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Ferdinand von Hochstetter

Zwischen Schanghai und Sydney

Nach den Karolinen und den Marionen

Schanghai ist während der Sommerszeit nichts weniger als ein gesunder Platz. Die enorme Hitze, das Thermometer steht im Juni und Juli oft wochenlang zwischen 90 bis 100 Grad F (31,7°-37,7°C), die feuchte Luft in der Periode des Südwest-Monsuns, die Dünste, welche aus den niederen, sumpfigen Reisfeldern ringsum aufsteigen, alles das erzeugt Fieber und namentlich sehr gefürchtete Dysenterien. Gewöhnlich sind die Schiffe im Fluß von diesen Krankheiten weit mehr heimgesucht als die Bewohner am Lande. Auch die »Novara« hat das ungesunde Sommerklima in Schanghai im vollsten Maße erfahren. Die Krankenliste wuchs täglich, während die Fregatte bei Schanghai vor Anker lag, und enthielt endlich gegen 70 Fieberkranke und mehrere Dysenteriekranke, unter den letzteren auch einen unserer Ärzte. Er hat jedoch glücklich die Gefahr überstanden und erholte sich auf der Reise nach Sydney wieder, während ein Matrose der Krankheit erlag. Er wurde bei den Karolinen feierlich in sein feuchtes Grab gesenkt. Die Fieber waren ebenso rasch verschwunden, als sie gekommen, sobald wieder frische Seeluft über das Deck wehte.

Am 11. August 1858 hatte die k. k. Fregatte ihren Ankerplatz bei Schanghai verlassen. Den Schleppdampfer »Meteor« an die Seite gebunden, benützte sie die erste Hochflut, um wieder in den Jangtsekiang zu kommen und denselben, nachdem sie einige Stunden im weichen Schlamme des Schanghaiflusses festgesessen, auch glücklich zu erreichen. Dort erwarteten wir noch die fällige Post aus Europa und wurden, nachdem diese am 13. angekommen war, am 14. von dem Dampfer »Meteor« weitergeschleppt den Jangtsekiang hinab bis hinaus vor Gützlaff-Eiland. Hier mußten wir ankern und kamen erst am 15. August mit frischer Ostsüdostbrise hinaus in offene See.

Das Wetter hatte sich in den letzten Tagen merkwürdig geändert. Auf drückend heiße Tage war infolge wiederholter äußerst heftiger Gewitter plötzlich eine beträchtliche Abkühlung der Atmosphäre gefolgt; das Thermometer, das immer zwischen 30 und 34 Grad C gestanden, zeigte nun morgens 20 Grad C und stieg den Tag über nur auf 25 Grad C. Der ganze Himmel war mit grauen, einförmigen Wolken überzogen, und während wir im Jangtsekiang lagen, regnete es fast fortwährend. Als wir den Fluß hinunterfuhren, kamen wir allmählich unter der Wolkendecke, die, wie es schien, nur auf dem Festlande lag, heraus – der Himmel wurde heiterer, er war nunmehr milchweiß mit einem leichten Flor überzogen, und da die spiegelglatte Wasserfläche diesen milchweißen Himmel reflektierte, so konnte man Wasser und Himmel gar nicht unterscheiden. Beide flössen nun in der Nebelluft so ineinander, daß wir durchaus keinen Horizont wahrnehmen konnten. Es sah aus, als würden wir in das leere Nichts hineinfahren, fast unheimlich; und gar seltsam nehmen in der Ferne Schiffe und Dschunken sich aus, die mit verzerrten Spiegelbildern nach unten als schwarze Flecken auf weißem Hintergrunde standen. Als wir in offene See kamen, da war zwar Himmel und Wasser wieder blau, aber statt des Südwest-Monsuns, der uns hergebracht, trafen wir mit hohem Barometerstand (30,1 englische Zoll) Südostwind, der allmählich in Ost und am 17., immer frischer wehend, in Nordost überging und uns rasch in unserem Kurs gegen Südost durchs Chinesische Meer führte. Die Sonne ging am 17. August bei fast heiterem Himmel, aber etwas getrübtem Horizont grell gelbrot unter, »windig«, wie der Kommandant bemerkte, und die Sterne im Zenit funkelten während der Nacht mehr wie gewöhnlich, das Barometer fing langsam, aber sehr bedenklich an zu fallen.

Der 18. August brach an mit heiterem Sonnenschein – unseres Kaisers und Herrn Geburtstag! Das Jahr zuvor hatten wir den Festtag in der Kaiserstadt Brasiliens gefeiert. Diesmal waren alle Vorbereitungen getroffen, um durch feierlichen Gottesdienst und durch ein feierliches Diner, zu welchem der Kommodore seine Offiziere eingeladen, diesen Tag auch in offener See würdig zu feiern. Aber – die Natur hatte andere Szenen vorbereitet, um den Geburtstag Sr. Majestät des Kaisers in den Annalen der Fregatte »Novara« zu einem der denkwürdigsten Tage zu stempeln.

Schon um 8 Uhr morgens war der Nordostwind so frisch, daß die Oberbramsegel und darauf auch die Bramsegel geborgen werden mußten, die See wurde von Minute zu Minute höher, und als die feierliche Messe beginnen sollte, da rollte die Fregatte bereits so, daß die Batterie Wasser einschiffte. Der Gottesdienst konnte nicht mehr gehalten werden, das Barometer, unruhig auf- und abschwankend, sank, obwohl langsam, immer tiefer, der Wind, sich etwas nach Norden drehend, nahm an Stärke fortwährend zu und jagte pfeilschnell einzelne zerrissene Wolken über den noch immer ziemlich heiter blickenden Himmel. Alle Anzeichen deuteten auf Sturm. Die Stunde des Festdiners, nachmittags 4 Uhr, war gekommen, die Gesellschaft hatte sich im sogenannten Kanonenzimmer eingefunden. Aber nun welche Szenen!

Das Schiff wurde so gewaltig hin- und hergeworfen, daß alles, was nicht festgeschraubt oder seefest gestaut war, in chaotischem Durcheinander von einer Seite zur anderen schob, gleichviel, lebendige Wesen oder leblose Dinge. Die geladenen Gäste selbst, von einer fürchterlichen Roulade überrascht, bildeten mit Stühlen und Fautelieus solch einen chaotischen Haufen. Glücklicherweise zeigte sich, als es einen Moment ruhiger geworden war, daß nur Stühle und Fauteuils die Beine gebrochen hatten, daß wir aber alle unbeschädigt waren. Das war der Anfang des Diners. Die Trümmer wurden festgebunden, und die Gesellschaft nahm an der großen festgeschraubten Tafel, auf der natürlich nichts als das leere Tischtuch halten konnte, Platz, jeder seine Position so seefest machend als nur möglich. Sie werden sich schwer vorstellen können, wenn Sie nicht zur See selbst ähnliche Szenen miterlebt, wie es möglich war, bei solcher Situation zu dinieren, und eine sorgsame Hausfrau möchte erschrecken, wenn man ihr erzählen wollte, was dabei alles in Trümmer und Scherben ging.

 

Der Sturm war in vollem Maße schon losgebrochen, als wir von der Tafel aufstanden. Aber diesmal galt es noch mehr. Wir überzeugten uns bald, daß wir es nicht mit einem einfachen Sturmwind zu tun hatten, sondern daß das Chinesische Meer, das uns bis jetzt auf allen unseren Fahrten durch dasselbe gnädig behandelt hatte, nun zum Abschied, um seinen zweideutigen Ruf zu bewahren, einen jener fürchterlichen Orkane uns noch zugedacht habe, welchen die Chinesen Taifun Für diejenigen Leser, welche weniger Veranlassung hatten, sich mit den Gesetzen der Orkane bekannt zu machen, mögen zum Verständnis des Folgenden einige erklärende Bemerkungen dienen. Die Taifune des Chinesischen Meeres, die am häufigsten zur Zeit des Monsunwechsels im August, September und Oktober loszubrechen pflegen, wenn der Nordost-Passat plötzlich gegen den Südwest-Monsun vordringt, sind wie die Tornados in Westindien und wie die Mauritius-Orkane Wirbelwinde im größten Maßstabe und von der furchtbarsten Heftigkeit. Die Wissenschaft hat diese Stürme als Zyklone (d. h. Kreisstürme) von anderen Stürmen, bei welchen der Wind vorherrschend nur aus einer Richtung weht, unterschieden. Es dreht sich die Luft in kreisender Bewegung und mit rasender Geschwindigkeit um einen nicht stille stehenden, sondern fortschreitenden Mittelpunkt, in welchem mehr oder weniger vollkommen Windstille herrscht. Die Wissenschaft hat ferner die wunderbare Gesetzmäßigkeit erkannt, daß bei solchen Zyklonen auf der nördlichen Hemisphäre die Luftmassen eine Kreisbewegung, umgekehrt wie die Zeiger einer Uhr, haben, auf der südlichen Hemisphäre aber in demselben Sinne wie die Zeiger einer Uhr rotieren. Ein ähnliches Gesetz hat die Wissenschaft in der Bahn der Zyklone erkannt, das heißt in der Richtung, in der das Zentrum sich vorwärts bewegt, um welches die Luft wirbelt; die Kenntnis dieser Zyklongesetze macht es dem Seefahrer in den meisten Fällen möglich, dem gefährlichen Zentrum dieser Orkane, das selbst die besten und stärksten Schiffe mit fast unvermeidlichem Untergang bedroht, auszuweichen und den Sturmwind am Rande der Zyklone zu einer raschen, günstigen Fahrt zu benützen. Um der Vorstellung noch einen weiteren Anhalt zu geben, bemerke ich, daß der Durchmesser dieser Wirbelstürme gewöhnlich ein sehr großer ist, 300 bis 1000 Seemeilen, d. i. 75 bis 250 deutsche Meilen. (d. i. großer Wind) nennen.

