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Luises Leben war, abgesehen von den ersten Jahren ihrer wolkenlosen friedlichen Ehe mit Friedrich Wilhelm III., Leid und Kummer. Die Folgen der Politik gegen die Gewaltherrschaft Napoleons I. waren geradezu tragisch für sie und ihr Land. Sie erlebte Dinge, denen weder die Romantik noch das furchtbarste Verhängnis mangelte. Vom Idyllischen ihrer Jugend bis zur erschütternden Stunde ihres frühen Todes ist alles in ihrem Leben einzig und bewegend. Nur wenige Jahre war sie im Glück. Ganz jung schon erfuhr sie die Leiden des Lebens. Aus ihrer Hauptstadt vertrieben, ihrer Staaten beraubt, erduldete sie Not und Entbehrung in der Verbannung. Bittere Enttäuschung über Menschen, die sie am meisten liebte und verehrte, Unglück in der Politik waren ihr Los. Krank im Innersten und mit dem Todeskeim in der Brust, kehrte sie nach schweren Sorgen in ihre Hauptstadt zurück. An der Schwelle einer kommenden besseren Zeit, zu der sie indirekt beigetragen hatte, musste sie aus dem Leben scheiden. Sie erlebte nicht die Früchte ihres Strebens. Sie erlebte nicht den Umschwung der Politik gegen Napoleon, nicht seine Niederlagen, nicht den Untergang ihres Todfeindes.
Luise litt unsäglich unter dem Unglück, das sie, seiner Folgen unbewusst, mit heraufbeschworen hatte. Sie musste die Fehler, die sie wohl im Glauben an etwas Gutes beging, schwer büssen. Sie selbst war sich keiner Schuld bewusst, denn sie besass nicht den Ehrgeiz wie manche Frauen der Geschichte, die die Zügel der Regierung an sich rissen und grössere Tyrannen waren als ihre königlichen Gatten. Sanftheit und Milde, die Grundzüge ihres Charakters, waren das Resultat der Erziehung, die sie durch ihre Grossmutter genossen hatte. Denn Luise verlor bereits als sechsjähriges Kind ihre Mutter, eine geborene Prinzessin von Hessen-Darmstadt. Der Vater, Prinz Karl Ludwig Friedrich von Mecklenburg-Strelitz, der Bruder des prachtliebenden regierenden Herzogs Adolf Friedrich IV., vermählte sich in zweiter Ehe mit der Schwester seiner Frau. Aber schon nach einem Jahr starb auch sie, ebenfalls wie ihre Schwester, im Wochenbett. Die Stiefkinder waren aufs neue mutterlos. Zu einer dritten Ehe konnte sich Karl Ludwig nicht entschliessen. Er nahm als Feldmarschall seinen Abschied aus dem hannoverschen Heere und ging auf Reisen. Seine drei Töchter, Therese, Luise und Friederike, brachte er zur Grossmutter nach Darmstadt.
Luise kam in einem Alter zu ihrer Grossmutter, der Witwe des Prinzen Georg Wilhelm von Darmstadt, da das kindliche Gemüt am empfänglichsten für gute und schlechte Eindrücke ist. Sie sah nur Gutes und hörte nur Gutes in dem alten Palais am Darmstädter Markt.
Im Jahre 1792 reiste die Grossmutter mit den Prinzessinnen nach Frankfurt. Man lebte in einer aufgeregten Zeit. Drei Jahre vorher war die französische Revolution ausgebrochen. Dann kam der Einzug des preussischen Heeres in Frankreich, der Rückzug und die Bedrohung Deutschlands durch französische Truppen. Man hatte sie gerade aus Frankfurt verjagt. Die Verbündeten waren eingerückt, und König Friedrich Wilhelm II. von Preussen hatte mit seinen beiden Söhnen, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm und dem Prinzen Louis hier sein Hauptquartier aufgeschlagen. Alles, was es damals an hohen Persönlichkeiten, Fürsten, Feldherren, Staatsmännern, aber auch an Abenteurern, Scharlatanen in Deutschland und Oesterreich gab, war in der Mainstadt anwesend, dazu eine Unmenge französischer Emigranten.
Die Darmstädter Damen wollten gleich am nächsten Tag weiterreisen, aber der König von Preussen schickte ihnen eine Einladung zur Tafel, und so mussten sie bleiben. Nicht ganz ohne Absicht war die Landgräfin nach Frankfurt gekommen. Im geheimen, ohne Wissen der beiden Prinzessinnen, waren bereits Verhandlungen zwischen Onkel Georg und Friedrich Wilhelm II. wegen der Verheiratung der Söhne des Königs angeknüpft worden. Gleich als Luise und Friederike den Salon des Königs betraten, wurde der Kronprinz von dem Liebreiz der beiden jungen Mädchen gefesselt. Graf Medem stellte den Kronprinzen vor. Friedrich Wilhelm wusste jedoch nicht, welcher von beiden er sein Herz schenken sollte. Schliesslich entschloss er sich für die ältere, denn der erste Eindruck ihrer Schönheit wurde bei näherer Bekanntschaft mit ihr noch stärker.
Schön, überaus schön war die Braut des Kronprinzen. Alle Zeitgenossen, ob Feind oder Freund, sind sich darüber einig. «Sie gehörte zu den Frauen, durch die alle Männer und Frauen hingerissen werden.» Auch Goethe war begeistert von ihrer Anmut, und er verstand gewiss etwas von Frauenliebreiz und Frauenschönheit.
