stürzen, ihm ins Ohr schreien, daß er ein Narr und ein Lump ist. So lange er trinkt, wagt es sich nicht her, dies graue Elend. Aber morgen früh, wenn er aufwacht, sitzt der Plagegeist schon auf der Bettkante. Er mag die Augen nicht öffnen, er will nichts sehen. Er weiß es ja: Dann grinst der Plagegeist, den er ersäufen wollte, ihn höhnisch an. Er dreht sich auf die andere Seite und will schlafen. Aber der andere setzt sich ihm schwer auf die Brust und schnürt ihm den Hals zu. Er hält ihm den Spiegel vor, den alten, zerbrochenen, fleckigen Spiegel, und zeigt ihm ein Gesicht; ein anderes, als er es im blanken Spiegel des Capstadt-Wirtes sah. Nicht so rot und lachend ist es, sondern fahl, verdrossen, übernächtigt. Er muß die Augen öffnen und sieht vor sich den armseligen Hausrat, die dürftige Kleidung der verschüchterten, hungrigen Kinder und das sorgenvolle Gesicht des verkümmerten Weibes.

– – Ja, so wird der Sonntagmorgen sein! – Fort mit den Gedanken heute abend! – Fort damit, so lange Freunde da sind, die mittrinken und mitlachen! – –

Ein Schuster, der für den Wirt die Stiefel flickte und stets seinen Verdienst gewissenhaft abtrank, war heute auch hergekommen; er hatte sich zu den beiden Seeleuten an den Tisch gesetzt. Einige andere Matrosen, die gerade abgemustert und nun die Taschen voll Geld hatten, rückten mit heran. Bald ging es hoch her.

Zuerst trank der Schuster »für naß« mit und belachte pflichtschuldig jeden Witz seiner Wohltäter, auch wenn er selbst herhalten mußte. Nachher, als der Grog ihm zu Kopf stieg, wurde er aber großartig und wollte weder ein kleiner Flickschuster, noch ein armer Freischlucker sein. Er warf einiges Kleingeld auf den Tisch, das er eben vorher eingenommen und das seine Frau schon vorweg verausgabt hatte. Der Schuster ließ nun ebenfalls Getränk anfahren.

Zwei Süßwasser-Schifferknechte gesellten sich hinzu, von denen der eine Erstaunliches von seinen Seefahrten erzählte, obgleich er Salzwasser nur dann gerochen hatte, wenn in der Kombüse seiner Schute Stockfische aufgeweicht wurden. Er hatte schon im Indischen Ozean Haifische geangelt, acht Wochen nur von »Swiet Potätos« und salzen Speck gelebt und elfmal die Linie passiert. Einmal war ihm sein Schiff von einem englischen »Mänowor« in der Mitte glatt durchgeschnitten. Zweimal war sein Schiff an der chinesischen Küste von den Räubern angegriffen, und es wäre geentert worden, wenn nicht er – Hein Möller – es schlau und tapfer verteidigt hätte.

Hans Thordsen hörte lächelnd zu und warf nur eine Bemerkung dazwischen: »Dat stimmt«, bestätigte er. »In Shanghai hebbt se mi en poor mol dit Stück von Hein Möller verteilt. Dat freut mi bannig, Hein, dat wi uns hier drapen!«

Die anderen verstanden den Witz und lachten. Hein Möller hielt das in seinem Eifer für Bewunderung und Beifall, er wurde daher immer kühner. Da das Aufschneiden aber durstig macht – wie die tägliche und nächtliche Erfahrung an vielen Stammtischen bestätigt – so vergaß Hein Möller auch das Trinken nicht. Das alles machte ihn immer selbstbewußter. Er kannte alles besser als »die jungen Kerls von heute«, die von Passaten und Wendekreisen nichts verstehen, die kein Eselshaupt von einem Bootsdavit unterscheiden, die nicht segeln und nicht steuern können. Er – Hein Möller – hatte wohl hundertmal bei Sturm und dichtem Nebel sein Schiff nur nach dem Kompaß längs der englischen Küste entlang und durch den Kanal gesteuert, während sein Kappen besoffen in der Kajüte gelegen hatte.

