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Nachricht in Galveston über Werner's, Magdalene Kunze, Stein's Abreise nach Neu-Braunfels, die wilden Pferde, alte Bekannte, die gefangene Stute, Ankunft bei Harmuth's, freundlicher Empfang, das Wiedersehen, Aufenthalt auf der Farm, das Brautpaar, Stein's Abreise.
Während dieser Zeit war die Nachricht von dem gänzlichen Untergang der Werner's nach Galveston gekommen, wo sie unter den dort befindlichen Emigranten die größte Aufregung hervorbrachte; nicht weil man besonderes Interesse für diese Familie gehegt hätte, sondern weil ein Jeder in dem Schicksal derselben mehr oder weniger seine eigene Zukunft erblickte.
Herrn Stein traf aber insbesondere die Schreckensnachricht sehr hart, da er ein persönlicher, herzlicher Freund der Werner's gewesen war und sich ihrer häufig mit warmer Zuneigung erinnert hatte. Namentlich war ihm während seines kurzen Zusammenseins mit ihnen Mathilde lieb und werth geworden, er halte mit Freuden ihre kindliche Ergebenheit gegen ihre Eltern, ihre liebevolle Sorgfalt für ihre jüngeren Geschwister und ihre anspruchslose Umsicht und Thätigkeit in häuslichen Angelegenheiten schätzen gelernt und bewundert, und nicht selten war seit ihrer Abreise der Gedanke in ihm aufgestiegen, wie sehr glücklich sie einst den Mann machen werde, der sie zur Frau bekommen würde.
Die Nachricht von ihrem Tode rief ihm alle ihre vortrefflichen Eigenschaften wieder lebhafter in die Erinnerung zurück und stimmte ihn traurig und niedergeschlagen.
Um dieselbe Zeit wurden eines Morgens die Bewohner von Galveston und namentlich die dortigen Deutschen durch eine andere Trauerkunde in Aufregung versetzt, nämlich durch den Tod der unglücklichen Magdalene Kunze, die mit einem Dolch im Herzen von ihren Eltern entseelt auf ihrem Lager gefunden worden war. Das Wohlleben, in welches die Familie Kunze durch den Amerikaner Stockton versetzt wurde, als er ihre liebliche Tochter zu sich nahm, hatte nicht lange gedauert; Magdalene wurde nach wenigen Monaten von Stockton zu ihren Eltern zurückgesandt, ihre Stelle bei ihm durch ein anderes deutsches Mädchen, welches er durch ähnliche Versprechungen und Geschenke gewonnen hatte, ersetzt, und Kunze's mußten das Haus, welches er sie unentgeltlich hatte bewohnen lassen, sofort räumen, da er den Angehörigen der neuerdings von ihm angenommenen Tochter den Besitz davon überwiesen hatte.
Nur wenige Tage überlebte Magdalene die Erkenntniß ihres Falls, die ihr leider erst durch Stockton's Treulosigkeit klar wurde, und in tiefster Armuth und Dürftigkeit sollte ihre Mutter das durch Eigennutz und Eitelkeit an ihrem Kind begangene Verbrechen bereuen.
Stein, der biedere Menschenfreund, nahm sich auch der Familie Kunze in ihrer höchsten Noth hilfreich an, rieth dazu, Morgens und Abends in dem Markthause Kaffee und Chocolade zu schenken, versah sie mit dem nöthigen Gelde, um die Einrichtungen dazu zu machen, auch die ersten Materialien dafür anzuschaffen, und setzte sie auf diese Weise in den Stand, ihren Lebensunterhalt, wenn auch nur kümmerlich zu verdienen.
Stein hatte sich auch in Geschäfte mit dem Verein eingelassen, hatte Lieferungen für dessen Rechnung an die Emigranten gemacht und der Direktion in Neu-Braunfels baares Geld vorgeschossen, welche Angelegenheit ihn um diese Zeit veranlaßte, selbst eine Reise nach Neu-Braunfels zu unternehmen.
Mit seinem edlen, kräftigen braunen Virginischen Vollblutpferde ließ er sich an das Festland übersetzen, ritt an der Meeresküste hin bis nach Indian Point und suchte gleich nach seiner Ankunft daselbst Herrn Rößler, den Agenten des Vereins, auf, um von ihm das Nähere über das Schicksal der Werner's zu erfahren, welches ihm noch immer so manche trübe Stunde machte.
Rößler bestätigte die traurige Kunde, doch erfuhr Stein durch ihn, daß Albert, den er auch für todt gehalten hatte, noch am Leben und in den Krieg gezogen sei. Gern hätte er denselben zurückgerufen und wäre ihm behilflich gewesen, sich in einer andern Weise eine sichere Existenz zu gründen; doch dazu war es zu spät, und er tröstete sich mit der Hoffnung, daß derselbe glücklich aus dem Feldzug zurückkehren möge, wo er dann doch wohl noch Gelegenheit finden würde, sich ihm nützlich zu zeigen.
Stein hatte auch Lieferungen für die Amerikanische Armee übernommen, und da deren Quartiermeister seinen Aufenthalt in San Antonio hatte, so schlug er an der andern Seite von Victoria den Weg nach jener Stadt ein, um zuerst dort seine Geschäfte zu ordnen und dann nach Neu-Braunfels weiter zu reiten.
Mit den schmerzlichsten Gefühlen zog er auf der alten Straße dahin, auf welcher Werner's, wie er von Rößler gehört, ihr schreckliches Ende gefunden hatten. Bei dem Anblick jedes Waldes, jedes Wassers, an dem er vorüber ritt, trat ihm das traurige Bild der Verunglückten vor die Seele, so daß ihm die offene endlose Prairie, die sich westlich von dem Sandiesflusse nach dem Ciboloflusse hin vor ihm ausdehnte, herzlich willkommen war.
