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Unter schwerem Verdacht

Ja, die Liebe allein tut's nicht, wenn zwei Leute sich fürs Leben verbinden; sie mögen so viel Herz füreinander haben, als es irgend nur angeht, der Mensch hat leider daneben auch einen Magen, und der wird davon nicht satt, wenn man sich gleich gegenseitig zum Fressen gern hat, und der verlangt keine Liebkosung, höchstens leidet er's gerne, wenn er hübsch voll ist, daß man mit der flachen Hand behaglich über ihn streicht.

Daran mußten auch die Kleinhäuslersleut', der Peter Kirninger und sein Weib, die Rosalie, glauben. Sie waren vor dritthalb Jahren getraut worden, er hatte die Hütte von seinen Eltern her, sonst nichts, die Rosalie hatte überhaupt nichts und brachte daher auch, außer dem, was sie auf dem Leibe trug, nur ein sehr bescheidenes Bündel mit unter Dach. Die beiden jungen Eheleute mußten hart im Taglohne arbeiten, um sich durchzubringen, und sie gestanden sich bald in aller Stille, daß sie's besser hatten, als sie allein, jedes für sich, sorgten.

Wenn der Ehezwistteufel unter armem Volk Hader und Zertragen stiften will, so schickt er vorab zwei auserlesene Gesellen in das Haus und Herz derer, die er entzweien will; der eine ist ein einschmeichelnder Verführer, er stellt sich, als wär' er ein nächster Verwandter der tröstlichen, menschenfreundlichen Hoffnung, er verheißt goldene Berge von einer – Ziehung auf die andere, da ist es heraus, der saubere Patron heißt der Fünfnummerteufel, das Ternomännlein, und verleitet die armen Weiber, ihre wenigen Groschen in die Lotterie zu tragen. An den Mann macht sich aber ein wüsterer Teufel, der flüstert ihm zu: »Sie entträgt dir das Geld um nichts und wieder nichts, das dumme Spiel ist ihre Leidenschaft, laß du dir deine Groschen nicht auch mit fortnehmen, und da sie zu Haus doch nicht sicher wären, so tu dir dafür ein Gutes und sorg, den Ärger zu vergessen, den dir dein Weib macht, komm in lustige Bruderschaft!« Das ist der Sauf- und Branntweinteufel. Haben die beiden erst ihre Leute gefaßt, dann lassen sie auch nimmer locker, der eine zerrt den einen Teil dahin, der andere den anderen nach seiner Seite und nun findet der Zwietrachtsteufel Raum, dazwischen zu fahren und zu trennen, was sich auf zeitlebens verbunden glaubte.

Noch spielte die Kleinhäuslerin bescheiden, sie sparte sich von ihrem Verdienste ab, was sie im Lotto daranwagte, ebenso verhielt sich der Kleinhäusler, er zwackte sich von dem Seinen ab, was er in die Schenke trug, aber mit Spiel und Trunk wächst Leidenschaft und Durst dafür, und es hätte schließlich mit den beiden Leuten sicher das Ende genommen wie mit allen solchen vorm eigenen Verderben Verblendeten, wäre nicht etwas dazwischen gekommen, was das Weib wohl auf die Lottoziehungen von Wien, Linz, Graz, Prag und aller Welt vergessen machen mußte und den Mann über eine ganz andere Schwelle stolpern ließ, als über die des Wirtshauses.

Der Kirninger hatte einen Vetter, von seines Vaters Schwester der Sohn; der alte Kirninger war von zwölf Geschwistern das jüngste, und die nämliche Schwester das älteste; sie heiratete mit zwanzig Jahren, ihr Bruder erst mit achtundzwanzig, so daß er mit neun Jahren Onkel wurde, und als sein Bub' auf die Welt kam, dieser schon einen zwanzigjährigen Vetter darauf vorfand. Derselbe, Vinzenz Kallinger hieß er, war zum Herumstromer – Vaganten benamen's studierte Leute – geworden, Haus und Hof hatte er verkauft und trieb sich nun als angejahrter und herabgekommener Mensch auf dem flachen Lande herum und tat den Leuten Botengänge und Handreichungen, zu denen sie kein Geschick hatten, aber auf die er sich recht gut verstand; er wußte Uhren zu regulieren, wußte Zaun- und Giebelbretter zierlich zuzuschnitzen, daß sie dem Garten oder Hause ein Ansehen gaben, trieb auch bei Mensch und Vieh etwas Kurpfuscherei, kurz, er brachte sich halb geschäftig, halb bettelnd, schlecht und recht durch, mehr wohl auf erstere Art, denn ein Herumstreicher war er einmal. Er war auch ein Lotteriebruder und als solcher ein gewaltiger Kabbalist und angesehener Traumdeuter, und daher in der Kirningerschen Hütte dem Weibe mehr willkommen als dem Manne; da er den durch seinen Zuspruch ärgerte, so machte es ihm Spaß, öfter dort einzusprechen, und der junge Kleinhäusler dachte schon daran, ihm nächstens die Tür zu weisen, denn er war schon mehr als einmal in hitzigen Zank mit ihm geraten.

Doch dazu kam es nicht. Plötzlich blieb der Vinzenz Kallinger weg von dem Orte. Das konnte fürs erste gar nicht auffallen, der Mensch war bald da, bald dort zu sehen, stromte durch einen Ort, nächtigte in dem anderen, aber nach einiger Zeit fiel es auf, daß er nirgends mehr gesehen wurde; die Leute begannen mehr aus Neugierde als aus Teilnahme zu fragen, wo er geblieben.

Das darauffolgende Frühjahr brachte die Aufklärung, aber diese war von der Art, daß sie weit und breit die Leute in Aufregung und Schreck versetzte.

Noch lag über der Halde und auf den Wiesenflächen im Walde eine dünne Kruste Schnee, der langsam hinwegschmolz; die Kinder von einsamen Weilern und von abseits liegenden Gehöftegruppen mußten auf dem Wege zur Dorfschule den Wald passieren, es war immer dieselbe spektakulierende Schar, die sich stetig vergrößerte, wenn es zur Schule ging, und sich mählich verringerte bei der Heimkehr, wo ein Kind nach dem anderen sich nach dem Elternhaus verlor.

Es blieben schließlich immer noch drei, zwei Knaben und ein Mädchen, die im letzten großen Gehöfte wohnten. Es war an einem sonnenhellen Vormittage, die Luft wehte lau, von dem schmelzenden Schnee rieselten zahllose Wasserfäden, in Rillen und Mulden hastig den Senkungen des Erdreiches folgend, herab, die Vögel meldeten ab und zu ihr Hiersein, das stimmte die drei kleinen Wanderer heiter, sie sangen und schrieen um die Wette. An einer Wegbeuge sah man durch eine Lichtung auf eine versteckt und lauschig gelegene Waldwiese, und mitten auf dieser, durch die bröckelnde Schneedecke sichtbar, lag ein dunkler Gegenstand. Ein Paar Stiefel ließen sich genau unterscheiden, und die Kinder lachten über die Entdeckung, daß hier einer seine Beschuhung habe im Schnee stecken lassen müssen, oder waren's gar durchlöcherte, verrissene, weggeworfene Trittlinge? Der couragierteste von den dreien vermaß sich, sie herbeizuschleppen, sein Kamerad riet davon ab; konnt' nicht eine Hexerei dahinter stecken und der Stiefelschaft, den man anfaßte, sich in eine Schlange verwandeln? Himmel, wie das kleine Mädel aufschrie, aber so etwas hätte es doch für sein Leben gern gesehen, und so sagte denn die Kleine zu dem Couragierten: »Gelt, hitzt traust dich nimmer!« Aber der Mutige brach durch das Gestrüpp und schritt auf den Gegenstand, der ihre Neugierde erregt hatte, zu, die beiden Zeugen seiner Waghalsigkeit sahen ihn einen Stiefel anfassen, dann hörten sie plötzlich den Gespielen einen erschreckten Schrei ausstoßen und, wie von Hunden gehetzt, kam er dahergerannt.

Dort läg' einer!

Nun war kein Haltens mehr, und die Kinder flüchteten in überstürzender Hast heim.

Es dauerte keine Stunde, so wußte es der ganze Ort, daß draußen im Walde einer läge, daß der kein anderer als der Vinzenz Kallinger wäre, und daß dieser, wie die zertrümmerte Schädeldecke auswies, erschlagen worden sei.

Er hatte winters über dort gelegen.

Die Leute kamen von dem Augenblicke an, wo diese Nachricht auftauchte, vor Aufregung nimmer zur Ruhe. Man sah die rasch herbeitelegraphierte Gerichtskommission dem Walde zufahren, man blickte scheu und fröstelnd nach dem zurückkehrenden Wagen, auf dem der Leichnam eingebracht wurde und unter der groben Pferdedecke die Füße und eine geballte Faust sichtbar waren, man umschlich die Totenkammer, wo der Ermordete vorläufig beigesetzt worden war, man sprach über nichts anderes als diese Schreckenstat, diesen Nachmittag, diesen Abend, und selbst in derselben Nacht, die manche wach hielt, die böse Träume, oder ein Ärgernis – sie wußten es nur nicht, was – fürchtete, und man begann am anderen Morgen von nichts anderem. Man flüsterte davon im Hause und lärmte in der Wirtsstube, oder man flüsterte am Wirtstische und schrie im Hause, je nachdem einem Gesellschaft Mut machte, oder Furcht – etwa unversehens neben dem unbekannten Missetäter zu sitzen – einflößte.

