Achim von Arnim
Die Kronenwächter
Achim von Arnim

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Drittes Buch

Erste Geschichte
Die Hochzeit

Die ewige Lampe vor dem Bilde der heiligen Mutter, welche Frau Hildegard bei der Genesung Bertholds gestiftet hatte, war schon sichtbar, auch die messingenen Kronen glänzten durch die offenen Fenster des Rathauses, als eine neue Erleuchtung bei dem großen Röhrbrunnen des Marktes für die armen Frauen eingerichtet wurde, die dort mit großer Emsigkeit zinnerne Schüsseln und Teller abscheuerten, welche von den Hochzeitgästen auf dem Rathause geleert waren. »Wie der steinerne Ritter sein Laternchen so schön über den Brunnen hält, als ob er drin krebsen wollte!« sagte die eine der Frauen. – »Das war noch ein guter Einfall von dem Anton«, meinte die andre, »dafür schenk ich ihm das große Stück Schinken, das hier auf der Schüssel blieb.« – »Und ich schenke ihm den Backfisch«, sagte die andre, »aber er muß mir einen Kuß geben.« – »Ich gebe keinen Kuß!« brummte Anton und begnügte sich mit dem Schinken. – »Was das für ein Junge ist«, sagte die andre, »es gäbe mancher etwas darum, wenn ich ihm einen Kuß anböte, und der nähme lieber einen Backenschlag dafür an. Was treibst du dich bei den Weibern herum, wenn du nicht willst geküßt sein, Anton!« – »Ihr denkt wohl, ich komme euretwegen hieher«, sagte Anton, »mein Alter hat Weidenruten in den Brunnen gelegt, damit sollt ihr gestrichen werden, wenn ihr die Schüsseln nicht reiner abwascht, schreit nur nicht, – die Weidenruten braucht er zum Flechten der Ehrenpforte an Bertholds Haustor, und die Ehrenpforte, um das Gerüst zu verstecken, das wir auf Befehl der Frau Hildegard heimlich erbauen, um morgen in aller Frühe das Bild der heiligen Mutter aufzufrischen, wie sie zur Vermählung ihres Sohnes gelobt hat. Denkt euch, bis Mittag soll das alles fertig sein.« – »Das ist recht«, sagte eine Frau, »so verdient Ihr doch auch was und die heilige Mutter war gar nicht mehr zu kennen.« – »Mir ist's nicht recht«, sagte Anton, »denn meinem Alten schwindelt da oben auf dem kleinen Gerüste und da muß ich früh auf und muß alles allein pinseln.« – »Ich geh dir auch einen Kuß dafür«, sagte die eine Frau. – »Lieber lauf ich gleich davon«, antwortete Anton und ging mit seinen Weidenruten und grünen Zweigen nach Bertholds Hause, aus welchem die Waisenknaben jetzt wieder eine Reihe der seltsamsten Backwerke nach dem Rathause unter Fackelbeleuchtung trugen. Die Weiber liefen vom Brunnen, ließen ihre Eimer überlaufen unter den Röhren und ihr heißes Wasser kalt werden, um diese Wunderwerke, die Türme und Gebirge aus Teig und Früchten zu bewundern. – »Gott ist mein Zeuge«, sagte die eine, »aber wie die Brautmutter mit dem Teige umzugehen weiß, das geht nicht mit rechten Dingen zu: das läuft ihr unter den Händen auf, da bleibt nichts sitzen, das hat sie noch im Kloster von der vorigen Äbtissin gelernt, die jetzige weiß um so weniger davon, da kochen sie jetzt zum Erbarmen und die Nonnen sehen aus, wie Gespenster. Die werden sich freuen, über die guten Gerichte, die ihnen heut die Brautmutter ins Kloster geschickt hat.« – »Hat sie denn alles allein gekocht?« fragte eine andre. – »Warum nicht gar, wie kann ein Mensch so einfältig fragen«, sprach die andre, »ich habe gesehen, wie sie sich unter einander in der Arbeit geteilt haben. Die Braut hatte die Aufsicht über alle Braten, Meister Kugler schlachtete alles aus, Frau Hildegard besorgte die Suppen und das gekochte Fleisch, Frau Apollonia gab sich allein mit dem Backwerke, mit Pasteten und Kuchen ab, und der Meister Sixt kochte die Fische nach seiner niederländischen Art, bloß aus Wasser und Salz, und bereitete aus tausenderlei Zeugs die Tunken, ich konnte ihn gar nicht ansehen, wie er sich dabei hatte; als er kostete, habe ich ihn mit der Nase unversehens hineingestoßen, daß die ganze Küche lachte. Aber hört, etwas muß ich euch erzählen, das wird mir keiner glauben, in dem Hause ist ein Kobold, Gott weiß, ob es sie Seele des armen Bergmanns ist, der im Brunnen liegt, aber ich ginge um keinen Preis an den Brunnen. Hatte gestern allerlei Kessel und Eimer, die wir beim Schlachten brauchten, an den Brunnen im Garten gestellt, in der Küche war kein Platz, nun blieben aber die Herrschaften am Brunnen bis zur Nacht, so konnte ich nichts abscheuern; heute morgen finde ich alles so blank gescheuert, wie es kein Mensch auf Erden zu Stande bringt; das war böse Teufelsarbeit, aber ich dankte Gott dafür, denn wir hatten keine Zeit.« – »Der Teufel kann immer schon ein Stück Arbeit für uns tun, wenn wir nur nicht dabei sind«, meinte eine andre, »Narrenpossen sind's, in dem Hause gibt's viel Leute, wer weiß, welcher sich über die Kessel hergemacht hat.« – Die andre stemmte beide Arme in die Seite und wollte eben zanken, da wurden aber die großen Schüsseln herunter getragen; was jeder Gast für die Seinen nach Hause schickte, das wollten sie alle sehen. Da hieß es: »Der Vogt hat sich am besten bedacht, der Alte kann auch nur wenig essen, begnügt sich mit der Tunke, da wird sich die alte Ausgeberin freuen.« – »Dafür hat er uns auch die Straße nach dem Bleichplatz zubauen lassen«, sagte die andre, »das vergebe ich ihm und dem Berthold nimmermehr!« – »Dafür läuft jetzt das Wasser durch den Bleichplatz«, sagte die andre, »das ist mir mehr wert als ein paar Schritte, die ich umlaufen muß, eine Liebe ist der andern wert!« – »Wir könnten aber beides haben«, sagte die andre, »die Bürgerschaft hätte es nicht leiden sollen, aber die Einladung zum Hochzeitschmaus hatte alle zu stummen Hunden gemacht, die vorher so laut klafften.« – »Und beim ersten Kinde will er zur Taufe einen gleichen Schmaus geben«, sagte die andre, »das kratzt er alles vom Tuche ab, davon ist es auch so dünn, daß einer jetzt Mohn durchsäen kann. Wenn es nur bald ein Kind gäbe, aber die reichen Leute müssen immer eine Weile darauf warten, wo es uns Armen immer zu früh kommt. Was sie wieder blasen! Das ist eine rechte Gesundheit! Da zerschmeißen sie alle Gläser! Nun, das ist auch recht, so ein Glas, woraus eine ordentliche Gesundheit getrunken ist, soll auch zu nichts anderm gebraucht werden, sonst schadet's; der Teufel weiß überall sich einzuschleichen, er hat einen spitzen Kopf und ist wie die Schlange beschaffen, wo die mit dem Kopf durchkommt, da zieht sie den Leib nach. Hört nur, ich glaube, die Stadtpfeifer schlagen sich mit den fremden Fiedlern und sie haben doch alle zu essen; an den Tag will ich mein lebelang gedenken, von der Hochzeit werden noch Kinder und Kindeskinder reden!«

