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Die Sonne brannte hernieder, die Steine auf der Straße waren so heiß, daß kein Bettler sie aufgelesen haben würde, um damit nach bellenden Hunden zu werfen, wenn es an diesem Tage welche gegeben hätte, denn die Tiere hatten sich verkrochen und lagen mit lechzender Zunge, die Beine von sich gestreckt, längelang in irgendeinem Winkel. Feiner fahlgrauer Staub lag über allen Wegen, stob unter jedem Tritte, unter jedem Wagenrade auf, aber da die Füße sachte traten und die Räder langsam Speiche für Speiche sich umdrehten, so sanken die Wölkchen, welche Fußgänger und Wagen auf Steigen und in Geleisen aufjagten, schwerfällig und wie matt an der Stelle in sich wieder zusammen. Kein Lüftchen regte sich, es war ein Mittag zum Verschmachten und Erntezeit noch dazu. Die Felder waren belebt von Arbeitern, die mit Mühe ihrer Ermattung Herr blieben; die Häuser der Ortschaften standen verlassen.
Auf weite Ferne zeigte sich die Straße, die an den Dörfern vorüberführte, unbegangen und unbefahren, denn das einzige Gefährt, das ab und auf zu erblicken war, stand am Fuße eines kleinen Hügels wie angewurzelt; es war ein sogenanntes Steirerwägelchen, das braune, magere Pferd davor hielt den Kopf tief gesenkt, es schien von seiner Entschließung abgehangen zu haben, ob es weiter wolle oder nicht, und angesichts des ansteigenden Weges hatte es sich offenbar für das letztere entschieden und war stehengeblieben.
Auf dem Kutschsitze befanden sich zwei schlafende Männer: ein kleines, greises, verrunzeltes Bäuerlein, der Fuhrmann; seinen Händen waren die Zügel entglitten, die Peitsche lag im Straßenstaube, der Hut war dem Alten rückwärts ins Korbgeflechte gefallen, und sein Kopf mit der schwarzen Zipfelmütze lag quer über dem Magen des zweiten Schläfers, eines überlangen, robusten Menschen, der in einer ganz unglaublichen Körperverdrehung hintenüber und ein gut Stück seitwärts zum Wagen hinaushing.
Je länger er in dieser Stellung verharrte, je empfindlicher mußte sich ihm das Unbehagliche derselben merkbar machen. Plötzlich fuhr er mit einem Ruck aus dem Schlafe empor, wobei er den Kopf des Männleins etwas unsanft von sich stieß, so daß der Alte, der nicht gleich wußte, wie ihm geschah, in ein klägliches Gewimmer ausbrach.
»No, no, Hans Melcher«, beruhigte ihn der Lange, »sei nur gut. Komm zu dir. Es war nit bös g'meint, is nur ungern g'schehn. Schau, sein mir heilig all' zwei da eing'schlafen. Is kein Munder bei so einer einduseligen Hitz'. Ich glaub' gar, der Braun' halt't auch a Schlafert. Tut mir leid, das Vieh aufwecken zu müssen, aber das Büherl muß er uns schon noch h'naufziehen, dann könnt's weiterschlafen, wie's wöllt's.«
»Du wollt'st doch nach Elberfeld, wie d' g'sagt hast?« fragte der ermunterte Fuhrmann.
»Freilich will ich nach Elberfeld, aber ich hab' mir's überlegt: ich steig' enterm Bühel ab und geh' 'n Feldrain nach mein's Wegs.«
»Ah, beileib'«, meinte der Alte, »da fahr'n wir doch in einer klein' halben Stund' grad zum Ort ein; über dö Steig' gangst doch weitmächtig um und noch dazu mit der Kirchen ums Kreuz; kamst ja am verlor'nen End' hinzu, als wollt'st dich einschleichen.«
»Vielleicht is's eh' nit anderscht«, entgegnete der Lange. »Halt'n mer uns nit länger auf. He, suchst dein' Peitschen? Jo, dö liegt da drunten. Wart, müh dich nit, ich reich' dir s' schon h'rauf.« Er sprang vom Wagen, hob die Peitsche auf und schwang sich dann wieder auf den Kutschsitz. »So, hitzt laß's g'mach vorangehn, schreck mir dös arme Bräun'l nit mit ein' gachen Streich auf. Wohl, no, wohl, hiö!«
Sie fuhren den Hügel hinan und lenkten an der anderen Seite sachte hinab. Das Wägelchen hielt an einem Feldwege.
»Dös war' der Weg, den d' wohl meinen magst, wann dir's mit 'm Geh'n ernst is«, sagte der Alte mit einem forschenden Aufblick.
Der Lange stieg vom Wagen. »Mein völliger. No, dank' ich. dir schön und da hast dein Ausbedungen's. Er reichte dem Alten ein paar Münzen hinauf.
»No, vergelt dir's Gott und behüt dich«, nickte freundlich der Fuhrmann. »Wird nit alt werd'n im Westentaschel bei so einer dürstigen Zeit. Hehe!« Doch der andere schritt schon auf dem Feldwege dahin, und nun blickte das Bäuerlein ihm kopfschüttelnd nach. »Der will auch wohl mit Müh' hinzu, wo er gradwegs leichter hintreffen könnt', oder gang' er gar auf üblen Wegen, weil er 's Einschleichen nit verred't? No, so möcht' mer sich eh' nimmer begegnen, und 's geht mich um und auf nix an.«
Er schnalzte mit der Peitsche, und das Pferd trabte langsam weiter.
Der Mann, der das Gefährt verlassen hatte und nun, ohne nach selbem umzusehen, den Fußsteig über eine weite Wiese verfolgte, gehörte wohl der Sprache nach zu den Leuten in der Gegend, aber die Tracht machte ihn fremd, und er mochte von weit hergekommen sein.
