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Der gottüberlegene Jakob

Die Frühmesse war vorüber, die Leute drängten aus der Kirche, verloren sich auf verschiedenen Wegen nach ihren Gehöften, oder verhielten sich wohl auch plaudernd, in Gruppen, auf dem großen Platze. Im Gotteshause blieben nur diejenigen zurück, die ein besonderes Anliegen auf dem Herzen hatten.

In der letzten Kirchenbank saß, in eine Ecke gedrückt, ein gar schmächtiges Bäuerlein; der große Hut, der neben ihm auf dem Sitzbrette lag, sah danach aus, als könne er sich über das ganze Männchen stülpen, daß nichts hervorsähe als die Schuhspitzen. Durch eine Rosette aus farbigen Gläsern, oberhalb eines Seitenaltares, fiel ein Lichtstreif quer in das Schiff der Kirche und machte die Weste des Beters in brennendem Rot aufleuchten; ein paar tiefe Falten durchfuhren sie, wie sie so schlotterig über seiner eingesunkenen Brust herabhing, und von den kugeligen, bleiernen Knöpfen fehlte einer; bleierne mußten's freilich sein, denn silberne auf einer »Armen-Leut'-Weste« haften nur an Spinnweben.

Jakob Wiesner hieß der Mann im Betstuhle. Er zeigte ein schmales, demütiges Gesichtchen, die Lider und Ränder der kleinen, beweglichen, grauen Augen waren gerötet und sahen wie verschwollen aus. Die Stirn war spitz, und über derselben hing ein dichter Schopf, der einer verkümmerten Locke glich: was sonst an Haaren gedieh, war vom Hinterhaupte nach vorn gebürstet, aber es waren ihrer nicht so viele, um den kahlen Wirbel verdecken zu können. Zwischen den Fingern hielt der Wiesner Jakob einen Rosenkranz, und sooft er mit einem Vaterunser zu Ende kam, wo andere Christen beten: »Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel«, murmelte er regelmäßig: »Führe uns nicht in Versuchung, sondern mach mir meine kranke Kuh wieder gesund. Amen!«

Eine kranke Kuh ist eben auch ein Übel.

Vor der Kirche aber inmitten der größten Gruppe, zu der sich Landsleute von nah und fern versammelt hatten, da sprach nur einer: man hörte ihm andächtig zu, ließ sich abfragen, was er wissen wollte, und gab ihm aus Respekt nur kurze Reden, denn es war der reiche Fehringer. Ja, der kann leicht wohlgemut außer der Kirche stehen, der hat keine kranke Kuh daheim, sondern etwa fünfzig gesunde im Stalle, und würd' ihm auch eine krank, deswegen bemüht er unsern Herrgott gar nicht, sondern schickt zum Kurschmied, und soll sie ihm trotzdem verenden, so schreckt ihn auch der Wasenmeister nicht, wenn er ihm ins Haus kommt!

Ja, der Fehringer ist der Reichste, und dafür gibt er sich auch. Was alle Welt von einem weiß, das bleibt ihm selber doch nicht verborgen, und es steht jedem wohl an, wenn er weiß, wer er ist. Er war aber auch leutselig, der reiche Fehringer. Wenn er seinen Spaß hatte mit jemand, den er gut leiden mochte, so stieß er den mit der lockeren Faust in die Seite und klatschte sich dann mit der flachen Hand auf den eigenen Wanst. »So sag' ich. Nun lacht!« Da lachte er, und die andern lachten mit.

Das Rosenkranzgebet ist eine fromme Übung, wobei man ein gut Stück Zeit dem lieben Himmel opfert, vorausgesetzt, daß man überhaupt sonst etwas zu verrichten hat, aber über Schwätzen und Abhandeln, Abfragen und Zutragen, Anbieten und Abhandeln kann man sich wohl eben so lange verhalten: so geschah es, daß der Wiesner Jakob seinen Rosenkranz abgebetet hatte und über den Platz daherkam, als der Fehringer just auf sein Wägelchen steigen wollte. Wie der reiche Bauer des Alten ansichtig wurde, blieb er mit einem Fuße auf der Erde, mit dem andern stand er schon auf der Radnabe, um sich auf den Kutschbock zu schwingen.

