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Dreizehntes Kapitel

Die Heimkehr. Die Schreckenskunde. Das Entsetzen. Die Macht der Liebe. Schwermuth. Rachegefühl. Die freundliche Stube. Die Reise. Der Delawaren-Häuptling.

 

Das Abendbrod war so eben aufgetragen, als Schubbert in das Vereinsgebäude trat, ehe er sich jedoch nach dem Speisezimmer begab, erinnerte er Burg nochmals daran, daß er unfehlbar einen Posten so lange ausgestellt halte, bis der junge Wildhorst erschiene.

Bei der Abendmahlzeit fragte der Director den Proviantmeister, ob er auch von Jemandem gehört habe, der nach Braunfels reisen wolle, doch Bickel versicherte, daß es nicht der Fall sei, und daß er jedenfalls zeitig davon unterrichtet werden wurde.

Die Unterhaltung bewegte sich natürlich ausschließlich um die entsetzliche Begebenheit, und das Essen war schon längst abgetragen, als Schubbert und die Beamten immer noch im Gespräch begriffen um den Tisch saßen.

Plötzlich fuhr der Director auf, lauschte einen Augenblick, und sprang dann mit den Worten:

»Ich höre ein Pferd«, zur Thür hinaus.

Er hatte sich nicht geirrt, denn als er aus dem Thore trat, sah er Rudolph, von dem ausgestellten Wachtposten begleitet, in der Straße heranreiten.

Der Director ging ihm entgegen, und als er mit ihm vor seinem Hause zusammentraf, sagte der junge Wildhorst heiter:

Guten Abend, Herr Director, wollen Sie mich gefangen nehmen lassen, daß Sie einen Lauerposten für mich ausstellten?

Ich habe Ihnen Etwas mitzutheilen, lieber Wildhorst, antwortete ihm Schubbert mit trübem, aber freundlichem Tone, steigen Sie ab, und kommen Sie herein.

Rudolph war bestürzt über die ungewohnte Stimmung des Directors, sprang schnell aus dem Sattel, hing den Zügel seines Pferdes an den Pfeiler der Verandah, und folgte Jenem in das Haus.

In Schubberts Zimmer stand eine Oellampe mit niedergeschrobenem Licht auf dem Tisch, so daß dasselbe die Stube nur matt erleuchtete.

Rudolph blieb erstaunt und erwartungsvoll stehen, und der Director schob zwei Stühle an den Tisch, indem er, ohne zu Wildhorst aufzusehen, sagte:

Setzen Sie sich, lieber Wildhorst.

Hier sind die Briefe von Braunfels, nahm Rudolph halb verlegen das Wort, setzte sich nieder, und legte die Depeschen auf den Tisch.

Der Director zog sie zu sich hin, ohne jedoch einen Brief zu öffnen, und begann dann mit kleinmüthiger Stimme:

Es war mir daran gelegen, Sie zu sprechen, ehe Sie in die Stadt reiten würden, weil ich wünsche, daß Sie von hier direct sich zu Ihrer Fräulein Braut begeben möchten.

Allmächtiger, sie ist doch nicht krank? entgegnete Rudolph, erschrocken aufspringend.

Nein, lieber Wildhorst, sie ist nicht trank, sie ist aber traurig und leidend, und verlangt sehr nach Ihnen, fuhr Schubbert fort.

Sie erschrecken mich, Herr Director, sagte Rudolph erbleichend mit bebender Stimme, erlauben Sie mir, daß ich sogleich hinreite?

Ja, lieber Wildhorst, ich bitte darum, daß Sie direct von hier nach Nimanskis Wohnung reiten, Sie werden dort sehnlichst erwartet.

Es ist doch dem Herrn Major Nichts zugestoßen, bester Herr Director? fragte Rudolph mit wachsender Bestürzung, und öffnete die Thür.

Nein, Wildhorst, Sie werden ihn bei Ihrer Braut finden, fuhr Schubbert fort, und ergriff nun die Hand des jungen Mannes, drückte sie fest und innig, und sagte:

Die Liebe eines so edlen Wesens, wie Ihre Braut, ist ein seltenes, ein kostbares Geschenk des Himmels.

Mein Gott – was ist denn geschehen? rief Rudolph jetzt ausser sich, sprang hinaus nach seinem Pferd, warf sich in den Sattel, und sprengte, während der Director ihm mitleidig nachsah, in der San Sabastraße hinauf davon.

