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Das kleine Mahl war längst verzehrt und noch immer wurde von den Merkwürdigkeiten des Reichstags und von den Festlichkeiten, welche die Vermählung feiern sollten, gesprochen. Die Jungfrau Anna konnte ihre Vorliebe für die ritterlichen Spiele, für das Gesellenstechen, das am andern Tage gegeben werden sollte, nicht verbergen, obgleich sie nie etwas der Art gesehen und eben so wenig von dem Wesen dieser Spiele gehört hatte. Da fühlte sich Berthold recht im Mittelpunkte seiner Kenntnisse, Tage lang hatte er an einzelnen kunstreichen Stücken, die von den Stechen erzählt wurden, spekuliert, sie zu zeichnen sich bemüht, auch alle Gesetze und Gewohnheiten der Turniere mit seinem Freunde Rüxner gemeinschaftlich gesammelt, sein Gedächtnis bewahrte ihm jedes berühmte Turnier und die Namen derer, welche Preise gewonnen hatten. Er unterrichtete die Frauen von dem hohen Altertume der Kampfspiele unter den Deutschen, die nicht wie bei andern Völkern der alten Welt als ein müßiges Schauspiel für die größere Menschenzahl, sondern als eine allgemeine Belustigung aller ritterlichen Männer geachtet wurden, bei welcher nur Frauen als Zuschauer zu beachten waren. »Vor allem war das Rennen mit Spießen immerdar hochgeehrt«, sagte er, »und der große Kaiser Heinrich der Vogler hat zuerst einen großen Reichsverein darin gestiftet, den Adel gegen Verwilderung zu schützen und ihn dem übrigen Volke als Vorbild aufzustellen. Wer gegen den christlichen Glauben Untreue erwiesen, gegen des Reiches Beste gefrevelt, Frauen entehrt, die Ehe gebrochen hatte, wer meineidig und siegelbrüchig erkannt, wer feldflüchtig erfunden aus Feigheit der Verrat, wer gemordet, wer Kirchen, Witwen oder Waisen beraubt hatte, wer Wein oder Getreide gegen die Kriegsordnung zerstört, wer ohne Grund und Kriegsordnung befehdet und Straßenräuberei getrieben hatte, sollte sein Pferd verlieren und auf die Schranken des Turnierplatzes gesetzt werden. Diesen Gesetzen fügte Meister Philipsen, des Kaisers Schreiber noch zweie hinzu, nämlich, daß auch die ausgeschlossen wären, die sich mit der Kaufmannschaft abgegeben und die ihren Adel nicht mit vier Ahnen beweisen könnten.« – »Bei uns hätten die Reichen dem Meister Philip die beiden letzten Gesetze nicht zugegeben«, meinte Frau Zähringer, »jetzt werden die reichen Fuggers höher geachtet, als tausend adlige Heckenreiter, die hier außen in den Vorstädten den Juden ihre Beute verkaufen.« – »Meine gute Frau«, sagte Berthold, »als jene Gesetze angenommen wurden, hatten sie gewiß ihren Grund, der Adel durfte sich nicht in fremdartigen Geschäften zerstreuen, der nahen Reichsfeinde gab's zu viele, auch mußte er sich für ein geschlossenes Ganze im gewissen Sinne halten, sollte er anders der Ehre sich als Opfer bringen. Demnach konnte der Kaiser wohl den Adel verleihen, aber erst die in mehreren Geschlechtern geprüften Abkömmlinge erhielten das volle Recht des Adels. Darauf haben die Zünfte der reichen Städte ähnliche Turniere bei sich eingerichtet und seit Jahren schon sind die großen Turniere der vier deutschen Lande ins Aufschieben gekommen. So wechselt alles gar seltsam, was nicht nach der Zeit sich richten, oder die Zeit überwältigen kann. Statt die andern deutschen Lande, wie sie aufblühten, in gleiche Rechte mit den früher Geordneten einzusetzen, statt eines freundlichen Verkehrs und Zusammenhaltens mit den