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Wenn du des Morgens nicht gern aufstehen magst, so denke: Ich erwache, um als Mensch zu wirken. Warum sollte ich mit Unwillen das tun, wozu ich geschaffen und in die Welt geschickt bin? Bin ich denn geboren, um im warmen Bette liegen zu bleiben? – »Aber das ist angenehmer.« – Du bist also zum Vergnügen geboren, nicht zur Tätigkeit, zur Arbeit? Siehst du nicht, wie die Pflanzen, die Sperlinge, die Ameisen, die Spinnen, die Bienen, alle ihr Geschäft verrichten und nach ihrem Vermögen der Harmonie der Welt dienen? Und du weigerst dich, deine Pflicht als Mensch zu tun, eilst nicht zu deiner natürlichen Bestimmung? »Aber man muß doch auch ausruhen?« Freilich muß man das. Indes hat auch hierin die Natur eine bestimmte Grenze gesetzt, wie sie im Essen und Trinken eine solche gesetzt hat. Du aber überschreitest diese Schranke, du gehst über das Bedürfnis hinaus. Nicht so in den Äußerungen deiner Tätigkeit; hier bleibst du hinter dem Möglichen Zurück. Du liebst dich eben selbst nicht, sonst würdest du auch deine Natur und das, was sie will, lieben. Diejenigen, die ihr Handwerk lieben, arbeiten sich dabei ab, vergessen das Bad und die Mahlzeit. Du aber achtest deine Natur weniger hoch als der Erzgießer seine Bildformen, der Tänzer seine Sprünge, der Geizhals sein Geld, der Ehrgeizige sein bißchen Ruhm? Auch diese versagen sich den Gegenständen ihrer Leidenschaft zuliebe eher Nahrung und Schlaf, als daß sie es weiter zu bringen suchen in dem, was für sie so anziehend ist. Dir aber erscheinen gemeinnützige Handlungen geringfügiger und der Anstrengung nicht so wert.
Wie leicht ist es, jede verdrießliche oder unziemliche Vorstellung von sich abzuwehren und zu unterdrücken und sogleich wieder in vollkommener Gemütsruhe zu sein.
Betrachte alles naturgemäße Reden und Tun als deiner würdig. Laß dich also durch keine darauf folgenden Vorwürfe oder das Gerede anderer beeinflussen, vielmehr, wenn etwas gut ist zu tun oder zu sagen, so halte es deiner nicht für unwürdig. Jene haben eben ihren eigenen Sinn und folgen ihrer eigenen Neigung. Danach schaue du dich nicht um, sondern gehe den geraden Weg und folge deiner eigenen und der gemeinsamen Natur. Beide haben nur einen Weg.
Ich schreite vorwärts in meinem naturgemäßen Lauf, bis ich hinsinke und ausruhe und meinen Geist in dasselbe Element aushauche, aus dem ich ihn täglich einatme, und zur Erde zurückkehre, von der mein Vater den Zeugungsstoff, meine Mutter das Blut und meine Amme die Milch erhielt, von der ich täglich so viele Jahre hindurch Speise und Trank empfange, die mich trägt, während ich sie mit Füßen trete und so vielfach mißbrauche.
Durch deine Geistesschärfe kannst du keine Bewunderung erlangen. Es sei! Allein es gibt vieles andere, wovon du nicht sagen kannst, daß du dazu nicht geeignet wärest. Zeige demnach das an dir, was ganz in deiner Macht steht, sei lauter, ehrbar, arbeitsam, nicht vergnügungssüchtig, zufrieden mit deinem Geschick, genügsam, wohlwollend, freimütig, einfach, ernsthaft und großmütig. Fühlst du's nicht, von wie vielen Seiten du dich schon hättest zeigen können, ohne dich mit natürlichem Unvermögen entschuldigen zu dürfen? Und dennoch bleibst du aus freien Stücken hinter dieser Vollkommenheit zurück. Oder bist du infolge einer fehlerhaften Naturanlage gezwungen zu murren, deine Trägheit zu zeigen, zu schmeicheln, dein Körperchen anzuklagen, seinen Launen nachzugeben, großzutun und darüber in so viel Seelenruhe zu schweben? Nein, bei den Göttern; es ist nicht so! Vielmehr hättest du von diesen Fehlern schon längst frei sein können. Wenigstens hättest du, wenn du dich wirklich als etwas langsam und schwerfällig im Begreifen erkennen mußt, dieser Schwäche durch Übung abhelfen, nicht aber sie außer acht lassen oder dir gar in deiner Untätigkeit gefallen sollen.
