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IX.

Fräulein Rosa Idali bezog als erste Solotänzerin des Stadttheaters in B. (wir wissen es ganz genau) eine Jahresgage von siebenhundert Thalern. Das ist für eine prima ballerina nicht viel. Eine Fanny Elzler, Ceritto, Lucilie Grahn bezog weit mehr. Ob der Theaterreferent der Morgenzeitung in B. Fräulein Idali mit diesen choregraphischen Celebritäten in gleichen Rang stellte (ob sein journalistisches Gewissen ihm darüber niemals Vorwürfe gemacht, wissen wir nicht) – oder nicht – sie hatte darum keinen Thaler mehr als eben die vorgenannten siebenhundert. Gleichwohl bewohnte sie eine der elegantesten Wohnungen in dem nobelsten Stadttheile. Eine Gräfin hätte nach ihr das Logis beziehen können, und wäre sicher zufrieden gewesen. Luxus und Geschmack hatten sich vereinigt die Bel-Etage, deren Fenster auf den Hauptplatz der Weltstadt hinausschauten, auf das Comfortableste herzurichten. Da gab's allerliebste Boudoirs, Eßzimmer mit einfallendem Lichte, kleine Salons à la Rococco, große Empfangszimmer, sogar einen Tanzsalon und ein Badezimmer. Daß man eine solche Wohnung mit 700 Thaler Einkommen bewohnen kann, ist keine Kunst – wohl aber sie zu zahlen und dennoch standesgemäß zu leben. Das eben war es, was den Neid aller Colleginen der Tänzerin wach rief, weniger ihre Leistungen als Jüngerin der Terpsichore.

Aber Fräulein Idali war nicht nur Tänzerin, sondern sie war auch hübsch, bildhübsch. Zu ihrem Aerger mußten das selbst ihre intimsten Feindinen eingestehen. Rosa wußte, nebenher bemerkt, daß ihr Spiegel nicht log. Weil sie das wußte – konnte sie das luxuriöse Logis nicht nur bewohnen, sondern auch – zahlen! – – das ist sehr logisch. Das mochte freilich auch das Einzigste sein, was die schöne Idali von der Logik wußte. Es war ausreichend genug. So dachte sie wenigstens über diesen Punkt. Eine Tänzerin braucht allerdings nicht Kant oder Aristoteles studirt zu haben, um ein liebenswürdiges Geschöpf zu sein, für das man sich mit Freuden ruinirt. So dachten wenigstens ihre Anbeter. Die böse Fama sagte freilich, sie haben deren wie Sand am Meere. Die Fama ist aber bekanntlich ein Frauenzimmer. Die sind immer neidisch und vielleicht – wir sagen vielleicht – konnte auch die schöne Idali trotz der neidischen Fama mit Maria Stuart ausrufen: »ich bin besser als mein Ruf!« … Jedenfalls wußte die Welt von ihr noch nicht das Aergste. Wir erinnern daran, daß Demoiselle Rigolboche ihre Collegin war. Freilich lebte diese in Paris! Was ist B… gegen Paris! …

Fräulein Idali hatte außer einer Köchin, eine Kammerzofe und einen Livreebedienten. Ihr ganzes savoir faire diesen Domestiken gegenüber bewieß, daß sie es gewohnt sei, einen solchen Hofstaat immer um sich zu sehen. Auch in dem Salon machte sie die Honneurs mit jener graciösen Sicherheit, welche sonst dem Parvenü gemeinhin unerreichbar ist. »Sie schien geboren, um mit Tresorscheinen wie mit Papierschnitzeln um sich zu werfen,« hatte einst ein renommirter Witzbold von ihr gesagt. Das glaubt nun freilich Mancher von sich; es sieht sich indeß leichter an, als es ist…

Die Tänzerin stand in völligem Promenadenanzug vor dem großen Stehspiegel ihres Boudoirs und bewunderte den Schnitt eines neuen Havannakleides, welches sie heut' zum ersten Male angelegt hatte.

Der Diener meldete Sennora Jannos.

»Sehr willkommen. Ich lasse hierher die Sennora bitten!«

Der Diener ging.

