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Die Herrschaft der Marquise von Pompadour ist das goldene Zeitalter der schönen Künste in Frankreich. Wie keine zweite ihres Geschlechtes hat sie die Kunst des 18. Jahrhunderts gefördert und beschützt. Sie liebte sie in wirklich reiner Liebe, so wie der Künstler wünscht, dass man seine Werke liebt. Sie heuchelte nicht, wie so viele Fürsten und mehr noch viele Frauen in ihrer Lage, ein wenig Kunstverständnis, weil das nun einmal zum guten Ton und zu einer derartig bevorzugten Stellung gehörte, sondern sie besass einen wirklich feinen, schöpferisch wirkenden Geschmack, der mit einer überaus fruchtbaren Phantasie und einem sogar mehr als mittelmässigen Talent Hand in Hand ging. Ihre ganze Persönlichkeit trug auch äusserlich den Stempel des zierlichen Rokoko, das diesem Zeitalter den Namen gegeben hat.
Die Tätigkeit der Marquise auf künstlerischem Gebiet ist eine ungeheure. Vor allem überrascht dabei die erstaunliche Vielseitigkeit dieser Frau. Sie, die Mätresse, Schauspielerin und Staatsmann in einer Person war, vereinigte in ihrem schwachen, zarten, kränklichen Körper auch noch die Kraft künstlerischen Schaffens. Alles, was sie umgab, ihre Schlösser, die Gärten, ihre Möbel, ihre Kleider, bis hinab zum kleinsten und unscheinbarsten Gegenstand, trug den Stempel ihrer Eigenart, ihres ureigenen Empfindens und Erfindens. Ihre ganze Umgebung musste zu einem einzigen grossen Kunstwerk gestaltet werden. So führte die geniale Frau also bereits das aus, was die moderne Zeit in breiterem Masse erstrebt, nämlich die Umgebung des Menschen so zu verschönen, dass jeder Gegenstand, den er gebraucht, ein Kunstwerk an sich darstellt. Bereits im 18. Jahrhundert zeigte diese grosse Errungenschaft dieselbe Wirkung, die sie auch in unserer Zeit hervorgerufen hat: sie führte einen grossen Aufschwung in den Künsten und im Kunstgewerbe herbei. Und das war nicht zum kleinsten das Verdienst der Marquise von Pompadour.
Aber dieses Mäzenatentum, das sie so hoch erhebt über alle Frauen, die sich in gleicher Lage wie sie befanden, hatte auch seine Schattenseiten. Ihr Kunstbedürfnis war gleichbedeutend mit einem unersättlichen Luxusbedürfnis und einer ungeheuren Verschwendungssucht. Während das französische Volk Hunger litt, verfügte die Geliebte des Königs über Millionen, um immer neue Schlösser, neue Gebäude, neue Kunstwerke erstehen zu lassen, oft auch nur, um eine kostspielige Künstlerlaune zu befriedigen. Und doch unterschied sie sich wesentlich von anderen verschwenderischen königlichen Mätressen. Sie gab das Geld nicht nur für ihre Launen aus. Die Millionen flossen nicht nur für ihre Kleider und Juwelen durch ihre Hände, wie es im allgemeinen bei Favoritinnen der Fall ist. Madame de Pompadour hatte bei alledem die Kunst und den Fortschritt im Auge. Sie baute künstlerisch wertvolle Schlösser, sie legte grosse, herrliche Parks an, sie kaufte Kunstgegenstände aller Art: Gemälde, Statuen, kostbare Vasen, Kameen, Stiche, wertvolle und seltene Bücher, alte Werke der Buchdruckerkunst, Handschriften und seltene Funde aller Kulturen. Sie war eine fleissige Sammlerin, und Frankreich verdankt dieser Neigung und diesem oft masslos erscheinenden Sammeleifer einen grossen Teil seiner Kunstschätze.
Am Ende des Waldes von Sénart, wo die Seine so breit fliesst, dass sie die Häuser des Dorfes Corbeil umspült, lag das schöne Schloss Etioles. Es war ein geschmackvoller Renaissancebau, im Innern mit dem raffinierten Luxus des 18. Jahrhunderts ausgestattet. Charles Guilleaume Lenormand war der glückliche Besitzer. Er hatte den Vorteil, der Neffe eines nicht nur reichen, sondern auch sehr kunstverständigen Mannes zu sein, der ihm diesen reizenden Familiensitz schenkte. Der alte Herr Lenormand de Turneheim war als königlicher Generalpächter der Steuern unter Ludwig XIV. eine ziemlich einflussreiche Persönlichkeit gewesen, und von diesem Ruhm ging auch ein wenig auf den Neffen über.
Aber nicht nur in dieser Hinsicht war Lenormand der Erbe und Nachfolger des alten Herrn. Dieser übertrug auch auf ihn den guten Geschmack als Kunstliebhaber und Kunstkenner. Lenormands Haus war jederzeit der Sammelpunkt vieler bedeutender Männer und Frauen, Künstler und Schöngeister. Voltaire, Montesquieu, der geistreiche Abbé de Bernis, Maupertuis, Cahusac und andere waren tägliche Gäste im Schlosse Etioles, in dem eine der reizendsten und anziehendsten Frauen Frankreichs die Honneurs machte: Jeanne Antoinette Poisson, die spätere Marquise von Pompadour, war die Schlossherrin.