Wer hat es getan?

Und warum war es geschehen?

Doch das auszuforschen war Sache der Leute vom Amte, und das ganze Dorf brannte in fieberhafter Ungeduld darauf, daß die Herren nur alsbald ihre Findigkeit zeigen möchten, denn es war ja kein Kleines, Mordgesellen um die Wege zu wissen, vor denen nicht einmal ein »halber Bettler« seines Lebens sicher war.

*

Wäre es nach den Leuten gegangen, so hätten sie am liebsten vorab Antwort auf die Frage: Wer hat es getan? gehört. Kannte man einmal den Verbrecher, so konnte man ihm ja leicht abfragen: Warum hast du das unternommen, und wie bist du dabei vorgegangen?

Die Herren vom Gericht aber stellten sich die Sache weniger leicht vor; wenn man auch einen, als der Tat höchst verdächtig, aufzugreifen vermocht hätte, so würde derselbe ganz unzweifelhaft gelogen haben wie ein Spitzbube und Schuft, der er ja war; wollte man also nicht in die unangenehme Lage kommen, neben dem einen auf gut Glück noch andere in das Loch stecken zu müssen, die man schließlich wieder laufen lassen mußte, und worunter, wenn der Teufel sein Spiel hatte, sich auch der geschickt leugnende Täter befinden konnte, so blieb nichts über, als so viele Schuldbeweise auf eigene Faust zu sammeln, bis man deren die ganze Hand voll hatte und dem Verbrecher unter die Augen rücken konnte, daß ihm grün und gelb vor denselben werde, und er wenig mehr aus eigenen hinzuzufügen hätte, als zu sagen: »Ich hab's getan!« Eben deshalb hielten aber die Herren vom Gerichte fürs erste die Antwort auf die Frage: Warum war es geschehen? ungleich wichtiger als die andere.

So entschloß man sich denn auch hier, vorsichtig Masche für Masche an dem Netze zu knüpfen, in dem sich der Schuldige unentrinnbar verstricken sollte. Die Untersuchung wurde einem sehr eifrigen, jungen Kreisgerichtsbeamten übertragen, der schon manche Proben kriminalistischer Begabung abgelegt, und ihm war zur Dienstleistung ein Gendarmerieführer von langjähriger Erfahrung zugeteilt worden. Diese beiden arbeiteten mit hohem Interesse, ja – es war nun einmal ihr Amt – man konnte fast sagen, mit einer gewissen Freudigkeit an der Enthüllung dieses traurigen Falles.

Das Wichtigste, was man im Walde bei der Beschau entdeckte und auffand, war das Werkzeug, mit welchem der Mord geschehen, es war eine gewöhnliche Hacke, wie sie zum Holzspalten im Gebrauche ist.

Bei dem Alten fand man gar nichts vor, was irgendwelchen Fingerzeig hätte bieten können; ein sogenanntes ägyptisches Traumbuch und ein buntes Schnupftuch staken in seinen Rocksäcken, und in der Westentasche, wo andere die Uhr tragen, verwahrte er einen zerknitterten Zettel, auf welchem er mit eigener Hand fünf Nummern hingekritzelt hatte, daneben einen Riskonto, nach dessen Datum man schließen konnte, daß der Kallinger Vinzenz nicht ohne Anhoffnung eines Lotteriegewinstes aus dem Leben geschieden war.

Daß der »halbe Bettler« kein Geld mit sich führte, schien natürlich; es wurde also erst die Frage aufgeworfen, lebte er mit irgend jemand in Unfrieden, in offener Feindschaft? Es wußte niemand, so weit man auch Umfrage hielt, darüber etwas Genaueres auszusagen, Der Alte war nach Eingabe aller, die ihn kannten, den einen »nit so unz'wider«, den anderen ganz gleichgültig. Streit und Zank hätt' es mit ihm schon hie und da gegeben, aber das wär' »ledig so ein Warteln« gewesen, deß' man morgens darauf nimmer gedächte. Höchstens möcht' sein, daß ihm sein Vetter, der Kleinhäusler Kirninger, nicht leiden mochte, weil dessen Weib als Lotterieschwester zu dem alten Lotteriebruder hielt, welche Geschwisterschaft dem Kirninger wohl nicht recht »anstand«.

Dagegen ließ sich auf das bestimmteste erheben, wann der Kallinger. Vinzenz das letzte Mal im Dorfe gesehen wurde, das war vor fünfthalb Monaten, in der zweiten Hälfte vorigen Novembers, und brauchte man nur im Kalender des vergangenen Jahres nachzublättern, so wußte man es auf den Tag, denn dieser war der zunächst nach dem fünfzehnten fallende Mittwoch, ein Tag, wo es den alten Spieler unaufhaltsam nach der Kreisstadt trieb, um dort auf dem Hauptplatze vor der großen Lottokollektur nach den eben eingetroffenen gezogenen Nummern zu sehen, die auf der ausgehängten Tafel angeschrieben standen. Das auf dem vorgefundenen Riskonto verzeichnete Datum der nächststattfindenden Ziehung stimmte auf den Tag mit dem Verschwinden des Ermordeten.

Eine hochwichtige Anzeige machte die Adlerwirtin: der Kallinger war an eben diesem Mittwoche, es mochte gegen zwölf Uhr mittags sein, bei ihr eingekehrt, hatte beim Zechemachen so beiher die Hand aus der Tasche gezogen und zwischen den Fingern ein »Schnipsel« zerknüllter Banknoten sehen lassen und gesagt, er habe vorige Ziehung in der Kreisstädter großen Kollektur einen Ambosolo gewonnen.

Der Gerichtsbeamte telegraphierte sofort dahin: der Bescheid, der bald danach einlangte, ergab, daß es mit dem Lottogewinste seine Richtigkeit habe, und daß derselbe auch von dem in der Kollektur als bekannter Kunde verkehrenden Kallinger behoben worden sei. Damit stimmte wieder ein anderer Umstand, der den Beamten gleich anfangs stutzig gemacht hatte, nämlich der gleichfalls auf dem vorgefundenen Riskonto ausgeworfene, verhältnismäßig hohe Betrag des Einsatzes; aber nun war es erklärlich, wie der Mann dazukam, bare fünfzig Kreuzer an das Spiel zu wagen, er dachte wohl, es wäre eine Zeit gekommen, wo ihm das Glück wohlwolle, er hoffte noch einmal und dieses zweite Mal mehr zu gewinnen, und darum, weil er's vom Gewonnenen nehmen konnte, griff er tiefer in die Tasche; da er mit leerer aufgefunden wurde, so war das Geld, das er noch im Adlerwirtshause, als in seinem Besitze, aufgewiesen hatte, ihm abgenommen worden, es lag also ein Raubmord vor.

Es galt nun ausfindig zu machen: mit wem wurde der Kallinger zuletzt gesehen? Doktor Haidenreich, so hieß der junge Gerichtsbeamte, wurde durch den Gendarmerieführer Korb auf das beste bedient. Letzterer stellte sich schon am frühen Morgen des Tages nach der Auffindung des Ermordeten mit einer gewichtigen Zeugin ein, das heißt, deren Aussage hatte Gewicht, ihre Person dürfte auf der Wage die Hexenprobe bestanden haben, denn es war ein altes, zusammengeschnorrtes Weiblein, es hatte an jenem verhängnisvollen Mittwoch im Walde Holz geklaubt. Die Alte wußte auszusagen, wen sie zuerst den Hang gegen das Dorf niedersteigen, dann nach Begegnung mit dem Vinzenz in ziemlich lautem Wortwechsel wieder heraufkommen und im Walde verschwinden sah. Nicht lange danach ging sie mit ihrem Reisigbündel heimzu und sah nun von der Dorfstraße, wie den Waldweg oben der eine allein zurückkam.

»Der Kallinger,« dachte sie, »hätt' wohl nach der Kreisstadt wollen, aber, du mein Herr Jesus, nun wüßt' man wohl, wo der geblieben. Nein, nit vorstellen kann sich eins, was für grundschlechte Leut' es auf der Welt gäbe?«

Doktor Haidenreich entließ die redselig werdende Alte ziemlich barsch und verbot ihr, von dem Abgefragten etwas verlauten zu lassen. Als sich die Türe hinter ihr schloß, nickte er dem Gendarmerieführer befriedigt zu. »Korb, nun haben wir ihn fest. Der Fall liegt so klar, als ob wir dabei gewesen wären. Die Beweise schließen so hübsch aneinander, daß Leugnen eigentlich nur mehr Geschmackssache für den Inkulpaten bleibt; wir können auf sein Geständnis verzichten.«

»Zu Befehl, Herr Doktor,« sagte Korb, »wir verzichten darauf.«

»Ich denke,« fuhr der junge Gerichtsbeamte fort, »wir machen bei solchem Stande der Dinge die. Sache kurz ab. Wir brauchen uns nicht länger hier aufzuhalten. Geben Sie Auftrag, Korb, daß mein Wagen instand gesetzt werde, und beschaffen Sie sich eine Fahrgelegenheit für die Eskortierung nach dem Kreisgerichts-Gefängnisse. Dann bringen Sie mir unseren Mann ein und nach dem Verhör wollen wir fort. Gehen Sie jetzt.«

Korb legte die Hand an den Federhut, machte kehrt und ging aus der Stube. Als seine Schritte draußen im Gange verhallt waren, trat in dem Hause eine fast unheimliche Stille ein. Doktor Haidenreich erhob sich vom Stuhle und begann erregt im Gemache auf und ab zu schreiten. Manchmal rieb er sich die Hände. Er hatte Glück. Das Stück Arbeit, das er da für sich gebracht, wird von sich reden machen! War ihm auch der Zufall günstig, so konnte er sich doch der Umsicht rühmen, mit der er ihn ausgenutzt.