»Endlich einmal wieder,« sagte die Tänzerin sichtlich erfreut. »Es muß etwas Besonderes sein, das sie zu mir führt, diesen Tugendspiegel! Gleichviel! Ich muß Alles aufbieten, die hübsche Sennora an mich zu fesseln. Darum kein böses Gesicht gezeigt über diese Vernachlässigung! … Man sagt in der Stadt, mein Umgang sei kein löblicher, und spottet darüber, daß in meinen Albums nur männliche Portraits die Erinnerungsgallerie meiner Bekanntschaften repräsentiren! … Wenn sich die Jannos an mich attachirte, dürfte diese üble Nachrede doch wohl ein wenig eingeschüchtert werden. Sie hat, wie sie mir sagte, Empfehlungsbriefe an die ersten Häuser. Sie hat Geist und ist schön. Sie wird also bald eine Rolle spielen in den Salons, zumal man ihre doppelte Wittwenschaft dort für ein Martyrium ansieht – und nur wenige Sprossen der Himmelsleiter trennen sie von einer Heiligen! … Wenn sich eine solche Dame an mich anschließt – unabsehbar sind die Folgen! … Ich will meine Prinzipien ändern … Die Emancipation der Demi-Monde lockt wohl diesen und jenen blasirten Roué in unser Netz – die Heilige sieht dagegen ganze Schwärme von Anbetern zu ihren Füssen! Bekehren wir uns also! Diese Spekulation kann nicht fehlschlagen!« …

Die hübsche Sennora unterbrach diesen Monolog der leichtfertigen Tänzerin. Mit gutgespielter Zärtlichkeit umarmte diese ihren Gast und zog ihn zu sich auf ein Sopha, das dem Spiegel vis à vis stand.

»Die Freude, Sie endlich einmal wieder zu sehen,« begann sie, die Hand der Sennora nach Kinderart tätschelnd, »drängt jedes Wort des Vorwurfs über die lange Vernachlässigung zurück. Jetzt sind Sie da – ich habe Sie bei mir – und nicht sobald kommen Sie von mir los! Ich muß solche Gelegenheiten nützen, mich mit der alten Collegin einmal so recht auszuplaudern! Bei unserem ersten Wiedersehen erfuhr ich Ihre Lebens-Schicksale – lassen Sie mich heute so egoistisch sein, von den meinigen reden zu dürfen! Ach, theure Freundin, wie bunt, wie wechselvoll war dieses Leben! Sie erinnern sich, wie und wo wir uns zum ersten Male trafen. Sie spielten die Deborah als ersten theatralischen Versuch … Wir wollen nicht nachzählen, wie viele Jahre seitdem verflossen sind! So lange man prima ballerina ist, muß der Taufschein bei einem gewissen Jahre stillstehen! … Was Sie anlangt – in Wahrheit – die Jahre sind über diesen Scheitel dahingeflogen, ohne daß … Sie erröthen? Wir sind entre nous und wenn Sie in Ihrem Paß auch das richtige Lebensalter signalisirt haben – Niemand glaubt es Ihnen!«

Sie warf bei diesen Worten einen halb bewundernden, halb neidischen Blick auf das reizende Bild, welches der Spiegel von ihrer Nachbarin zurückstrahlte.

Die schwarze, schmucklose Wittwentracht stand der hohen, schlanken Figur überaus vortheilhaft und hob den weißen Teint des sanften und schwärmerischen Gesichts doppelt schön hervor. Dunkle üppige Flechten zierten die hohe Stirn. Ein unbeschreiblicher Ausdruck frommer Resignation lag ausgegossen über die reizenden, sinnenden Züge. In den dunklen Augen schwamm ein feuchtes Schimmern. Man sah es diesen Augen an, daß sie sich im Weinen geübt. Das Profil zeigte einen edlen, antiken Schnitt. Es stimmte jede Linie so harmonisch zum Ganzen, es war Alles so weich und jugendlich, und einer Aureole gleich floß um das Angesicht jener zaubervolle Duft edler und keuscher Weiblichkeit …

Nur die etwas eingesunkenen Schläfe mit dem blauen Geäder, das durch die zarte Haut leise hindurchschimmerte so wie die bleichen Lippen, denen das Inkarnat der Jugendblüthe fehlten, ließen errathen, was die Tänzerin nicht ohne Schadenfreude zur Sprache brachte.

