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» Nun noch ein Gläschen, lieber Herr Fischering! Da steht die Rumflasche und die Zuckerdose dicht dabei. Bedient Euch nach Belieben! Herrliches Getränk, diese Mischung! Ja, die Leute in Amerika wissen zu leben. Auch noch ein wenig Sherry? Ihr dürft nur befehlen.«
»Schon gut,« erwiederte ziemlich unwirsch der also Angeredete, welcher diese fast übertriebene Gastfreundschaft des sonst sehr knickerigen Kirchenbauvorstehers keineswegs überschätze. Er lehnte sich in das altmodische Ledersopha zurück und blies den Dampf seiner Papyros in dicken Wolken von sich.
Der kleine Mosevius schien bereits sehr erheitert durch den Genuß den neuen Sherry Punsches, dessen Recept er so eben mit einer auffallenden Beredtsamkeit gelobt. Seine kleinen Augen funkelten wie Glühwürmchen aus den tiefen Höhlen. Einzelne tiefrothe Flecken auf Stirn und Backen verriethen, daß ihm die Spirituosa für gewöhnlich fremd waren.
»Auf gute Kameradschaft! rief er mit lauter Stimme und liebäugelte mit dem dampfenden, dunkeln Naß in seinem weitbäuchigen Glase, das er schmunzelnd dem Gaste entgegenhielt.
»Meinetwegen!« gab der Andere zur Antwort, doch der Ton zeigte zur Genüge, wie wenig er diese Ehre zu würdigen wußte.
Während die Gläser hell und lustig zusammenklangen, ward ein weiblicher Kopf mit einer ungeheuren Spitzenhaube in der Thüre sichtbar.
»Du trinkst zu viel, Eusebius!« rief eine kreischende Stimme. »Hüte dich, mein Schätzchen.«
»Keine Angst, du liebes Täubchen,« lallte Mosevius. Das Täubchen trat ein und präsentirte sich als eine Fünfzigerin mit sehr determinirtem Wesen.
»Willst du auch 'mal trinken, mein Mäuschen?« rief der Kirchenbauvorsteher und beeilte sich, der holden Gattin sein Glas hinüberzureichen. Das Mäuschen hatte, nebenbei bemerkt, fast das Militärmaaß für die Garde. Ihr Gesicht glühte so rosig wie die blutrothen Bänder ihrer hohen Haube, deren sauberes Weiß äusserst wohlthätig abstach gegen diesen echauffirten Teint des grobgeschnittenen Gesichts.
»Seid Ihr mit Allem in Ordnung, Madame?« fragte Fischering, der ziemlich leichthin grüßte.
»Gewiß! Seit einer Stunde! Das Stübchen ist gar behaglich!« – Fischering lachte laut auf.
»Es ist noch zu hell,« meinte Mosevius.
»Ein Gewitter steht im Osten,« sagte die Hausfrau und trat zum Fenster.
»Besser dort als über meinem Kopf,« meinte Mosevius leise zu seinem Nachbar mit einem vielsagenden Blicke auf die treue Genossin seiner irdischen Pilgerfahrt. Er schien selbst erstaunt über diesen seinen Muth und blickte auf Fischering mit dem Gefühle innerlichster Befriedigung seines männlichen Stolzes.
»Ich scheine hier überflüssig« – meinte sehr spitz die Alte und warf drohende Blicke zu ihrem Gatten, der ihr auf's Neue mit einem devoten Grinsen das Glas hinhielt …
»Ich mag nicht,« sagte sie kurz und ging. Dröhnend flog die Stubenthüre hinter der Xantippe zu.
Fischering schien durch dieses Intermezzo plötzlich in eine heiterere und behaglichere Stimmung versetzt zu sein. Er begleitete den Rückzug der Madame mit einem überlauten, rohen Gelächter, welches den auf einmal sehr unruhigen und kleinlauten Mosevius noch mehr in Angst setzen mochte.
»Auf Eure glückliche Ehe,« rief Fischering spottend und klopfte dem kleinen Kirchenbauvorsteher so massiv auf die Schultern, daß dieser in ein lautes Schreien ausbrach.
