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Erstes Kapitel

Die Familie Werner, Entschluß zur Auswanderung, Vorbereitungen zur Reise, Abschied von der Heimath.

 

»Mein Mann spricht in neuester Zeit sehr ernstlich davon, liebe Louise, mit unserer ganzen Familie nach Texas auszuwandern; er hat vor einigen Tagen nach Frankfurt an den Banquier des Vereins geschrieben, um sich nähere Auskunft über die Bedingungen zu verschaffen, unter welchen Auswanderer in dessen Schutz genommen und auf den Vereins-Ländereien in Texas angesiedelt werden,« sagte Madame Werner zu ihrer Freundin Louise Wagner, der Frau des Repositars Wagner, die behaglich neben ihr in dem weichen, altmodischen, mit buntgeblümtem Kattun überzogenen Sopha saß und mit großer Behendigkeit die Nadeln ihres Strickzeugs gegeneinander klappern ließ, wobei sie den beinahe fertigen Strumpf von Zeit zu Zeit zu der auf dem Tische hellbrennenden Lampe erhob, ihn auseinander dehnte, die Nähte zählte und nachsah, ob es Zeit zum Abnehmen sei.

»Aber, liebe Werner,« antwortete dieselbe, indem sie das Strickzeug mit ihren beiden Händen in den Schooß sinken ließ und ihre Freundin verwundert ansah, »ich habe es immer nur für Scherz gehalten. Ihr nach Texas auswandern? ich kann es unmöglich glauben. Was in aller Welt sollte Euch denn bewegen, hier ein sorgenfreies, behagliches, wirklich beneidenswerthes Leben aufzugeben und in einer fremden wilden Welt Euer Glück zu suchen? Was fehlt Euch denn hier? Dein Mann als Cassirer hat achthundert Gulden jährlichen Gehalt und zwar auf Lebenszeit; wenn er stirbt, wovor ihn Gott noch lange bewahren möge, so bekommst Du auch eine gute Pension. Außerdem habt Ihr hier dies wohnliche so nette Häuschen, den allerliebsten Garten, habt noch Land und Wiesen vor der Stadt, so daß Euch Eure Kuh, Eure Kartoffeln, ja Euer Brod, möchte ich sagen, gar Nichts kostet, und Ihr habt noch außerdem Kapitalien ausstehen, von denen Ihr. die Zinsen nicht einmal anzugreifen nöthig habt; und auswandern? nach Texas? – nun, da weiß ich denn doch wahrlich nicht« –

»Wohl hast Du Recht, liebe Louise,« sagte Madame Werner, gleichfalls ihre Näharbeit niederlegend, »wenn man die Sache so wie Du betrachtet, so scheint es von Leuten in unsern Verhältnissen unsinnig, an eine Auswanderung zu denken; von Werner's Gesichtspunkt aus aber betrachtet, sind doch viele und triftige Gründe nicht zu verkennen, die dafür sprechen. Sieh', Louise, wir haben fünf Kinder, von denen eigentlich noch keines versorgt ist. Allerdings, Albert hat studirt, er hat ein gutes juristisches Examen gemacht und ist schon in den Staatsdienst zugelassen. Doch wie viele Jahre kann er nun noch warten, ehe er einen Pfennig für seine Arbeit bekommt? Stürbe mein Mann, so würde meine Pension und die Zinsen unseres nicht beträchtlichen Vermögens nicht einmal ausreichen, um mich mit meinen Kindern zu ernähren, geschweige denn ihnen eine ähnliche Erziehung zu geben, wie sie Albert genossen hat; und Kapital auf Kapital würde zugesetzt werden müssen.«

»Nun wer will denn aber auch immer das Schlimmste annehmen? Dein Mann kann und wird, so Gott will, noch recht lange leben.«

»Dieses Glück mag uns der gütige Himmel zu Theil werden lassen. Doch Werner ist keiner von den Stärksten, hat all sein Leben an dem Schreibtisch zugebracht und ist doch auch kein Jüngling mehr; er ist im letztvergangenen Monat sechsundfünfzig Jahre alt geworden. Da kommen die Kinder aus ihren Stunden; aber horch nur, wie der Wind bläst und der Regen gegen die Fenster schlägt, die armen Mädchen werden recht naß geworden sein,« sagte Madame Werner, indem sie aufstand und nach der Thür ging, um dieselbe den lachend und lärmend die Treppe heraufkommenden Kindern zu öffnen; denn auf dem Gange brannte kein Licht.