Als ich um 6 Uhr abends an Deck kam, da lagen schwere Wolkenmassen gegen Südost und Ost und reichten bis ins Zenit, dunkel und dichter am Horizont, aber nicht schwarz wie Gewitterwolken, sondern grau und weißgrau wie schwere Nebelmassen oder wie bei uns im Winter Schneesturmwolken aussehen. Nach oben nahmen sie eine mehr gelbliche Färbung an und endeten im Zenit als Haufenwolken mit scharf abgegrenztem, hell beleuchtetem Rande. Am westlichen Himmel zogen tief hängend zerrissene Nebel- und Dunstmassen pfeilschnell mit dem Sturmwind aus Nordost. Die Sonne ging unter; wir fuhren mit doppelt gerefftem Marssegel und Sturmsegel über ein chaotisch aufgewühltes Meer hinein in den nebelgrauen, unheimlichen Himmel, der uns bald mit finsterer Nacht umhüllte. – Aber der Schlachtplan war entworfen von den Leitern des Schiffes, und mit sicherem Plane wurde das Schiff dem drohenden Ungeheuer entgegengesteuert, um dessen Bewegungen zu beobachten und darnach zu handeln.

Unsere Position um Mittag war keineswegs eine günstige, im Gegenteil fast die ungünstigste, die möglich war. Wir befanden uns im nordwestlichen Quadranten der Zyklone, deren Zentrum – wenn es, wie gewöhnlich bei den Taifunen des Chinesischen Meeres, nordwestlich oder westlich sich vorwärts bewegte – uns um so eher zu erreichen drohte, als unser Kurs gegen Südost auf die breite Straße gerichtet war, welche zwischen den Lu-Tschu-(Ryukyu-)Inseln und der Gruppe der Miyako-shima-Inseln aus dem Chinesischen Meer in den Pazifik führt.

Das fort und fort fallende Barometer, die immer heftiger tobenden Elemente, die konstant bleibende Richtung des Windes aus Nordost, alles das waren Zeichen genug, daß wir dem Zentrum des Orkanes direkt näher kamen. Um ihm auszuweichen, war von unserer Position aus nur die eine Möglichkeit, seine mutmaßliche Bahn mit einem südwestlichen Kurs zu schneiden und so, vor der wahrscheinlich nordwestlich fortschreitenden Zyklone vorbei, an deren südliche Seite zu gelangen, noch ehe das Zentrum so weit vorgerückt war. Nachts 10 Uhr wurde daher der Kurs West zu Süd gesetzt, und in diesem Kurs liefen wir nun mit so viel Segeln, als bei dem heftigen Sturmwinde halten konnten, vor dem Wind. Änderte der Wind bei diesem Kurs allmählich aus Nordost in Nord und wurde er dann westlicher, dann war alles gewonnen, denn dann konnten wir hoffen, vor dem gefährlichen Zentrum vorbei in die bessere Position an die südwestliche und südliche Seite der Zyklone zu gelangen und den Schlachtplan mit Erfolg gekrönt zu sehen. Jene Windänderung trat glücklicherweise ganz so, wie wir nach dem Gesetz der Zyklonen zu erwarten berechtigt waren, ein, und als der Wind nach Mitternacht sich bis auf Nordnordwest gedreht hatte, legten wir mit Backbordhalsen bei bis zum nächsten Morgen, denn nun war anzunehmen, daß das Zentrum nordöstlich an uns vorbeigehen werde.

Die Nacht vom 18. auf den 19. August war im vollsten Sinne des Wortes eine unruhige Sturmnacht; wir rollten, so lange die Fregatte vor dem Wind lief, fürchterlich hin und her, aber eine wohltuende verhältnismäßige Ruhe war eingetreten, als wir nach Mitternacht beilegten. Der anbrechende Tag (19. August) zeigte uns einen düster und trübe nebelgrau umzogenen Himmel, die Wolken hingen bis tief herab und vermischten sich fast mit dem vom heftigsten Sturmwind furchtbar aufgepeitschten Meere. Es war unheimlich im vollsten Sinne des Wortes. Gegen Nordost bezeichnete die dunklere, bleigraue Färbung kompakterer Wolkenbänke deutlich die Lage des Zentrums des Orkans. Ich hatte mich während unserer vorjährigen Sturmszene am Kap mit Wellenbeobachtungen unterhalten, aber in diesem wild und wirr aufgeregten Meere war keine Erscheinung festzuhalten, ein vorherrschender regelmäßiger Seegang, entsprechend dem Winde, den wir hatten, kaum zu erkennen. Die Wellen kreuzten sich in allen Richtungen, konische Wellenberge erhoben sich plötzlich bis zu 20 und 26 Fuß Höhe, so weit man schätzen konnte, und versanken ebenso schnell wieder. Es war die wahre »pyramidale See der Zyklonen«, von der die Schiffe, welche in den Bereich dieser Wirbelwinde kommen, fast mehr zu fürchten haben als von der Heftigkeit des Windes.

Wir waren nun wohl in einer günstigeren Position, aber noch keineswegs heraus aus dem Bereich des Taifuns. Alle Sturmphänomene waren noch im Zunehmen. Das Barometer namentlich, das sicherste Reagens auf die Nähe des Zentrums, sank, unstet auf- und abschwankend, noch immer tiefer. Der Wind hatte sich nach Nordnordwest gedreht, es wurde Kurs Südostost genommen auf die Mitte des Kanals zwischen den Lu-Tschu- und Miyako-shima-Inseln. Die Rouladen, die wir nun erlebten, als wir wieder vor dem Winde liefen, überstiegen weitaus alles bisher Erlebte. Der ganze Vorderteil des Schiffes war unter Wasser, die Wellen stürzten von allen Seiten auf Deck und bis auf das »Casarett« (für nicht maritime Leser die Bemerkung: Casarett ist das erhöhte Hinterteil des Schiffes, das bei der Fregatte »Novara« 21 Fuß über der Wasserlinie liegt), ja selbst die Seitenboote schöpften Wasser ein. Um 4 Uhr hatte das Barometer seinen tiefsten Stand, 29,3 englische Zoll (19,9 Grad C), erreicht und zeigte schon von 5 Uhr an wieder eine Tendenz zu steigen. Die Orkanszene selbst aber erreichte ihr Maximum erst abends zwischen 6 bis 8 Uhr, als das Barometer schon wieder langsam stieg und als wir nach der Logrechnung uns gerade in dem 120 Seemeilen breiten Kanal zwischen den Lu-Tschu- und Miyako-shima-Inseln befinden mußten. Der Wind blies mit furchtbarer Heftigkeit aus Westnordwest (das Beobachtungsjournal gibt seine Stärke mit Nr. 9 an, nach unserer Windskala von 10 Nummern). Mit vierfach gerefftem Groß- und Vormarssegel und doppelt gerefftem Focksegel schossen wir mit einer Geschwindigkeit von 14 Meilen pro Stunde in dunkler Nacht durch die Straße zwischen den Lu-Tschu- und Miyako-shima-Inseln aus dem Chinesischen Meere in den Pazifik. Es regnete, oder es schien vielmehr die einzige Wolke, welche den Himmel bedeckte, bis zum Meere zu reichen, Wellen stürzten über Wellen zusammen, und erhob sich ein Wasserberg, so packte der Sturmwind dessen Gipfel und riß ihn als Staub mit sich in die Luft. Das Meer war weißer Schaum, die ganze Luft war erfüllt von Wasserstaub, man konnte vom Hinterteil des Schiffes aus kaum das Vorderteil sehen.

Der Sturmwind, über die schäumende Wasserfläche hinfahrend, erzeugte einen tiefen, fast metallisch klingenden Ton, der sich von dem Sausen und schrillen Pfeifen in Tauen und Segelwerk deutlich unterscheiden ließ. Der Wind hatte eine solche Stärke erreicht, daß an eine Verminderung der Segel nicht mehr zu denken war, ohne die Mannschaft der augenscheinlichen Lebensgefahr auszusetzen. Es mußte dem Schicksal überlassen bleiben, ob die Segel aushielten oder weggeblasen würden. Doch sie hielten, und wir atmeten wie nach einer heftigen Aufregung leichter auf, als wir nach unserer Logrechnung gegen 8 Uhr abends den Pazifik erreicht haben mußten. So schilderte der Kommodore die nächtliche Orkanszene.

Mit Tagesanbruch des 20. August war der Wind bereits Westsüdwest, das Barometer war bis auf 29,5 englische Zoll gestiegen, und obwohl wir noch in vollem Maße Sturm hatten, so konnten wir doch sicher sein, dem Bereich der Zyklone glücklich entkommen zu sein. Das zeigte sich im Laufe des Tages immer mehr, das Barometer stieg langsam höher, der Wind wurde Südwest und ging dann in einen frischen Südwest-Monsun über. Auch der Himmel wurde heller, wir kamen unter der Wolkenschichte der eigentlichen Zyklone heraus, und die Sonne schien mittags gelb durch einen leichten Nebelschleier, so daß wieder eine Beobachtung möglich war. Gegen Abend kam sogar blauer Himmel heraus, und bei Sonnenuntergang hatte das Firmament wieder ganz das Ansehen wie am 18. abends. Zerrissene schwarzgraue Wolken zogen ganz nieder über unsere Masten hin, über ihnen erblickte man einen halbheiteren ruhigen Himmel. Die unheimlich düstere Wolkenbank der Zyklone aber lag hinter uns.

 

So waren wir also gerade 48 Stunden, vom 18. August 6 Uhr abends bis 20. August 6 Uhr abends, im Bereich des eigentlichen Taifuns und am 19. dessen Zentrum am nächsten gewesen. Wie groß die Entfernung noch war, läßt sich aus unseren Beobachtungen allein nicht berechnen, doch dürften wir nach dem niedersten Barometerstand, den wir hatten, immerhin noch 100 Seemeilen vom eigentlichen Zentrum entfernt gewesen sein. Die Fortbewegung dieses Zentrums muß eine sehr langsame gewesen sein, was vielleicht daraus sich erklärt, daß wir auf den Taifun gerade da stießen, wo er wahrscheinlich seinen Anfang nahm, nämlich bei und über den Lu-Tschu-Inseln. Es war der erste Taifun des Jahres 1858, welchen der »Nord-China-Herald« in Schanghai vergeblich 14 Tage früher prophezeit und der tausendjährige chinesische Kalender schon auf den 10. August angesagt hatte. Vielleicht sind aber aus jenem Zeitungsblatte schon längst Nachrichten über den August-Taifun, der an der chinesischen Küste gewütet hatte, in europäische Blätter übergegangen, und wer unsere Reise aufmerksam verfolgt, hat dann auch wohl an die »Novara« gedacht. Was wir erlebt, habe ich erzählt. Die Masten der »Novara« waren zwar grau geworden über Nacht, grau von Salzkrusten, welche sie bis zur Höhe bedeckten, aber noch stehen sie aufrecht. Die Wissenschaft hat uns den Weg gezeigt, dem drohenden Ungewitter auszuweichen, und von Gottes Hand geführt, sind wir glücklich und ungefährdet der Gefahr entronnen.

