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Der Bauer Hans Diebenkorn, ich weiß nicht mehr, in welchem Dorfe er wohnte, hatte einen Sohn, der hieß Jochen, das war ein schlimmer ungeschlachter Junge voll Wildheit und Schalkstreiche, den keiner bändigen konnte. Sein Vater war ein stiller ordentlicher Mann und ermahnte und züchtigte ihn oft und viel, Priester und Schulmeister hobelten und meißelten an ihm mit dem Ernst der Vermahnung und mit der Strenge der Strafe: der Knabe ward mit der Asche und Lauge der Reue und Buße und mit der ungebrannten Asche der Erinnerung, die auf grünen Bäumen als ein recht dunkel blühendes Vergißmeinnichtchen wächst, genug eingerieben und gewaschen – es konnte ihn das alles nicht weich und geschmeidig machen, Jochen blieb Jochen, er blieb der freche und ungehorsame Gesell, der er gewesen war, und wo er einen Schalkstreich konnte laufen lassen, war es seine Freude. Das war daher noch das Schlimmste und machte seinem Vater die meiste Sorge, daß Jochen auch an Kräften unbändig war und in seinem fünfzehnten Jahre sich schon mit jedem lustigsten Knechte im Dorfe im Ringen und Balgen messen konnte. Der üppige und übermüthige Leib war der Zucht zu früh entwachsen. Dazu kam, daß Jochen ein sehr schöner und schlanker Junge war, der das Maul so gut gebrauchen und so angenehm thun konnte, daß kein Mensch unter dieser Kappe den Schelm vermuthete. Desto besser konnte er seine Späße und Schalkstreiche mit andern ausführen; denn er konnte so leidig seyn, daß auch die gescheidtesten und klügsten Leute von ihm angeführt wurden. Der Vater, der seinen Vogel kannte, hielt ihn nun freilich sehr zur Arbeit an; aber so wie er nur einen Augenblick hatte, war auch der Schelm da und sogleich auf allen Gassen Geschrei über ihn. Indessen sagt ein altes Sprichwort: Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht, und das geschah auch bei Jochen.
Er hatte sein besonderes Vergnügen, alte Leute, die auf dem Wege vorbeigingen, und Arme, die ihr Brod vor den Thüren mitleidiger Menschen suchten, zu necken, und that es immer wieder, wie oft sein Vater ihn darüber auch hart gezüchtigt und erinnert hatte, es sey keine größere Sünde, als diejenigen verspotten, welche elend sind, denn ihr Elend komme von Gott und Gott habe sie deswegen unter seinem besondern Schutz.
Nun begab es sich, daß einmal eine arme alte Bettelfrau gegangen kam mit einem Korbe auf dem Kopfe und einem Sack auf dem Rücken. Sie ging gar stümperlich und jämmerlich, stand alle drei Schritt still und ächzete und hustete sehr. Jochen sah sie kommen und machte sich an sie und bot ihr einen freundlichen guten Tag. Sie ward zutraulich und fragte ihn, wie sie über einen tiefen Bach, der vor ihr floß, ins Dorf kommen sollte. O hier, Mutter! komm nur mit! sprach Jochen, hier ist ein Steg, den will ich dir zeigen. Und er ging und sie folgte ihm, und er führte sie auf ein ziemlich schmales und schwankendes Brett, das über den Bach gelegt war. Als die alte Frau aber mitten auf dem Brette war, da fing Jochen an mit dem einen Ende desselben aus allen Kräften zu wippen – er gebehrdete sich aber als taumele er – und wippte so arg, daß das Brett umschlug und die alte Frau mit Korb und Sack in den Bach fiel, so lang sie war. Er sprang nun zu und half ihr wieder aus dem Wasser und stellte sich, als sey er unschuldig an der Sache, greinte und grieflachteWird ausgesprochen an einigen Orten grifflachen, an anderen grieflachen, das letzte offenbar richtiger. Wir haben kein Wort in unserer Sprache, diesem gleich, ein boshaftes Lachen, was sich unter Bart und Lippen verstecken mögte und doch die geheime Freude über fremden Unfall nicht bergen kann, auszudrücken, als dieses sassische Wort. Es drückt die Gebehrde aus, die zwischen Weinen und Hohnlachen in der Mitte um den Mund schwebt. Die erste Sylbe ist in der englischen Sprache übrig, wo es Kummer Traurigkeit bedeutet. Wie Traurigkeit und Bosheit in der Bedeutung der Worte zusammenfallen, davon zeugt jede Sprache, z. B. das italienische tristizia tristezza und das englische mischief, das gothische hemsk (verschlossen hinterlistig, traurig erschrocken) und das sassische inheimsch. aber in sich. Die alte Frau dankte ihm noch und ließ sich nichts merken, zog ihre nassen Kleider aus und hing sie an Sträuchen auf, daß sie an der Sonne trockneten, und fing dann an, damit sie sich die Langeweile vertriebe, mit beweglicher und kläglicher Stimme einige Lieder zu singen. Jochen, der weggelaufen war, kam bald wieder und lauschte; die Lieder gefielen ihm und er setzte sich zu ihr und sagte lachend: Höre, Mutter, singe mir auch einen Vers! Das will ich thun, mein Sohn, sprach die Alte, aber du mußt auch Acht geben und deinen Vers behalten. Und sie sang:
Dukatenkrut hinner'm Tuune,
Leew in dem Pagellune
Un in dem Sparling Treu,
Verstand im lütten Finger –
Dat sünt so sell'ne Dinger,
As Rosen unner't Heu.
Hür nipp nu to, min Jüngken,
Du makst so menning Sprüngken,
Dat Gott vergewen mag!
