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Die Eroberung

Von Walter Bauer

»Warum ziehen Sie den Schlüssel ab«, fragte Vera und sah ihn mit ängstlich nervösen Augen groß an.

»O, eine alte Gewohnheit von mir«, erwiderte er ruhig und forderte sie mit einer Handbewegung auf, sich in einen der braunroten Klubsessel zu setzen, ohne Miene zu machen, den Schlüssel wieder an seinen alten Platz zu stecken.

Ihr ward es plötzlich zumute, als hätte sie eine gefährliche Dummheit begangen. Gerharts Aufforderung überhörend, trat sie an das Klavier heran, das mit weißen Raubtierzähnen in die Stille seiner behaglich eingerichteten Junggesellen- und Künstlerwohnung gähnte.

»Wir wollen, bitte, gleich anfangen«, sagte sie dann überlaut, gleichsam, um das Klopfen ihres Herzens zu übertönen.

Er antwortete nicht, aber seine grünen Augen begegneten ihr mit seltsam kalter Grausamkeit. Erschrocken senkten sich ihre Blicke auf die Tasten des Instruments. Einen Augenblick setzte ihr Herz aus. Ihre Ahnung lag vor seinem Wissen auf den Knien. Sie rüttelte sich empor.

»Wenn Sie noch länger zögern, Gerhart, den Zweck meines Hierseins« ...

»Der Zweck Ihres Hierseins, Vera,« unterbrach er sie, indem er einen Dantekopf, der vom Bücherschrank herunterdrohte, zu betrachten schien, »ist Ihnen bis jetzt noch unbekannt, aber ich will nicht zögern, Ihnen denselben mitzuteilen – Sie werden diese Nacht in meinen Armen verbringen, diese ganze Nacht, das ist der Zweck Ihres Hierseins.« Er wandte ihr langsam das Haupt zu.

»Gerhart«, schrie sie entsetzt auf und näherte sich ihm mit schnellen Schritten, wie ein männlicher Angreifer. Dann knickte sie plötzlich in einem der Sessel zusammen. »Das also war der Kern Ihrer Ritterlichkeit,« schluchzte sie, »oh, wie konnte ich –«

»Sparen Sie die unnötigen Worte, Vera.« Seine Stimme klang eisig. »Ich weiß genau, was Sie mir alles sagen würden, wenn ich die Geduld hätte, Ihnen zuzuhören. Ja, ich habe Sie unter erlogenem Vorwande hierher gelockt, ich habe Ihnen erzählt, daß ich den ersten Akt meiner für Sie komponierten Oper mit Ihnen durchgehen wollte, habe unsere lange Freundschaft und Ihre künstlerinnengemäße, gesellschaftliche Bewegungsfreiheit, auf die Sie so stolz sind, geschickt benutzt, um Sie in meine Gewalt zu bekommen, ja, ich habe so gemein und hinterlistig gehandelt. Aber Sie müssen gestehen, daß ich mein Ziel erreicht habe.«

Veras Brust hob und senkte sich.

»Sie sind mir sicher hier, so sicher, als ob ich Sie in einem eisernen Käfig gefangen hielte. Wollen Sie schreien? Ich hindere Sie nicht daran. Ich wüßte keinen, der Sie hören sollte! Können Sie sich widersetzen – bah –« Er knackte leise mit den Muskeln seiner Oberarme. – »Das Spiel würde um so interessanter. Nein, nein, Vera, meine Handlungsweise mag sein, wie sie will, aber sie ist – und das bleibt die Hauptsache – mit Erfolg gekrönt.«

Er schwieg, nahm aus der zierlichen Schale, die auf dem eleganten Rauchtischchen stand, eine Zigarette, entzündete sie und verlor sich im Anblick der blauen Rauchringe, die langsam durch das halbdunkle Zimmer zogen.

Vera schaute blaß wie eine Lilie in das leise knisternde Kaminfeuer. Sie war von einer Art Starre befallen, vermochte nicht zu denken, geschweige denn zu reden oder sich zu widersetzen.

Gerhart betrachtete ruhig das fesselnde Bild. Lässig in seinen Sessel gelehnt der sehnige junge Mann im Smoking, ein kleines halb grausames, halb unerklärliches Lächeln auf dem scharf geschnittenen Gesicht, und dicht neben ihm das herrlich gewachsene blonde Weib, starr, verzweifelt auf ihrem Stuhle kauernd.