»Es ist noch nicht aller Tage Abend und Ihr werdet's wohl auch noch kennen lernen,« meinte er mit leiser Stimme (als fürchte er, sein Hauskreuz möge vor der Thüre lauschen). »Vor der Ehe sind sie alle Engel, aber –aber hernach wird's anders! Ich glaubte auch in meiner Barbara ein gar holdselig, lammfrommes Mägdelein heimzuführen! O Verstellung, dein Name ist Weib.«
Fischering schien sich über das Lamento des bigotten Pantoffelhelden zu amüsiren.
»Ich würd' an Eurer Stelle,« sagte er mit einem überaus schalkhaften Lachen, »doch mein Hausherrnrecht mir nicht so ganz und gar vergeben. Zeigt einmal nur, daß Ihr opponiren könnt, so gibt sie klein bei! Riskirt's doch einmal, Euch als starkes Geschlecht zu zeigen! Zum Donner, seid Ihr ein Kerl!«
»Ja – ich will's auch – will's auch mit Nächstem,« rief Mosevius, der sich völlig beruhigte, daß die Barbara nicht lausche.
»Ei was mit Nächstem – gleich jetzt! Gleich heute!«
»Gleich jetzt? Ja aber – wie so denn?« –
»Wir wollen lustig sein, laut singen und anstoßen: Sie gönnt Euch die paar warmen Schlucke nicht – hab's wohl bemerkt! Pfui Teufel, wenn ich meine Frau erst um Erlaubniß bitten sollte, einmal ein Gläschen über den Durst trinken zu dürfen! Stoßt an: es lebe die Freiheit, der ledige Stand.«
Die Gläser klangen hell zusammen und Mosevius hatte den Muth, den Toast seines Gastes zu wiederholen. Es war als ob der Punsch seine Courage wunderbar erhöhte.
»Wir haben noch zwei Stunden Zeit, bis es völlig dunkel wird und wir unser Vorhaben ausführen können. Bis dahin wollen wir lustig sein! Noch eins zusammengebraut. Nicht zu wenig Sherry und ebenso viel Rum!«
»Es ist doch etwas höchst Seltsamliches um solche Spirituosa,« meinte Mosevius, dessen funkelnde Augen immer kleiner wurden. »Es kommt eine eigene Lustigkeit in des Menschen Herz – und doch sollte ein guter Christ sich davor hüten.«
»Zum Henker, was Ihr da wissen wollt'! Sagte doch Luther selbst: Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang, der bleibt ein Narr sein Lebelang!«
»Den Spruch kenne ich noch gar nicht, aber er gefällt mir ganz absonderlich wohl! Nur die Weiber hätte er weglassen müssen, wie ich vermeine.«
»Ei was, es sind nicht alle Evatöchter Barbara's! Stoßt an: Es lebe Wein, Weib und Gesang!«
»Wein und Gesang,« lallte Mosevius, der sich mühsam emporrichtete und den Nachbar umarmte.
Ein Geräusch wie von fallenden Stühlen erscholl aus dem Nebenzimmer.
»Auch das Weib soll leben,« rief Mosevius mit überlauter Stimme, um den unruhigen Geist im Nebenzimmer zu besänftigen. »Auch das Weib!« wiederholte er mit schwerer Zunge.
»Ausgenommen das Eheweib!« fügte Fischering mit tiefem Baßton hinzu.
Der Kirchenbauvorsteher hatte sich in das Ledersopha fallen lassen und stierte mit gläsernen Augen auf den Nachbar.
»Es dreht sich Alles um mich herum,« sagte er mit heiserer, unsicherer Stimme. »Das Licht auf dem Tische vor mir tanzt auf und nieder. Hihihi, das ist gar curios! Meine Beine sind so leicht, als zählte ich erst Sechszehn – aber der Kopf ist schwer, als läge Blei darin! Blei! Hihihi! Altes Blei wird theuer bezahlt … So ein tausend Pfund fallen schon ab bei'm Kirchenbau! Alles für mich – für mich! Hihihi! das Blei wird versilbert. O ich bin nicht von gestern!«
Die Geständnisse dieser schönen Seele schienen den Zecher in der rothen Jacke ganz absonderlich zu interessiren. Immer mehr fühlte Fischering mit dem Kirchenbauvorsteher, den er früher nur für einen »Langhaarigen,« gehalten, eine tiefinnerliche Wahlverwandtschaft.