Am letzteren Gewässer wohnte ein deutscher Farmer Namens Harmuth, der schon vor mehreren Jahren eingewandert war und sich dort niedergelassen hatte, und welchem Stein bei seiner Ankunft in Galveston, sowie auch bei der Wahl und der Gründung seiner Farm sehr hilfreich gewesen war.
Seit jener Zeit hatte er mit ihm in fortwährender Geschäftsverbindung gestanden, hatte ihn mit allen Bedürfnissen, die er von außen her beziehen mußte, versorgt und erhielt dagegen regelmäßig im Herbst dessen Baumwollenernte zum Verkauf, woraus er sich selbst dann bezahlt machte und den Ueberschuß zu Harmuth's Verfügung hielt.
Stein beabsichtigte, auch ihn auf diesem Ritt zu besuchen, da dessen Besitzung, nur wenige Meilen von der Straße entfernt, an dem Ufer des Ciboloflusses lag, und er dachte es so einzurichten, daß er sich eine Nacht bei ihm ausruhe, um mit Muße die Geschäfte mit ihm abmachen zu können.
Er hatte an dem Coletoflusse, der die Straße auf halbem Weg zwischen der Guadelupe und dem Cibolo kreuzt, die Nacht zugebracht und benutzte den sehr frühen andern Morgen, um noch vor eintretender größter Hitze den Fonkawabach zu gewinnen, wo er die Mittagsstunden rasten und dann in der Kühle des Abends zu Harmuth reiten wollte.
Der Morgen war frisch und erquickend, der Wind vom Golf her wehte kühlend über das in der aufsteigenden Sonne glänzende feine lange Gras und ließ es wie die Wellen des Meeres auf- und niederwogen; Hirsche, Antilopen und Wölfe wanderten nach den einzelnen hohen Baumgruppen hin, die hier und dort aus der Grasfläche aufstiegen, und die Geyer hoben sich in weiten Kreisen höher und höher dem durchsichtigen Aether zu, während das schwere Virginische Pferd des Herrn Stein in einem raschen Paßgang, seinen Reiter schaukelnd, auf der alten, meist übergrasten Straße dahineilte.
Er war in Gedanken versunken, ließ frohe und traurige Augenblicke aus der Vergangenheit in seiner Erinnerung vorüberziehen und entwarf sich unbestimmte Bilder seiner Zukunft, als sein Blick von einer Staubwolke angezogen wurde, die in der Ferne aus der Prairie aufstieg und sich rasch auf ihn zu bewegte.
Bald bemerkte er vor ihr eine dunkle lebendige Masse, in der er bei Annäherung wohl fünfzig Pferde erkannte, die mit wehenden Mähnen und hochfliegenden Schweifen vor der Staubwolke heransausten.
Stein hatte einige Büsche und Bäume erreicht, hinter denen er sein Pferd anhielt, um die flüchtige Schaar, die er für wilde Rosse hielt, ungestört an sich vorüberziehen zu lassen.
Lauter und schwerer schallte das fernem Donner ähnliche Dröhnen ihrer Hufe zu ihm her, er konnte die einzelnen Thiere erkennen, vor denen ein mächtiger Schimmelhengst hinstürmte, und nun bemerkte er, daß zwei Reiter den Fliehenden folgten und ihnen mit jedem Sprunge ihrer schäumenden Rosse näher kamen.
Jetzt donnerte der flüchtige Haufen wilder Pferde in einer Entfernung von nicht mehr als zwanzig Schritten an ihm vorüber, ihre weitaufgerissenen Nüstern glühten in dunklem Karmin, ihre blitzenden großen Augen blickten wie mit Verzweiflung umher, und von ihren schäumenden Lippen schleuderten sie die weißen Flocken um sich. Man sah es den geängstigt dahinrasenden Thieren an, daß ihre Aufregung den höchsten Grad erreicht hatte, daß Nichts mehr sie in ihrem Sturmlauf aufhalten konnte, und daß sie ihn fortsetzen würden, bis sie zusammenstürzten.
Sie waren schon sehr außer Athem, doch auch die Pferde ihrer Verfolger waren schon weiß mit Schaum bedeckt und wurden durch Sporn und Peitsche ihrer Reiter zu möglichstem Kraftaufwande angetrieben.
Auch sie sausten im nächsten Augenblick in ganz kurzer Entfernung an Stein vorüber und sahen Beide verwundert nach ihm hin, als sie die Baumgruppe, die ihn verbarg, hinter sich ließen.
Doch der Eine der Reiter schien ihn in diesem Augenblick zu erkennen, rief ihm zu:
»Folgen Sie, Stein!« und ließ dann einen gellend lauten Jagdschrei ertönen, der die beiden Jagdpferde zu fliegender Schnelligkeit anzutreiben schien.
Stein, über diese sehr flüchtige Erkennungsscene erstaunt, konnte sich aber auf seine frühere Bekanntschaft mit dem wilden Jäger, dessen langes Lockenhaar er noch vor sich im Winde flattern sah, nicht besinnen, doch daß er ein näherer Bekannter von ihm sein mußte, darüber war er nicht im Zweifel; er lieh deshalb seinem Virginier, den er nur mit Gewalt zurückgehalten hatte, die Zügel schießen und flog hinter den Jägern in solchem Sturmesrennen her, daß er kaum im Stande war, seinen Hut auf dem Kopfe zu behalten, und daß die Satteltasche, auf der er saß, zu beiden Seiten auf und nieder und ihm um die Schenkel schlug.