Er hatte die letzten Häuser erreicht, sein Auge richtete sich spähend über die weite Grasfläche nach der Wohnung der Geliebten hin, doch im Mondlicht verblich der helle Schein des Fensters.

Nach wenigen Augenblicken aber sah Rudolph das traute Licht ihm entgegenblicken, und im Sturmlauf trug ihn nun das flüchtige Roß an die Einzäunung.

Gottlob, mein Rudolph! tönte ihm die theure wohlbekannte Stimme Ludwinas vom Hause her entgegen, und den Zügel über die Pallisaden werfend, flog er der Geliebten in die Arme.

Meine Ludwina, Gott sei gedankt, es war mir so bange, daß Dir Etwas geschehen sei. Wo ist Dein Vater? sagte der Jüngling, freier aufathmend, als auch der Major unter die Verandah trat, und ihn liebevoll und herzlich empfing.

Ludwina war verstummt, hielt Rudolph aber mit ihrem Arm umschlungen, und führte ihn in das Zimmer.

Ihr seid ja so still, was ist Euch denn geschehen? fragte dieser wieder bestürzt, und heftete nun seinen Blick auf Ludwinas Augen, Du hast ja geweint, Ludwina, fuhr er erschrocken fort, ich bitte Euch, sagt mir, was Euch fehlt?

Ludwina aber führte ihn in ihrem Arm in das Sopha, und sagte, ihre ganze Seele in ihrem Blick, zu ihm:

Wird die Liebe, die herzinnige, treue Liebe Deiner Ludwina hinreichen, Dir den Schmerz tragen zu helfen, der Deiner harret, Dir zu ersetzen, was Du verloren hast?

Einen Augenblick nur starrte Rudolph erbleichend das liebende Mädchen an, dann erbebte er, faltete seine Hände, und stammelte unter einem Strom von Thränen:

Ach, guter Gott – mein armer Vater! Darauf sank er in sich zusammen, senkte sein Antlitz in seine Hände, und weinte bitterlich.

Auch Ludwina weinte, legte ihren Arm um Rudolphs Nacken, und schmiegte ihre Wange an die seinige, und so saßen sie lange Zeit, sich ihrem Schmerz und der Wohlthat der Thränen hingebend.

O, Du guter Vater, hub Rudolph endlich weich und wehmüthig an, warum durfte ich denn nicht bei Dir sein und Dir die theuren Augen schließen!

Dann trocknete er seine Thränen, suchte seiner Stimme Herr zu werden, und sagte, Ludwina an sich ziehend:

Ach, er war so gut, so seelengut, der liebe alte Mann, und auch Dich, Ludwina, hatte er so innig lieb.

Das Schluchzen und die Thränen nahmen ihm abermals die Worte, er ermannte sich aber wieder, und fragte:

Er ist doch noch nicht beerdigt?

Nein, Rudolph, noch nicht, antwortete Ludwina mit liebender Stimme, und setzte nach einigen Augenblicken noch halblaut hinzu:

Ach, ich wollte, Du könntest es über Dich gewinnen, ihn nicht zu sehen.

Ich ihn nicht noch einmal sehen? rief Rudolph unter einem neuen Thränenstrom, – O, den lieben, den guten Vater sollte ich nicht noch einmal sehen, Ludwina?

Ich fürchte, er ist sehr verändert, sehr entstellt, antwortete diese zaghaft.

O, der Tod hat keine Macht, mir die theuren Züge weniger lieb zu machen. Ich muß ihn gleich sehen.

Ach, nicht in dieser Nacht, Rudolph, warte bis Morgen, bat Ludwina noch ängstlicher.

Wie wäre es mir möglich, theures Mädchen, die Nacht zu verbringen, ohne mich seinem Sterbelager genaht, ohne mich in seiner Nähe ausgeweint zu haben. Nein, Ludwina, es wird mir wohlthun, es wird mich trösten, auf sein geliebtes Antlitz zu schauen, wenn der Tod mir auch seinen liebevollen Blick vorenthält.

Rudolph wollte sich bei diesen Worten erheben, doch Ludwina hielt ihn von Angst gefoltert im Sopha zurück, und sagte mit zitternder Stimme:

Er ist nicht hier gestorben.

Nicht hier gestorben – wo denn? versetzte Rudolph erschrocken.