Der frische Südwest hielt an und führte uns rasch auf unserer Bahn vorwärts, und schon am 26. August nachmittags hatten wir Guajan, die südlichste der Marianen-Inseln, in Sicht und somit eine Strecke von 1800 Seemeilen mit Hilfe eines Taifuns und günstiger Winde in zwölf Tagen zurückgelegt. Die Absicht des Kommodore war, in der an der südwestlichen Seite der Insel gelegenen Umata-Bucht vor Anker zu gehen. Indes zeigte sich dieser Ankerplatz, als wir am 27. August morgens bis auf 1 1/2 Meilen nahe waren, so wenig geschützt gegen den frisch blasenden und eine hohe See gegen die Ufer werfenden Südwest-Monsun, daß der Plan, hier einige Tage zu bleiben, wieder aufgegeben wurde. Nachdem wir uns mühsam aus Klippen und Korallriffen herausgearbeitet, doublierten wir gerade um Mittag am 27. August die Südspitze der Insel und setzten unsern Kurs nach den Karolinen fort. Vielleicht zerbrechen sich heute noch die Spanier und Tagalen auf Guajan den Kopf, was aus der spanischen Fregatte (denn für eine solche wurden wir ohne Zweifel nach der Ähnlichkeit der Flaggen gehalten) geworden ist, welche sich am 27. August morgens vor der Umata-Bucht zeigte. Dieses Rätsel wird sich erst dann lösen, bis die Gemahlin des Gouverneurs der Marianen die schon lange vergeblich erwartete Gelegenheit gefunden haben wird, nach den Inseln zu kommen. Wir hatten die Dame in Manila getroffen, und war ihr von da aus die Absicht der »Novara« bekannt, die Insel Guajan zu besuchen.

Am 30. August, in 149 Grad 53 Minuten östlicher Länge von Greenwich, hatten wir die östliche Grenze des Südwest-Monsuns erreicht; wenn uns eine günstige Brise weitergeholfen hätte, wären wir kaum noch vier Tagereisen von unserem nächsten Ziele, der Insel Puynipet im Archipel der Karolinen, entfernt gewesen, doch kamen wir erst am 15. September in Sicht der Insel. So stürmisch unsere Fahrt begonnen, so trostlos waren nun die Windstillen, in welchen wir tage-, ja wochenlang mit schlaffen Segeln lagen.

Die Insel Puynipet im Archipel der Karolinen

»Puynipet«, auch Ponape – das ist auf englischen Karten der Name des Eilandes, welches am 15. September 1858 morgens in Sicht kam, so benannt von dem russischen Kapitän Lütke, der im Jahre 1828 die Insel entdeckte und sie nebst den westlich nahe gelegenen Atoll-Inseln Andema und Paguenema (»Ant« und »Pakin« der Eingeborenen) nach dem Namen seines Schiffes als die Gruppe der Seniavine-Inseln bezeichnete. Die Franzosen nennen die Insel »Ascension«. Die Eingebornen selbst bezeichnen ihr Vaterland als »Bonebe«; daraus sind alle möglichen Namen entstanden: »Bonibet«, »Bonybay«, »Bornabe« und so weiter. Unter einem dieser Namen wird wohl der Leser das unter 6 Grad 58 Minuten Nordbreite und 158 Grad 20 Minuten östlicher Länge von Greenwich gelegene Eiland auf seiner Karte finden und damit orientiert sein, welch entlegenem, selten besuchtem Fleck unserer Erde die »Novara« zusteuerte.

Da kein Lüftchen sich regte, kamen wir nur äußerst langsam, von einer südlichen Strömung getrieben, näher, konnten aber bei Sonnenuntergang bereits die kleinen Wald- und Felsinseln erkennen, welche nördlich von der bis zu 2860 englische Fuß ansteigenden zentralen Hauptmasse der Insel liegen; sie befinden sich noch innerhalb des die hohe Insel ringförmig in einem Abstände von ein bis zwei Seemeilen, an der Nordseite aber in einem Abstände von fünf Meilen umschließenden »Wallriffes«; Puynipet ist eines der schönsten Beispiele unter den von Wallriffen regelmäßig umschlossenen »hohen Inseln« des Großen Ozeans. Nur Ualan und die Inselgruppe Hogolu sind im Archipel der Karolinen ähnliche »hohe Inseln«, alle übrigen sind »niedere Atoll-Inseln«.

Wer sein Gemüt noch frisch und jung bewahrt hat, wer offenen Herzens und offenen Auges einen reinen, befriedigenden Genuß zu verspüren vermag beim Anblicke großartiger Naturerscheinungen, wem je der erste Anblick ewiger Schneeberge, des unbegrenzten Meeres oder eines dampfenden Vulkankraters einen bleibenden Eindruck gemacht, der wird auch begreifen können, wie sehnsüchtig wir der nahen Insel entgegenblickten, auf der uns zum ersten Male vergönnt sein sollte, die Wunder ozeanischer Korallenbauten mit eigenen Augen zu schauen.

Puynipet hat in den letzten Jahren mehr und mehr an Bedeutung für die Schiffahrt im Stillen Weltmeer gewonnen. Während des nordischen Winters (von Oktober bis März) dringt der Nordost-Passat südlich bis über die Breite von Puynipet vor. In dieser Jahreszeit ziehen Schiffe, die von Sydney nach China bestimmt sind, häufig die Route durch den Pazifik der südlichen Route um Neu-Holland [Australien] und durch die Sundastraße oder der gefährlichen Passage durch die Torres-Straße vor, laufen Puynipet oder Guajan an, um sich mit frischem Wasser und frischen Lebensmitteln zu versehen, und machen eine gute, rasche Fahrt. So hat die schwedische Kriegskorvette »Eugenie« auf ihrer Erdumsegelung im November 1852 den nicht weniger als 5000 Seemeilen langen Weg von Sydney nach Hongkong in 37 Tagen zurückgelegt. Am häufigsten wird aber die Insel vom Dezember bis März von Walfischfahrern besucht, die den sicheren »Roan-Kiddi-Hafen« oder »Leehafen« an der Südsüdwestseite der Insel aufsuchen, um da ihre Schiffe auszubessern und mit Holz und Wasser zu versehen, woran die Insel den reichsten Überfluß bietet. Den »Whalern«, welche die vorteilhaftesten Schilderungen von der herrlichen Natur der Insel, von ihren freundlichen, heiteren und gutmütigen Bewohnern mit nach Hause brachten, folgten wie auf den Sandwich-Inseln nordamerikanische Missionare, und heutzutage sind nicht weniger als 30 Europäer förmlich ansässig auf Puynipet. Puynipet und das 300 Seemeilen östlicher gelegene Ualan sind Stationen nordamerikanischer Missionare, für welche ein eigener Schoner eine regelmäßige Verbindung mit den Sandwich-Inseln unterhält.

 

In der Nacht auf den 16. September sprang endlich eine leichte nordwestliche Brise auf, und am 16. segelten wir der Westseite der Insel entlang nach dem an der Südsüdwestseite gelegenen Kiddi-Hafen.

Die hohe Insel lag frei von Wolken klar vor uns, über und über mit Wald bedeckt, nur an der nordwestlichen Ecke zeigte sich ein weit vorspringender, vielleicht 1000 Fuß hoher kastenförmiger nackter Fels, mit senkrechten Wänden aufsteigend und oben horizontal abgeschnitten. (Später erfuhr ich, daß dieser Fels eine kleine Insel für sich bildet, durch einen schmalen Kanal von der Hauptinsel getrennt ist und von den Eingeborenen »Dochokoits« genannt wird.)

Das ringförmige Korallriff mit seinen kleinen niederen Inseln lag immer noch unter dem Horizont. Jetzt, wie wir uns allmählich näherten, wurden zu beiden Seiten der Insel am Horizont einzelne dunkle Punkte sichtbar, die, nach und nach sich mehrend und näher aneinanderrückend, wie eine dicht über den Horizont in der Luft ausgespannte Perlschnur sich ausnahmen, und daneben erhoben sich plötzlich und verschwanden wieder ebenso schnell feine weiße Wölkchen über dem dunkel schwarzblauen Meereshorizont, da und dort aufflackernd wie Flammen.

Das war das erste Erscheinen der Riffinseln und der brandenden Korallriffe selbst, wie sie sich durch den Effekt der Luftspiegelung in einer Entfernung von fünf bis sechs Seemeilen überall da zeigen, wo, wie in den tropischen Meeren fast gewöhnlich, die Temperatur des Wassers an der Oberfläche und infolgedessen auch die Temperatur der zunächst darüber liegenden Luftschicht eine größere ist als die der höheren Luftschichten.

Als wir auf zwei Meilen nahe kamen, da waren jene dunklen Punkte zu grünen Kokos- und Brotfruchtbäumen ineinandergeflossen, die von Stelle zu Stelle das äußere Riff zieren; die weißen Wölkchen waren ein zusammenhängender Streifen einer furchtbar aufschäumenden weißen Brandung, die den auf- und abwogenden Ozean von dem lichteren ruhigeren Wasserspiegel des breiten Kanals trennte. Der letztere bildet innerhalb des ringförmig umschließenden Korallenriffes die merkwürdige natürliche Wasserstraße, auf der die Eingeborenen selbst mit dem gebrechlichsten Kanu, geschützt vor dem Wogenandrange des Ozeans, rings um die Insel kommunizieren können; wo der Kanal tief genug ist und eine Öffnung des Riffes die Einfahrt von außen gestattet, bietet er selbst den größten Schiffen einen sicheren Hafen wie in einem künstlichen Dock.