Doch an Aufhalten war jetzt kein Gedanke mehr, fort ging es Hügel auf Hügel ab durch das lange Gras, über sandigen Grund, durch Wassergräben und über Steingeröll, hier im Sprunge über einen umgefallenen Mosquitobaum, dort über einen weiten Riß in der Erde, immer fort ohne Lenkung, ohne Willensausübung über das Pferd, es schien von der tollen Leidenschaft, die seine Vorläufer erfaßt hatte, gleichfalls beseelt zu sein, und Stein hatte, sich ihm gänzlich überlassend, alle seine Kräfte und seine Reiterkunst anzuwenden, um nur in dem hinten und vorn hohen mexikanischen Sattel seinen Sitz zu behalten.
Zu seiner großen Verwunderung war er bald mit den beiden Jägern in Reih und Glied, doch wagte er nicht seine Blicke von den Ohren seines wie toll dahin brausenden Virginiers zu wenden, und nach seinen nunmehrigen Kameraden hinzusehen, als abermals der dröhnende Jagdruf seines Bekannten erschallte und seinen Renner nun gänzlich zur Raserei antrieb.
In wenigen Augenblicken sprengte er zwischen das Rudel der wilden Pferde hinein, diese stoben, zu Tode geängstigt, nach allen Seiten auseinander. Stein sah neben sich die Schlinge eines Lasso's fliegen, Einem der wilden Pferde um den Hals fallen, und im Davonjagen erkannte er noch, wie das Thier sich bäumte und zusammenstürzte.
Doch der edle Virginier war noch bei vollen Kräften und Athem, und war noch weit davon entfernt, die Jagd aufzugeben.
In fliehendem Carrière stob er weiter über die Prairie Zweien der wilden Pferde nach, die in der Richtung vor ihm geblieben waren, bis er sie eingeholt und nun neben ihnen seinen verzweifelten Lauf über Stock und Stein fortsetzte; doch die beiden wilden Rosse waren bald so erschöpft, daß sie in Trab fielen, zuletzt stehen blieben und, sich mit den Köpfen zusammendrängend, hinten ausschlugen.
Stein war nun wieder Meister seines Renners geworden, blickte sich nach seinen Kameraden um und sah sie in weiter Ferne, wie sie beide zu Fuß mit dem gefangenen Pferde kämpften, das sich vor ihnen an dem Strick, welcher es zurückhielt, bäumte und alle Versuche und Anstrengungen machte, um seine Freiheit wieder zu erlangen.
Stein verließ die beiden besiegten Rosse und galloppirte zu den Jägern zurück, von denen der Eine ihn schon von Weitem beim Namen rief und ihn jubelnd willkommen hieß.
»Willkommen, Herr Stein!« rief er mit gewaltiger Stimme; »wir haben nur Ihnen diesen kostbaren Fang zu danken. Sie sind ja ein famoser Mustangjäger. Kommen Sie, helfen Sie uns diese Bestie bändigen.«
Jetzt erst erkannte Stein in dem Jäger den Sohn seines Freundes Harmuth, der stets die Baumwolle seines Vaters zu ihm nach Galveston gebracht, und mit dem er dann immer dessen Geschäfte geordnet hatte.
»Ist es möglich Harmuth, sind Sie es?« rief Stein verwundert aus, indem er von seinem Pferd stieg; »Sie haben mich gegen meinen Willen zum Mustangjäger gemacht, und hätte ich den Hals gebrochen, so würden Sie mich auf Ihrem Gewissen gehabt haben. Solch' einen Ritt habe ich im Leben nicht gemacht, es war ja, als ob sämmtliche Thiere verrückt geworden wären.«
»Dennoch haben wir Ihnen diese schöne Stute zu danken, denn als Sie mit Ihrem Herkules da zwischen die Pferde hineinsprengten, bog die Stute zur Seite ab und lief mir gerade in den Weg, so daß ich ihr ohne große Geschicklichkeit den Lasso über den Hals werfen konnte. Doch binden Sie Ihr Pferd dort an den Mosquitobusch und helfen Sie uns die Stute stranguliren, denn ehe sie nicht halb todt ist, läßt sie sich die Halfter nicht anlegen,« sagte Harmuth, während er und der andere Jäger, der dessen Bruder war, den starken Lederstrick fester und fester um den Hals des kämpfenden geängstigten Thieres zog, das jetzt den Athem verlor, am ganzen Körper heftig zu zittern anfing und plötzlich mit ausgestreckten Gliedern zu Boden stürzte.
»Sie erdrosseln ja das arme Thier,« rief Stein, mitleidig auf die Stute blickend.
»O nein, sie wird nur ein wenig ohnmächtig,« antwortete Harmuth, sprang nach dem Kopf des Mustangs und schlang ihm das Ende eines andern Lederstricks mit großer Geschicklichkeit und Schnelligkeit so um den Kopf, daß er in wenigen Augenblicken wie eine Halfter um denselben befestigt war.
»So Bruder, nun öffne die Schlinge ein Wenig, damit sie etwas Athem bekommt, halte aber den Lasso fest, daß wir sie wieder erdrosseln können, wenn sie ungezogen wird,« sagte Harmuth zu seinem Gefährten und trat mit dem andern Ende der Halfter von der Stute zurück, die, sobald die Schlinge des Lasso's etwas gelöst war, aufsprang und sich wüthend gegen die sie jetzt zurückhaltende Halfter sträubte.
Doch abermals zog der junge Harmuth die Schlinge zu, bis das Thier wieder halb erstickt zu Boden stürzte, und ihm von den Jägern erst nach einigen Minuten wieder Luft gegeben wurde.
So ermüdeten und meisterten sie die Gefangene, bis sie die Uebermacht ihrer Bändiger anzuerkennen schien und geduldig und in ihr Schicksal ergeben an der Halfter dastand.