Mancher, der jemandem eine Gefälligkeit erwiesen hat, ist sogleich bei der Hand, sie ihm in Rechnung zu stellen; ein anderer ist zwar dazu nicht sogleich bereit, denkt sich aber doch denselben in anderer Hinsicht als seinen Schuldner, und hat den geleisteten Dienst immer in Gedanken. Ein dritter dagegen weiß gewissermaßen nicht einmal, was er geleistet hat; er ist dem Weinstocke gleich, der Trauben trägt und nichts weiter will, zufrieden, daß er seine Frucht gegeben hat. Wie ein Pferd, das dahin rennt, ein Hund nach der Jagd, und eine Biene, die ihren Honig bereitet: so der Mensch, der Gutes getan hat; er posaunt es nicht aus,Diese Worte des heidnischen Philosophen erinnern an Matth. 6, 2: Wenn du nun Almosen gibst, sollst du nicht lassen vor dir posaunen, wie die Heuchler tun, auf daß sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin. sondern schreitet Zu einem andern guten Werke, wie der Weinstock sich berankt, um zu seiner Zeit wieder Trauben zu tragen. Man soll also denjenigen sich anschließen, die hierin gewissermaßen ohne Überlegung handeln? Allerdings. Aber, sprichst du, man muß doch wissen, was man tut, und einem geselligen Wesen ist es ja, wie's heißt, eigentümlich zu wissen, daß es zum Nutzen der Gesellschaft wirkt, und bei Gott! auch zu wollen, daß sein Mitgenosse das empfinde. Wohl wahr, was du da sagst; aber du verstehst den Sinn meiner Worte nicht recht und wirst deshalb zur Klasse derjenigen gehören, deren ich zuvor gedacht habe; denn sie lassen sich durch einen gewissen Schein von Vernunftmäßigkeit irreführen. Willst du hingegen den wahren Sinn meiner Äußerung erfassen, so fürchte nicht, darüber irgendeine gemeinnützige Handlung zu unterlassen.
Die Athener beteten: »Gib bald Regen, lieber Zeus, gib Regen den Fluren und Auen der Athener!« Entweder soll man gar nicht beten oder auf diese Art, so einfach und edelgesinnt.Marc Aurel meint, man solle nicht wegen persönlicher Interessen zu Gott beten. Das Gebet der Athener war allgemein. Übrigens beteten sie nicht bloß für Attika, sondern für ganz Griechenland.
Wie man sagt: Der Arzt hat diesem Kranken das Reiten oder ein kaltes Bad oder das Barfußgehen verordnet, so kann man ähnlich sagen: Die Allnatur hat diesem oder jenem eine Krankheit oder Verstümmelung oder einen Verlust oder etwas anderes der Art verordnet. Denn dort bedeutet der Ausdruck »er hat's verordnet« so viel wie: Er hat es ihm als der Gesundheit dienlich verordnet, hier aber so viel als: Was jedem Menschen begegnet, hat das Geschick als ihm dienlich angeordnet. In ähnlicher Weise sagen wir, daß etwas für uns passend ist, wie die Baukünstler von den Quadersteinen in den Mauern oder Pyramiden sagen, sie passen, wenn sie in einer gewissen symmetrischen Verbindung stehen. Im großen und ganzen waltet eine einheitliche Übereinstimmung, und gleichwie aus allen Körpern zusammengenommen die Welt ein so vollendeter Körper wird, so wird auch aus allen wirkenden Ursachen zusammengenommen jene höchste ursächliche Kraft, das Schicksal. Was ich hier sage, verstehen auch die allerunwissendsten Menschen; denn sie sagen ja: Das ist Schickung; also wurde es uns zugeschickt oder zugeordnet. Lasset uns mithin derlei Schickungen so hinnehmen wie die Mittel, die ein Arzt verordnet. Schmeckt ja auch unter diesen vieles bitter, und doch heißen wir's in Aussicht auf Genesung willkommen. Denke dir also dasjenige, was die gemeinsame Natur für vollständige Erreichung des Zieles bestimmt, als etwas deiner Gesundheit Ähnliches und heiße alles, was geschieht, wenn es dir auch noch so hart erscheint, willkommen, weil es zum Ziele hinführt, nämlich zur Gesundheit