»Na. Stiegelsteiger«, sagte er, »was ist's? Werden wir nie handelseins werden? Was macht die braune Lies'l?«

Es war das die einzige Kuh Wiesners.

»Dank' der Nachfrag', uns allzusamm' geht's gut!«

»Ist recht. Aber die Lies'l mußt mir doch noch einmal verkaufen. Die ist ganz braun und hat einen weißen Stern auf der Stirn, akkurat so hab' ich eine schwarze daheim, da mit dem weißen Tupfen« – er wies dabei die Stelle an seiner eigenen Stirn, und zwar mit so anschaulicher, dazwischen deutender Gebärde, als respektiere er auch da Hörner zu beiden Seiten –, »die zwei möcht' ich nebeneinander sehen, überleg's. Was ich schon einmal ausgesprochen hab', leg' ich dir bar auf die Hand, sobald die Kuh in meinem Stall steht. Magst sie heut oder morgen oder ein andermal hinführen, das gilt mir gleich.«

Er schlug an seinen Geldgurt. Der Wiesner Jakob lachte einfältig, wie eben ein Bauer, wenn er nicht ja oder nein sagen will, und wie er noch immer getan, wenn zwischen ihm und Fehringer die Rede auf die bewußte Kuh kam, und das geschah, sooft die beiden zusammentrafen: denn auch der Fehringer, als Bauer, meinte manches nicht oft genug sagen zu können, und geschäh' es auch mit den nämlichen Worten.

Er stand noch abwartend. »Nun was?« fragte er.

Der Wiesner fuhr sich mit den dürren Fingern unter den Hut, kraute sich seinen Haarschopf und sagte langsam: »Es möcht' schon wohl einmal sein können!«

»Ist auch recht.« Der Fehringer stieg auf und fuhr davon.

Eine Zeitlang starrte Wiesner dem Wägelchen nach, dann ging er seines Weges. Er schüttelte öfter den Kopf oder nickte vor sich hin. Es fiel ihm schwer auf das Herz, daß er den Handel mit Fehringer nicht beizeiten eingegangen war, aber bisher tat er sich nicht wenig darauf zugute, daß er dem reichen Fehringer etwas weigern konnte: doch jetzt liegt die »Lies'l« krank und wenn sie gar umsteht, so ist es der sträflichste Leichtsinn gewesen, sie nicht früher verkauft zu haben. Darum hat er gegenüber dem Fehringer so »rechtschaffen« gelogen, daß es allen gut gehe, um sich ein schadenfrohes Wort oder eine verweisende Lehr' zu ersparen.

An zwei Stunden war er gegangen, da änderte sich plötzlich die Gegend: bis dahin lagen, so weit man sehen mochte, Felder an Felder und Wiesen an Wiesen, so gerade und eben wie die Straße, die sich durch sie hindurchschlängelte, nur in der Ferne blauten hohe Berge; nun begann sich Hügel an Hügel aufzubauen, und der Weg wand sich hinauf und hinab. Wieder lag Feld an Feld und Wiese an Wiese, aber jedes Feld und jede Wiese war von einem lebenden Zaune umgeben, schmale Fußsteige durchschnitten sie der Quere nach, und wo ein Acker abschloß, stieß man immer auf etliche Stufen, die man entweder hinan oder hinab zu steigen hatte, um auf den benachbarten zu gelangen, je nachdem der höher oder tiefer lag, selbst bei den Grundstücken, die an der Straße lagen, fehlten die Stufen nicht. Auf diesen Fußsteigen hatte man oft stundenlang nach einem Gehöft zu gehen, und es ist kaum zu berechnen, welche Höhen und Tiefen einer dabei durchmaß. Darum hießen die hier Ansässigen »Stiegelsteiger« – wie der Fehringer den Wiesner angerufen hatte – oder auch »Treppelhupfer«.

Es war hoch am Mittag geworden, als der Wiesner das Grundstück erreichte, das vor seinem Anwesen lag, die vorletzten Stufen hinankeuchte und die allerletzten hinabstolperte. Es war eine gar ärmliche Hütte, auf welche er zuschritt, sie hatte bloß zwei kleine Fenster, dafür aber drei Türen: die eine neben den beiden Fenstern lag nach dem Wege zu und führte in die Küche, geradeüber, an dem Herde vorbei, gelangte man durch die andere in den Hof, die dritte öffnete sich linker Hand nach der Stube, in der hatte der Bauer nichts zu suchen, er trat in den Hofraum.