Die Brüder Harmuth bestiegen nun ihre in der Nähe grasenden Pferde, der Eine mit dem Ende der Halfter in der Hand ritt vor dem Mustang her, der Andere, den Lasso haltend, ritt an seiner rechten Seite, und Stein baten sie hintendrein zu folgen und das Thier mit einer langen Peitsche, die ihm Harmuth überreichte, anzutreiben. Im Anfang wollte das wilde Pferd noch nicht Folge leisten, doch, sobald es den angezogenen Lasso wieder fühlte, gab es der Halfter nach und folgte dem voranreitenden Jäger.
Der Zug ging nur sehr langsam vorwärts, bis die Straße erreicht war, und die Sonne stand schon im Zenith, als die Reiter auf dieser zu dem Fonkawabach gelangten, wo sie unter den hohen Bäumen, die denselben überdachten, von erquickendem kühlem Schatten empfangen wurden.
Die gefangene Stute ließ sich willig in den klaren Bach führen und schlürfte gierig das kalte Wasser, worauf sie nahebei neben die andern Pferde an einen Baum gebunden wurde. Die Reiter aber streckten sich in das hohe Gras, zündeten Feuer an, kochten Kaffee, brieten etwas Speck und stellten mit Zugabe des Brodes, welches Harmuth's mit sich führten, ihr Mittagsessen her.
Die Sonne stand schon ziemlich niedrig, als die Reiter mit ihrem Fang aufbrachen und der Wohnung Harmuth's zuzogen, die nur wenige Meilen von hier entfernt lag. Bald stiegen aus der hügeligen Prairie hohe Baumgruppen auf, unter ihnen erkannte man weiß angestrichene Häuser, aus denen sich leichte Rauchsäulen durch die dichten Eichen erhoben, deren dunkle Massen sich auf dem schön gerötheten Abendhimmel scharf abzeichneten. Die Dämmerung lag auf der Gegend, als die Reiter vor dem saubern, weiß angestrichenen Spalier, welches das einstöckige lange Wohngebäude umgab, anhielten, von dessen Veranda ihnen der alte Harmuth einen freundlichen guten Abend zuwinkte, über den mit Blumen geschmückten Platz vor dem Hause auf sie zuschritt und, das gefangene Pferd erblickend, ausrief:
»Habt Ihr wirklich Einen gefangen? Nun das hätte ich nicht geglaubt; und ein schönes kräftiges Thier ist es, wahrhaftig.«
Kaum hatte er aber die Einzäunung erreicht, als er Stein erkannte und, ihm die Hand entgegenhaltend, sagte:
»Mein Gott, mein Freund Stein! Ei, ei, habe ich es mir doch nicht träumen lassen, daß ich heute noch mit so liebem Besuch erfreut werden sollte. Wie herzlich sind Sie mir willkommen. Treten Sie herein, damit ich Sie zu den Meinigen führe, die sich Ihrer so oft liebevoll erinnert haben.«
Der alte Harmuth war einer von jenen schlichten biedern deutschen Charakteren, deren Welt sich nur auf den Kreis ihres Geschäftslebens und den ihrer Familie beschränkt, die nur dort ihr Glück finden und Jeden, der in diesen Kreis tritt, ebenso glücklich zu sehen wünschen, als sie selbst sind. Harmuth ging die feinere Politur der großen Welt ab, so viel reiner, so viel makelloser aber war sein Herz, um so unverdorbener waren seine Gefühle, seine Neigungen. Gesegnet mit einer vortrefflichen Gattin, vier kräftigen, gesunden Söhnen und einer blühenden lieblichen Tochter, hatte er keine weiteren Wünsche mehr, da der Himmel ihn zugleich mit so viel irdischen Gütern, als zu einem sorgenfreien Leben nothwendig sind, reichlich versehen hatte. Ein großer Strich Landes rund um seine Farm war sein Eigenthum, so daß kein lästiger oder unangenehmer Nachbar ihm zu nahe kommen konnte; seine Felder warfen ihm jährlich eine reiche Ernte ab, sein Viehstand war sehr bedeutend, seine Pferde waren die besten in weiter Umgegend, und vor allen Dingen war der Ort, wo er wohnte, seiner Lage nach ein gesunder, so daß seine Familie von den in diesem Land namentlich an den Stromgebieten so häufig herrschenden Krankheiten verschont blieb.
Unter seinen nahen und fernen Nachbarn war Harmuth ein Mann von Gewicht und Einfluß, die Guten achteten und liebten ihn, die Schlechten fürchteten ihn und seine kräftigen Söhne und hüteten sich wohl, ihnen Gelegenheit zu Aergernissen zu geben.
Nur selten verließ Harmuth seinen Grundbesitz, denn es schien ihm nirgends so schön und so angenehm zu sein, als zu Hause; er ritt wohl zuweilen mit seinen Söhnen auf die Jagd oder zum Fischen, fuhr auch wohl einmal mit seiner Tochter nach San Antonio, um ihr Gelegenheit zu geben, für sich und ihre Mutter Einkäufe nach eignem Geschmack zu machen, doch selten nur entschloß er sich zu einer weitern Reise, wie nach Indian Point, dem Landungsplatz der Waaren, die er durch Stein's Vermittlung von New-Orleans bezog, oder in das Land hinein nach Austin, damals dem Sitz der Regierung, wenn Landangelegenheiten seine Gegenwart mitunter dort nothwendig machten.
Man konnte es aber auch seinem Wohnort gleich ansehen, daß dessen Eigenthümer ihn selten verließ und mit Liebe und Umsicht alle Sorgfalt auf ihn verwendete. Das von Brettern aufgeführte Wohngebäude war sauber und nett gezimmert, mit weißer Oelfarbe angestrichen, mit einer breiten schattigen Veranda rings umgeben, an deren Säulen sich Wein und Blumenranken hinaufwanden, an einer Seite des Hauses befand sich ein großer Obstgarten mit den ausgezeichnetsten Fruchtbäumen versehen, an der anderen Seite lag der Gemüse- und Blumengarten, der unter der Obhut von Madame Harmuth und ihrer Tochter stand, und vor dem Hause breitete sich ein reinlicher Sandplatz aus, rund um mit Blumenbeeten versehen, auf denen feine Ziersträucher prangten.
