Ernst Moritz Arndt
Märchen und Sagen
Ernst Moritz Arndt

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Der Rabenstein

Es gibt viele absonderliche und wunderseltsame Geschichten und Dinge in der Natur, von welchen kein Mensch begreift, wie sie sich begeben und zusammenhängen, und sind doch da. Und wenn die Menschen sie erzählen hören, erstaunen sie und erschrecken, aber wissen können sie sie nicht. So ist es auch mit dem Rabenstein, wovon viele erzählen, aber keiner etwas Gewisses weiß; daß es aber Rabensteine gibt, das weiß man wohl.

Ihr habt auch wohl von Diebslichtern gehört. Die sind fast eben wie der Rabenstein und wie andere unsichtbare Diebslaternen. Es ist aber greulich zu erzählen, wie Diebslichter gewonnen werden. Sie sind die Finger von ungeborenen und unschuldigen Kindlein; denn die Finger von schon geborenen und getauften Kindern kann man dazu nicht gebrauchen. Und was für ungeborene Kindlein sind das? Und wie muß man die Lichter gewinnen? Wenn eine Diebin oder Mörderin sich selbst erhängt oder ersäuft hat oder gehängt oder geköpft worden ist und ein Kind in ihrem Leibe trägt, dann mußt du hingehen um die Mitternacht, auf des Teufels Straßen, und nicht auf Gottes Straßen, mit Beschwörungen und Zaubereien, und nicht mit Gebet und Segen, und mußt ein Beil oder Messer nehmen, das von Henkershänden gebraucht ist, und damit den Bauch der armen Sünderin öffnen, das Kind herausnehmen und seine Finger abschneiden und zu dir stecken. Aber solches muß durchaus um die Mitternacht vollbracht werden und in vollkommenster Einsamkeit und Schweigsamkeit, so daß auch kein leisester Laut, ja kein ach! und kein Seufzer über die Lippen des Suchenden gehen darf. So gewinnst du Lichter, die, wenn du willst, brennen, und, wie kurz sie auch sind, doch nimmer ausbrennen, sondern immer gleich lang bleiben. Diese Zauberlichter haben die sonderliche Natur und Eigenschaft, daß sie augenblicklich brennen, wie und wo ihr diebischer Inhaber nur denkt oder wünscht, daß sie brennen sollen, und ebenso geschwind als sein Wunsch und Gedanke erlöschen. Durch ihre Hilfe kann er in der dichtesten finstersten Nacht, wenn und wo er will, alles sehen; sie leuchten aber nur für ihn und für keinen andern, und er selbst bleibt unsichtbar, wenn sie auch alles andere hell machen. Dabei sitzt noch die Greulichkeit in ihnen, daß sie eine geheime Gewalt über den Schlaf haben und daß in den Zimmern, wo sie angezündet werden, der Schlafende so fest schnarcht, daß man zehn Donnerbüchsen über seinem Kopf losknallen könnte und er doch nicht erwachte. Denke, wie lustig sich da stehlen und nehmen läßt!

Auf diese Weise werden die Diebslichter gewonnen und gebraucht, aber anders der Rabenstein und nicht so greulich, wiewohl auch ein vom Satan und von seinen Gelüsten verblendetes und verhärtetes Herz dazu gehört, sich den Rabenstein in die Tasche zu schaffen. Dies ist aber der Rabenstein, und auf folgende Weise wird er gewonnen:

Die Raben, Krähen, Adler und andre solche Vögel, welche scharfe Schnäbel und Klauen haben und von Gott auf den Raub angewiesen sind, sagen die Leute, werden sehr alt und leben wohl zweihundert und dreihundert Jahre, also viel länger als die ältesten Menschen. Wenn nun ein Rabenpaar hundert Winter miteinander gelebt und geheckt hat, dann legt es erst den Rabenstein, und, wie sie sagen, alle zehn Winter einen neuen Stein. Dieser Rabenstein soll nach der Sage aus den Augen der Diebe herauswachsen, welche die Raben am Galgen ausgehackt haben; und das müssen die Raben an vielen hundert Dieben getan haben, ehe sie einen solchen Wunderstein legen können. Er ist von der Größe einer Wälschen Nuß oder eines Rabeneies, ganz rund und glatt und feuerrot wie ein Karfunkelstein, und die Raben legen ihn in der letzten Nacht des Hornungs: denn noch im Winter legen sie ihre Eier und im ersten Frühling, wann es noch reift und friert, haben sie schon befiederte Jungen. Es hat aber dieser grausige Wunderstein zwei Eigenschaften; die erste, daß er in der Nacht leuchtet wie eine Sonne und alles umher hell, seinen Träger aber unsichtbar macht, so daß sich herrlich mit ihm stehlen läßt: die zweite, daß er zu Galgen und Rad hinlockt.