Das breite, etwas derbe, aber gutmütig scheinende Gesicht, mit blassen, eingefallenen Wangen, beschattete ein grober, breitrandiger Strohhut, wie ihn die bei Bahnbauten und Erdaushebungen beschäftigten Italiener häufig tragen, eine leichte, graue Bluse saß ihm etwas stramm an den breiten Schultern und über dem weiten Brustkorb und hing dann faltig bis zu den Knien herab, die Zwilchhose, die darunter sichtbar wurde, hatte er in die hohen Röhrenstiefel geschlagen. Freihändig, ohne Bündel oder Stock, schritt er bedächtig dahin, der Sonnenbrand riet zu nachdrücklich von jeder Eile ab, und dem Wanderer schien auch nicht an solcher gelegen, denn sooft er auf einen der wenigen Sträuche traf, die an dem Raine wuchsen, streckte er sich auf den Rasen nieder und verschnaufte und wischte sich die perlende Stirne mit einem schreiend roten, gelbgeblümten Tuche.
So legte er in einer ziemlich geraumen Zeit die unter anderen Verhältnissen kurze Strecke bis Elberfeld zurück und erreichte schließlich den Ort, wie der Fuhrmann vorhergesagt hatte, bei dem »verlorenen Ende«, da wo nach der weiten Halde hinaus noch vereinzelte Gehöfte weitab voneinander lagen.
Auf eines dieser Anwesen, das ein wenig besser hersah wie die umliegenden, schritt er nun ziemlich rasch zu; schon von ferne sah er auf der Bank neben der Haustür eine Gestalt sitzen, und er hielt zögernd inne und machte einen langen Hals, dann murmelte er vor sich hin, als schelte er mit sich selber, und stand in wenigen Augenblicken vor einem alten, dürren Männlein. »Grüß Gott, Anzinger«, sprach er es an.
»Auch so viel«, sagte der Bauer mit einer feinen, dünnen Stimme; er blickte mit den tiefliegenden Triefaugen ungewiß auf. »Wer is's denn?«
»Denk' mir's«, sagte der Lange, »daß d' mich halt wohl nimmer erkennen magst. Der Tritz Poldl bin ich.«
Der alte Bauer wackelte mit dem Kopfe, der ihm wieder auf die Brust gesunken war, dann hob er ihn und hielt ihn mit Mühe auf dem vorgereckten Halse aufrecht. »Jesus, Maria und Joseph«, kreischte er, »der Tritz Poldl!« Er griff mit den zitternden Händen nach dem Stocke, der an seiner Seite lehnte, und versuchte sich zu erheben.
»No, fürcht dich nit, fürcht dich nit, Anzinger, ich tu' dir nix«, begütigte Poldl. »Nur sag'n sollst mir, ob dein Weib noch lebt.«
»Jo, jo, leb'n tat's wohl schon noch«
»Is mir recht lieb. Mit ihr hält' ich was z'reden, denn du bist all dein Zeitlang a g'schreckt's Simandl g'wesen, mit dem mer sich nit verstehn könnt', außer 's hat dir zuvor dein Weib dö Wörter, dö d' vorbringen durft'st, aus ihr'm Fürtuch zu'zählt. Sie wird wohl daheim sein?« Er machte Miene, in das Haus zu treten.
»Halt aus!« schrie der Alte und streckte seinen Stock quer über die Schwelle. »Du hast nix mit uns z'schaffen. Geh deiner Weg'! Ins dritt' Jahr liegt s hitzt (jetzt) schon, lahm an' Füßen, im Bett. Willst mir s 'leicht z' Tod' schrecken, wann d' h'neinkamst, so gach (jäh) und unversehn?«
»Das bedauert mich«, sagte der Lange, »daß ich sie so siech und elendig betreffen muß. Aber geh du nur h'nein zu ihr, sag ihr, der Tritz Poldl wär' da und hätt' ihr manch's z'sagen. Weißt, ich denk' nit, daß sie sich vor mir fürcht't, sie muß doch denken, eher hätt' ich ein' Grund, sie z'scheuen. Also tu mir den G'falln, Anzinger, und richt ihr dös aus.«
»Nein, nein«, greinte der Alle, »eh' lass' ich bevor mich erschlagen, als ich s' dir preisgab'. Versündig dich nur gleich an mir auch! Nimm uns all' zwei aufs G'wissen!«
»Du bist a Narr, Anzinger, weder ihr noch dir will ich übel«, sagte der Poldl.
»Oh! han? Und warum denn kamst zu einer Zeit, wo d' 's G'sind af 'm Feld und uns zwei arme Hascher allein da weißt?«
»Weil ich allem mit der Bäuerin reden und lang, vor 's G'sind heimkehrt, wieder weg sein will. Also ich bitt' dich. Anzinger, sei so gut und bring ihr mein' Botschaft vor. Wann sie sich fürchten sollt', sie braucht's nur frei h'rausz'sagen, so geh' ich gutwillig wieder von da weg.«
»Ah, jo freilich, ich weiß, du rechenst halt af ihr verwogene Kuraschi. Döselbe hätt' s' noch heutigstags, jo, oh, wohl, aber da is 's Denken 'm Mon sein' Sach', und dös gibt's nöt, ewig nöt, daß ich ihr so ein' Mörder und Leutumbringer zuließ'!«
»Anzinger!« schrie der Poldl auf. Er erhob die geballte Faust, schlug sich aber sofort selbst vor die Brust, daß es dröhnte, und fuhr nach einer Pause in ruhigem Tone fort: »Anzinger, schau, sei nit dumm. An was könnt' mir g'legen sein? Geld brauch' ich keins. Wo ich war, mußt' ich arbeiten und hab' verdient, wenn auch nit viel, aber auf die Dauer kommt doch was z'samm'. Um 's Euere is mir wahrlich nit, um was denn nachher dann?«
»Oh, du Schlaucher, könnt'st uns nit unsre Zeug'naussag' vor G'richt heimzahlen wöll'n?«
»Aber, Bauer«, lachte der Poldl laut auf, »du bist doch noch der nämlich' Lippel, der d' voreh' g'wen warst. Denk doch nur a bissel nach. Wenn ich af so was ein' Gedanken hätt', krähet schon kein Hahn mehr nach eng zwei. Meinst, da stund' ich Zeit und Weil' h'rum und ließ' mich erst af ein' langen Plausch ein? Nur g'scheit sein, Anzinger! Hab dein' Will'n, geh h'nein zur Bäuerin und sag ihr mein' Post. Ich setz' mich derweil da af 's Bankel nieder und wart' 'n Bescheid ab. Will d' Anzingerin nit, so will s' nit. Magst ihr's auch gleich ausrichten, von Nutzen wär's ihr nit, was ich vorz'bringen hab', aber sie wurd' dann um all's wissen, wie 's hergangen is, und das dürft' s' vielleicht doch verinteressier'n.«
Der Alte erhob sich mühselig vom Sitze. »Jo, dös, dös tat's wohl mich aber auch.«
»Du kannst ja nebensitzen und zulosen sagte der Tritz Poldl, auf der Bank Platz nehmend.