»Nun, Ihr Armen, Ihr seid wohl recht naß? putzt Euch die Schuhe hübsch ab,« sagte die Mutter zu den Hereinstürmenden und empfing von ihren drei Töchtern und einem Knaben die zärtlichsten Liebkosungen und Küsse. Dann öffnete sie nochmals die Thür und rief der Magd in der Küche zu:

»Lisbeth, sieh' mal nach dem Feuer im Ofen!«

Bücher, Schreibtafeln, Hüte, Mäntel und Handschuhe hatten die Kinder sorgfältig auf die dafür bestimmten Plätze gelegt, die vorgedachten vier jüngsten drängten sich zu dem Ofen, und die älteste Tochter, Mathilde, ein frisches, schönes, blond gelocktes Mädchen von sechszehn Jahren, trat zur Madame Wagner, um ihr guten Abend zu sagen und sie herzlich zu bewillkommen.

»Nun, Thildchen, Du wirst noch ein ganz gelehrtes Frauenzimmer; also auch Französisch kannst Du jetzt, wie mir Deine Mutter sagt?« redete die Frau Repositar Mathilden an. »Wie frisch und gesund Du aussiehst. Ich wollte, ich könnte Dir etwas von Deinen rothen Backen nehmen und meiner Marie geben.«

»Warum haben Sie denn Marie nicht mitgebracht?« fragte Mathilde.

»Sie hat heute Abend noch Klavierstunde, und die darf sie nicht versäumen; sie kommt aber ein ander Mal.«

Auch Martha, eine Tochter von zwölf Jahren, und Johanna, acht Jahr alt, hatten sich um die freundliche Frau, die die Liebe und Anhänglichkeit der Kinder im vollsten Maaße besaß, gedrängt und ihr guten Abend geboten, während Julius, der zehnjährige Knabe, noch am Ofen stand.

»Und Julius kommt nicht zu mir?« sagte Madame Wagner freundlich zu ihm hinüber.

»Aber Julius, großer Junge, schämst Du Dich nicht?« rief ihm seine Mutter zu. Auch er kam herbei und reichte der Tante Wagner, wie die Kinder sie nannten, freundlichst die Hand.

Mathilde hatte während der Zeit das Theezeug herbeigeholt, die Magd hatte die singende Theemaschine neben Madame Werner gestellt, und bald saßen die Kinder im traulichen Kreise mit um den Tisch, die Mädchen mit Handarbeiten, der Knabe mit einem Bilderbuche beschäftigt, welches er erst kürzlich zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Es ruhte ein Geist der Zufriedenheit, des ungestörten häuslichen Friedens in diesem Zimmer, der mit den alterthümlichen Möbeln, Geräthen und Bildern in demselben von den Vorfahren her auf die jetzigen Besitzer übergegangen zu sein schien; denn man sah, er war hier zu Hause und zeigte sich in jedem Wort, in jeder Bewegung der Familienglieder.

Ueber dem Sopha hingen die Portraits des Herrn Werner und seiner Gattin in Oel gemalt, zwei Bilder, die, wenn auch keine Meisterwerke, doch zur Zeit, als sie angefertigt wurden, ähnlich gewesen sein mochten, was schon lange her sein mußte, wie die kurze Taille und die hohe Frisur der Dame, sowie der zum Hinterkopf hinaufsteigende Kragen des Rocks und der Weste, nebst dem weit hervorstehenden gefalteten Busenstreif des Herrn zeigte. Die Bilder von Vater und Mutter des Herrn Werner hingen zur Seite an der Wand und dazwischen ein großes illustrirtes »Vater Unser« unter Glas und Rahmen. In der einen Ecke des Zimmers schwang eine bis zur Decke hinaufreichende alte Stehuhr, wie im Takt mit den Gemüthern der Familie, ruhig und friedlich ihr Pendel hin und her, dessen gedämpfter Ton, als wenn er dazu gehörte, in die trauliche Unterhaltung der Anwesenden sich mischte, und von Zeit zu Zeit piepte, wie aus einem Traum erwachend, ein Kanarienvogel, dessen Käfig am Fenster hing, sah verwundert mit seinen klaren kleinen Augen nach dem hellerleuchteten Tisch und steckte dann schnell wieder sein Köpfchen unter den Flügel.