Wer einen Rabenstein suchen und fangen will, der muß in die hohen Forsten suchen gehen, wo die großen, himmelhohen Bäume stehen; denn auf den schlanksten und schiersten Fichten, Eschen und Buchen, welche der gewandteste Matrose nicht leicht erklettern kann, baut der kluge Vogel Rabe sein Nest. Da muß er lauschen und lugen, wo er Rabentöne aus hoher Luft klingen hören und Rabennester entdecken mag, und zwar an solchen Tagen, wo Schnee gefallen ist; denn dann kann er allein die rechten Nester finden. Er mag nämlich alle Nester ruhig sitzen lassen, unter deren Bäumen Schnee liegt, denn in solchen ist kein Rabenstein. Der Rabenstein nämlich ist so warm von oben, daß es unter seinem Neste nimmer friert noch taut und daß der Schnee in der Minute vergeht, in welcher er fällt. Aber wer dies auch weiß, kann doch wohl hundert Jahre in allen Wäldern und unter allen Bäumen herumlaufen und sich die Augen aus dem Kopfe gucken, und findet doch das Nest mit dem Rabenstein nicht. Denn das Glück oder gottlob leider der Teufel läßt sich nicht immer so leicht greifen, als die einfältigen Leute sich einbilden. Denn überhaupt sind wenige Raben in der Welt, und von diesen wenigen wie wenige werden hundert Jahre alt oder gar zweihundert und dreihundert! Weil strenge Winter, wilde Buben, Jäger und mächtigere Raubvögel die meisten in der Jugend verderben – und ferner, wie schwer auch sind die Rabennester zu finden, da der Rabe nur einen Klang oder Ton macht, wenn er in hoher Luft fliegt oder auf dem Aase sitzt oder im Neste angegriffen wird, sonst aber der verschwiegenste und einsamste aller Vögel ist! Hat nun auch einer einmal einen solchen Baum gefunden, so will es noch ein rechtes Löwenherz, ja Satansherz dazu, den Rabenstein aus dem Neste herunterzuholen. Denn hört, wie das geschehen muß:

Wer den Rabenstein haben will, der muß in der letzten Nacht des besagten Hornungs in den Wald gehen, wo der Baum mit dem hoffnungsvollen Neste steht. Er muß ganz einsam und allein kommen, und auch keine Menschenseele muß wissen, wohin und wofür er ausgegangen ist; und auch keinen Laut, nicht einmal ein Hustchen oder ein Seufzerlein darf er von sich geben. Auf die Glocke der Zeit muß er achtgeben und genau um die Mitternachtstunde zur Stelle sein; denn nur in der Gespensterstunde, zwischen zwölf und eins in der Nacht, läßt der Stein sich gewinnen. Dann muß er sich so splitterfasernackt entkleiden, wie Adam weiland im Unschuldkleide der Natur im Garten Eden gestanden ist; und in diesem Naturkleide muß er nun den Stamm hinaufklettern und zitternd und bebend im Sinn behalten, daß er keinen Ton vernehmen lassen darf; denn alsbald ihm auch nur der leiseste Laut entführe, würde er gleich des Todes sein. Aber nun merkt euch hierbei wieder des Teufels List. Wenn er den armen gierigen Kletterer bis oben zur Spitze hinaufgelockt hat, wo das heillose Nest sitzt, dann darf er nicht hineinschauen und sich den leuchtenden Stein aussuchen, sondern er muß sich nun noch dreimal um den Stamm herumschwingen, die Augen zutun, und blind hineingreifen, und was sein Finger zuerst berührt, das muß er behalten. So hat sich's oft begeben, daß manche mit einem faulen Ei heruntergekommen sind und für alle Angst, Arbeit und Schmerzen nur Spott gehabt haben. Es bringen es überhaupt wohl wenige zustande mit dem Rabenstein, unter Hunderten, die ihn begehren, wohl kaum einer. Denn alles ist dabei halsbrechend und ungeheuer. Den meisten vergeht gewiß schon die Lust, wenn es um die kalte tote Mitternacht an das Auskleiden gehen soll, und sie nehmen in der Angst die Flucht, und haben dann gewiß das Geschwirr und Gesurr des höllischen Nachtgesindels im Nacken hinter sich. Auf diese Weise hat mancher freche und verwegene Bursch Schuh und Stiefeln, Rock und Hut verloren und den Leuten hinterher von Dieben und Räubern erzählt, die ihn so bis aufs Hemd ausgezogen haben; die guten Leute hätten diese Räuber und Kleider und Schuh aber unter dem Rabennest finden können. Viele erfrieren und ermatten auch, indem sie den Stamm kaum halb hinaufgeklettert sind, oder können es vor Schmerz nicht länger aushalten, denn es geht dabei wohl an ein ehrliches Schinden der Knie, Schenkel und Arme, und so müssen sie endlich mit Schimpf zurückkriechen oder fallen auch wohl gar jämmerlich herunter. Das bleibt aber wahr, wenn sie auch oben bis zur äußersten Spitze und zum Neste gelangt sind, dann wird's erst recht teuflisch und gefährlich. Nun in der Mattigkeit und Angst den vollen Verstand behalten und den Ton so bezwingen, daß auch kein Laut aus der Brust dringt, die Augen zutun, sich dabei dreimal um den Stamm schwingen, und dann mit der Hand ins Nest fahren und den letzten Glücksgriff tun – das ist wahrhaftig nicht jedermanns Ding. Dabei stürzen noch die meisten herunter und brechen den Hals, besonders wenn es ihnen zu mächtig wird und sie doch stöhnen oder murmeln. Dann ist es um sie getan. Sowie auch nur der leiseste Laut fast nur atmet, geschweige klingt, ist sogleich ein ganzes Heer da, das mit zu dem Satansgaukelspiel gehört. Viele hunderttausend Raben füllen plötzlich mit ihrem Gekrächze die Luft und umflattern den armen Sünder, und fallen mit Flügeln, Klauen und Schnäbeln so dicht auf ihn, daß er herunter muß, er mag wollen oder nicht. Da geht's denn zuletzt an den Sturz und an ein Hals- und Beinbrechen – denn wäre der Kletterer ein Löwe von Mut und Stärke, er muß herunter – und mit den Augen und einem bißchen von Wangen und Nase nimmt die Gesellschaft gleich fürlieb. Dies sind die Geschichten, wovon man so oft hört, die man auch oft in Zeitungen liest, wo auf die vermeinten Mörder gelauscht und gefahndet werden soll: ein junger Jägerbursch oder Handwerksbursch sei nackt und zerrissen und zerfleischt im Walde gefunden, von Räubern ausgeplündert und erschlagen oder von zuckenden Bären und Wölfen zerrissen. Er hat sein mitternächtliches Wagstück mit dem schwarzen Federvolke so bezahlen müssen, und die Räuber, Mörder und reißenden Tiere haben weder Knüppel und Pistolen noch Zähne und Tatzen geführt.