Doch die Pause, die jetzt nach der aufregenden Tätigkeit eintrat, war ihm peinlich. Die endlos lange Zeit, bis dort die Tür sich öffnen und seinen Mann einlassen wird!

Er warf eben einen ungeduldigen Blick nach der Türe, als an derselben geklopft wurde.

Auf des Doktors Aufforderung zum Eintreten schob sich ein kleiner, vierschrötiger Mensch über die Schwelle: er hatte einen ziemlich starken Höcker, was ihm aber an der Länge des Rückgrates mangelte, war ihm an den Armen zugesetzt worden. Sein Gesicht mit den stark vortretenden Backenknochen und dem spitzen Kinn nahm sich fast wie dreieckig aus, inmittel saß eine krumme Hakennase, er hielt es damit wie alle Leute und trug dieselbe an keiner anderen Stelle; was sie außer der Form von gewöhnlichen Alltagsnasen unterschied, das war die Farbe, ein sanftes, zartleuchtendes Weinrot; beiderseitig von ihr blinzten zwei kleine, dunkle Äuglein, die, fast von den buschigen Augenbrauen überwachsen waren.

Diese Erscheinung war weder schön noch angenehm zu nennen, aber der Doktor war vorurteilslos genug, nicht nach dem äußeren Eindrücke zu schließen, sondern forschte nach etwa vorhandenen inneren Vorzügen.

Der Bucklige gab an, Zacharias Zach zu heißen, derzeit als Fuhrknecht beim Zimmermeister und Holzhändler Buchberger im Orte bedienstet zu sein. Nit, daß er ein' Menschen ins Unglück bringen möcht' – o, du mein Gott, nein – aber der Wahrheit müßt' doch jeder die Ehr geben, und da er auf 'm Weg die alte Birkhöferin getroffen hätt', die ihm anvertraut hätt', wie sie meint, auf wen der Verdacht sein tät' wegen dem Vinzenz, ja, so käm' er auch, eine Aussag' zu machen.

Die Birkhoferin war die eben zuvor entlassene Holzklauberin, welche, wie ersichtlich, dem Auftrage, zu schweigen, ganz in der Art entsprochen hatte, wie von einem alten Weibe zu erwarten stand. Der Doktor fluchte erst innerlich über sie, dann aber, da sie ja in der Angelegenheit mit ihrem Geschwätze nichts mehr verderben konnte, mußte er über sein eigenes Verbot lächeln, das doch der Natur der Weiber straks zuwiderlief, denn schon das jüngste und zugleich älteste Weib, das es auf der Welt gab, die Eva, konnte es nicht unterlassen, der Schlange zu klatschen, was Gott Vater gesagt hätte, aus welcher Tratscherei bekanntlich das Elend und alle Trübsal auf Erden herstammt.

Der Zacharias Zach schien in seinem verkrüppelten Brustkasten ein gutes Herz zu beherbergen, denn er brachte das, was er zu sagen sich in seinem Gewissen verpflichtet fühlte, sehr bedächtig und zögernd vor.

Er sei denselben Mittwoch vormittags – die Adlerwirtin könn' es bezeugen – in der Gaststube gesessen und habe auch gesehen, wie der Kallinger Vinzenz das Geld aufgezeigt. Damals wär er – der Zacharias – noch beim Müller Eistaler, gleichfalls als Fuhrknecht und bis Neujahr gedingt, im Lohne gestanden und hätte eben an dem Tage Mehl nach der Kreisstadt fahren müssen; das war wenig Stunden, nachdem er im Wirtshaus den alten Lotteriebruder gesehen. Nun mein' er wohl, wie die Geschicht' sich nachträglich herausgestellt hätte, könne er wohl beschwören, daß er den Vinzenz noch einmal zu Gesicht bekommen hätt'. Das wär' so gewest: er sei eben langsam den Hang hinan, die Straße nach 'm Wald hinaufgefahren – die Birkhoferin hätt' ihn gesehen, die könne es bezeugen …

Der Doktor sagte, das hätt' sie bereits angegeben.

Der Bucklige fuhr fort zu erzählen: Zwei Leute wären längere Zeit inmitten der Straße seinem Wagen weit vorausgegangen; bei einer Biegung hätten ihm die Bäume die beiden aus dem Gesicht gebracht und just, wie er dann an der Stell', wo sie verschwunden, vorbeigefahren sei, habe er von seither einen Schrei vernommen – nur einen – dann wär's gewesen, als ob man etwas Schweres durch das Gesträuch hinschleife, und nach einer Weil, während es wieder ganz still geworden, hätte es rückwärts im Gebüsch zu rascheln angehoben, und es kam nur der eine hervorgeschossen, und rannte wie unsinnig gegen das Dorf hinab. Damals, wo niemand eine Ahnung von dem hätt' haben können, was da vorgefallen wär', ist's auch dem Zacharias nicht in den Sinn gekommen, ein Arg zu fassen, meinte, es sei ein Raufhandel, wie es Jahrüber mehr da in der Gegend setzt, und so sei er unbekümmert seines Weges gefahren.

Der Doktor befragte den Fuhrknecht, ob er bereit wäre, diese Aussage zu beeiden und sie dem Angeschuldigten ins Gesicht zu wiederholen?

Der also Befragte erklärte sich sofort bereit, den Eid zu leisten und – nachdem er sich ein wenig hinter den Ohren gekraut hatte – versprach er, auch das andere zu unternehmen, obwohl ihm ein'm Mörder gegenüber ganz »entrisch« werden würde.

Der Doktor hieß ihn in die Kammer nebenan treten, sich ruhig verhalten, und wenn er gerufen werde, flink heraustreten.

*

In der Hütte des Kleinhäuslers Kirninger ging es wieder einmal etwas laut her, aber die Nachbarn achteten nicht mehr darauf, es kam das zu oft vor.

Die beiden Eheleute waren eben im besten Unfrieden von der Schüssel aufgestanden.

Der Mann hatte sich vom frühen Morgen bis Mittag im Dorfe herumgetrieben, denn als Vetter des Ermordeten hielt er es für sein gutes Recht, sich die Teilnahme der Leute aussprechen zu lassen; – und wer jetzt mit einmal alles zu ihm kam, ihm die Hand bot und dann des Fragens kein Ende fand! Ja, über Nacht war er im Orte »wer« geworden! Leute, die ihn sonst über die Achsel angesehen und ihm keinen freundlichen Blick gegönnt hatten, nötigten ihn jetzt an ihren Tisch und hießen ihn erzählen, was er von dem seligen Vetter zu sagen wußte, und sie sorgten schon, daß ihm die Zunge dabei nicht trocken wurde.

Wenn er dann so festsaß zwischen Weinkrügen, Selchfleisch, Würsten und Tabaksbeuteln mit aufgeknüpften Schnüren, alles zu seinem Dienste, überkam ihn eine Art Dankgefühl gegen den allerdings unfreiwilligen Verursacher dieses Wohllebens, und er begann sich in der Schilderung guter Eigenschaften zu überbieten, von welchen er doch überzeugt war, daß sie der Alte nie besaß, und er sprach mit tränenumflorter Stimme nicht anders, als ob er den Schnupfen hätte, von dem herzlichen Verkehre zwischen dem Seligen und ihm, der, wie er wohl wußte, nie bestanden hatte, kurz der Kirninger log, was das Zeug hielt, aber der Vetter und die Leute, die für das Traktament was beanspruchen konnten, kamen dabei gut weg.

Und nun saß er da zu Hause vor der Schüssel mit dampfendem Sterz, legte aber den Löffel bald hin und sank schweratmend in den Stuhl zurück.