Er war auf der Reise nach Austin, als das Schicksal über ihn kam, fuhr Ludwina halblaut fort.

So ist ihm ein Unglück zugestoßen, – er ist vielleicht mit seinem Pferde gestürzt? O, Du guter Vater, und ich durfte nicht bei Dir sein! klagte Rudolph wieder unter Schluchzen und Thränen, und verbarg sein Gesicht in seinen Händen.

Nein, Rudolph, es waren die Indianer, es war Kateumsi, der –

Was sagst Du, Kateumsi schrie Rudolph, wie von der Hand des Bösen erfaßt, und schoß aus dem Sopha auf. Sag' es noch einmal, ist es wahr, ist er gemordet, von diesem Ungeheuer gemordet?

Ach, Rudolph, ich bitte Dich, mir zu Liebe, sei ruhig, sagte Ludwina erbebend, und warf sich an die Brust des Jünglings, doch er wehrte sie ab, und wollte nach der Thür eilen.

Nein, nein, ich lasse Dich nicht von mir, rief Ludwina jetzt in Verzweiflung, warf sich vor ihm nieder, und umklammerte seine Kniee.

Höre mich, Rudolph, höre Deine Ludwina, flehte sie zu ihm auf, da trat der Major in das Zimmer, und ergriff die Hand des Jünglings mit den Worten:

Gott hat es gewollt, Rudolph, und unsere Pflicht ist es, das Unglück, welches er über uns verhängt, ohne Murren, ohne Auflehnen gegen seine Fügungen zu tragen. Kannst Du Deine Braut, Deine Ludwina flehend Dir zu Füßen sehen, ohne ihre Bitte zu erhören? Komm, sei nun unser guter Rudolph, wir theilen Deinen Schmerz mit Dir.

Rudolph stand wie angewurzelt da, und stierte finstern Blicks vor sich hin, seine Thränen waren versiegt, und die weiche Ergebung in sein Schicksal war aus seinem Wesen verschwunden.

Er war verstummt, er ließ sich willenlos von Ludwina in das Sopha zurückführen, erwiederte aber die Bemühungen ihrer grenzenlosen, ihrer geängstigten Liebe nicht, womit sie seine Gedanken wieder auf sich ziehen wollte.

So saß er lange Zeit vor sich hinbrütend da, bis er endlich sich mit der Hand über die Stirn fuhr, sich erhob, und mit tonloser Stimme sagte:

Ich werde jetzt zu meinem Vater gehen, ich muß ihn sehen.

Ludwina fühlte, daß ihre Bitten gegen diesen seinen Beschluß ohnmächtig sein würden, sie sah rathlos zu ihrem Vater auf, und dieser trat nun zu Rudolph hin, ergriff dessen Hand und sagte:

So werde ich Dich begleiten, Rudolph, doch lieber wäre es mir gewesen, wenn wir Morgen erst hingegangen wären.

Rudolph aber nahm seinen Hut und seine Büchse, und schritt schweigend aus der Thür und hinaus nach seinem Pferd, während der Major ihm folgte.

Ludwina hatte schnell ein Tuch über den Kopf geworfen, hatte das Haus verschlossen, und trat an Rudolphs Seite, als derselbe den Zügel seines Rosses ergriff, und es hinter sich herleitete.

Ich gehe mit Dir, Rudolph, es giebt kein Leid, so wie es keine Freude geben darf, die Deine Ludwina nicht mit Dir theilen sollte, sagte sie zaghaft, und legte ihren Arm in den seinigen.

So meine ich, müßte es sein zwischen zwei Herzen, die sich für Lebenszeit angehören wollen, ist Leid, oder Freude im Stande, sie auch nur auf kurze Zeit zu entfremden, so hängt ihr Glück an seidenem Faden, fiel der Major mit ernster, mahnender Stimme ein.

Rudolph fühlte die Wahrheit dieser Worte, er fühlte, daß er ohne die beiden treuen Seelen, zwischen denen er dahinschritt, jetzt ganz allein und verlassen in der Welt stehe, und sein, in Unglück, in Verzweiflung zusammengezogenes Herz öffnete sich wieder den mildern, den bessern Gefühlen. Er ergriff Ludwina's Hand zugleich des Majors Hand, drückte sie herzinnig, und senkte sein Haupt, um die Thränen, die wieder seine Augen füllten, in dem Schatten seines Hutrandes zu verbergen.