Städten, trennte sich alles in herkömmlichem Stolze. Wir werden noch mehr erleben, bald meinen die Bauern Fürsten zu sein, geben keinem mehr eine freundliche Antwort, man braucht sie nur anzusehen, so gehen einem die groben Knollfinken zu Leibe. Der Bundschuh in der Fahne der Speyerschen Bauern im Aufruhr bezeichnete, daß sie ihn so hoch ehrten, wie eines Ritters Stiefel mit dem güldnen Sporn, dieser Aufruhr ist gewiß nicht der letzte gewesen, besonders in den geistlichen Landen, wo die Last doppelt drückt und weltlicher Prunk mit geistlichem zusammen bestritten werden soll.« – »Ja«, sagte Frau Zähringer, »wenn ich so einen Bettelmönch aus dem Bistum sehe, wie er mir mein sauer verdientes Brot abtrotzt, um es nachher für Wein in der Schenke zu verhandeln, da möchte ich ihm mit meinem Bundschuh gern auf die Platte schlagen und mit den Bauern rufen: Was ist das für ein Wesen? Vor Mönchen mag keiner genesen« – »Sonst war alles anders«, fuhr Berthold fort, »das strenge, arbeitsam Leben dieser Mönche befriedigte zu Hause alle ihre Bedürfnisse und nur, wenn sie mit geistlichem Troste zu den Leidenden umher gingen, bedurften sie eines geringen Unterhalts, der kaum bemerkt wurde gegen die Fülle höherer Unterhaltung, die ihr Wort verbreitete.«
Während dieses Gesprächs war die Tochter, die in der vorigen Nacht arbeitsvoll und erwartungswach nicht zum Schlafe gekommen war, auf ihrer Hand eingeschlummert, dem guten Berthold gegenüber, der mit scheuem Vergnügen auf die von Schlaf und Traum lebhaft bewegte, heftig atmende Jungfrau hinblickte, denn alles war gut an ihr, wie in der Welt nach den Schöpfungstagen. »Daß dem lieben Kinde nur nicht die Hände einschlafen«, sagte er endlich in Verlegenheit, »sie liegt damit an der scharfen Kante des Tisches und klemmt ihr Herz ein, es scheint ihr sehr heiß.« Die Mutter nahm ein Näpfchen mit Weihwasser, sprengte damit über die Brust des Mädchens, daß diese aufschreckte und rief dann, daß ihr der Segen wohl bekommen möge nach dem Schlafe. – »Ich habe nicht geschlafen«, sagte Anna, »ich hörte noch von dem Stechen und wie der fremde Herr Bürgermeister den Preis und Dank gewonnen hat, wie er ihn mir darreichte und wie ich darüber so glücklich war.« – Die Mutter verlachte ihre Einbildung, aber dem Bürgermeister war das Blut glühend heiß in die Stirn getreten; Anna hatte mit dem Traume die vieljährige Sehnsucht seines Herzens zu Worte kommen lassen, der er so lange nur heimlich nachgehängt, weil sie während seiner Schwäche als Wahnsinn erschienen wäre. Er konnte dem innern Drange, dem äußern Rufe zugleich nicht widerstehen, er mußte es wieder bestätigen, daß jeder Mensch, früher oder später, einmal ausrasen muß, er rief, daß er beim heil'gen Georg für die edle Jungfrau eine Lanze brechen müsse, der Himmel werde es fügen, daß er den Traum wahr mache, ihr sei der Preis verehrt. Nun bedauerte er, keine seiner Rüstungen mitgebracht zu haben, aber Anna erzählte ihm von einem Waffenschmidt in der Nähe, der immer dergleichen in Vorrat zum Verleihen habe, nur die Mutter warnte ihn, sich in acht zu nehmen, es seien geschickte Stecher in Augsburg. Die Warnung beteuerte seinen Mut, jetzt erst freute er sich, Fingerling aus den Augen verloren zu haben, der hätte ihm Hindernisse in den Weg gelegt; was die Mutter einst dazu sagen würde, brachte er aus dem Kopfe und freute sich nur, wie er für Anna sein Leben an das Ungewohnte setze.