Ueber ihrer Herkunft lagen dunkle Schatten. Ihre Mutter war die Geliebte des älteren Lenormand de Turneheim, der in der Wahl dieser Frau allerdings keinen guten Geschmack bewies. Frau Poisson, obwohl äusserlich eine schöne, ja sogar schönere Frau als später ihre Tochter, besass einen sehr alltäglichen Charakter. Sie war eine vulgäre Person ohne jeden sittlichen Halt, die ihrem ebenso gewöhnlichen als brutalen Mann, Jean Baptiste Poisson, in nichts nachstand. Poisson war ein Zyniker, Trunkenbold, ein halber Verbrecher. Die Legende will, dass er von Beruf Fleischer gewesen sei. In Wirklichkeit war er nur Angestellter bei den grossen Heereslieferanten, den Gebrüdern Pâris. Diese Firma wurde beim Regierungsantritt Ludwigs XV. mit vielen anderen Lebensmittelfabrikanten, die sich auf unredliche Weise ein Vermögen verdient hatten, vor Gericht gestellt. Da die Brüder Pâris jedoch sehr einflussreich waren und hohe Protektion genossen, konnten sie nicht persönlich bestraft werden. Man hielt sich daher an ihren ersten Angestellten Poisson, der, wie seine Prinzipale, vieles auf dem Gewissen hatte. Ausserdem schwebte ein Prozess wegen eines Sittlichkeitsverbrechens gegen ihn, und er wurde schliesslich zum Tode durch den Strang verurteilt. Seine hohen Helfershelfer hatten ihm jedoch rechtzeitig zur Flucht nach Deutschland verholfen, und so lebte er dort ungestört und in Frieden.
1721 gab Madame Poisson einem Mädchen das Leben, das sie Jeanne Antoinette nannte. Herr Lenormand de Turneheim bekannte sich zwar nicht öffentlich zur Vaterschaft dieses Kindes, liess ihm aber die sorgfältigste Erziehung angedeihen und es im grössten Luxus aufwachsen. Besonders frühzeitig wurde das kleine Mädchen in alle Künste der Koketterie eingeweiht. Man lehrte es alle Vorzüge zu gebrauchen und ins beste Licht zu stellen.
Einer der glühendsten Verehrer des herangewachsenen Mädchens war der Neffe des alten Herrn von Turneheim, der vierundzwanzigjährige Charles Guilleaume Lenormand. Jeanne Antoinette war eben fünfzehn Jahre alt geworden, als die Heirat zwischen ihr und dem jungen Mann von ihrer Mutter und Turneheim zustande gebracht wurde. Der Gatte hatte äusserlich nichts Verführerisches an sich. Er war klein und schlecht gewachsen, sein Gesicht eher hässlich als hübsch. Aber er war eine glänzende Partie für das junge Mädchen. Sein reicher Onkel gab ihm als Mitgift die Hälfte seines Vermögens und das Schloss Etioles zum Wohnsitz. Dass er ein herzensguter Mensch war und vor allem ein Ehrenmann, spielte für die Poissons weiter keine Rolle.
So wurde Jeanne Antoinette Poisson Madame Lenormand d'Etioles, ohne dass man sie um ihre Meinung gefragt hätte. Sie kümmerte sich auch gar nicht viel um diese Angelegenheit ihres Lebens. Von Natur aus schien sie ein kalter, egoistischer Charakter zu sein, dem Vergnügen, Luxus, Reichtum mehr galten als seelisches Glück. Sie kannte weder Leidenschaft noch Liebe. Ihr Gatte liebte sie zärtlich und vergötterte sie. Sie selbst hatte ihm weiter nichts zu geben als ihre äussere Schönheit, ihre junge Person, die seine Salons mit dem ihr eigenen Zauber erfüllte. Merkwürdigerweise war Herr von Etioles trotz so vieler Reize seiner Gattin nicht eifersüchtig. Er liess ihr alle Freiheit. Sehr oft war er abwesend, sie aber nahm ohne Verlegenheit oder Aengstlichkeit von ihrer Rolle als Schlossherrin Besitz. Stets war sie der anziehende Mittelpunkt ihrer Gesellschaft, die sich aus den bedeutendsten Geistern des alten und neuen Frankreich und aus der hohen Finanzwelt zusammensetzte. Es bildete sich ein kleiner Hof um die reizende Frau, und mancher hoffte sie für sich erobern zu können, um so mehr, da man bald merkte, dass sie sich sehr kühl mit Herrn Etioles verheiratet hatte und in keiner Weise seine Leidenschaft erwiderte. Der junge Ehemann schien jedoch nichts von dieser Kälte zu spüren. Er war glücklich in seiner Liebe zu ihr, besonders als sie ihm Kinder schenkte. Das erste war ein Knabe, der aber bereits nach sechs Monaten starb. Das zweite Kind kam 1743 zur Welt und war jene kleine Alexandrine, die später von der Marquise von Pompadour wahrhaft vergöttert wurde. Aber die Ehe war für Jeanne Antoinette Poisson weder Ziel noch Anfang oder Ende gewesen, sondern nur Mittel zum Zweck. Auf jeden Fall kam sie ihr für ihre kühnen Zukunftspläne zustatten.