So schritten sie alle Dreie beruhigter über die Grasfläche hin, und erreichten das Ziel ihrer Wanderung. Rudolph hing den Zügel seines Pferdes über die Einzäunung, öffnete seinen Begleitern die Gartenthür, und folgte ihnen nun schwersten Herzens nach dem Hause.

Kein Licht schien ihnen entgegen, wohl aber richteten sich zwei dunkle Gestalten unter der Verandah auf. Es war der alte Diener und die alte Magd des Verstorbenen, die ihren jungen Herrn empfangen wollten.

Sie hatten aber keine Worte und weinten laut. Rudolph trat zu ihnen, und reichte beiden erschüttert die Hand, es war ihm, als wolle ihm das Herz brechen.

So stand er mit ihnen eine Weile, dann ermannte er sich, bat den Diener, sein Pferd zu besorgen, und wandte sich dann zu der Magd, und sagte: »Gieb uns ein Licht, gute Liese.«

Dieselbe ging schluchzend in das Haus voran, und gleich darauf erhellte sich das Wohnzimmer im Schein der Lampe, welche die Alte angezündet hatte.

Mit thränenschwerem Blick schaute Rudolph in dem Zimmer umher, und stand augenscheinlich zögernd und bangen Herzens vor der Thür, durch welche er zu seinem gemordeten Vater eintreten sollte, Ludwina aber legte leise ihren Arm um ihn, und schmiegte sich an seine Brust.

Kommt, Kinder, laßt uns zu unserm entschlafenen Freunde eintreten, und wenn seine irdischen Reste auch noch so sehr entstellt sind; dem entflohenen Geiste war es ja gleichgültig, was mit seinem Körper geschah. Komm, Rudolph, sei eben so stark, wie Dein zweiter Vater es ist.

Mit diesen Worten ergriff der Major das Licht, öffnete die Thür, und schritt, von den Andern gefolgt, in das Schlafzimmer des Obristen.

Da standen sie vor dem Lager des theuren Entseelten, und schauten kalt durchschauert auf das Leintuch, welches ihn verhüllte.

Nimanski wollte stark sein, er hob das Licht hoch empor, erfaßte das obere Ende des Tuches, und schlug es bis auf die Brust des Gemordeten zurück.

Mit einem Schrei des Entsetzens fuhren alle Dreie vor dem gräßlichen blutigen Anblick zusammen, das Licht zitterte in der Hand des Majors, und mit seiner Linken warf er rasch das Tuch wieder über den Kopf der Leiche.

In demselben Augenblicke aber entriß sich Rudolph den Armen seiner Braut und warf sich in wilder, rasender Verzweiflung über die Leiche seines Vaters hin.

Er weinte, er schrie in seinem Schmerz, und stieß nur einzelne furchtbare Worte, unzusammenhängende Schwüre der Rache aus; der Major aber ergriff ihn bei der Hand, zog ihn von der Leiche zurück, und schloß ihn mit den Worten an seine Brust:

Die Rache, mein Sohn, überlasse dem Herrn über uns, der Dir in einem zweiten treuen Vater und in einem liebenden Mädchenherzen Trost und Beistand in Deinem Unglück gab.

Dann überließ er ihn dem Arme Ludwina's, die sich schluchzend an ihn schmiegte, schritt rasch mit dem Lichte ihnen voran aus dem Zimmer, und verschloß dann die Thür.

Rudolph war wie vernichtet, der unnatürlichen Aufregung folgte die Erschlaffung, die Abgespannheit, und willenlos ließ er sich von Ludwina, ihrem Vater folgend aus dem Hause führen. Dort redete der Mayor noch einige Worte zu den Dienern, ergriff dann Rudolphs andern Arm, und schritt mit ihm nun seiner eigenen Wohnung zu.

Du bleibst bei uns, Rudolph, sagte er liebevoll zu ihm, Ludwina macht Dir ein Lager in meinem Zimmer, und so bist Du bei den Deinigen.

Die grenzenlose Liebe und Theilnahme Ludwina's und ihres Vaters verfehlten nicht, ihren mildernden, besänftigenden Einfluß auf den verzweifelten Gemüthszustand des Jünglings auszuüben, er wurde ruhiger und gefaßter, und gab sich nicht mehr den zügellosen, leidenschaftlichen Ausbrüchen seiner Rachegefühle hin, wenngleich dieselben in seinem Innern die festesten Wurzeln geschlagen hatten.