Und nun will ich auch eine Geschichte erzählen von einem, der den Rabenstein besessen hat, und was er ausgerichtet und wie es mit ihm geendet hat.

Vor langer langer Zeit lebte zu Boldewitz auf Rügen ein reicher und vornehmer Herr, der vieler Kaiser und Könige und Potentaten in schweren Fällen Kriegsobrister gewesen war, der hieß Herr Friedrich von Rotermund. Dieser brachte aus der Türkei oder aus der Tartarei, kurz, aus den Heidenländern, wo sie Weiber kaufen, wie bei uns die Pferde, ein wunderschönes Weib mit, von welcher kein Mensch wußte, ob sie eine Heidin oder Christin war. Sie war aber nicht sein eheliches Weib, sondern seine Kebsin. Mit dieser zeugte er ein Feierabendskind, und das war ein Knabe und hieß auch Friedrich. Es war aber kein Friedrich, sondern ein rechter Kriegerich; denn der Krieg und die Wildheit steckte darin, und er war von keinem Schulmeister noch Züchtiger zu bändigen, sondern ging durch wie ein kosakisches oder tartarisches Pferd. Er war aber schön wie Sonnenschein und stark wie Eichbäume und bei all seiner Wildheit den Menschen über die Maßen angenehm und gefällig; so daß jeder den Buben gern hatte. Nach seines Vaters Tode, als er fünfzehn Jahre alt war und nun einem älteren Bruder gehorchen sollte, welcher der Sohn der echten Ehefrau des alten Rotermund war, ertrug er die strengere Zucht nicht, sondern entlief und kam nach der Insel Hiddensee, und ging von da zu Schiffe in alle Welt hinaus und ward ein gewaltiger Matros. Als er sich das muntre Seeleben ein halbes Dutzend Jahre versucht hatte, ist er einmal wieder nach Stralsund gekommen und von da zu Hause nach Bergen in Rügen, wo seine Mutter wohnte. Und seine Mutter und andere Freunde haben ihn dort beredet, er solle auf dem Lande bleiben, welchem Gott feste Balken untergelegt hat, und das unstäte und unsichere Meer verlassen. Und er ist zu einem Förster in die Lehre gegangen, daß er das fröhliche und lustige Weidwerk lernte, und bald ein flinker und hübscher Jägerbursch geworden, vor welchem die Weiber und Mädchen in den Türen und Fenstern stillstanden und ausschauten und freundlich nickten und grüßten, wenn er vorüberging; denn er ist wohl einer der schönsten und reisigsten Menschen gewesen, die man weit und breit sehen konnte. Hier hat er nun aber, wie es oft bei den Weidmännern geschieht, mancherlei verbotene Künste gelernt, ist ein Freischütz geworden, und hat sich den Rabenstein geholt. Dies war dem mutigen Matrosen nur ein Spiel gewesen, welchem im wildesten Sturm nimmer ein Mast zu hoch noch zu glatt gewesen, daß er ihn nicht erklettert und von seiner Spitz dem heulenden Meer fröhlich in den offenen Todesrachen geschaut hätte.