Die nun neunzehnjährige Madame d'Etioles nährte nämlich fast seit ihrer Kindheit einen einzigen heissen Wunsch: einst vom König, der damals vierzig Jahre alt war und im Rufe eines Wüstlings stand, ausgezeichnet zu werden. Dieser kühne Wunsch war durch die Wahrsagerin Lenormand in ihrem jungen Herzen lebhaft geworden. Die zynische Mutter tat das ihrige, um in dem Kinde den Gedanken zum sehnlichsten Wunsche zu entwickeln. Hatte sie doch mehr als einmal im Beisein ihrer Tochter vor ihren Gästen entzückt ausgerufen: «Jeanne Antoinette ist ein Bissen für den König!»
So träumte das heranwachsende Mädchen nur von dem Glück, einmal die Geliebte des galanten Königs zu sein, in Versailles eine Rolle zu spielen. Als Madame d'Etioles erweiterten sich ihre Pläne in dieser Hinsicht. Sie nahmen bereits Gestaltung an. Sie machte sich die phantastischsten Vorstellungen von den Auszeichnungen, die ihrer am Hofe Ludwigs XV. harrten.
Der König jagte gewöhnlich mit einer grösseren Gesellschaft im Walde von Sénart, in der Nähe des Schlosses Etioles. Es hätte sich für die junge Schlossherrin keine günstigere Gelegenheit bieten können, um des Königs Weg wie von ungefähr zu kreuzen. Jedenfalls legte sie das grösste Raffinement und die gesuchteste Koketterie in diese gewollten flüchtigen Begegnungen. Sie erreichte, dass es dem König auffiel, auf der Jagd stets einer schönen jungen Frau zu begegnen, die ihre Blicke bewundernd zu ihm erhob und doch so ehrerbietig bescheiden zu grüssen verstand. Bald erschien sie in elegantem Jagdkostüm zu Pferd, bald in einem mattblauen oder zartrosa Phaeton, das sie selbst lenkte. Einmal sass sie in einem ganz aus Bergkristall gebauten Wagen, der die Form einer Muschel hatte. Zwei feurige Goldfüchse folgten ihrer kundigen Lenkerhand. Sie sah aus wie die Schaumgeborene selbst. Ein duftiges rosa Seidengazekleid umhüllte ihre zarten Glieder. Brust und Arme zeigten sich den Blicken in antiker Nacktheit. Der König und sein Gefolge sprachen noch lange von jener zarten Erscheinung im Walde von Sénart, die diesmal lieblicher und schöner denn je gewesen war. Man nannte sie seitdem kurzweg die Waldnymphe.
Aus Anlass der Hochzeit des Dauphins mit der Infantin Maria-Theresia fand am 28. Februar 1745 im Pariser Rathaus ein grosser Maskenball statt, an dem nicht nur der Hof und die Hofgesellschaft, sondern auch die hohe Finanzwelt und die vornehmen Bürger teilnahmen. Einer Maske war es gestattet, sich dem Herrscher ohne Zeremonie zu nähern und ihn wie jeden andern zu necken. Madame d'Etioles hatte ihren Plan. Sie erschien als Diana. Mit dem Köcher über der Schulter, in der Hand den silbernen Bogen, erschien sie auf der für die Damen der hohen Bürgerschaft reservierten Estrade. Alle Blicke richteten sich auf die wunderschöne Jägerin. Der König selbst wurde aufmerksam; denn Diana hatte sich keinen Geringeren als gerade ihn zum Ziele ihrer Pfeile ausgesucht. Unter der kleinen Gesichtsmaske, die nur den hübschen Mund freiliess, funkelten ihre Blicke nur für Ludwig. Ludwig war ganz ergriffen von ihrer bezaubernden Art. Schliesslich bat er sie inständig, sie möge nur einen einzigen Augenblick ihre Maske heben, damit er ihr Gesicht sehen könne. Die Göttin war kokett genug, ihrem königlichen Bewunderer diese Gunst nicht zu versagen. Wie überrascht war Ludwig, die Nymphe des Waldes von Sénart vor sich zu sehen. Noch ehe er etwas erwidern konnte, entfloh Diana mit einem schelmischen Lächeln, jedoch nicht ohne wie zufällig ihr Taschentuch fallen zu lassen. Galant hob es Ludwig auf und warf es der fliehenden Schönen nach. Es ging ein Murmeln durch die lachende, fröhliche Menge. «Das Taschentuch des Sultans ist geworfen», hiess es.