An einem Wintermorgen, am 22. Dezember 1793, hielt die siebzehnjährige Prinzessin Luise ihren Einzug in Berlin. Im Sturm eroberte sie sich alle Herzen. Am 24. Dezember fand im Weissen Saal des Berliner Schlosses die Trauung statt. Kaum zwei Jahre später gab sie ihrem ersten Sohn das Leben, dem Prinzen Friedrich Wilhelm, dem nachmaligen König Friedrich Wilhelm IV.
Der Kronprinz lebte mit Luise wie ein glücklicher Privatmann. Er fühlte sich am wohlsten zu Hause im Familienkreis, denn er hasste das leere, hohle Geschwätz der Hofleute und alles steife Zeremoniell. Da er sehr pedantisch war, führte er ein äusserst gleichförmiges Leben, in dem jede Stunde ihre Bestimmung hatte. Für sich und die Seinen mied er jeden Glanz.
Während der alte König zu kränkeln begann, war dem Kronprinzenpaar ein zweiter Sohn geboren worden. Am 22. März 1797 hatte Luise dem Prinzen Wilhelm, dem späteren deutschen Kaiser Wilhelm I., das Leben gegeben. Natürlich vermehrte dies ihre Popularität. Aber sie verlebte auch damals schon qualvolle Tage. Am Hofe des alten Königs übte seine Mätresse, Gräfin Lichtenau, die aus niedrigsten Kreisen stammte, eine unbeschränkte Herrschaft aus. Auch Luise war gezwungen worden, der Vorstellung der Geliebten beizuwohnen, und fühlte sich dadurch tief verletzt. Kurze Zeit darauf starb der König, und Friedrich Wilhelm III. trat eine wenig erfreuliche Erbschaft an. Das Land steckte durch die Verschwendung des Hofes tief in Schulden, und es war für Preussen ein Glück, dass dieser sparsame Herrscher mit seinen einfachen, dem Prunk abholden Gewohnheiten zur Regierung kam.
Ein Ereignis in Luises Leben war die Begegnung mit dem Zaren Alexander I. Sie fand im Jahre 1802 in Memel statt. Die Eindrücke, die die junge Königin in jenen, nach ihren Worten «zauberhaften» Tagen von Memel empfing, waren so stark, dass sie in ihrem Tagebuch alles niederschrieb, was sie bewegte. Auch Alexander nahm aus diesen Tagen Erinnerungen mit sich, die ihm unvergesslich blieben. Luise soll in Memel ganz besonders schön und anziehend gewesen sein. Sie war 26 Jahre alt, in der Blüte ihres Weibtums. Es war kein Wunder, dass der junge Zar sie bewunderte. Nicht nur ihm ging es so. Graf Ségur, damals Adjutant Napoleons, wurde von der Königin Luise im Jahre 1803 empfangen. Er findet kaum Worte, den Eindruck zu schildern, den sie auf ihn machte. Vor allem fesselte ihn der Klang ihrer Stimme: «Es lag eine so harmonische Weichheit darin, in ihren Worten etwas so Liebenswürdiges, so rührend Hinreissendes ..., dass ich einige Augenblicke völlig betroffen war und mich einem jener Wesen gegenüber glaubte, deren entzückende und bezaubernde Bilder in den alten Fabeln geschildert werden.»
Vom Tage seiner Thronbesteigung an hatte König Friedrich Wilhelm das Bestreben, neutral zu bleiben. Er wollte sich nicht in die Streitigkeiten der Staaten mischen, und er hielt Preussen für stark genug, gegen den siegreichen Kaiser der Franzosen die Neutralität wahren zu können. Während ringsum die Welt im Kampf mit dem Gewaltigen stand, schien es, als nähme Preussen keinen Anteil an den Ereignissen. Friedrich Wilhelm meinte, die Neutralität, die im Basler Frieden von 1795 bestimmt worden war, streng aufrechterhalten zu müssen und war nicht zu bewegen gewesen, der Koalition vom Jahre 1798 beizutreten. Er hing genau so fest an diesem Vertrag wie später an dem russischen Bündnis. Von Tag zu Tag wuchs die Macht Napoleons, aber weder der König noch seine Diplomaten sahen darin für das kleine Preussen eine Gefahr. Nur Luise hegte seit längerer Zeit Zweifel an der Richtigkeit der Politik ihres Gatten und seines Kabinetts. Ihre Abneigung gegen den Emporkömmling hatte mit der Erschiessung des Herzogs von Enghien begonnen, aber sie beruhte zunächst auf menschlichem Mitgefühl gegenüber dem Opfer, nicht auf politischem Hass gegen Napoleon selbst. Erst als sie sah, dass Preussen immer mehr an Ansehen verlor, fasste sie den Entschluss, sich näher mit politischen Dingen zu befassen. Ganz aufgegangen aber sind ihre Zweifel an der Politik Preussens erst nach der zweiten Begegnung mit dem Zaren im Jahre 1805.
Jener Aufenthalt des klugen und äusserst raffinierten russischen Kaisers in Potsdam fand seinen Abschluss durch den berühmten Schwur der beiden Monarchen auf dem Sarge Friedrichs des Grossen. Dann stieg der Zar in seinen Reisewagen und fuhr von dannen, froh, das preussisch-russische Bündnis doch noch zustande gebracht zu haben. Luise war von diesem Bündnis begeistert. Allerdings stiegen ihr bisweilen leise Zweifel auf, dass der liebenswürdige Alexander vielleicht doch nicht die Tiefe der Seele besitzen könnte, die sie ihm zuschrieb. Vorläufig vermochte sie allerdings den König nicht zu beeinflussen, denn dieser unterzeichnete im Dezember 1805 einen Allianzvertrag mit Frankreich, dem der Austausch Hannovers zugrunde lag. Der preussische Minister Haugwitz war auf Grund des Vertrags mit Russland zu Napoleon geschickt worden, um ihm entweder den Frieden vorzuschlagen oder – wenn der französische Kaiser die Vorschläge nicht annähme – den Krieg zu erklären. Haugwitz war jedoch weder dem Kaiser noch Talleyrand gewachsen. Anstatt sich seines Auftrages zu entledigen, kehrte er mit einem Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich heim.