Fritz Rotermund – so nannten ihn die Leute – hat sich nun von seinem Funde des Rabensteins nichts merken lassen, sondern seinen karfunklischen Diebsschlüssel gar lustig gebraucht; doch weil er von Natur sehr gutherzig und freundlich war, hat er keine sehr greuliche Taten getan, sondern solche, welche die leichtsinnige Jugend oft nur lustige Streiche nennt. Weil er mit seinem Stein unsichtbar in alle Häuser und Kammern gehen konnte, so hat er freilich die lustige Gabe genutzt, aber nie keinem ehrlichen oder armen Menschen nur einen Heller genommen; sondern wo er einen bösen, ungerechten Herrn wußte, der auf seinen Schätzen lag, die er aus dem Schweiß und Blut seiner geplagten Untertanen zusammengepreßt hatte, oder einen Filz und Wucherer, der unersättlich die letzte Habe der Kleinen und Geringen im Volk verschlang, da hat er fleißig eingesprochen und ihre Kisten und Beutel etwas leichter und schlaffer gemacht. Das ist aber besonders an ihm gewesen, daß er von solcher Diebsbeute fast nie etwas für sich behalten, sondern es fast alles hingetragen hat, wo er arme und notleidende Alte und hungrige und verlassene Kindlein gewußt hat. Da ist er nächtlich und mitternächtlich, wo alle Augen der tiefste Schlaf geschlossen hielt, in die Häuser geschlichen und hat die silbernen oder goldenen Gaben auf Tische, Betten und Wiegen hingeschüttet; daß die Leute, wenn sie erwachten, erstaunten und die Hände zusammenfalteten und beteten. Denn sie konnten nicht meinen, daß eine unsichtbare Diebshand die wohltätige Verteilerin gewesen sei, sondern mußten glauben, es sei von oben gekommen und ein Englein vom Himmel habe es ihnen ins Haus getragen. Und so ist in den Städten und Dörfern, welche der Förster Fritz besuchte, mancherlei Gerede entstanden zugleich von verwegenen Dieben und von wohltätigen Engeln, wie denn Gottes Reich und Satans Reich und die Gespräche darüber hier auf Erden immer mitsammen sind. Aber noch viele andre Schalkstreiche hat der lose Fritz verübt, der leicht wie der Wind allenthalben aus und ein schlüpfen konnte; und was würden die Türen und Fenster, wenn sie Mund hätten, von ihm nicht alles zu erzählen wissen! Doch das darf ich nicht alles erzählen, weil es sich hier nicht schickt; und auch die andern Possenstreiche alle könnte ich nimmer auserzählen, die er zu Weihnachten und Fastnacht und bei Hochzeiten, Tänzen und Mummereien als der unvermummte und doch unsichtbare Gast gespielt hat.