Die Sennora wollte darauf antworten. Das Thema mochte sie unangenehm berühren, da die mehr als emancipirte Freundin durch dasselbe zu einer Schmeichelei angeregt zu werden schien, die in jeder Weise bei ihr nicht angebracht sein mochte. Sie erröthete sichtlich und senkte den Blick zu Boden. Es lag eben nicht in ihrer Art sich von dem Spiegel oder einem Dolmetscher dieses stummen Schmeichlers derlei Elogen sagen zu lassen. Ein Weltkind wie die Idali, mochte das unbegreiflich finden.

Eine Pause entstand. Die Wittwe unterdrückte ihre Antwort. Die Tänzerin war schlau genug, um einzusehen, daß sie auf diesem Wege ihr Ziel nicht erreichen werde. Einen Charakter, der dem ihrigen so diametral entgegengesetzt war, für sich zu interessiren, und an sich zu attachiren, war allerdings keine so leichte Aufgabe. Mit plumper Schmeichelei war es hier nicht abgethan. Das fühlte sie. Mit Theaterpathos ebenso wenig. Sie mußte durchaus einen Ton anstimmen, der in diesem edlen, weichherzigen Gemüthe ein Echo fand. Nur eine recht natürlich gespielte Comödie konnte hier zum Ziele führen. Ihr Instinkt sagte ihr, es sei am leichtesten an das weiche Herz der ehemaligen Collegin zu appelliren. Wie das? Ein Roman mußte ersonnen werden. Ihre Phantasie war bald damit fertig. Sie begann also die Unterhaltung auf ihre Lebensschicksale zurückzuführen.

»Als die Saison in S. zu Ende war,« erzählte sie mit großer Unbefangenheit, »mußten wir Beide uns trennen! Wissen Sie noch, daß man uns bei der Gesellschaft den Namen: ›Stubenburschen‹ gegeben? Ach es waren herrliche, unvergeßliche Tage! Wie froh und zufrieden waren wir trotz mancher Entbehrung in dem kleinen Verhältniß. Noch manche Einzelheit ist mir erinnerlich!

Wissen Sie noch, wie Sie zum ersten Mal die Maria Stuart spielten? Wir hatten die ganze letzte Nacht an Ihrer Garderobe genäht. Ich spielte den Schreiber Davison, weil das Männerpersonal nicht reichte und hatte bei all' der Näherei meine Rolle nur flüchtig memorirt. Unbarmherzig ward ich ausgelacht, denn ich stockte ein über das andere Mal! Regisseur und Direktor tobten, mir standen die Thränen in den Augen. Sie kamen und trösteten mich. Sie hat gut trösten nach dreimaligem Hervorruf – dachte ich damals! Ich glaube fest, ich hatte Selbstmordgedanken, als ich mich auskleidete! …

Und dann erinnern Sie noch, wie es hieß: Ihr Vater sei gekommen, Sie heimzuholen … Ich wußte, daß Sie halbwegs wider den Willen des gestrengen Papas zum Theater gegangen. Drei Tage und drei Nächte bebten wie vor jener schrecklichen Familienscene, die zum Glück nicht in Scene ging, da Papa nicht kam! …

Von S. kam ich nach Wien. Dort wandte ich mich ausschließlich dem Ballet zu. Ich gefiel. Ich lebte nur der Kunst … ich war unendlich glücklich! Zu bald kam das Unheil über mich herein … Ich lernte einen jungen Mann kennen. Er gab sich für einen Maler aus und wohnte in meiner Nachbarschaft, wie er sagte … Wir liebten uns. Ich träumte von glückseligen Tagen. Er ward nicht müde, mir seine Liebe zu betheuern. Der Schändliche! Nur zu bald merkte ich den Betrug! … Er war nicht der arme Maler – er war der Sohn eines vornehmen Magyaren … Er vermählte sich mit einer Gräfin aus Mähren … Noch am Hochzeitstage war der Elende bei mir, der arglos Vertrauenden und schwor mir ewige Liebe! … Acht Tage nach der Hochzeit entdeckte ich durch Zufall den Verrath, den er gegen mein allzu leichtgläubiges Herz verübt! … Ich glaubte die Entdeckung nicht zu überleben. Ein hitziges Fieber brachte mich dem Tode nahe. O wäre ich gestorben … aber das Schicksal wollte es anders. Ich genaß – aber die Genesende trug den Tod noch immer im Herzen. Ich mußte leben – ich ging wieder zum Ballet.