Puynipet hat mehrere solcher Häfen, in welche je nach der Jahreszeit und den in denselben herrschenden Winden selbst große Schiffe sicher ein- und auslaufen können. Die wichtigsten dieser Häfen sind der sogenannte Wetterhafen an der Nordostseite, der Mittelhafen an der Nordwestseite und der Leehafen an der Südsüdwestseite. Der letztere ist besonders bei Nordostwind günstig gelegen, und da die meisten Schiffe die Insel während der Zeit des Nordost-Passates anlaufen, auch der besuchteste, wiewohl die enge, in verschiedenen Richtungen sich windende Einfahrt nicht ohne Schwierigkeiten ist.

Scharen von Seevögeln schwärmten über den Riffen, sie waren die ersten lebenden Wesen, die wir bemerkten. Erst als wir, an der Westseite entlang segelnd, unter dem Schutze der Insel die nordöstliche Deinung ganz verloren hatten und in völlig ruhigem Fahrwasser zwischen Puynipet einerseits und den westlich davon in Sicht befindlichen Atoll-Inseln Paguenema und Andema vor leichter Brise langsam dahinglitten, da sahen wir an mehreren Stellen die Eingeborenen in ihren Kanus mit dreieckigen Segeln aus der Riffumzäunung heraus auf uns zukommen.

 

Das erste Kanu, welches bei der Fregatte anlegte, brachte vier Eingeborene und einen Weißen, einen Amerikaner, der schon 19 Jahre auf der Insel lebt und uns Pilotendienste anbot, an Bord. Ihm folgten bald in gleicher Gesellschaft und zu gleichem Zwecke ein Franzose, ein Engländer und endlich ein in Amerika geborener Neger.

Wir behielten den Neger als Piloten für den Roan-Kiddi-Hafen an Bord. Der Amerikaner und die beiden Europäer aber, abenteuerliche Menschengestalten, wahrscheinlich entlaufene Matrosen, verließen uns bald wieder. Welche düsteren Bilder menschlichen Schicksals hätte man wohl in der Lebensgeschichte der weißen Bewohner von Puynipet zu enthüllen, die hier unter friedlichen, freundlichen »Wilden« ein sicheres Asyl gefunden haben und die in ärmlicher Hütte unter dem Schatten von Kokospalmen und Brotfruchtbäumen an der Seite einer braunen Gattin ihre Tage beschließen. Ich glaube, der Romanschreiber könnte auf Puynipet ebensoviel Stoff finden als der Naturforscher. Mich interessierte weit mehr der »wilde«, freundlich blickende Eingeborene als der verwilderte, unheimliche Europäer.

Es ist leicht begreiflich, daß Erinnerungen an die Nikobaren bei uns wach wurden und daß die Nikobarenser uns den vergleichenden Maßstab mit den Puynipetianern abgaben. Und mit Recht; denn beide gehören zu ein und derselben großen Völkerfamilie, die als malayische Rasse in verschiedenen mehr oder weniger abweichenden Nuancen den größten Teil der Inselwelt von Madagaskar bis Polynesien bevölkert. Die Eingeborenen von Pyunipet, die zu uns am 16. September an Bord kamen, und ebenso alle, welche wir später auf der Insel selbst sahen, schienen uns in der Farbe etwas dunkler als die Nikobarenser und das Braun mehr ins Rote, Kupferfarbene spielend. Sie hatten schwarzes, teils schlichtes, teils krauslockiges, aber durchaus nicht wolliges Haar, lebendige schwarze Augen, die Nase ist etwas platt, die Lippen sind dick, aber reine weiße Zähne, nicht durch Betelkauen entstellt; es waren lauter kleine untersetzte Figuren, nicht so kräftig gebaut und namentlich nicht so gut genährt wie die Nikobarenser, die meisten von entstellenden, ekelhaften Hautkrankheiten befallen, am häufigsten von dem sogenannten Fischschuppen-Ausschlag.

Männer wie Weiber sind an Armen und Beinen zierlich tätowiert und tragen als einziges Kleidungsstück einen mit freihängenden Kokosnuß-Blattstreifen dicht und dick besetzten Gürtel, also eine Art kurzen, bis oberhalb der Knie reichenden Rock, den sie Goal nennen. So malerisch dieser Goal kleidet, so gibt er doch den Männern ein weibisches Aussehen; die Weiber ersetzen ihn häufig durch ein Stück Baumwollenzeug, das sie um die Hüften schlagen, wie die Javanesen den Sarong.

Die Ohrläppchen sind oben und unten durchlöchert und die verschiedenartigsten Gegenstände, Zigarren, Teile von Pandanusfrüchten, Blumen und so weiter, durchgesteckt. Halsbänder aus bunten Glasperlen sind ein sehr beliebter Schmuck, zu dem bei den Weibern noch ein Kranz aus frischen gelben Blüten kommt, der sehr zierlich das schwarze lockige Haar umschließt.

Die Kanus der Eingeborenen sind, ganz ähnlich den nikobarensischen, ausgehöhlte Baumstämme mit einem Ausleger (Balancier) zur Seite, nach beiden Enden aber völlig gleich konstruiert und alle rot angestrichen. In der Mitte ist eine Art Plattform (oder Tisch) angebracht, welche die ganze Breite vom Kanu bis zum Ausleger einnimmt und einen bequemen Platz darbietet, um sich darauf auszustrecken; bei festlichen Gelegenheiten soll dieser Platz sogar als kleiner Tanzboden benützt werden. Die meisten Männer, die zu uns an Bord kamen, verstanden einige englische Worte, sie zeigten keinerlei Furcht oder Verlegenheit. Einer war sogar unseren Matrosen unaufgefordert behilflich, bei den Segelmanövern mitzuziehen. Da sie alle der West- und Nordwestseite der Insel angehörten, so verließen sie uns wieder, als wir uns gegen Abend der Südwestspitze näherten. Es leben fünf Stämme unter fünf Häuptlingen auf der Insel, worunter zwei gegenwärtig in kriegerischer, aber bis jetzt unblutig gebliebener Feindschaft. Die Gesamtbevölkerung der im Umfange etwa 60 Seemeilen großen Insel wird auf 3000 Seelen geschätzt.

Jedoch sollte es uns nicht mehr vergönnt sein, am 16. September einzulaufen. Die Nacht brach ein, eben als wir uns vor dem Eingang befanden. Dunkle Wetterwolken, die am östlichen Himmel aufstiegen und bald mit scharfem Wind und mit Strömen von Regen über uns hinzogen, nötigten uns, während der Nacht weiter in See hinauszuhalten, weg von der unheimlichen Nähe der Korallriffe, deren dumpf rollende Brandung bis zu uns herüber tönte. Als der 17. September heiter und freundlich mit hellem Sonnenschein anbrach, befanden wir uns in einer Position, von der wir, um in den Hafen einzulaufen, gegen eine schwache nordwestliche Brise zirka 20 Meilen aufkreuzen mußten. Damit ging der ganze Tag verloren, und als wir mit Sonnenuntergang soweit waren, daß wir mit dem nächsten Gang hätten einlaufen können, da war es wieder Nacht geworden.

So gelang es uns erst am 18. morgens, die Einfahrt zu gewinnen zwischen der kleinen mit Kokospalmen und Brotfruchtbäumen üppig bewachsenen Riffinsel Nahlap an Backbordseite und den heftig brandenden, nur mit niederem Gebüsche bedeckten Korallenfelsmassen des Sandy-Eilandes östlich an Steuerbordseite. Aber auch da war uns bald Halt geboten. Wir mußten, um in die weit sicherere Hafenbucht zu gelangen, die wie ein künstlich ausgemauertes riesiges Bassin mitten zwischen den bis ans Niveau des Meeres reichenden Korallenbänken liegt, einen engen Kanal durch die Riffe passieren; er ist zwar durch die Färbung des vollkommen ruhigen Wassers und überdies durch ausgesteckte Marken deutlich bezeichnet, führt aber zuerst westlich, dann nördlich und war für uns bei westlichem Winde unzugänglich. Es blieb daher nichts übrig, als auf dem Fleck zu ankern, auf dem wir uns befanden. Der Anker fiel in 35 Faden auf nackten Korallfels. Das war ein Ankergrund und eine Position, woselbst die Sorge für die Sicherheit des Schiffes nicht zu verbleiben erlaubte. Um nicht mit weiteren vergeblichen Versuchen, in den Hafen zu gelangen, noch mehr Zeit zu verlieren, beschloß der Kommodore, Puynipet aufzugeben und wieder in See zu gehen nach den Salomon-Inseln.

Schweren Herzens – ich gestehe es offen – sah ich die Hoffnung schwinden, die reizende Insel zu betreten, auf der ich mich schon mitten in den herrlichen Wäldern, unter den freundlichen lieblichen Naturmenschen, auf den luftigen Gipfeln, an den brandenden Riffen geträumt –, schweren Herzens, getäuscht in meinen Hoffnungen, sah ich bereits wieder die Vorbereitungen zum Ankerlichten treffen, als die freundliche Einladung des Kommodore wenigstens einigen Trost brachte, mit ihm einige Stunden ans Land zu gehen, bis die Fregatte wieder die offene See gewonnen habe. Aus acht Tagen, die nach dem ursprünglichen Plane der Untersuchung der in naturhistorischer Beziehung noch kaum bekannten Insel gewidmet werden sollten, waren durch die Ungunst der Umstände nur wenige Stunden geworden. Was wir in diesen schnell vorübergeflogenen Stunden erlebt und gesehen, lassen Sie mich noch kurz erzählen.

 

Um 10 Uhr morgens stieß der Kommodore von Bord ab. Am Ufer der Insel waren unter Kokospalmen einige Hütten sichtbar. Diesen steuerten wir zu, befanden uns aber, nachdem wir das tiefe Hafenbassin durchschritten hatten, auf so seichtem Korallengrund, daß wir in der Richtung nach den Hütten, obwohl diesen schon ganz nahe, nicht weiter vorwärts konnten. Tiefere fahrbare Kanäle aufsuchend, gelangten wir in eine östlicher gelegene Flußmündung, die zu beiden Seiten auf niederem, sumpfigem Boden von dichtem Mangrovenwald umgeben ist; die Versuche, durch die Mangroven nach den Hütten durchzudringen, waren vergeblich, da der ganze Boden von den eigentümlichen Wurzelauswüchsen der Mangroven wie mit spitzen Pflöcken ausgeschlagen ist, das unzugänglichste Terrain, das man sich nur denken kann. Dagegen war der Wald reich an Tausenden von Vögeln aller Art, und in kurzer Zeit hatte der Kommodore eine große Anzahl geschossen, darunter sieben verschiedene Spezies, besonders eine prächtig rot, schwarz und grün befiederte Papageiart.