Der Alte verschwand in dem Hausflur, man hörte das Aufstapfen seines Stockes, bis es hinter einer sich öffnenden Tür erstarb.
Der Mann, der da auf der Bank vor dem Hause saß, stemmte beide Ellbogen auf seine Knie, legte den Kopf in die hohlen Hände und versank in Nachsinnen. Er gedachte, wie oft er einstmals hier gesessen habe, den Blick in dieselbe weite Gegend gerichtet – vor langen Jahren – vor nahezu zwanzig – und wie weder zu hoffen noch zu glauben war, daß er jemals wieder an dieser Stelle sitzen werde. – –
Der alte Bauer war in eine geräumige, aber düstere, dumpfige Stube getreten, sie lag nach dem Hofe hinaus. Die kleinen vierscheibigen Fenster waren sorgfältig geschlossen, überdem durch kattunene, geblümte Vorhänge geblendet, trotz außen die Holundersträuche mit ihren dichten Zweigen davor schatteten. In der Ecke stand ein Bett, und darin ruhte die sieche Bäuerin; durch viele Polster, die ihr hinter den Rücken geschoben waren, unterstützt, hielt sie sich mit dem Oberleibe fast aufrecht. Die vielen Runzeln in dem fahlgelben Gesichte und noch mehr die faltige Haut an den abgezehrten Armen, die sie vor sich auf der Bettdecke liegen hatte, ließen darauf schließen, daß sie einst eine Frau von stattlichen, fülligen Formen gewesen sein mochte, jetzt war sie gar hinfällig und herabgekommen anzusehen, nur die großen, dunkeln Augen, die sich nach dem Gegenstände, der ihre Aufmerksamkeit herausforderte, mit einer gewissen Entschiedenheit richteten, verrieten, daß diesem der Auflösung nahen Körper eine starke Willenskraft innewohnte, die nun durch das schwere Siechtum niedergehalten, aber doch nicht gebrochen wurde.
Als der alte Bauer zur Tür hereingehumpelt war und diese hinter sich ins Schloß gedrückt hatte, sagte er, die Augenbrauen hochziehend und das Kinn schief haltend: »Du Mutter!«
»No, was gibt's denn?«
»Denk dir, wer jetzt da draußt sein tät'? Aber du kannst dir's gar nit denken!«
«Ei, so sag gleich, wer's ist!«
»Du därfst aber nit d'erschrecken, denn ich bin's nit schlecht, wie er af amal vor meiner g'standen is.«
»Schneid nit viel h'rum!«
»Der Tritz Poldl!«
»Jesses und Joseph! Wie kam' denn der her? Bist aber auch g'wiß?«
»No, wann er's selber sagt, wird er's wohl sein.«
»Und daher kimmt er, daher g'traut er sich, wo er sich doch denken mag, mer ließ' sich mit 'm leibhaftigen Gottseibeiuns grad so lieb ein, wie mit ihm? Was will er denn?«
»Reben will er, mit all'm G'walt reden mit dir und dir von all'm 'n Hergang sag'n. Ich – hat er g'sagt – dürft' auch dabei zulosen, jo!«
»So, na is ja recht. Der kimmt mer eben g'legen. Ruf mir 'n nur h'rein. Wann mer so in Tagen und Nächten daliegen muß und fort und fort selbeigene Gedanken sich machen und döselb'n auch allanig austragen wie ich armer Wurm, da trifft sich so a extraiche Neuigkeit wie g'wunschen, wann's ein'm auch dabei a bissel kalt über'n Rucken lauft und z'gleich in den Fäusten juckt. Hol 'n nur h'rein!«
»Aber, Mutter, so ohne Überleg'n –«
»Du weißt's nit, wie a öften ich mir schon in Gedanken vorg'stellt hab', ich kam' mit ihm noch amal z' Red' und könnt' ihm all's h'neinsagen, was ich von damal im Herzkammerl einb'schlossen b'halten mußt', samt was sich zeither hinzug'funden hat. Der klein' Bremsler von vorhin, wie ich hör', 's Geträumte wollt' mit eins leibhaft auf mich zu, is schon verwunden. Überlegens hat's weiter bei mir nit not. Laß 'n nit z'lang warten, bring 'n!«
Der Alte stolperte hinaus. Bald ließen sich neben seinen schlurfenden, von Stockgestampfe begleiteten Schritten die festen Tritte des Erwarteten vernehmen. Er trat mit dem Bauern zugleich ein.