Der an mir verübte Treubruch hatte mich verbittert. In jedem Mann sah ich einen Feind unseres Geschlechtes. Zur Manie ward dieser Gedanke in mir. Ein brennender Durst nach Rache an der falschen Männerwelt überkam mich. In dieser Rache allein glaubte ich Thörin all' jene Bitterkeit ausströmen zu lassen! … Leichtfertige Freundinen zogen mich vollends in diesen verderblichen Ideenkreis hinein und bestärkten dieses irrsinnige Rachegefühl! … O wie leicht sind in einem schwachen, betrogenen Frauenherzen alle besseren Regungen erstickt!«

Sie bedeckte das Gesicht mit ihrem Tuche.

Die Sennora ergriff theilnehmend die Hand der Lügnerin. Die Entdeckung, daß ihre List gelungen, machte es dieser leicht, durch einen Hauptcoup die Wirkung dieser Scene zu sichern.

Mit schluchzender Stimme fuhr sie fort:

»Lassen Sie mich schweigen, theure Freundin, über den wüsten, bösen Traum, der mich seitdem umfing! … Jetzt endlich bin ich erwacht … Was hilft aber meine Reue? Ich bin allein – und die Welt glaubt nicht an diese Reue! Unbarmherzig spricht sie ihr Verdammungsurtheil aus – und ach – in mir selbst ist kein Trost, keine Hoffnung. Eine entsetzliche Leere wohnt in meinem verödeten und gebrochenen Herzen! Nirgend ein teilnehmender Busen, an dem ich mich ausweinen könnte – nirgend ein liebend' Auge, das tief hineinschaut in mein Inneres, um dort zu lesen, was Reue und Verzweiflung auf die leeren Herzensblätter eingeschrieben!« …

Ihre Stimme schien erstickt durch Weinen.

Ueberwältigt von diesem Eindruck, beugte sich die Sennora zu der falschen Tänzerin und drückte sie zärtlich in ihre Arme.

»Sie stehen nicht allein,« sagte sie mit weicher, melodischer Stimme, in der ihre innere Erregung nachzitterte, – »wenigstens nicht mehr von heut' an! Erneuern wir den Freundschaftsbund vergangener Tage! Ich will mich des Vertrauens würdig zeigen, welches Sie mir geschenkt. Was auch die Welt sagt« – fuhr sie leiser fort – »ich glaube ihr nicht, da ich in Ihrem Herzen gelesen.«

»Dank – heißen Dank, meine theure Freundin!«

Sie schien keines weiteren Wortes mächtig und in aufrichtiger Rührung neigte sich die Sennora über die arme, tiefgebeugte Freundin.

»Wie lebhaft fühle ich mit Ihnen!« begann die wohlmeinende Trösterin auf's Neue. »Auch mein Herz hat Erfahrungen gemacht, die den Ihrigen verwandt sind. O daß es mir gelänge, Sie zu trösten durch den Trost, der auch mich vor Verzweiflung rettete! Mein Leben war eine ununterbrochene Kette der trübsten Schicksale, der finstersten Verhängnisse! Es gibt kaum ein Leid, das eine Geliebte, eine Frau, eine Mutter hegt, das nicht auch mein Herz durchzitterte! Dürfte ich den Schleier heben von so manchem Geheimnisse meines unruhvollen Lebens, Sie würden begreifen, daß ich wie keine Zweite tiefinnerlich mitfühle, was Sie tragen! Aber Muth, meine Theure, Muth! Auch Sie werden überwinden und meine Aufgabe sei es hinfort, Sie über das scheinbar unbezwingliche Geschick dennoch triumphiren zu machen.« …

Diese aufrichtige Theilnahme überzeugte die Tänzerin, daß ihr Ziel völlig erreicht sei. In bewegten Worten ließ sie jetzt ihre Dankgefühle ausströmen.