Nur noch Einmal sollte er von dem Sturm seines Unglücks ergriffen werden; es war am Grabe seines Vaters, als derselbe zur Erde bestattet wurde, doch auch in diesen Augenblicken kamen ihm die Liebe und Theilnahme segnend zu Hülfe, und glätteten die wilden Wogen seines Schmerzes.

Ganz Friedrichsburg war den drei Gemordeten hinaus nach dein Kirchhof gefolgt, um ihnen die letzte Ehre zu erzeigen, und die bösen Gefühle, welche damals Weltges Tod unter der Einwohnerschaft gegen die Indianer im Allgemeinen erzeugt hatte, wurden bei diesem Leichenzug wieder von Neuem angefacht.

Das Rad des Alltäglichen hatte in Friedrichsburg wieder seinen gewohnten Kreislauf angenommen, und das Schicksal des Obristen von Wildhorst und seiner beiden Gefährten war aus der täglichen Unterhaltung verschwunden, nur wenn man Rudolph begegnete, so rief seine ganz veränderte Erscheinung unwillkürlich die Schreckensgeschichte wieder in die Erinnerung zurück.

Er war nicht mehr der heitere, sorgenfreie, frohe Jüngling mit strahlendem Glück in seinen großen klaren Augen und dem Herzen, offen für die ganze Welt. Es war nicht mehr der leichte elastische Gang, mit dem er dahin schritt, als gehöre ihm die Erde so weil der Himmel blau, es war nicht das freundliche, von übersprudelnder Lebenslust hingeworfene scherzende, oder neckende Wort, welches er im Vorübergehen zum Gruße bot – sein Aeßeres war ernst, sinnend, theilnahmslos, sein Blick war düster, und statt den Menschen absichtlich zu begegnen, ging er ihnen aus dem Wege. Seine Schritte waren langsamer und fester, als sei er mehr an die Scholle gebunden, und sein Wort war karg ohne Begeisterung, als wären seine Gedanken weit von ihm.

Wo er ging, wo er stand, sah er das blutige, zerschlagene Haupt seines Vaters vor sich, und in der Ferne zeigte sich ihm dann die teuflische dunkle Gestalt Kateumsi's, und hielt des gemordeten unglücklichen Greises Kopfhaut mit den silberweißen Locken höhnisch lachend empor.

Eine unabänderliche innere Stimme sagte Rudolph dann immer, daß der Mörder seines Vaters, seines eignen Seelenfriedens von seiner Hand sterben müsse, wie, wo und wann – die Fragen konnte er sich noch nicht beantworten. Tödten aber mußte er ihn, und wenn es in der letzten Minute seines eignen Lebens sein sollte, dies Gefühl war in ihm, und der Gedanke daran wurde von Tag zu Tag mächtiger und deutlicher in seiner Seele, und verdrängte mehr und mehr jedes andere Interesse.

Wie aber konnte er des Ungeheuers, dieses Kateumsi's ansichtig werden, wo sollte er ihn suchen, und wie sich ihm nahen, ohne durch dessen wilde Schaar entdeckt und an der Ausführung seines Vorhabens verhindert zu werden?

Es war nicht zu erwarten, daß derselbe sich bald wieder in die Nähe der Stadt begeben würde und doch sah Rudolph darin die einzige Möglichkeit, mit ihm zusammenzutreffen.

Die Jagd wurde jetzt seine einzige Beschäftigung während der Zeit, wo ihn der Dienst nicht in der Stadt zurückhielt, und oft war es noch bei Sonnenuntergang, daß er die Büchse ergriff, und hinaus in die nahen Berge eilte; ja bei Mondschein verbrachte er, nachdem er sich bei Ludwina verabschiedet hatte, anstatt sich zu Hause zur Ruhe zu begeben, ganze Nächte draußen in der Umgebung der Stadt, und hoffte, dem Todfeinde zu begegnen.

Ludwinas liebendem Auge konnte die Veränderung in dem Benehmen, in dem Denken und Fühlen des Geliebten nicht entgehen, doch umsonst bot sie alle ihre Liebe, all ihr Dichten und Trachten auf, die tiefe Schwermuth von ihm zu verscheuchen und den, ihn wie ein böses Gespenst verfolgenden Gedanken an den Mörder seines Vaters aus seiner Seele zu nehmen.