Nicht lange darauf sollte der Hof von Versailles eine Ueberraschung erleben. In den ersten Wochen des April fand italienische Oper statt. Da sah man die junge Frau von Etioles in einer märchenhaft schönen Toilette in einer Loge sitzen, die von der vergitterten Loge des Königs aus gut zu beobachten war. Man sah, wie Ludwig kein Auge von der reizenden Frau wandte. Versailles hatte einen neuen Gegenstand für die «Chronique scandaleuse». Am folgenden Tag speiste der König in seinem Zimmer, ohne jemand zu seiner Tafel hinzuzuziehen. Das war immer das Zeichen, dass ein neuer Stern am Himmel des Monarchen aufgegangen war. Die Eingeweihten wussten, dass Madame d'Etioles mit dem König soupierte und taten das ihrige, dass es kein Geheimnis blieb. Ludwig erschien auch nach dem Essen nicht zum gewöhnlichen Abendempfang bei Hofe, sondern begab sich sofort in die intimeren Gemächer der Beletage. Madame d'Etioles aber verliess Versailles erst in einer sehr vorgerückten Stunde der Nacht, tief verschleiert. Ihr sehnlichster Wunsch, dem König anzugehören, war erfüllt. Mit stolzen Zukunftsträumen und -plänen kehrte sie aus dem Schlosse nach Hause zurück. Aber ihre Hoffnungen sollten noch einmal enttäuscht werden. Der König liess nach diesem ersten vertraulichen Beisammensein lange nichts von sich hören. Es war, als habe er ein leises Misstrauen gegen diese Frau, die ihn so lange und hartnäckig umworben hatte.
Ein zweites Mal empfing Ludwig die junge Frau, diesmal in Gegenwart einiger Höflinge. An jenem Abend amüsierte man sich sehr gut beim König. Richelieu sprühte von geistreicher Arroganz, und Madame d'Etioles war ihm eine schlagfertige Partnerin. Die kleine Gesellschaft war äusserst lustig, der König sehr aufgeräumt, und wie es schien, sogar ein wenig verliebt. Erst in der Morgendämmerung verliess Madame d'Etioles das Schloss in Versailles, und ein Wagen des Königs führte sie ihrer eigenen Besitzung zu.
Anfangs hielt der König sein Verhältnis zu Madame d'Etioles geheim. Er fürchtete besonders die Jesuiten, die ihm die Beziehungen zu einer anerkannten Atheistin sehr übel genommen hätten. Die Partei der Königin und vor allem die des devoten Dauphin schrie Zetermordio über die Erhebung einer Bürgerlichen zur Geliebten des Königs. Denn solange er seine Geliebten aus dem hohen Adel wählte, aus der Hofgesellschaft selbst, hatte man gegen seine ausserehelichen Passionen nichts einzuwenden. Das gehörte zur Tradition der französischen Könige. Der Herzog von Nesle, der seine vier Töchter eine nach der andern dem Harem des Königs einverleiben liess, genoss dadurch nur noch grössere Achtung und grösseren Einfluss. Dass nun aber eine Frau Etioles, eine geborene Poisson, der Herzogin von Châteauroux als Nachfolgerin gegeben wurde, war einfach unerhört. Als man gar noch erfuhr, dass er ihr versprochen hatte, sie zur offiziellen Mätresse zu erheben, wenn er aus dem Feldzug in Flandern zurückgekommen sei, war man schier ausser sich, und es bildete sich eine Liga, die alles versuchte, um diese neue Geliebte schon jetzt zu stürzen. Aber Madame d'Etioles schien ihrer Sache gewiss. Sie verhielt sich vollkommen ruhig und indifferent.
Am 6. Mai 1745 nahm Ludwig zärtlichen Abschied von ihr. Sie war klug genug, ihm nicht, wie ihre Vorgängerin, ins Feld zu folgen. Wusste sie doch, dass die erste Trennung zu Beginn einer neuen Leidenschaft sehr schmerzlich für Ludwig sein und ihn nur noch fester mit ihr verknüpfen werde. Sie berechnete alles sehr klug. Auch in Versailles blieb sie nicht während seiner Abwesenheit, sondern sie zog sich auf ihre Besitzung zurück. Dort lebte sie beinahe in klösterlicher Abgeschiedenheit.
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Im Schlosse Etioles, einsam, von aller Welt abgeschlossen, erwartete die neue Favoritin die Rückkehr des Königs aus dem Felde. Brief um Brief flog von Ludwig zu ihr. Er schien das Wiedersehn mit seiner neuen Geliebten kaum erwarten zu können. «Treu und verschwiegen» hatte er ihr als Devise geschrieben, und sie wusste, dass sie bald die erste Frau an seinem Hofe sein werde. Die Ankunft des Königs stand kurz bevor. Eine fieberhafte Tätigkeit begann in Versailles. Die Gemächer der Herzogin von Châteauroux wurden zum Empfang der königlichen Mätresse instandgesetzt. Madames Ehrgeiz war befriedigt. Alle Welt wusste, dass der König sie auszeichnete. Mit Stolz konnte sie bereits im Juli, nachdem der König kaum zwei Monate von ihr fern war, allen ihren Bekannten achtzig Briefe von der Hand Ludwigs zeigen, und einer der letzten war adressiert: «An die Marquise von Pompadour.» Er enthielt ausserdem die Urkunde, die sie zum Tragen dieses Titels berechtigte.