Inzwischen brachten die Waffen die Entscheidung. Die Russen wurden bei Austerlitz geschlagen. Die Nachricht erschütterte Luise aufs tiefste. Noch mehr aber enttäuschte sie die Flucht Alexanders nach der Schlacht. Zum erstenmal in ihrer Ehe gab es zwischen Luise und Friedrich Wilhelm heftige Auseinandersetzungen. Sie war der Meinung, dass nur eins nötig sei: «Das Ungeheuer (Napoleon) schlagen, zu Boden schlagen ...» Immer stärker wurde die Partei der Königin, und immer wieder versuchte man, den König zum Kriege zu überreden.
In der Folge wurde der Rheinbund geschlossen. Diesem Bündnis zufolge sagten sich sechzehn deutsche Fürsten vom Reiche los und wählten den französischen Kaiser zu ihrem Schirmherrn. Napoleon aber vergass es weder dem preussischen Kabinett noch dem König, dass sie seinem ersten Allianzvertrag so grosses Misstrauen entgegengebracht hatten. Ueberall hatte er Truppen stehen und rief dadurch die grösste Besorgnis in Berlin hervor. Plötzlich traf die Nachricht ein, dass er nun doch Hannover England angeboten habe. Seine Heere standen längst kampfbereit an den Grenzen und warteten nur auf den Befehl zum Vormarsch. Preussen hatte zu lange gezögert. Jetzt war es zu spät, einen Krieg mit Frankreich zu beginnen. Die Zeiten hatten sich geändert.
In dieser Lage stand auch Haugwitz der Königin zur Seite. Der Minister war von Napoleon wenig schmeichelhaft behandelt worden. Nun rächte er sich. Der König folgte dem Rate seines Ministers und erteilte am 9. August 1806 den Mobilmachungsbefehl. Am 17. September wurde der Krieg beschlossen.
Anfangs war die Rede davon, dass Luise den König nur so lange ins Feld begleiten solle, bis die Armee den Vormarsch begonnen hätte. Aber die Königin folgte ihrem Gatten von Naumburg aus nach Erfurt, das man zum Hauptquartier erwählt hatte. Beinahe wäre ihr der Aufenthalt im Kriegsgebiet teuer zu stehen gekommen. Drei Tage vor der Schlacht von Jena hatte sie sich mit dem König nach Weimar zurückgezogen. Hier wurde sie plötzlich von anrückenden französischen Truppen überrascht. Sie musste nach Berlin fliehen.
Es war am Morgen des denkwürdigen 14. Oktober. Der Kanonendonner der Schlacht von Jena schlug an Luises Ohr, als sie in ihrem Reisewagen bangen Herzens und doch voller Hoffnung auf den Sieg über Mühlhausen, Braunschweig nach Berlin fuhr. Kurz vor Brandenburg erreichte sie ein Kurier. Als sie den Brief gelesen hatte, brachen alle ihre Hoffnungen zusammen. Es war alles vernichtet: das Heer, der Staat, ihr Glück. Ihr grösster Feind, Napoleon, war von nun an Diktator über Preussens Geschick. Furchtbar war die Enttäuschung der Königin, unermesslich der Schmerz über das Unglück. Sie litt Qualen der Angst und Sorge. Nun galt es, mit ihren Kindern zu fliehen. Diese waren bereits, als sie in Berlin ankam, auf die Nachricht von der Niederlage nach Schwedt auf das ehemalige Schloss ihrer Schwester Friederike gebracht worden, denn schon standen die Franzosen vor den Toren Berlins. Der König selbst war auf der Flucht. Am Tag nach ihrer Ankunft in Berlin musste auch sie weiter fliehen. Ihr nächstes Ziel war Küstrin. In atemloser Hast reiste sie über Stettin dorthin.
Aber auch hier war kein Bleiben. Tieferschüttert von den Ereignissen setzte die Königin ihre Flucht nach Königsberg fort. Zu all dem Traurigen, das sie in jenen Tagen erleben musste, kamen noch die Schmähungen, die Napoleon seit der Schlacht von Jena in seinen Bulletins gegen sie losliess. Der beissendste Spott, die höchste Ironie sprachen aus den Worten, die das 1. Bulletin der Grossen Armee vom 8. Oktober 1806 über die Königin enthielt. «Marschall», sagte darin der Kaiser zum Marschall Berthier, «man gibt uns für den 8. Rendez-vous. Niemals hat ein Franzose ein solches verfehlt. Und da, wie man sagt, eine schöne Königin Zeuge des Kampfes sein will, so seien wir höflich und marschieren wir, ohne uns Ruhe zu gönnen, nach Sachsen ...» Und weiter höhnt dasselbe Bulletin: «Die Königin ist bei der Armee, als Amazone gekleidet, in der Uniform ihres Dragonerregiments. Sie schreibt täglich zwanzig Briefe, um von allen Seiten den Brand zu schüren. Man meint Armida zu sehen, die in ihrer Verblendung den eigenen Palast anzündet.» Allem aber setzte das berühmte 19. Bulletin die Krone auf, worin Napoleon die Königin in ihrer Frauenehre angriff.