Umsonst ergriff auch der Major oftmals die Gelegenheit, wenn er sich allein mit ihm befand, und stellte ihm liebevoll vor, wie er sein eignes und Ludwinas Glück durch seine Abgezogenheit und Theilnahmlosigkeit untergrabe, Rudolph erkannte dann wohl das Thörichte seines Verfahrens, es that ihm weh, Ludwina zu betrüben, und er versprach, sich zu ändern, doch bald gewannen die unseligen Gedanken wieder die Oberhand über seinen guten Vorsatz, und er verfiel abermals der finstern Macht, die ihm weder Rast noch Ruhe gönnte.

Nimanski ging das Schicksal des unglücklichen Rudolphs sehr zu Herzen, denn es griff ja zugleich so störend in das Leben seines geliebten einzigen Kindes und auch in sein eignes ein, und er sann und sann auf Mittel und Wege, wie er dem Jüngling zu Hülfe kommen, wie er ihm seine Heiterkeit, sein Glück wiedergeben könne.

Einen Hauptgrund für die Dauer der geistigen Versunkenheit, der Abgeschlossenheit Rudolphs sah der Major in dem Alleinleben desselben, in seinem Aufenthalt in der Wohnung seines Vaters, wo ihn jeder Blick an die schreckliche That, die an demselben begangen war, erinnerte. Die baldmöglichste Vereinigung mit Ludwina schien Nimanski das einzige Mittel, dein Unglücklichen seinen Frieden wiederzugeben und Glück und Heil für sie Alle daraus erwachsen zu lassen.

Und dieses Ziel in erreichen, legte der Major nun rasch Hand ans Werk, und begann, die nöthigen Veränderungen in seiner Wohnung zu machen, um mit dem jungen Ehepaar zusammen darin leben zu können.

Von dem Plan, den er mit dem Obristen gehabt hatte, ein großes Haus zu bauen, war er nun zurückgekommen, er wollte nur einen Anbau an seine Wohnung ausführen, wollte sich von dem Director noch die zwei zunächst dem seinigen gelegenen Stadtlots gegen Bezahlung zuweisen lassen, um das Haus anlegen zu können, und dann sollte im Frühjahr die Hochzeit Ludwinas und Rudolphs sein.

Der Winter war hereingebrochen, und Abends bot das Kaminfeuer nicht allein eine trauliche Unterhaltung, seine Wärme that aber auch wohl, denn oft fiel das Thermometer auf Null.

In dem Wohnzimmer Nimanskis war es besonders heimisch und wohnlich, die Wände bestanden zwar aus den nackten, glattgehauenen, übereinander gelegten Baumstämmen, doch die Fugen dazwischen waren mit Mörtel ausgefüllt und mit dünnen Dielenstreifen übernagelt, so daß die Luft nicht, wie in andern Blockhäusern, aus allen Himmelsrichtungen ungehindert durchblasen konnte, und der aus dicken Bohlen dicht zusammengefügte Fußboden war mit einem schweren wollenen Teppich bedeckt, der auf der Reise von Europa hierher den Wanderern oft im Lager als Unterlage gedient hatte.

Das Zimmer trug in seiner Ausstattung überhaupt ein Gemisch von europäischem verfeinertem Leben und solchem an der Grenze der Civilisation zur Schau.

Der große Spiegel mit breitem vergoldeten Rahmen, die schönen Oelbilder und Kupferstiche zu dessen Seiten, so wie die seidenen rothen Vorhänge standen in auffallendem Gegensatz zu dem roh gezimmerten Tisch von Eichenholz und den damit übereinstimmenden Schemeln, während das Sopha die alte und neue Heimath zugleich vertrat; denn sein Gestell war nur von ungeschickter Hand aus Holzstücken zusammengenagelt, wogegen ein Ueberzug von rothem Seidenzeug die Polster von getrocknetem Baummoos verdeckte.

Vor dem geräumigen Kamin aber stand ein eleganter Schaukelstuhl von Mahagoniholz als Vertreter des amerikanischen Comforts, während zu beiden Seiten des Feuerplatzes kleine Bänke aufgestellt waren, die der geschickten Hand Rudolphs ihr Dasein verdankten.