Da lachte der Schuster so recht höhnisch und dachte bei sich, nun sei es Zeit, daß er seinen Trumpf drauf setze.

»Das ist wohl 'n anderer Kanal gewesen als der englische«, fing er vorsichtig an.

Der Schiffer lächelte verächtlich: »Du Schoster!«

»Du büst mir 'n feinen Seefohrer!« fuhr nun der beleidigte Risterer auf: »Erst gestern hab' ich dich mit deiner Dreckschute beim Staatsbagger 4 liegen sehen, drüben bei Kuhwärder, im Guano-Fleet! – En langen Staken hatt'st du in der Hand und schobst fullspied an der Kante entlang. Auf solchem Kanal kann ich auch hinaus und hinein finden ohne Kompaß, wenn ich auch man en Schuster bin un kein Schiffer!«

Ein mächtiges Gelächter der Seeleute lohnte diese treffliche Rede. Am lautesten lachte der Schuster selbst. – Aber nicht lange.

Das Gewirr von Stimmen wird plötzlich von einem lauten Aufschrei übertönt, dem dumpfes Gepolter und ein Klirren und Klingen von zerbrochenen Gläsern folgt. Man hört wüstes Fluchen und Schimpfen, man sieht geballte Fäuste, und im wirren Knäuel schlagen und würgen sich die Kämpfenden. – Ehe sich nämlich der witzige Schuster dessen versah, hatte ihn der Schifferknecht mit der geballten Faust ins Gesicht geschlagen, daß er rückwärts überkollerte und den Tisch mit sich umriß. Im nächsten Augenblick war eine Prügelei im Gange, bei der der Angreifer am schlechtesten wegkam. Ein dichter Ring umschloß die Kämpfenden. Sogleich aber drängten sich die Gehilfen von Fietje Fettback durch die Umstehenden, im Handumdrehen hatten diese drei »Bärenbengels« die Schifferknechte und den Schuster aus dem Lokal befördert. – Bald verließen dann auch Hans Thordsen und sein Maat die gastliche Stätte.

Man war zweifelhaft, ob man nach Koppelmanns Salon oder zu Emma Bergdörfer gehen sollte. Thetje hatte Neigung, »einen abzupedden«, so'n recht langsamen Walzer, mit Gefühl und krummen Knien, das war sein Fall. – Aber Hans Thordsen wollte nicht mit, er war kein Freund vom Tanzen. Vor allem der Walzer machte ihm Schwierigkeiten, da konnte er nie so recht den Anfang finden, und wenn ihn jemand aneckte, war er sofort aus dem Takt. Lieber nicht! – Also ins »Konzerthaus«.

Hier war alles nobel! – An kleinen Tischen saßen die Gäste, meist junge Kaufleute, auch einige Janmaaten und Soldaten. Hier und da saß auch ein alter Graukopf und tat, als ob ihn die Sache wenig anginge, oder als ob seine Zeit noch nicht gekommen sei. Das grelle Licht der Kronleuchter blendete die beiden Ankömmlinge, sie mußten sich erst an die Vornehmheit gewöhnen und setzten sich auf ein Sofa nicht weit von der Tür. Ein Kellner im Frack mit Glanz und stark ausgegriffenen Knopflöchern erkundigte sich nach den Wünschen der Herren: Bier mußte es nun sein.

»Das ist ein anderer Kram hier als in Antwerpen, wo sie immer die Tür aufreißen und die Gäste reingröhlen, hier ist es nobel!« lobte Thetje Fein. »Und Geld haben wir auch. Hier bleiben wir'n bißchen!«

Hans Thordsen sagte nicht viel. – Ein Komiker trat auf; er wußte seine Lieder der Stimmung der Gäste anzupassen. Thetje Fein war ganz aus der Tüt vor Vergnügen. Hans Thordsen verzog keine Miene und doch wandte er keinen Augenblick die Augen von der Bühne. Er war sogar zuletzt aufgestanden, um besser über die Zuschauer hinwegsehen zu können.