Um das Unglück vollzumachen, wurden Luise und ihre Kinder von Krankheiten heimgesucht. Luise selbst traf in Königsberg am 9. Dezember mit hohem Fieber ein. «Sie lag sehr gefährlich darnieder», schrieb ihr Leibarzt in sein Tagebuch, «und nie werde ich die Nacht des 22. Dezember vergessen, wo sie in Todesgefahr lag.» Luise war aber selbst in Königsberg nicht mehr sicher. Sie musste fort. In einem offenen Wagen – einen anderen konnte man nicht auftreiben –, mitten im Winter in Sturm und Schnee reiste die Schwerkranke am 5. Januar über die Kurische Nehrung nach Memel. Ihre Kinder waren bereits vorausgeschickt worden. Die Nächte verbrachten die Königin und ihre Begleiter in den elendesten Bauernhäusern oder Gasthöfen. Es war bitter kalt. Der Sturm und das Unwetter waren so schrecklich, dass die Pferde kaum weiter konnten. In der ersten Nacht lag Luise in einer Stube, wo die Fenster zerbrochen waren. Der Schnee wehte auf ihr Bett. Es war eisig kalt, und man hatte weder Feuer noch etwas Warmes zu essen für die Kranke. «So hat noch keine Königin die Not empfunden», schrieb ihr Leibarzt in sein Tagebuch. Erst in Memel konnte sie sich ein wenig Ruhe gönnen.
Langsam erholte sich die kranke Königin. Der Januar 1807 brachte milderes, sonniges Winterwetter. Aber Luise war traurig und niedergeschlagen. Es blieb ihr nichts erspart. Die Unglücksbotschaften waren schon an der Tagesordnung. Nach dem Fall von Danzig folgte Neisse, und schliesslich vernichtete Napoleons Sieg bei Friedland alle Hoffnungen. Diesmal war es Luise, die den Frieden ersehnte und von Napoleon annehmbare Bedingungen erwartete. «Vielleicht braucht auch Napoleon den Frieden», meinte sie, «und macht ihn billig. Das ist jedoch nicht das richtige Wort. Denn dieser Mensch kennt keine Gerechtigkeit. Aber vielleicht tut er aus Laune Dinge, die man von ihm nicht erwartet.»
Während Luise dem Zaren Alexander immer noch Vertrauen entgegenbrachte, verriet er sie und die Sache Preussens bei seiner Zusammenkunft mit Napoleon auf dem Njemen. Hier schloss er zwischen Russland und Frankreich einen Waffenstillstand ab, der Preussen nicht inbegriff. Sein Freund Friedrich Wilhelm, dem er noch vor kurzem feierlich Treue geschworen und Hilfe versprochen hatte, musste im strömenden Regen am Ufer stehen und zusehen, wie sich beide Kaiser berieten. Der König von Preussen war der Betrogene. Erst am nächsten Tag durfte er an den Unterhandlungen teilnehmen.
Am 26. Juni kamen die drei Monarchen in Tilsit zusammen, um über den Frieden zu unterhandeln. Russlands Politik hatte sich jetzt völlig Frankreich zugeneigt, dessen Kaiser von den Russen der Menschenfreund genannt wurde. Der preussische König war über die ungeheuren Ansprüche, die Napoleon stellte, verzweifelt. Besonders hing er an den linksseitigen Besitzungen der Elbe und an Magdeburg. Napoleon behandelte ihn wie eine ganz nebensächliche Person. Er unterhielt sich mit ihm über die nichtigsten Dinge, über Uniformknöpfe, Tschakos usw. und spottete bei jeder Gelegenheit über ihn.
Als man Luise den Vorschlag machte, dem so wenig grossmütigen Sieger entgegenzutreten, um von ihm für ihr Land etwas zu erbitten, da fühlte sie sich anfangs durch eine solche Aufforderung masslos erniedrigt. Zum General Kessel sagte sie: «Es ist mir, als wenn ich in den Tod ginge; als wenn dieser Mensch mich würde umbringen lassen.» Sie begriff aber schliesslich, dass sie ihrem Volke ein Opfer bringen musste und brachte es schliesslich gern. Mit Zweifel im Herzen, trat sie ihre Reise an, obwohl schmerzgebrochen darüber, dass sie wie eine Bittstellerin vor den Gebieter der Welt treten sollte, ohne von ihm eingeladen worden zu sein. Aber sie zitterte vor dem Augenblick, bald dem Verhassten gegenüberstehen zu müssen.
Unter dem klingenden Spiel der Truppen Napoleons hielt sie ihren Einzug in Tilsit. Der Kaiser Alexander, Friedrich Wilhelm und der Graf von der Goltz erwarteten sie. Der Zar sprach ihr beruhigend zu und sagte: «Nehmen Sie es auf sich und retten Sie den Staat!»
Dann empfing Luise den französischen Kaiser. Die Gräfin Voss und die Gräfin Tauentzien gingen hinunter, um Napoleon am Fuss der Treppe zu empfangen. Er ritt einen kleinen weissen Araber und hatte seinen ganzen Stab mitgebracht, um Preussens Königin einen Besuch abzustatten. Alexander und Friedrich Wilhelm empfingen ihn vor der Tür. Leichtfüssig sprang Napoleon ab und die enge Treppe hinauf, wo Luise ihn, vom König vorgestellt, empfing. Der Kaiser hatte eine kleine Reitpeitsche in der Hand. Als er die Treppe hinaufeilte, grüsste er höflich nach allen Seiten und wippte dabei leicht mit der Gerte. Die Königin sah in diesem Augenblick schöner aus denn je. Ihre Schönheit war wahrhaft königlich zu nennen. Die ganze Gestalt Luises war von so bezwingendem Liebreiz und so edler Hoheit, dass Napoleon im ersten Augenblick ein wenig verlegen schien, wenn er auch später behauptete, die Königin habe ihn wie Fräulein Duchesnois auf der Bühne als Ximena empfangen, was ihn an ihr sehr gestört habe. Er schien ein wenig ratlos und zum erstenmal vielleicht in seinem Leben die Situation nicht zu beherrschen.
