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Das Märchen von Amor und Psyche ist eine Episode des Romans, den Apulejus, ein litterarischer Schöngeist aus der romanisierten Provinz Afrika, im 2. Jahrhundert n. Chr. verfasst hat. Der anmutige Stoff, der sich vielfach mit Motiven unserer eignen Märchenpoesie berührt, hat seit der Renaissance Künstler zur bildlichen Darstellung, Dichter zur Nachschöpfung gereizt: es seien nur die Namen Raffael, Canova und Thorwaldsen, La Fontaine, Molière und Corneille genannt; auch Goethe interessierte der Stoff. Und doch besitzen wir in der Erzählung des Apulejus nur ein trübes Bild von dem reinen Glanze, in dem dies Märchen gestrahlt haben muss, bevor es durch den lateinischen Bearbeiter verfälscht wurde. Es steht nämlich fest, dass Apulejus den Stoff aus einer uns verlorenen griechischen Vorlage entnommen hat, und dass nur die Form, in die er ihn kleidete, sein Eigentum ist. Der Grieche hatte das Märchen so erzählt, wie wir es verlangen: in naivem Ton und einfacher Sprache; man lese, um sich davon zu überzeugen, nur die ersten Worte, die der lateinische Bearbeiter wörtlich übersetzte und die uns auch aus unserm Märchenstil so vertraut sind. Leider steht jedoch solche genaue Wiedergabe des griechischen Originals bei Apulejus fast vereinzelt da: er musste den Lesern seiner Zeit eine gepfefferte Kost vorsetzen, um ihre für frische Natürlichkeit längst nicht mehr empfänglichen Geschmacksnerven zu reizen. So hat er das unscheinbare und doch so liebliche Blümchen mit unzarter Hand zerstört, um an seine Stelle in den Kunstgarten seines Werkes eine in grellen Farben prangende, aufdringliche und anspruchsvolle Prachtpflanze zu setzen. Zunächst hat er das Märchen, um es seinem Roman besser einfügen zu können, einer erotisch-sinnlichen 62 Bearbeitung unterzogen, da nur eine solche Darstellung den damals gültigen Stilgesetzen des Romans entsprach. Aber selbst hierbei ist er nicht stehen geblieben. Um nämlich dem Leser Stoff zum Amüsement zu bieten, hat er das romanhaft behandelte Märchen noch in die Sphäre burlesker Komik herabgezogen. Dieser uns befremdliche und oft verletzende Ton war seit langer Zeit in einer Spielart der Litteratur, nämlich der prosaischen Satire, üblich; es ist derselbe, den Lucian, der Zeitgenosse des Apulejus, so oft anschlägt. Die parodischen Scenen im Olymp, die groteske Verzeichnung der Venus als keifender Vettel und böser Schwiegermutter, kurz die ganze Herabziehung des Olymps ins Irdische behagte den antiken Lesern des Apulejus in gleich hohem Masse, wie sie uns abstösst. Das kommt daher, dass wir Moderne dank der Kunst der Renaissance und der Klassicität unserer grossen Dichter wieder in einem viel näheren und innigeren Verhältnis zum Olymp stehen als Apulejus und seine Zeitgenossen, für die die alten Götter fast nur mehr zur Farce und possenhaften Staffage gut genug waren. Diese und andere widerspruchsvollen Elemente hat der Schriftsteller zu einer Einheit zu verbinden gesucht: natürlich ist der Versuch misslungen, er fällt oft aus der Rolle, knüpft Fäden an, um sie bald wieder fallen zu lassen, wiederholt sich und verwickelt sich in Widersprüche und sachliche wie psychologische Unwahrscheinlichkeiten. – Phantastisch wie der Inhalt ist auch der Stil, der entsprechend der damaligen Mode dem Natürlichen möglichst aus dem Wege geht und eine unerquickliche Mischung von gekünstelter Poesie und schwülstiger Rhetorik darstellt; besonders gilt das von den zahlreichen Partien, wo Beschreibungen und Reden die Erzählung unterbrechen: auch darin glaubte der Verfasser dem entarteten, auf das Bizarre, Affektierte und Pointierte gerichteten Zeitgeschmack entgegenkommen zu müssen.
63 Nichts spricht wohl mehr für die Vortrefflichkeit des griechischen Originals als die Thatsache, dass trotz so bösartiger Verunstaltungen unser Märchen auf unzählige Generationen bis auf den heutigen Tag einen so nachhaltigen Eindruck gemacht hat, und als eine Perle der antiken Litteratur gilt. Es ist einer von den vielen Fällen, wo wir hellenischen Geist und hellenische Grazie nur in dem Spiegelbild lateinischer Umbildung zu schauen vermögen, die zwar fast immer auf eine Verschlechterung hinauskommt, dennoch aber den Glanz des Originals nur zu trüben, nicht zu tilgen vermag. Der moderne Uebersetzer hat bei einem so phantastischen Produkt der lateinischen Barockzeit keine leichte Aufgabe. Soll er die Schnörkel beibehalten oder versuchen, die wuchernden Schlingpflanzen einer zuchtlosen Phantasie zu beschneiden und so sich den Weg zu bahnen zu der einfachen Natürlichkeit des griechischen Originals? Leider ist die Ueberarbeitung des Apulejus eine durchgreifende, seine Kunst in der Verkehrtheit eine immerhin so grosse gewesen, dass ein solcher Versuch aussichtslos erscheinen muss: man empfindet die Widersprüche und Einschiebsel, ohne sie doch glatt vereinigen oder loslösen zu können. So bleibt nichts übrig, als dem lateinischen Schriftsteller auf seinen verschlungenen Pfaden zu folgen und nur mit schonender Hand hie und da einzelne allzu grosse Ungezogenheiten zu unterdrücken oder doch zu mildern. Eher wird man sich die rhythmische Sprache gefallen lassen, die der Uebersetzer im Sinn des lateinischen Textes besonders an gehobenen Partien zu erreichen versucht hat: hierfür ist ja auch unser Ohr organisiert, wie – um nur an das Bekannteste zu erinnern – Goethes Werther und Egmont, Herders Paramythien, sowie unsere neueste poetische Prosa beweisen. – Die Kapiteleinteilungen sowie die Ueberschriften rühren vom Uebersetzer her.