Eine der Sängerinnen, die zusammen mit sechs anderen »Singvögelchen« auf der Bühne saß, fesselte die Aufmerksamkeit von Hans Thordsen. Sie spielte mit ihrem Fächer. – Ein junger Mann mit grellbuntem Schlips warf ihr eine prächtige, hellgelbe Rose zu, die er von einer unechten Vierländerin gekauft hatte; sie fiel dicht vor ihr auf die Bühne. Mit gut gemachter Gleichgültigkeit nahm sie die Blume auf und neigte kaum merklich das Köpfchen zum Zeichen des Dankes. Dann hob sie den weißen Arm und steckte sich die Rose in ihr krauses, rotes Haar. Plötzlich wandte sie den Kopf. Ein Blitz aus den dunklen Augen flog hoch über den erwartungsvoll aufschauenden Blumenspender hinweg bis in die äußerste Ecke des Saales. Er traf Hans Thordsen! – Der hatte die ganze Zeit keinen Blick von der blendenden Erscheinung abgewandt. Als nun dieser Blick ihn traf, als sie Auge in Auge sich schauten – einen Augenblick nur! – da wußte Hans Thordsen, daß er sich nicht getäuscht hatte. Es war Meta Norgaardt, die dort im grellen Licht und Tingeltangelflitter ihre Reize zur Schau stellte.

Zwar hatte er dies krause Gold noch nie so kunstvoll aufgebaut gesehen, aber der eigenartige Glanz hatte ihm gleich in die Augen gestochen. Und nun der Blick! Ja, es war wahrhaftig Meta Norgaardt.

Früher, als der Birkfuchs sich im Noor und am Strande herumtrieb oder auf dem Felde und im Garten arbeiten mußte, war ihre Gesichtsfarbe allerdings nicht so hell gewesen. Damals hatte sie derbe Sommersprossen gehabt; davon war jetzt nichts mehr zu sehen. Was dem Gesicht an blendender Frische noch fehlte, das hatte wohl die Puderfarbe hergeben müssen. – Sie hatte früher im einfachen, eigengemachten Kleide allerdings auch sehr hübsch ausgesehen, anders aber stand ihr doch der dunkelbraune Sammet, der nur bis zu den Knien reichte und tadellose Formen frei ließ.

Ein eigenartiges Lächeln flog über Hans Thordsens wetterharte Züge, als er das sah. – Da hätte sie früher auch nicht nötig gehabt, so spröde zu tun, damals, als er sie hochgeschürzt beim Kohlschneiden belauscht hatte.

»Du, Hans, die Sängerin da, die rote, die ist nicht ohne«, meinte Thetje Fein. »Trink aus, wir suchen vorne einen besseren Platz.« – Hans Thordsen war's recht. Sie gingen ganz nach vorn. Da aber ging gerade der Vorhang nieder. Eine kurze Pause trat ein, während der ein durstiger Klavierspieler ein Potpourri herunterhämmerte. Die Gäste sangen natürlich mit, was sie gerade konnten. Dann rauschte der Vorhang wieder empor, und alle Sängerinnen saßen auf der Bühne. Abwechselnd traten sie vor und sangen einzeln oder zu zweien, als eine der letzten der Birkfuchs. Sie hatte es vermieden, den Blick dorthin zu richten, wo die beiden Seeleute saßen, sie schenkte ihre Aufmerksamkeit jetzt anscheinend dem jungen Manne, der ihr vorhin die Rose zugeworfen hatte.