Der Ton der rasch geöffneten und wieder geschlossenen Hausthür wurde jetzt gehört, und dann klangen Tritte die Treppe herauf.

»Da kommt Albert,« sagte Madame Werner nach der Thür aufsehend; gleich darauf trat ihr Sohn mit einem freundlichen »Guten Abend« in das Zimmer, hing seinen vom Regen nassen Ueberwurf und seine Kappe an den Thürhaken und eilte dann Madame Wagner die Hand zu reichen, worauf er sich neben ihr auf einen Stuhl niederließ.

Er war ein stattlicher, großer und kräftiger junger Mann mit blondem Lockenhaar, freundlichen, lebendigen blauen Augen und frischer, gesunder Gesichtsfarbe. Seine hohe, offene Stirn und eine noch nicht sehr lange geheilte Narbe auf der rechten Wange gab seinem überhaupt bestimmten Wesen etwas Entschlossenes und Selbstständiges, während sein feines, Wohlerzogenheit zeigendes Benehmen seine blonde jugendliche Erscheinung zu einer gefälligen und angenehmen machte.

»Sie haben uns lange nicht besucht, liebe Tante Wagner; ich weiß noch die Zeit, in der wir Kinder nicht zu Bett gehen wollten, wenn wir nicht einen Kuß von Ihnen bekommen hatten,« sagte Albert zu der Freundin der Familie.

»Ja, lieber Albert, Zeiten ändern sich, und Kinder wachsen heran. Damals hatte ich nur meine Marie und trug sie auf meinem Arm, wohin ich ging. Aber jetzt habe ich für vier Kinder zu sorgen und über sie zu wachen, da muß ich schon zu Hause bleiben.«

»Das ist Vater,« rief die blondgelockte Johanna, als wieder die Hausthür geöffnet wurde, sprang von ihrem Stuhl auf und flog dem eintretenden Herrn Werner entgegen, der, seinen triefenden Regenschirm zur Seite haltend, sich zu dem Kinde niederbeugte, um dessen Liebkosungen zu empfangen.

»Ei, ei, welch ein wildes Aprilwetter!« sagte er, aus den weiten Aermeln seines großen grauen Mantels herausfahrend und denselben an dem Thürpfosten aufhängend. »Sieh da, Tante Wagner; das ist ja hübsch von Ihnen, daß Sie wieder einmal gekommen sind; doppeltes Lob verdienen Sie dafür bei solchem Wetter.« Martha, die gleichfalls ihren Kuß von ihrem lieben Vater bekommen hatte, hielt, sich an ihn schmiegend, mit ihren kleinen Händen dessen Arm noch fest, als die Mutter zu demselben hingetreten war, ihn mit der Hand auf die Schulter klopfte und ihren Mund zu dem seinigen erhob, um ihn in gleicher herzlicher Weise zu bewillkommnen.

Herr Werner war ein großer magerer Mann mit schmalen, nach vorn gebogenen Schultern, dessen Äußeres die sitzende Lebensweise verrieth, die ihn von früher Jugend an stets an den Schreibtisch gefesselt hatte. Die lange spitze Nase, die hohe Stirn und die eingefallenen Wangen gaben seinem langen Gesicht etwas Scharfes, was jedoch durch den gutmüthigen Ausdruck seiner kleinen blauen Augen und einen freundlichen Zug um den großen Mund sehr gemildert wurde. Er sah aus wie ein Mann, der mit der Welt und ihren Widerwärtigkeiten nie viel in Berührung gekommen war, und der nur für seine glücklichen häuslichen Verhältnisse und seinen Dienst lebte.