Unsre Stadtleute sprechen von großen Festschmäusen, als von einer Fronarbeit, der nur ein Fremder durch anders gefärbte Einfälle Reiz verleihen kann. Dieser Überdruß kommt aber vom Überfluß solcher Feste, die in manchen Kreisen zum Alltäglichsten gehören, so daß jeder Leichnam schon aus der Gewohnheit voraus weiß, wie viel beschwerter er sich am Schlusse des Festes, als im Anfange fühlen werde. Wie können sie sich in Festlichkeiten alter Zeit versetzen? Die höchste Lust muß ihnen widrig erscheinen! Auf dem Lande sind wir jener Zeit schon näher, die Speisen selbst haben eine geistige Berührung mit unsrer Tätigkeit und Einsicht, weil sie nur mit Klugheit der widerstrebenden Witterung abgewonnen, in ihr gezogen und geerntet werden konnten. Wer überdies Monate in seiner Hauswirtschaft zugebracht hat, der ist schon erfreut, andre fremde Gesichter bei sich versammelt zu sehen, das Gespräch scheint sogar störend, so lange der Genuß dauert, und nur der Tafelmusik möchte man ein Recht einräumen, das Herz unbewußt anzuregen. Solch ein Fest, durch bedeutenden Anlaß erzwungen, nicht müßig erdacht, hat auch seinen Zwang zur Lust und diese fehlt nimmer, niemand naht sich der Türe ohne mitzugenießen, und selbst die, welche zu Hause bleiben, erhalten ihren Anteil durch das Heimgesandte, und lassen dann auch Gott einen guten Mann sein. Aber neben der Lust sind auch Streitigkeiten nicht selten, keiner hat einen Grund, sich zu verschließen und da die Mitteilung selten ist, so ist sie auch heftiger, insbesondere wenn die Lebensfülle sich im Genusse scheinbar erhöht und über ihre Schranken steigt. So war es im Lande der Ditmarsen gewöhnlich, das Leichenhemde zu den Hochzeiten mitzunehmen, weil keine ohne Kampf und Mord endete.