Da stand die Vroni, seine Tochter, sie zählte erst fünfzehn Jahre, aber man konnte sie leicht für zwanzig halten. Sie war gar nicht sonntäglich gekleidet, denn sie hatte nichts am Leibe als das Hemd und einen bunten Rock; sie wiegte sich in den breiten Hüften und schlenkerte den derben, runden Arm gegen die Hühner, denen sie ein paar Brotkrumen vorwarf. »Grüß Gott, Vater«, sagte sie.

Wiesner nickte. Er kam an dem Hofhunde vorüber, der an ihm hinanspringen wollte, von dem nahm er gar keine Notiz und ging nach dem Stalle.

Bei seinem Herankommen trat sein Weib unter die Tür. »Grüß dich Gott, Jakob!«

»Grüß Gott«, sagte er und sah sie fragend an.

Sie hob die Schürze nach den Augen und sagte: »Es wird nur allweil schlimmer!«

Der Bauer trat in den Stall, da lag die »braune Lies'l« auf der Streu, stöhnte und sah mit den großen Augen gar beweglich zu ihm auf.

»Jesus, Maria!« Er schlug die Hände ratlos ineinander. »Und ich hab' doch einen ganzen Rosenkranz gebetet!«

Sie gingen nach der Stube. Das Essen ward aufgetragen, das Tischgebet gesprochen, aber »es war heut alles zu viel gekocht worden«; die beiden Alten nahmen geringe Bissen und taten dazwischen schmermächtige Seufzer, nur die Vroni hielt es damit umgekehrt, denn sie wollte – wie sie sagte – nichts verderben lassen.

Gleich nach der Danksagung ging der Wiesner hinaus und sah wieder im Stalle nach. Der Rosenkranz hatte nicht gewirkt. Er trat in den Hof zurück und hob die Augen zum Himmel, als sähe er ihn darauf an, wie er es wohl mit ihm meine!

In der Tat, es hatten sich rings Wolken heraufgezogen, und es sah da oben ganz grau und recht verdrießlich aus. Ob nun das mithalf oder nicht, den Bauer kleinmütig zu machen, wer weiß es? Gewiß ist, daß er sich den hellen Schweiß von der Stirn wischte und murmelte: »Mir scheint, der Herrgott will mir dem Vieh nichts zuliebe tun!«

Er ging langsam nach dem Werkzeugschupfen, setzte sich dort auf die Schnitzbank und begann Späne zu spalten, eine Arbeit, die man sonst für den Winter aufspart und welche er wohl nur vornahm, um sich da »im Stadel« ungestört allein aufhalten zu können.

Nun brannte er seine Pfeife an, damit er auf Gedanken komme.

*

»Unser lieber Herrgott muß noch herumzukriegen sein, sonst ist's gefehlt. – Aber die lieben Heiligen sind ja extra zum Fürbitten da. – Die wird er doch nit aus leidigem Eigensinn um eine wohlvermeinte Ehr' bringen? – Ganz gottunmöglich! – Und dadrauf mögen sie sich wohl berufen, wenn ihnen einer nit mit leeren Händen kommt – –«

Er sah auf seine beiden eigenen, die waren allerdings nicht leer, in der Rechten war ein Schnitzmesser und in der Linken ein Span, das eine wie den andern legte er vor sich auf die Bank, die Pfeife, die ausgeraucht war, dazu, und saß stille und nachdenklich, sehr nachdenklich.

Etwa eine halbe Stunde mochte darüber vergangen sein, da spitzte er seine Lippen und begann leise einen Ländler zu pfeifen.

Ein klägliches Gebrüll unterbrach ihn.