Das ärgerte Hans Thordsen nun doch. »Du, weißt du was!« rief er ziemlich laut seinem Kameraden zu. »Die Rote kenn' ich!«

»Mensch, da müssen wir uns 'ranmachen!«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Warum nicht, das ist ja 'ne famose Deern.«

»Aber 'n Racker, nimm dich in acht!«

Das letzte war wieder leiser gesprochen, denn die Sängerin hatte ihr Lied begonnen. Es war ein dänisches, zu jenen Zeiten recht bekanntes Tingeltangellied. – Es sollte schelmisch vorgetragen werden; sie aber verzog keine Miene zum verheißungsvollen Lächeln. Unter den dicht zusammengewachsenen Augenbrauen blitzten zuweilen die Augen in eigenartigem, tückischem Glanz nach Hans Thordsen hinüber. Aber aus der Kehle kamen reine und volle Töne.

»Die hat nicht nur Gold auf dem Kopf, die hat's auch in der Kehle«, hörte Hans Thordsen am Nachbartisch den jungen Mann mit dem bunten Schlips sagen: »Frische Ware«, erwiderte sein Nachbar, ein in dieser Gegend wohlangesehener Ausländer von südländischem Aussehen. »Ist noch nicht lange beim Geschäft.«

»Die nehmen wir zum Abendessen mit«, entschied der Freund. Der andere nickte.

Das Lied war zu Ende, die Gäste klatschten Beifall, der mit dem bunten Schlips am lautesten. Dann fiel wieder der Vorhang.

»Mehr Feuer und Leben!« ermahnte die dicke Direktorin nachher die »Dänin«. »Sie müssen die Gäste freundlich und schelmisch ansehen, bald diesen bald jenen. Jeder muß glauben, Sie hätten's auf ihn abgesehen. Das müssen Sie noch lernen.«

Thetje Fein wollte jetzt fort und anderswo Abenteuer bestehen, hier schien ihm die Gelegenheit nicht günstig genug oder zu teuer. Sein Kamerad aber erklärte: »Ich bleibe hier!«

»Mensch, es nützt dir ja nichts«, setzte ihm wohlwollend Thetje auseinander. »Die beiden Schmachtlappen da am anderen Tisch haben mehr Dracht als wir. Die haben schon signalisiert und gehen nachher mit ihr über Stag. Komm, wir suchen anderen Ankergrund.«

»Geh du meinetwegen, ich bleib' hier!« Hans Thordsen bestellte, um alle Einwände abzuschneiden, noch ein Glas Bier. Da wurde der andere ärgerlich und zog Leine.

»Hast du die beiden Teerpinsel da drüben gesehen?« sagte der Ausländer zu seinem Freunde. »Der eine geht fort, der andere scheint aber Absichten auf die Rote zu haben. Er glotzte sie vorhin so an, als ob er sie fressen wollte, und sie – – –«

»Na, und sie?«

Sie warf ihm auch eigentümliche Blicke zu!«

»Mensch, du bist wohl eifersüchtig auf diesen viereckigen Knoten! Für Janmaaten ist hier kein Feld.«

»Oho, die Mädels wissen ganz genau, daß so einer, wenn er von der Abmusterung kommt, Geld hat wie Heu und damit aast wie ein Ochse.«

Der andere lachte. »Neulich war einer hier«, fuhr sein Freund fort, »der hatte – wie er allen Leuten erzählte – am Vormittag 750 Mark ausbezahlt erhalten. Den hättest du mal sehen sollen! Er war schließlich so duhn, daß er sein Geld nicht mehr zählen konnte. Das besorgten dann die Mädchen und Kellner. – Am anderen Abend las ich im »Fremdenblatt«, daß dieser Wohltäter von einem Konstabler halbnackt unter einer Bank in den »Elbabruzzen« gefunden worden sei. Hemd, Hose und Strümpfe war alles, was ihm geblieben war.«

»Na, es gibt auch andere«, meinte der Ausländer. »Der blonde, lange Kerl da scheint mir klüger zu sein.«

Ja, nimm dich nur vor dem in acht. Wenn der eifersüchtig wird und dich packt, dann bleiben höchstens noch die Stiefelschäfte von dir heil.« – Sie lachten beide und machten noch allerlei Witze über den verliebten Seemann, doch er merkte gar nichts davon, ahnte nicht, daß ihre Heiterkeit ihm galt. Er dachte an ganz etwas anderes.