»Was hätte man auch sonst vom Leben, wenn sich das Herz nicht … nicht an den blanken, blinkenden Geldhaufen erfreuen könnte! Hihihi! … Und darin stimmt nun die Barbara ganz mit mir überein – ganz und gar … Wie oft sitzen wir nebenan vor dem braunen Nußbaumschrank. Wer sollt's dem schäbigen Meubel ansehen, daß es solch' einen Schatz bewahrt! Hihihi … Weggeben thu' ich nichts – gar nichts! Wer kann sich jetzt auf Treue und Glauben der Menschen verlassen? Es sind alle gar arge Heuchler! Arge Heuchler und gehen aus auf Raub und Betrug und haben allerhand Listen und böse Kniffe. Da bewahr' ich's lieber bei mir – da ist's sicher und mich erfreut – hihihi – erfreut das blinkende Metall.«
»Wollen uns diese Data auf alle Fälle merken,« dachte Fischering, welcher des geschwätzigen Nachbars Glas immer eifrig wieder füllte.
»Ja – wie ich sage – Eins muß man doch haben für all' die Mühe und Plage des Lebens! Meint – – – Ihr nicht auch, Kamerad? … Ich – seht Ihr – ich halt's mit dem Geld! … Es steht freilich geschrieben: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon – das ist lächerlich – man kann's doch doch doch … Hihihi, doch!« …
Und zurück in die harten Lederkissen sank das schlummernde Haupt des frommen Mannes. Die Stube war erfüllt von dem Rauche, den Fischering unaufhörlich aus seinen Papyros aufsteigen ließ. Eröffnete das Fenster. Da zucken ihm schon aus der Ferne die Blitze entgegen und ein unheilverkündender Wind strich durch die öden Gassen. Noch schwieg der Donner, aber die ersten schweren Regentropfen schlugen ihm in's heiße Gesicht. Er legte sich auf das Gesimse und starrte hinaus in die Dunkelheit. Die kühle Luft und der Regen schien ihm wohlzuthun.
»Die Witterung ist dem Unternehmen günstig,« sagte er in seiner wahrhaft teuflischen Laune. »Wär' ein Narr gewesen, hätt' ich die Proposition des Commerzienrathes nicht angenommen. Will's och mitnehmen. Dann aber basta! Da sind mir curiose Aufklärungen gekommen bei meinem letzten Besuche. Ich glaube, ich könnte mit meinem Rapport aus Amerika viel mehr verdienen, wenn ich mich an den alten Stolterfoth gewendet hätte. Es soll schwer halten bei ihm Zutritt zu haben! Schließt sich ein wie ein Seidenwurm! Lebt wie ein Eremit fern von aller Welt! Das Alles stimmt trefflich zu meinen Entdeckungen! Er selbst, der Alte ist die betreffende Persönlichkeit, die mit dem Sennor Jannos … hui, nun fällt's wie Schuppen von den Augen. Der Commerzienrath hat die Fährte des Alten gewittert, wollte ihm zuvorkommen, um ihm dann Daumenschrauben aufzusetzen! So ist's und nicht anders! …
Daß den Alten das Gewissen plagt, ist leicht zu sehen. Schleicht er doch umher wie ein Gespenst. Der Junge lebt wie Gott in Frankreich, lebt flott und sorglos ins Blaue hinein – das würd' er bleiben lassen – wenn … Pah wer weiß! Es gibt genug Leute, die sich diese nachschleifende Kette, die man Gewissen heißt – abgerissen und durchgefeilt haben! Warum sollte er nicht auch? …
Aber mit den Jahren stimmt's nicht. Wann war denn der alte Jannos … gut, daß ich mir das Alles genau notirte. Mein Tagebuch muß Auskunft geben – und dann damit zum Alten! …
Ich fühl' ein förmliches Heimweh nach Amerika. Sobald als möglich muß ich dorthin zurück. Ich denke meine Rolle hier ist bald ausgespielt. An gutem Profit wird's bei den letzten Geschäften nicht fehlen! Vielleicht giebt auch der betrunkene Narr da noch ein wenig Reisegeld! … ›Man muß doch Eins haben für all' die Müh' und Plage des Lebens!‹ Richtig gesprochen, alter Maulwurf … Ich hab's … hab's wirklich! Ich genieße mein Leben! Was ist mir das todte Metall im Kasten? Nur wenn's mir feurig durch die trockene Kehle rollt – wenn's mir die Lieb' einer schwarzäugigen Dirne verschafft – dann lob' ich's. Wein – Weib und Gesang! …