Sein Weib, die dralle Rosl, die ihm gegenübersaß, und mit gutem Appetite zulangte, blinzte ihn höhnisch an. »Warst wieder mit solche, die a leer's Glas lieber sehn als volle Schüssel?«

Da stand der Peter vom Tische auf und sagte: »Mein heutig' Wirtshausgehen wirf du mir nit vor, wo es mich kein' lucketen Sechser gekostet hat, und ich mich dort nur verhalten hab', um 'm Vetter Vinzenz – Gott tröst sein' arme Seel' – alle erdenkliche Ehr' im Tode nachzusagen.«

»Schön von dir, im Leben hast ihm so kein gut's Wort gegönnt.«

»Weil er dich ang'leit't hat, deine wenig' Groschen in der Lotterie zu verspiel'n.«

Da fuhr auch die Rosl in die Höhe. »Verlang du nit, daß ich's meine spar', während du 's deine ins Wirtshaus tragst!«

»Davon hab' ich doch was.«

»Ja, Räusch' und 'n Tag hernach 'n dummen Kopf!«

»Den hast du, soviel Wochen im Jahr sein, von einer Ziehung auf die andere, sonst aber auch nichts.«

»Das muß sich erst weisen! Jetzt setz' ich 'n seligen Vettern in d' Lotterie. – Jessas, wenn ihm das nit zug'stoßen wär', sicher hätt' er mir sein ägyptisch' Traumbüchl vermacht, daraus ich mir die richtigen Nummern hätt' h'rauszieh'n können; aber ich hoff' doch, ich mach' durch ihn ein Treffer, der war mir ja allweil im Leben gut.«

»Ja, schön gut! Ich sag' nit, ich vergönn' ihm, wie ihm g'schehn is, aber das muß ich sag'n, wenn ich bedenk', wie der alte Halunk – Gott verleih' ihm d' ewige Ruh' – dich zu einer Dreinummernärrin g'macht hat, die statt mit Heiligenbildeln 's Gebetbuch mit Riskonto voll hat, zu einer leichtsinnigen Geldaustragerin und verrückten Traumdeuterin, ja, da muß ich frei denken, es wär' ihm a Straf Gottes g'west. Dein Verderb' war er im Leben, daß d' es weißt!«

»O, du toter Leut'-Schimpfer, du! Du solltest dich in d' Seel' h'nein schämen, ihm a solche Nachred' z'halten! Wirst du jetzt nit sein'twegen im Wirtshaus freig'halten? Was nimmst es denn an? Laß dir nit durch die Gurgel waschen, wenn du über ihn ein ung'waschenes Maul haben willst! Aber ich seh's schon, daß es nur ein Veranstalten von unserem Herrgott, der dir dein' Versündigung an dem armen Vetter heimbringen will! Du wirst mir jetzt nur noch mehr zum Suff ang'leit't, und wann du sagst der Vetter wär' mein Verderb' im Leben g'west, so schau du zu, daß er nit dein Verderb' im Tod wird!«

Die gute Kleinhäuslerin hatte keine Ahnung, welchen schwarzen Teufel sie da an die Wand malte.

Was den Kirninger betrifft, so erboste ihn die Drohung mit dem toten Vetter dergestalt, daß er, aus vollem Halse schreiend, erklärte, er werde sich weder von toten noch lebenden Vettern abhalten lassen, seinem Weibe den Fünfnummerteufel aus den Knochen zu schlagen, und die Kirningerin zeterte dagegen, sie werde ihm den Saufteufel bei dem Schopfe herauszausen, und beide Ehegatten begannen tatsächlich, an das Werk ihrer gegenseitigen moralischen Besserung zu gehen; das Weib hatte schon durch ein paar gellende Aufschreie die erhaltenen Püffe quittiert, während der Mann über die Art, mit welcher sich ihm, ohne sein Zutun, die Haare sträubten, manchen Fluch ausstieß, da wurde plötzlich diese sonderbare Teufelsaustreibung durch das Eintreten des Gendarmerieführers Korb unterbrochen.

Ob hier der Kleinhäusler Peter Kirninger wohne? fragte der Führer.

Rosl zog die Joppe zurecht und strich die Schürze glatt und sagte: »Ja.«

Peter wischte sich die wirren Haare aus dem Gesichte und brummte währenddem gegen das Weib: »Schön hast mich zug'richt't, was soll'n denn d' Leut' davon denken!« Dann fragte er den Gendarmen, was er hier suche.

Die Antwort war kurz: Wenn er der Kirninger sei, ihn! Er habe Befehl, ihn zum Verhöre vor den Herrn Gerichtsadjunkten zu bringen.

Da war nichts anderes zu machen als zu gehen.

Rosl gab dem Scheidenden als Abschiedsgruß die Versicherung mit auf den Weg, es würde sie wenig kränken, wenn sie ihn auf zwei oder drei Tage einsperrten.

Peter dankte mit dem Versprechen, daß er ihr diese Worte heimzahlen werde, sobald er wieder nach Hause käme.

Nach diesem Austausche von Zärtlichkeiten schritt der Mann an der Seite des Gendarmen die Straße entlang, und das Weib trat unter die Türe und sah den beiden nach.

*

Das Gemeindehaus, in welchem das Untersuchungsgericht für so lange, als seine Anwesenheit an Ort und Stelle erforderlich schien, seinen Sitz aufgeschlagen hatte, lag inmitten des Dorfes auf dem Platze. Die Strecke bis dahin war bald zurückgelegt.

Kirninger hätte wohl gern gewußt, was man eigentlich von ihm zu wissen verlange, und hatte, durch die Einsilbigkeit des Gendarmen zudringlicher gemacht, schon begonnen, hoch und teuer zu versichern, daß er, falls es den seligen Vetter beträfe, gar nichts von Belang auszusagen wüßte, aber da war ihm von Korb gar ernst bedeutet worden, das Schwätzen zu lassen und nur befragt zu reden.

Stumm und verstimmt folgte er dem Führer. Der ließ ihn im Gemeindehause die Treppe vorauf hinansteigen, oben auf dem Gange schritten noch ein paar Landjäger auf und ab, einer trat, als er des Führers ansichtig wurde, auf eine Tür zu, öffnete dieselbe, und Kirninger befand sich vor den Gerichtsherren.

Es waren ihrer zwei. Hinter dem großen, mit grünem Tuche überzogenen Tische stand der Gerichtsadjunkt Doktor Haidenreich, und rechter Hand von ihm saß ein älterer Herr, der nur flüchtig aufblickte, dann sofort sich Papier zurechtlegte, die Feder in das Tintenfaß tauchte und den gesenkten Kopf ein wenig, wie aufhorchend, zur Seite drehte.

Doktor Haidenreich betrachtete sich seinen Mann.

Einen Augenblick war es so stille, daß man das Ticktack der Schwarzwälder Wanduhr deutlich vernahm.

Der Herr, der die eingetauchte Feder in der Hand hielt, spritzte diese aus und unterbrach die Stille, indem er sich leise räusperte.

»Treten Sie näher,« sagte Doktor Haidenreich. »Sie heißen Peter Kirninger, wohnen hier auf Ihrem eigenen Anwesen, Ihr Haus trägt die Orientierungsnummer 108, Sie sind von hier gebürtig – wie alt?«

»Achtundvierzig Jahre,« erwiderte Peter, er seufzte dabei und wußte eigentlich nicht, weshalb.

»Sie sind katholisch, verheiratet – haben Sie Kinder?«

»Nein,« antwortete Peter. Er sagte dies mit einer gewissen Befriedigung, denn die Frage war in einem Tone gestellt worden, als würde man es ihm übel genommen haben, wenn er Kinder gehabt hätte.

»Sie haben von klein auf mit Ihrem Vetter Vinzenz Kallinger verkehrt?«

Kirninger nickte.

»Wie war Ihr Verhältnis zu ihm? Ich meine, wie Sie sich mit ihm vertragen haben?«

»Ja, Herr Richter, das is a eigene Sach'; vor meiner Verheiratung hab' ich 'n nur selten zu G'sicht kriegt, danach aber – aufrichtig gestanden – öfter als mir lieb war, er hat mei'm Weib 's Lotteriespiel in 'n Kopf g'setzt, 's war unser Unglück, sie hat 's Erübrigte in d' Lotterie tragen, und ich – allein sparen hilft doch keiner Wirtschaft auf – ich hab' das Meine im Wirtshaus angebracht. Ja!«

Der Doktor beugte sich ein wenig vor und sagte in ermunterndem Tone: »Ans Herz gewachsen war Ihnen also der Vetter gerade nicht?«

»Müßt's lügen,« lächelte der Kirninger. »Aufrichtig g'sagt, ich mocht 'n von Stund' an nimmer leiden.« Dabei dachte er: ein recht lieber Herr, der Herr Beamte da, er versteht ein'm doch gleich und hat ein Einseh'n.

»Wann haben Sie Ihren Vetter zuletzt gesehen?«

»An ein'm Mittwoch war's im vorig'n November.«

Der Doktor nannte das Datum.

Kirninger bestätigte, daß es damit seine Richtigkeit habe.

»Also, wann sind Sie an diesem Tage mit ihm zusammengetroffen und wo?«

»Ja, mein, erlauben, daß ich mich ein bissel drauf z'rückbesinn'! – Ja, es fallt mir schon ein, ich war 'n selben Tag recht verdrossen und bin gleich nach 'm Essen, eilf Uhr is dös, vom Haus weg, und daß ich mir z' schaffen mach', in 'n Wald h'nein, Dürrholz klauben. Denk', ich werd' ein halb' Stündel rechnen können, was ich bis hin an Ort braucht hab', dann mag ich wohl ein klein's Stündel dort verweilt hab'n, dürften also mit 'm Heimweg zwei Stündeln g'west sein; sag'n wir, Eins wär's g'west, wie ich z' Haus g'troffen hab' und da is der Kallinger Vinzenz just aus der rückwärtigen Tür von meiner Hütten h'rauskommen, wo er wieder einmal meiner Alten mit seine Lotto-Kabalen den Kopf verrückt hat. Es hat mich erbost, und ich bin mit ihm umkehrt und ein gut Stück mit ihm wieder in 'n Wald z'rück h'neingangen, ihm mein' Meinung z' sagen.«

»Haben Sie gewußt, daß er kurz zuvor einen Lottogewinst gemacht hatte und bei Geld war?«

»Er hat mir's noch unten, keine drei Schritt vom Haus weg, g'sagt, weil ich ihm vorg'worfn, 's Lottospiel führt zu nix. Da hat er groß getan auf selben G'winn.«