Auf Luise machte die Erscheinung des Gefürchteten keinen ungünstigen Eindruck. Friedrich Wilhelm hatte ihn als «äusserst gemein aussehend» geschildert, die Gräfin Voss fand, dass seine grossen runden Augen unheimlich umherrollten und er wie die «Inkarnation des Erfolgs» aussah. Die Königin Luise war gerechter. Sie glaubte an dem Kopfe Napoleons die reinen Linien der Cäsarenhäupter zu entdecken. Er erschien ihr edel und vornehm im Ausdruck. An ihren Bruder schrieb sie später: «Sein Kopf ist schön geformt. Die Gesichtszüge künden den denkenden Mann an. Das Ganze erinnert an einen römischen Kaiser. Beim Lächeln hat er um den Mund herum einen Zug von Güte; überhaupt kann er sehr liebenswürdig sein.» Kurz, als Napoleon in seiner schlichten grünen Uniform vor ihr stand, da mochte sie kaum glauben, dass dieser kleine unscheinbare Mann ihrem Lande durch seinen Ehrgeiz soviel Unglück zugefügt hatte. Und in dieser versöhnlichen Stimmung gewann sie es gleich in den ersten Augenblicken über sich, von den Angelegenheiten zu sprechen, die ihr Herz bedrückten. Sie sagte Napoleon, er möchte sie nicht verkennen. Wenn sie sich in die Politik mische, so geschehe es nur, weil sie sich als Landesfürstin und Mutter ihrer Kinder verpflichtet fühle, alles zu versuchen, um ihnen Leid und Not zu ersparen. Napoleon schien indes nicht geneigt zu sein, sich mit ihr in ein politisches Gespräch einzulassen. Er unterbrach die Königin mit Beteuerungen und höflichen Phrasen und lenkte die Unterhaltung absichtlich immer wieder auf nebensächliche Dinge, genau wie bei der Zusammenkunft mit Friedrich Wilhelm. Ihn hatte er über Uniformen befragt, und sie glaubte er über Toilettenfragen unterhalten zu können.
Die tiefgebeugte Frau aber liess sich nicht beirren. Als vollkommene Beherrscherin der Situation wies sie Napoleon mit den Worten zurecht: «Sire, sind wir hierher gekommen, um von nichtigen Dingen zu reden?» Und damit hatte sie Napoleons Achtung gewonnen. Er hörte ihr jetzt aufmerksam zu. Je weiter die Unterhaltung fortschritt, desto grössere Zuversicht gewann Luise, desto mehr Vertrauen setzte sie in sein Verhalten. Auch Napoleon schien sehr von ihr eingenommen zu sein. Vielleicht wäre er dem unwiderstehlichen Zauber von Frauenschönheit und Frauenliebreiz, der von Luise ausstrahlte, unterlegen, wenn seine Politik in ihm nicht stärker gewesen wäre. Zum Unglück für die Sache trat auch Friedrich Wilhelm gerade in dem Augenblick ins Zimmer, als Napoleon beinahe der Königin Versprechungen machen wollte. Jedenfalls gab der Kaiser ihr Antworten, die sie wohl zu gewissen Hoffnungen berechtigten, ihn aber zu nichts verpflichteten. Es schien, als gäbe er sich ganz dem angenehmen Gefühl hin, mit einer schönen, geistreichen Frau zusammen zu sein, ohne ihrem Zauber ganz zu unterliegen. Er war liebenswürdig und zuvorkommend, nichts weiter. Als er sich dann verabschiedete, flackerte im Herzen der unglücklichen Königin ein Hoffnungsschimmer auf. «Wir werden sehen! Wir werden sehen!» waren seine letzten Worte gewesen. Dann hatte er Luise für den Abend zum Diner eingeladen und war gegangen.
Froh und hoffnungsvoll fuhr Luise um 8 Uhr abends in dem achtspännigen Staatswagen Napoleons an der Seite des Marschalls Berthier zum Galadiner des Kaisers. Sie war heiterer Laune. Nach langer Zeit konnte sie wieder ein wenig lachen. Die Anwesenheit vieler hoher Gäste verlieh dieser neuen Begegnung mit Napoleon einen mehr gesellschaftlichen Charakter. Der Kaiser war ihr gegenüber äusserst ritterlich und aufmerksam und unterhielt sich auch freundlich mit ihrer Oberhofmeisterin.
Nach Tisch nahm er aus einer in der Nähe stehenden Vase eine Rose und überreichte sie galant der Königin. Luise zögerte zuerst, sie anzunehmen, dann aber erinnerte sie sich als echte Frau auch bei dieser Gelegenheit ihrer diplomatischen Aufgabe und sagte lächelnd, ja sie wolle sie nehmen, aber nur mit Magdeburg. Damit war die Unterhaltung über die schwebende Frage wieder angeknüpft. Napoleon fragte die Königin, wie Preussen es eigentlich habe wagen können, mit ihm Krieg zu führen, und Luise gab ihm die vom Minister Talleyrand so sehr gerühmte stolze Antwort: «Sire, der Ruhm Friedrichs des Grossen hat uns über unsere Macht getäuscht.»