Es wurde dann ein eigentümliches Versteckspiel zwischen den zwei alten Bekannten. Hans Thordsen blickte meist starr auf die Bühne, er vermied es aber, ihr in die Augen zu sehen. Meta Norgaardt ließ die Blicke hierhin und dorthin schweifen, aber über den Seemann irrten sie hinweg. Als sie doch einmal sich gleichzeitig ansahen, flog ein glühendes Rot über ihre Wangen. Da zuckte es eigentümlich um Hans Thordsens blondbärtige Lippen. »Sie schämt sich vor dir«, sagte er sich.

Bald darauf sah er, daß einer der beiden jungen Lebemänner den Kellner heranwinkte und ihn mit einem Rosenstrauß und einer Visitenkarte nach der Bühne sandte. Er reichte es der »Roten«. Diese zauderte einen Augenblick; erst als ihre Nachbarin sie anstieß, nahm sie die Rosen, die Karte ließ sie auf den Fußboden fallen. Das war höchst sonderbar. – Der Ausländer aber schwur, daß er nun erst recht die Festung nehmen würde.

Um 12 Uhr fiel der Vorhang zum letzten Male an diesem Abend. Die Gäste gingen nach und nach fort; der Matrose und die beiden reichen Jünglinge blieben noch.

»Der will uns aushungern«, meinte der eine.

»Oder durchprügeln«, sagte der andere.

Da sie sich hier sicher fühlten, sprachen sie ziemlich laut. Hans Thordsen stand ruhig auf und ging hinaus.

Auf dem Spielbudenplatz war noch reges Leben. Allerlei Volk wanderte hin und her; Liebespärchen im leisen, kosenden Getändel; Matrosen, die zu zweien sich bemühten, den rechten Kurs einzuhalten; Händler mit warmen Würstchen, die ihre gute Stammkundschaft hatten; friedliche Bürger, die mit Ungeduld von der liebenden Gattin erwartet wurden; Blumenhändlerinnen; junge Kaufleute und verdächtig aussehende Halbstarke; hier und da an einer Ecke auch eine weibliche Gestalt mit lauerndem Blick und raschen Bewegungen.

Hans Thordsen ging auf und nieder; er ließ die Tür des Konzerthauses nicht aus den Augen. – Was wollte er eigentlich von ihr? – Ja, das fragte er sich selbst und doch blieb er und lauerte.

Es war schon halb eins, als sich die Tür öffnete, und sechs weibliche Gestalten, in dunkle Mäntel gehüllt, herauskamen. Der Seemann trat zurück an die Säule der Polizeiwache und ließ sie vorübergehen. Er sah, daß zwei Männer ihnen folgten. – Und er dachte bei sich: Der Birkfuchs hat dich nur täuschen wollen, als sie die Karte fallen ließ und über die Schmachtlappen hinwegblickte, als seien sie Straßenfeger; sie spielte ja auch damals im Garten die Entrüstete und Ehrbare. – Nun willst du doch mal sehen, wie das abläuft.

Bei der Talstraße trennte sich die Gruppe, vier der Mädchen schwenkten rechts ab. Hans Thordsen folgte in angemessener Entfernung den beiden jungen Herren, die mußten ja auf der rechten Fährte sein. Hinterm »Nobistor« bogen sie links ab, als er aber an die Ecke der Neuen Burg kam, waren sie verschwunden. Eiligst kehrte er um. Sie mußten die Lincolnstraße gegangen sein. Schnell zurück! – Als er dann die enge, düstere Straße entlang schaute, lag alles tot und still. Nun war sie ihm also doch entschlüpft.

»Du Narr!« sagte er und schlug sich an die Stirn. »Was geht dich der Birkfuchs an? – Schade um die Deern!« setzte er dann hinzu und wandte sich zum Gehen.

In diesem Augenblick hörte er eine helle Stimme. Um die nächste Ecke kam eine weibliche Person, dicht hinterher folgten zwei Männer. Sie kamen auf ihn zu, er drückte sich in die dunkle Durchfahrt eines Hauses.

