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[Vorwort]

Armselig der Dichter, dessen Gebiet nicht größer ist als die sichtbare Natur.

Wirklich immer wieder müssen Gastwirte, Felder, Oberlehrer, Kühe und Kommerzienratstöchter geschildert werden! – Als ob's noch nicht genug Gastwirte, Felder, Oberlehrer, Kühe und Kommerzienratstöchter gäbe!

Überall hört man das Wort: »Kampf gegen die Schundliteratur.« Gibt's ein besseres Mittel gegen die Schundliteratur als Bücher unters Volk bringen, die in künstlerischer Form das Gebiet behandeln, das von jeher das Volk anzog, anzieht und immer wieder anziehen wird: das Gebiet des Phantastischen! Wenn das heimliche Ideal der Menge nicht das Reich der Phantasie und des Romantischen ist, warum heißen denn dann z. B. unsere Schiffe »Klabautermann«, »Korsar«, »Pirat« oder »Störtebecker«? Ich habe mein Lebtag nicht gehört, daß eins: »Bankdirektor« oder »Oberlandesgerichtsrat« geheißen hätte.

»Es gibt keine Gespenster«, höre ich da einwenden. – Weißt du das wirklich so ganz genau, vorgeneigter Leser! – Warte nur, wenn du Glück hast – oder Unglück, wie man's nennen will, dann kommt auch für dich der Tag, wo ein Gespenst zu dir den Weg findet – ein wirkliches, sichtbares, greifbares, wägbares Gespenst, das Eindrücke hinterläßt, die du zeitlebens nicht mehr vergißt. – Dann wird's dir für immer die Rede verschlagen, wenn du erzählst, was du gesehen und gegriffen hast – und du merkst, wie dein Gegenüber mühsam das Lachen verbeißt. – Dann wirst du am eigenen Leibe verspüren, was es heißt: ein Einsamer zu sein.

Es ist kein liebenswürdiges Reich, das des gespenstischen – es hat so gar nichts Sentimentales an sich. Gerade darum scheint es mir unerschöpfliche, künstlerische Qualitäten zu bergen. Diese Wesen herauszuholen, daß sie ihren feinen schimmernden Staub, das Unfaßbare, Eigentümliche, das ihnen anhaftet, nicht verlieren, bedingt beim Dichter vor allem die Fähigkeit, bei geschlossenen Augen mit unfehlbarer Sicherheit schauen zu können. – Oft haben da ganz Große schauderhaft daneben gehauen. – Ein winziges Fehlgreifen und, was sonst ein Kunstwerk hätte werden können, saust rettungslos hinab in den Abgrund des Schundes und der Hintertreppenromane. – Hier Shakespeares »Macbeth«, dort – – sagen wir einmal: »Der Müller und sein Kind«.

Soll's nur mal einer probieren, »unheimliche« Geschichten schreiben. Eine Seite lang geht's herrlich, dann wird das »Gespenst« immer grobdrähtiger und verwandelt sich langsam aber sicher in einen Fetzen Paketpapier. Und nicht einmal der »Rahmen« will zu dem Ganzen passen. – Die sogenannte »natürliche« Erklärung wird unausbleiblich; ein Alpdrücken muß die Ursache des ganzen Erlebnisses abgeben.

Ja, ja, – so bloß vorlügen läßt sich eine Gespenstergeschichte nicht. – Da muß man zumindest erst einmal selber dran glauben. E. T. A. Hoffmann zum Beispiel fürchtete sich vor den Gestalten, die er geschaffen hatte, derart, daß er es nachts in seinem Zimmer zuweilen vor Grauen kaum aushalten konnte. – – – – – – – – – –

– Ich wünschte dem Buch, das Felix Schloemp so farbig zusammengestellt hat: es möge seinen Eingang finden bei allen denen, die noch etwas übrig haben für phantastische Kunst. Es soll ihm das Motto voranstehen, das Bulwer seinem »Zanoni« gab:

Laß dir raten:
Hab' die Sonne nicht zu lieb,
Und nicht die Sterne!
Komm! Folge mir ins dunkle Reich hinab.

Starnberg, im September 1912.
Gustav Meyrink.


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