»Als Sie mit ihm durch den Wald gingen, wußten Sie also, daß er Geld bei sich hatte?«

»Ja, da wußt' ich es freilich. Da sind wir eben auch streitig geworden, weil ich von ihm welch's z' leihen verlangt hab'.«

»Sie brauchten also damals Geld?«

»Notwendig, Herr, wie ein' Bissen Brot. Der sakermentische Kramer wollt' mich wegen fünf Gulden pfänden lassen.«

»Wie lange hatten Sie diese Schuld stehen?«

»No, über ein Jahr dürft's freilich gewesen sein.«

»Sie fürchteten also die Pfändung?«

»Ja, und darum hab' ich den Kallinger um das Geld ang'red't, hab' ihm g'sagt, er hätt' mir nix wie Unheil ins Haus g'bracht, so könnt' er mit einmal doch auch was Gut's erweisen. Es hat mich Müh' g'nug kost't … «

»Sie bezahlten den Krämer?«

»Tags drauf.«

»Und geben zu, daß das Geld, mit dem Sie Ihre jährige Schuld tilgten, von dem Binzenz Kallinger herrührte?«

»Ja, von sein'm Darlehen. Ich könnt's nit anders sagen.«

»Ihr habt uns früher erzählt, Kirninger, daß es etwa ein Uhr gewesen sein mochte, als Ihr mit dem Kallinger bei Euerem Hause zusammengetroffen und nach dem Walde umgekehrt seid. Wie lange mögt Ihr mit ihm beisammen gewesen sein?«

»No, so kurze drei Viertelstund' rechn' ich, weil ich vor halb Drei wieder heim war.«

»Also in der Zeit von Eins auf Zwei. Nun sagten Sie aus, daß Sie zuvor im Walde Dürrholz klaubten. Haben Sie sich dabei eines Werkzeuges bedient?«

»Mein Hacken hab' ich mitg'habt.«

»Und haben Sie diese und das geklaubte Holz wieder mit in den Wald hinaufgeschleppt, als Sie den Vetter begleiteten?«

»Ah, nein, kein' Red'; 's Reisigbündel hab' ich über mein' Zaun g'worfen.«

»Und die Hacke?«

»Die hab' ich im Hosengurt stecken g'habt, die hab' ich in Gedanken mitg'nommen.«

»Und wo ist die geblieben?«

»Ja, Herr, das weiß ich nicht zu sagen.«

»Besinnen Sie sich, Kirninger!«

»Ich bitt', Herr Gerichtsrat, ich mein' nur, ich könnt' nit sagen, wo sie jetzt sein mag, denn ich hab' s' damal 'm Vettern mitgeben. Sie war an der Schneid' ganz schartig, daß s' kein Wetzstein mehr auf gleich bringen konnt', und er sollt' mer s' in der Stadt bei ein'm Schleifer schärfen lassen. Seit er s' in sein' Gurt g'steckt hat, hab' ich 's nimmer g'sehn.«

Der Doktor Haidenreich tat einen leisen langgezogenen Pfiff, dann nickte er wie einer, der denkt: Nicht übel! Es kommt nicht selten vor, daß sich bei Gerichtspersonen eine Art Wohlwollen gegen manche der unglücklichen Leute einstellt, welche durch eine dunkle Tat den Scharfsinn des Untersuchenden herausfordern, und besonders gegen jene, die nicht gleich in die Kniee brechen, sondern sich gegen die angesammelten Beweise stemmen und so den Aufwand an eben solchem Scharfsinne nicht als unnütz erscheinen lassen. Es ist das eine Gattung geistigen Ringkampfes, bei dem der Ankläger sich im voraus des Sieges sicher hält und dem Gegner, der ihm denselben nicht allzuleicht machte es Dank weiß und sich daher bestrebt, dessen unvermeidlichen Sturz durch leutseliges Vorgehen zu mildern.

Es war wieder ganz stille geworden, wieder hörte man das Schwingen des Uhrpendels und das Knacken der Räder. Der Adjunkt hatte, nachdem er den Kirninger mit einem scharfen Blicke unter emporgezogenen Brauen gemustert, zu dem Schriftführer sich herabgebeugt und ihm etwas zugeflüstert, wovon Kirninger nur ungefähr die ersten Worte aufzufangen vermochte, die etwa »nach Vorhalt« lauteten. Jetzt erst fiel es ihm auf, daß alle seine Aussagen niedergeschrieben wurden, und es überkam ihn eine beklemmende Unruhe.

»Kommen Sie einmal her, Kirninger,« sagte der Adjunkt, und eine Lage Papiers zur Seite streifend, holte er eine Hacke hervor, welche er dem Hinzutretenden darreichte. »Sehen Sie sich das an, ist es vielleicht die?«

Kirninger erklärte, sie wär' es.

»Irren Sie sich auch nicht?«

»Nein,« sagte Peter, »es ist die, welche ich 'm Vettern zum Schärfenlassen mitgegeben hab'; ich kenn' s' an dem Brandzeichen auf 'm Stiel.

»Ganz recht. Da steht: P. K. 1878. Mit dieser Hacke wurde der Vinzenz Kallinger an eben jenem Mittwoch erschlagen.«

»Jesus, Maria, Joseph!« schrie der Kirninger auf. Er war totenbleich geworden und starrte das Mordwerkzeug mit sichtlichem Entsetzen an.

»Nun, Kirninger, was hat Er dazu zu sagen?«

»Ich? Herr? Ich will nur sagen – mein Gott, daß mir leid tut –«

»Was tut Ihnen leid?«

»Daß sowas damit geschehen ist – ja – jetzt getraut mer sich sie nimmer in d' Hand z' nehmen – und 's is schad drum.«

»Stellen Sie sich nicht so albern an, Kirninger! Damit helfen Sie sich nicht heraus. Hören Sie mir jetzt ruhig und aufmerksam zu, und dann können Sie tun, was Sie für gut halten, Sie haben Ihren freien Willen, und man kann Sie zu nichts zwingen, was Sie in Ihrer Lage für abträglich halten. Sind Sie aber das, wofür ich Sie halte, – ein Mann, so machen Sie die Sache kurz und schicken sich ins Unvermeidliche. Gescheh'nes läßt sich nicht ändern.«

»Herr Gerichtsrat, ich bitt' –«

»Wollen Sie vielleicht gleich zum Geständnis schreiten?«

»Zum Geständnis? Herr, ich wüßt' doch um alle Welt nicht zu gestehen! Herr, Ihr redet so, als sollt' ich's gewesen sein, der 'n Vettern umbracht hat!« Dem Kirninger schlugen, als er das sagte, die Zähne aneinander und ein blöde staunendes und ungläubiges Lächeln, das er versuchte, wurde zur Grimasse.

»In dem Verdachte stehen Sie!« sagte der Adjunkt.

Da taumelte, wie von einer unsichtbaren Faust gegen die Wand geschleudert, der Kleinhäusler hinter sich.

»Korb, gebt ihm einen Stuhl,« befahl Doktor Haidenreich, »auch Wasser, wenn er welches verlangen sollte.«

Der Gendarmerieführer sprang dem Schwachgewordenen bei. Der saß dann eine Weile und stierte vor sich hin, oftmals mit dem Ärmel der Jacke über das Gesicht wischend, von welchem ihm Tränen und Schweiß reichlich herabrannen.

»Ja, Kirninger, dagegen hilft kein Weinen, das ist nun einmal, wie es ist,« sagte der junge Gerichtsbeamte, und nachdem er etwa fünf Minuten hatte verstreichen lassen, fragte er in gütigem Tone: »Sind Sie soweit gefaßt, Kirninger, um anhören zu können, was gegen Sie vorliegt?«

Der Gefragte sah mit ausdruckslosen Augen auf und senkte den Kopf, wie bejahend.

»Wir wollen also das, was Sie selbst zugestanden haben, zusammenhalten mit den Aussagen der Zeugen und den Ergebnissen des Befundes am Tatorte. Ihr Vetter, der Vinzenz Kallinger, war seit November vorigen Jahres verschollen, und es ist auf Tag und Stunde erhoben worden, wann er zuletzt hier im Dorfe gesehen wurde. Gestern hat man auf der Waldwiese unweit des Adamshofbauerschen Anwesens seine Leiche mit zertrümmerter Schädeldecke aufgefunden, er war somit gewaltsam um das Leben gebracht worden, und da er noch kurz vorher im Adlerwirtshause Geld aufgewiesen, wahrend sich bei der Untersuchung des leblosen Körpers keines vorfand, so ist anzunehmen, daß der Täter die Barschaft an sich genommen und sonach einen Raubmord verübt hat.

Ferner ist als sicher anzunehmen, daß der Weg durch das Dorf bis zu der zunächst dem Adamsbauerschen Anwesen gelegenen Waldwiese Kallingers letzter Gang war, und er wurde auch auf dieser Strecke in der Zeit von ein Uhr auf zwei Uhr mittags das letzte Mal gesehen, und zwar von dem Fuhrknecht Zacharias Zach, der mit seinem Wagen durch den Wald fuhr, und von der alten Birkhofer, welche dort Holz klaubte, und nicht nur durch die gleichlautenden Aussagen dieser beiden, sondern auch durch Ihr eigenes Geständnis, Kirninger, ist festgestellt, daß er nicht allein, sondern in Ihrer Begleitung war.