Eine Not aber hat Fritz bald in dem Rabenstein gefühlt, die eine schwere Not war und die als eine Teufelsplage der verbotenen Kunst anhängt. Weil nämlich der Rabenstein aus Galgenvögeln und Galgenaugen geboren wird, so hat er einen heimlichen und unüberwindlichen Trieb zu Galgen und Rad in sich, eine Witterung, die seinen Träger und Besitzer treibt, daß er mit dabei sein muß, wenn es an solchen hohen Stellen etwas zu tun gibt. Wenn daher auf der Insel in einem Hochgericht und an einem Galgen einer geköpft oder gehängt werden sollte, so trieb's ihn mit Teufelsgewalt und wie auf Windesflügeln hin; er mußte mit dabei sein, und sollte er drei, vier Meilen in zwei Stunden laufen, daß dem Atemlosen die Zunge aus dem Halse hing. Das war aber noch viel schlimmer und grausiger, daß er die Geburtstage und Jahrestage der gerichteten armen Sünder mitfeiern mußte. An dem Jahrestage der Hinrichtung nämlich versammelten sich die Geister der Gerichteten, damit sie ihren nächtlichen Totentanz um die Hochgerichte halten; und diesen Tanz begehen sie um die grausige Mitternacht, und da müssen alle die mitfeiern und mittanzen, welche den Rabenstein haben. So mußte denn auch Fritz manche liebe Nacht, wo er gern anderswo geweilt oder geschlafen hätte, im Hagel und Schnee, im Sturm und Donnerwetter hinaus in das wilde Weite und über Heiden und Felder, gleich einem Kain, zu Galgen und Hochgericht fortlaufen und den schaurigen Tanz mittanzen, bis ihm oft der Atem schier auszugehen anfing; denn seine Mittänzer und Mittänzerinnen hüpften begreiflicherweise auf den allerleichtesten Füßen einher. Und die Leute konnten ihm die Reise zu einem solchen nächtlichen Ball wohl anmerken, und daß ihm irgend was Unrechtes widerfahren war – denn er sah acht, vierzehn Tage nachher noch bleich und krank aus – er aber schüttelte alle fremde Bemerkungen und Fragen leicht von sich ab, machte irgendeinen Scherz oder Wind darüber und sagte: »Ei was! Ihr Siebenschläfer, die ihr euch jeden Abend zu regelmäßiger Zeit auf eurem weichen Pfühl hinstreckt, könnt euch wohl rosige Wangen und dicke Bäuchlein anschnarchen; aber mit dem Jäger ist es gar anders bestellt, der muß viel ein nächtlicher Gesell sein: Füchse, Marder, Ottern und anderes Wild, das euch die warmen Pelze liefert, fängt und belauert man nicht beim Sonnenschein. Man stößt da auch wohl zuweilen auf etwas, das nichts taugt, aber das schüttelt ein tapfrer Jäger auch wieder ab, und die tüchtigen und geheimen Jägerkünste zu lernen und die tapfern Jägergeschichten zu bestehen, dazu gebricht euch das Herz.«

So hatte Fritz Rotermund es manches liebes Jahr getrieben und hatte wohl frisch und lustig gelebt und für Tänze und Gelage und Spiel und schöne Mädchen immer Geld in der Tasche; aber reich war er nicht geworden, denn volle Taschen konnte er nicht leiden. Er war bisher mit seinem grünen Rock zufrieden gewesen und immer noch ein Jägersmann geblieben; da begab sich aber von ungeschicht etwas, das den wilden Jäger zu einem zahmen Edelmann machen sollte, und das war dieses:

Im Kriege, zur Zeit des Königs KarolusIn Schweden und in den damals schwedischen deutschen Ostseelanden ist dieser König Karolus (Karl der Zwölfte) gleich dem Iskander der Morgenländer und unserm Friedrich Rotbart auf dem Kyffhäuser wenige Jahrzehnte nach seinem Tode ein mythischer Name geworden. Alles längstvergangne Ungeheure und Gewaltige reiht sich unter solche Namen; ob ein Jahrhundert oder einige Jahrtausende rückwärts oder vorwärts gerechnet werden müssen, was kümmert das das Volk, welches für das Poetische und Mythische eine wahrhaft göttliche Zeitrechnung hat, das heißt: nach dem gewöhnlichen Maße gemessen gar keine. , waren bei der Stadt Bergen zwei Juden gehängt, die man als Pferdediebe ertappt hatte. Sie hatten dort schon ein Jahr an dem Galgen gebaumelt, als Fritz Rotermund zur Jahresfeier heraus mußte, um zu lernen, wie auf hebräisch um Galgen und Rad getanzt wird. Und da hat er einen recht geschwinden davidischen Reigen tanzen gelernt, denn die jüdischen Geister hatten sich in einem so schnellen asiatischen Schwunge herumgedreht, daß er – was ihm noch nie begegnet war – ermattet in Schlaf hingesunken und erst erwacht war, als das Morgenrot den Ost schon zu hellen begann. Da, als er erschrocken aufsprang, begab es sich, daß der Wind ihm die lumpigen Rockzipfel des einen Galgenkrametvogels, unter dessen dürren Beinen er in Schlaf gefallen war, so heftig gegen die linke Backe wehte, daß das Blut darnach heraussprang. Der Fritz, als er den Backenstreich fühlte und auf der darnach tastenden Hand Blut erblickte, rief halb schauderig, halb lachend aus: »Ei! ei! Mauschelchen! Du hast auch verdammt scharfe Knöpfe und willst deine Leute wohl an mir rächen, welchen ich in andern Geschäften zuweilen auch wohl mitternächtliche Besuche abzustatten pflege?« Und zugleich schaute er nach dem Rocke, und sah auch kein kleinstes Zeichen von einem Knopf, und das verwunderte und schauderte ihn noch mehr. Er ergriff daher den im Winde fliegenden Zipfel, damit er näher untersuchte, ob irgend in den Falten ein Knopf verborgen stecke. Aber auch da fand sich nichts. Wohl aber fühlte er etwas Hartes in den Ecken, und sah bald, daß diese mit tausend Fäden hin und her im Unterfutter so durchnäht waren, als wenn sie bis zum Jüngsten Tage halten sollten. Er griff nun frisch zu mit seinen Jägerfäusten und riß den ganzen Rockzipfel zu Fetzen auseinander, und was erblickte er? Ein paar funkelnde Edelsteine fielen vor ihm auf die Erde.