Auch Bertholds Hochzeitfest war nicht ohne Schimpf und Unfrieden. An dem Herrentische blieb es freilich bei einigen stachligen Reden, die ein trunkner Schuhmacher über den Brunnen und die verbaute Straße mit Anspielungen auf den Ehestand fallen ließ; bei dem Tische der Stadtpfeifer ward es dagegen ernsthafter, denn da ging's zugleich um Kunst und Lebensunterhalt, auch gab sich keiner die Mühe, wie der Ehrenhalt am Herrentische, gute Ordnung zu bewahren, vielmehr hetzten manche Bürger die Stadtpfeifer, die fremden Meistersänger und die Fiedler gegen einander, weil sie sich in ihrer Tücke so grundlächerlich darstellten. Nun weiß jeder, daß ein Hauptunterschied zwischen den Menschen darin liegt, daß ein Teil durch den Weinrausch unbändig froh und der andre grundlos traurig wird; wie ist da ein gutes, verständiges Vernehmen möglich, insbesondere wenn es sich gewöhnlich noch dabei findet, daß die nüchtern Lustigen trunken traurig werden, und die nüchtern Ernsten im Rausche an den Scherz jener heransteigen, die Leute fühlen sich unter einander ausgetauscht und schlagen sich, ihre Seele wieder zu gewinnen. So war zum Feste ein lustiger, ältlicher Sänger des Herzogs von Bayern, mit Namen Grünewald angekommen, der in Augsburg sich in Annen verliebt, wie es ihm mit allen schönen Mädchen erging, auch bald seine Liebe bei allen Banketten besungen hatte, ohne daß die Leute eigentlich wußten, auf wen seine Liebesnoten anspielten. Er hatte Annens Wohnung endlich ausgeforscht und in Verzweiflung, daß ihr Fenster sich nie seinem Gesange öffnete, weil sie längst fortgereist war, hatte er sich dem Weine, ohne Berechnung seiner Kasse so lange ergeben, bis der Wirt seine vollgekreidete Wandtafel überrechnete, Zahlung forderte und als er diese nicht leisten konnte, ihm den Mantel nahm. Das kümmerte den Sänger wenig, er setzte davon ein lustig Liedlein, schimpfte darin den Wirt wacker aus, dem er mit seiner Lustigkeit viel Gäste ins Haus gelockt hatte, ging mit dem Liede zum reichen Fugger und erzählte darin zum Schlusse, daß dieser seinen Mantel ausgelöst habe. Der gute Fugger tat, wie von ihm erzählt worden, löste den Mantel nicht nur aus, sondern gab auch dem lustigen Grünewald ein Zehrgeld auf die Reise, aber mehr als Geld schenkte er ihm in der Nachricht, wohin die schöne Anna gezogen, was Fugger aus Fingerlings Handelsbriefen erfahren hatte. Grünewald küßte ihm die Hände aus Dankbarkeit, nahm ein Schreiben als Empfehlung und schritt stolz in seinem Mantel vor dem Wirtshause vorbei, dessen Wirt ihm so teure Zeche angekreidet hatte. Der Wirt sah sich eben nach Gästen um, als der Sänger vorbeizog, und gähnte, da erhob sich ein Windstoß, blies den Mantel gar stolz auf und warf dem Wirte den Flügel eines Fensters, das eben offen stand, auf die rote Nase. Dies Geschichtlein hatte Grünewald auf dem Wege einem Kunstgenossen vertraut, aber es ganz geheim zu halten gebeten, als er mit diesem zum Hochzeittage in Waiblingen ankam, wo er sich als ein reisender Sänger der Gesellschaft durch Lieder und der schönen Anna durch Fuggers Brief so gut empfahl, daß er von Berthold allen einheimischen Sängern vorgezogen wurde. Die Bayern und Schwaben sind aber nicht bloß in der Sprache, sie sind in ihrem ganzen Wesen sehr verschieden, jene trinken Bier, diese Wein, jene sind schwerer und ernster, diese lustig und schnell, es kam daher den Stadtpfeifern seltsam vor, daß ein bayerischer Sänger ihnen den Preis der Lustigkeit nehmen sollte. Die Schwaben sangen: »Unser Herrgott ist auch kein Bayer« und andres mehr, was dem Grünewald schon zu Kopf steigen konnte, aber er antwortete mit der »Schwabenbeichte«; sie sangen von der vierbeinigten, bayerischen Nachtigall, er achtete dessen wenig, denn wie er mehr trank, ging es ihm immer trauriger zu Herzen, daß Anna sich an dem Tage vermähle und daß er nicht der Bräutigam sei. Kaum merkte der Oberpfeifer Haring, daß er traurig wurde, so hielt er das für Verzagtheit und rückte mit lustiger Bosheit gegen ihn an. Er hatte eben das