»Nun, Kinder, habe ich Euch Etwas mitzutheilen,« sagte er mit einem ihm sonst eben nicht eigenen entschlossenen Tone, strich, mit der Hand über die kahle Stirn fahrend, die wenigen grauen Haare seines Scheitels nach oben und nahm eine so unternehmende Stellung an, daß Alle verwundert nach ihm aufsahen.

»Wir wandern aus, Kinder, es ist nun fest beschlossen,« sagte er nach einer Weile, zog den großen Lehnstuhl, den Albert für ihn an den Theetisch geschoben hatte, etwas zurück, setzte sich hinein und zündete, sich in demselben zurücklehnend, die lange Pfeife mit dem brennenden Fidibus an, welche beide ihm sein Sohn Julius gereicht hatte. Dann fuhr er fort:

»Ich habe heute Briefe von Frankfurt erhalten nebst jeder nöthigen Auskunft über den Verein zum Schutz deutscher Auswanderer in Texas, die so überaus günstig lauten, daß ich es jedem nicht sehr bemittelten Familienvater verdenke, wenn er hier in dem übervölkerten und ausgesogenen Deutschland die Zukunft der Seinigen auf sein gehofftes langes Leben setzt. Dort in dem gesegneten reichen Texas, wo die Natur dem Menschen Alles, was er bedarf, umsonst giebt, dort mag es kommen wie es will, so sind Frau und Kinder versorgt. Ja, wir wandern aus, das ist nun abgemacht. Im kommenden Herbst müssen wir mit allen Vorbereitungen fertig sein, denn im Oktober werden Schiffe von Hàvre aus dorthin abgehen.«

»Aber, Herr Cassirer, ist es möglich? Sie wollen auswandern, in ein Land, wo noch Indianer hausen, und wo wilde reißende Thiere das Leben Ihrer Familie bedrohen?« sagte Madame Wagner im höchsten Erstaunen.

»Dagegen giebt es Waffen, meine liebe Wagner, wir werden uns zu vertheidigen wissen,« erwiederte Werner mit entschlossenem Tone und hob seine Pfeife, wie man mit einer Flinte thut, an die Backe, obgleich er aus eigner Erfahrung wirklich noch nicht wußte, ob ein Gewehr hinten oder vorn losging, denn er hatte nie in seinem Leben ein solches abgefeuert. »Minna, Du kannst jetzt nur mit Deinen Mädchen lernen die Kühe zu melken, denn das gehört auf einer Plantage zu den Arbeiten der Frauenzimmer; es ist meine Absicht, eine sehr große Heerde zu halten,« fuhr er dann zu seiner Frau fort, »und hier Junker Albert muß sich diesen Sommer auf einer Oekonomie tüchtig umsehen, denn wenn er auch das Pflügen dort nicht selbst zu thun hat, so ist es doch nöthig, daß er weiß, wie es gemacht werden muß, damit er die Neger controliren kann. Ich reite dann so ab und zu und besorge den Verkauf unserer Produkte, das wird mir besser bekommen, als hier den ganzen Tag auf meinem Schemel an dem Schreibtisch herum zu reiten; da giebt es einen gesunden Appetit, Nur frohen Muth, Kinder, Alles in der Welt ist dem Menschen möglich, wenn er sich nur selbst vertraut und nicht vor einem Unternehmen, das etwas schwierig erscheint, gleich den Kopf sinken läßt.«

»Aber, lieber Werner, der Anfang wird doch manches Ungewohnte und Beschwerliche haben,« sagte dessen Frau.

»Allerdings, Beste, das ist es gerade, wovon ich rede; doch es muß überwunden werden. Die Neger sollen auch mitunter schwer in Ordnung zu halten sein; das hat aber Nichts zu sagen, wir wollen ihnen die Köpfe schon zurecht setzen,« erwiederte Werner.