»Heilige Mutter Anna! da gilt es Eil' und es ist keine Zeit zu verlieren!« Er hastete von der Bank empor und lief nach dem Stalle. Das Tier wand sich vor Schmerzen, er klopfte ihm begütigend den breiten Nacken und sagte: »Laß's gut sein, Lies'l, laß's gut sein, es soll schon alles noch recht werden!« –

Damit ging er zum Hause hinaus und ließ Weib und Kind und Kuh in einer Bedrängnis zurück, die »hellauf« zum Verzweifeln war; Mutter und Tochter waren vollkommen überzeugt, daß die Lies'l dieses Gefühl teilte, denn sie war ja auch »ein Weiberhaftes«.

Vorläufig ging der Wiesner allerdings nicht weit. Er entsann sich, daß eine kurze Wegstrecke ober seiner Hütte eine kleine Kapelle stand, dort wollte er fürs erste seinen Namenspatron anrufen.

Drei Mauern und ein spitzes Dach darüber bildeten eigentlich nur eine geräumigere Nische, in welcher die Statue des Heiligen und ein Betschemel Platz fanden. Es stand da das Bildnis des heiligen Peregrinus, der gegen Fußübel gut anzurufen ist, und es war ihm auch – wie aus einer Inschrift hervorging – von einem wohlhabenden Bauern aus der Gegend, dem er wieder auf die kranken Beine half, »dies Ort zu einer schuldigen Danksagung errichtet worden«.

In der Hauptsache war dem Wiesner um so ein »andächtiges Platzerl« und um den Betschemel; daß er dabei einen fremden Heiligen traf, an den er kein Gebet zu richten beabsichtigte, das war nebensächlich. Er kniete also hin, machte das Kreuz, faltete die Hände, und da er es nicht mit dem heiligen Peregrinus hatte, so blickte er auch nicht zu ihm auf, sondern sah zur Seite, während er betete:

»O heiliger Iakobus, du mein allerliebster Namenspatron! Ich bet' dir jetzt ein Vaterunser, daß du dich meiner armen Kuh annehmen möcht'st und die wieder gesund wird. Das tät' ich dich auf das allerinständigste recht schön bitten, und wenn ich die Kuh behalt', so will ich dir schon auch deine Fürsprach' gedenken!«

Wenn Heilige sich auf die Mienen der Andächtigen verstehen, so lag etwas in Wiesners verheißungsreich zwinkernden Augen, das den heiligen Iakobus wohl berechtigte, eine schöne Wachskerze zu erwarten, welche ihm zu Ehr' am Hochaltare brennen würde.

Wiesner betete vorläufig das erst versprochene Vaterunser, und als er damit zu Ende kam und nach dem Steinbilde vor ihm aufblickte, sagte er: »Schau, weil du gerad' da bist, könntest wohl auch gleich mit fürsprechen helfen. O lieber heiliger Peregrinus! Ich bet' dir jetzt ein Vaterunser, daß du dich meiner armen Kuh annehmen möcht'st und die wieder gesund wird. Das tät' ich dich auf das allerinständigste recht schön bitten, und wenn die Kuh mein bleibt, so will ich dir schon auch deine Fürsprach' gedenken!«

Ließ darauf gleich das andere Vaterunser folgen, erhob sich und ging langsam den Weg, den er gekommen, zurück.

Daheim konnte er gleich merken, daß er die Sache an dem rechten Ende angefaßt habe, denn er fand sein Weib und seine Dirn beruhigter neben der braunen Lies'l stehen, die still auf der Streu lag und keinen Schmerz äußerte.

An der Innenseite der Stalltür war ein kleines Bild aufgeklebt, aber der Dunst hatte das Papier gebräunt, den Druck und die bunten Farben bis zur Unkenntlichkeit verschmiert; das fiel jetzt dem Wiesner in die Augen, und er wußte wohl, daß es den heiligen Leonhard vorstelle, welcher den Gefangenen in ihren Leiden beisteht und gegen böse Seuche hilft. Diese aber scheint der Landmann weniger für sich und seine Angehörigen als für seine Nutztiere zu fürchten, denn ausschließlich diese hat er der Sorge des genannten Heiligen unterstellt und denselben, unter großmütigem Verzicht auf anderweite Hilfeleistung, zum »Viehpatron« erkoren.