«Grüß Gott, Bäuerin«, sagte er. »Es tut mir leid, daß ich dich so finden muß. D' Hand will ich dir nicht reichen, denk', du wurd'st s' nit annehmen.«
Die Bäuerin nickte ihm mit einem bösen Lächeln zu. »Du hast schon recht. Ich muß wohl sagen, ein Begegnen von uns zwei hätt' ich af derer Welt nimmer d'erwart't, und in der andern wär'n wir, wie ich von Gott's Barmherzigkeit wohl erhoffen darf, nit an ein'm Ort z'samm'g'troffen! Wie sich aber das schicken könnt', daß du jetzt doch da zur Stell' sein magst, möcht' ich wissen: bist ausgebrochen?«
»Nein, sie haben mich freigelassen. Der Kaiser hat ein' Bub'n g'kriegt, und da is, wie sie's benamen, a Amnestie ausg'schrieb'n word'n, und weil ich mich im Strafhaus brav g'halten hab', hat mich der Verwalter für dö Begnadigung empfohlen, und ich könnt' gehn und komm' grad noch z'recht, daß ich mich meiner alten, verlassenen Mutter annehmen kann, dö d' Leut' unschuldigerweis' für das hab'n leiden lassen, was doch nur ich getan Hab'. Zu ihr war mein erster Gang, ihr mein Eing'kauft's und Erspart's zutrag'n, mein zweiter war daher zu dir.«
»Und du hast dich nit lieber ins Erdwinkerl, wo 's selb' alte Weib haust, verschlossen, daß du von uns nix weißt und wir nit von dir? Macht dich dein unverhofft' Glück so weit übermutig, daß du mir aus Trutz unter d' Augen gehst, nit anderscht, als wollt'st mir aufweisen, daß ich dir damal nit g'nugsam g'flucht hätt'? Und du fürcht'st dich nit, daß ich's nachhol'? Gleichwohl, wann ich's unterlass', g'freu du dich nit, denn ich tu's nur meinetwill'n, kein' Sünd' mehr auf mich z'laden, wo ich – wer weiß wie bald schon – vor Gottes Thron muß! Doch sei sicher, daß ich da drob'n unfern Heiland fortzeit anliegen will, daß dir nimmer kein' ruhige Stund' af Erden g'schenkt sein soll!«
»Red' doch nicht so weibfahrig. Du wärst a rare Heilige, die d' Sünd' sich für 'n Himmel aufspart. Meister a weng dein' Zorn und hör mich an. Eb'n dein'm damaligen Fluchen wegen bin ich da, aber nit dir zum Trutz, sondern um dir z'sagen, du hätt'st zum wenigsten Not und Anlaß dazu g'habt.«
»Willst du vielleicht auch mir ins Gesicht leugnen, wie 'n G'richtsherrn, daß du 'n Scheibner Franzl erschlagen hast?« schrie das Weib erregt.
»Bewahr, dir will ich ja nix verschweig'«, dir will ich ja anvertrau'n, was weiter kein' lebende Seel' af Gott's Erdboden von mir erfahren soll! Dö G'richtsherr'n hab' ich freilich wohl ihr'n eigenen Weg gehen lassen, und dö hab'n mir schließlich auch alles sein und findig g'nug auf- und nachg'wiesen und mich af lebenslang verurteilt; vorm Eing'stehen aber hat mich der Doktor g'warnt, der mich verantwort't hat, denn af a solch's hin hätten s' mich auch aufhängen können, und das war' mir der Scheibner doch nit wert g'wesen. Und wie mir der nämlich' Doktor das Hölzl g'worfen hat, ich möcht' mich ausreden, wir wär'n zufällig strittig word'n und unversehen üb'reinand' g'raten, da hab' ich auch kein G'hör drauf geb'n, es war' a Lug g'west, und Sünd' wollt' ich keine, 's Scheibners weg'n, af mich nehmen.«
»Heilige Mutter Anna!« zeterte entsetzt die Bäuerin und schlug die mageren Arme über dem Kopfe zusammen. »Kein' Sünd', sagt er, kein' Sünd', wie a leichtverzeihliches Lugen is, wollt' er z'weg'n dem af sich nehmen, den er ums Leben bringt! Ja, rechenst du die Mordschaft an ihm, wie d' ihn vom breiten Weg in 'n Wildbach g'stürzt hast, für kein' Sünd', die dir sein'thalb af der Seel' brennen soll, du dreifach verhöllter Mordknecht, du?!«
Der Tritz Poldl winkte beschwichtigend mit der Hand. »B'halt nur deine Wort' im Gedenken, Bäuerin, wir kommen spater schon noch drauf z'ruck.«
»Oh, wohl behalt' ich alle meine Wort' im Gedenken, auch mein' ersten Schrei weiß ich noch allz'gut, wie damal dein' Mordtat ist offenkundig word'n: 'n Tag hab' ich verflucht, wo du uns unters Dach kämma bist!«
»Dadrauf kommen wir auch«, brummte der Poldl.