Er nahm sie auf und betrachtete sie an seinem Rabenstein und an dem hellen Morgenrot, und fand, daß diese gegen jene Steine nur wie blasses Wasser waren gegen das rote Feuer. Und hoch sprang er in die Luft empor und rief: »Nun, dies ist der erste Galgentanz, der etwas anderes als Schauder und Greuel gebracht hat«, und so trollte er sich davon.

Als er aber nach einer halben Stunde Galgen und Furcht weit hinter sich hatte und die Sonne schon am klaren Himmel stehen sah, da holte er die Steine wieder aus der Tasche und beschaute sie genauer, und wußte bald, was sie wert waren. Denn auf seinen vielen und weiten Seereisen hatte er viele Weltwunder und Meerwunder gesehen, und war auch gewesen, wo die schönen grünlockigen Seejungfern so zauberisch singen, daß die Schiffer den Matrosen, damit sie nicht zu ihnen in die Tiefe springen, die Ohren voll Teer gießen und mit Wachs zukleben müssen, und war auch an das Land gekommen, wo die Diamanten und Rubinen am Strande im Sande liegen, wie bei uns die Kieselsteine, hatte aber keine aufsammeln und mitnehmen dürfen wegen der greulichen Drachen und Greifen, die sie bewachen.

Er lief nun fröhlich zu Hause, holte sein Pferd aus dem Stall, sattelte es, und sagte auf acht Tage Ade, und so trabte er auf die Alte Fähre zu, und von da ging's auf Hamburg oder Berlin, wo er die kostbaren Judendiamanten wieder an Juden verkaufte und mit großen Säcken voll Dukaten, wohl über ein paar Tonnen Goldes, nach wenigen Tagen heimkam.

Nun hatte Fritz Geld in Hülle und Fülle, und mit dem Gelde kamen ihm auch vornehme und ernsthafte Gedanken, ja ganz neue Gedanken, wie er sie noch in seinem Leben nicht gehabt hatte. Er ging hin und ward ein Edelmann, und kaufte seinem Bruder Boldevitz ab, wo sein Vater gewohnt hatte und wo er geboren war, und kaufte auch Unruh und auch mehrere andere schöne Güter, die da herumliegen. Und der Jäger Fritz fuhr nun mit Vieren und mit Sechsen und mit langen Strängen, und hatte Diener und Jäger hinter sich auf dem Bock stehen und Läufer mit silbernen Stäben vor sich herlaufen, und hieß Herr Fritz von Rotermund, wie sein Vater in seinen Tagen geheißen hatte. Und nun nahm er sich auch ein schönes adliges Fräulein zur Frau und zeugte Söhne und Töchter, und lebte und gebärdete sich wie ein anderer Herr. Er blieb aber so freundlich und gebäurisch mit den Menschen und war so mild gegen seine Leute und so mitleidig gegen die Armen, daß alle verwundert sagten: Der wilde und leichtfertige Fritz ist ja ein Mensch und dazu noch ein Christenmensch geworden.

Und das war nicht bloß eitler Schein, sondern es war ihm herzlicher Ernst. Als Fritz so großes Gut erworben hatte und ein Edelmann geworden war, da schien auch wirklich ein neuer Geist in ihn gefahren zu sein, ein besserer Geist, der sonst so selten mit dem geschwinden und plötzlichen Reichtum ins Haus zu kommen pflegt. Er verabscheute von nun an seinen Rabenstein und seine mitternächtlichen Diebsschliche, liebte auch seine alten Schalkstreiche nicht mehr, sondern wollte sich wirklich von Herzen umwenden und bekehren und wieder ein Mensch Gottes werden, hielt sich daher hinfort zu andern guten Christen und zu Kirche und Abendmahl, und lebte mit Frau und Kindern und mit Freunden und Nachbarn und mit allen Menschen so, daß alle ihn lieb und wert hielten und seiner Jugend und Jugendstreiche gern vergaßen. Wie er nun aber wirklich christlich und menschlich zu sein und zu leben strebte, so hatte er doch noch einen plagenden Wurm, um welchen er und sein Gott allein wußten, und dieser schlimme Wurm war sein Rabenstein. Was der arme Mann um diesen ausgestanden und gelitten hat, das ist gar nicht zu beschreiben.