Sie geben zu, Kirninger, daß Sie mit Ihrem Vetter nicht auf freundschaftlichem Fuße verkehrten, Sie können es nicht leugnen, daß Sie sich in drückender Notlage befanden und eines geringen Betrages halber die Pfändung vor Ihrer Türe stand. Sie gestehen ein, schon auf dem Wege nach dem Walde gewußt zu haben, daß Kallinger Geld mit sich führe. Sie selbst sagen aus, daß Sie wegen des Geldes mit ihm streitend geworden wären, und die Birkhofer will es beschwören, sie hätte es deutlich gehört, wie Sie gesagt hätten: »Dir geschäh' recht, Geizkragen, wenn dir einer den Schäd'el einschlüg' und die Taschen ausräumte!« Sie mochten die Hacke unvorsätzlich mitgenommen haben, aber Sie hatten sie nun zur Hand, nur Sie hat man aus dem Walde zurückkehren sehen, der alte Mann war, wie sich nun herausstellt, tot daselbst zurückgeblieben, man fand ihn seiner Barschaft beraubt, und nicht nur aus den Geschäftsbüchern des hiesigen Krämers ist ersichtlich, daß Sie den Tag nach der Tat Ihre Schuld beglichen haben. Sie selbst geben das zu, ja, noch mehr, an jeder bemäntelnden Ausflucht verzweifelnd, bezeichnen Sie geradezu das erlegte Geld als vom Kallinger herrührend. Man fand am Tatorte die Hacke vor, mit welcher der Mord vollbracht worden war. Sie mußten sie als Ihr Eigentum anerkennen. Es ist diese hier,« – der Adjunkt hob sie bei diesen Worten empor – »sie mag allerdings durch den Rost gelitten haben, aber sie zeigt keine Scharte, und man braucht bloß mit dem Daumen über die Schneide zu streifen, so fühlt man, daß sie geschärft war – geschärft war, schon als sie zur Tat gebraucht wurde!«

Mieder war es stille geworden, und man hörte das schwere, halb stöhnende Atemholen des Angeschuldigten.

»Nun, Kirninger, was haben Sie darauf zu sagen?«

Gurgelnd, als wenn der Mann im Begriffe wäre, an seinem eigenen Speichel zu ersticken, kamen die Worte heraus:

»Ich bin unschuldig.«

Auch humane Nachsicht hat ihre Grenzen und wenn ein Richter den Angeklagten einmal so weit hat, daß als der Mühe schönster Lohn nur mehr das reuige Geständnis zu erwarten steht, so wird Leugnen zum beleidigenden Unsinn! Doktor Haidenreich reckte sich hoch auf und sagte mit barscherer Stimme als bisher: »Korb, lassen Sie den Zach eintreten.«

Der Gendarmerieführer schritt nach der Seitentür und ließ den Fuhrknecht aus der Kammer.

»Zach, sehen Sie den Mann da genau an, Sie kennen ihn?«

Der Bucklige hielt es offenbar für überflüssig, der an ihn gerichteten Aufforderung zu entsprechen, denn er sah den Kleinhäusler gar nicht an, doch sagte er: »Freilich kenn' ich 'n, der Kirninger ist's!«

»Wiederholen Sie in seiner Gegenwart Ihre Aussage!«

»Jo, jo, mußt mer nit bös' sein, Kirninger, ich will nit dein Unglück –«

»Lassen Sie das, sagen Sie nur, was Sie vorhin angegeben und als wahr zu beeiden sich bereit erklärt haben.«

»Jo, jo, es fällt mir nur schwer, wie ich's anfassen soll.« Der Fuhrknecht kraute sich ein wenig hinter den Ohren, dann aber trat er ziemlich nahe an den Kleinhäusler heran und sagte in kurzer, abgehackter Redeweise, es hörte sich wie vertrauliche Keckheit an: »Jo, da hilft nix. G'sehn hab' ich dich, Kirninger, weißt, damal im Wald. Mit 'm Vettern bist 'gangen, mit 'm Kallinger. Ich bin g'fahr'n hinter euch. Af amol ward's verschwunden, alle zwei. Gleich drauf hab' ich ein' Schrei g'hört. Ein' nur. Dann ist's grad so g'west, als tat eines ein'n durch G'strüpp nachschleifen. Dann is Fried' wor'n und nach 'r Weil' bist du geg'n 's Dorf abi g'rennt, wie unsinnig. Jo, das is alles.«

»Und ich denke, das ist genug,« sagte Doktor Haidenreich. »Was haben Sie darauf zu sagen, Kirninger?«

Der Angeredete starrte mit verglasten Augen um sich. Er schüttelte den Kopf. »Nix nöt,« stammelte er mit heiserer Stimme, »'s is aus! 's is gar; macht's mit mir, was 's wollts.«

Er folgte willenlos, als auf einen Wink des Beamten Korb ihn aus der Stube führte.

*

Nachdem der bucklige Fuhrknecht von dem Beamten entlassen worden war, schlenderte er durch das Dorf; sonst fand er wenig Ansprache, denn man war ihm dahinter gekommen, daß er den Leuten ins Gesicht gar anders redete als hinter deren Rücken, und daß er, um sich bei einem schön zu machen, gleich ein halbes Dutzend schlecht machte, aber da es sich unterdem im Dorf verbreitet hatte, der Zach wär' so lang beim Herrn Gerichtsdirektor oben gewesen, hätt' eine so viel wichtige Aussage getan, ja, wüßt' beinah' anzugeben, wie es bei der Mordtat hergegangen, so liefen ihm diesmal die Leute geflissentlich in den Weg, und er ward es nicht müde, sobald ihn nur einer neugierig anblinzte, den rechten Arm bedeutsam, auszurecken und langgezogenen Tones zu beginnen: »Jo – oh Leuteln, hab'n tut mer den – mer hat 'n schon, den, der was 'n alten Kallinger umgebracht hat! Jo, und wer glaubt's, is's? Du mein, kein anderer nit als sein leibhaftiger Vetter, der Kirninger! jo! Was sagt's da dazu?«

Die Leute waren meist so ehrlich, anfangs einzugestehen: daß mer sich so was doch nit hätt' denken können, aber im weiteren Verlaufe des Gespräches versicherte fast jeder: daß er das auch gleich gedacht hätt'. No ja, der Mon versauft, 's Weib verspielt! Woher soll's kommen? Anderes wär' es' nit zu erwarten g'west.

Als Zach in die Nähe der Kirningerschen Hütte kam, stand dort schon eine Gruppe von Leuten, die sich unter lebhaften Gesten halblaut besprachen. Man winkte ihm, aber er schüttelte den Kopf und setzte seinen Weg fort bis zur Türschwelle, auf welche er einen Fuß stellte und nach der Küche hineinsah. Rosl war am Herde beschäftigt.

»Guten Abend, Kirningerin,« sagte der Fuhrknecht. Er sagte das sehr weich, es klang nach freundschaftlicher Teilnahme.

Es mochte aber auf Seite der Kleinhäuslerin wohl nur wenig Freundschaft für ihn bestehen, denn sie murrte auf das unfreundlichste zurück: »Guten Abend!«

»Bist wohl a arm's Weib, du,« fuhr der Bucklige teilnahmsvoll fort. »Tust mi recht erbarmen.«

»Reich bin ich nit,« erwiderte sie, »so arm aber doch nit, daß ich dir z' erbarmen brauch'.«

»Du weißt halt noch von nix, aber nimm dich z'samm', Kirningerin, tu dich z'samm'nehmen, daß dir nit schwach wird! Dein' Mon' b'halten s' bei G'richt, geb'n dir'n schwerlich wieder h'raus; heunt führ'n 's dir 'n noch fort.«

»Soll'n s'n, dö zahl'n mer noch was drauf, wann ich 'n z'rucknimm.«

»Gspaß nit, Kirningerin: bist wohl auch a jung' sauber' Weib, das sich getrösten kann, wann's ein' Mon verliert, daß sich leicht a zweiter fand', und sollt' sich keiner finden, wußt' ich dir'n rechten, denn es liegt mer schwer auf, daß ich geg'n dein' Peter aussag'n mußt', und der jetzt dem Galgen zufahrt –.«

»Was plauscht', du verruckt's Krippenmandel, du?« schrie die Rosl und lief mit geschwungenem Rührlöffel herzu.

»Kein Plausch, Rosl,« sagte Zach, die Hände vor der Brust faltend. »Wallt's der liebe Gott! Aber kein Plausch! Der Peter hat 'n Kallinger erschlagen.«

Rosl lachte laut auf, und über den Kopf des Fuhrknechts weg sprach sie zu den Leuten, die mittlerweile ganz nahe herangekommen waren: »Habt's es g'hört, was der da red't? Was sagt's denn dazu?«

Da rückte sich ihr aus der Menge der silberhaarige Kopf des Lehrers entgegen, und er sagte mit seiner dünnen und nun merklich zitternden Stimme: »Kirningerin, er sagt nur, was wahr ist, die Herren vom Gericht sind überzeugt …«

Da warf die Bäuerin den Holzlöffel hinter sich, und so wie sie war, mit wirren Haaren, barfüßig, nur mit Hemd und Rock bekleidet, stürzte sie aus die Straße hinaus und in jagender Hast dem Platz zu.