Wenn ich dran denk' wie ich vor zehn Jahren lebte und wie jetzt! Man sollt's nicht glauben, wie das Schicksal spielt mit dem Menschen. Freilich nicht Jeder findet es so! Man muß halt dem Glück auch ein wenig entgegen gehen, die krummen Wege nicht allzu gewissenhaft meiden, hier sich bücken, dort sich durchschmiegen können, dieses Hinderniß mit kräftigem Fußtritt aus dem Wege schleudern und jenes sachte nach und nach bei Seite schieben – wie's just Noth und Umstände allemal erheischen! …
In der Jugend wollt' mir so etwas nie in den Sinn. Ich lief in die Kirchen und konnte Abends nicht einschlafen, wenn ich nicht mein Gebet gesprochen. Der Vater war arm, aber kreuzbrav und ehrlich, gottesfürchtig und streng. Wären wir nicht freiwillig in die Kirche gelaufen, er hätt' uns mit dem Prügel hingetrieben! … was half's? .. Hunger, Noth, Elend bei aller Arbeit – bei allem Beten … Ich wuchs heran, ward breitschulterig und stark … das Essen war schlecht und knapp. Der Hunger that gar so weh… In der Predigt ward' ich nicht satt … Was thun? … Ich stahl endlich dem Alten einige Pfund alter Leinwandlappen und verkaufte sie bei'm Lumpenhändler für wenige Dreier… und aß mich satt! … Der Alte merkt's, schalt mich einen Dieb, schlägt mich blutig und schleppt mich in's Paulinum!
Ich hätt's damals, hol' mich der Schwarze, bereuen können und wär' vielleicht ein Kerl geworden wie der Alte, wenn er's mir nachgesehen hätte. Umsonst bat ich um Verzeihung … Im Paulinum empfing man mich wie einen Erzbösewicht. Das machte mich verstockt, heimtückisch! Ich lernte da nur das Eine, daß man durch Heuchelei und Verstellung am besten durch's Leben komme! Die Lektion war zu handgreiflich. Wer am meisten nachtrug, was hinter dem Rücken des Lehrers geschah, wer am lautesten sang bei'm Choral und am meisten die Augen verdrehte – bekam am meisten zu essen und die bequemste Arbeit in den Freistunden! Hussah das war bald gelernt … Später im Leben wandte ich das Prinzip in höherem Maaßstabe an und – es war nie zu meinem Nachtheil!
Der Vorsteher hatte mich als besten Schüler – hahaha – dem Herrn Commerzienrath empfohlen. Die Stadt nannte ihn schon damals den Vater der Wittwen und Waisen; er galt für den frömmsten Mann in der Stadt. Da kommst du mit deinem Prinzip in des Teufels Küche, dacht' ich. Aber fehlgeschossen. Ich merkte bald, wie's mit der Frömmigkeit stünde und mein System brachte mir da erst recht goldene Früchte! Holzhacken – sich schinden von früh bis spät und hungern! Herrlich, trefflich! … Ihrer ist das Himmelreich! … Hahaha! Ich für mein Theil schaff's mir hier auf Erden! Ich trau' den Wechseln nicht, die wir auf's Jenseits ziehen sollen!« …
So gab der Elende den innersten Gedanken seiner verworfenen Seele Audienz und kehrte, als habe er die erbaulichste Unterhaltung mit sich selbst gepflogen, zum Trinktisch zurück. Der fromme Mosevius lag noch immer regungslos auf dem Sopha.
Nachdem Fischering hastig ein Glas hinuntergegossen, rüttelte er den Kirchenbauvorsteher aus dem Schlafe.
»Es ist Zeit, Mosevius!« rief er.
»Laß mich noch schlafen, Barbara,« flehte er mit heiserer Stimme, ohne die Augen zu öffnen.
»Ach zum Teufel mit der Barbara, ich bin's, Fischering! Wacht auf!«
Endlich erholte sich der Trunkene. Erst allmälig kehrte seine Besinnung zurück. Der kurze Schlaf schien ihn ein wenig ernüchtert zu haben, doch schob er sein noch zur Hälfte gefülltes Glas mit einem so komischen Abscheu zurück, daß Fischering laut auflachen mußte.
Dann schlich er mit schwerem Schritte zu einem Eckschranke und zündete das Licht einer Blendlaterne an, die dort aus altmodischem Porzellan hervorblickte.