Der Freundschaftsbund ward durch die zärtlichsten Küsse besiegelt. Die Tänzerin spielte die Rolle der büßenden Magdalena in der That mit großer Virtuosität. Ja als die neu gewonnene Freundin ihr im Verlaufe des Gespräches mit offenherziger Freimüthigkeit eingestand, daß auch sie durch das Urtheil der Welt an dem Charakter der früheren Collegin zu zweifeln begann, wußte sie den letzten leisen Zweifel derselben durch einen Thränenstrom niederzukämpfen.

»Jede deiner Thränen,« sagte diese »ist ein gerechter Vorwurf für meine Leichtgläubigkeit, die sich durch den Schein verleiten ließ! Meide in Zukunft auch diesen Schein, meine theure Freundin. Das Urtheil der Welt darf dir in deiner Stellung nicht gleichgültig sein. Kann der Künstler dasselbe durch ehrenwerthe Mittel erringen, so soll er dieses nicht versäumen. Kein Vorurtheil ist für den Jünger der Kunst gefährlicher, als das, welches das große Publikum gegen seinen bürgerlichen Charakter haben kann. Selbst die wirklich Genialen verachten dasselbe niemals ungestraft. Ihre Selbstüberhebung rächt sich früher oder später an ihnen selbst … Gestehen mußt du dir, der Schein, der dich umgibt, zeugt wider dich. Ein jeder Theaterhabitus kann Vergleiche ziehen zwischen deiner Logismiethe und deinem Gagenconto!« …

Die Tänzerin erbebte bei diesen Worten, obschon dieser Vorwurf so überaus nahe lag und jenes handgreifliche Mißverhältnis ihrer Lebensweise und ihrer Einnahme nothwendiger Weise zur Sprache kommen mußte.

Die Nothlüge, die sie um dem vorzubeugen, schon bei'm ersten Besuch der Sennora angewendet, schien bei dieser nicht völligen Glauben gefunden zu haben.

»Ich sagte dir ja schon von der Erbschaft –« entgegnete sie schüchtern.

»Sehr richtig. Aber was nützt es dir, daß ich durch diese Aufklärung beruhigt bin. Was weiß die Welt, die voreilig richtende, die schadenfrohe, scheingeblendete Masse davon? So wie diese über dich denkt – ich muß ganz offenherzig sein – fürchte ich, daß sie diese Wahrheit unbequem finden wird und ihre Verläumdungen nicht darum schweigen läßt … Trotz meines spanischen Namens, habe ich, wie du siehst, meine deutsche Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit mir erhalten. Selbst in diesen delikaten Verhältnissen gebe ich sie nicht auf und glaube nicht von dir, daß du dieselbe taktlos schelten wirst! Wir müssen offen sein – ganz offen!«

»Wie wahre Freundschaft es bedingt und beansprucht,« fiel die Tänzerin demüthig ein und ergriff beide Hände der Freundin, um sie an ihr Herz zu drücken. »O wie viel darf ich,« fuhr sie mit einschmeichelndem Tone fort, »von einer solchen Freundschaft hoffen! Wie schmachtete ich nach einer solchen Freundschaft! O daß wir uns nie getrennt hätten, wie ganz anders stände es mit mir! … An dir werde ich mich jetzt aufrichten! Ein neues Leben beginnt für mich von diesem frohen Tage an, der mir das schönste Gut verlieh, das einem Sterblichen nur zu Theil werden kann! Bis auf diesen Tag versagte mir mein mehr als feindseliges Geschick dieses Gut!« …

Die Stunden schwanden in gegenseitigen Herzensergießungen. Die Sennora blieb bis gegen Abend. Da schlug die Tänzerin eine gemeinsame Spazierfahrt vor. Sie machte jede Ablehnung dadurch unmöglich, daß sie dieses öffentliche Beisammensein als ersten Beweis der neubeschlossenen aufrichtigen Freundschaft bezeichnete.

»Dadurch zeugst du für mich vor den Augen der Welt« – so sagte sie – »dir wird man glauben!«

Der Wagen kam. Die Tänzerin war schlau genug, dem Kutscher die belebtesten Stadtpromenaden zu nennen, durch die er fahren sollte. Arglos billigte die Sennora alle Anordnungen der Tänzerin.