Zwei Tage nach der Rückkehr des Königs, am 9. September 1745, fand das offizielle Galadiner im Rathaus statt. In einem abseits gelegenen Zimmer feierte Madame de Pompadour mit andern Damen inkognito durch ein nicht weniger königliches Mahl diesen denkwürdigen Tag ihres Lebens. Denn noch war die neue Marquise nicht bei Hofe vorgestellt. Aber auch dieses Ereignis sollte nicht lange auf sich warten lassen. Sechs Tage später bot Ludwig der Welt ein Schauspiel, das alle Neidischen zum Schweigen brachte, die seine Leidenschaft nur als vorübergehende Laune hingestellt hatten. Madame de Pompadour wurde dem König, der Königin, dem Dauphin, den Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses vorgestellt. Es war ein grosses Ereignis für Paris. Wie üblich hatte man für Maria Leszczinska im voraus ein paar nichtssagende Worte vorbereitet. Aber die Königin wollte individuell sein. Die umstehenden Höflinge konnten sich vor Staunen nicht fassen, als sie Maria Leszczinska auf die Marquise zugehen sahen und sehr liebenswürdig fragen hörten: «Wie geht es Madame de Saissac? Es war mir angenehm, sie bisweilen in Paris gesehen zu haben.» Also Ihre Majestät und die neue Marquise hatten eine gemeinsame Bekannte! Das hatte man nicht vermutet. Man wusste ja nicht, dass Madame de Pompadour längst in der Umgebung der gütigen Königin ihre Netze ausgeworfen und die Stimmung zu ihren Gunsten vorbereitet hatte. Dennoch war sie über so viel Güte und Liebenswürdigkeit sehr verlegen und verwirrt. Das hatte sie doch nicht erwartet, dass Maria Leszczinska die Mätresse ihres Gatten mit so viel Takt und Natürlichkeit empfangen würde. Nur stammelnd brachte sie die Worte heraus: «Madame, es ist mein leidenschaftlicher Wunsch, Ihnen zu gefallen.» Aber ihr Hofknix war dann doch tadellos und graziös. Man konnte ihr weder Unbeholfenheit noch Verlegenheit vorwerfen.
Die Freunde des Königs und der Marquise waren natürlich über die Wahl Ludwigs entzückt. Sie feierten beide in den Stufenleitern der Schmeichelei und Bewunderung. Bernis und Voltaire besangen die neue Mätresse wie eine Göttin der Tugend und Keuschheit. Gentil- Bernard, Duclos, Marmontel, Fontenelle konnten sich nicht genug tun in lobenden Gesängen auf sie und den König. Aber abgesehen von diesen Weihrauchverbreitern und Rosenstreuern sah man die Erhebung der Madame d'Etioles am Hofe mit sehr kritischen Blicken an. Besonders konnten sich die hohen Damen nicht beruhigen, dass eine Bürgerliche den «Posten» einer königlichen Mätresse innehaben sollte. Aus den Augen der Frauen begegneten Madame de Pompadour überall feindselige, gehässige, neidische Blicke. Man beobachtete alles an ihr: ihre Bewegungen, ihren Gang, ihre Manieren, ihre Sprache, ihr Lächeln, ihre Unterhaltung. Spöttisch und unverhohlen betrachtete man diese frischgebackene Marquise, die sich bemühte, sich den Anschein von wirklicher Grösse und Vornehmheit zu geben.
Im Oktober bezog Madame de Pompadour die Gemächer, welche die Herzogin von Châteauroux vor ihr innegehabt hatte. Trotz dieses Vorzugs erschien sie jedoch fast nie öffentlich bei Hofe, sondern empfing den König in ihrer intimen Gesellschaft. Die neue Marquise hatte jedoch nicht nur die sanfte stille Königin für sich zu gewinnen. Es gab noch viele Menschen am Hofe, bei denen sie ihre ganze Klugheit aufbieten musste, um sie sich, wenn nicht zu Freunden, so doch wenigstens nicht zu Feinden zu machen. Da war vor allem der Dauphin. Mehr wie allen anderen Mätressen seines Vaters zeigte er der Marquise von Pompadour die tiefste Verachtung. Unter dem Einflusse seines geistreichen Vertrauten, des Herzogs von Ayen, scheute er sich sogar nicht, die grössten Skandalgeschichten über sie zu verbreiten. Er und die Dauphine nannten sie nie anders als «Madame putain». Fast ebenso erging es ihr mit dem Herzog von Richelieu, der sonst leicht von schönen und koketten Frauen zu gewinnen war. Aber er konnte es Madame de Pompadour am wenigsten verzeihen, dass sie als Bürgerliche den Platz in den intimen Gemächern des Königs erobert hatte. Seit dem ersten Souper, das sie in Gesellschaft Ludwigs eingenommen hatte, war sein Hass ein unversöhnlicher. Unter allen, die sich über die bürgerlichen Gewohnheiten derjenigen lustig machten, die es gewagt hatte, sich einem Throne zu nähern, war Richelieu der ärgste und bissigste Spötter. Ihm gegenüber war sie machtlos.