»Nun, wie ist es aber mit dem Hause, lieber Mann, wenn wir hinkommen?«

»Alles fertig; die Wagen stehen an dem Ufer, um uns, wenn wir angekommen sind, mit unsern Sachen sofort nach unsrer Plantage zu fahren. Nun aber noch eine frohe Kunde, die Euch den Entschluß erleichtern wird: Stadtschreiber Kunze hat sich auch auszuwandern entschlossen und wird uns mit seiner Familie auf der Reise eine angenehme Gesellschaft, an Ort und Stelle aber ein treuer und hilfreicher Nachbar sein.«

»Kunze's, ist es möglich?« riefen Alle beinahe einstimmig.

»Kunze?« wiederholte Madame Wagner; »mein Gott, was will denn der alte Mann dort thun? Er hat ja keine männliche Hilfe, und seine vier fein erzogenen Töchter haben, glaube ich, noch niemals eine Suppe gekocht. Ich meine immer, wenn ich Kunze mit feiner großen Brille auf der Nase bei starkem Wind durch die Straße gehen sehe, derselbe müsse ihn wie eine Feder mit davon nehmen. Was man Alles noch erleben soll! Eins weiß ich sicher: daß ich nicht eher schlechtes Wasser weggieße, bis ich besseres habe. »Bleibet im Lande und nährt Euch redlich,« sagt das alte Sprichwort, und ein gutes Wort ist es. Nein, Wagner dürfte mir nicht mit Auswandern kommen.«

Werner aber überbot alle Einreden mit guten Gründen und fester Beharrlichkeit und sagte noch zu Madame Wagner, als sie kurz vor zehn Uhr aufbrach, um sich nach Hause zu begeben:

»Wer weiß, ob Sie mich nicht noch einmal auf meiner Plantage besuchen.«

Schon am folgenden Tage reichte er sein Gesuch ein, um zum ersten Juli seinen Abschied aus dem Staatsdienst zu erwirken.

Das Städtchen, in dem die Familie Werner wohnte, lag in einer fruchtbaren, romantischen und gesunden Gegend Süddeutschlands, deren Bewohner bis jetzt noch keine Noth zur Auswanderung getrieben hatte, und von wo auch erst wenige einzelne junge Leute in fremde Welttheile gezogen waren. Doch seit Kurzem hatten die Nachrichten über das herrliche Texas auch ihren Weg in diese Gegenden gefunden, und tausendfältig waren die Berichte, die Erzählungen über dieses Wunderland durch Zeitungen, durch Bücher und durch Briefe hier täglich mehr verbreitet worden. In den Städten sowohl, als auch auf dem Lande wurde das Interesse für Texas immer lebendiger, und mancher ruhige, solide Haushalt fing an in seinen Grundpfeilern zu wanken.

Man überzeugte sich täglich mehr, daß dort das Paradies der Erde zu finden sei, in dem der Mensch Nichts zu thun habe, als nur die Schätze, die ihm die Natur aufnöthigte, anzunehmen, und daß dort mit einem Wort das Land sei, wo einem die gebratenen Tauben in den Mund flögen.

Der Verein zum Schutze deutscher Auswanderer nach diesem Lande hatte Vieles über die großen Vorzüge desselben veröffentlicht und so vortheilhafte Anerbieten für Auswanderungslustige gemacht, daß nur wenig Scharfsinn dazu erforderlich war, um einzusehen, man würde eine Thorheit begehen, quäle man sich noch länger in dem alten Vaterlande, während dort ein ewiger Frühling, die wundervollsten Ländereien, immer reife Früchte, nebst Haus, Hof, Vieh und Geschirr die Kolonisten erwarteten. Die Neuigkeit, daß der Herr Cassirer Werner und der Herr Stadtschreiber Kunze sich auch entschlossen hätten, Deutschland Lebewohl zu sagen und sich in Texas eine neue Heimath zu gründen, erregte viel Aufsehen, und da Beide als sehr einsichtsvolle, wohl überlegende Männer galten, so folgten ihrem Beispiele noch viele andere Bürger der Stadt und Bewohner der Umgegend. Auch sie beschlossen, das alte, wenn auch nicht sehr drückende Joch abzuschütteln, begannen Haus und Hof zu verschleudern und machten eiligst alle Vorkehrungen, um im Oktober sich gleichfalls mit Kind und Kegel von Hàvre aus nach dem gelobten Lande Texas einschiffen zu können.