Veel Müse freten den Kater –
Du denkst ens an dit Water,
Un din juchhe watt Ach.
Jochen lachte unbändig auf, als sie gesungen hatte, und rief: das ist ja ein dummes närrisches Lied, Alte, ohne Sinn und Verstand. Höre! ich singe dir auch eines vor. Und er sang mit heller geschwinder und scherzender Stimme:
De Kukuk up dem Tuune satt,
Dat wutt regnen, un he wutt natt,
De Kukuk un de wutt natt.
Doon schreed he: Ach! min buntes Gatt!
Wo natt! wo natt! wo natt! wo natt!
Min Gatt wat büst du natt!
Kukuk! Kukuk!
De Kukuk flog na Hus –
und darauf lief er davon, that aber vorher ihrem Korbe und ihren Schuhen noch einen Schabernack an.
So machte Jochen es oft und konnte seinen unbändigen Muthwillen gar nicht halten. Eines Tages kam er aus dem Walde und sprang mit Trallalla und Juchheida über das Feld daher; denn lustig war er fast immer. Es war ein kalter Wintertag und schneiete und fror sehr. Als er so tralleiend und juchheiend einen Hohlweg hinablief, stand ein kleiner schneeweißer Mann da, der sehr alt und jämmerlich aussah, und stönte und ächzete bei einem großen Korbe, den er sich auf den Rücken heben wollte und nicht konnte. Als er nun Jochen kommen sah, ward er froh und bat den Burschen freundlich: Lieber Sohn bedenke, daß du auch einmal alt und schwach werden kannst, und hilf mir diesen Korb hier auf den Rücken. Von Herzen gern, sprach Jochen, sprang hinzu hob den Korb auf und hing dem alten Mann die Hänkel desselben um die Schultern, darauf riß er ihn mit dem Korbe um und ließ ihn im Schnee liegen, und lachte und rief im Weglaufen: Piep! Vagel! piep! Der alte Mann wühlte sich wieder aus dem Schnee auf und sammelte was herausgefallen wieder in den Korb, und schrie mit zorniger Stimme hinter dem auslachenden Jochen her: Ja piep! Vagel! piep! Gott wird dich piepen lehren, du gottloser Bube!
Und Gott hat den Vogel pfeifen gelehrt. Denn als Jochen den andern Morgen wieder mit der Axt auf dem Nacken in den Wald gehen sollte, daß er Holz fällete, mußte er wieder durch diesen Hohlweg gehen. Doch wie er näher kam, ward ihm ganz wunderlich zu Muthe, so wunderlich, als ihm in seinem Leben nicht ums Herz gewesen war. Und obgleich es heller lichter Tag war und die Wintersonne eben feuerroth aufging, war ihm doch graulich, als wäre es Mitternacht gewesen, aber das war sein böses Gewissen, und es däuchte ihm immer, als komme der alte Mann jeden Augenblick aus dem Hohlwege auf ihn zu und schreie ihn mit Piep! Vagel! piep! an; und er wäre gern einen andern Weg in den Wald gegangen. Indessen wagte er es doch und ging in den schauerlichen Hohlweg hinein. Aber kaum hat Jochen seinen Fuß auf die Stelle gesetzt, wo er gestern Abend den alten Mann mit dem Korbe in den Schnee gestürzt hatte, so hat es ihn gefaßt und geschüttelt, und in einem Augenblicke ist er weg gewesen und ist auch nie wieder gekommen, und kein Mensch hat gehört, wo er gestoben und geflogen ist. Die Leute haben aber geglaubt, daß der böse Feind ihn geholt habe wegen der vielen verruchten und gottlosen Streiche, die der übermüthige Junge immer verübte.
Das ist es aber nicht gewesen, sondern des alten Mannes mit dem Korbe Piep! Vagel! piep! den er in dem Hohlwege so schändlich umgestoßen und dann noch schadenfroh ausgelacht hatte. Jochen hat pfeifen lernen müssen, er ist in einen Piepvogel verwandelt und der allerkleinste Vogel geworden, der auf Erden lebt. Das ist nun seine Strafe, daß er im strengsten Winter durch die Sträuche und Hecken fliegen und um die Häuser und Fenster der Menschen flattern, meist aber bei armen Leuten rundfliegen und hungern und frieren und piepen muß. Er hat ein graues Röckchen an gleich dem grauen Kittel, den er trug, als er verwandelt worden, und muß bis diesen Tag aus schelmischen und spitzbübisch kleinen Augen lachen, auch wenn ihm weinerlich zu Muth ist. Er heißt der Zaunkönig, die Leute aber nennen ihn aus Spott den großen Jochen oder den kurzen Jan; auch wird er Nesselkönig genannt, weil der arme Schelm durch Nesseln und Disteln und kleine stachlichte Sträuche schlüpfen und fliegen muß und meistens in Nesselbüschen sein Nestchen baut. Da hat er nun Zeit seine Sünden zu bedenken, wann der Wind pfeift und der Schnee stöbert und er in kahlen Hecken und Zäunen sitzen und piepen muß. Da hören die Kinder ihn oft mit seiner feinen Stimme singen und denken an die alte Geschichte von Jochen Diebenkorn. Er singt aber also sein Piep! Vagel! piep!
Piep! Piep!
De Äppel sünt riep,
De Beren sünt gel,
Dat Speck in de Tweel,
De Stuw is warm,
Hans slöpt Grethen im Arm.
Piep! piep!
Wo koold is de Riep!
Wo dünn is min Kleed!
Wo undicht min Bedd!
Wo lang is de Nacht!
Wer hedd dat woll dacht?