der Welt und zum gedeihlichen Wirken und zur Seligkeit des höchsten Gottes. Denn er würde einem Menschen nichts der Art zuschicken, wenn es nicht dem Ganzen nützlich wäre. Schickt ja nicht einmal ein Wesen gewöhnlicher Art einem andern von ihm abhängigen etwas zu, was demselben nicht förderlich ist. Aus zwei Gründen also mußt du mit dem, was dir widerfährt, zufrieden sein: für's erste nämlich, weil es dir bestimmt und verordnet wurde und in Verkettung mit einer langen Reihe vorhergegangener Ursachen auf dich irgendwie Bezug hatte; fürs andere aber, weil es für den Beherrscher des Ganzen der Grund seines gedeihlichen Wirkens, seiner Vollkommenheit, ja sogar seiner Fortdauer ist. Denn das Weltganze würde verstümmelt werden, wenn du aus dem Zusammenhang und Zusammenhalt wie der Bestandteile so denn auch der wirkenden Ursachen auch nur das geringste lostrennen wolltest. Du trennst es aber los, soviel es bei dir steht, wenn du damit unzufrieden bist und es gewissermaßen wegzuräumen suchst.
Empfinde keinen Ekel, laß deinen Eifer und Mut nicht sinken, wenn es dir nicht vollständig gelingt, alles nach richtigen Grundsätzen auszuführen; fange vielmehr, wenn dir etwas mißlungen ist, von neuem an und sei zufrieden, wenn die Mehrzahl deiner Handlungen der Menschennatur gemäß ist, und behalte das lieb, worauf du zurückkommst. Kehre zur Philosophie nicht wie zu einer Zuchtmeisterin zurück, sondern wie die Augenkranken zum Schwämmchen oder zum Ei oder ein anderer zum Pflaster oder zum Wasserstrahl. Denn alsdann wird es keine Qual für dich sein, der Vernunft zu gehorchen, vielmehr wirst du dich ihr vertrauensvoll anschließen. Bedenke doch nur, daß die Philosophie nur das verlangt, was auch deine Natur verlangt. Du aber wolltest etwas anderes, etwas Naturwidriges? Was von beiden ist anziehender? Täuscht uns nicht oft die Lust durch den Schein? Sieh nur einmal zu, ob nicht Hochherzigkeit, Geistesfreiheit, Einfalt, Billigkeit und Unsträflichkeit doch anziehender sind. Oder was ist anziehender als eben die Einsicht, wenn du darunter die Fertigkeit des Vermögens der Erkenntnis und des Wissens verstehst, in allem ohne Anstoß und glücklich seine Zwecke zu erreichen?
Die Dinge in der Welt sind gewissermaßen in ein solches Dunkel gehüllt, daß nicht wenige Philosophen, und zwar nicht alltägliche, bekannt haben, man könne sie nicht begreifen. Selbst die Stoiker halten sie für schwer ergründlich. Und wirklich sind auch all unsere Begriffe veränderlich. Denn wo ist ein Mensch, der sich niemals in seinen Urteilen geändert hat? Geh nun mit deiner Betrachtung auf die erkannten Gegenstände selbst über. Wie kurzdauernd und wertlos sind sie und können sogar das Eigentum eines Possenreißers, eines Unzüchtigen oder eines Straßenräubers werden! Lenke danach deinen Blick auf den Geist deiner Zeitgenossen. Man hat Mühe, selbst die Art und Weise des Dienstfertigsten unter ihnen erträglich zu finden, ganz davon zu schweigen, daß mancher sich selbst kaum ertragen kann. Was nun bei solchem Dunkel und solcher Widerlichkeit der Zustände und dem so raschen Verlauf der Dinge und der Zeit, der Bewegung und des Bewegten wohl der Hochschätzung oder des Strebens überhaupt noch wert sein könne, vermag ich nicht zu begreifen. Im Gegenteil ist es ja Pflicht, die natürliche Auflösung getrost zu erwarten und über ihren Verzug sich nicht zu beklagen, sondern mit folgendem allein sich zu beruhigen: Erstens, es kann mir nichts begegnen, was nicht der Natur des Ganzen gemäß wäre, und dann, von mir selbst hängt es ab, meinem Gott und Genius nichts zuwider zu tun; denn niemand kann mich zwingen, ihm zuwider zu handeln.