»Lassen Sie mich meinen Weg allein gehen!« hörte er. – Ja, das war Metas Stimme.

»Tun Sie doch nicht so spröde, mein Goldköpfchen«, sagte im vertraulichen Ton der eine der Herren.

»Sie brauchen sich vor uns wirklich nicht zu genieren!« sagte der andere. »Kommen Sie, wir nehmen eine Droschke, fahren zu Rubner, essen gut, trinken 'ne Flasche Champagner und liefern Sie ganz unbeschädigt wieder in Ihrer Wohnung ab.« – Er legte den Arm um ihre Taille.

Sie stieß den Zudringlichen zurück: »Lassen Sie mich gehen, ich rufe sonst um Hilfe.«

»Nützt nichts, mein Täubchen.« Der weinerhitzte Jüngling breitete beide Arme aus und vertrat ihr den Weg.

»Lassen Sie das Mädchen gehen«, tönte da aus dem Dunkel des Torwegs eine Stimme, Hans Thordsens kräftige Gestalt schob sich zwischen die Jäger und ihr Wild.

Ärgerlich über die Störung hob der eine seinen Stock. »Was geht Sie das an?« schrie er.

Da packte ihn der Seemann an der Brust und stieß ihn zurück, daß er taumelte. – »Komm, Arthur«, rief sein Freund. »Die hat sich schon verabredet!« Nach einigen Worten hin und her traten die beiden den Rückzug an und verschwanden hinter der nächsten Ecke.

Wohl eine Minute herrschte Schweigen.

»Warum lauerst du mir auf, Hans Thordsen?« fragte sie dann mit scharfer Stimme.

»Ich? Lauern?« – Er machte eine Verlegenheitspause und sann einen Augenblick nach. Er war an das Lügen nicht recht gewöhnt, so sagte er denn vorwurfsvoll: »Ist das der Dank, daß ich dir die beiden Bengel vom Halse hielt?«

»Du hast spionieren wollen!« parierte sie prompt. Er sah sich erkannt.

»Ja, ich bin dir nachgegangen«, sagte er zögernd. »Du kannst dir doch wohl denken, daß ich ganz erstaunt war, dich hier in Hamburg zu sehen.«

»Und noch dazu im Tingeltangel«, ergänzte sie. »Und da dachtest du, ich sei liederlich geworden, und da wolltest du mir – –«

»Das ist nicht wahr!« brauste er auf. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, als er dann heftig hervorstieß: »Wie kannst du mir solche Gemeinheiten zutrauen? – Bin ich dir jemals zu nahe getreten mit einem Wort? – Weil wir doch zusammen Kinder waren, und weil du mich auf Schnarstruphof gepflegt hast, darum – darum bin ich dir nachgegangen.«

Der Ton seiner Stimme sagte ihr mehr, als die Entschuldigungsgründe, die er stockend vorbrachte.

Sie antwortete nicht gleich. Stumm ging er neben ihr her. Dann sagte sie plötzlich:

»Wann warst du zuletzt in Falshöft?«

»Vor einem Jahr, als ich meiner Mutter Haus verkaufte.«

»Wo ist sie denn?«

»Tot.«

»Ach! – Sie war so gut! Sie wenigstens hatte Mitleid mit mir.«

Ja, sie war gut!« Das kam Hans Thordsen aus dem Herzen, und dabei fiel ihm etwas ein: »Sie hat auch niemals gelitten, daß man Schlechtes von dir redete, als du weg ...«, er stockte.