Stein war durch die Staketeneinzäunung getreten und wurde wohlthuend von der behaglichen Ruhe, die auf dem Platz lag, berührt.
»Ei wie angenehm, wie schön, wohnen Sie hier, lieber Herr Harmuth, es ist kein Wunder, daß Sie sich niemals wieder haben entschließen können, uns auf unserer sandigen Insel einen Besuch abzustatten. Sie haben wirklich ein beneidenswerthes Loos getroffen,« sagte Stein zu dem freundlichen Manne.
»Und davon habe ich einen großen Theil Ihnen zu danken, mein Freund, glauben Sie nicht, daß ich jemals Ihre vielen Bemühungen zu meinen Gunsten und die liebevollen Rathschläge vergessen werde, womit Sie mich bei meiner Ankunft in diesem Lande unterstützten und mir den Weg zu diesem meinem Glück bahnten. Ich wollte, der Himmel gäbe mir nur einmal Gelegenheit, Ihnen meinen Dank durch die That zeigen zu können; denn Worte kann ein Jeder sagen, und ich bin kein Freund von Redensarten. Aber kommen Sie herein, meine Jungen werden erst das gefangene Pferd in Sicherheit bringen wollen.«
Mit diesen Worten schlang Harmuth seinen Arm in den seines Gastes, schritt mit ihm, ganz glücklich, ihn einmal unter seinem Dache bewirthen zu können, langsam über die Veranda in den Durchgang des Hauses und führte ihn von da in die vordere große Stube, welche den Parlour oder das Gesellschaftszimmer der Familie vorstellte. Hier leitete er ihn nach dem offenen Fenster zu einem großen Schaukelstuhl, bat ihn, Platz darin zu nehmen und ihn einige Augenblicke zu entschuldigen, damit er zunächst seine Frau herbeirufe und diese hier durch seine Gegenwart überrasche, da dieselbe sich ebensosehr, als er selbst, darnach gesehnt habe, ihn einmal wieder zu sehen.
Nach wenigen Minuten kam er denn auch zurück, und indem er seine Gattin vor sich in das Zimmer treten ließ, sagte er zu ihr:
»Nun mein Kind, siehe einmal, ob Du einen alten, lieben Freund wieder erkennen kannst?«
»Mein Gott, Herr Stein!« rief Madame Harmuth, freudig bewegt auf diesen zueilend und ihm beide Hände entgegenhaltend; »wie unendlich angenehm ist es mir, Sie einmal wiederzusehen. Wir haben Ihnen ja so Vieles, ja ich möchte sagen, Alles zu verdanken, denn ohne Ihre Hilfe, ohne Ihren Rath wäre es uns leicht auch so gegangen, wie den unglücklichen Emigranten, die jetzt dort unten an der Meeresküste liegen. Seien Sie mir herzlich willkommen.«
Es war innige und aufrichtige Freude und Dankgefühl, womit die Frau den Freund und Wohlthäter ihrer Familie begrüßte, und die ungezwungene Herzlichkeit, womit sie es that, wirkte wohlthuend auf Stein und zugleich angenehm auf Harmuth, der hierin auch seine eignen Gefühle ausgesprochen sah.
Der Farmer hatte für seine Frau einen Stuhl neben den seines Fremdes gestellt, sich selbst an dessen andere Seite in einem großen Armstuhl niedergelassen, und die Unterhaltung wandte sich zu der Zeit zurück, als sie sich in Galveston kennen lernten.
Die tausend Widerwärtigkeiten, die unendlich vielen Entbehrungen und Beschwerden, gegen welche damals Harmuth's, als nicht sehr bemittelte Einwanderer, zu kämpfen gehabt hatten, wurden jetzt lachend besprochen, und eine kurze Geschichte ihres Lebens bis zu der glücklichen Gegenwart wurde Stein von den beiden vergnügten Eheleuten gegeben, wobei sie gänzlich übersahen, daß es sehr dunkel im Zimmer geworden war und schon längst Zeit gewesen wäre, Lichter anzuzünden.
»Aber Herr Stein, was werden Sie von uns denken, es ist ja ganz dunkel geworden, nehmen Sie es nur nicht übel, daß noch kein Licht angezündet ist. Gleich sende ich es herein,« sagte Madame Harmuth aufstehend; »ich bin doch neugierig, ob Auguste Sie wiedererkennen wird, ich will ihr Ihren Namen nicht nennen, bis sie Sie beim Abendbrod sieht, mit dessen Zubereitung sie eben beschäftigt ist.«
Die Frau verließ hierauf das Zimmer, kehrte jedoch bald wieder zurück, um die Männer zum Abendessen zu rufen.
»Kommen Sie, Herr Stein, und essen Sie zum ersten Male mit uns von dem Brod, welches Sie uns gegeben haben,« sagte sie zu diesem, indem sie ihn bei der Hand nahm und ihn über den Gang nach der gegenüber befindlichen Stube leitete. Sie schob die Thür derselben zurück, durch welche der helle Schein einer großen Lampe den Eintretenden entgegenkam. Stein that einige Schritte in das Zimmer, begegnete den Blicken eines vor dem Tisch stehenden jungen Mädchens, und mit dem Ausruf: »Himmel, Mathilde Werner!« stürzte er auf diese zu, ergriff ihre Hand, Preßte sie wiederholt an seine Lippen, sah ihr wieder und wieder in die Augen, als traue er seinen eigenen Blicken nicht, und nahm zuletzt in seiner verwirrten glückseligen Aufregung ihren Kopf zwischen seine beiden Hände und preßte seinen Mund auf ihre Stirn.