Geschichtlein des Mantels von dem Kunstgenossen erfahren, gab sich das Ansehen, welsch reden zu können, indem er viel Schimpfwörter aller Völker in allerlei fremdes Geschrei einmischte und sprach zu einem Schüler so erzählend, indem er abwechselnd auf den Mantel des Sängers hinwies, auch wohl den Mantel anfaßte, doch halb verstohlen, und Geld zählte. Grünewald merkte nun wohl, daß er verraten sei, die Beschämung erregte seine Galle. Um Haring zu ärgern, machte ihm Grünewald boshaft nach, wie er beim Blasen seine Backen dehne und nichts heraus bringe. Haring schlug ihm auf die Backen, daß der bayerische Wind hinaus fahre. Grünewald zog sein Messer, die Kunstpfeifer rissen es ihm fort, drängten auf ihn ein, er war zur Rathaustüre hinaus gedrängt, ehe er zur Besinnung kam. Der Stadtpfeifer warf ihm ein Becken auf den Kopf und rief ihm zu: »Gott geleite Euch.« Darüber lachten die Weiber am Brunnen gar unmäßig und Grünewald wollte wieder die Treppe hinanstürmen und neues Geprassel von Töpfen stürzte über ihn her, ehe Berthold und der Ehrenhalt es hindern konnten. In seinem Rausche, glühend und kühl durchnäßt, lief er hastig am Markte umher und regte alle Jammertöne seiner Zither, die ihm um den Leib hängen geblieben. Ernst sprachen die Sterne zu ihm und mit Trauer die hohen Häuser, er hätte immer wieder zu Annen hinaufstürmen mögen, die Beine trugen ihn aber unsicher, wohin sollte er sich wenden? Er sank an der Ehrenpforte nieder, über der Anton die letzten Bretter seines Malergerüstes befestigte. Da sich inzwischen nach Wegnahme der Tische in den Rathaussälen, alles zum Reihentanz geschickt hatte, also die Pfeifer und Fiedler vollauf zu tun hatten, die Weiber am Brunnen aber an die Fenster neugierig sich drängten, so hatte er Muße, seinem Geschicke nachzudenken, wenn er nur Vernunft dazu mitgebracht hätte, aber sein Nachdenken bestand immer nur im Erzählen. Erst sprach er mit sich selbst, dann stieg Anton vom Gerüste herunter, und er fand an dem Maler einen gutmütigen Zuhörer. Er berichtete diesem, daß er gar berühmt und geachtet sei, so wenig es ihm jetzt einer ansehe und so wenig Ehre ihm der verdammte Stadtfiedler übrig gelassen. »Wenn ich so ein Glas zu viel getrunken habe«, sagte er endlich, »da kommt es mir immer vor, als ob ich ein Kaisersohn und einst in einem gläsernen Schlosse bei einem Löwen gewohnt habe, doch will mir das kein Mensch glauben.« »Ich glaube es Euch wohl«, sagte Anton, »aber seid froh, daß Ihr aus dem Neste fortgekommen seid.« – »Warum das, was wißt Ihr davon?« fragte Grünewald. – »Ich meine nur«, antwortete Anton, »das Schloß hätte in Stücken gehen und Ihr drein treten können.« – »Meinetwegen«, antwortete Grünewald, »mag es nur so ein Traum mit dem Schlosse sein, aber das ist gewißlich wahr, daß ich, wie Moses auf einem Baumaste schwimmend bei Bregenz ans Land getrieben bin und da hat mich leider keine Königstochter, sondern ein alter Hofnarr zu sich genommen, der hieß Konrad Naftsger aus Limpurg, von dem habe ich Zitherspiel und Meistergesang gelernt, habe schon dreimal im Wettgesang das Gehänge gewonnen und bin in Nürnberg zum Meister gemacht. Da gaben mir alle Ratsherren ein großes Fest und die Stadtpfeifer bliesen vor meinem Fenster. Oft ist der Herzog von Bayern Abends zu mir gelaufen, ein Buhlenlied sich zu bestellen, und manche Fürstin drückte mir die Hände. So schlecht, wie hier, ist's mir noch nirgends ergangen und ich kann nicht glauben, daß ihr hier sonderlich lustig seid.« – »Wir sind hier nach unsrer Art auch recht lustig«, meinte Anton, »aber grob sind wir auch ein wenig.« – »Es scheint mir«, sagte Grünewald, »als ob die Leute hier gar nichts von zierlichen, ritterlichen Festen wissen, ihr seid hier wie die Böhmen.« – »Wie sind die?« fragte Anton. – »In Böhmen ist es noch schlimmer, davon hat Konrad, mein Meister erzählt, ich muß es Euch schon vorsingen, auf daß Ihr daraus erseht, wie es mir nicht allein bei solchen Freßgelagen übel ergangen ist, und daß ich armer Narr mich endlich auch trösten kann.