Schnell beurlaubte er sich von Mutter und Tochter und dachte zum Waffenschmidt gehend: Für einen Reiter, der mehr auf dem Pferde, als auf der Erde, mehr in der Rüstung, als im Schlafrock gelebt hat, ist es ein kleiner Dienst, seiner Jungfrau zu Ehren ein Rennen einzugehen, etwa nicht mehr, als wenn ich mich anheischig machte, ihr ein Liederbüchlein schön abzuschreiben; wer aber wie ich, mehr auf der vierbeinigten Bank, oder im Krankenbett, als auf dem Roß und auf der Burg gelagert war, wer wie ich, kein junger Wagehals mehr ist, wer wie ich, vieles kennt, was ihm lieb und wichtig ist, und eine warnende Mutter stets vor sich sieht, der mag sich dieses Dienstes wegen ehren, er opfert ihm alles, was ihn so lange betätigte und beengte.
So kam er an zwei Läden, deren einer mit weiblichen, reichen Tanzkleidern in Gold und Silber, der andre mit schwarzen eisernen Harnischen angefüllt war, alles zur Wahl für diese Tage, wo Tanz und Stechen mit einander wechselten, in heller Beleuchtung zum Kauf und Leihen ausgestellt. Da sah er sich erst zweifelnd nach beiden um und beide Verkäufer nötigten ihn mit guten Worten einzutreten, indem er bei sich bedachte, welches von beiden, der Frauenschmuck oder die Männerwaffen, mehr Heil und Ehre, mehr Unheil und Schande bereiteten. Er fühlte sich stark genug, beides, Heil und Unheil zu ertragen, ging erst in den Laden mit kostbaren Tanzkleidern und wählte eins, das nach seinen Gedanken der schönen Anna besonders gut stehen müsse, ließ es in eine saubre Schachtel einpacken, zahlte und trat dann zu dem Waffenschmidt. Der Meister sah ihn seltsam an, daß er zum Stechen eine Rüstung begehre, denn Berthold war wohl von hohem Wuchse, aber in dem Stubensitzen und Kränkeln etwas dünnlich angewachsen, obgleich er jetzt in seiner Art wohl aussah. »Es gibt hier starke Renner, glaube kaum eine Rüstung Euch leihen zu können, die gut schließt«, sagte der Schmidt.
Somit rasselte er unter allem alten Vorrat herum, der an der Seite auf einem Haufen lag, und schrie endlich: »Gefunden, ein rechtes Prachtstück, in alter Art mit silbernem Blumenwerk ausgelegt, etwas eingerostet zwar, aber dafür seht Ihr eine Merkwürdigkeit an ihr, die soll einem Hohenstaufen gehört haben, ich tauschte sie von einem Hohenemser Grafen ein, der dafür eine nach neuem Zuschnitt annahm, die fest gegen Büchsenkugeln.« – Da griff Berthold mit Eifer zu, lieh sie nicht, sondern gab gleich den geforderten Preis, zog sie an, sie paßte und er gelobte heilig, seinen Ahnen keine Schande zu machen.