»Teufel h'nein« – dachte Wiesner –, »auf ein Haar hätt' ich den vergessen, wo ich 'n doch in der nächsten Näh' hab'! Na, das wär' schön verfehlt, wenn ich den verabsäumen möcht', der sich schon schandenhalber da darum annehmen muß, und dem in derlei Sachen die Fürbitt' gewiß handsamer ist wie jedem andern!«

Er machte den Verstoß sofort wieder gut, bekreuzte sich und brachte sein Ansuchen vor, jedoch mit keinem Worte mehr oder weniger, als er vorhin dazu gebraucht hatte. Dann wandte er sich an seine Weibsleute und sagte: »Ich geh' jetzt in den Segen und bleib' hernach gleich in der Maiandacht; braucht mit dem Nachtessen nicht auf mich zu warten.«

Die Bäuerin schüttelte den Kopf. »O mein, ich denk' doch, du solllest uns zwei gehen lassen, weil wir heute noch keine Kirche gesehen haben.«

»Mir taugt es aber nit. In solcher Trübnis ist es immer besser, es verlegt sich ein einziges rechtschaffen auf das Beten, als betreiben's ihrer mehr' der Kreuz und Quer nach, wo das eine so sagt und das andere anders, daß der liebe Himmel irr und wirr wird und nimmer weiß, was für ein Gebitt' und Gelöbnis eigentlich gelten soll.«

Damit machte er sich auf den weiten Weg nach der Pfarrkirche, eben derselben, in welcher er heute früh am Morgen schon gewesen war.

Die Pausen zwischen den Gesängen und lauthergesagten Gebeten benutzte er, um im stillen für seine Privatangelegenheit himmlische Gönner zu werben; zuvörderst wandte er sich an die Gottesmutter, der zu Ehren eben die Maiandacht stattfand; dann nahm er einen der Heiligen nach dem andern vor, so viel ihrer eben in der Kirche vorfindlich waren, zu beiden Seiten des Hochaltares, der zwei Nebenaltäre oder in einsamer Mauernische inmitten des Schiffes. Jedem sagte er seinen Spruch auf, jedem nickte er verheißend zu: »wenn ich die Kuh behalte – wenn die Kuh mein bleibt –, so will ich dir schon auch deine Fürsprach' gedenken!«

Der Mond stand schon hoch am Himmel, als er wieder vor seiner Hütte anlangte. Er trat erst in den Hof und legte sein Ohr an die Stalltür: er vernahm nur ein leichtes Schnauben über den Blättern der Streu, die braune Lies'l lag also und schlief. Nun trat er in die Stube und sah nach den Seinen, er fand auch diese liegen und schlafen und schickte sich bald selbst zur Ruhe an.

Als er die Bettdecke über sich zog, da lag er und spitzte den Mund, daß sein Gesicht den Ausdruck einer kindlichen Zufriedenheit gewann, und sagte leise: »Nun hätt' ich einen ganzen Schwarm Fürbitter beieinander!« Im Schlafe aber überkam ihn ein gar prächtiges Traumgesicht.

*

Im lieben Himmelreiche oben war's, da saß an einer mächtig langen Tafel der Herrgott mit allen seinen Heiligen, um nach vollbrachtem Tagwerk vertraulich eins zu plaudern. Es war eine Tafel – es gibt nichts so Langes in der Welt, um es damit zu vergleichen –, und doch verstanden sich die Heiligen ganz gut, selbst von dem einen untern Ende nach dem andern. Es erinnerte den Wiesner, daß er vor Jahren ein Geschwisterkind im Tirolerlande heimgesucht, und wie dort von den hohen Bergen bei klarer Luft jeder Schrei weit durchs Land gehallt; nun war aber der Himmel wohl höher als alle Tirolerberge und hatte noch klarere Luft, so brauchte es da kein Schreien und ließ sich mit ruhiger Rede richten, was auch den Heiligen besser zu Gesicht stand.

Fürs erste hörte der Wiesner »unverlautbare Dinge in ganz unsagbaren Worten und unerdenklichen Gedanken«, aber nachdem sie sich ausgesprochen hatten, saßen die Heiligen eine kleine Weile wie verlegen, dann begann einer eine Fürsprache vorzubringen, um die er angegangen worden war.