                    Der Böhmen König gibt ein Fest;
Auf goldnem, reichbesetzten Tisch
Steht ein verstecktes Narrennest,
Ein ungeheurer Riesenfisch.
Der König schneidet in den Bauch,
Da springt ein kleiner Kerl heraus,
Bekleidet nach Prophetenbrauch
Und gibt sich für den Jonas aus,
Und küßt des Königs Gnadenhand,
Die aus dem Fische ihn befreit,
Das Kerlchen spricht so schlau gewandt,
Daß es den König recht erfreut.

»Wer bist du Zwerglein«, spricht der Held,
»Sei mir willkommen bei dem Schmaus,
Was treibt dich in die weite Welt,
Wo bist du kleiner Mann zu Haus?«
Er spricht: »Ich bin ein Narr fürs Geld,
Ein Narr ist überall zu Haus,
Ich bleibe, wenn es Euch gefällt,
Ich gehe, wenn mein Witz zu kraus.
Beim Herrn von Limpurg war ich lang,
Der war zu sanft, ich sprach zu hart,
So machte ich zu Euch den Gang,
Um mich zu freun an Heldenart.«

Der König ruft nun seine Narrn,
Um ihn zu prüfen, ob er klug,
Und ihn zu fangen in dem Garn,
Mit einem list'gen Narrenzug;
Zwei alte Tölpel stolpern her,
Mit buntem Kleide angetan,
Doch ihre Zungen sind so schwer,
Sie greifen an den kleinen Mann,
Mit lahmen Späßen ohne Mut
Und wären lieber wieder fort,
Doch unser Kleiner gar nicht ruht,
Er schenket ihnen gar kein Wort.