Als sie gemeinsam aus dem Parterrezimmer auf die Hausflur traten, öffnete sich die Thüre des Nebenzimmers und Dame Barbara ward auf der Schwelle sichtbar.
»Endlich!« rief sie aus. »Ich dachte, die Herren hätten bei'm Trinken ganz vergessen, was Sie vorhaben.«
»Nicht doch, mein Mäuschen,« flüsterte begütigend Mosevius und streichelte ihr die Wangen.
»Unverschämter!« zischte sie und umkrallte die streichelnde Hand, so daß der zärtliche Gatte die Lippen aufeinander biß. »Gieb Acht – ich vergesse dir den heutigen Abend nicht! Du –« …
»Genug der Zärtlichkeiten,« rief Fischering mit schlecht unterdrückter Schadenfreude. »An's Werk!« Die beiden Männer gingen über die dunkle Flur nach dem Garten. Dort war's stockfinster. Der Regen goß in Strömen. Mosevius trug die Blendlaterne.
»Mir nach,« flüsterte der Kirchenbauvorsteher und Klingelbeutelinspektor. »Ich bin ja hier zu Hause, drum laßt mich vorangehen. Da bei'm Bienenhäuschen biegt der Weg rechts ab.
»Der Satan sehe etwas vom Bienenhäuschen. Habt Ihr das Brecheisen?«
»Hier, Freund Fischering. Wir werden naß bis auf die Haut!«
»So sparen wir ein Bad! Was macht das?«
»Es ist eine unheimliche Nacht! Hört, wie's oben in den Bäumen ächzt und stöhnt – wie arme Seelen, die keine Ruhe im Grabe haben … Drüben ist der Kirchhof. Seht … da eben der Blitz darüber hinflog, konnte man die Grabsteine deutlich erkennen. Eine schaurige Nachbarschaft, so ein Kirchhof. Meint Ihr nicht auch, Freund Fischering?« …
»Ich meine, daß Ihr wie eine Schnecke daherkriecht! Vorwärts!«
»Ich gehe ja schon … Hu – war's mir doch eben als leuchtete es da aus dem Buchsbaum wie zwei feurige Augen … Richtig … da ist's wieder! … Seht, seht! O alle guten Geister, stehet uns bei!«
»Hansnarr – Euer Hauskater ist's, den Eure Barbara ausgesperrt hat.«
»Wirklich? … Nur ein Kater? Gott sei Dank! Aber geheuer ist's hier doch nicht! Laßt uns eilen!«
Am Bienenhäuschen wandten sie sich rechts ab und gelangten über ein aufgereihtes Kartoffelfeld zur kleinen Pforte, die in des Nachbars Garten führte.
Mosevius klagte über die Verwüstung, die Fischering's stampfender Fußtritt in den blühenden Erdäpfel-Stauden anrichtete. Jener stand bereits mit dem Brecheisen vor der Thür. Die morschen Planken gaben bald nach und er schlich in den anderen Garten. Behutsam folgte Fischering mit der Laterne. Als er eben eintrat, prallte er mit einem Angstschrei zurück. Die weiße Statue unter den Kastanien hatte den Abergläubischen dermassen erschreckt, daß er mehrere Minuten nach Athem rang.
»Geht jetzt voraus und recognoscirt, ob der Maler daheim ist!« rief Fischering, der die ganze Affaire mit einem gewissen Galgenhumor betrieb.
»Ich – vorausgehen – allein? Unmöglich!«
»Aber zum Teufel, ich kenne das Terrain nicht! Wollt Ihr oder nicht? Sagt's! Sonst kehre ich um und werde dem Commerzienrath melden, welch' sauberen Helfershelfer er mir durch Euch zugesellt!«
»Nur nicht gleich so hitzig, Freundchen! Ich gehe ja schon, – wimmerte der Klingelbeutelinspektor und schritt zagend dem inneren Theile des wüsten Gartens zu.
Fischering lehnte wartend sich an den Stamm der höchsten Kastanien. Er stand vor dem Regen geschützt und rauchte behaglich seine Cigarre.
»Es wär' ein Heidenspaß,« dachte er bei sich selbst, wenn jetzt der Maler dennoch daheim wäre und den Mosevius attrapirte! … Im Stich würde ich ihn freilich nicht lassen, aber ein wenig zappeln müßt' er doch. Auf den ersten Hülferuf käm' ich sicher nicht! … Zum Glück hab' ich mich auf den Nothfall übrigens vorgesehen.«
Er zog einen Revolver hervor.