So war es jedoch nicht bei allen ihren Feinden. An Richelieu, dem Dauphin und den Töchtern des Königs konnte sie sich nicht rächen. Aber alle anderen liess sie es hart fühlen, wenn sie sich nicht vor ihr beugten, gleichviel, ob es Prinzen von Geblüt oder hohe Würdenträger waren. Anfangs konnte sie nur durch ihr persönliches hochmütiges Wesen die Personen strafen, die es ihr gegenüber an Respekt fehlen liessen. Später, als sie die allmächtige Herrscherin über Staat und Volk wurde, drohte jedem die Bastille oder Verbannung, der sich nur das geringste gegen die Mätresse des Königs zuschulden kommen liess. Wie gross ihr Einfluss schon in den ersten Monaten war, beweist, mit welcher Arroganz sie oft die nächsten Verwandten des Königs behandelte, von denen sie wusste, dass sie nicht zu ihren Freunden gehörten. Dagegen erweist sie sich äusserst verschwenderisch und freigebig gegen ihre Schmeichler. Dem Herzog von Chartres verschaffte sie eine Rente von 900 000 Franken auf sein Gouvernement der Dauphiné. Die Marschallin von Mirepoix erhielt durch ihre Vermittlung nach dem Tode ihres Gatten eine Pension von 20 000 Franken und viele andere Vergünstigungen für ihre Familie. Bald sahen die Höflinge ein, dass sie weiter kamen, wenn sie der verhassten Kurtisane schmeichelten, und so bildete sich mit der Zeit auch um Madame de Pompadour ein Kreis von Schmeichlern und Schöntuern.
Es ist selbstverständlich, dass das Vorzimmer der Marquise stets mit Bittstellern und allen möglichen Leuten angefüllt war, die eine Gunst, eine Stellung oder auch nur eine Verbesserung ihrer Lage erhofften. Eine Stunde vor ihrem Lever bereits war die Treppe, die zu ihren Gemächern führte, mit Menschen besetzt, die auf diesen Augenblick warteten wie auf die Audienz eines Königs. Ihr Vorzimmer war mit Stühlen und Sesseln angefüllt, und doch fanden lange nicht alle Platz, die erschienen, um der schönen, mächtigen Favoritin die Hand oder auch nur den Saum ihres Morgenkleides zu küssen. Denn es gab auch solche Fanatische. Da waren alle Berufe vertreten: Militärs, Beamte, Finanzmänner, Diplomaten, Gelehrte, Dichter, Schriftsteller und Künstler, Damen und Herren, junge und alte. Denn Madame de Pompadour kümmerte sich um alles und wusste in allem Bescheid. Auf ihren Wunsch wurden Generale ernannt und abgesetzt, Staatsmänner gestürzt und zu den höchsten Aemtern erhoben; sogar die Polizei und das Gefängniswesen entging nicht ihrem mächtigen Einfluss. Einem ihrer Vettern, einem gewissen Bayle, verschaffte sie den Posten des Gouverneurs der Bastille, wodurch sie in der Lage war, über alle Geheimnisse dieses Staatsgefängnisses unterrichtet zu sein. Es lag daher auch meist in ihrer Macht, Schuldige und Unschuldige in die Bastille zu bringen oder daraus zu befreien. Und sie machte jederzeit von ihrer Gewalt ausgiebigen Gebrauch.
Es ging das Gerücht, dass Madame de Pompadour sich alle diese Vergünstigungen teuer bezahlen liess. Sie häufte dadurch ein ungeheures Vermögen an, das indes bald wieder in ihren verschwenderischen Händen zerfloss.
Trotz aller Anstrengung, ihre Stellung beim König zu einer dauernden zu gestalten und Ludwig vollkommen an sich zu fesseln, gelang es Madame de Pompadour doch anfangs nicht, das Interesse ihres Geliebten für ihre körperlichen Vorzüge lange wachzuhalten. Zu ihrer grössten Enttäuschung musste sie sehr bald die Entdeckung machen, dass der König bereits nach einem Jahre gleichgültig wurde und sich nicht mehr viel aus ihr machte. Schon verbreitete sich am Hofe das Gerücht, die Marquise werde demnächst weggeschickt werden; der König langweile sich auch mit ihr. Madame de Pompadour zitterte bei dem Gedanken, dass sie alles, was sie so mühsam errungen, nun wieder hergeben solle. Und sie war ja erst im Anfangsstadium ihrer Karriere. Alle Schuld schrieb sie einzig und allein ihrem kalten Temperament zu. Sie beklagte es bitter, dass ihr Blut nicht heisser wallte, ihre Sinne nicht mächtiger sprachen, um des Königs zügellose Leidenschaft ganz zu befriedigen. Die Angst, dass er ihrer ganz überdrüssig werden könne, trieb sie zu einer merkwürdigen Lebensweise, durch die sie meinte, ihr Blut erhitzen zu können. So liess sie sich zum ersten Frühstück stark gewürzte Speisen servieren, trank einige Tassen stark ambrierte Vanilleschokolade. Schliesslich nahm sie in ihrer Verzweiflung ein «Elixier», das ihr irgendein Quacksalber verschrieben hatte. Natürlich wirkte es nur schädlich auf ihre Gesundheit, die an und für sich nicht kräftig war.