Wir fuhren eine kurze Strecke in dem Mangrovenkanal aufwärts, von dem mehrere kleine, zum Teil wie künstlich angelegte Seitenkanäle abzweigten, kehrten aber, da sich die Landschaft nicht änderte und keine Hütten sich zeigten, wieder um und suchten nun dicht am Lande hin, wo das Wasser etwas tiefer war, zu den erwähnten Hütten zu kommen. Dies gelang auch. Mehrere Europäer und Eingeborene kamen uns hier freundlich entgegen, darunter Dr. Cook, ein Amerikaner, der hier als Arzt lebt. Wir traten in seine einfache Hütte ein. Sie unterscheidet sich nur durch die innere Einrichtung, eine kleine Bibliothek, die aufgestellt ist, durch Tische und Stühle, von den Hütten der Eingeborenen und ist wie diese auf einem Fundament von übereinandergelegten Basaltblöcken aus einem Material, das Palmen und andere Bäume liefern, mehr geflochten als gebaut. Der Mann dieser Ansiedlung am Roan-Kiddi-Hafen heißt Rei. Während die Eingeborenen zum Austausch gegen Tabak, den sie allem anderen vorzogen, Muscheln, Fische, einige Früchte und so weiter herbeibrachten, verfolgte ich einen kleinen Fußpfad, der hinter den Hütten einen sanft ansteigenden Hügel hinanführt. Nichts als Brotfruchtbäume und Pisanggebüsche umgaben mich, und da und dort ragte ein schwarzer Basaltblock aus der roten lehmigen Erde hervor, zierliche kleine Eidechsen mit metallisch schimmerndem, saphirblauem Schweife schossen pfeilschnell über die Steine hin. Auf der Höhe des Hügels traf ich eine ärmliche Hütte. Ein Hund, einige Hühner und ein phlegmatisch im Schatten liegender Eingeborener, den das fremde Europäergesicht, das er plötzlich vor sich sah, kaum zum Aufstehen zu bewegen schien, waren die einzigen lebenden Wesen bei der Hütte. Auf meine Bitte: »Kedschiniai«, das ist auf Puynipetanisch »Feuer«, kroch ein altes runzeliges Mütterchen aus der Hütte hervor und reichte mir ein glühendes Holzstück. Das Mütterchen wurde durch eine Zigarre belohnt, die auch alsbald angesteckt und mit sichtbarem Vergnügen geraucht wurde. Auf meine Bitte um einige junge Kokosnüsse zum Trinken rief der phlegmatische Herr der Hütte einige Worte in den Wald, eine Antwort erschallte, und bald darauf kamen kichernd und scherzend einige junge Mädchen und brachten das Gewünschte, frisch vom Baume gepflückt, und zudem noch einen langen Zuckerrohrstengel und eine frisch ausgerissene Cingiberwurzel. Das waren die Erfrischungen, die mir unter vielem Lachen und allerlei Bemerkungen, die ich leider nicht verstanden, von den wenig scheuen, fast in voller Evatracht vor mir stehenden Waldkindern gereicht wurden.

Zwei kleine Spiegel, die ich mitgebracht, waren die Belohnung für die Mädchen und verursachten die ausgelassenste Freude. Der Reiz der Jugend war diesen Naturkindern nicht abzusprechen, aber trotzdem mag ich sie nichts weniger als hübsch nennen.

Da ich sehen wollte, auf welche Art die Eingeborenen hier die Kokosnuß öffnen – die Nikobarenser öffnen sie durch einen Hieb mit der Säbelklinge in freier Hand –, so bat ich den phlegmatischen Kerl, der sich nicht rühren wollte, pantomimisch um diese Gefälligkeit. Er kroch in die Hütte, brachte einen oben in eine scharfe Kante zugeschnittenen dicken Stock hervor, steckte denselben in die Erde und löste nun die grüne Faserhülle durch Aufschlagen der Nuß auf die Schneide des Stockes rundum ab. Als er aber, um die harte Schale der Nuß zu öffnen, meinen geologischen Hammer begehrte, da nahm ich ihm dieses Geschäft, das er sonst wohl mit einem Steine versieht, gerne ab. Die Nüsse waren fast nur halb so groß als die nikobarischen, aber ihr Wasser fand ich viel süßer und wohlschmeckender.

Ich setzte meinen Weg fort und kam zu einer Art Schuppen, unter dem vier Eingeborene an einem Kanu zimmerten. Die Äxte oder eigentlich Hacken, deren sie sich zum Aushöhlen des Baumstammes bedienten, waren einfache europäische Hobeleisen, schief abstehend an einem hölzernen Stiel festgebunden. Zwei weibliche Wesen leisteten den Männern Gesellschaft; sie hatten, wie mir schien, für Essen und Trinken zu sorgen und amüsierten sich und die Männer durch Spielen auf einem aus Rohr verfertigten klarinettähnlichen Instrumente, dem sie alle möglichen unmusikalischen Töne entlockten. Das primitive Klarinett wurde mir mit Vergnügen um einige Zigarren überlassen.

Als ich zu Dr. Cooks Hütte zurückkam, fand ich die Gesellschaft ansehnlich vermehrt, besonders Weibervolk hatte sich eingefunden, junge Mädchen, die vor dem Zoologen aus kleinen umgehängten Säckchen die Ausbeute auskramten, welche sie an diesem Morgen während der Ebbezeit auf den Korallenriffen an Fischen, Muscheln, Trepang und so weiter gemacht hatten; doch erwarteten sie auch in sehr unzweideutiger Weise von den Fremden einen anderen, weniger mühsamen Verdienst, an den sie durch die Walfischfahrer-Besatzungen mehr gewöhnt zu sein schienen als an den Verkauf ihrer auf den Korallenriffen gesammelten Delikatessen und Raritäten. Die weibliche Bevölkerung, glaube ich, überwiegt auf Puynipet die männliche um ein bedeutendes, das läßt sich wenigstens aus der Leichtigkeit schließen, mit welcher die hier ansässigen Europäer zu Frauen kommen, und nicht bloß zu einer, sondern, wie uns mehrere dieser Abenteurer offen erzählten, zu drei, vier, fünf Frauen zu gleicher Zeit. Wir hatten Gelegenheit, mehrere Sprößlinge solcher Ehen zu sehen, junge Burschen, deren Vater ein Weißer war, und fanden in den Gesichtszügen der etwas lichteren Hautfarbe dieser Mischlinge eine auffallende Ähnlichkeit mit den Tagalen auf Luzon, die eben auch nichts anderes sind als eine Mischrasse aus malayischem und weißem Blute.

 

Da man uns wegen Schweinen, Hühnern, Bananen und Yams, die wir eintauschen wollten, an den Häuptling des Roan-Kiddi-Stammes selbst wies, als denjenigen, durch den allein es möglich sei, einige frische Lebensmittel zu bekommen, so brachen wir auf nach der weiter im Innern der Insel am Frischwasserfluß oder Roan-Kiddi-Flusse liegenden Behausung des Häuptlings.

Wir machten den Weg dahin zu Wasser und kamen wieder in den Mangrovenkanal, in welchen wir zuerst geraten waren. Ein Seitenkanal führte uns aus dem trüben Schlammwasser zwischen den Mangroven in den kristallhellen Frischwasserfluß. Ein reizendes Landschaftsbild eröffnete sich uns: ein kleiner und klarer Bergfluß, seine Ufer bekränzt von Kokospalmen, die ein sanfter, erfrischender Wind bewegte, dahinter niedere sanfte Hügel, mit Brotfruchtbäumen bepflanzt, und überall blicken Hütten und Wohnungen von Menschen hindurch. Im Hintergrund aber die dunklen, hohen Waldgipfel der Insel. Diese Hauptansiedelung am Fluß aufwärts führt den Namen Roan-Kiddi.

Man denke sich darunter aber nicht ein zusammenhängendes Hüttendorf, sondern überall am Flußufer und auf den Hügeln im Schatten der herrlichsten Vegetation malerisch zerstreut liegende Behausungen. Die ersten Hütten am linken Flußufer wurden uns als der Platz eines Missionars bezeichnet, der, ein Eingeborener von den Sandwich-Inseln, aber gerade auf Ualan (Strong-Eiland) abwesend war. Bei einem geräumigen Schuppen, unter dem mehrere Kanus vor Sonne und Regen geschützt lagen, stiegen wir am linken Flußufer ans Land und erreichten bald den Platz des Häuptlings auf einer Anhöhe über dem Fluß mit einer hübschen Aussicht in das Tal, auf das Meer und auf die Berge der Insel.

Der Häuptling war nicht zu Hause, wurde aber alsbald herbeigeholt. Ein junger schlanker Mann, einen roten Gürtel und den nationalen Goal um die Lenden geschlungen, zierlich an Armen und Beinen tätowiert, mit langen fliegenden Haarlocken an den Schläfen (wir schenkten ihm ein rotes türkisches Fez mit blauer Quaste, das ihm vortrefflich stand), erschien und lud uns ein, in seine Hütte zu treten. Da kauerte er sich auf seine Strohmatte nieder, während er für uns hölzerne Stühle herbringen ließ; ein hübsches junges Weib, ebenfalls den Sarong um die Hüften geschlungen und wie der Mann tätowiert, die einzige Frau des Königs von Roan-Kiddi, setzte sich schmollend neben ihren Gemahl auf die Strohmatte. Der Kommodore bot dem Häuptlingspaare Zigarren an, dafür wurden wir mit frischem Kokosnußwasser, in Gläsern dargereicht, traktiert. Gewiß betrachtete jeder von uns das hübsche junge Paar, dem glückliche Zufriedenheit und bestes Einvernehmen aus den Augen leuchteten, nur mit Wohlgefallen. Mit sichtbarer Freude wurde uns in einem kleinen braunen Bengel, der in der Hütte sich umtummelte, der künftige Häuptling vorgestellt. Unsere Angelegenheit wegen Schweinen und Hühnern war durch Vermittlung eines Dolmetschers – des Amerikaners – bald im Gange, der Häuptling erteilte seine Befehle den außen versammelten Eingeborenen, und diese brachten nach und nach einige Schweine und Hühner herbei, die wir gegen Tabak und alte Musketen, die beliebtesten Artikel auf Puynipet, eintauschten.