»Sprich's nur gerade heraus: als ich bei Nacht und Nebel weggelaufen war. – Man wußte auch wohl warum. Ich war natürlich eine ganz schlechte Person, wie die ganze Sippe von der Birk es von jeher gewesen war. Nicht wahr, so hieß es?«

»Man redete allerlei«, war die halbe Zustimmung. »Man sagte, du seiest nach Amerika ausgewandert.«

»So? – Glaubten sie, ich sei in Amerika? – Das wollte ich auch; niemand sollte wissen, wo ich sei. Ich wollte tot sein für die Gegend da.«

»Dann hieß es, daß es dir schlecht gehe und du hättest um Geld geschrieben.«

»Wer hat das gesagt?«

»Dein Vater. Mit dem Brief ist er bei Thomas Ottsen gewesen, und das hat einen fürchterlichen Skandal gegeben.«

Da fuhr sie auf: »Er ist ein Schwindler und Betrüger. Wo ist er?«

»Ich weiß nicht. Von der Birk ist er fort, man meinte nach Amerika zu dir, er wollte – –«

»Er wollte Geld haben«, ergänzte sie. »Da wird er den Schnarstruphofern vorgelogen haben, er käme in meinem Auftrag. – Ich will von den Ottsens nichts, keinen Pfennig will ich!« Sie blieb stehen, ihre Augen funkelten ihn an. »Nun glauben die Leute wohl, daß ich –, daß ich – –«, sie suchte nach dem rechten Ausdruck – »daß ich mich mit Peter Ottsen eingelassen habe, um Geld von ihm erpressen zu können. – Nicht wahr, Hans Thordsen, das traut man dem Birkfuchs zu? Die ganze Familie taugt ja nichts. – Ist es nicht so?« – Er zögerte mit der Antwort. »So was ähnliches glaubtest du doch auch, als du mich heute in Samt und Seide sahst?«

»Ich? Nein, ich habe dich nicht für so schlecht gehalten, aber«, und nun klang seine Stimme auch hart, »für leichtsinnig.«

»Du bist wenigstens ehrlich!«

»Das bin ich!«

»Glaubst du denn, daß ich aus Leichtsinn auf der Bühne sitze und zum Vergnügen vor lüsternen Laffen und rohen Gesellen singe?«

»Ja, warum arbeitest du denn nicht?«

»Warum ich nicht arbeite? – Als Dienstmädchen meinst du, denn sonst habe ich ja nichts gelernt. Das habe ich satt bekommen. Ich will dir auch sagen, warum; aber was geht das dich an?«

»Ich habe dich nicht aus Neugierde gefragt, Meta!«

»Hast du nicht? – Na, dann will ich's dir sagen. Auf meiner ersten Stelle erfuhren sie zufällig, daß ich ein Kind habe, da waren sie ganz entrüstet, daß ich das nicht gleich gesagt hatte. Darum kündigten sie mir. Eine »solche Person« wollten sie nicht im Hause haben. Auf der zweiten Stelle mußte ich gehen, weil der Sohn mich nicht in Ruhe ließ, ich gab ihm ein paar Ohrfeigen: da mußte ich denn fort, weil ich nicht leichtsinnig genug war. Ähnlich ging es mir auf der dritten Stelle, nur daß ich hier die Ohrfeigen kriegte. Die Madame merkte nämlich, daß der Herr bei mir herumscharwenzelte. Als er eines Abends vom Dämmerschoppen kam, hatte er Mut. Aber seine Frau stand auf der Lauer und gerade, als ich ihm den richtigen Dämpfer auf die Backe setzen wollte, schlug sie auf mich los. Ich mußte trotz aller Unschuldsbeteuerungen aus dem Hause. Der würdige Ehemann aber spielt weiter den Ehrenmann.«

Mit bitterer Ironie sprudelte sie das alles hervor. Der ehrliche Zorn hatte ihr besser gestanden. Es schien Hans Thordsen, daß die »Kunst« abgefärbt habe, der sie jetzt diente.

»Es gibt noch andere Stellen, wo so etwas nicht vorkommt. Es gibt doch brave Familien genug«, entgegnete er.

