Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
1. Verschwunden ist die finstre Nacht,
Die Lerche schlägt, der Tag erwacht,
Die Sonne kommt mit Prangen
Am Himmel aufgegangen.
2. Sie scheint in Königs Prunkgemach,
Sie scheinet durch des Bettlers Dach,
Und was in Nacht verborgen war,
Das macht sie kund und offenbar.
3. Lob sei dem Herrn und Dank gebracht,
Der über diesem Haus gewacht
Mit seinen heiligen Scharen,
Uns gnädig zu bewahren.
4. Wohl mancher schloß die Augen schwer
Und öffnet sie dem Licht nicht mehr;
Drum freue sich, wer, neu belebt,
Den frischen Blick zur Sonn' erhebt.
Fr. Schiller.
* * *
Abend wird es wieder:
Über Wald und Feld
Säuselt Frieden nieder,
Und es ruht die Welt.
2. Nur der Bach ergießet
Sich am Felsen dort,
Und er braust und fließet
Immer, immer fort.
3. Und kein Abend bringet
Frieden ihm und Ruh,
Keine Glocke klinget
Ihm ein Rastlied zu.
4. So in deinem Streben
Bist, mein Herz, auch du:
Gott nur kann dir geben
Wahre Abendruh.
Hoffmann v. Fallersleben.
Das sind die Weisen,
Die durch Irrtum zur Wahrheit reisen;
Die bei dem Irrtum verharren,
Das sind die Narren.
Rückert.
Eines schickt sich nicht für alle.
Sehe jeder, wie er's treibe,
Sehe jeder, wie er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle.
Die Distel sprach zur Rose:
Was bist du nicht ein Distelstrauch?
Dann wärst du doch was nütze,
Dann krähen dich die Esel auch!
Bodenstedt.
Möge jeder still beglückt
Seiner Freude warten,
Wenn die Rose selbst sich schmückt,
Schmückt sie auch den Garten.
Rückert.
Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt;
O Gott, es war nicht bös gemeint, –
Der andre aber geht und klagt.
Freiligrath.
Teuer ist mir der Freund; doch auch den Feind kann ich nützen:
Zeigt mir der Freund, was ich kann; lehrt mich der Feind, was ich soll.
Schiller.
In den Ozean schifft mit tausend Masten der Jüngling;
Still, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis.
Schiller.
Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da.
Goethe.
* * *
1. Möchte wieder in die Gegend,
Wo ich einst so selig war,
Wo ich lebte, wo ich träumte
Meiner Jugend schönstes Jahr!«
2. Also sehnt' ich in der Ferne
Nach der Heimat mich zurück,
Wähnend, in der alten Gegend
Finde sich das alte Glück.
3. Endlich ward mir nun beschieden
Wiederkehr ins traute Tal:
Doch es ist dem Heimgekehrten
Nicht zu Mut wie dazumal.
4. Wie man grüßet alte Freunde,
Grüß' ich manchen lieben Ort;
Doch im Herzen wird so schwer mir,
Denn mein Liebstes ist ja fort.
5. Immer schleicht sich noch der Pfad hin
Durch das dunkle Waldrevier;
Doch er führt die Mutter abends
Nimmermehr entgegen mir.
N. Lenau.
* * *
1. Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar;
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!
2. Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang,
Die den Herbst und Frühling bringt;
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang,
Das jetzt noch klingt?
3. »Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wiederkam, als ich wiederkam,
War alles leer.«
4. O du Heimatflur, o du Heimatflur,
Laß zu deinem heil'gen Raum
Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entfliehn im Traum!
5. Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt,
Und der leere Kasten schwoll,
Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert,
Wird's nie mehr voll.
Fr. Rückert.
* * *
1. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
2. »Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?« –
»Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Krone und Schweif?« –
»Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.« –
3. »Du liebes Kind, komm, geh mit mir,
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir,
Manch' bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.« –
4. »Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht?« –
»Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind.« –
5. Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reih'n
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.« –
6. »Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?« –
»Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau,
Es scheinen die alten Weiden so grau.« –
7. »Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt,
Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt.« –
»Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan!«
8. Dem Vater grauset, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Müh' und Not.
In seinen Armen das Kind war tot.
W. von Goethe.
* * *
(555.)
1. Gebt Raum, ihr Völker, unserm Schritt,
Wir sind die letzten Goten;
Wir tragen keine Krone mit:
Wir tragen einen Toten.
2. Mit Schild an Schild und Speer an Speer,
Wir ziehn nach Nordlands Winden,
Bis wir im fernsten grauen Meer
Die Insel Thule finden.
3. Das soll der Treue Insel sein,
Dort gilt noch Eid und Ehre,
Dort senken wir den König ein
Im Sarg der Eichenspeere.
4. Wir kommen her – gebt Raum dem Schritt –
Aus Roma's falschen Toren:
Wir tragen nur den König mit –
Die Krone ging verloren! –
Felix Dahn.
* * *
1. In der Heimat war ich wieder,
Alles hab' ich mir besehn.