Wozu wende ich denn jetzt meine Seele an? So mußt du dich bei jeder Gelegenheit selbst fragen und dann weiter forschen: Was geht jetzt in dem Teilchen meines Wesens vor, das man ja das gebietende nennt, und was für eine Seele habe ich also jetzt? Etwa die eines Kindes oder eines Jünglings oder eines schwachen Weibes? Oder etwa die eines Tyrannen, eines Lasttieres oder eines wilden Tieres?
Den eigentlichen Wert derjenigen Dinge, die dem großen Haufen als Güter erscheinen, kannst du auch daraus abnehmen: Wenn nämlich jemand an Güter denkt, die es in Wahrheit sind, wie Einsicht, Selbstbeherrschung, Gerechtigkeit, Tapferkeit, so wird es ihm, stehen solche Gedanken im Vordergrund, wohl unmöglich sein, noch über jene gleichgültigen Dinge etwas anzuhören; denn für den Guten ziemt sich solches nicht. Denkt er hingegen zuvörderst eben an die Scheingüter des großen Haufens, so wird er aufhorchen und jenes Schlußwort des komischen Dichters als eine treffende Äußerung sich gerne gefallen lassen. Auf diese Art stellt sich auch der große Haufe den Unterschied vor. Denn sonst würde uns jene Scherzrede nicht anstößig und unwürdig vorkommen, wir würden sie vielmehr als einen passenden und witzigen Einfall aufnehmen, wenn sie auf den Reichtum und die Förderungsmittel der Üppigkeit und Ehrsucht angewandt wird. Gehe nun hin und frage, ob solche Dinge schätzbar und als Güter zu erachten seien, bei deren Vorstellung man den passenden Zusatz anbringen könnte, »daß ihr Besitzer vor lauter Reichtum nicht ein Räumchen übrig habe, wo er seine Notdurft verrichten kann.«Eine ähnliche Stelle findet sich in einem Lustspiele des Aristophanes. Eine ähnliche Stelle findet sich in einem Lustspiele des Aristophanes.
Ich bestehe aus einer wirkenden Kraft und einem körperlichen Stoffe. Keines von beiden aber wird in nichts verschwinden, so wenig als es aus nichts entstanden ist. Jeder Teil meines Wesens wird also durch Umwandlung in irgendeinen Teil der Welt versetzt, und dieser wieder in einen andern Teil derselben und so ins Unendliche fort umgewandelt werden. Infolge einer solchen Umwandlung bin auch ich entstanden, und ebenso meine Eltern, und so rückwärts ins Unendliche. Denn nichts hindert uns, also zu reden, wenn auch der Weltlauf nach fest begrenzten ZeiträumenDie Stoiker glaubten, daß in der Welt und Geschichte nach gewissen Zeiträumen alles sich wiederhole und die Weltveränderungen nach einer bestimmten Regel beständig wiederkehren. gelenkt wird.
Die Vernunft und die Kunst, vernünftig zu leben, sind Kräfte, die für sich selbst und für ihre Wirkungen ausreichen. Sie gehen von ihrem eigenen Prinzip aus und streben geraden Weges dem ihnen vorliegenden Ziele zu. Daher heißen auch die ihnen gemäßen Handlungen gerade, weil sie auf den geraden Weg hinweisen.
Dinge, die den Menschen in seiner Eigenschaft als Mensch nicht angehen, darf man durchaus nicht als menschliche Eigentümlichkeit erachten. Sie sind ja keine Erfordernisse des Menschen, auch verheißt sie die menschliche Natur nicht, und ebensowenig vervollkommnen sie die menschliche Natur. Mithin beruht auf ihnen weder die höchste Bestimmung der Menschheit noch das Gut, das die höchste menschliche Bestimmung verwirklicht. Zudem, wenn eines von ihnen den Menschen anginge, so würde es ihm nicht zustehen, sie zu verachten oder gegen sie aufzutreten, und derjenige, der sich so hinstellt, als bedürfe er ihrer nicht, wäre nicht zu loben, und selbst der, der sich eines derselben versagt, würde kein tugendhafter Mensch sein, wofern sie wahre Güter wären. Nun aber ist einer, der sich viele dieser und anderer Dinge der Art versagt oder auch ihre Versagung sich gefallen läßt, ein um so tugendhafterer Mensch.