»Die Ladung war für einen ganz Anderen bestimmt,« murmelte er und ein widriges Grinsen trat in das Gesicht. »Vielleicht treff' ich dich noch Freund Ströber! Werd' ich hier diese Ladung nicht los – so bringe ich sie für dich retour, darauf verlaß dich, mein Freundchen. Dein wackerer Cumpan, der Delring, hat bereits geschmeckt, wie meine Grüße aus dem Ding da schmecken. Ich denk', er hatte genug daran für alle Zeit! Glaubtet Ihr Schufte, in mir einen Milchbart zu fischen, den Ihr rupfen konntet? … Seht zuvor eure Leute an! Verwegene Schurken waren's, das muß ich ihnen nachrühmen.«
»Alles in Ordnung – nichts zu fürchten,« meldete Mosevius, der urplötzlich mit der Blendlaterne aus dem Dickicht auftauchte. Fischering barg den Revolver im Gürtel.
»Alle Fenster dunkel – nur bei ihr noch Licht. Sie liest oder … betet,« vervollständigte der Andere seinen Rapport.
»Gut, so laßt uns gehen!«
»Nur kein unnützes Geräusch, Freund Fischering. Es ist hier allerdings sehr abgelegen und öde, aber Vorsicht kann nicht schaden.«
»Keine Angst! Wie kommen wir zu ihr?«
»Das Zimmer liegt Parterre. Eine Glasthüre führt in den Garten.«
»Die wird verschlossen sein?«
»So fürcht' ich auch.«
»Wenn sie uns hört und Unheil wittert, wohin kann sie entfliehen?«
»Durch die Küche in's Vorderhaus!«
»Verdammt! Könnt' Ihr nicht da ihr den Weg verrennen?«
»Schwerlich! Die große Hofthüre ist verschlossen und nicht so leicht zu öffnen wie die Glasthüre des Gartenzimmers.« …
»Warum sagtet Ihr mir das nicht Alles schon früher?« …
»Der Wind und der Regen machen viel Geräusch – ich denke sie hört nichts, bis die Thür aufspringt – dann ist's zu spät.«
»Wollen's hoffen. Habt Ihr ein Tuch zur Hand, ihr den Mund zu stopfen?«
»Hier ist es!«
»Legt's mir um den Nacken. Sobald ich die Thüre aufgebrochen, laß ich das Eisen fallen, Ihr nehmt's auf und öffnet die Thür so weit als möglich. Ich ergreife die Dirn und stürze mit ihr davon. Ihr folgt und schließt sorgfältig die Thüre in der Mauer! Da wir dieselbe von Eurer Seite aus aufbrachen und das diesseitige Schloß unversehrt ist, wird der Maler kaum ahnen, daß die Diebe, die sein Täubchen holten, von dorther einbrachen … Spuren am Boden werden uns schwerlich verrathen. Der Weg ist mit nassen Blättern bedeckt. Alles gut! … Doch was zum Henker macht Ihr da?«
»Ich lege eine Maske vor's Gesicht!«
»Lächerlich. Sie bekommt Euch später ja doch zu sehen.«
»Vorsicht ist immer gut! Laßt mich nur!«
»Mir ist's recht. Aber jetzt vorwärts!«
Das Gartenzimmer war bald erreicht. Die Gardinen waren heruntergelassen. Fischering lugte durch eine derselben in's Innere.
»Ich sehe die Umrisse eines Mädchens. Sie sitzt am Tisch! An's Werk!«
Der Wind erhob sich mit verstärkter Gewalt. Der Regen schlug an die Fenster.
Fischering setzte das Brecheisen dicht unter das Schloß, das er mit einem kräftigen Ruck aus der weichen Holzthüre lostrennte. Die Thüre sprang auf. Einem Tiger gleich, der sich auf die Beute wirft, stürzte Fischering in's Zimmer.
Meta erhob kaum den Blick von ihrem Gebetbuch, als der Elende schon das nasse, dicke Tuch um ihren Mund geworfen und die leichte Bürde auf die Arme gehoben hatte.
»Keinen Laut,« schrie er »und dir geschieht nichts weiter!«
Er eilte mit der Beute in den Nachbarsgarten. Mosevius folgte mit dem Brecheisen und schloß sorgfältig die Thüre.
Der Raub war geglückt.