Als ein Fremder auf und nieder
Mußt' ich in den Straßen gehn.
2. Nur im Friedhof fern alleine
Hab' ich manchen Freund erkannt,
Und bei einem Leichensteine
Fühlt' ich eine leise Hand.
M. Greif.
* * *
1. Wenn du noch eine Heimat hast,
So nimm den Ranzen und den Stecken,
Und wandre, wandre ohne Rast,
Bis du erreichst den teuren Flecken.
2. Und strecken nur zwei Arme sich
In freud'ger Sehnsucht dir entgegen,
Flieht eine Träne nur um dich,
Spricht dir ein einz'ger Mund den Segen.
3. Ob du ein Bettler, du bist reich;
Ob krank dein Herz, dein Mut beklommen,
Gesunden wirst du alsogleich,
Hörst du das süße Wort: Willkommen!
4. Und ist verwelkt auch jede Spur,
Zeigt nichts sich deinem Blick, dem nassen,
Als grünberast ein Hügel nur
Von allem, was du einst verlassen:
5. O nirgend weint es sich so gut,
Wie weit dich deine Füße tragen,
Als da, wo still ein Herze ruht,
Das einstens warm für dich geschlagen.
A. Traeger.
* * *
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
In dumpfer Stube beisammen sind;
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl. –
Wie wehen die Lüfte so schwül!
2. Das Kind spricht: »Morgen ist's Feiertag;.
Wie will ich spielen im grünen Hag,
Wie will ich springen durch Tal und Höh'n,
Wie will ich pflücken viel Blumen schön!
Dem Anger, dem bin ich hold!« –
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
3. Die Mutter spricht: »Morgen ist's Feiertag,
Da halten wir alle fröhlich Gelag;
Ich selber, ich rüste mein Feierkleid;
Das Leben, es hat auch Lust nach Leid,
Dann scheint die Sonne wie Gold!« –
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
4. Großmutter spricht: »Morgen ist's Feiertag,
Großmutter hat keinen Feiertag,
Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid,
Das Leben ist Sorg' und viel Arbeit;
Wohl dem, der tat, was er sollt'!« –
Hört ihr's, wie der Donner grollt?
5. Urahne spricht: »Morgen ist's Feiertag,
Am liebsten ich morgen sterben mag;
Ich kann nicht singen und scherzen mehr;
Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer:
Was tu' ich noch auf der Welt?« –
Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?
6. Sie hören's nicht, sie sehen's nicht,
Es flammet die Stube wie lauter Licht:
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Vom Strahl miteinander getroffen sind;
Vier Leben endet ein Schlag –
Und morgen ist's Feiertag.
G. Schwab.
* * *
1. Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig durch die Stadt.
2. Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohne Unterlaß;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.
3. Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugendzauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.
Th. Storm.
* * *
1. Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muß doch Frühling werden.
2. Und drängen die Nebel noch so dicht
Sich vor dem Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.
3. Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht!
Mir soll darob nicht bangen.
Auf leichten Sohlen über Nacht
Kommt doch der Lenz gegangen.
4. Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf,
Und möchte vor Lust vergehen.
5. Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren
Und läßt die Brünnelein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren.
6. Drum still! und wie es frieren mag,
O Herz, gib dich zufrieden!
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.
7. Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll' auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muß doch Frühling werden.
E. Geibel.
* * *
1. Hoch ragt aus schatt'gen Gehegen
Ein schimmerndes Schloß hervor;
Ich kenne die Türme, die Zinnen,
Die steinerne Brücke, das Tor.
2. Es schauen vom Wappenschilde
Die Löwen so traulich mich an,
Ich grüße die alten Bekannten
Und eile den Burghof hinan.
3. Dort liegt die Sphinx am Brunnen,
Dort grünt der Feigenbaum,
Dort hinter diesen Fenstern
Verträumt ich den ersten Traum.
4. Ich tret' in die Burgkapelle
Und suche des Ahnherrn Grab,
Dort ist's, dort hängt vom Pfeiler
Das alte Gewaffen herab.
5. So stehst du, o Schloß meiner Väter,
Mir treu und fest in dem Sinn,
Und bist von der Erde verschwunden;
Der Pflug geht über dich hin.
A. v. Chamisso.
* * *
1. Dort ist so tiefer Schatten;
Du schläfst in guter Ruh,
Es deckt mit grünen Matten
Der liebe Gott dich zu.
2. Die alten Weiden neigen
Sich auf dein Bett herein,
Die Vöglein in den Zweigen,
Sie singen treu dich ein.
3. Und wie in goldnen Träumen
Geht linder Frühlingswind
Rings in den stillen Bäumen –
Schlaf wohl, mein süßes Kind.
J. v. Eichendorff.
* * *
1. Die Mittagssonne brütet auf der Heide,
Im Süden droht ein schwarzer Ring.
Verdurstet hängt das magere Getreide,
Behaglich treibt der Schmetterling.
2. Ermattet ruhn der Hirt und seine Schafe,
Die Ente träumt im Binsenkraut,
Die Ringelnatter sonnt in trägem Schlafe
Unregbar ihre Tigerhaut.