Nach der Beschaffenheit der Gegenstände, die du dir am häufigsten vorstellst, wird sich auch deine Gesinnung richten; denn von den Gedanken nimmt die Seele ihre Farbe an. Gib ihr also die Färbung durch eine Reihe von Vorstellungen der Art wie: Wo man leben muß, da kann man auch glücklich leben; am Hof aber mußt du leben, mithin kannst du auch am Hof glücklich leben. Ferner: der Grund, warum jedes Ding gebildet ward, ist auch der Zweck, wozu es gebildet ward, und darauf wird es hingetrieben; in dem aber, worauf es hingetrieben wird, liegt auch sein höchstes Ziel. Wo aber das höchste Ziel ist, da ist auch das Wohl und das Gut eines jeglichen. Das Wohl eines vernünftigen Wesens liegt in der menschlichen Gesellschaft. Denn daß wir zur Geselligkeit geboren sind, ist längst schon erwiesen. Oder liegt es nicht auf der Hand, daß die niederen Wesen um der höheren, die höheren aber eines um des anderen willen da sind? Die lebendigen Geschöpfe stehen höher als die leblosen, und unter den beseelten stehen die vernünftigen oben an.
Unmögliche Dinge verlangen ist töricht; unmöglich aber ist es, daß die Lasterhaften anders als lasterhaft handeln. 18.
Keinem Menschen widerfährt etwas, was er nicht seiner Natur nach auch ertragen könnte. Dieselben Unglücksfälle widerfahren einem andern, der, entweder, weil er das nicht recht kennt, was ihm widerfährt, oder weil er seine Geistesgröße dabei zeigen will, ruhig und unverletzt bleibt. Ist es nicht entsetzlich, daß Unwissenheit und Eitelkeit stärker sein sollen als Einsicht?
Die Außendinge selbst berühren die Seele auf keinerlei Weise. Sie haben keinen Zugang zu ihr und können die Seele weder umstimmen noch irgendwie bewegen. Sie erteilt sich vielmehr selber allein Stimmung und Bewegung, und nach Maßgabe der Urteile, die sie über ihre eigene Würde fällt, schätzt sie auch die äußeren Gegenstände höher oder niedriger.
In einer Hinsicht ist der Mensch das uns am nächsten stehende Wesen, insofern wir ihm wohltun und ihn ertragen sollen; insofern aber einer mich an Erfüllung meiner Pflichten hindert, wird er für mich zu einem der gleichgültigen DingeDie Tugend ist das höchste, das einzige Gut, alle anderen Dinge sind für die Stoiker gleichgültig. ebensogut wie die Sonne, der Wind oder ein Tier. Diese jedoch können meiner Wirksamkeit hinderlich werden; aber für mein Wollen und meine Gesinnung gibt es keine Hindernisse; denn jenes ist an bedingende Ausnahmen geknüpft, dieser kann ich eine andere Richtung geben. Denn der Verstand wendet und lenkt jedes Hindernis seiner Wirksamkeit zur Förderung des Besseren um, und so wird für eine Handlung förderlich, was dieselbe zuvor hemmen wollte, und was mir im Wege stand, eröffnet mir dann einen Weg.
Ehre, was in der Welt das Vollkommenste ist; dies ist aber das Wesen, das alles zu seinem Gebrauche hat und alles leitet. Ebenso ehre aber auch, was in dir selbst das Beste ist, und dies ist jenem verwandt. Denn es ist dasjenige an dir, was alles andere zu seinem Gebrauche hat, und dein Leben wird von diesem regiert.
Was dem StaateDie Welt nicht schädlich ist, schädigt auch den Bürger nicht. Bei jeder vermeintlichen Schädigung wende folgende Regel an: Wird der Staat nicht dadurch beschädigt, so schadet's auch mir nicht; wenn aber der Staat verletzt wird, so soll ich doch dem Schadensstifter nicht zürnen.