Der Kleine übermeistert sie,
Im fremden Land gilt der Prophet,
Er fürchtet keinen, scheut sich nie,
Er weiß es nicht, wie es dort steht.
Die großen Tölpel werden stumm,
Der König nimmt ihr hölzern Schwert
Und spricht: »Ihr Narren seid zu dumm,
Der Kleine ist des Schwertes wert,
Ihr geht, der Mann im roten Kleid,
Wird eure Löhnung zahlen aus!«
Der Kleine schmückt sich voller Freud,
Die beiden gehen voller Graus.

Der Kleine höhnt sie wacker aus,
Ein jeder Einfall neue schafft,
Nie dauerte so lang der Schmaus,
Wie mundet heut der Rebensaft,
Der König sagt zu allen laut,
Daß er noch nie so lustig war,
Dem Kleinen hat er ganz vertraut,
Er sagt, was wahr, er trinkt, was klar,
Der Narr belehrt den klügsten Rat
Und wendet jeglichen Verdruß,
Der Kleine denkt: »Es ist ein Staat,
Wo mir ein jeder gut sein muß.«

Da bringt der Mann im roten Kleid
Noch eine Schüssel seinem Herrn,
Der sieht hinein mit Schadenfreud,
Und tut sie wieder dann versperrn.
Doch unser Narr ist schon so dreist,
Er blicket durch den Spalt hinein,
Obgleich der König es verweist,
Der Narr fängt kindisch an zu schrein.
»Herr«, spricht er, mit gebrochner Stimm,
»Zwei Menschenhäupter liegen drin;
Wer reizte Euren edlen Grimm,
Mit Frevel oder Eigensinn?«

»Mit nichten«, spricht der König kalt,
»Die beiden hab ich nicht gehaßt,
Sie wurden mir nur allzu alt,
Und haben hier nicht mehr gepaßt,
Es sind die Narren, die allhier
Dein guter Witz schnell überwand,
Was sollten sie nun ferner mir,
Du hast sie in ihr Nichts gesandt,
Ein kluger Mann, wenn er verdummt,
Erweckt noch aller Narren Witz;
Was ist ein Narr, der je verstummt,
Er ist auf Erden nichts mehr nütz.«

Das läuft dem Narren kalt wie Eis
Durchs Rückenmark zu Zung und Mund,
Dann wird ihm wieder glühend heiß,
Er spricht aus bangem Herzensgrund:
»Der Teufel sei hier Narr fürs Geld,
Denn wagte ich mein Leben gern,
So wär ich auch ein großer Held
Und nicht ein Narr für große Herrn,
Ich spring zurück in meinen Fisch,
Der Narren Blut löscht allen Witz:
Wer junge Narren braucht am Tisch,
Der gönn den alten ihren Sitz.«

Bei den letzten Worten fing Grünewald zu lachen an: »Ich will dem alten Stadtpfeifer gern seinen Platz gönnen, dies liebe Städtlein hat kaum eine Straße und auch die ist nur halb gepflastert, ich möchte hier nicht begraben sein, wenn Anna nicht bei mir läge. Das Fest ist auch jetzt vorbei, sie kommen herunter und ich bin schon hier. Anna soll leben, hoch, hoch und immerdar hoch.« Der Fackelzug führte sie eben nach ihrem Hause vorüber, ein seliger Anblick. Als alle vorüber waren und nur der Abfall der Fackeln von der leuchtenden Erscheinung noch am Boden verglühte, sang Grünewald zu den Fenstern Annens hinauf:

                Nun kenne ich die Nacht
Und ihre Flammenspur,
Und hemme meine Uhr,
Daß spät der Tag erwacht,
Und schließt die Läden dicht,
Dem ersten Morgenlicht.
Eh' Licht kann werden, bringt die Nacht,
Der Schöpfung dunkle Freuden sacht;
Ich kenne die Geschichte
Und nehme die Gewichte,
Die Räder und die Glocken,
Aus meiner Uhr bedacht,
Sonst schlägt sie in der Nacht,
Und ich fahr auf erschrocken.
Nun steht die Zeit ganz still,
Des freu sich, wer da will,
Des freuet sich alsbald
Der treue Grünewald.

Anton sah verwundert den Mann an, der so in einem Atem lachen und weinen, belustigen und rühren wollte, aber er trug ein brüderliches Herz zu ihm und nötigte ihn, da er ohne Obdach, sein Lager mit ihm zu teilen.


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