Rasselnd in der Rüstung, die Schachtel in der Hand, während ein Knabe des Schmidts ihm die Pferderüstung, samt dem Speer nachtrug, trat er an die kleine Türe des lieben Häuschens, wo er nicht zu klopfen brauchte, da Anna aufmerksam am geöffneten Fenster seiner geharrt hatte. Er nahm dem Knaben alles ab und trat mit freundlichem Gruße zur Frau Zähringer, die bei hellem Lampenschein an ihrem Webstuhl arbeitete. – »Sollte ich mich doch fast vor Euch fürchten«, sagte Frau Zähringer, »erst kamet Ihr friedlich, nun in Waffen, aber ich habe die Furcht überstanden, habe oft während des Kriegs mein kleines Haus mit den Waffen schirmen müssen und der selige Mann gab mir manchmal seine Wehr, wenn er zu müde war, hinaus zu treten und nach den Fremden zu fragen.« – »Ich komme wie ein Kriegsmann, der den Frieden erkaufen möchte«, sagte Berthold, »seht, dieses seltsame Kleid habe ich gekauft, versucht doch Anna, ob es Euch paßt; die, welcher ich es verehren werde, hat gleichen Wuchs mit Euch.« – »Gewiß Eure Frau?« fragte Frau Zähringer, nahm ihrer Tochter den gefalteten, hoch stehenden Kragen ab, zog ihr das Jäckchen aus, daß Berthold den schönen, vollen Hals und Nacken und die sanften Umrisse des Rückens mit selig staunendem Blicke, wie ein neu entdecktes Paradies in bekannter Gegend umspannte und die Antwort vergaß. »Eure Frau kann mit dem Kleide zufrieden sein«, sagte Frau Zähringer, »nie sah ich schöneren Silberbrokat, die Rosen sind recht natürlich darin gewirkt und gar köstliche Spitzen im Besatz.« – »Meine Frau«, antwortete Berthold aus dem Traum aufschreckend, »ich habe keine Frau, ich habe nur eine Mutter, der ich es verehren wollte.« – »Diese Rosen schicken sich nicht für eine alte Frau«, sagte Frau Zähringer, während sie sich über Anna innerlich freute, die einer Kaiserin gleich mit ernst frohem Angesicht in der ungewohnten Pracht auf und nieder stolzierte, als folge ihr ein ganzer Hofstaat zur Vermählung. – »Es paßt mir gut«, sagte Anna, »mag es Eurer Mutter eben so gut sitzen!« Mit diesen Worten legte sie es wieder ab, wie es ihm schien ohne Neid, denn auch das schönste Kleid war nicht wert, so viele kräftige Schönheit zu verstecken, die sie so wenig erkannte, als versteckte, sondern unbekümmert wie bei ihrer täglichen Arbeit im knappen Leibchen sich neben dem Geharnischten an den Webstuhl setzte, wo dieser in spielender Freundlichkeit sich anstellte, als ob er auch die Weberei lernen wollte. Dabei erzählt er, wie viele Webstühle er beschäftige, ohne selbst etwas davon zu verstehen, und erkundigt, sich nach der Gelegenheit, seinem verlornen Freunde Fingerling am andern Morgen nachzuspüren, dem er die Leitung dieses Geschäfts hauptsächlich danke. Frau Zähringer versprach, sich selbst in den Gasthäusern und Herbergen am andern Tage nach ihm umzusehen, denn Anna mochte sie in dem Drange nicht dahin schicken und Berthold möchte sich nicht überall zurecht finden. Während dieses Berichts nickte Anna mehrmals auf Bertholds Schulter ein, und fiel gleichsam in einen Kuß gegen seine Wange, ohne daß sie es wollte, deswegen trieb Frau Zähringer den Ritter in die Giebelstube, daß alle ihre Ruhe fänden. Welche selige Träume senkten ihren vielfarbig blühenden Mohn über den müden Ritter, auch Anna träumte und die Mutter auch, die lange nicht geträumt hatte.