Dem Doktor Haidenreich, der eben bei Tische saß, ward gemeldet, daß das Weib des Kirninger um die Vergünstigung bitten lasse, mit dem Manne reden zu dürfen. Er erteilte den Bescheid, daß dem nichts entgegenstünde.

Die Rosl fand ihren Peter in einer Stube mit vier kahlen Wänden, leichenblaß, auf einem Stuhle mehr hängend als sitzend und von zwei Gendarmen bewacht; unbekümmert um deren Gegenwart warf sie sich ihm an den Hals, und wären statt der beiden fremden Männer so viele in der Stube gestanden, als Platz darin gefunden hätten, es würde sie nicht eingeschüchtert haben.

»Peterl,« rief sie, »da bin ich! Nix darf dir g'schehn, mein Peterl! Ich wollt' erst zu dir, eh' ich mit 'm Herr Gerichtsdoktor red'. Gelt, Peterl, du hast's nit getan? Kannst's nit getan hab'n!«

Der Kirninger schüttelte den Kopf. »Was hilft's aber?« begann er leise. »Mein' gute, liebe Rosl, wirst sehn, sie hängen mich doch auf oder sperr'n mich auf Lebzeit ein. Die Herr'n vom Gericht sein so streng, wann mer anders red't, wie sie sich's vordenken – und daß ich dir nur sag', die G'schicht is wild. Da is all's so austipfelt und z'samm'g'richt't, daß das Wen'ge, was ich ausz'sag'n weiß, einer Lug gleichschaut, und was ein anderer lügt, einer Wahrheit; dageg'n komm' ich nit auf! Ich denk' mer, woher dös Elend rührt; der Kallinger will sich ein' ins Grab nachholen, und dazu sucht er mich aus. Sieht ihm gleich, dem Kerl – Gott laß 'n ruhn – daß er 'n wahren Halunken lauft laßt und dafür mich hinnimmt. Hab'n mer sich doch bei Lebzeiten nit ausstehn können.«

»Ah, nein, Peterl, der soll sich nur um ein' andern umschau 'n und 's G'richt sich den suchen, der 'n erschlagen hat. Wär' net schlecht! Gerechtigkeit wird doch noch z'finden sein!«

Und nun drang sie in ihn, daß er ihr alles haarklein beichten möge, was er gefragt worden sei, was er darauf gesagt habe, was man ihm nicht glaubte, und was er für gelogen hielt, und als er damit zu Ende gekommen war, sagte sie, glühend vor Erregung und Unwillen: »Was bist du für ein Hasenfuß, daß du, wo es dir an den Kragen geht, nix anders zu sagen weißt als: »Macht's mit mir, was 's wollts!? Frei muß ich mich jetzt an deiner Stell' schämen, wenn ich zum Gerichtsdoktor geh'.«

»Laß's lieber sein, Rosl,« seufzte Kirninger. »Weibereinmengen führt da zu nix.«

Sie war aber schon aus der Stube gegangen.

Doktor Haidenreich war, wie aus seinem früheren Verhalten ersichtlich, ein humaner junger Mann, und wenn es ihn auch höchst unangenehm berührte, daß er vom Tische aufstehen und das Geheul eines Bauernweibes anhören sollte, so entschloß er sich doch, die Kirninger vorzulassen. Ihn mußte ja das arme Geschöpf dauern, dessen Dasein an das eines anderen geknüpft war, welches nun das seine auf so grauenhafte Weise verwettet und verwirkt hatte! Er wollte dem Weibe den Trost nicht versagen, den es etwa in dem Glauben fand, mit einer solchen Rücksprache alles versucht zu haben, was eben noch zu versuchen war.

Die Rosl stand recht couragiert in der Amtsstube, sie schien noch kein Gefühl für den Ernst der Sache zu haben, sonst würde sie wahrscheinlich mit starrem Befremden nach dem Adjunkten gesehen haben, der jetzt eintrat und vor dem Gerichtstische die Serviette, die er in der Zerstreuung vorbehalten hatte, aufknüpfte und ablegte. Daß einer essen, sich's schmecken lassen konnte, nachdem er eben einen anderen für den Galgen zugerichtet – und gar ihren Peter?! – Doch daran, wie gesagt, dachte sie nicht. Das weiße Tuch stimmte sie nur zutraulicher, sie knickste und sagte: »Wünsch' wohl gespeist zu haben, Herr Amtsdoktor! Und möcht's nit bös' sein, daß ich Euch hab' rufen lasten und nehmt's es auch mein' Mon nit für übel, daß Ihr Euch die viele Müh' mit ihm umsonst gemacht habt. Er war vorhin, wie Ihr ihm so hart zug'stieg'n seid, völlig wie vor'n Kopf g'schlag'n, das is aber auch kein Wunder, Herr, wir haben nie mit G'richten was zu tun g'habt, und er is eb'n von Haus aus so ein rechter Trauminöt; jetzt is er schon wieder so weit beinand, daß er sagen und recht schön bitten laßt, es möcht' zum andern Ausgeschriebenen dazu geschrieben werd'n, daß er bei seine Aussagen verbleibt, wie wahr is, daß ihm der Vetter die fünf Gulden g'liehen und unser Hacken zum Schärfen mitg'nommen hätt'. Er könnt' a Jurament vorm Kruxifiz mit brennende Kerzen ablegen, daß derselbe lebig und heil von ihm gangen wär'! Er vermöcht' wohl nit zu begreifen, wie die Hacken mit einmal g'schärft sein könnt', da möchten die Herren vom G'richt doch nur ja dazuschau'n, daß sich das aufklärt; aber das könnt' er sag'n, daß der Zach g'logen hätt', wann der ein' Schrei und wie eins durchs Gestrüpp g'schleppt würd', will g'hört hab'n, wo mein Mon nix davon g'hört hat, der doch näher am Ort war.«

Der Adjunkt hatte sich darauf vorbereitet, ein verzweifelndes Weib zu beruhigen, aber nicht einer resoluten Schwätzerin, welche noch dazu die Sache auf die leichte Achsel zu nehmen schien, Rede zu stehen; so sagte er nun mit mehr Nachdruck als Güte: »Daß Sie, beste Kirninger, als das Weib des Angeschuldigten, alles glauben, was der vorbringt und Ihnen einredt, das wird jeder erklärlich finden, aber dadurch wird für andere nichts in den Aussagen Ihres Mannes glaubwürdiger; weder Richter noch Geschworene werden an das ausgeliehene Geld und die anvertraute Hacke glauben, und damit steht die Sache so, daß wir allenfalls auf das Zeugnis des Zach, der übrigens auch zum Eide bereit ist, ganz verzichten können. Wird er angehört, so macht er nur ein Schaff überlaufen, das schon voll war.«

Die Kleinhäuslerin sah den Beamten erschreckt an. Jetzt dämmerte es in ihr auf, daß hier die heiligste Versicherung der Unschuld kein Gehör finde, und daß man' der Wahrheit der eigenen Behauptung nur Glauben verschaffen könne, wenn man die Falschheit der fremden nachzuweisen vermochte; nun bekam die Sache mit einmal ein gar anderes Gesicht, und der Rosl wollte schier aller Mut sinken. Sie strich sich die Haare aus der Stirne und feuchtete mit dem Schweiße, der ihr auf derselben stand, die Hände, ehe sie diese bittend zusammenfaltete: »Herr, begeht kein Unrecht.«

Der Doktor warf ihr einen strengen Blick zu.

»Greift nicht fehl, wollt' ich sagen,« stammelte sie.

»Ich kann da, wie anderswo, nur handeln, wie mir meine Pflicht vorschreibt. Um den Ausgang der Sache habe ich mich nicht zu bekümmern, der hängt von der Verhandlung ab, und wenn der Kirninger glaubt, mit dem Leugnen etwas zu richten, so mag er ja dabei bleiben, er kann sich nach einem geschickten Verteidiger umsehen, und dessen Aufgabe ist es dann, die Anklage zu entkräften, und der hat auch zu sorgen – nicht das Gericht, das einen ganz anderen Standpunkt einnimmt – wie er aus der stumpfen Hacke eine scharfe macht.« Der Adjunkt deutete bei den letzten Worten nach dem Mordwerkzeuge, das noch auf dem Tische lag.

Rosl folgte mit einem scheuen Blicke dem weisenden Finger des Beamten. Plötzlich blieben ihre Augen starr auf dem Gegenstande, der sie eben fürchten machte, haften. Der Stiel der Hacke beschwerte einen Riskonto und einen mit Nummern beschriebenen Zettel, nach letzterem streckte das Weib die Hand aus und fragte stotternd: »Ich bitt' – ist der Zettel wohl vom Vettern?«

»Er wurde bei ihm vorgefunden,« sagte Doktor Haidenreich, und da er dem Interesse der Kleinhäuslerin, bei deren bekannter Leidenschaft, nur einen Grund zu unterlegen vermochte, so setzte er verächtlich hinzu: »Will Sie vielleicht Ihr Glück mit diesen Nummern versuchen? So kann Sie's ja ansehen.« Er zog das Papier hervor und schnellte es ihr hin.