Das Knacken des brennenden Holzes die einzigsten Laute. Das Zucken seiner zusammengewachsenen dunklen Augenbrauen und das angstvolle Wogen ihrer Brüste die einzigsten Bewegungen.

Einige Minuten saßen sie so.

Dann kam über sie ein mächtiges Auflehnen. Ihre Gestalt straffte sich, sie wandte das Haupt und sah ihn frei und kalt an.

»Gerhart,« sagte sie, »ich will schweigen über die abgrundtiefe Enttäuschung, die Sie mir durch Ihre heutige Tat bereitet haben. Einem Charakter, wie Sie es sind, von seiner Schlechtigkeit zu reden, ist zwecklos.«

Er nickte langsam. Sie dämpfte ihre Stimme.

»Auch verschmähe ich es, von dem Unglück zu reden, das Sie durch den verbrecherischen Raub meiner Reinheit über mich bringen würden. Das alles wird Sie nicht rühren. Doch von Ihnen will ich sprechen. Sie mögen wissen, daß ich auf jeden Fall, was auch immer heute vorfallen mag, der Welt gegenüber nichts verschweigen werde. Glauben Sie nicht, daß falsche Scham mich davon abhalten wird, über meine Schande zu sprechen.« Ihre Stimme hob sich. »Schon morgen, Gerhart, würde ich von allem Anzeige erstatten. Was das für Sie bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu sagen: Zuchthaus, bürgerlichen Tod, Schande und Elend. Und warum dies alles? Weil Sie nicht vermögen einen sinnlichen Kitzel männlich zu bekämpfen. Überlegen Sie sich das wohl. Ihr ganzes Leben gegen den zweifelhaften Genuß einer kurzen Nacht. Wenn Sie Ihr eigenes Wohl im Auge haben, so lassen Sie mich gehen, öffnen Sie die Tür.«

Erwartungsvoll blickte sie ihn an.

Gerhart machte eine müde Handbewegung, als ob er alles ihm eben Gesagte von sich schöbe.

»Wozu der unnütze Kraftaufwand, Vera, mit einem Satze mache ich alle Ihre Gründe nichtig.«

Er zog eine Pistole aus der Tasche. »Sehen Sie her, Sie brauchen keine Furcht zu haben, daß er Ihnen gelte. Mit diesem guten Dreyserevolver werde ich mich morgen früh – wenn Sie es wünschen sogar in Ihrer Gegenwart – erschießen. Eine höchst einfache Lösung des Knotens, nicht wahr, meine Liebe??«

Er legte die Waffe leicht auf den zur Seite stehenden Schreibtisch und lächelte. Aber es war ein Lächeln, das die Wahrheit seiner Worte bestätigte.

Vera fühlte das wohl und empfand einen quälenden Schmerz, über dessen Ursprung sie sich keine Rechenschaft geben konnte. Zugleich wußte sie, daß sich diese Nacht ihr Schicksal erfüllen würde. Sie senkte ihr Haupt und wehrte sich mit einem letzten Schweigen.

Gerhart legte ein Bein über das andere; er schien eingehend seinen blauseidenen Strumpf, der aus einem schwarzen Lackschuh emporstieg, zu betrachten. Dann fuhr er fort zu reden, langsam mit der Fußspitze wippend.

»Sehen Sie, Vera, ich will nicht einmal versuchen, eine Entschuldigung für mein Verhalten zu finden, ich weiß sehr wohl, daß es in Ihren Augen eine solche nicht gibt; aber da wir ja doch nichts anderes zu plaudern haben und ich nicht beabsichtige, gleich wie ein wildes Tier über Sie herzufallen, will ich Ihnen eine Erklärung meines Handelns geben. Ich werde sie in wenige Sätze fassen, denn eine Nacht ist kurz und der Tod grau und ewig.«

Er warf den Zigarettenstummel in den Aschbecher, verschränkte die Arme und blickte zu Vera hinüber, die bleich und teilnahmslos dasaß.