Aber die Bäuerin fuhr laut schreiend fort: »Wann du nit g'wesen warst, du Auswürfling, wann du nit der Viktel ihr'n Schatz vom Leben g'bracht hätt'st, so säß' s' jetzt af 'm Scheibnerhof als d' reichste Bäuerin im Tal!«
»Sie säß' nit, Anzingerin! Da kommen wir erst recht drauf!«
»Willst du mich narren mit dein'm ewigen Draufkommen? Laß dir sagen, worauf ich dir g'kommen bin, was du freilich dich ausz'sagen g'scheut hast, und was ich bis heut bei mir b'hallen Hab', weil ich's nit vor aller Welt vorbringen wollt'; es wär' uns nur a Schand' g'west. Aber dir ins G'sicht, du Schuft: verliebt warst in unser Viktel! Schon gleich anfangs hab'n mir die Augen nit g'fallen, mit dö du dös noch halbwüchsige Menscherl betracht't hast, und wie s' mannbar war, hab' ich wohl g'merkt, wie du um sie h'rumg'schlichen bist, aber Zeit hab' ich dir keine g'lassen und Gelegenheit hab' ich dir keine geb'n, daß du mit ihr hätt'st verkehren können, erst wie ich g'wiß war, daß du ihr so z'wider warst, wie sie dir lieb, hab' ich 's Lauern sein lassen. Aus Eifersucht hast du ihr 'n Scheibner Franzl erschlagen! Weil du nit, sollt' sie auch kein anderer haben, und weil s' nit mit dir dein Elend teil'n wollt', sollt' s' auch von kein'm Glück nix sagen können! Laugn's, daß's anderscht war, wann d' kannst!«
»Die Lieb' zu der Mklel laugn' ich dir nit, aber was d' mir an törichten Eifern und an schandbarer Bosheit zuschreibst, dös trifft nöt zu. Die Dirn' war mir lieb wie mein Leben. Wann ich dö neunzehn Jahr' und drüber, dö ich inner 'n Mauern g'sessen bin, freiledig h'rumg'loffen wär', ich hätt' mich doch um kein' andere umg'schaut, freilich – nachdem s' vom Scheibner mit ein' Kind 'gangen is – auch um sie nimmer, aber dazu hätt' mich nicht erst 's Strafhaus z'bemüssen g'braucht, daß ich ledig bleib'; ich wurd' nach keiner zweiten g'sucht hab'n.
Mir war die Dirn' so heilig«, fuhr der Tritz Poldl fort, »daß's mir ganz unvorstellig war, wie mer ihr mit ein'm unehrbar'n Zumuten unter d' Augen gehn könnt': aber auch mein' ehrbare Lieb' ihr anz'tragen, hat mir d' Kuraschi g'fehlt, und maniche schlaflose Nacht hat mich 's Nachsinnen g'kost't, af welche Weis' ich mich wohl am g'schicktesten dazu anstellen möcht'. Doch just wie ich mir's so halbwegs z'rechtg'legt g'habt hätt', wie ich's angeh', war's z'spat; da war s' schon mit 'm Scheibner Franzl verbandelt. Mir is's schwer g'nug g'fallen, dö Dirn' verloren z'geben, noch härter war mir's aber, daß es um den Bub'n g'schehn mußt', doch von Eifern war kein' Red', da müßt' ich drauf ausg'west sein, sie ihm wieder abwendig z'machen, und a Weib nimmt mer nit aus zweiter Hand, je lieber ein'm 's selbe sein mag, je weniger versteht man sich dazu. Wer aber nit amal 's Zeug hat, 'm andern d' Dirn' strittig z'machen, der hat's wohl noch weniger dazu, daß er 'n selben aus Eifersucht umbringt, und darauf, daß ich der Viktel all's Glück von der Welt vergunnt Hab' und heunt noch vergunn', darauf, Anzingerin, siehst mich d' Hand af 's Herz leg'n! Dein' Reden nach tut s ja noch leb'n, sag mir, wie geht's ihr denn?«
»Dank' der Nachfrag'. Der Wirt von Braunstetten hat sich bald danach in sie verliebt. Der war nit so heiklig wie du und hat s' g'heirat't und auch ihr'n Bub'n zu ihm g'nommen. Unang'sehn d' viel' Arbeit, geht's ihr ganz gut, und sie lebt recht z'frieden mit ihr'n Mon.«
»Und der Bub – macht er ihr und 'm Pflegevater wohl recht a Freud'?«
»Ei jo, er is a hellauf brav's Bürschel word'n.« »So, so? No, das is ja recht, das is wohl recht recht!«
Der lange Tritz Poldl wirbelte seinen Strohhut rasch zwischen den Fingern herum und hob bald das rechte, bald das linke Bein. »So war's doch nit umsonst! Das einzige, was mich oft fürchten g'macht hat, war, daß 's etwa umsonst g'wesen sein möcht'.«
»Was?« schrie die Alte, die sich unterdem bewußt geworden war, daß sie in ihren letzten Reden eine gewisse Sanftmut hatte merken lassen, und nun darüber in um so größeren Zorn geriet. »Du lügnerischer Schuft und Erzheuchler, tust du nit, als möcht'st d' dir gar noch af dein' himmelschreiende Sünd' was z'gut tun! Wann dich nit Eifersucht noch Bosheit afg'stift't hat, wann du 's nit uns z'leid und dir z'lieb g'tan hast, z'weg'n was wär's denn dann nachher überhaupt g'schehn? Warum, wenn dir an der Viktel ihr'm Glück was g'legen g'west wär', hast ihr dös zernicht't, was ihr schon aufg'spart war?«
Der Tritz Poldl richtete sich auf, so lang er war, und sagte nachdrücklich: »Mein' liebe Anzingerin, 's Glück könnt' deiner Dirn' damal keiner mehr zernichten, und was ich unternommen hab', das war nur geg'n 's Elend, was ihr aufg'spart g'wes'n wär'!«
Die Bäuerin starrte ihn mit offenem Munde an; der Bauer stöhnte Töne der Verwunderung heraus.