Sie fuhren davon.

Gar bald überzeugte sich Rosa, wie richtig ihr Calcül gewesen. Die allgemeine Aufregung, welche unter den Promenirenden entstand, da sie neben der allzu bekannten Tänzerin die Tageskönigin der ersten Salons, die tugendhafte, fromme Sennora Jannos erblickten, gab Jener den Beweis in die Hand, daß ihr Spiel nicht ohne Folgen sein werde. Vermochte sie die schutzbare Freundin dauernd an sich zu fesseln, so würde diese den erwünschten Umschwung in der öffentlichen Meinung bald herstellen. Die ihr bis dahin verschlossenen Salons der sonst so exclusiven Plutokratie würden sich ihr öffnen. Unter der Maske einer verfolgten Unschuld, einer durch falsches Vorurtheil verdammten Tugend würde sie die Zahl ihrer Opfer verdoppeln – verdreifachen! Sie war entschlossen, die neue Rolle fortzuspielen, es möge ihr kosten, was es wollte. Sie verkannte nicht die ihr entgegentretenden Schwierigkeiten, aber diese erhöhten nur ihren Muth. Auf die vollständigste Diskretion ihrer Bevorzugten konnte sie sich verlassen. Der Commerzienrath würde – das durfte sie mit Sicherheit erwarten – sie wesentlich in dieser Rolle unterstützen. Die Schlaue hatte diesen Tartüffe zur Genüge erkannt! …

Die Aufmerksamkeit, welche die beiden Damen in dem offenen Wagen erregten, machte auf die Sennora gerade den entgegengesetzten Eindruck, wie auf die eitle und leichtfertige Ballerina. Sie fühlte sich gedrückt. Fast bereute sie jetzt ihre Nachgiebigkeit. Sie fühlte instinktiv, welch' besonderes Interesse man an ihrem heutigen Erscheinen nahm. Die Haltung der Tänzerin jedoch beruhigte sie wieder, indem dieselbe Alles vermied, das irgendwie ihre allerdings auffallende Erscheinung durch Künste der Koketterie noch auffallender machen konnte.

Die letzte helle Abendröthe lag ringsumher ausgebreitet. Sie funkelte auf den Kirchthurmspitzen, in den Fenstern, auf dem Bassin. Der Großstädter kennt solcher Sommertage nicht viel. Man genießt ihre Herrlichkeit nicht unter dampfenden Maschinen, unter dem Marktgedränge oder im lauten Hafengewühl. Wo der Grundsatz gilt: Zeit ist Geld, da erscheint jede Naturschwelgerei als ein Raub an dem Gewinnconto des Tages. Gibt es doch für die Söhne von Soll und Haben ja auch keine andere Freude als die, welche sich in Zahlen ausdrücken läßt … Ein schöner Sommerabend ist nach ihrer Ansicht höchstens ein Genuß für Dichter und Phantasten, abgelebte Wittwen und Rentiers – und die vollständigste Emancipation von aller solcher Gefühlsschwärmerei der höchste Triumph für den Jünger Merkurs.

Aehnliche Grundsätze sah man deutlich genug ausgeprägt auf Gesichtern, die noch jetzt in geschäftsmässiger Eile durch die Schaaren der Müßiggänger sich drängten. Wenn es nun auch an diesen auf den breiten mit Alleen umgebenen Promenaden zumal in dieser Stunde nicht fehlte, so erkannte man doch, daß das Hauptelement der Bevölkerung, als dem Handel angehörend, selbst in den Abendstunden den gewinnbringenden Fleiß dem Müßiggange mit unbewußt zur Schau getragenem Selbstbewußtsein – vom Börsenkönige bis zum Lagerknechte – vorzogen. Es dient dieser hervorstechende Zug zur Charakteristik jeder großen Handelsstadt. Diese geschäftsmäßigen Schritte, diese vom Comptoirdienste erlahmten und nun in doppelter Beweglichkeit zu sich selbst kommenden Arme, dieses verächtliche Herabblicken auf die Herumschlenderer, diese Alles taxirenden Augen, dieses fortwährende Rechnen und Notiren und Handeln im Stehen wie im Gehen, diese starren Physiognomien, die den inwendigen Courszettel zu memoriren scheinen – findest du in keiner Residenz. Es verschwindet dort unter der behaglich sich gehen lassenden oder ängstlich zugeknüpften Noblesse, unter dem Müssiggange, der dort officiell und privilegirt auftritt, unter dem selbstbewußten Savoir vivre, das dir aus jeder Physiognomie der Residenzbewohner entgegentritt …