3. Im Zickzack zuckt ein Blitz, und Wasserfluten
Entstürzen gierig feuchtem Zelt.
Es jauchzt der Sturm und peitscht mit seinen Ruten
Erlösend meine Heidewelt.
Detlev v. Liliencron.
* * *
1. Fliegt der erste Morgenstrahl
Durch das stille Nebeltal,
Rauscht erwachend Wald und Hügel,
Wer da fliegen kann, nimmt Flügel!
2. Und sein Hütlein in die Luft
Wirft der Mensch vor Lust und ruft:
Hat Gesang doch auch noch Schwingen,
Nun, so will ich fröhlich singen!
3. Hinaus, o Mensch, weit in die Welt,
Bangt dir das Herz in krankem Mut!
Nichts ist so trüb in Nacht gestellt,
Der Morgen macht's leicht wieder gut.
J. v. Eichendorff.
* * *
1. Es lebt ein wundersames Leben
In eines Maienabends Duft,
Die ew'ge Gnade fühl' ich schweben
Beglückend durch die weiche Luft:
2. Sie breitet aus die milden Hände,
Daß reicher Segen niederträuft,
Daß Licht und Liebe sonder Ende
Sich auf das Haupt des Menschen häuft.
Felix Dahn.
* * *
1. Es ist auf Erden keine Nacht,
Die nicht noch ihren Schimmer hätte!
So groß ist keines Unglücks Macht,
Ein Blümlein hängt in seiner Kette.
2. Ist nur das Herz von rechtem Schlage,
So baut es sich ein Sternenhaus
Und schafft die Nacht zum hellen Tage,
Wo sonst nur Asche, Schutt und Graus.
Gottfried Keller.
* * *
1. Da sind die alten Plätze wieder,
Die mich dereinst als Kind gesehn;
Es rauscht derselbe Strom hernieder
Und spiegelt noch dieselben Höhn.
2. Vom Kirchlein altbekanntes Läuten,
Doch drinnen kein bekannt Gesicht –
Auch jenes Haus kann ich noch deuten,
Doch, die es heut' bewohnen, nicht.
3. Und auf derselben Aue jagen
Die Kinder sich, wie wir dereinst –
Sie sehn mich an mit stummer Frage,
Wie, fremder Mann, du stehst und weinst?
4. Du frohe Schar, o spiele weiter,
Die Plätze unsrer Lust sind dein –
Dir strahlt die Heimat hell und heiter
Und hüllt sich mir in Wehmut ein.
Grimme.
* * *
1. Dort unten in der Mühle
Saß ich in süßer Ruh
Und sah dem Räderspiele,
Und sah den Wassern zu.
2. Sah zu der blanken Säge,
Es war mir wie ein Traum,
Die bahnte lange Wege
In einen Tannenbaum.
3. Die Tanne war wie lebend;
In Trauermelodie,
Durch alle Fasern bebend,
Sang diese Worte sie:
4. »Du kehrst zur rechten Stunde,
O Wanderer, hier ein;
Du bist's, für den die Wunde
Mir dringt ins Herz hinein;
5. Du bist's, für den wird werden,
Wenn kurz gewandert du,
Dies Holz im Schoß der Erden
Ein Schrein zur langen Ruh.«
6. Vier Bretter sah ich fallen,
Mir ward's ums Herze schwer,
Ein Wörtlein wollt' ich lallen,
Da ging das Rad nicht mehr.
J. Kerner.
* * *
1. Der Mai ist auf dem Wege,
Der Mai ist vor der Tür;
Im Garten, auf der Wiese,
Ihr Blümlein, kommt herfür!
2. Da hab' ich den Stab genommen,
Da hab' ich das Bündel geschnürt,
Zieh' weiter und immer weiter,
Wohin die Straße mich führt.
3. Und über mir ziehen die Vögel,
Sie ziehen in lustigen Reih'n;
Sie zwitschern und trillern und flöten,
Als ging's in den Himmel hinein.
4. Der Wandrer geht alleine,
Geht schweigend seinen Gang;
Das Bündel will ihn drücken,
Der Weg wird ihm zu lang.
5. Ja, wenn wir allzusammen
So zögen ins Land hinein!
Und wenn auch das nicht wäre,
Könnt' eine nur mit mir sein.
Wilhelm Müller.
* * *
1. Mietegäste vier im Haus
Hat die alte Buche.
Tief im Keller wohnt die Maus,
Nagt am Hungertuche.
2. Stolz auf seinen roten Rock
Und gesparten Samen
Sitzt ein Protz im ersten Stock:
Eichhorn ist sein Namen.
3. Weiter oben hat der Specht
Seine Werkstatt liegen,
Hackt und zimmert kunstgerecht,
Daß die Späne fliegen.
4. Auf dem Wipfel im Geäst
Pfeift ein winzig kleiner
Musikante froh im Nest. –
Miete zahlt nicht einer.
R. Baumbach.