Wenn nun Abends das flackernde Feuer in dem Kamin knisterte, und seine Flammenzungen die rothen Funken über sich sprühten und ihr Licht tanzend in dem Zimmer hin- und herwarfen, dann war es hier ein recht heimliches, trautes Plätzchen, so lieb und friedlich, wie das alte Europa mit all seinem Ueberfluß kein schöneres bieten konnte.

Ludwina, die Göttin dieses Reiches, saß dann vor dem Feuer in dem Schaukelstuhle und theilte ihre Aufmerksamkeit, ihre Lieblichkeit zwischen dem Rechts neben dem Kamin sitzenden Major und dem Links auf der andern Bank ruhenden Geliebten ihres Herzens, und sie schien dann mit dem flackernden Feuer zu wetteifern, um die Unterhaltung zu beleben und zu erheitern.

Kastanien und Wallnüsse, von welchen sie mit Rudolph im Herbste in den Wäldern Vorräthe gesammelt hatte, wurden herbeigeholt, erstere wurden vor der Kohlengluth geröstet, die Nüsse wurden geknackt, und oftmals bereitete Ludwina Glühwein, oder Punsch, und reichte kleine Sandkuchen dazu, welche sie ausgezeichnet gut zu bereiten verstand.

In diesen Zauberkreis vermochten die finstern Geister, welche Rudolph so unsäglich marterten, ihm nicht zu folgen, er sah hier nun das Glück seines Lebens, seine angebetete Ludwina, er fühlte nur die Wonne ihrer Nähe und die Seligkeit ihrer Liebe.

Wenn sie ihm dann aber das Geleit bis vor die Einzäunung gegeben, er den letzten Kuß zum Abschied von ihr empfangen hatte, und nun allein durch die Nacht dahinschritt, um sich nach seiner Wohnung zu begeben, dann fanden sich die finstern Gedanken wieder bei ihm ein, und verdrängten das Bild des geliebten Wesens, das ihn noch so eben so hoch beglückt hatte, aus seiner Seele.

Die trauernden alten Dienstboten, die ihn zu Hause schweigend empfingen, alle Gegenstände, die ihn dann in dem Zimmer, von dem düstern Licht der Oellampe beleuchtet, anschauten, und seine Einsamkeit, so wie die Stille um ihn her fachten dann seine trüben Phantasien wieder an, und wohin er blickte, sah er seinen Vater und Kateumsi vor sich.

Auch der Director, dem Rudolph mit unbegrenzter Zuneigung ergeben war, hatte wiederholt mit ihm über seinen Seelenzustand geredet und es ihm vorgehalten, wie er sich, so wie seine Braut und deren Vater unglücklich dadurch mache, daß er sich so unmännlich und kraftlos seinen trüben Gedanken überlasse, und er suchte ihn durch viele Beschäftigung zu zerstreuen, und nahm ihn auch häufig mit, wenn er selbst auf die Jagd ritt.

Eine Gelegenheit, Rudolph mit einer Depesche nach Braunfels zu schicken, war dem Director erwünscht, da er hoffte, daß sein Aufenthalt in jener Stadt unter alten Freunden und Bekannten wohlthätig auf seinen Gemüthszustand einwirken werde.

An demselben Morgen, an welchem Rudolph die Reise angetreten hatte, erschien plötzlich der Delawarehäuptling Youngbear bei dem Director, und theilte ihm mit, daß er am verflossenen Abend mit seinem Stamme an der Pierdenales angelangt sei und dort sein Lager aufgeschlagen habe.

Er sagte, er kehre erst jetzt von seinem Jagdzuge aus dem Norden zurück, habe sich nur wenige Wochen in der Niederlassung der Delawaren am Kansasflusse aufgehalten, und werde von hier wieder hinunter in den ewigen Frühling ziehen, um dort den Winter zu verbringen.

Sehr leid that es ihm, daß er Rudolph nicht begegnet war, er meinte, derselbe müsse der Straße gefolgt sein, während er, Youngbear, durch den Wald gekommen wäre, Er sagte: »Der junge Adler wird das Lager der Delawaren an der Pierdenales sehen und bald zurückkehren, um seinen Freund Youngbear zu begrüßen.«

Der Director theilte dem Häuptling nun das schreckliche Schicksal von dem Obristen mit, und machte ihn dann auch mit den unglücklichen Folgen bekannt, die dasselbe auf Rudolphs Gemüth gehabt habe.