Um so bitterer war die Enttäuschung, die sie am nächsten Tage erleben sollte. Der Frieden, der vor ihrer Ankunft in Tilsit zu keinem Abschluss hatte kommen können, war plötzlich binnen vierundzwanzig Stunden unterzeichnet worden, ohne dass Napoleon noch eine zweite Zusammenkunft mit Luise gewünscht hätte. Noch am Abend des 6. Juli hatte er zum Zaren gesagt: «Die Königin von Preussen ist eine reizende Frau. Ihre Seele entspricht ihrem Geist, und wahrhaftig, anstatt ihr eine Krone zu nehmen, möchte man versucht sein, ihr eine andere zu Füssen zu legen! ... Der König von Preussen ist zur rechten Zeit dazugekommen, denn eine Viertelstunde später hätte ich der Königin alles versprochen.»
Und doch musste Luise zu ihrem Schmerz erfahren, dass seine Forderungen weit härter waren als vor ihrer Ankunft. Ein so unglückliches Ergebnis traf sie wie eine persönliche Erniedrigung. Jedenfalls liess sein eiliges Handeln darauf schliessen, dass er sich ihr gegenüber doch nicht ganz sicher und fest fühlte, wenn er auch zu seinem Großstallmeister Caulaincourt sagte: «Mein Plan stand fest, und weiss Gott, die schönsten Augen der Welt – und sie waren sehr schön, Caulaincourt – konnten mich nicht einen Finger breit davon abbringen!»
Der Frieden war bekanntgemacht worden. Preussen musste alle Provinzen westlich der Elbe mit der Altmark und mit Magdeburg, Kottbus, Kuxhaven, den Netzedistrikt und Kulm, einen Teil Polens, Neu-Ostpreussen, Südpreussen und Danzig mit einem Umkreis von einer Meile um die Stadt abtreten. Memel war für den russischen Kaiser bestimmt, aber er nahm es nicht an. Jérôme wurde König von Westfalen. Aus den polnischen Besitzungen wurde das Grossherzogtum Warschau für Napoleons Bundesgenossen, den König von Sachsen. Als Friedrich Wilhelm bemerkte, das sei wohl für den Verrat, den Sachsen an ihm geübt habe, wurde Napoleon masslos wütend, und beide Monarchen schrien sich gegenseitig an. Alexander erhielt den Bezirk Bialystok. Ausserdem hatte Napoleon im Friedensvertrag ausdrücklich bemerkt, dass Preussen die wenigen Vorteile, die es noch im Frieden von Tilsit davontrug, «nur aus Achtung für den Kaiser von Russland» gewährt bekomme. Also nicht etwa, weil die Königin vermittelnd gewirkt hatte. Ueberdies verpflichtete sich Preussen, dem englischen Handel seine Häfen zu verschliessen, kurz, es gab sich vollkommen in die Hände des Siegers.
Eine grössere Schmach als diese konnte Luise nicht angetan werden. Sie war nach Tilsit gekommen, hatte all ihren Stolz und alle Rücksicht ausser acht gelassen, um Napoleon für ihr Land um bessere Bedingungen zu bitten. Beim Abschluss des Friedens hatte der Kaiser äusserst hart zum Grafen von der Goltz gesagt: alles was er mit der Königin gesprochen habe, seien nur höfliche Phrasen gewesen, und Preussen verdanke seine Erhaltung nur dem Zaren, denn ohne diesen hätte er seinen Bruder Jérôme auf den preussischen Thron gesetzt.
Am Abend stand Luise noch die entsetzliche Qual bevor, wiederum mit Napoleon an seiner Tafel zusammenzukommen. Er gab ihr zu Ehren sein letztes Festmahl. Es glich eher einem Leichenschmaus. Die Gesellschaft war schweigsam und niedergeschlagen. Napoleon schien verlegen zu sein. Als die Königin nach der Tafel nochmals dem Kaiser gegenüber auf die politischen Angelegenheiten zu sprechen kam, schnitt er ihr ziemlich barsch das Wort ab und sagte: «Sie haben mich bis auf den letzten Augenblick ausgepresst.» Auf dem Wege zu ihrem Wagen, den sie an der Hand Napoleons zurücklegte, konnte sie sich indes nicht enthalten, zu bemerken: «Ist es denn möglich, dass, nachdem ich den Mann des Jahrhunderts und der Geschichte so in der Nähe gesehen habe, er mir nicht die Genugtuung gibt, meiner ewigen Dankbarkeit sicher zu sein?» Seine kurze Antwort darauf war: «Was wollen Sie, Madame, ich bin zu bedauern, es ist eine Wirkung meines schlechten Sterns.» Traurig und tief gekränkt fuhr die Königin davon. Später pflegte sie zu sagen: «Wenn man mein Herz öffnete, würde man darin den Namen Magdeburg eingegraben finden.»
Luise hat Napoleon nie wiedergesehen. Wenn die Rede auf die Königin kam, sprach er stets nur in Ausdrücken des höchsten Lobes von ihr. Nie wieder gestattete er sich, ihre Person zu verhöhnen oder zu schmähen. Nun, da er sie kannte, wusste er, dass eine solche Frau nur Achtung, Ehrfurcht und Bewunderung verdiene. Zum Kaiser Alexander hatte er nach den Ereignissen von Tilsit gesagt, er glaube wohl, dass die Königin die öffentlichen Angelegenheiten besser führen würde als der König. Es war nicht klug von ihm, vielleicht sogar ein entscheidender Fehler seiner Politik, dass er sich so unbeugsam zeigte. Hätte er in Tilsit den Bitten der Königin nachgegeben und Preussen auch nur einigermassen geschont, er würde es sich anstatt zum Feind zum Freund gemacht oder sich wenigstens in ihm einen neutralen Staat geschaffen haben.