Schon während des Sommers war die alte Ruhe, der stille Friede aus dem Hause Werner's gewichen. Madame Werner band ihrem Manne nicht mehr nach dem zeitigen Frühstück das Halstuch unter dem Kinn in eine zierliche Schleife, wenn er nach seinem Amtslokal gehen wollte; sie versorgte ihre Kinder nicht mehr mit einem Butterbrod, wenn um acht Uhr Morgens die Glocken läuteten, und es Zeit für sie war, nach der Schule zu gehen: denn Alle waren von früh Morgens bis spät Abends beschäftigt, Vorbereitungen zur Reise zu machen. Es wurde Auction gehalten, es wurden Sachen aus der Hand verkauft, tausenderlei neue Gegenstände angeschafft, und als der September kam, war nur noch das Nothwendigste in dem netten, sonst gemüthlichen Haus, in welchem die Werner'sche Familie jetzt nur noch bis zu ihrer Abreise zur Miethe wohnte.

Die Kisten mit Leinenzeug, Kleidungsstücken, Büchern und Bildern waren gepackt, und Herr Werner war eines Morgens früh sehr beschäftigt, seine Sammlung von Pfeifen nebst einem Vorrath von Reserve-Röhren und Spitzen sorgfältig in eine Kiste zu legen, während Albert die Büchsen, Flinten, Sättel und das Reitzeug in dem dafür bestimmten Kasten unterbrachte, als Madame Werner zu ihrem Gatten in das Zimmer trat und zu ihm sagte:

»Lieber Werner, Du möchtest wohl noch eine Kiste für unser Nachtkommödchen bestellen; das müssen wir doch mitnehmen, denn es stammt noch von meiner Großmutter her. Auch sind noch die drei Spinnräder nicht untergebracht, das eine ist von Mahagonyholz.«

»Liebes Kind, Du siehst, wie ich den Kopf und die Hände voll habe, wie kann ich jetzt an Nachtkommode und Spinnräder denken. Wir bekommen auch zu viel Gepäck, drei und vierzig Kisten sind schon gepackt, und meinen Schreibtisch muß ich doch auch noch mitnehmen.«

»Aber den großen Schreibtisch, lieber Mann; schreiben kannst Du ja an jedem Tisch, die Spinnräder aber sind nothwendige Geräthschaften. Dann wollte ich Dich auch noch fragen: Da ist noch die Wiege, in der wir unsere Kinder sämmtlich geschaukelt haben, sollen wir die denn auch zurücklassen? Wenn Mathilde einmal heirathet, so wäre es doch hübsch, wenn sie die Wiege hätte, in der unsere Kinder so gut gediehen sind.«

»Die Wiege?« fragte Herr Werner, indem er rasch von der auf dem Fußboden stehenden Kiste in die Höhe fuhr, die Hand schnell auf das Kreuz legte, weil die rasche Veränderung seiner Stellung ihm dort heftigen Schmerz verursachte, und mit weitaufgerissenen Augen und geöffnetem Munde seine Gattin anstierte. »Die Wiege?« wiederholte er nach einer kurzen Pause; »ich glaube am Ende, daß Du selbst noch an eine Möglichkeit denkst, sie nöthig zu haben!«

»Aber lieber Werner!« erwiederte die Gattin, die Augen niederschlagend, indem sie ihm über die faltige Wange strich, »bedenke doch!«

»Nun, was die Mädchen anbetrifft, die können es machen, wie die Indianerinnen: sie binden sich die Kinder auf den Rücken. Du kannst noch immer die dummen deutschen Vorurtheile und Gewohnheiten nicht abschütteln, liebe Minna; der Weltbürger hängt nicht an solchen Nebensachen,« sagte Herr Werner pathetisch, einen Bogen mit seiner großen Hand beschreibend, indem er sich mit der andern in den Rücken drückte, als wolle er die etwas krumme Linie desselben gerade richten.