Denke oft daran, wie schnell alles, was ist und geschieht, fortgerissen und entrückt wird. Ist ja doch das Wesen der Dinge in einem steten Flusse, und ihre Wirkungen sind einem unaufhörlichen Wechsel und deren Ursachen unzähligen Veränderungen unterworfen. Fast nichts hat Bestand, und uns nahe liegt jener gähnende Abgrund der Vergangenheit und Zukunft, in dem alles verschwindet. Sollte also der nicht ein Tor sein, der auf diese Dinge stolz ist oder ihretwegen sich quält oder darüber jammert als über etwas Beschwerliches, was langwierig und nicht von nur kurzer Dauer ist?
Betrachte die ganze Natur, wovon du nur ein winziges Stücklein bist, und das ganze Zeitmaß, von dem nur ein kurzer und kleiner Abschnitt dir zugemessen ist, und das Schicksal, wovon das deinige nur einen Bruchteil bildet.
Es beträgt sich jemand schlecht – das ist seine Sache! Er hat seine eigentümliche Gesinnung, seine eigentümliche Art zu handeln. Ich aber habe jetzt, was ich nach dem Willen der Allnatur haben, und tue, was ich nach dem Willen meiner Natur tun soll.
Der herrschende und gebietende Teil deines Wesens bleibe bei leisen oder heftigen Regungen in deinem Fleische unerschüttert. Er mische sich nicht in das Fleischliche, sondern beschränke sich auf sein Gebiet und umgrenze jene Reizungen in seinen Gliedern. Wenn sie jedoch kraft ihrer anderweitigen Mitteilbarkeit infolge der Einigung von Geist und Körper in das Denkvermögen eindringen, dann versuche es nicht, gegen ein natürliches Gefühl zu kämpfen. Nur den Wahn, als handle es sich um ein Gut oder um ein Übel, füge der in dir herrschende Teil nicht von sich hinzu.
Lebe in der Gemeinschaft der Götter. Der aber lebt in Gemeinschaft mit ihnen, der ihnen stets eine Seele zeigt, die mit dem ihr beschiedenen Lose zufrieden ist und alles das tut, was der Genius will, den Zeus als einen Sprößling seines eigenen Wesens ihm zum Vorsteher und Führer beigegeben hat. Dies ist aber eines jeden Verstand und Vernunft.
Wirst du wohl einem zürnen, der nach Schweiß riecht, oder einem, dessen Atem widerlich ist? Was kann er dafür? Er hat nun einmal solch einen Mund und hat solche Armhöhlungen; es muß also solche Ausdünstung von derlei Gliedern ausgehen. Aber der Mensch hat Vernunft, sagt einer, und kann also bei einiger Aufmerksamkeit wohl einsehen, worin er sich vergeht. Ganz richtig. Mithin hast auch du Vernunft; erwecke also durch deine vernunftmäßige Stimmung die gleiche Stimmung bei dem andern. Belehre! Ermahne! Denn wofern er darauf hört, wirst du ihn heilen und brauchst dann nicht zu zürnen oder zu klagen oder nachgiebig zu sein.
Wie du am Ende deines Lebenslaufes wünschest gelebt zu haben, so kannst du jetzt schon leben. Gestattet man dir aber das nicht, alsdann verlaß das Leben,Irrtümliche Ansicht der Stoiker. jedoch so, als sei dir kein Übel widerfahren. Raucht es irgendwo, so gehe ich weg. Warum scheint dir das so schwer zu sein? Solange mich indes nichts der Art vertreibt, bleibe ich freiwillig da, und niemand soll mich hindern zu tun, was ich will. Mein Wille aber ist der Natur eines vernünftigen und geselligen Wesens gemäß.
Der Geist des Weltganzen ist gesellig, deswegen hat er Wesen von unvollkommener Art um der vollkommeneren willen hervorgebracht und die höheren harmonisch miteinander verbunden. Du siehst ja, wie er alles einander unter- und beigeordnet, jedem nach Maßgabe seines Wertes das Seinige zugeteilt und die edelsten Wesen zu gegenseitiger Eintracht aneinander gekettet hat.
Wie hast du dich bisher gegen die Götter, deine Eltern, Geschwister, Gattin, Kinder, Lehrer, Erzieher, Freunde, Verwandte und Hausgenossen betragen? Kannst du sagen:
Niemand hat er durch Taten beleidiget noch auch durch Worte.Odyssee IV 690.