Der fürchterliche Krieg war zu Ende. Es war wieder Frieden. Aber was für ein Frieden! Das Land durch den Krieg, durch Steuern und Kontributionen gänzlich verarmt, eine Verarmung, die so weit ging, dass für die königliche Familie oft nicht einmal Geld zur Bestreitung der notwendigsten Ausgaben da war. Die Haushaltung war dermassen einfach, ja kärglich, dass Augenzeugen berichten, man habe sogar in dieser Zeit der Not in den geringsten Volkskreisen besser und reichlicher gegessen als am Hofe in Memel und Königsberg. So arm war der König, dass er und Luise sich von manchem wertvollen Familienstück, von manchem Schmuckgegenstand trennen mussten. Das goldene Tafelservice Friedrichs des Grossen fiel in jenen Tagen der Entbehrung der Münze zum Opfer. Friedrich Wilhelm war gezwungen, sich Geld zu borgen, und Luise konnte sich nicht das Nötigste für ihre Kleidung kaufen. Ihre Wohnung in Memel war so primitiv, dass die Fenster nicht richtig schlossen. Auch die Not und das Elend der Einwohner waren erschreckend. Memel und Königsberg waren angefüllt mit Bettlern, Arbeitslosen, Erwerbsunfähigen. Die Kriegssteuern waren so hoch, dass der König den Staatsbankrott hätte ansagen können. Aber ein solches Ansinnen wies Friedrich Wilhelm weit von sich. Er und Luise litten unsäglich unter den herrschenden Umständen. Luise war traurig und bitter enttäuscht. Ihr Herz verblutete fast.
Die Königin sah aber ein, dass etwas geschehen musste. Sie begriff, dass alle bestehenden Einrichtungen einer gründlichen Reform bedurften, sowohl die Armee als auch das Staatswesen, die Diplomatie, die Finanzen. Am schwersten wurde ihr Herz durch die Enttäuschung betroffen, die ihr der Zar bereitete. Eine Proklamation Alexanders in der Petersburger Zeitung besagte, dass der Frieden von Tilsit ihm den Gewinn eines Teiles von Preussen eingebracht habe. Luise fand es über alle Massen schändlich, dass er sich dessen noch rühmte.
Ihre Gesundheit liess inzwischen immer mehr zu wünschen übrig. Sie litt unter der kalten feuchten Luft in Memel, «in diesem Sumpf, und in diesem Norden, wo die Blätter erst im Juni spriessen und die Früchte nie reifen.» Im November 1807 traf in Memel endlich ein zwar höfliches, aber trockenes Schreiben Napoleons ein. Er versprach, Ost- und Westpreussen zu räumen. Dann könne die Königin nach Königsberg gehen und dort ihre Niederkunft abwarten. Berlin sei dazu nicht nötig. Am 15. Januar 1808 siedelte die Familie nach Königsberg über, und schon vierzehn Tage später gab die Königin ihrem neunten Kinde, der Prinzessin Luise, das Leben. Allmählich ging es auch gesundheitlich mit ihr wieder aufwärts. Bitter enttäuschte sie auch wieder Alexander I. Auf der Reise nach Erfurt hatte er am 18. September Königsberg berührt. In einer Besprechung hatte er entschieden ein Bündnis mit Preussen und Oesterreich gegen Napoleon abgelehnt. Dann reiste er am 19. nach Thüringen zu seinem neuen Freund Napoleon. In Erfurt schloss er mit dem französischen Kaiser ein Bündnis gegen Oesterreich. Damit stand ein neuer Krieg vor der Türe.
Napoleons Sieg bei Wagram brachte Preussen neue Sorgen. Am 10. Juni 1809 schon stand der Kaiser als Sieger vor den Toren Wiens. Am 18. Juli wurde der Waffenstillstand von Znaim geschlossen. Oesterreich war vernichtet. Jetzt fand sich auch der König von Preussen bereit, einen Annäherungsversuch zu machen, in der Hoffnung, sein Los zu verbessern. Er sandte daher Krusemarck im November nach Paris mit Glückwünschen und gleichzeitig mit der Bitte um Erleichterung der Kontributionszahlungen. Der Kaiser empfing den preussischen Gesandten zwar nicht unfreundlich, forderte aber fast drohend die Rückkehr des Königs nach Berlin.
Unter dem Jubel der Menge zog das preussische Königspaar in Berlin ein. Die geliebte Königin war wieder da. Ueberall sah sie strahlende Gesichter. Ein jeder wollte ihr beweisen, wie man sie verehrte. Aber auch ein Gefühl unendlichen Mitleids mischte sich in diese Wiedersehensfreude. Man sah es der Königin an, dass sie viel gelitten, dass sie in der Verbannung harte Zeiten hatte durchmachen müssen, und man suchte sie ihr auf alle mögliche Weise vergessen zu machen. «Wie süss ist es, so geliebt zu werden», schrieb Luise einige Tage später an eine Freundin.
Die Gesundheit der Königin war jedoch erschüttert. Sie brauchte Erholung. Wie gern wäre sie wieder nach Pyrmont gegangen, das ihr schon einmal Gesundung gebracht hatte. Dazu fehlte es jedoch am nötigsten, am Geld. Sie dachte daher daran, wenigstens den längst geplanten Besuch bei ihrem Vater in Strelitz zu machen. Am 25. Juni 1810 reiste sie ab. Einige Tage später traf auch der König in Strelitz ein. Nun erst war Luise ganz glücklich. Sie freute sich, ihren Mann zum erstenmal als Tochter ihres Vaters empfangen zu können, und in spontaner Freude darüber schrieb sie an des Herzogs Schreibtisch auf einen Zettel: «Lieber Vater! Ich bin heute sehr glücklich als Ihre Tochter und als die Frau des besten Mannes.» Es waren ihre letzten geschriebenen Worte.