»Ist es möglich, Mathilde, sind Sie am Leben? ich habe Sie todt geglaubt, ich habe Sie betrauert, ich bin sehr unglücklich gewesen,« sagte er in größter Verwirrung, indem er immer noch die Hand des armen Mädchens in den seinigen hielt, seine Umgebung gänzlich vergaß und nicht bemerkte, daß Harmuth's verwundert dastanden und in größtem Erstaunen die Erkennungsscene mit ansahen.
Mathilde hatte den Kopf gesenkt, ihre Thränen fielen auf ihres Freundes Hände, und ein krampfhaftes Schluchzen war alle Antwort, die sie geben konnte. Das schwere Schicksal, welches sie betroffen hatte, war in diesem Augenblick wieder fürchterlich vor ihre Erinnerung getreten und riß die kaum verharschte Wunde ihres kranken Herzens auf's Neue auf. Sie wurde bleich, Fing an zu zittern und blickte sich ängstlich nach Madame Harmuth um, als suche sie den Beistand dieser ihrer zweiten Mutter, die schnell zu ihr hintrat, sie in ihre Arme schloß und nach dem Sopha führte.
Auguste Harmuth brachte frisches Wasser für Mathilde zum Trinken, sie wusch ihre Stirn mit Essig und küßte ihre bleichen Wangen.
»Sei ruhig, gute Mathilde, Du weißt ja, wie lieb wir Dich Alle haben,« sagte sie liebkosend zu ihr; »weine nicht, Du gehörst ja zu unserer Familie, Du bist ja meine liebe, gute Schwester.«
Stein hatte während dieser Zeit den erstaunten biedern Harmuth nach dem Fenster gezogen und bat ihn um Aufklärung über Mathilden's Hiersein, worauf dieser ihm mit wenig Worten mittheilte, wie er dieselbe auf seiner Rückreise von Victoria an der Straße unweit des Sandiesflusses krank und bewußtlos unter einem Baum liegend gefunden und von da mit sich hierhergenommen habe. Er sagte ihm, daß die Unglückliche erst nach einigen Wochen wieder zu ihrer vollen Besinnung gekommen wäre, worauf sie ihnen ihr Schicksal mitgetheilt habe, und seitdem gehöre sie zu seiner Familie; er sei auch gesonnen, sie für die Zukunft ganz als sein eignes Kind zu betrachten.
Auguste führte während dieser Zeit Mathilden aus dem Zimmer, und Madame Harmuth bat die Männer, sich mit ihr zu Tisch zu setzen, um das Abendbrot zu genießen, indem sie zugleich ihre Pflegetochter entschuldigte, wenn sie nicht Theil daran nähme, sie fühle sich aber nicht in der Stimmung, es zu thun.
Harmuth führte Stein zu dem Tische, und eben hatten sie Platz genommen als die beiden ältesten Löhne, die uns schon vom Sandiesfluß her bekannt sind, und die Stein von der Pferdejagd mit hierher gebracht hatten, von ihren beiden jüngern Brüdern gefolgt hereintraten.
»Du weißt es noch gar nicht, Vater, daß Herr Stein ein ausgezeichneter Mustangjäger ist, wir haben ihm die Stute zu verdanken,« sagte Conrad, als er seinen Sitz am Tische einnahm.
»Ei, das hätte ich gar nicht hinter Ihnen gesucht,« sagte der Alte zu seinem Gaste; »Ihr Herrn von der Feder seid in der Regel schlechte Jäger.«
»Das ist auch mit mir der Fall,« erwiederte Stein; »es war meine erste Pferdejagd und soll auch meine letzte sein. Mein Gaul war rein toll geworden, so daß er gegen meinen Willen mit mir zwischen die wilden Pferde hineinjagte, und ich meinem Gott dankte, als die Jagd vorüber war.«
»Meine Jagd ist es auch nicht,« erwiederte der alte Harmuth, »es geht mir dabei zu wild her, und thäte ein Pferd einmal einen Fehltritt, so bräche man sicherlich den Hals. Ich lobe mir die Hirschjagd oder eine gute Bärenhetze. Schade, daß Sie nicht im Winter bei uns sind, wenn die Burschen Feist haben und sich vor den Hunden stellen, das ist ein Vergnügen, da hat man doch einen Gegner vor sich, und zwar einen grimmigen.«
Die Unterhaltung lenkte sich aber bald wieder auf Mathilde Werner und ihre Familie. Stein erzählte, wie er deren Bekanntschaft bei ihrer Ankunft in Galveston gemacht habe, lobte ihre Einfachheit, ihre Rechtlichkeit, pries die Wohlerzogenheit der Kinder, hob namentlich die vielen vortrefflichen Eigenschaften Mathilden's hervor und bemerkte zuletzt, wie sehr er bedauere, daß Albert sich zur Amerikanischen Armee begeben habe, dem es mit seinen vielen Fähigkeiten und seiner liebenswürdigen Persönlichkeit nicht hätte fehlen können, sich hier im Lande eine sichere gute Existenz zu gründen.
»Zur Armee ist er also gegangen?« sagte der alte Harmuth; »nun deshalb konnten wir von Neu-Braunfels keine Nachricht über ihn bekommen. Wir haben drei-, viermal Briefe dorthin gesandt, doch man konnte uns nicht sagen, was aus ihm geworden sei.«
Er erzählte Stein nun ausführlich, was Mathilde ihnen über ihre schrecklichen Leiden und über den Untergang der Ihrigen mitgetheilt hatte, welches dieser mit Schaudern und Entsetzen vernahm und dann bestimmt erklärte, daß er auf seinem Rückwege die Klage gegen den Fuhrmann Johnson anhängig machen werde, koste es ihm, was es wolle.