Er fühlte nämlich, sowie er sich wieder zum Christentum und zum Glauben seiner Kindheit zurückgewendet hatte, daß der Rabenstein nichts Geheures war, sondern eine böse teuflische Gaukelei, und hätte ihn sogleich von sich werfen mögen in den tiefsten See oder in die verborgenste Erde vergraben oder in dem gewaltigsten Feuer verbrennen, damit nimmer eine Menschenhand ihn wiederfände und mit seinem höllischen Glanze Unheil stiftete. Aber! aber! Wie ist es dir ergangen, armer Fritz Rotermund? Man wird des Rabensteins noch viel schwerer los, als man ihn gewinnt. Sowie Fritz den Rabenstein von sich werfen, wie er ihn der verschlingenden See, dem verzehrenden Feuer überliefern wollte, wich der tückische Stein kaum eine Sekunde von ihm, und flog ihm immer wieder in die Hand zurück, die ihn mit aller Gewalt von sich geschleudert hatte, oder in die Tasche, woraus er genommen war. Da hat nun Fritz, der jetzt wahrhaftig nicht der muntre und fröhliche Fritz heißen konnte, es nach und nach mit allen Elementen versucht, ob etwa eines den Stein lieber annähme als das andre; aber der fürchterliche Stein ist der unverlierbare und unzerstörbare geblieben. Er hat es außer diesen unglücklichen Proben am eifrigsten und unablässigsten mit dem allerbesten Element versucht, mit Andacht und Gebet; und wie viel er da gerungen hat, wie viel und oft er um die stille Mitternacht in seiner Kammer und im einsamen Walde und an heiliger Stätte auf den Knien gelegen und seinen Gott und Heiland um Barmherzigkeit gefleht hat, daß er ihn von dem Bösen erlösen wolle, das weiß auch Gott allein. Immer noch hat er die blutigen Gerichtstage mithalten und die mitternächtlichen Galgentänze noch mittanzen müssen, und jetzt mit entsetzlichem Grausen und Schaudern, weil der Christ wußte, was es war. So hat er wohl zwanzig Jahre gelebt in seinem neuen Stande, äußerlich der freundliche, christliche Mensch, der milde und barmherzige Herr, innerlich der Gepeinigte und Gemarterte. Er hat aber nicht abgelassen und ist nicht müde geworden in Demut und Gebet, und hat dies alles mit gebeugtem Herzen getragen als ein armer Sünder, den Gott für seinen leichtfertigen Übermut und seine heidnische Frechheit strafen und durch das, was ihm nun eine so grimme Pein geworden, vielleicht erretten wolle. Endlich ist der Tag dieser Errettung und Begnadigung gekommen, aber auf eine grauenvolle Weise.

Fritz ward eine Nacht zu einem Galgenfest getrieben nach Putbus, wo an dem Wege, auf dem man nach Kasnevitz fährt, etwa eine halbe Stunde vom Schlosse, auf einem öden Heidehügel, noch heute die Trümmer eines Galgens stehen. Dort fand er bei seiner Ankunft das greuliche Nachtgesindel schon in dem greulichen Tanze rundfliegen, und zugleich mit ihm ritt von der andern Seite her als Mittänzer ein Mann auf, der noch mit lebendigem Fleisch umkleidet war wie er und mächtig zu Rosse saß und einen blanken Säbel in der Rechten schwang, als forderte er jemand heraus. Und gewiß, er forderte heraus, denn der Fritz fühlte bei seinem Anblick den heißesten Grimm in sich entbrennen, und mußte sein Schwert ziehen und gegen ihn anlaufen, der, als er Fritzen zu Fuß anrennen sah, von seinem Rappen heruntersprang. Fritz erkannte ihn alsbald als den verrufenen alten Erzbösewicht, der am äußersten Ende der Insel auf Jasmund hauste und von dem die Leute sich viele greuliche und mordliche Geschichten erzählten. Sein Name war von Zuhmen. Der alte graue Schelm erschien aber auf diesem Tanzplatz, weil er vor ein paar Monaten einen Rabenstein gefunden hatte. Nun war er der zweite auf der Insel, der einen Rabenstein besaß und zu dieser mitternächtlichen Totenfeier hinaus mußte. Denn das ist auch noch eine treibende Wut und ein unseliges Verhängnis des entsetzlichen Steins, daß, wenn zwei sich begegnen, die den Rabenstein haben, sie auf Leben und Tod einen Kampf miteinander halten müssen.