Der aber war kaum zu Ende, da erhob sich St. Jakobus und St. Peregrinus und St. Leonhardus, und so einer nach dem andern, alle, der Reihe nach, wie sie angerufen worden waren, und legten ihr Wort ein für Wiesners kranke Kuh. Es wollte kein Ende nehmen. Da hielt sich der Herrgott die Ohren zu und rief: »Oh, ihr heiligen Himmelherrgottssakermenter! Wollt ihr wohl aufhören? Es ist gut. Soll sie in Gottes Namen wieder gesund werden die Lies'l? Hab' sie ja doch auch geschaffen!«

*

In der Freude darüber wachte Wiesner auf. Es begann eben zu grauen. Er kleidete sich an und trat in den Hof. Dort bückte er sich nach einem Grashalme, das obere Endchen wischte aus der Hülse und blieb ihm in der Hand. Es gilt für reinlich, so einen Halm durch die abgeschraubte Pfeifenspitze zu ziehen, und dazu ist er gut. Aber das hat Zeit, vorerst heißt es im Stalle nachsehen.

Das Tier lag ruhig, es hob bedächtig den Nacken und blickte den Eintretenden gleichmütig an. Er bückte sich nach der braunen Lies'l, sie haschte mit dem Maule den Halm, den er zwischen den Fingern hielt, und als er spielend ihr denselben wieder entziehen wollte, da warf sie unwillig den Kopf herum und begann das Gras zu kauen.

Da wollte es den Wiesner nicht mehr auf beiden Beinen leiden, er fing an herumzutrippeln, er rieb sich die Hände, und das Wasser schoß ihm in die Augen. »Oh, du lieb's Vieh« – er tätschelte der Kuh den Nacken und kraute ihr die Stirn – »oh, du lieb's Vieh!«

Plötzlich guckte er der braunen Lies'l gar schlau unter die Augen, und so laut, als sollte es »zu Gehör« geredet sein, sagte er: »Wirst mich viel kosten, wenn du wieder gesund wirst: nun schau nur dazu!«

*

Die Woche war vergangen, der Sonntag wieder gekommen. Die letzten Tage war die braune Lies'l schon mit den andern Kühen auf der Weide gewesen. Der Wiesner aber hatte so erschrecklich viel zu schaffen, daß ihn nicht einmal die Innenseite der Stalltür auf einen frommen Gedanken bringen konnte; übrigens war, wie bemerkt, das Bild des heiligen Leonhard leicht zu übersehen.

Heute schickte er sich dafür zeitlich zum Kirchgange an, und die Vroni muß ihn begleiten, denn er meint, eines wär' völlig ausreichend, das Haus zu hüten, während sich der weite Weg zu zweien unterhaltsamer gehe, und begehre etwa die Bäuerin nachmittags in den Segen, so schadet es der Dirn gewiß nicht, wenn sie ein zweitesmal mit in die Kirche geht!

Als die beiden auf dem großen Platze vor derselben anlangten, war noch eine Stunde Zeit bis zum Beginn der ersten Messe.

»Nun ist es doch gar zu zeitlich, um sich bis zum Läuten auf der Straße zu erhalten«, sagte der Alte, und damit schritt er querüber dem Gasthof »Zum roten Ochsen« zu. Vroni folgte in stillem Einverständnisse.

Der »Rote Ochse« Halle ein Gastzimmer für die »großen« Bauern und ein Schankzimmer, wo sich die »minderen« zusammensetzten. Wiesner nahm bescheiden in letzterem Platz, doch hatte er vorher einen Blick hinein nach den »Großen« getan, nur so Sehens und Gesehenwerdens halber. Es dauerte auch nicht lange, so kam der Fehringer heraus in das Schankzimmer, denn der Fehringer war – wie man weiß – leutselig. Er schritt auf Wiesner zu. »Ho, Stiegelsteiger, was machst du da? Ist das deine Dirn?« – Er faßte das Mädchen am Kinn und kneipte sie in den vollen Arm. – »Sapperment, ein mordsauberes Dirndl!«

Das Mädchen zeigte die weißen Zähne und zog den Besatz ihrer Schürze durch die Finger, obwohl der nicht glatter sein konnte, als er war.