»Ös verlaubt's schon«, sagte der Tritz Poldl, sich einen Stuhl herbeiziehend. »Ich bin müd', daß ich nimmer warten kann, bis ös mich sitzen heißt!«
Er setzte sich an den Tisch, der in der Mitte der Stube stand. Vor sich niederblickend trommelte er mit den Fingern einen kurzen Wirbel auf der Platte, dann hob er den Kopf und fuhr fort:
»Jo, Anzingerin, da bist wohl nach der g'fehlten Seit' hin af der Lauer g'leg'n! Hast auch recht scharf g'sehn, wie alle Mütter, wo ihnen a Freier nit ansteht, aber herentgegen, wann ihnen einer in d' Augen sticht, da rinnen ihnen döselben völlig aus. Du hast das Nachlaufen von dem Burschen und das H'rumziehn mit ihm für a G'spiel g'halten, wobei dein Viktel 'n Scheibnerhof g'winnen muß, und nit bedacht, daß sie dabei auch ihr Ehr' verlieren könnt'! Du, dö nah' hätt' zusehn können, ob 's wohl ehrlich zugeht, hast dich fern g'halten, und ich, der ich mich schicklicherweis' fern halten mußt', könnt' nit nah' hinzusehn; du hast aber auch dann noch wie d' blinde Kuh in 'r leeren Eck', wo nix z'haschen is, mit 'n Händen nach der Luft g'faßt, wie schon lang 's G'sind hat zun Munkeln ang'hob'n über der Viktel ihre eing'fallenen Aug'n und über ihr sichtlich's H'nunterkränken, weil der Scheibner Franzi angefangen hat, allweil seltner zuz'sprechen und immer häufiger ausz'beugen, wann sie ihm 'n Weg hat kreuzen woll'n. No und da war's an dem Kirtag vor neunzehn Jahr'n, wo einer mit mir vom Tanzboden heim'gangen is, und der sagt zu mir: ›Poldl‹, sagte er, ›wann mir recht is, hätt'st du a Schneid' auf dein' Bauern sein' Viktel.‹ – ›Du Narr‹, sag' ich ihm drauf, ›dö is ja 'm Scheibner Franzl seine‹ – ›No‹, sagt er wieder, ›dem wär's recht lieb, wann ihm jetzt einer ins Gäu gehn möcht'.‹ Er wüßt', er hätt' was ang'stellt, und er käm' gern in gutem davon. Ich brauchet mir da nix dran g'legen z'sein lassen, denn wann ich nit Ernst machen wollt', hätt' ich, als zweiter, 's Sitzenlassen immer leichter wie der erste; würd' ich aber aus ein'm Knecht 's Bauern Schwiegersohn, so könnt' ich mich wohl dazu verstehn, z'neb'n der Kuh auch 's Kalb ins Futter z'nehmen. – Da hab' ich mein' Faust aufg'hob'n und ihm bedeut't, wann er noch weiter a Weil' so schandbar von mein' Bauersleuten und schlechtanwürfig von mir reden möcht', so schlaget ich ihm wohl alle Zähn' 'n Hals h'nunter. Drauf hat er sich nit mehr vernehmen lassen. Dö Nacht aber hab' ich wenig schlafen können, es ist mir wach und im Traum d' Viktel vorg'kommen und was aus der jetzt wohl werd'n mag.
Und bald a Nacht drauf weckt mich af amal 'gen Mittnacht zu a laut's Weinen vom Garten her. Ich krall' in d' Höch', geh' zum Fenster hin und siech nah' davor d' Viktel mit der Oberdirn', der Regerl, stehn, und das alte Frauenzimmer hat mit all' zwei Händen 's junge bei'n Kopf ang'faßt g'halten und g'streichelt und g'schmeichelt und gute Wort' geb'n und g'tröst't. Ich hab' d' Fensterriegel schön stad z'ruckg'schob'n und a Hand breit 'n Flügel aufg'macht, und da hat grad dö Viktel zum Reden ang'hob'n, und ich hab' g'hört, wie sie sagt, wann s' der Scheibner Franz in der Schand verlassen würd', so tat' sie sich selber a Leid's an, – bei all'n Heiligen im hochen Himmel drob'n, dö ihr dann in ihrer letzten Not beistehn mög'n!
Darüber bin ich so erschrocken, daß mir d' Händ' zum Zittern ang'hob'n hab'n, ich hab' hart geg'n a Scheib'n g'stoßen, und das Scheppern hat die zwei draußen fortg'scheucht. Bis in d' Fruh' wollt' ich mir einreden, es war' 'leicht nur a wüster Traum g'west oder a ein'bildt's G'sicht, aber wie ich mir dann spater d' Regerl auf d' Seit' g'rufen und zur Beicht g'zwungen hab', da mußt' ich mich wohl für wach geb'n, und ich und dö alte Oberdirn' war'n einer Meinung, daß, wann sich ereignet, was d' Viktel fürcht't, dö ganz g'wiß Ernst machen würd'!
Von der Stund' ab hab' ich mich mit dem Gedanken g'tragen, wie das Unglück z'verhüten wär'. Volle acht Tag' hab' ich mich jed' freie Zeit an den Lumpen h'rang'macht und ihm von nix anderm vorg'red't als von der Viktel. Unter Lachen, das mir wahrlich nit vom Herzen g'kommen is, hab' ich ihm erzählt, wie s' gar so unsinnig in ihm verliebt sein tät', und allein aus Erbarmnis schon sollt' er das arme Hascherl nit verlassen, und dadrauf könnt' er sich doch auch kein' Rechnung machen, daß er a zweit's Mal af derer Welt so a verschamerierte Katz' wiederfand'! Ein andermal hab' ich ihm zur Abwechslung ernst ins G'wissen g'red't, beiläufig auch, daß nit eine wie d' andere wär' und schon manche in dem Fall Hand an sich selber g'legt hätt'. Drauf sagt der Schandkerl, das tät' die eine wie die andere in jedem Fall, wenn sie sich vorm Schlafengeh'n ausziehen. Kurz, ganz zum Verkehrten is's mir ausg'schlag'n, zu meiner Ernsthaftigkeit hat er g'lacht und zu mein' Spaßigtun a finster' G'sicht g'zog'n. Es war umsonst und er meiner bald überdrüssig, war' ich nit der stärkere g'west, ich glaub', er hätt' mich am liebsten hinwegg'prügelt, so hat er mich neben seiner herzotteln lassen, bis ich's müd' worden bin, kein G'hör z'finden und Grobheiten einz'stecken.
Mit ihm war auf kein' Weis zum Ziel z'kommen.