Und so trafen denn die zwei in blinder Wut aufeinander und kämpften den gräßlichen Kampf, während das leichte Heer seinen lustigen Reigen um sie tanzte und wirbelte; und wie die Schläge ihrer Klingen sich verdoppelten, so verdoppelte sich in ihren Herzen auch der Grimm. Sie waren aber beide reisige Männer und gewaltig an Fäusten und Gliedern und waren im rüstig frischen Alter ergraut. Und der Kampf dauerte solange der Tanz dauerte, und das Gras um den Galgen war von ihrem Blute rot gefärbt; da, als es von dem Turm eins schallte, stürzte, von einem letzten gewaltigen Streich getroffen, der alte Jasmunder Bösewicht als Leiche hin, Fritz aber entfloh mit Grausen und mit tiefen und blutenden Wunden, die seinen Weg hinter ihm röteten. Er hatte sich aber auf des Feindes Rappen geschwungen, denn seine Füße hätten ihn nicht nach Hause zu tragen vermocht.

Und als der Sommermorgen graute, ritt er matt und blutig ins Tor zu Boldevitz ein und hatte nicht Angst um sein Leben, sondern um seine arme Seele. Und er weckte alsbald seinen treuen Diener und hieß ihn geschwinde ein Pferd satteln und gen Gingst galoppieren, daß er ihm den dortigen Herrn Pfarrer holte. Denn er sprach zu ihm: »Ich war ausgeritten und bin in dem Walde bei Kubbelkow unter Räuber geraten, und sieh! wie sie mich zerhauen haben und wie die Blutströme aus den tiefen Wunden an mir herabrinnen! Es wird in wenigen Stunden aus sein mit dem alten Fritz.«

Und der Diener flog wie der Wind auf seinem Pferde dahin, denn er liebte seinen guten Herrn über alles. Und der erschrockene Pfarrer in Gingst war nicht Säumiger, denn er nannte Herrn Fritz Rotermund den besten Christen und den fleißigsten Kirchengänger unter seinen eingepfarrten Edelleuten. Und anderhalb Stunden nach des Dieners Ausflug waren beide in Boldewitz und fanden den alten Herrn auf dem Lager blaß und bleich wie den Tod und sein Weib und seine Kinder um ihn, welche ihm seine Wunden verbunden hatten. Er aber, als der Pastor hereingetreten ist, hat allen gewinkt herauszugehen, damit er mit dem geistlichen Herrn betete und sich zur Abfahrt bereitete.

Und als sie beide allein geworden, hat er dem Pastor alles erzählt und gebeichtet und den Mann so bestürzt, daß er kaum hat beten können. Bald aber hat der fromme Mann sich wieder genommen und hat die Bibel ergriffen und des todwunden Ritters Hände gefaßt, und über ihm gebetet, daß der gnädige Himmel sich des reuigen und zagenden Sünders erbarmen wolle. Und der Himmel hat sich gnädig auf das Gebet herabgelassen, und Fritz hat mit lauter Stimme und sehnsüchtigem Herzen die Worte des geistlichen Herrn nachgesprochen. Und bald hat er sich zum erstenmal in vielen Jahren ganz getröstet gefühlt und laut ausgerufen: »Gelobt und gepriesen sei Gott und Jesus Christus für diese Wunden!« Und der Pastor ist fröhlich erstaunt über diesen Ausruf und über des Ritters erheitertes und erleuchtetes Angesicht, und bald noch viel mehr und viel fröhlicher, als der Herr von oben das hörbare und sichtbare Zeichen der Gnade gegeben. Denn kaum hatte Fritz diesen fröhlichen Ruf des erlösten Herzens getan, als der unselige Karfunkelstein plötzlich aus der Tasche des Edelmanns herausfuhr, wie ein leuchtender Blitz durch die Luft hinzischte, und dann wie eine springende Feuerkugel sich gegen den Ofen schnellte, und kling! Kling! in der Sekunde in Millionen Stücke zerstob, wie ein Sandhaufen auseinanderweht, so daß man auch die Spur nicht von ihm sah. Und Fritz hat wieder freudig gerufen: »Mein Gott und mein Heiland, wie barmherzig bist du! Und sahet und hörtet Ihr wohl, Herr Pastor, wie der Teufel in nichts zerklungen und in Staub zerflogen ist?« Und er faltete in Inbrunst die Hände und dankte und betete; und der Pastor dankte und betete mit ihm und sprach: »So bist du gnädig, barmherziger Gott und Erhalter und Behalter aller Dinge, und erlösest und erquickest den reuigen Sünder!«

Und unter den beiden war große Freude, und sie umhalsten sich in Wonne, wie sich die Engel im Himmel umhalsen, und Fritz sprach: »Mein Abschied ist nahe, und darum geht, Herr Pastor, und holet mir Weib und Kinder.« Und der Pastor hat sie gebracht, und Fritz hat die Hände auf sie gelegt und sie zum letztenmal geküßt und gesegnet, und ist dann augenblicklich mit Zuversicht und Freuden heimgegangen. Denn das Blut war aus seinen Adern gelaufen und die Luft an dem irdischen Leben aus seiner Seele.

 


 


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