Erinnere dich aber auch dessen, was du alles schon durchgemacht, und was alles zu ertragen du Kraft gehabt hast, daß die Geschichte deines Lebens bereits vollendet und dein Dienst vollbracht ist. Wieviel Schönes hast du schon wahrgenommen, wie viele Sinnenfreuden und Leiden verachtet, wie viele eitle Herrlichkeiten übersehen, gegen wie viele Übelwollende dich wohlwollend erzeigt?
Warum sollten rohe und ungebildete Gemüter ein gebildetes und einsichtsvolles Gemüt beunruhigen können? Was ist aber eine gebildete und einsichtsvolle Seele? Die, die den Ursprung und das Ziel der Dinge kennt und den Geist, der die Körperwelt durchdringt und die ganze Zeit hindurch nach bestimmten Abschnitten das All verwaltet.
Wie bald, und du bist Asche und ein Knochengerippe und nur noch ein Name, oder selbst nicht ein Name mehr ist übrig! Der Name aber ist bloßer Schall und Widerhall. Und die geschätztesten Güter des Lebens sind eitel, modernd, unbedeutend, Hunden gleich, die sich herumbeißen, und Kindern, die sich zanken, bald lachen und dann wieder weinen. Treue aber und Scham, Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe
– – zum Olymp der geräumigen Erde entflohen.Aus Hesiod.
Was gibt es also, das dich hier unten zurückhält? Alles Sinnliche ist ja so wandelbar und unbeständig, die Sinne selbst sind aber voll trüber Eindrücke und leicht zu täuschen, und das Seelchen ist selbst nur ein Aufdampfen des Blutes. Und nun unter solchen Menschen berühmt sein – wie nichtig! Warum siehst du also nicht gelassen deinem Erlöschen oder deiner Versetzung entgegen? Bis aber dieser Zeitpunkt sich einstellt, was bleibt übrig? Was anders, als die Götter zu ehren und zu preisen, den Menschen aber wohl zu tunAlso Gottesfurcht und Menschenliebe ist das vornehmste Gebot. und sie zu dulden oder auch zu meiden und zu bedenken, daß alles, was außerhalb der engen Grenzen deines Fleisches und Geistes liegt, weder dir gehört noch von dir abhängt.
Es liegt in deiner Macht, daß dein Leben glücklich dahinfließt, wenn du nur dem rechten Weg folgen und auf diesem urteilen und handeln willst. Denn der Seele Gottes und des Menschen und überhaupt jedes vernünftigen Geschöpfes sind folgende zwei Eigenschaften gemeinsam: erstens, daß sie sich von nichts anderem hindern läßt, und zweitens, daß ihr Wohl auf einer gerechten Sinnes- und Handlungsweise beruht und ihr Streben sich darauf beschränkt.
Wenn dies oder jenes weder durch eine Schlechtigkeit von mir noch durch eine Wirkung meiner Schlechtigkeit geschieht und auch das Gemeinwesen davon keinen Schaden leidet, warum bin ich darüber unruhig? Und was könnte dann die Ordnung des Universums dabei leiden?
Laß dich nicht von deinen Einbildungen hinreißen, komm anderen nach Vermögen und Verdienst zu Hilfe. Doch wenn sie in gleichgültigen Dingen einen Verlust erlitten, so stelle dir darunter nicht sogleich einen wirklichen Nachteil vor; denn das Vorurteil ist ein Übel; sondern wie jener Greis, der seinem Zöglinge einen Kreisel abforderte und dann weiter ging, wohl wissend, daß es nur ein Kreisel sei,Die Menschen grämen sich oft um Dinge, die nicht mehr wert sind als ein Kreisel, ein Kinderspielzeug. so verfahre du auch hier. Wenn du aber vor dem Volke auf der Rednerbühne sprichst, Mensch, vergißt du, was es damit auf sich hat? »Ja, aber darauf verwendet man eben doch so vielen Fleiß.« Mußt du also deshalb auch so ein Tor werden? Der Mensch, wo auch immer verlassen, kann an allen Orten glücklich sein, glücklich aber ist, wer sich selbst ein glückliches Los bereitet hat. Das glückliche Los aber besteht in guter Gemütsstimmung, in guten Neigungen und guten Handlungen.