Früh war er auf, sein Roß tüchtig auszufüttern, das an den vielen Liebkosungen zu merken schien, es solle nach langer Abwesenheit wieder einmal die Rennbahn betreten, den Kopf stolz hob und mit den Vorderfüßen arbeitete, als gehe es schon in den Schranken. Dann ging er in die nahe Kirche zur Frühmesse, mehr in Erinnerung ritterlicher Gewohnheit, als aus Andacht, denn seine Gedanken waren ganz allein auf Anna hingerichtet und obgleich wohlgemeint, doch nicht heilig zu nennen. Ob er sie heiraten solle, ob sie ihn wolle, ob sie nicht zu jung sei, ob er ihr gleich seine Hand anbiete, ob er prüfend warte, das schwirrte ihm so im Kopfe umher, daß er nicht auf eignen Rat sich verlassen wollte, sondern die Vorsehung anzusprechen beschloß, indem er eine Münze für den Opferstock aus seinem Beutel nahm. Er hatte sich dies als Kind schon in zweifelhaften Fällen angewöhnt, er warf die mit einem Kreuz auf der einen Seite bezeichnete Münze in die Höhe, fing sie in der flachen Hand auf, und war diese heilig bezeichnete Seite oben, so billigte der Himmel seinen Vorsatz. Auch diesmal erhielt er dreimal das Kreuz hinter einander, somit blieb ihm kein Zweifel, daß er um Anna bald anhalten müsse. Er ging mutig heim, waffnete sich und ließ sich von Anna einen Kranz auf die Lanze stecken, dann ritt er von einem gemieteten Knecht begleitet, nach dem Weinmarkte, wo die Schranken eingerichtet waren. Die Grieswärtel machten ihm in dem Gedränge Platz und er ritt hinter die Seile, wo seine Waffen von den Turniervögten untersucht und untadelig gefunden wurden. Dann wurde sein Name aufgezeichnet und er in die innern Schranken gelassen. Die Pracht des Anblicks blendete ihn einen Augenblick, nie hatte er einen solchen Haufen geharnischter Reiter, so viele hochgeschmückte Frauen beisammen gesehen. Wie kann ich da siegen, dachte er bescheiden in sich; aber ich kann doch zeigen, daß ich für Anna alles wage, so dachte er weiter. Bald ward unter den Frauen ein stürmisches Bewegen, jede suchte sich höher zu stellen, das Stechen verkündete sich durch ein betäubendes Geschmetter aller Trompeten. Der Kaiser ritt jetzt mit geschlossenem Helme durch die Schranken, machte aber nur eine zierliche Wendung gegen Markgraf Kasimir, der ihm folgte, als ob er sagen wollte, er möchte wohl, aber könne nicht stechen, und reihete sich dann mit allen Fürsten und Herren, die seinem Beispiele folgten, hinter den Schranken der einen Seite. Als nun die Herren das Stechen abgelehnt hatten, so begann das Gesellenstechen, auf ein Zeichen des Ehrenhalts, nach welchem die Seile, welche die Kämpfer zurückgehalten, von den Bahndienern mit scharfem Beil zerhauen wurden. Je sechs und sechs wurden nun immer aufgerufen und ritten gegen einander. Das waren nun meist tüchtige Männer, wie sie das Handwerk bildet, aber nur wenig geschickt und ermäßigt, die meisten gaben mehr auf die Derbheit des Anlaufs, als auf die Richtung und auf die Benutzung der Blöße des Gegners, so daß der Kaiser, der in allem Meister war, oft herzlich über das Ungeschick lachen mußte, wenn gewöhnlich alle zusammenstürzten. Die dritte Reihe berief auch Herrn Berthold in die Schranken, er empfahl sich dem Himmel und seiner Anna und weil er wirklich sein Pferd sehr gut führte, sein Pferd auch sehr gut eingeritten war, er sich außerdem die Art des Kaisers wohl gemerkt hatte, so zeichnete er sich gleich vor allen aus, die bis dahin erschienen. Es geschah bald seinetwegen Nachfrage unter den Frauen, sein Glück aber erreichte den Gipfel, als ein Fleischer, mit Namen Kugler, in solchem Ungestüm gegen ihn anrannte, daß dessen Spieß abgleitete