»Nun komm, liebes Männchen, ereifere Dich doch nicht gleich; Du weißt, wir Weiber hängen ja mehr an Gewohnheiten, als Ihr Männer, dafür sind wir aber auch das zarte, das schwache Geschlecht.«

Die Wiege wurde denn wirklich verkauft, und nicht ohne eine Thräne im Auge sah Madame Werner sie aus dem Hause tragen.

Herr Werner hatte nach Wunsch den nachgesuchten Abschied erhalten, und mit dem Erscheinen des Monats Oktober war die Familie Werner reisefertig, die tausenderlei Bande, die sie an die heimathliche Erde geknüpft hatten, waren gelöst, und ohne daß es von einem ihrer Mitglieder ausgesprochen worden wäre, hatte sich derselben doch ein Gefühl der Unsicherheit, der Leere bemächtigt, wie man es wohl im Traume fühlt, wenn einem der Grund unter den Füßen verschwindet. Besonders als der Tag kam, an welchem sie ihre Freunde, ihr Haus, ihre Vaterstadt verlassen sollten, überwältigte sie die bis jetzt durch die aufregenden Vorbereitungen zur Reise unterdrückte Anhänglichkeit an die Heimath, und die Frage drang sich ihnen mit Gewalt auf, wofür sie denn eigentlich all' das Liebe, das Theuere hingäben. Doch Reue war zu spät, sie waren im Strom und trieben mit ihm vorwärts.

Die Wagen, welche Werner's, so wie auch Kunze's bis zu dem Rhein-Dampfschiff fahren sollten, standen früh Morgens gepackt vor dem Haus der Ersteren, wo sich Hunderte von Bekannten und Freunden aus der Stadt eingefunden hatten, um den Auswanderern ein letztes Lebewohl zu sagen. Die Frauenzimmer mit verweinten Augen empfingen schluchzend die Abschiedsküsse, die Worte des Trostes, und der Jammer, das Herzeleid steigerte sich mit jeder Minute. Männer, Weiber und Kinder lagen sich in den Armen, es schien des Abschiednehmens kein Ende. Albert's Freunde hatten sich um ihn versammelt und nahmen einzeln herzlichen Abschied von ihm. Er hatte sich deren unter seinen Altersgenossen, so wie auch unter Männern von reiferen Jahren durch sein verständiges, gediegenes und liebenswürdiges Benehmen sehr viele erworben, und allgemein erkannte man in ihm einen jungen Mann, der zu großen Hoffnungen berechtigte.

Herr Werner war der Erste, der sich dieser allgemeinen entmuthigenden Hingebung entriß, indem er zwischen seine Frau und die treue Freundin Wagner trat und Erstere zu dem Wagen geleitete. Nachdem die Kinder auch Platz darin genommen, Albert sich zu dem Kutscher auf den Bock gesetzt hatte, wandte sich Herr Werner nochmals an die betrübte Menge, indem er den breitrandigen, mit einem Gemsbart und bunten Lindern geschmückten Filz über seinem kahlen Haupte emporhob, sich stolz auf seine neue Doppelflinte stützte, seiner von unwillkürlichem Schluchzen bebenden Stimme die möglichste Kraft gab und sagte:

»Lebt wohl, meine Freunde, und Wem es hier nicht gut geht, der folge mir nach, er wird mir auf meiner Plantage ein willkommener Gast sein!«

Dann reichte er Albert seine Flinte, hob seine hagere Gestalt zu den Seinigen in den Wagen, der Kutscher trieb die Pferde vorwärts, und ein lautes Lebewohl tönte den dahinziehenden Auswanderern von ihren Freunden nach.

In Hàvre, wo Werner's das Schiff bestiegen, welches sie durch den Ocean tragen sollte, nahmen sie von Europa den letzten Abschied und zogen, wie ihre Hunderte von Reisegefährten, mit fester Hoffnung und festem Vertrauen auf eine glückliche Zukunft ihrer neuen sonnigen Heimath entgegen.


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