Sie magerte zusehends ab. Die Schönheit von einst ging bei ihr rascher dahin als bei anderen königlichen Mätressen, die in Ruhe ihr Glück geniessen konnten. Sie war keine Ninon de Lenclos, die noch mit sechsundsiebzig Jahren einen jungen, glühenden Verehrer fand. Physisch war das Interesse Ludwigs für seine Geliebte längst erloschen. Liebe war nie vorhanden gewesen. Madame de Pompadour liebte nicht Ludwig XV. als Menschen, sondern nur den König. Sie schloss daher nicht nur die Augen vor den zahllosen Untreuen, die der König mit jenen namenlosen Opfern seiner Sinne beging, sondern begünstigte sie sogar. Und jenes unglaubliche Entgegenkommen in dieser Beziehung war es gerade, was den König bewog, sie nie zu verabschieden. Keine Mätresse vor ihr hatte es je getan. Alle waren darauf bedacht gewesen, den König ganz allein für sich zu behalten. Anders Madame de Pompadour. Im Grunde genommen war sie der Typus der ausgehaltenen Frau, die sich ohne Liebe, ohne Neigung, nur aus Berechnung irgendeinem Manne hingibt. Die Liebe, die wirklich diesen Namen verdient, die Liebe mit ihrer Aufopferung, ihren zahllosen kleinen Zärtlichkeiten, mit ihrer Begeisterung war Madame de Pompadour unbekannt. Und auch der König hatte sie nie erfahren. Keine seiner Mätressen liebte ihn wahrhaft.
Um sich die Gunst des Königs zu erhalten, verfiel Madame de Pompadour auf ein Mittel, das ihrer Stellung als offizielle Favoritin ungefährlich war. Wie manche grosse Kurtisane vor und nach ihr an den verschiedenen Höfen, so verschaffte auch sie dem König gewisse Zerstreuung. Sie selbst suchte für ihn die jungen Mädchen aus. Der «Hirschpark» kam in Mode.
Die Geschichte des Harems, von dem so viel gesprochen wurde, ist recht banal. Im Jahre 1755 kaufte der König als Privateigentum ein hübsches, kleines, aber einfaches Haus. Es stand im Hirschpark, einem hübschgelegenen Viertel in Versailles. Für einen Mann, der sein Inkognito bewahren wollte, war es wie geschaffen. In diesem Hause konnten aber nicht mehr als zwei für den König bestimmte junge Mädchen untergebracht werden. Meist war es sogar nur von einer einzigen Bewohnerin besetzt. Die Frau eines ergebenen Hofbeamten hatte die Aufsicht über die betreffenden «Pensionärinnen» zu führen. Die jeweiligen jungen Mädchen wurden für ihre Nichten ausgegeben und kamen entweder durch die Vermittlung der Marquise von Pompadour oder durch den Kammerdiener Lebel in das betreffende Haus. Lebel konnte sich übrigens vor Angeboten dieser Art kaum retten. Jeden Tag erschienen Bittsteller oder Bittstellerinnen bei ihm, die ihm für den König die jüngsten und schönsten Mädchen vorschlugen. Sogar Mütter scheuten sich nicht, ihre Töchter anzubieten.
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Die reizendste, hübscheste und koketteste Frau Frankreichs musste also sehr früh die Vergänglichkeit aller Schönheit erfahren. Bereits mit fünfunddreissig Jahren war der einst so blendende Teint fahl und verblichen. Die entzückende Gestalt, die feine Rundung der Büste und Schultern waren verfallen und eckig geworden.
Und dennoch besass diese Frau, der nur eine Art Treibhausschönheit in den kurzen Jahren ihrer Jugend beschieden war, das Geheimnis, aus den verfallenden Ueberbleibseln ihres Körpers durch alle möglichen Künste noch ein Wesen zu machen, das imponierte. Wenn sie im Salon des Königs oder bei öffentlichen Gelegenheiten am Hofe erschien, zog sie doch aller Blicke auf sich. Jeder bemerkte unter ihren verzweifelten Anstrengungen, schön zu sein, den Verfall ihrer Reize, aber ihre Gesamterscheinung und ihr Auftreten schienen einem jeden zu gebieten: Hier bin ich! Sieh mich an! Es war das Selbstbewusstsein ihrer Persönlichkeit, ihrer Machtstellung, die ihr eine derartige Sicherheit verliehen.