»So? – Na, du mußt es ja wissen!« sagte sie schnippisch. »Ich habe mich nachher genug danach umgesehen. Da haben sie mich denn, wo ich mich vorstellte, gefragt, warum ich auf meinen ersten Stellen so kurze Zeit gewesen sei. – Was sollte ich sagen?« – »Es hat mir nicht gefallen«, sagte ich. – »Dann wird's Ihnen bei uns auch wohl nicht gefallen«, hieß es darauf gewöhnlich. Eine Frau sagte mir ganz treuherzig: »Sie sind mir zu hübsch!« – Ich kam dann endlich zu einem Herrn »Direktor«, dessen Frau war ich nicht zu hübsch. Ob ich auch singen könne, fragte sie mich nach ein paar Tagen, sie habe bemerkt, ich hätte eine klare und helle Stimme. Zum Singen war mir gerade nicht zu Mute, aber so kam es denn doch, daß ich sang. Erst hat man mir viel vorgeredet. Ich sollte ausgebildet werden für die Bühne oder als Konzertsängerin. Da würde ich viel Geld verdienen. Na, mein Geld war ausgegeben, mein Kind sollte auch leben. Seit acht Tagen bin ich Tingeltangelsängerin.«

»Das ist ja 'ne böse Geschichte«, war alles, was Hans Thordsen darauf erwidern konnte, sie widersprach nicht. Stumm gingen sie eine Weile nebeneinanderher. Vor einem düsteren Hofeingang blieb Meta Norgaardt stehen und reichte ihm die Hand: »Adjüs, Hans!«

»Wohnst du hier?«

»Ja, aber was ich dir noch sagen wollte: wenn du nach Hause kommst oder schreibst, sage es keinem Menschen, daß du mich getroffen hast. Bitte, bitte, Hans, sage es keinem einzigen Menschen!«

»Ich will schweigen, aber es können doch auch andere Bekannte dich treffen; August Ohlsen von Wattsfeld, der als Steuermann auf der »Melitta Dahn« fährt, muß nächstens kommen.«

»Ach, was denkst du denn?! Glaubst du, daß ich lange da bleibe? Nein, mein Junge, das fällt mir gar nicht ein.«

Ja, was willst du denn?«

»An's Theater will ich! Sängerin werden will ich. So 'ne richtige Sängerin, wie sie im Carl-Schultze-Theater singen und viel Geld verdienen.«

Er schüttelte bedenklich den Kopf.

»Ja, das will ich aber. Höher hinauf will ich! Ich habe eine sehr gute Stimme; ich habe Gold in der Kehle, sagen die Leute.«

Hans Thordsen sah sie mit einem merkwürdigen Blick an, als ob er nicht wisse, ob sie ernsthaft rede oder ihn zum Narren halte, wie sie es früher getan hatte. – »Das wollen wohl viele«, sagte er dann, »aber wenige kommen dahin, die meisten kommen unterwegs um.«

»Wenn ich nur Geld hätte, mich ausbilden zu lassen, dann wollte ich's bald erreichen«, sagte sie. »Nun muß ich allerdings durch den Schmutz nach oben steigen. Einen anderen Weg gibt es nicht für mich.«

»Ein böser Weg!«

»Was geht's dich an! Ich will meinen Weg schon finden. Ich bin so was ja gewohnt.«

»Ein gefährlicher Weg!«

»Mühsam und langsam. Vielleicht habe ich aber auch mal Glück. Es ist schon oft vorgekommen, daß reiche Kunstfreundinnen arme begabte Mädchen ausbilden ließen. Unser Direktor hat davon erzählt.«

»Oder auch Künstlerinnen-Freunde. Ich meine solche, wie die beiden, die dir vorhin nachliefen!« Hans Thordsen hatte genug von der Welt gesehen, um in diesem Punkt mißtrauisch zu sein.

Zornig fuhr sie auf: »Ich denke, du hast gesehen und gehört, wie ich mir die vom Leibe halte. Und, sag' mal, wie kommst du dazu, mir so was zu sagen. Dazu hast du kein Recht! Adjüs, Hans Thordsen, halte Wort, hörst du! – Gib mir die Hand darauf!«

Er reichte ihr die harte, schwielige Rechte und fühlte den Druck ihrer warmen, kleinen Hand.

»Adjüs, Meta!« dann war sie im Torweg verschwunden.


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