Youngbear hörte mit finsterm Blick der Erzählung zu, und hub, als der Director schwieg, mit feierlichem Tone an:

Wer den Vater tödtet, muß von dessen Sohn getödtet werden, oder auch ihn tödten.

Wenn Du auch Recht hast, Youngbear, so darfst Du so nicht zu Rudolph reden, denn er würde davon gehen, um Kateumsi aufzusuchen, und vielleicht niemals wiederkehren. Was sollte dann aus seiner Braut werden? Sie würde es nicht überleben, und wenn Du ihm den Rath gegeben hättest, so trügest Du die Schuld an dem Tode der Braut, antwortete der Director mit ernster Stimme, wobei ihn der Häuptling anblickte, als ob er die Wahrheit dieser Worte fühle.

Er stand einige Augenblicke sinnend da, dann sagte er:

So muß der Freund des jungen Adlers dessen Vater rächen und Kateumsis Herz aufhören lassen zu schlagen, denn Youngbear ist auch der Freund der weißen Taube, die ihn mit ihrem Tuch geschmückt hat, und deren Leben er schützen muß. Youngbear wird dem jungen Adler den Scalp seines Todfeindes, des Mörders seines Vaters bringen. Jetzt aber ist Kateumsi an den fernen Ufern des Brazosflusses, wo dessen Wogen sich über die Felsen stürzen, so daß man ihre Stimme weithin hören kann; dort jagt er den Büffel, der hier in den Bergen jetzt hungern müßte. Wenn Youngbear aber im Frühjahr hierher zurückkehrt und bei dem Hochzeitsfest des jungen Adlers und der weißen Taube sein Herz erfreut hat, dann gießt er die Kugel für Kateumsi.

Sein Tod würde für unsre Stadt ein Segen sein, denn so lange er lebt, wird er uns keine Ruhe lassen, versetzte der Director, und erzählte dem Häuptling nun auch, wie Kateumsi die Stadt gestürmt und Ludwina sie vertheidigt habe.

Mit jedem Worte des Directors blitzten die Augen des Delawaren heller und feuriger, bis er zuletzt in höchster Begeisterung ausrief:

Die Schwingen der weißen Taube sind so stark, wie die des Adlers, und ihr Herz ist so schön, wie ihre Augen. Youngbear ist ihr bester Freund!

Nachdem der Director sich lange mit dem Häuptling unterhalten hatte, sagte dieser:

Ich habe eine Bitte an Dich.

Die ich mit Freuden erfülle, wenn es in meiner Macht steht, antwortete Schubbert.

Erlaube mir, daß ich hier in Deiner Nähe Bären jagen darf; ich habe viele starke Fährten gefunden, fuhr Youngbear fort.

Jage so viel Du Lust hast, antwortete der Director, doch unter der Bedingung, daß Du mir das Bärenöl verkaufst, denn mein Vorrath davon geht zu Ende. Im vorigen Winter hatte ich beinahe fünfzig Hirschhäute voll Bärenöl auf dem Lager liegen, welche alle über sechzig Pfund wogen, und jetzt habe ich nur noch zwei oder drei davon. Wir haben aber auch kein anderes Fett zum Braten und Schmelzen, zum Einschmieren von Leder und zum Brennen auf der Lampe. Es ist ein Glück für uns, daß es so viele Bären hier in der Gegend giebt, und daß die Indianer das Oel hierherbringen. Ich entsinne mich auch nicht eines einzigen Males, daß ich auf die Bärenjagd geritten wäre, ohne einen, oder mehrere dieser Thiere gefunden zu haben, freilich ist nicht jeder Tag Fangtag.

Ich werde eine große Jagd mit meinen sämmtlichen Leuten machen, sagte Youngbear, und da soll es Dir an Oel nicht mehr fehlen.

So will ich mit Euch reiten, ich bin doch lange nicht draußen gewesen, bemerkte der Director, wann wollt Ihr jagen?

Uebermorgen früh, antwortete der Häuptling, Heute und Morgen müssen sich meine Leute, die Pferde und die Hunde ruhen.

Youngbear blieb zum Mittagsessen bei dem Director, er freute sich, die Beamten, namentlich aber seinen guten Freund Bickel wiederzusehen, und nach Tisch begleitete ihn Schubbert nach dem Lager, wo ihn die Delawaren freudig und herzlich begrüßten.


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