Seit dem Jahre 1757, erst sechsunddreissig Jahre alt, verfiel sie sichtlich. Ihre Kammerfrau berichtet von dieser Zeit an oft von heftigen Ohnmachtsanfällen, Schwächezuständen, Aderlässen und besonders von starkem Herzklopfen. Ungefähr um diese Zeit verfasste die Marquise in Choisy ihr Testament; denn sie wusste, wie krank sie war. Aber sie, die den König nicht vom Tode sprechen hören konnte, schien sich jetzt nicht viel Sorgen um ihr eigenes Ende zu machen; denn am Abend darauf übergab sie das Testament mit lächelnder Miene dem Prinzen von Soubise. Wenige Augenblicke vorher hatte sie mit dem König und einigen Höflingen eine jener Abendgesellschaften gefeiert, bei denen ihr Geist, ihre übermütige, sprudelnde Laune und ihr Witz besonders glänzten. Sieben Jahre lang musste sie indes noch die Bürde ihres ruhelosen, aufreibenden Lebens tragen. In demselben Choisy, das der Lieblingsaufenthalt des Königs war, verschlimmerte sich ihr Gesundheitszustand dermassen, dass sie im März 1764 bettlägerig wurde. Die Krankheit war diesmal stärker als ihr Wille. Am 7. März 1764 schrieb Madame du Deffand an Voltaire: «Die letzten Nachrichten über Madame de Pompadour sind gut, aber sie ist noch lange nicht ausser Gefahr.» Wenige Wochen später fühlte sie sich so schwach, dass sie den Pfarrer der Madeleinekirche zu sich rief. Sie hatte den König gefragt, ob sie den Trost der heiligen Kirche in ihrer letzten Stunde in Anspruch nehmen solle oder nicht. Und Ludwig hatte darauf geantwortet, dass er es gern sähe, wenn sie mit den heiligen Sterbesakramenten versehen stürbe. Diese noch so junge Frau sprach so ruhig und kalt von ihrem Tode, als handle es sich um irgendeine kleine Reise, die sie anzutreten im Begriff war. Sie liess sich ihr Testament bringen, las es aufmerksam durch und diktierte ihrem Intendanten Collin noch einen Nachtrag. Dann trat der Geistliche ein, und er war sehr erstaunt, mit welch philosophischer Ruhe diese Frau ihrem Ende entgegensah. Ja, bis zuletzt hielt sie die Macht als Favoritin in Händen. Sie erteilte Audienzen, gab dem König Ratschläge in allen schwebenden Angelegenheiten und arbeitete noch wenige Stunden vor ihrem Tode mit dem Postdirektor Janelle. Als der Geistliche, der ihr das Abendmahl gereicht hatte, sich von ihr verabschiedete und gehen wollte, rief sie ihm mit einem Lächeln zu: «Warten Sie doch noch einen Augenblick, Herr Pfarrer, wir gehen dann zusammen!» Dann legte sie noch ein wenig Rot auf und schlief ein. Wenige Stunden später war sie nicht mehr.
Als die Mönche den Sarg aus den kleinen Gemächern des Königs, wo die Marquise verschieden war, hinaustrugen, regnete es in Strömen. Der König stand am Fenster und sah beinahe gleichgültig dem Zuge nach. Er hatte die Uhr in der Hand und berechnete, wie lange wohl die Mönche Zeit brauchen würden, bis sie zum Friedhof gelangten. Plötzlich wandte er sich um und sagte gleichmütig zu dem ihm am nächsten Stehenden: «Sie hat kein gutes Wetter, die Marquise.» Das war das letzte und einzige Wort des Bedauerns, das dieser Mann um den Tod einer Frau fand, die zwanzig Jahre ihres Lebens mit ihm geteilt hatte. Wenige Tage später erklärte er allen offen, er habe sie nie geliebt und sie nur nicht verabschiedet, weil er fürchtete, ihr den Todesstoss damit zu versetzen.
Mehr Dankbarkeit und tieferes Gefühl als der König bewies ihr Voltaire, der sich auch eine Zeitlang auf die Seite ihrer Gegner gestellt hatte. Bei ihrem Tode schrieb er dennoch sichtlich erschüttert: «Ich bin ihr Dank schuldig und beweine sie aus Dankbarkeit ... Schliesslich war sie doch eine der Unseren!»
Niemand aber betrauerte die Marquise von Pompadour am Hofe wirklich. Die einzige, die ein mitfühlendes Herz hatte, war die Königin Marie-Leszczinska. Sie schrieb wenige Tage nach dem Tode der Favoritin an den Präsidenten Hénault: «Uebrigens ist hier nicht mehr die Rede von dem, ‹was nicht mehr ist›, als wenn ‹Sie› niemals existiert habe. So ist die Welt; es ist nicht der Mühe wert, sie zu lieben.» Marie Leszczinska verachtete den König, weil er die Frau, von der er sich zwanzig Jahre lang hatte beherrschen lassen, binnen weniger Stunden vergessen hatte.