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Unterdessen war Amors Wunde vernarbt, und er konnte es nicht mehr aushalten ohne seine Geliebte. So schlüpfte er aus einem hohen Fenster des Schlafzimmers, in dem er gefangen sass, hinaus; seine durch die lange Ruhe gekräftigten Flügel trugen ihn schnell zu seiner Psyche. Er scheuchte den Schlaf hinweg, steckte ihn wieder in die Büchse und weckte Psyche mit einem sanften Stich seines Pfeils. »Sieh,« sprach er, »mein armes Mädchen, da wäre die Neugierde fast zum zweiten Mal dein Verderben gewesen! Jetzt aber entledige dich brav des Auftrags meiner Mutter; für alles andre lass mich sorgen.« Mit diesen Worten flog er leicht 58 beschwingt von dannen, während Psyche das Geschenk der Proserpina schnell zu Venus trug. Nun kam Amor, krank vor Liebesgram und bange vor seiner strengen Mutter, auf den Gedanken, seine alten Schliche einmal wieder zu probieren. Er schwang sich hoch zum Himmel empor, warf sich Vater Jupiter zu Füssen und trug ihm sein Anliegen vor. Da zog ihn Jupiter an sich, gab ihm einen herzhaften Kuss auf seine weiche Wange und sprach zu ihm: »Zwar hast du, mein Herr Sohn, mir nie die mir als dem höchsten Gott vertragsmässig zuerkannte Ehrerbietung erwiesen, sondern mein Herz, nach dessen Willen die Elemente ihre Gesetze und die Gestirne ihre Bahnen einhalten, unaufhörlich verwundet und in den Staub irdischer Leidenschaft hinabgezogen, hast mich und meinen guten Namen durch kompromittierende Liebesabenteuer in Konflikt mit dem Strafgesetzbuch und der Polizeiordnung gebracht und meine himmlische Majestät in Feuer, Schlangen und Vögel, in die Tiere des Waldes und der Wiesen schimpflich verwandelt. Trotz alle dem will ich, milde wie ich bin und weil du unter meinen Augen aufgewachsen bist, alle deine Wünsche erfüllen; sei nur auf der Hut vor Rivalen in deiner Liebe und wisse, dass du dich mir für die erwiesene Gnade durch das allerschönste Mädchen, das jetzt auf Erden lebt, erkenntlich zu zeigen hast.« Hierauf befahl er dem Merkur, sofort alle Götter zu einer Versammlung zu berufen und bekannt zu geben, dass der Fehlende mit einer Busse von 10 000 Goldstücken belegt werden würde. Da bekamen es die Götter mit der Angst und im Nu war der himmlische Sitzungssaal gefüllt. Hoheitsvoll hub Jupiter an vom erhabnen Pfühl: »Hochansehnliche 59 und erlauchte Götterversammlung! Es ist euch allen bekannt, dass ich die Erziehung des jungen Mannes dort eigenhändig geleitet habe; so meine ich auch jetzt, wo er eben zum Jüngling herangereift ist, ihm bei seinem hitzigen Temperament einen Zügel anlegen zu sollen. Kein Tag vergeht, ohne dass er seinem guten Ruf durch Liebeleien und Verführungen schadet. Die Sache soll ein Ende haben: wir müssen dem lockeren Burschen ein für alle Male das Handwerk legen, indem wir ihn in die Fesseln der Ehe schmieden. Mit dem Mädchen seiner Wahl hat er schon ein Verhältnis angeknüpft: er soll es als sein angetrautes Eheweib besitzen und in ihren Armen ewiger Liebe sich freuen.« Und zu Venus gewandt fuhr er fort: »Sei nicht böse, Tochter, und fürchte nicht, eine Ehe deines Sohnes mit einer Sterblichen passe nicht in deine Familie von altem Adel und Stand. Ich werde dafür sorgen, dass die Ehe keine ungleiche, sondern eine nach allen Formen Rechtens gültige werde.« Schnell liess er durch Merkur Psyche in den Himmel entführen. Dort reichte er ihr eine Schale Ambrosia und sprach: »Koste, Psyche, und sei unsterblich. Nie wird sich Amor von dir scheiden, ihr seid vermählt in alle Ewigkeit!« Und nun ging's unverzüglich zu einem prächtigen Hochzeitsschmaus. Den Ehrenplatz hatte der junge Ehemann, an ihn schmiegte sich Psyche. So sass auch Jupiter neben seiner Juno, dann folgten der Reihe nach die anderen Götter und Göttinnen. Nektar wurde dem Jupiter von seinem Mundschenken Ganymedes, den andern von Bacchus kredenzt; Vulkan war Koch des Mahls. Mit purpurglühenden Blumen schmückten die Horen die Tafel, balsamisch duftende Oele sprengten die Grazien, lieblich 60 sangen die Musen und Phoebus schlug in die Saiten. Dann trat Venus auf und wand sich in lieblichen Tänzen zum Klange der Musik: die Musen sangen im Chore, der Satyr spielte die Flöte und Pan auf der Schalmei. So ward Psyche dem Amor feierlich angetraut. Sie genas einer Tochter; die heisst »Lust«.
Ende.