und der Schwankende ohne große Gewalt von ihm abgeworfen wurde, während er sich unerschüttert hielt und gegen einen zweiten rannte, der schon von einem abgeworfenen Gegner bügellos gemacht war. Auch dieser fiel, und da inzwischen die andern einander herunter gestoßen hatten, so war er der erste, der als Sieger aus einer Reihe blieb und aufgezeichnet wurde. Von seinem Glücke erfüllt, sah und hörte er nicht, was weiter auf der Bahn geschah, sein Geschick war entschieden und er konnte ruhig warten, wenn auch einer noch mehrere niederrannte, einer der Preise mußte ihm werden. Am Schlusse des Rennens wurde ihm von der neu vermählten Markgräfin ein silberner Becher, mit silbernen Denkmünzen ausgelegt, als Preis überreicht, sie erkannte ihn wieder, gab ihm die Hand zum Kuß und sprach: »Ei, ei hätte ich Euch doch nicht angesehen, daß Ihr ein so starker Renner seid!« Kaum hatte er seinen Dank gesprochen, so trat ihn ein Bote des Kaisers an und nötigte ihn zum Mittagessen. An den Schranken war ihm eine neue Freude bereitet, hier umhalste ihn Fingerling, der in Kraft der Empfehlungsschreiben bei Fugger die Nacht geherbergt hatte, ihn ausrufen hörte und nun auf ihn wartete. Kaum konnte der gute Alte seinen Jubel mäßigen, daß solche Ehre über Berthold gekommen, zugleich berichtete er ihm, daß ein Bette für ihn im Hause Fuggers bereit sei und was er für Angst ausgestanden, seit er ihn im Gedränge aus den Augen verloren hatte. Berthold ging mit ihm auf dieses Zimmer, zog dort seine Rüstung aus, erfrischte sich mit Wein, erzählte, wie gut er aufgenommen sei, vertraute Fingerling seine Liebe, und bat ihn, mit dem Becher zur schönen Anna zu gehen, ihr zu sagen, daß er nur für sie gewonnen sei, daß er zu alt wäre, um seine Entschlüsse lange aufzuschieben, sie möchte entscheiden: wolle sie ihm geneigt sein, sie möchte den Becher ans Fenster stellen, damit er vorübergehend sein Glück erkenne und in ihr Haus eingehe, oder im Falle sie ihn meide, für immer vorübergehe, sich den Schmerz und ihr die Verlegenheit zu ersparen. Zwar wollte Fingerling mit allerlei Rat auftreten, daß Rom nicht in einem Tage erbaut, die Welt nicht an einem Tage erschaffen sei, weil Eile mit Weile auch bei Gott und den Weltgeschicken gelte, aber der junge Hohenstaufen sprach aus Berthold mit heftigem, fast befehlenden Drange, und Fingerling unterwarf sich als ein ergebener Schneider. So war diese Herzensangelegenheit zu einer Entscheidung gereift, Berthold führte sich leichter, als wäre etwas abgetan, und ging mit einer frohen Zuversicht nach dem Fuggerischen Saale, wo der Kaiser diesmal die großen Tafeln hatte einrichten lassen.
Gleich beim Eintritt, als der Ehrenhalt seinen Namen nannte, begrüßte ihn Marx von Treitssauerwein, des Kaisers Schreiber, in griechischer Sprache; er hatte mit ihm schon längere Zeit über einige Komödien des Menander gebrieft, die damals noch in einem schwäbischen Kloster vorhanden waren, aber bald darauf von einem hypochondrischen Abte verbrannt wurden. Es war ein freundlicher, behaglicher Herr, wohl beleibt und den Freuden der Tafel ergeben, wenn er seine Geschäfte wohl erfüllt zu haben glaubte. Berthold mußte sich zu ihm an den Tisch setzen und sie kamen im Gespräch bald auf den Kaiser; beide liebten und ehrten ihn, aber beide hatten genug deutsche Wahrheit in sich, durch keine Freude an Menschen sich blenden zu lassen, sondern das Menschliche in allem Gegenwärtigen zu erkennen und nur aus der Vergangenheit sich Strahlenbilder fleckenloser Vollendung zum Vorbild dieser Gegenwart aufzustellen. Der kaiserliche Schreiber bedauerte, daß das Schauen von