Nach dem Abendessen begaben sie sich hinaus unter die Veranda, wo sie Mathilden mit ihrer Freundin Auguste fanden.
Der Abend war kühl und erquickend, der leichte Luftzug vom Golf her trug den Blüthenduft der Prarie mit sich fort, die dunkeln schattigen Magnolien, die das Haus umstanden, sandten den süßen Vanillegeruch ihrer riesigen, saftigweißen Blumen über die Veranda, und wie ein Feuernebel blitzten und glühten die Heere leuchtender Insekten durch die sternhelle Nacht.
Stein hatte sich zu Mathilden gesetzt, seine Gegenwart that ihr wohl, sie wußte, daß er mit ihr fühlte, daß er um die Ihrigen trauerte, daß er innigen Antheil an ihrem eignen harten Geschick nahm, und es machte ihr Herz leichter, sich gegen ihn, der ihre verstorbenen Theuern gekannt und sie gern gehabt hatte, auszusprechen; denn so liebevoll sie auch von den braven, herzlichen Harmuth's behandelt wurde, so hatten dieselben ihre Angehörigen doch nie gesehen, waren nicht mit ihnen befreundet gewesen und konnten darum auch den Antheil nicht an ihnen nehmen, der ihr bei Stein so außerordentlich tröstlich war. Die Kunde über Albert erfüllte Mathilde wieder mit neuer Besorgniß, mit neuem Kummer, dennoch war sie eine Freudenbotschaft für sie, da sie auch ihn todt geglaubt hatte, und als Stein ihr versprach, daß er Mittel und Wege finden werde, um dem Bruder Nachricht von ihr zuzusenden, so gab sie sich der Hoffnung gern hin, daß sie ihn wiedersehen, daß sie ihn wieder an ihr Herz drücken werde. Stein war Mathilden wirklich zum großen Trost erschienen, denn wenn sie auch unter der liebevollen Behandlung ihrer Retter, ihrer Wohlthäter ruhiger und in ihr Schicksal ergebener geworden war, so hatte sie sich doch immer nur verloren und verwaist gefühlt und sah in jeder Freundlichkeit, die ihr von den guten Harmuth's zu Theil ward, nur das mitleidige Almosen, das ihrem Unglück gespendet wurde, während sie sich die Freundschaft Stein's schon erworben hatte, als sie keines Mitleids bedürftig war, und deshalb seine Zuneigung ihrer eigenen Persönlichkeit zuschreiben konnte. Wie die Liane sich im Orkan an die Eiche klammert, so hing sich Mathilden's Seele vertrauensvoll an den bewährten Freund früherer glücklicher Zeiten, und wie der kräftige Baum die schwache Ranke gegen Sonnengluth und Sturmeswehen schützt, so sprach Stein dem verwaisten unglücklichen Mädchen Trost ein und sicherte ihr für immer seinen Beistand, seine Hilfe zu.
Zu Anfang ihrer Unterhaltung hatte Mathilde heimlich viele Thränen von ihren Augen gewischt, die denselben bei der Erinnerung an ihre verblichenen Lieben entquollen waren; doch nach und nach wurde sie gefaßter, sie weinte nicht mehr und ließ in dem matten Dämmerlicht, welches sich durch das Stubenfenster über die Veranda verbreitete, ihre milden unschuldigen Blicke vertrauensvoll auf den ehrlichen blauen Augen ihres Freundes ruhen.
Es war spät geworden, als sie sich erhoben und in das Zimmer gingen, in dem sie den alten Harmuth mit seiner Frau und Tochter traulich beisammen an dem offenen Fenster sitzend fanden.
»Sie werden sich nach Ruhe sehnen, lieber Freund,« sagte der alte Herr zu Stein, »lassen Sie mich Ihnen Ihr Schlafzimmer zeigen. Wünschen Sie noch Etwas, womit ich Ihnen dienen kann, so bitte ich es zu sagen.«
Auguste war Mathilden entgegengetreten, hatte schweigend ihren Arm um sie geschlungen und ihre Lippen auf ihre Stirn gedrückt.
»Komm, gute Mathilde, es ist spät, und Ruhe ist Dir nöthig; laß uns unserm lieben Herrn Stein gute Nacht wünschen, er wird müde von dem Ritt sein,« sagte sie zu ihrer Pflegeschwester, reichte dann, so wie diese, dem gemeinschaftlichen Freunde die Hand, wünschte ihm eine erquickende Ruhe, und, nachdem beide Mädchen den Eltern den gewohnten Nachtkuß gegeben hatten, verließen sie die Stube, während Harmuth das Licht von dem Tische nahm und den Gast nach seinem Schlafzimmer geleitete.
Das zutrauliche friedliche Familienleben, in dem Stein sich hier befand, machte einen unendlich wohlthuenden Eindruck auf ihn, es rief ihm die Zeit seiner frühsten Jugend in das Gedächtniß zurück, die er in ähnlichem glücklichem Zusammensein mit seiner zahlreichen Familie in Deutschland am Werrastrande zugebracht hatte, und deren Bild während einer Reihe von Jahren, die er in fremden Landen verlebt, nach und nach in seiner Erinnerung verblichen war. Schon als ganz junger Mann hatte er seinen Lieben, seiner Heimath Lebewohl gesagt, war nach Amerika ausgewandert und hatte sich an das gefühllose theilnahmlose Geschäftsleben dieses Landes gewöhnt, obgleich er dabei immer die warmen Gefühle seines Herzens bewahrte und ihnen gern bei jeder sich ihm darbietenden Gelegenheit Luft machte. Hier aber hatte er keine Ursache, diese Gefühle in sich zu verschließen, Jedermann kam ihm mit Offenheit und Herzlichkeit entgegen, und er brauchte nicht in den Augen der Leute zu spähen, welches Interesse sie zu einer Freundlichkeit gegen ihn veranlaßte.