No und wie ich wieder amal so a Nacht mit 'm bleischweren Schädel wachsitz', da schießt mir der Gedanken ein, wie aber, wann er mit amal versterben tät'? Wann den Malefizlumpen unversehens der schönste Teufel holet, dann hätt' d' Viktel kein' Anlaß zu ihr'm sündig' Vornehmen und kein' Ausred' dafür; denn du mußt wissen, Anzingerin, ein' Brauch hat er noch bis af d' Letzt an ihm g'habt, für den ich ihm jed'mal an d' Gurgel springen und 'n hätt' würgen mögen; wann er nämlich dem armen Mensch nimmer ausz'weichen vermocht' und ihr standhalten mußt', dann hat er s' an sich h'rankommen lassen, dö zuckersüßest' Grinslarven dazu g'schnitten, all ihre Vorwürf' ang'hört, als wären die 's unverdienteste Beschulden, hat s' begütigt, ihr d' besten Wort' geben und alles versprochen, was sie verlangt hat. Hinterm Rucken hat er s' freilich gleich drauf ausg'lacht. Sie aber is nach jedem solchen Z'sammensein ganz glückselig heimg'kommen, zur Regerl g'laufen und hat ihr vom Scheibner Franzl erzählt, als von ein'm, den ganz ung'rechteiweis' üble Nachred' trifft, und war wieder af Tag und Wochen lang voll Zutrau'n und Freudigkeit.
Dös niederträchtig' Spiel, ob dem mir all'mal d' Arm von Fäusten bis zu d' Achselhöhl'n zum Schütteln ang'hob'n hab'n, war sein Verderben; denn ich mußt' mir sag'n, wenn ich dem, ohne daß 's aufg'deckt wurd', mit dem falschen Spieler z'gleich a End' mach', so is das der Viklel ihr Rettung; dann is und bleibt er in ihr'n Gedenken der brave Bursch, den nur der Tod verhindert hat, seine Versprechungen einz'lösen, dann halt't sie sich nit für in der Schand', sondern im Unglück, wie viele Dirnen, denen a getreuer Verlobter vorzeit wegstirbt. Und in Unglück würd' sie sich z'schicken wissen, und in der Meinung, daß der Vater von ihr'm Kind sie nit verlassen hätt', könnt' sie auch dösselbe nit verlassen und sich, 's Vaters wegen, leidig und freudig zur Mutterschaft bekennen, des letztweiligen Befremdtuns nit anders gedenk', als wie einer Launigkeit, und getröst't: daß halt nit sein wollt', was g'west wär', daß sich aber das nur derweis' g'schickt hab'n wurd', als 's sein sollt'!
All das hat mir von Ur bis z'End eing'leucht't schon d'selb' Nacht, wo ich mir's z'recht g'legt hab', und is mir immer einleuchtender wordn, je länger ich drüber sinniert hab'; aber wenn's völlig stimmen sollt', Anzingerin, dann mußt' a blutig' Z'samm'raiten bevor gehn. Nit nur der Gedanken, wie schwarz mich so a Schrecktat vor 'n Leuten hinstellen wurd', noch mehr der, daß ich in der Viktel ihr'n Augen für all' Ewigkeit schwärzer wie der Teufel gelltn müßt', hat mich zagen und zaudern g'macht. Aber eben, weil 's ihr Leben und das vom unschuldigen Kind gölten hat. weil kein' Zeit zu verlieren war, denn ich könnt' ja nit wissen, wie lang dem Lumpen 's Verstellen noch Spaß macht, ob er nit von heut af morgen d' Larven abtut, weil s' ihm nimmer z'G'sicht steht, so hab' ich mich entschlossen zum Austrag, und um mir selber kein Loch zum Durchschlupf z'lassen, hab' ich festg'setzt, wie z'nächst wieder so a Z'sammenkunft stattfand, wo der Spotter dem armen Ding sein falsch' Lied vorpfeift, 'm selben Tag noch dreh' ich ihm sein' verlogenen Hals um!
Drei Tag' nach mein' B'schließen hat sich das Vorg'seh'ne ereignet, und nun mußt' ich auch der Mann sein, der 's Wort, was er ihm selb'n drauf geb'n hat, redlich einlöst.
Mit 'm Mittagläuten war'n dö zwei voneinander'gangen, mit Vesper war ich draußen mit ihm af 'm breiten Weg; ich hab' ihn af Steigen, der Kreuz und Quer nach, dorthinz'führen g'wußt. Noch einmal versucht' ich's, ihm der Viktel halber z'Herzen z'reden. Er hat mich groß ang'schaut, denn bisher unter'm Geh'n hatt' ich von all'm Erdenklichen Rd' g'führt, nur von ihr nit, daß er mir nit etwa auswischt. Er steht also a Weil', dann lacht er und meint: weil ich mir so viel Müh' gäb', ihn mit der Dirn' zu verheiraten, so müßt' mir die wohl ein' g'hörigen Kuppelpelz versprochen haben, und wie ich mich um die Sach' annähm', so verdient' ich eigentlich schon ein', wozu mer 's Maß vom Kirchturm abnehmen müßt', wann's nach Recht und Billigkeit ging. Damit wend't er sich ab, spuckt aus und nennt mich ein' Kupplerkerl. Ich Hab' unterdem das Tuch, worein ich ein' Stein eing'bunden g'tragen hab', in meiner Taschen g'lockert, das hat er g'sehn und ist auf mich zug'stürzt und wollt' mir's nit h'rausziehen lassen, schreiend, er sähet nun wohl, wo's h'naussollt', und paarmal nach Hilf' rufend: danach haben wir eine Weil' über ohn' Laut mit aufeinandergebissenen Zähnen gerungen. Bald aber konnt' ich mich seiner ledig machen und 'n Stein schwingen, und da hab' ich ihm zwei Streich' über 'n Kopf versetzt, mit 'n Worten: ›Jas is für d' Vitel, dö d' für Zeit und Ewigkeit verderben wollt'st, und das für 'n Kupplerkerl!‹ Ob er das ganz oder nur mehr zum Teil verstanden hat, weiß ich nit, denn er hat gleich unterm ersten Hieb zun Taumeln ang'hob'n und is nach 'm zweiten ohne B'sinnen hing'fall'n; dann hab' ich ihn ang'faßt und übers G'länder in 'n Wildbach h'nunterg'worfen. Ich hab' g'sehn, wie's ihn dort unten zwischen zwei Steinklötz' einklemmt, und bin so lang am Wegschranken lehnen blieb'n, bis ich sicher war, er kommt nimmer herauf, dann bin ich heimzu.