Sie faßte danach und im nächsten Augenblicke gellte ein wilder Schrei, der aber nach maßloser Freude klang, durch das Gemach. Dann sank Rosl neben dem Tische in die Knie, und mit beiden Händen an eines von dessen Beinen sich anklammernd, begann sie abwechselnd laut zu schluchzen und zu lachen, mitten darunter blickte sie mit den tränenden, freudig funkelnden Augen zu dem Beamten auf und rief ein über das andere Mal: »Ich bin nit narrisch, Herr! – Obwohl' 's wär' kein Wunder! – Nur a bissel laßt Zeit, Herr. Gleich kann ich wieder weiter reden!«

Den Adjunkten beunruhigte dieser Auftritt sehr, er hob das Weib von der Erde auf und sagte eindringlich: »Um Himmels willen, fassen Sie sich! Sie müssen reden, sonst versteh' und begreif' ich nicht, was mit Ihnen vorgeht.«

»Ja,« sagte sie leise und dann stand sie eine Weile, beide Hände gegen die Brust pressend, und nun streckte sie plötzlich die Arme aus und reichte mit allen zehn Fingern den Zettel dar. »Solche Zettel hat er mir hundert ins Haus gebracht, und das ist der, den er mir noch auf d'Letzt zu bringen versprochen hat, und der Erweis für mein' Peterl sein' Unschuld! Denn – Herr – wenn mein Mon 'n Vettern sollt' um'bracht haben, dann konnt' sich bei dem der Zettel da nit vorfinden, mit Nummern, die um die nämliche Zeit, wo man die zwei im Wald g'sehn hat, erst viel' Meil'n weit vom Ort sein gezogen worden und erst viel' Stund' danach in der Kreisstadt ang'schrieb'n war'n!«

Der junge Doktor hatte rasch nacheinander die Farbe gewechselt; erst war er blaß geworden, dann rot bis unter die Haarwurzeln, bald aber gewann er seine frühere Gelassenheit wieder, er nickte dem jungen Weibe zu, sich stille zu verhalten, und schritt rasch im Zimmer auf und nieder, mit den Fingern der Rechten sich an der Stirne kraulend.

Wie lag die Sache nun? Der Kallinger war also in der Kreisstadt gewesen, das wies der Zettel – der, ärgerlich genug, anfangs ganz übersehen worden war – unwiderleglich nach, das wies nun auch die Hacke nach, die der Alte dort hatte schärfen lassen und mit der er entweder am Morgen des anderen oder noch am Abende desselben Tages erschlagen worden war; wenn man das letztere annahm, konnte er aber unmöglich in verhältnismäßig so kurzer Zeit den Weg hin und zurück zu Fuß zurückgelegt haben, er mußte also – gefahren sein! Es meldete sich niemand zur Aussage, daß er ihn auf den Wagen genommen habe, und daran, daß dieser Umstand verschwiegen bleibe, konnte nur dem Täter gelegen sein und nur der konnte einen Vorteil darin ersehen, die Behörde durch eine falsche Anklage irre zu führen; der Fuhrmann Zach aber hatte gelogen, soweit es nämlich den Kirninger betraf, den Schrei, und nur den einen, mochte er ja gehört haben, als er den Mann auf einen Streich niederschlug, und auch durch das Gestrüpp das Schleifen des schweren Körpers, an dem er selbst Hand angelegt hatte?

Doktor Haidenreich riß an der Klingelschnur. »Korb,« sagte er zu dem eintretenden Gendarmerieführer, »der Kirninger geht frei.«

Korb machte große Augen, aber Fragen war nicht seine Sache, übrigens hatte er es in diesem Falle auch gar nicht not, denn der Adjunkt fuhr in flüsterndem Tone fort: »Ohne Arrestanten gehen wir aber doch nicht von hier. Nehmen Sie allsogleich die Verhaftung des Fuhrknechtes Zach vor.« Dann wandte er sich an die Kleinhäuslerin: »Gehen Sie nur mit dem Herrn Führer, er wird Ihnen Ihren Mann zurückgeben.«

Rosl stürzte auf den Beamten zu: »Vergelt's Gott, Herr!« Sie preßte seine Hand an ihre Lippen, und er fühlte sie von ihren Tränen benetzt. Er sah sich mit einer Art hilfloser Verlegenheit nach Korb um.

»Kommen S', Kirningerin, kommen S',« trieb der Führer, »freu'n Sie sich draußen.«

Der Soldat ging strammen Schrittes voran, stolpernd, da ihr vor Erregung die Knie zitterten, folgte Rosl; als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, nahm der Adjunkt seinen Spaziergang durch die Stube wieder auf. Er wischte mit dem Tuche über die Hand, auf welcher die Küsse und Tränen des jungen Weibes gebrannt hatten. Wenn er nicht zu beschäftigt gewesen wäre, so würde es ihm vielleicht aufgefallen sein, wie unendlich dankbar Leute aus dem geringen Volke sich anstellen, wenn ihnen nur ihr Recht wird; ihresgleichen mochten eben lange Zeiten durchlebt haben, wo es ihnen vorenthalten wurde, oder sie gar keines besaßen.

Dem Doktor Haidenreich blieb indes wenig Zeit, Betrachtungen welcher Art immer anzustellen, denn Korb hatte sich gar nicht weit nach dem Fuhrknechte umzusehen, er fand ihn in der Nähe des Bürgermeisteramtes unter anderen Herumtreibern, welche sich die Wegfahrt des Kirninger mit ansehen wollten. Er brauchte also nur höflich eingeladen zu werden, in das Tor zu treten und sich die Treppe hinauf zu bemühen.

Es heißt nicht umsonst: den schuldigen Mann geht das Grausen an; dem Buckligen machte es bange genug, noch einmal vor den Gerichtsbeamten zu müssen, und als ihm seine falsche Zeugschaft vorgehalten und er daraufhin weniger gefragt, als vielmehr ihm bedeutet wurde, welcher Art Dinge und in welcher Weise sich dieselben zugetragen haben dürften, da ward es ihm je länger je bänger. Doch nahm er anfangs eine einfältige Miene an, wie einer, der eine Anschuldigung gar nicht zu fassen imstande sei, und eine Weile über versuchte er es unter Kopfschütteln, Beteuerungen und jammerigem Getue zu leugnen, worauf schließlich freilich alles ankam, nämlich, daß er mit dem Kallinger zusammen gewesen. Als aber der Adjunkt ihn anschnauzte, er solle nicht so dumm sein, unsichtbar hätt' sich keiner von beiden machen können, und der Bäcker, dem er' das Mehl ablieferte, der Wirt, bei dem er eingekehrt, der Mauteinnehmer, an dem der Wagen hin und zurück vorbeigefahren, würden ihn ja doch mit dem Alten zusammen gesehen haben – da warf es ihn hinter sich; auf dem Boden liegend, braunrot im Gesicht, rang er nach Luft, so daß Korb sich beeilte, ihm den Knoten der Halsbinde zu lösen.

Nachdem er wieder zurecht gebracht worden war, schritt er zum Geständnisse, er hatte wenig mehr zu sagen. Er traf den Kallinger außer dem Walde und der bat, aufsitzen zu dürfen. Damals hatte er noch keinen Gedanken gehabt, den Alten zu berauben, der kam ihm erst auf dem Rückwege, als sie beide, den Hang hinab, neben dem Fuhrwerke hergingen, der andere voran. Auf dem Sitzbrette des Wagens lag die Hacke, sie war an dem Drehsteine des Wirtes in der Stadt von ihnen beiden geschärft worden, um sich den Schleiferlohn zu verdienen; er faßte danach mit der Rechten, zugleich riß er das Leitseil mit der Linken an sich und brachte durch Zuruf die Pferde zum Stehen. Indem er vorgab, es sei an den Strängen etwas in Unordnung, veranlaßte er den Alten, danach zu sehen, und als sich der niederbückte, schlug er zu. Den Leichnam zerrte er durch die Büsche auf die nahe Waldwiese. Noch in derselben Nacht sei großer Schneefall gekommen, der alle anderen Spuren vertilgte. Das Geld habe er vergangenen Fasching »verjuxt«.

*

Die Kirningerschen Eheleute waren von ganzem Herzen damit einverstanden, daß man sie, um alles Aufsehen zu vermeiden, durch ein Hinterpförtchen des Amtshauses entließ, und sie scheuten den Umweg um das ganze Dorf auch gar nicht; wie ein paar Kinder, Hand in Hand, liefen sie nach Hause.

Es war ziemlich spät in der Nacht, als vor ihrer Hütte Wagengerassel laut wurde; Rosl trat an das Fenster, dessen einer Flügel offen stand, und sah die Kalesche des Adlerwirtes herankommen, der Gerichtsadjunkt saß darin, die Kappe tief in die Stirne gerückt, der Wagen bog um die Ecke, der Waldstraße zu, hinterher kam ein sogenanntes Steiererwägel, das war von mehreren Leuten besetzt, Bajonette blitzten im Mondlichte – Rosl zog hastig den Fensterflügel zu und trat scheu zurück. Das Gefährt rädelte schnell vorüber, und wieder herrschte außen das Schweigen der Nacht.

Rosl hatte sich an Peter geschmiegt. O, wie froh waren sie, einander wieder zu haben! Sie hatten erst zusammen gebetet, nun tauschten sie gegenseitig heilige Gelöbnisse, Peter, das Trinken zu lassen, Rosl, das Spiel aufzugeben: kein Schlaf wollte ihre Augen schließen, der dämmernde Morgen fand die beiden glücklichen Leute noch wach. Nur das vermag ich nicht zu sagen, ob sie die ganze Zeit über gebetet und Gelübde abgelegt, denn ich war nicht dabei.


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