Die Eingeborenen scheinen mit Schießwaffen bereits ganz vertraut zu sein, ich sah in der Häuptlingshütte mehrere Doppel- und einfache Gewehre, freilich in sehr verrostetem und vernachlässigtem Zustande; wie sie sich aber Munition zu den Gewehren verschaffen, weiß ich nicht. Die Hütte des Häuptlings zeichnet sich nur durch ihre Größe von den übrigen aus, sie bildet ein geräumiges, längliches Viereck und gleicht mit ihrem hohen Giebeldach ganz einer europäischen Scheune. Der innere Raum ist nirgends durch Scheidewände abgeteilt, und außer Strohmatten, geflochtenen Körbchen, Glasflaschen, einer Kiste mit Eisenwerkzeugen und einem höchst eigentümlichen kleinen Webstuhl, an welchem ein buntes Band in Arbeit war, bemerkte ich nichts Besonderes an Einrichtungs- oder anderen Gegenständen.

Leider war die uns zu Gebot stehende Zeit schnell verflossen, denn nachdem der Handel abgeschlossen war, mußten wir wieder an den Weg zurück an Bord denken; begleitet von einigen Kanus der Eingeborenen, fuhren wir wieder flußabwärts und hatten auf dem kürzeren Wege durch die Flußmündung bald den Riffkanal erreicht. Zahllose Reiher, weiß, schwarz und scheckig, fischten auf den seichten Riffen, der Tölpel flog in ganzen Schwärmen über den ruhigen Wasserspiegel der Lagunen, und hoch oben schwebten Fregattvögel, pfeilschnell herabschießend, wo sie Beute erblickten. Um 4 Uhr waren wir an Bord und um 6 Uhr unter Segel mit südöstlichem Kurs nach den Salomon-Inseln.

Noch von keinem Gestade habe ich mich so schwer getrennt wie von Puynipet.

Der kurze Besuch war lange genug, um uns den Naturreichtum der reizenden Insel ahnen zu lassen. Was wir von anderen Teilen der Insel, namentlich von der Umgegend des Wetterhafens hörten, war nur geeignet, unser Interesse noch mehr zu spannen. Ruinen von Baudenkmalen eines unbekannten Volkes an der Nordostseite scheinen kulturhistorisch und geologisch gleich wichtig. Was einst Wege waren, sind jetzt Passagen für Kanus, und wenn die aus großen Basaltquadern aufgemauerten Wälle niedergebrochen würden, so würde das Wasser in die ummauerten Höfe eindringen. Die Baudenkmale stehen jetzt im Wasser, ein Zustand, der unmöglich bestanden haben kann, als sie aufgeführt wurden. Vielleicht ist dies der einzige Punkt in der Welt, wo sich die scharfsinnige Theorie Darwins über die Bildung von Wallriffen und Atollen durch Senkung des Bodens, auf welchem der Korallenpolyp seinen Bau begonnen, auch historisch an von Menschen aufgeführten Bauwerken nachweisen läßt.

Mögen unsere Nachfolger, denen hoffentlich Dampfkraft zu Gebote steht, dieses Rätsel lösen und glücklicher und erfolgreicher sein als wir!

Die Salomon-Inseln Stewart-Atoll

Am 18. September abends hatten wir die Insel Puynipet verlassen, gerade einen Monat später, am 17. Oktober, lagen wir bei den nur 960 Seemeilen entfernten Stewart-Inseln, fast ebenso weit südlich vom Äquator, als Puynipet nördlich liegt. Wir passierten die Linie zum fünften Male auf 161½ Grad östlicher Länge von Greenwich am 29. September. Sie mögen aus diesen Daten entnehmen, welcher Art unsere Fahrt war, wenn auf einer Strecke Weges, die unter einigermaßen günstigen Umständen leicht in acht Tagen zurückgelegt wird, einen vollen Monat zubringt. Die Äquatorialzonen sind wegen Windstillen, die nur mit leichten veränderlichen Brisen oder mit zwar nur kurz andauernden, aber nichtsdestoweniger oft sehr heftigen Gewitterstürmen, Böen, wechseln, zu jeder Jahreszeit für Segelschiffe, welche dieselben passieren müssen, höchst unangenehme Gegenden. Trifft es sich aber, daß man mit der Sonne zur Äquinoktialzeit in der Nähe des Äquators zusammentrifft und mit ihr wie in unserem Falle gleichen Kurs gegen Süden hat, so sind die Umstände, rasch durch die äquatorialen Doldrums zu kommen, gewiß die allerungünstigsten, da sich der äquatoriale Kalmengürtel in derselben Richtung mit der Sohne vorwärts bewegt, in der man jene Doldrums zu durchschneiden hat. So kamen wir nur langsam vorwärts.

Hatten wir heute die Sonne überholt, so daß sie uns um Mittag gegen Norden stand, so hatte schon nach wenigen Tagen die Sonne uns eingeholt, und wir sahen sie dann wieder in südlicher Richtung. Eine drückende Hitze, gegen die man vergeblich Schutz suchte, Regen in Strömen, der oft volle zwölf Stunden lang andauerte und aus so dicken Wolkenmassen strömte, daß das Tageslicht nur dämmernd durchdringen konnte, gehörten zu den weiteren Unannehmlichkeiten dieser Reise. Wir hätten mit Freude selbst den heftigsten Sturm begrüßt, um aus diesen fast unheimlichen Zonen herauszukommen – unheimlich, weil alle bewegenden, lebendigen Kräfte der Natur fast erstorben schienen. Wann werden wir in Sydney ankommen? Das war die tägliche und stündliche Frage an Bord.

Da erschien am 7. Oktober abends völlig unerwartet ein glänzender großer Komet mit helleuchtendem Kern und immensem Schweif am westlichen Himmel. Nun war es klar, der Komet war an all der Ungunst von Wind und Wasser schuld. Hätten wir nicht so nach mittelalterlich abergläubischen Begriffen denken sollen? Es spukte ja ohnedem schon seit einigen Tagen auf der »Novara«, warum sollte nicht auch noch ein Komet Unheil verkünden? Ich erwähne den Vorfall dieser Spukgeschichte, weil er abergläubische Gemüter unter der Mannschaft aufregte und uns alle, bis das Rätsel sich löste, lebhaft beschäftigte. Es ließ sich nämlich zum ersten Male gerade am 4. Oktober, des Kaisers Namenstag, ein dumpfes, kollerndes Geräusch vernehmen, das der eine über sich, der andere unter sich, der eine vorne am Schiff, der andere hinten gehört haben wollte. Es war ein Geräusch, wie wenn Kanonenkugeln rollen würden. Die Kugeldepots wurden untersucht, aber man schien sich überzeugt zu haben, daß hier alles in der alten Ordnung sei. Ein Witzkopf unter den Matrosen meinte, das Dampf-Linienschiff »Kaiser«, das an des Kaisers Namenstag in Pola vom Stapel gelaufen, habe sich uns im fernen Ozean angekündigt.

Das Geräusch wiederholte sich am 5. und am 6. Oktober, an Tagen, wo es am Himmel so düster und schwarz über uns hing und Regenmassen herabstürzten, als hätten sich alle Wolken des Luftmeeres gerade über uns konzentriert. Nun kamen die abenteuerlichsten Hypothesen zum Vorschein. Einer der Vulkane der nahen Salomon-Inseln mußte ausgebrochen sein, und das Geräusch war unterseeischer Erdbebendonner. Man erschöpfte sich in Vermutungen und wollte diejenigen, die behaupteten, daß es Kugeln seien, die in den untersten Schiffsräumen rollen, nicht gelten lassen. Aber die Kugeldepots wurden zum zweiten Male untersucht, und nun fand sich, daß nicht weniger als 300 schwere, 30pfündige eiserne Kugeln, welche die Wand des Depots durchgedrückt, aus diesem in das Brotdepot gerollt waren. So löste sich dieses Geheimnis, und die Spukgeschichten, die aus der Vergangenheit der »Novara« von Mund zu Mund gegangen waren, verstummten wieder.

Aber die feurige Fackel des Kometen stand noch am Himmel. Er war in diesen trostlos einförmigen Tagen ein willkommenes Phänomen der Beobachtung und bildete durch die vierzehn Tage, die er uns sichtbar blieb, sooft der Himmel rein war, den Gegenstand sorgfältiger astronomischer Beobachtungen von Seiten des Kommodore. Wir vermuten, daß dies der Komet war, dessen Erscheinen während der Jahre 1857 bis 1860 erwartet wurde.

 

Am 8. Oktober endlich kamen wir in die Sicht der Salomon-Inseln. Einige Riffe, die weiter nördlich in der Nähe von Ontong Java liegen sollen, hatten wir in den auf den Karten angegebenen Positionen vergeblich gesucht. Aber Cower-Insel, eine niedrige Koralleninsel, fanden wir richtig auf dem ihr gegebenen Platz, und vor uns lag das hohe waldige Carteret. Rauch stieg an verschiedenen Stellen auf, aber die Eingeborenen ließen sich in ihren Booten nicht sehen, obwohl wir am 8. nachmittags nur wenige Meilen vom Lande entfernt waren.