»Schau«, fuhr der Fehringer fort und rückte vertraulich zu dem Alten auf die Bank. »Laß doch einmal dein' Lebzeit ein gescheites Wort mit dir reden. Was ist's, verkaufst mir deine Kuh?«

»Jesses«, sagte der Wiesner und stieß an sein Glas, daß ein paar Tropfen über den Rand schlugen. »Wie du redest! Wie du so reden magst und allweil das nämliche!«

»Jesses, was du wild sein magst, wie man von dir gar nicht gewöhnt ist!«

»Weil's wahr ist! Bei dem ewigen Gered' ist mir eh', als gehörte die Kuh nur mehr halb mein, mein' Seel', es wär' mir schon völlig gleich, wenn sie ganz dir gehören möcht', damit einmal Ruh' wird: aber mein Weib gibt sie nicht weg, das weiß ich!« –

»Darauf laß es ankommen!«

»Unsinn.«

»Es gilt!«

»Soll's gelten«, brummte Wiesner. Er zog die Hand, die Fehringer gefaßt hatte, langsam zurück. »Kriegst sie ja doch nicht!«

»Dafür laß mich sorgen. Ich fahr' gleich hin. Heut lass' ich Mess' Mess' sein. Handel und Wandel geht vor.

Erst muß der Bauer leben,
Dann kann er der Kirch' das Ihre geben.

Aber die Dirn muß mit als Zeugin, daß du gesagt hast, es gilt dir völlig gleich und alles käm' allein auf die Bäuerin an.« Er wandte sich zur Vroni. »Wir fahren über Kronberg, wo Kirchweih ist, und dort kaufen wir der Mutter ein sauberes Tuch für die Sonntäg'; für dich wird sich wohl auch was finden, daß dich da die Sonn' nit abbrennt.« Er legte seine breite Hand auf ihre runde Schulter, die sie bloß trug. »Wär' schad', Dirndl! Na komm mit!«

»Meinetwegen«, sagte Wiesner. »Du machst dir nur ganz unnötige Auslagen.«

Fehringer ging mit Vroni aus der Stube, und kurz darauf sah Wiesner die beiden auf dem Wägelchen vorbeirollen. Er duckte sich tiefer übers Glas. – Da erscholl vom Turme das erste Läuten. Er legte Geld auf den Tisch und ging bedächtigen Schrittes nach der Kirche.

Dort saß er ganz duchsig in einem der Stühle, blickte weder zu den Altären noch nach den Nischen auf, hielt sich aber zu denen, die am eifrigsten beteten und am lautesten sangen. Nach der Messe schlich er sich sachte davon, trieb sich mit den andern auf dem Platze herum und wagte sich erst wieder zur Kirchtür hinein, als Trompeten und Pauken zu Beginn des Hochamtes laut wurden.

Die Wandlung war schon vorüber. Er hatte den Kopf fast zwischen den Blättern des großen Gebetbuches stecken, tat manchmal einen unruhigen Ruck von der Ecke, wo er saß, nach der Bank hinein, zur Beschwer seiner Nachbarn, die dann immer einer an den andern stießen bis auf den letzten, der nach dem Schnitzwerk des Stuhles griff, als fürchte er herauszufallen. Da trat plötzlich etwas an seine Seite. Er warf so einen Blick neben, die Vroni war's.

»Vater«, sagte sie, »wir haben die Kuh doch verkauft.«

»Habt ihr schon das Geld dafür?«

»Bar im Kasten.«

»Hat er sie schon weggeführt?«

»Freilich. Er hält nur ein wenig im ›Roten Ochsen‹ und wartet.«

Wiesner nickte.

»Und, schau her, wegen der Tücheln hat er auch Wort gehalten.« Sie spreitete alle zehn Finger über ein buntes, halbseidenes Halstuch, das sie über den vollen Nacken geschlungen trug und das gerade groß genug war, um es kleiner zu wünschen, und gerade klein genug, um zu diesem Wunsche anzuregen. Ein gar gefährliches Ding das.