Von Strelitz aus begab sich das Königspaar nach dem Schloss Hohenzieritz. Als Luise dort ankam, fühlte sie sich matt und leidend. Aber sie wollte ihrem Mann und ihren Verwandten die Freude nicht verderben und blieb doch zum Abendessen. Sie verbrachte eine schlechte Nacht, stand aber am nächsten Tag auf, um bei der Mittagstafel zu erscheinen. Sie hoffte auch am 30. Juni noch, mit dem König nach Rheinsberg fahren zu können und schonte sich daher sehr. Ihr Befinden wurde indes nicht besser. Den Tag verbrachte sie abwechselnd im Bett und auf dem Sofa. Aber sie war noch heiter und guter Dinge. Der Doktor Hieronymi, des Herzogs Leibarzt, erklärte die Krankheit für ein hitziges Fieber, das bald vorübergehen werde. Immerhin schien keine Besserung einzutreten. Luise musste sich entschliessen, noch einige Zeit in Hohenzieritz zu bleiben. Den König riefen dringende Geschäfte nach Berlin. Er reiste am 3. Juli ziemlich beruhigt ab, da ihm der Arzt gesagt hatte, es läge keinerlei Grund zur Besorgnis vor. Friedrich Wilhelm selbst hatte Fieber und musste sich gleich nach seiner Ankunft ins Bett legen. Die Nachrichten des Arztes aus Hohenzieritz waren jedoch durchaus nicht beunruhigend. Da der König selbst krank war und seinen Leibarzt benötigte, unterblieb dessen Sendung nach Strelitz.
Erst auf einen Wink des Prinzen zu Solms-Lych, der dem König mitteilte, es scheine ihm, dass es der Königin schlechter ginge, sandte er den Geheimrat Heim zu seiner kranken Frau. Auch dieser fand den Zustand Luises zwar ernst, aber nicht bedenklich. Sie habe eine heftige Lungenentzündung, es seien indes keinerlei Komplikationen zu befürchten. In einigen Wochen hoffte man, dass die Königin wieder vollkommen hergestellt sei. Heim reiste deshalb nach Berlin zurück. Der König war noch immer krank und konnte nicht, wie er gern gewünscht hätte, seine Frau besuchen.
Von Tag zu Tag verschlechterte sich jedoch der Zustand der Königin. Der Atem wurde ganz kurz und der Husten andauernder. Dazu kamen schreckliche Herzbeklemmungen, die ihr die furchtbarsten Schmerzen bereiteten. Am 16. und 17. waren die Brustkrämpfe so heftig, dass die Kranke fast zu ersticken drohte. Heim wurde mit den Chirurgen Gehrke und Schmidt eiligst wieder aus Berlin herbeigerufen. Die Aerzte fanden, dass die Lungen angegriffen seien und eine Rettung kaum mehr möglich sei.
Erst am 19. konnte auch der König, dem man einen Kurier gesandt hatte, endlich kommen. Aber auf Luises bleichem Antlitz stand bereits der Tod geschrieben. Friedrich Wilhelm hatte am 18. die Schreckensnachricht erhalten, dass seine Frau in Gefahr sei. Als er mit seinen beiden ältesten Söhnen morgens 4.45 Uhr in Hohenzieritz ankam, war ihm bereits Heim entgegengeeilt, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es der Königin sehr schlecht gehe und sie ihn sogleich zu sprechen wünsche. Aber wie erschrak Friedrich Wilhelm, als er zu Luise ins Zimmer trat und sie so verändert fand. Die furchtbaren Schmerzen und der quälende Husten hatten ihre Züge entstellt. Und doch, mit welcher Freude empfing sie den König. Sie umarmte ihn immer wieder. Er musste ihre Hand halten, die sie öfters mit der zärtlichsten Innigkeit an ihre Lippen drückte. Sie, die Todkranke, erkundigte sich nach seiner Krankheit und war entsetzt, dass er im offenen Wagen gefahren war.
Die Krämpfe hatten nur wenig nachgelassen, auch die Herzbeklemmung blieb. Luise hatte aber doch noch Hoffnung, dass sie wieder gesund würde. Aber schon stand der Angstschweiss auf ihrer Stirn, und die Totenblässe machte sich bemerkbar. Es war neun Uhr. Ihr Kopf neigte sich ein wenig zur Seite. Zuletzt, als die Krämpfe ihr beinahe den Atem benahmen, öffnete sie weit ihre grossen Augen und rief: «Ich sterbe, o Jesu, mach' es kurz!» Wenige Augenblicke darauf verschied sie.
Der König hatte alles mit ihr verloren. Sein Schmerz über ihren Verlust grenzte an Verzweiflung. Immer wieder kehrte er in das Zimmer zurück, wo Luise kalt und leblos dalag. Er konnte sich nicht von ihr trennen. Ganz im stillen kehrte er mit seinen vier Kindern in das Sterbezimmer zurück und legte mit ihnen weisse Rosen aus dem Garten von Hohenzieritz auf die Brust Luises, in die Nähe des Herzens. Vor der Abreise gingen sie alle noch einmal zu der toten Mutter. Schluchzend küssten sie und der König die eiskalte Stirn und die Hände und nahmen für immer Abschied von ihr. Dann reisten sie heim.
Auch Luise wurde einige Tage später nach Berlin überführt. Wie anders war die Heimkehr! In einem schönen Reisewagen, mit den grössten Hoffnungen für eine bessere Zukunft war sie fröhlich nach Strelitz gefahren; nun brachte sie ein Sarkophag zurück. Leid und Kummer hatten ihre an sich schwache Gesundheit aufgerieben, und noch jung musste sie aus dem Leben scheiden, das sie so sehr geliebt hatte im Glück ihrer Familie. Im Charlottenburger Park fand sie im Schatten der hohen Fichten ihre letzte Ruhestätte.