Da wir die durch Riffe eingeengte »Indispensable Strait« bei den vorherrschenden Südostwinden, die mit Windstillen und Regenböen aus Nordost wechselten, nicht passieren konnten, so beschloß der Kommodore, der Nordostseite der Inselkette entlang zu segeln, um die freie Fahrstraße zwischen der südöstlichen der Salomon-Inseln, San Cristóbal, und der Nitendi-Gruppe zu gewinnen. Wir mußten mühsam gegen Südostwind und eine starke nordwestliche Strömung aufkreuzen und gewannen täglich kaum 15 Meilen. Am 13. Oktober hatten wir etwa die Mitte der Insel Malaita erreicht. Während der windstillen Nacht auf den 14. hatte uns die Strömung bis auf wenige Meilen ans Land versetzt. Mehrere Boote wurden sichtbar, die sich rasch uns näherten. Das erste Boot, das uns erreichte, trug sechs schwarzbraune, völlig nackte Männer mit krausem buschigen Haar, das durch Eisenocker rot gefärbt zu sein schien. Als besonderen Schmuck trugen einige in den Haaren seitwärts noch einen gelbroten, wahrscheinlich aus gefärbten Baststreifen bestehenden Busch. Einer hatte im Ohrläppchen einen Eberzahn stecken, zwei andere trugen in den durchbohrten Nasenflügeln kleine Zylinder, aus einer Muschelschale geschliffen. Am Oberarm und unter dem Knie Ringe, ebenfalls aus Muschelschalen geschliffen. Tätowiert war keiner.

Unter allen sogenannten Wilden, die wir bis jetzt gesehen, schienen diese Menschen noch am meisten jenem Ausdruck zu entsprechen. Als das Boot uns bis auf Schußweite nahe gekommen, richtete sich der Führer auf und rief uns mit voller starker Stimme zu, zugleich mit raschen energischen Gestikulationen nach dem Lande deutend. Er schien uns aufzufordern, ans Land zu kommen. Den Schluß seiner Worte bildeten eigentümlich jodelnde oder aufjauchzende Töne, wie man sie wohl in den steierischen Alpen zu hören gewohnt ist, die aber von einem Papua der Salomon-Inseln ganz unerwartet waren. Von seinen Worten hat sich mir nur das oft wiederholte »mate-mate« eingeprägt, das, da er dabei immer Schildpattblätter uns entgegenhielt, sich wahrscheinlich auf den Austausch von Schildpatt bezog, als dem Hauptartikel, der bisweilen Walfischfahrer an diese einsamen Küsten lockt. Aber kein einziges englisches Wort ließen sie vernehmen, nicht einmal das »very good« zur Anpreisung ihrer Ware. Diese Insulaner schienen daher noch sehr wenig in Verkehr mit Schiffen gestanden zu haben. Das zeigte auch ihre große Scheu. Nur zögernd kamen sie auf unser Zuwinken näher, so daß ihnen ein Tau zugeworfen werden konnte. Aber in keiner Weise ließen sie sich bewegen, auf das Deck zu kommen. Es zeigte sich, daß sie außer ein paar Schildpattstücken und dem abenteuerlichen Schmuck, den sie am nackten Leibe trugen, gar nichts bei sich hatten. Wir tauschten gegen Tabak und Taschentücher diese Dinge ein.

Sehr eigentümlich sind die Boote dieser Salomon-Insulaner, nicht Kanus mit Auslegern, wie man sie sonst überall auf den Südsee-Inseln trifft, sondern gezimmerte, weitbauchige Boote mit hohen Vorder- und Hintersteven, fast wie die Madeiraboote. Wir waren schon zehn Meilen vom Lande wieder entfernt, als uns das Boot verließ. Ein zweites kam noch nach mit nur drei Menschen, die, da wir nun ziemlich rasch fuhren, schnell wieder umkehrten und nach dem Lande zurück ruderten, nachdem wir ihnen ein buntes Taschentuch geschenkt hatten. Das war unser ganzer Verkehr mit den Salomon-Insulanern. Diese Menschen scheinen nicht am Ufer zu wohnen, sondern hoch oben in ihren Bergen, wo wir an den verschiedensten Stellen waldfreie, wiesenähnliche Plätze und je auf einem solchen Platz eine Hütte bemerkten. Malaita ist eine über 4 000 Fuß hohe Gebirgsinsel, aber ohne alle vulkanischen Formen.

Von Malaita weg führten Wind und Wetter uns nach den Stewart-Inseln.

 

Am 16. abends waren wir diesen niederen Koralleninseln, die auf einem atollförmigen Riffe liegen, so nähe, daß die Eingeborenen in ihren Kanus zu uns an Bord kamen. Wie ganz anders waren diese Menschen! Heitere, lachende, zutrauliche Menschen, die alle gebrochen englisch sprachen und ohne weiteres zu uns an Bord kamen, braune Kerle von wahrhaft athletischem Körperbau, an Armen und Schenkeln, einige auch auf dem Rücken und der Brust tätowiert, mit dem Lendengürtel Malo als einziger nationaler Bekleidung, außer welchem aber manche noch Teile europäischer Kleidung trugen. Ihr wohlgenährtes gesundes Aussehen bewies, daß es ihnen an guter Nahrung nicht fehlt, und wir hörten zu unserer Freude, daß sie Schweine, Hühner, Kokosnüsse, Arrowroot im Überfluß haben und dafür gerne von uns Zeug, Messer, Tabak, Glasperlen und Spielkarten eintauschen. Spielkarten! Auf einer Südsee-Insel! Südsee-Insulaner, die Karten spielen! – Das war etwas ganz Neues. Noch mehr aber erstaunten wir, als einige von ihnen in der Batterie zu dem gerade auf dem Tisch stehenden Damenbrett sich setzten und uns aufforderten, mit ihnen zu spielen. Und siehe da, selbst geübten Spielern von uns gewannen sie die Partien ab. Wir hatten manchen Spaß mit diesen freundlichen, gutmütigen Menschen, die bei uns an Bord blieben, bis die Nacht einbrach, und dann unter Händedruck und »good night« von uns Abschied nahmen, Schweine, Hühner und was sie sonst haben für uns vorzubereiten versprachen, damit wir es morgen in unseren Booten abholen könnten, da die Schweine für ihre Kanus zu schwer seien.

Da sich bereits, wenn auch in leichtem Grade, Spuren von Skorbut unter der Mannschaft zeigten, so war diese Gelegenheit, einige frische Lebensmittel zu bekommen, eine sehr erwünschte, und am 17. morgens segelten, vom Kommandanten selbst geführt, drei Boote von der Fregatte der Insel zu. Die Eingeborenen erwarteten uns mit ihren Kanus bei dem Kanal an der Nordwestseite des Riffes, an der Seite unter dem Winde, der einzigen Stelle, wo es möglich ist, mit Booten über das Atollriff in die von demselben umschlossene ruhige Lagune zu gelangen. Überall sonst tobt, auch beim ruhigsten Wetter, eine furchtbare Brandung gegen das Riff, und selbst diese Stelle ist unzugänglich, wenn nur eine einigermaßen frische Brise weht. Wir hatten aber gerade einen günstigen Tag getroffen, der es unseren Booten möglich machte, in dem ruhigen Wasser im Lee des Riffes bis dicht an dieses selbst heranzukommen und darauf zu ankern. Die Passage durch den Kanal bot aber trotzdem noch Schwierigkeiten genug, da durch denselben ein reißender Strom aus der Lagune ins Meer sich ergoß und da er zur Ebbezeit, in der wir gerade ankamen, zu wenig Wasser für unsere Boote hatte. Da wir nicht unverrichteter Dinge umkehren wollten, so wurde versucht, was zu versuchen möglich war. Wir ließen uns einzeln nacheinander mittelst der Kanus der Eingeborenen auf dem Riff absetzen – das auch bei Ebbe, einzelne hervorragende Korallenblöcke abgerechnet, noch unter Wasser steht –, dann gelang es, eines der Boote ganz leer durch den Kanal zu ziehen. Die beiden anderen blieben außen geankert, und wurde ihnen den Tag über dasjenige, was wir eingehandelt, auf Kanus zugeführt; abends kehrten wir alle sehr befriedigt mit gegen 20 Schweinen, 60 Hühnern, einer großen Menge Kokosnüsse und so weiter an Bord zurück.

Stewart-Atoll ist ein halbmondförmiges Korallriff von 16 Seemeilen (=4 deutschen Meilen) Umfang, mit einer tiefen Lagune in seiner Mitte und mit fünf kleinen bewaldeten Inseln auf dem Riffe selbst. Nur die beiden größten dieser Inseln, von den Eingeborenen Sikei'ana und Fa'ule genannt, sind bewohnt. Die Einwohnerzahl beträgt ungefähr 180 Seelen. Wir trafen einen englischen Matrosen unter den Eingeborenen, welchen ein Walfischfahrer vor sieben Monaten hier ausgesetzt, weil er infolge von Fieber arbeitsuntüchtig geworden war. Die Eingeborenen hatten ihn aufs gastfreundlichste aufgenommen, aber der arme Mensch war doch überglücklich, durch uns aus seiner unfreiwilligen Verbannung erlöst zu werden. Es wurde ihm seine Bitte, Überfahrt nach Sydney zu bekommen, gern gewährt. Wir hatten uns in zwei Parteien auf die beiden genannten Inseln verteilt. Ich war auf dem näher gelegenen Fa'ule geblieben, um genug Zeit zu haben, diese kleine Insel zu untersuchen.

Es hat einen eigenen Reiz, eine so beschränkte Welt zu beobachten, die nichtsdestoweniger dem Menschen als Wohnort dienen kann und auf der er sich, wie diese Insulaner bewiesen, eines glücklichen, sorgenlosen Daseins erfreut.

 

Die ganze Welt dieser Insulaner, alles bewohnbare Land des Korallenriffes beträgt nicht mehr als ein Drittel einer Quadratseemeile; kein Berg, kein Hügel, kein Fluß, der höchste Punkt des Landes ist nur so hoch, als Wellen und Wind Sand und Trümmer aufhäufen können, ringsum das endlose Meer; der ganze Mineralreichtum der Erde ist hier auf ein einziges Mineral zusammengeschrumpft, kohlensaurer Kalk, welchen Milliarden von kleinen Korallentierchen aus der Salzflut abscheiden. In außerordentlichen Fällen führt der Ozean noch schwimmende Steine her; so kommen Bimssteine, welche den Boden etwas verbessern, oder in dem Wurzelwerk angeschwemmter Baumstämme auch andere Steine an, auf welchen der Bewohner dieser kleinen Welt Muschelschalen schleifen kann, die ihm als Schneidewerkzeug, als Messer und Axt dienen.