unnützen Prachtzügen, von Jagden und Fischereien dem Kaiser so viel Zeit genommen habe, es würde sonst mehr fürs Wesentliche geschehen. Berthold gab es zu, doch rühmte er es aus seinem Gefühle, wie innig ihn die Nähe des Kaisers bei dem heutigen Spiele mit ihm verbunden habe; wenn die Kaiser so leicht die Ergebenheit der Menschen sich gewinnen könnten, so sei es nicht verlorne Zeit zu schelten, die sie darauf verwendeten. »Vielleicht«, sagte er, »würde der deutsche Adel sich auch viel eher in die gute Ordnung fügen, wenn der Kaiser seine großen Turniere mehr begünstigte, sie in seiner Gegenwart halten ließe.« – »Falsch«, sagte Treitssauerwein, »da es unsre geheime Absicht ist, den Bürgerstand empor zu bringen, so müssen solche Versammlungen des Adels gemieden werden. Ihr kennt wenig unsern Adel, der steht ein paar Jahrhunderte zurück, ich meine den auf dem Lande, der denkt noch an die Kreuzzüge und an die Hohenstaufen, meint niemand über sich als Gott und die Wahrheit; was ist damit bei der jetzigen List und Verruchtheit in allem Verkehr anzufangen. Die Neuerungen, der Landfriede, die ihnen jetzt über den Kopf weggenommen werden, weil sie vereinzelt sind, alles das ginge zum Teufel, wenn die Kerls mit einander zur Sprache kämen. Der Kaiser steht hoch über der Zeit, er hat die Welt kennen gelernt, hat sich wie eine Erdbeerpflanze an zehn Stellen eingewurzelt, in Spanien, Portugal, Ungarn, Böhmen, und das alles, um sich gegen dies unser verwirrtes, übermächtiges, deutsches Adelsvolk und die Menge kleiner Fürsten zu sichern; es geht jetzt ins Große, der Adel denkt nur ans Kleine, verachtet den Handel, statt ihn zu nutzen, verachtet das neue Kriegswesen und kann doch mit seiner Art nur bei kleinen Zügen etwas wirken; es möchte noch jeder als Mensch bestehen, während die Geschichte alles zu Nationen zusammenfegt. Was unser Maximilian und wir nicht erleben, das kommt seinem Sohne Karl zu Gute, ihm gehört die Welt, die Kirche macht er frei vom Papste, darum möchte der Kaiser ihm schon auf diesem Reichstage das Reich sichern. Die widersprechenden Kräfte müssen sich in Neid aufzehren, die Fortschritte der höchsten Gewalt im Auslande werden auch auf Deutschland einwirken und die stolzen Fürsten, Kirchen- und Stadthäupter, die wir jetzt dem Adel entgegensetzen, werden wie ausgepreßte Zitronen in ihre Winkel geworfen, wenn sie unsre Rache gekühlt haben gegen diese übermütige Mittelgewalt, die den Kaiser kaum wie seines Gleichen achtet.« – Berthold sah verlegen nach dem Boden und Marx fragte nach der Ursache. »Soll ich's Euch sagen«, sprach Berthold, »der Kaiser hat immer seine Plane zu weit gemacht, so daß sie nirgends recht passen wollten, mit aller seiner Tapferkeit und Weisheit ist er in allen Kriegen schlecht bestanden, wie ist er von den Schweizern vernichtet worden. Er kennt zu viele fremde Sprachen und fremde Lande, und hat darüber sein eignes vergessen; ein Volk mag doch nur von dem glücklich regiert werden, der seine Tugenden und seine Fehler in sich gefühlt hat. Der Kaiser sieht aber nur dessen Fehler, durch seinen Landfrieden hat er alle ritterlichen, bisher geehrten Verhältnisse für Straßenraub erklärt, Volkssitte läßt sich nicht wie ein Wams umschneidern. Der Kaiser meint, wenn der Adel unter sich friedlich lebte, so könnte er ihn um so eher gegen gefürchtete Fürsten aufhetzen, aber die sich erst an ein Zuhausesitzen, wie die Bauern gewöhnt, lassen sich eher von dem brauchen, der ihrem Hause am nächsten, als von dem überall weit entfernten, fremden Kaiser. Der Kaiser will sich ein unabhängiges Heer in den Landsknechten erziehen , daß er der Lehnsfolge entbehren kann, er mag aber wohl bedenken, daß er einen Haufen ohne anders Vaterland, als das, wo es Geld gilt, sich bildet, und daß dieses Heer jedem dienen wird, auch dem Welschen, wenn er sie bezahlt.