Die Orgel tönte aus, die Leute erhoben sich von ihren Sitzen, da wandte sich Wiesner zur Vroni, die an seiner Seite das Ende des Hochamts abgewartet hatte, und sagte: »Geh voraus, ich komm' gleich nach!« Als er sich allein sah, stand er im Stuhle auf, blickte frei um sich und sah die Heiligen der Reihe nach an, faltete die Hände und sprach also: »Meine lieben Heiligen, alle miteinander, müßt's nit bös sein, gleich als wär' ich ein schlechter Christ, der nit weiß, was er geredet; aber wenn ihr euch recht besinnt, ich hab' gesagt: wenn ich die Kuh behalt', wenn sie mein bleibt! Nun ist aber die Sach', daß sie verkauft ist, dem Fehringer gehört und mich nichts mehr angeht; ich leg' also, wie billig ist, alle Gelöbniss' auf die Kuh. – Und auch du, lieber Himmelvater, sei nit bös, daß du da hast nachgeben müssen, hast ja doch ein gutes Werk damit getan, was dir auch schon wieder vergolten werden wird. Und jetzt bet' ich euch in der Schnelligkeit paar Vaterunser und einen Glauben, dafür, daß mir wieder miteinander gut sein sollen!«

Dem kam er getreulich nach, dann verließ er die Kirche und ging nach dem »Roten Ochsen«. Dort im Hofraume saß der Fehringer schon breit auf dem Wägelchen, hinter welchem die »braune Lies'l« angebunden war.

»Siehst, Stiegelsteiger«, rief er schon von weitem dem Daherkommenden zu, »ich hab' sie doch!«

Wiesner trat erst zur Kuh. Er klatschte ihr auf den Hals. »Na, Lies'l, jetzt wirst gute Tage haben, hast dich zwar bei uns auch nicht beklagen können, aber jetzt wirst gute Tage haben. Behüt dich Gott!« Die roten Ränder um die Augen mochten ihn etwas brennen, denn er strich mit den Fingern darüber. Dann ging er vor, lehnte sich an den Kutschbock und sprach zu dem Fehringer hinauf: »Was ich dir hab' sagen wollen, ein paar Gelöbniss' liegen auf der Kuh, noch von ihrer letzten Krankheit her.«

»Der sie darauf gelegt hat, soll sie wieder wegnehmen. Was bekümmert's mich?«

»Möcht' etwa doch sein. Acht Stück Heilige, wie sie in der Kirche stehen, und drei, die mir gerad' zur Hand waren, hätten jeder rechtschaffen eine Wachskerze um die Kuh verdient.«

Und nun erzählte er dem Fehringer, wie die Gelöbnisse auf die Kuh gekommen und schließlich auf derselben liegen geblieben, »weil halt zu Anfang der liebe Herrgott nit hat daran mögen und er ihn erst hat bemüssen müssen«.

Der Fehringer hatte seinen Spaß und seinen Verdruß daran, man merkte es dem Gesichte ab, mit welchem er unverwandt den Wiesner anstarrte. Erst lachten die Augen und die Mundwinkel hingen sauertöpfisch nieder, dann wieder verzog er den Mund zum Lachen, und die Augen sahen verdrießlich dazu. Jetzt, wo der Wiesner zu Ende gekommen, hieb er mit der Peitsche durch die Luft und schrie: »Oh du gottüberlegener – –«

»Jakob ist mein'm Vater sein Name«, lachte Vroni.

Fehringer ließ den Atem breit aus der Brust strömen. »Oh, du gottüberlegener Jakob!« Mehr sagte er nicht und fuhr von dannen.

An dem nächsten hohen Festtage brannten auf dem Hochaltare in der Kirche statt der alten Stumpfen zwölf neue Wachslichter, der Fehringer hatte das Dutzend voll gemacht. Man konnte eben nicht wissen, wie die Heiligen es aufnehmen würden, wenn sie sich solchergestalt um das Ihre verkürzt fänden! An den Wiesner konnten sie sich nicht halten, der hatte selber nichts, wohl aber an die Kuh, und darauf mochte es der Fehringer nicht ankommen lassen, und es kam auch ihm nicht darauf an, die »braune Lies'l« war ihm immer noch so viel wert; die stand nun endlich mit ihrem weißen Stern auf der Stirn in seinem Stalle neben der kohlschwarzen, die auch so einen weißen Tupfen hatte, – er brauchte es dem Wiesner nun nicht mehr zu zeigen, wo!


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