Die Mannigfaltigkeit der Pflanzenwelt hat hier nur 20 bis 30 Repräsentanten, das Meer hat die Samen von üppigeren, reicheren Gestaden hergeführt und auf den Korallsand ausgeworfen; sie sind aufgegangen, die Kokospalme, der Baum von tausendfältigem Nutzen, welcher Nahrung, Hausgeräte, Baumaterial und Kleidung liefert, der Pini-Pini-Baum, aus dessen Stamm sich der Insulaner mittelst der geschärften Muschel sein Kanu aushöhlt. Noch beschränkter ist die Tierwelt, kein Vierfüßler, nur einige Seevögel und Insekten. Die einzige Fleischnahrung liefert das Meer in Fischen, Krabben und Schaltieren. Man fragt mit Recht, zu welcher Stufe geistiger und sittlicher Entwicklung es die Menschen bringen können, welchen die beschränkte Welt einer solchen Koralleninsel zum Wohnplatz angewiesen ist.

Die Stewart-Insulaner leben indes nicht mehr in diesen ursprünglichsten, einfachsten Verhältnissen. Ein, wie es scheint, ziemlich häufiger Besuch von Schiffen hat ihnen vieles zugeführt, was ihre Existenz wesentlich verbessert. Sie haben nun Schweine, Hühner, Knollengewächse aller Art, die vortrefflich auf den Inseln gedeihen, um welche sie wieder andere Dinge eintauschen können, die zu ihren Bedürfnissen gehören. Ebenso scheinen sie keine ganz reine polynesische Rasse zu sein. Uns ist vor allem anderen die außerordentliche Verschiedenheit ihrer Gesichtszüge aufgefallen. Nur wenige machen den Eindruck einer reinen malayischen Rasse. Von einer Vermischung mit der Papua-Rasse auf den nahen Salomon-Inseln ist keine Spur. Dagegen tragen viele so entschieden europäische Züge, daß man fast geneigt ist, der Ansicht eines Missionars in Sydney recht zu geben, nach welcher diese Insulaner alle von einem englischen Matrosen und einem Weib von den Samoa-Inseln herstammen, die sich im vorigen Jahrhundert hier niedergelassen.

So kurz unser Besuch auf den Stewart-Inseln auch war, so hatte er doch belebend und erfrischend gewirkt nach so langer einförmiger Seereise und hatte außerdem die gute Folge, daß dem Skorbut an Bord Einhalt getan ward.

Ein frischer Wind führte uns in der Nacht auf den 18. Oktober schnell gegen Süden, aber bald trat wieder Windstille ein, wir lagen den 19. und 20. bewegungslos bei der Insel Contrarietio im Norden von San Cristobal, und erst am 21. gelang es, Kap Surville zu passieren. Damit waren wir frei von den Salomon-Inseln und konnten nun auf einen günstigen raschen Schluß der bis dahin so überaus ungünstigen Reise hoffen.

Von den Salomon-Inseln nach Sydney

Wind und Wetter schienen mit einem Male wie ausgewechselt, seit wir Kap Surville passiert und die Salomon-Inseln hinter uns hatten.

Wochen, ja einen vollen Monat lang hatten wir nördlich von den Salomon-Inseln vergeblich auf frische Brise gehofft, und nun war mit einem Male der Südostpassat in voller Kraft da und statt der düsteren Böenwolken ein reiner, klarer Himmel. Der Südost blies bald so frisch, daß die Fregatte nur mit verminderten Segeln ihren Kurs gegen Süd scharf am Winde verfolgen konnte und sich mühsam durch die hohe See, welche der steife Wind uns entgegenwälzte, hindurcharbeiten mußte. Am 25. und 26. Oktober wuchs der Südostwind zu Sturmesstärke an, wir fuhren mit doppelt gerefften Marssegeln, und es schien fast, als ob das Ende der Reise ebenso stürmisch werden wolle wie der Anfang im Chinesischen Meer. Nach einer sehr unruhigen Nacht trat aber am 27. Oktober mehr Ruhe ein. Wir befanden uns auf der Breite der nordwestlichsten Spitze der neukaledonischen Korallenriffe und mußten nun das mit gefährlichen Korallriffen übersäte Meer zwischen Neu-Kaledonien und Sandy-Kap an der Küste von Australien passieren.

Des Kommodore B. von Wüllerstorf Absicht war zuerst, diesen Meeresteil auf der freien Fahrstraße längs der Westküste von Neu-Kaledonien zu passieren. Aber die Versuche, gegen den stürmischen Südostwind und die hohe See, die uns entgegenkam, aufzukreuzen, waren vergebens. Daher ließ der Kommodore am 27. Oktober um Mittag abfallen, und mit allen Segeln vor dem Wind, der nun Ostsüdost war, fuhren wir nun mit reißender Geschwindigkeit gegen West, um an Bampton-Riff vorbei die westlichere Fahrstraße zu gewinnen, die zwischen 156 und 158 Grad östlicher Länge von Greenwich frei durch die Korallenriffe führt. Am 28. morgens hatten wir das große hufeisenförmige Bampton-Riff zu sehen erwartet. Aber auch von der Mastspitze war nirgends Brandung zu entdecken, nur das ruhige Wasser, in das wir mit einem Male kamen, war ein deutlicher Beweis, daß das Riff existiere und daß wir uns im See desselben befanden. Die Position des Riffes auf den einzelnen Karten ist eine so verschiedene, daß, während wir nach der einen Karte auf dem Riffe selbst uns befanden, nach einer zweiten dasselbe nur 4, nach einer dritten aber 14 Seemeilen östlich von uns lag. Die letztere Karte scheint recht zu haben; denn auf 4 Meilen hätte man die Brandung vom Mäste aus sehen müssen, auf 14 Meilen aber war es wohl unmöglich.

Der Wind, der sich mehr und mehr von Südost nach Ost drehte, war so günstig, daß direkt südlicher Kurs gehalten werden konnte. Schon am 30. Oktober hatten wir die Breite von Sandy-Kap passiert und konnten nun in freiem Meere gerade auf Sydney lossteuern. An demselben Tage passierten wir auch den südlichen Wendekreis. Der Wind setzte die Drehung, die er begonnen hatte, fort und wurde mit fallendem Barometer und Regen am 31. Oktober und 1. November nach und nach Nordwind, dann Nordwest-, West-, Südwest- und Südwind. Am 2. November waren alle Wolken plötzlich wie weggefegt, es war ein wunderschöner, wolkenloser Tag, der Wind begann seine Tour wieder zurück über Südwest nach West und Nordwest, die ersten Albatrosse zeigten sich wieder und wurden als alte Bekannte mit Freuden begrüßt. Die Temperatur der Luft, von den Salomon-Inseln weg in fortwährendem Fallen, betrug jetzt nur mehr 15 bis 16 Grad R (19-20°C) (wir befanden uns auf 28 Grad südlicher Breite), so daß die Tuchkleider wieder hervorgesucht wurden.

 

Zehn volle Monate hatten wir in den Tropen zugebracht, es war uns an dem schönen kühlen Novembertage zumute wie an einem herrlichen Frühlingstag in der Heimat. Am 4. November kam die australische Küste bei Smoky-Kap in Sicht, ein frischer Ostwind füllte alle Segel, und mit 10 Meilen Fahrt in der Stunde näherten wir uns unserem Ziele. Am 5. November gegen 2 Uhr nachmittags wurde das Land bei Port Jackson sichtbar, und schon um 6 Uhr abends lag die Fregatte zwischen Pinchgut- und Garden-Eiland in dem großartigen Port Jackson bei Sydney vor Anker. Nach 84tägiger Seefahrt, während welcher 6256 Seemeilen zurückgelegt worden waren, hatten wir glücklich das Ziel erreicht. Wir hatten auf der ganzen Reise nur ein einziges Schiff gesehen, einen amerikanischen Klipper bei den Marianen, und waren namentlich überrascht, auch vor Port Jackson nirgends ein Segel zu entdecken. Erst als wir schon dicht vor der Einfahrt standen, bemerkten wir einige Dampfer und kleine Küstenfahrer, die sich unmittelbar an der Küste hielten.

Ich schildere Ihnen nicht die Wohlgefühle, mit welchen man nach so langer Seefahrt den festen Boden wieder betritt, Briefe aus der Heimat empfängt, die neuesten Zeitungsblätter durchfliegt, wie man sich labt an frischen Früchten, an Milch und Butter und sich schnell und leicht einlebt unter anderen fremden Menschen, die dem neuen Ankömmling mit aller Freundlichkeit und Zuvorkommenheit entgegenkommen. Sydney vollends ist eine so ganz und gar europäische Stadt, daß uns allen zumute war, als wären wir wieder an einem heimatlichen Gestade angelangt.

Aber ich muß Ihnen noch die Freude, die Sensation und den Enthusiasmus schildern, welchen die Ankunft der schon lange erwarteten »Novara« unter den Deutschen in Sydney erregte. Die »Australische Deutsche Zeitung« (herausgegeben von Herrn J. Degotardi, einem geborenen Grazer) vom 6. November, die uns allen von der Redaktion in zuvorkommendster Weise zugeschickt wurde, ist voll von »Novara«: »Allgemeine deutsche General-Versammlung aus Anlaß der Ankunft der k. k. Fregatte ‹Novara› zur Besprechung und Beratung der Empfangsfeierlichkeiten.«

Ein zweiter Artikel ist »An die Herren der ‹Novara›-Expedition« selbst gerichtet: »Mit inniger Freude haben wir Ihre glückliche Ankunft in Port Jackson vernommen und heißen Sie, edle Männer, an den Gestaden Australiens herzlich willkommen. Seien Sie, hochgeehrteste Herren, von der wärmsten Teilnahme der hiesigen Deutschen an dem großartigen Unternehmen der »Novara»-Expedition sowie von unserer bewundernden Anerkennung Ihrer edlen segensreichen Wirksamkeit überzeugt.«

Am 6. November morgens donnerten die Kanonen zum Gruß der englischen Krone in New-South-Wales, die Naturforscher schifften sich aus, und an Bord begannen alsbald die Arbeiten und Vorbereitungen, um die Fregatte zur Vornahme der notwendigen Reparaturen in die Regierungsdocks auf Kakadu-Eiland zu bringen. Der Aufenthalt der k. k. Fregatte in Port Jackson dürfte sich wohl bis Ende dieses Monates verlängern.

 

Abbildungen und editorische Anmerkungen aus Urheberrechtsgründen gelöscht. Re.


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