Er fühlte sich so glücklich, so heimisch hier, daß er wohl sein ganzes Leben hier hätte zubringen mögen.
Des Morgens war er Einer der Ersten, die sich vom Lager erhoben, und traf in der Regel, wenn der Tag graute, den alten Harmuth unter der Veranda an einem Waschtisch beschäftigt, sich mit selbst vom Brunnen geholten Wasser zu erfrischen.
Dann kamen die Söhne, um des Tages Geschäfte zu beginnen, sie trugen den Arbeitspferden und Maulthieren das Morgenfutter in die Einzäunung, in der sie gefangen gehalten wurden, warfen den andern frei herumgehenden Thieren Salz in den Trog, um sie dadurch an das Haus gewöhnt zu erhalten, vertheilten zu gleichem Zweck einige Aehren Mais unter die um die Einzäunung gelagerten Schweine und machten alle Vorrichtungen für die Arbeiten, welche sie heute vorzunehmen hatten.
Bald erschien dann auch Madame Harmuth mit ihrer Tochter und Mathilden, alle Drei in einfachen, doch saubern Hauskleidern, um nach freundlicher gegenseitiger Begrüßung sich an ihre häuslichen Geschäfte zu begeben, die Kühe zu melken, Butter zu machen, das Frühstück zu bereiten und die tausenderlei Arbeiten zu besorgen, die eine solche Landwirthschaft erfordert. Mathilde war allenthalben zugegen, es bedurfte keines Winks, keiner Andeutung der Madame Harmuth, um ihr ein Geschäft aufzutragen, sie kam immer ihrem Wunsche zuvor und führte häufig Arbeiten aus, die Jener oder Augusten oblagen.
Dabei war sie unverdrossen, und wenn auch nicht fröhlich, doch niemals übler Laune. Hatte sie die häuslichen Geschäfte besorgt, so eilte sie in den Garten, um ihre Lieblinge, die Blumen, zu pflegen und die Schönsten aus ihnen zu wählen, um die Zimmer des Hauses damit zu schmücken.
Stein beobachtete mit stillem Wohlgefallen ihr ruhiges thätiges Treiben, trat oftmals zu ihr hin, um ihr bei der Arbeit behilflich zu sein, trug für sie das Wasser aus dem nahen Fluß, wenn sie Seife kochen wollte, warf vermodertes Holz auf das Kohlenfeuer im Räucherhaus, nahm dort für sie Schinken oder Speck von den Gerüsten, befreite das geschlachtete Geflügel durch Brühen mit heißem Wasser von den Federn und nahm jede Gelegenheit wahr, wo er ihr dienlich und mit ihr zusammen sein konnte.
So schwanden für Stein statt weniger Tage, die er hier zu verweilen gedacht hatte, einige Wochen in lang entbehrtem glücklichem Familienleben, und der Wunsch, dasselbe durch Mathilden in seine eignen vier Wände zu übertragen, war mit jedem Tage reger in ihm geworden. Er folgte ihr eines Abends nach dem schattigen Ufer des rauschenden Flusses, wohin sie ging, um Sand für den Käfig eines Kardinals zu holen, der einst in ihr Zimmer geflogen war, und den sie in seiner Gefangenschaft durch die sorgsamste Pflege für seine Freiheit zu entschädigen suchte.
Stein überraschte sie, als sie mit ihrer kleinen Hand den Sand aus der krystallklaren Fluth schöpfen wollte, und trug ihr offen und unumwunden seinen Wunsch vor, sie zur Lebensgefährtin zu besitzen.
Mathilde, obgleich sie seine Neigung für sie wohl empfunden hatte, war doch nicht auf diesen seinen Schritt vorbereitet, sie erschrak bei seinen Worten/ sah sich verlegen um, als fühle sie ein Unrecht darin, mit ihm hier allein zu sein, und schlug erröthend die Augen nieder, als er ihre Hand ergriff und in der seinigen an sein Herz drückte.
Er bat um ihre Antwort, doch sie hatte keine Worte, sie bebte, sie athmete schneller, und Thränen brachen unter ihren langen Wimpern hervor; doch sträubte sie sich nicht, als Stein seinen Arm um sie schlang, und sah mit einem glücklichen zustimmenden Blick nach ihm auf, als er seine Lippen auf ihren rosigen, süßen, kleinen Mund preßte. Es war für Beide ein Augenblick höchster, nie empfundener Wonne und Seligkeit, der ihnen das unbegrenzteste Glück für ihre Zukunft zu verheißen schien.
Die Freude der Familie Harmuth war groß, als Stein ihnen sein Glück mittheilte, zumal, da sie durch die Wohlthaten, womit sie das verlassene, unglückliche Mädchen wahrhaft überhäuft hatten, nun einen Theil ihrer großen Schuld an den Freund, der ihnen in der Noth beigestanden hatte, abtrugen.
Die wenigen Tage, die Stein noch vergönnt waren, hier zu verweilen, flohen den glücklichen Liebenden wie Augenblicke, doch die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, um sich dann für immer anzugehören, machte ihnen den Abschied weniger schwer, und Stein verließ auf seinem edlen Virginier unter tausend Segenswünschen seine heißgeliebte Braut so wie seine Freunde und eilte seine Geschäftsreise zu beenden.
Auf dem Wege von Neu-Braunfels nach Indian Point zurück erkundigte er sich in Victoria nach dem Fuhrmann Johnson, hörte aber dort, daß dessen Familie ausgestorben und die Farm verödet sei, auch daß Jäger, die dort um einen Trunk zu bekommen angehalten, die Knochen menschlicher Leichen um die Häuser her verstreut gefunden hätten.