Ob die bleiche Sennora in der reizenden Wittwentracht, welche neben der pikanten Tänzerin im Wagen saß, solchen Gedanken nachhing? Schwerlich! Sie blickte ernst und düster. Die Umgebungen dieser neumodischen Boulevards schienen ihr nicht unbekannt, das Interesse, welches sie gleichwohl für dieselben zeigte, mußte besonderer Art, aber kein freudiges sein. Oft schüttelte sie das Haupt, wann ihr dies oder jenes neue Gebäude vor Augen kam, dann wieder konnte sie schmerzlich lächelnd vor sich hinnicken, als begrüße sie Altbekanntes, an das sich wehmüthige Erinnerungen knüpfen mochten.

Der leichtfertigen Tänzerin fiel dieses Mienenspiel nicht auf. Sie dachte nur an die Folgen der vordem gespielten Scene, die in dieser gemeinsamen Spazierfahrt schon so schöne Früchte getragen.

Als der Wagen aus einer älteren Allee abbog und in die Hauptstraße der Neustadt einbog, welche mit Prachtgebäuden geziert war, entfuhr der Sennora ein Laut der Bewunderung. Rings um einen weiten Platz, den zwei Springbrunnen und ein Marmormonument im Centrum zierten, lagen hier die Paläste der höchsten Plutokratie. Es war der Stadtheil, der nach einer Feuersbrunst ganz neu erbaut war und seltsam genug abstach gegen die winkelige, dunkle Altstadt mit ihren engen und abschlüssigen Gassen, ihren hohen gothischen Giebelhäusern und ihrer todesstillen Einsamkeit. Ein imponirender, überraschend schöner Anblick. Zumal jetzt! Die goldenen und rosigen Tinten der Abendröthe umflossen das Panorama, über welches sich der azurblaue Himmelsdom wie ein hoher Baldachin ausspannte. Von den grünen Alleen floß der würzige Lindenblüthenduft, die Springbrunnen rauschten. Die elegante Welt drängte sich zu Fuß und zu Wagen in den dreitheiligen Baumreihen auf und ab. Die ganze Pracht und Herrlichkeit der Weltstadt stellte sich hier dem entzückten Auge dar.

»Ist's hier nicht himmlisch schön?« rief die Tänzerin der Freundin zu. »So oft ich schon diesen Anblick genossen – immer erscheint er mir neu und selbst die Alles verkleinernde Gewohnheit vermag mir diese Schönheit nicht geringer erscheinen zu lassen!« …

Die Freundin gab keine Antwort.

Sie schien versunken in eine Welt von Gedanken.…

Der Wagen fuhr langsamer. Die mittlere Allee dehnte sich vor dem Monumente zu einem Rondell aus, in welches die übrigen Baumgänge von allen Seiten einmündeten. In diesem Kreise herrschte das dichteste Gedränge.

Als man in die Nähe des Monumentes kam, schien die Sennora aus ihren Träumen zu erwachen.

Sie fragte nach der Bedeutung der allegorischen Gruppe, welche sich auf einem Postamente von rothgesprenkelten Marmor erhob.

Die Tänzerin gab Auskunft, so weit sie es vermochte, indeß die Freundin durch ihr goldenes Lorgnon mit besonderer Aufmerksamkeit das schöne Kunstwerk betrachtete. Urplötzlich entfiel das Glas ihrer Hand. Todtenblässe überzog das Gesicht. Ihr starres Auge richtete sich auf eine Männergestalt, die zwischen den Kaskaden stehend mit übergeschlagenen Armen ebenfalls das Monument zu bewundern schien. Das ernste wehmuthsvolle Antlitz schien über die Marmorgruppe hinweg auf die Damen hinüberzuschauen; nochmals hob die Sennora mit zitternder Hand das Glas … ein lauter Schrei folgte … und bewußtlos sank sie zurück in die Kissen.


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