« – »Wird der Kaiser noch Papst«, antwortete Treitssauerwein, »so macht er aus den Landsknechten einen geistlichen Ritterorden, gibt ihm liegende Gründe in Deutschland und Italien, wer möchte ihm dann widerstehen; das Papsttum macht er erblich, indem er allen Geistlichen das Heiraten erlaubt, römisches Kaisertum und römisches Papsttum ist dann unauflöslich verbunden, der alte Spuk mit den Hohenstaufen und ihren vermeintlichen Abkömmlingen, die überall und nirgends stecken, sinkt wie die Stunde schlägt.« In diesem Augenblicke wurden sie durch ein Lärmen vor dem Fenster gestört, das Volk schrie und lachte, alle traten an die Fenster. Sie sahen Kunz von Rosen, den Hofnarrn des Kaisers, der wie ein Huhn, das Enten ausgebrütet hat, neben dem Brunnen umher lief, in welchem drei Bettelmönche umher schwammen und sich wie gebadete Mäuse heraus arbeiteten. Kunz kam dann heran und erzählte, mit welcher Begierde die Mönche dem Essen zugesehen und auf den Zehen am Rande des Brunnens gestanden hätten. Er habe sich zu ihnen gestellt und getan, als ob er das Gleichgewicht verliere, einer habe sich am andern fest gehalten, einer den andern hinein geworfen, »so geht's den deutschen Fürsten bald auch«, damit schloß er. – »Aber wirst du auch Ablaß bekommen?« fragte Marx. – »Den habe ich schon, seht da in der Tasche, auf eine Sünde, die ich mir vorgenommen, den hatte ich eben von ihnen gekauft«, antwortete Kunz. »Der eine graue Esel predigte heute, so wie der Pfennig in des Papstes Kiste falle, so müßten bei dem Silberklange die Teufel eine erlöste Seele loslassen. Ich antwortete ihm darauf aus der Menge: Der Papst sei grausam, daß er bei seinem Reichtum nicht alle Tage eine Million in den Kirchenkasten würfe, daß es recht klappere, er könne sie alle Abend wieder heraus nehmen, so hätte er keinen Schaden und die armen Seelen hätten den Nutzen.« Jetzt rief der Kaiser den Kunz ab und dieser tat so eilfertig, als ob etwas Wichtiges bevorstehe, warf aber im Vorbeigehen ein prachtvolles, venedisches Trinkglas vom Kredenztische, das der Augsburger Rat dem Kaiser verehrt hatte. – Die Ratsherren sprangen erschrocken und zornig auf, viele nannten den hohen Preis des Glases, andre suchten die Stücke auf, als ob sie das Glas wieder zusammen leimen wollten, andre baten beim Kaiser, den Narrn zu strafen, der sich so ungeschickt durch kluge Leute dränge. Kunz warf sich vor dem Kaiser nieder und fragte ihn, ob wohl einer von diesen, die sich für klug hielten und ihn für einen Narrn, so wie er zu ihm durch den Graben geschwommen wäre, ihn zu sehen, ihn zu retten, als er in den Niederlanden gefangen saß. – Maximilian klopfte ihm freundlich die Backen und sagte: »Mit den Narren ist immer am meisten auszurichten in der Welt, darum nimm den Titel für keinen Tadel: Ihr Herren beruhigt euch, ich habe das Glas verloren, aber ich will nicht vergessen, daß ihr es mir geschenkt habt. Wäre es von Silber gewesen, da könnten wir die Stücke noch brauchen und doch kostet es so viel, wie das feinste Silber und das Geld kommt unsern Feinden, den Venezianern zugute!« – Bei diesen Worten merkten die Ratsherren, daß Kunz nur ausgeführt hatte, was seinem Herrn durch den Kopf gegangen, sie konnten nichts darauf entgegnen und der Kaiser hob mit einem Trunk auf das Wohl aller Jungfrauen der Stadt Augsburg die Tafel auf. Diese Gesundheit trank Berthold mit Innigkeit herunter.