Ich hab' mir g'sagt, nit mein'twill'n, sondern der Viktel halber hat das g'schehn müssen, und viel ruhiger, wie all die Nächt' her, wo ich in Gedanken daran g'legen bin, hab' ich döselbe Nacht zug'bracht, wo 's vorüber und g'schehn war.
Wie mer 'n Morgen drauf sein' Leich' h'rausg'fischt, d' Schädelbrüch' entdeckt, neb'n sein' Tabaksbeutel mein Messer aufg'funden und auf der Straßen d' Trittspur'n vom Ringen vermerkt hat, das, so wie all's andere, was drauf g'folgt is, wird dir wohl noch erinnerlich sein, Anzingerin? Aber wie ich jetzt mit einmal durch Zufall freig'kommen bin, war mein erst's Denken, dich afz'suchen und zur Red' z'bringen, wovon du nit weißt; denn schon a Weil' her ziemt mich, es war' nur recht und billig, daß auch eins aus euerer Sippschaft weiß, was ich der Viktel willen auf mich g'laden hab', und was wohl nur selten einer um ein anders, und war' ihm das noch so lieb, af sich lad't. Sie selber mußt' da aus 'm Spiel bleib'n, g'setzt auch den Fall, sie hätt' 'n Franz so weit vergessen, oder danach g'nauer erkennen g'lernt! Auch brave Weiber bewahren oft ein'm Halunken, der sie vormal drang'kriegt hat, a bessers Gedächtnis, als ein'm ehrlichen Kerl, der sich d' längst Zeit in der Still' für sie aufopfert. So sein halt so viel schwer wahrnehmbarig, Uneracht't aller Reden, bleibet ich für sie doch der Teufel; für dich werd' ich wohl auch zu kein'm Engel, aber von dir kann ich a Einseh'n verlangen. Mit der Welt wär' ich afgleich: dö Straf', was döselbe über mich verhängen z'müssen glaubt hat, hab' ich abg'büßt,- daß s' bei dem Handel – für ein' Menschen ihr' zwei – im Vorteil war, is ihr verschwieg' g'blieb'n, aber vor Gott war's offenbar seit mein'm ersten nächtigen Drangsal, daß 's zwei Seelen um eine gilt, und was er mir dafür in seiner Barmherzigkeit oder seiner Gestrengheit auferlegen wird, das werd' ich wohl tragen müssen, doch is das a Sach' ledig zwischen ihm und mir und hat weder dö Welt noch dich, Anzingerin, was z'bekümmern. Wann mich dö vom Scheibnerhof lieber aufg'hängt wüßten, als s' mich lebend herumgehn sehn, so wär' mir 's wohl begreiflich, aber du, Bäuerin, hast's weder damal not g'habt, der Stund' z'fluchen, wo ich unter euer Dach g'kommen bin, noch hast 's heut, 'n Herrgotten anz'rufen, daß er mir mein kümmerlich' Leb'n noch kümmerlicher machen möcht'!«
Die Bäuerin sah vor sich auf die Bettdecke nieder und sagte leise: »Nein, Tritz Poldl, lieber will ich dir wohl jetzt fleißig fürbitlen bei ihm, daß er dich in seiner Gnad' nit all's z'viel mit der Reu' beschwert.«
»Reu' is für ein', der unternimmt, was er hint'nach nit das eine einzige Mal möcht' unternommen haben; wer aber tut, was er unter nämlich'n Umständen nit anders wieder tät', dem kann wohl, was ihn dazu bemüßt hat, schwer af d' Seel' fallen, doch das Verricht'te kann er nit ung'schehn wünschen! Sei also für dein' gut'n Will'n bedankt, Bäuerin, aber dein' Fürbitt' kannst dir erspar'n. Ausg'red't hätt' mer sich, was ich dich wollt' wissen lassen, das wüßt'st jetzt, so sag' ich dir denn b'hüt Gott für Zeit und Ewigkeit; af Erden beschwer' ich dich nimmer, sollt' mer sonst amal drüber oder drunter der Welt, oder gar seitwärts davon z'samm'treffen, so können mer uns ja erzählen, wie 's uns weiter ergangen is. Willst mir d' Hand reichen, ich achtet 's für billig, so tu's, wann nit, mag ich auch so gehn.«
Die Alte rührte mit den Fingerspitzen an die dargereichte Rechte und zog dann die Hand rasch zurück.
»Gut' Nacht, Anzingerleut'!«
Der Tritz Poldl kehrte ihnen den Rücken zu und ging aus der Stube.
Die Bäuerin sank in die Polster zurück und schloß die Augen.
Der Bauer trat besorgt hinzu. »He, Mutter, was hast denn? Is dir was?«
»Nix nöt. Alter. Laß mich jetzt. Ich denk' 'm heutigen Tag nach und 'n vergangenen Jahr'n. Du lieber Herr im Himmel! Was doch all's af deiner weiten Welt da vorgeht!«
»Jo«, krähte der alte Bauer, »frei völlig mag mer sagen, daß all's g'schieht, was nur g'schehn kann!«
Außen in der Flur verhallten die Tritte des Heimgekehrten.