»Die ganze Sache ist sehr einfach und alltäglich«, begann er. »Ist Ihnen aus der Physik das sogenannte Trägheitsgesetz bekannt? Nun gut, meine Natur ist diesem Gesetz verfallen. Jede ihr erteilte Bewegung pflanzt sich mit immer gleicher Kraft und Konsequenz in ihr fort; jeder Gedanke, der einmal in ihr Wurzel gefaßt hat, wächst unweigerlich mit großer Schnelligkeit in ihr empor. Dem flatterhaften Durchschnittsmenschen gegenüber bedeutet dies sowohl Vorteile als Nachteile. Ich will auf diese und jene nicht weiter eingehen, denn meine Augenblicke sind zu kostbar, um an Philosopheme verschwendet zu werden. Also zum Kern meiner Rede. Neben der Musik erfüllte schon seit frühester Jugend meine Seele der mit den Jahren immer glühender werdende Wunsch, groß, echt und heiß geliebt zu werden. Der Traum aller, nicht wahr, nur schmerzlicher und tiefer geträumt. Lag es an mir, lag es an den Frauen, daß mir nicht ward, wonach ich mich sehnte. Ich weiß es heute noch nicht. Um kurz zu sein. Eines Tages trat die Reaktion auf die vielen erlittenen Enttäuschungen ein. Wie bei einem dem Trägheitsgesetz unterworfenen Körper, machte sich auch bei mir plötzlich die Anziehungskraft der Erde bemerkbar. Ich schlug ins Gegenteil um, denn, noch einmal: Was in meinem Wesen Wurzeln faßte, wuchs schnell empor. So wurde ich neben dem namhaften Komponisten ein wohlgeschulter Lebemann, von dessen Treiben allerdings keine Kritik je etwas vermeldete. Ich habe viele und schöne Frauen besiegt. Die einen mit Hilfe meiner Tantiemen, die andern durch die Kraft meiner jugendlichen Sinnlichkeit. Jeden Schritt der Leidenschaft habe ich getan, alle Nuancen des Rausches studiert, und ich bin Meister geworden in diesem Fach, wie in meiner Kunst. Nun ward ich der Meisterschaft müde. Ich habe erkannt, daß die starke heiße Liebe, die ich nicht fand und meiner Art nach nie fähig sein werde zu finden, das Wesentliche ist. Dies Beste soll mir verschlossen bleiben, und darum werde ich eben gehen, zumal ich alles, was außer diesem einem zu genießen war, genossen habe, Kunst – Ruhm Frauen – –. Ach, Frauen –« Er lächelte leicht und zupfte seine schwarze Krawatte zurecht. »Die Frauen, wankelmütig sind sie, des Ernstes unwürdig, und doch wie süß! Ich unterlasse alle weiteren Worte, die das Warum meines Selbstmordentschlusses noch näher erklären. Der Beweggrund ist für meine Natur, die – Sie können es mir glauben – frei von aller Sentimentalität und Überreiztheit ihrem inneren Zwange folgt, stark und triftig genug, und so ward meinem Wesen der Tod eine Notwendigkeit. Sie werden mich verstanden haben, Vera! Da es für mich nun feststand, zu sterben, kam es nur noch darauf an, einen schönen Abschied zu nehmen. Die herrlichste Frau, die ich kannte, sollte Gefährtin meiner Scheidestunden werden. Ich gedachte Ihrer Carmen, Vera, und meine Wahl fiel auf Sie. Ich habe nie gefährliche Mittel gescheut, meine Ziele zu erreichen. Sollte ich, das Nichts vor Augen, weniger kühn sein als sonst! Nein, meine Freundin, weit von mir wies ich alle Skrupel bei dieser meiner letzten Tat, und so ist es gekommen, daß Sie zur Stunde vor mir sitzen in aller Ihrer Schönheitspracht, und darum, Vera,« seine bis dahin kühle Stimme verschleierte sich in Leidenschaft, »werde ich in deinen weißen Armen den letzten trunkenen Kuß des Lebens empfangen –« Das Feuer im Kamin drohte zu erlöschen. Gerharts begehrende Augen umklammerten die im Dunkel zerfließenden Umrisse der unter seinen Worten erschauernden Frauengestalt.

Jetzt erhebt er sich und geht langsam auf sie zu. Groß bleibt er vor ihr stehen. Noch immer hält sie das Haupt gesenkt, so daß er nur die Wellen ihrer goldenen im ersterbenden Lichtschein mattschimmernden Haare sehen kann.

Leise legt er die Hände auf ihre Schultern. Sie zuckt zusammen und springt auf. Dicht vor sich empfindet er ihre süße Körperlichkeit. Da umschlingt er sie plötzlich, hebt sie empor und trägt die Wehrlose in das Schlafgemach. Sanft legt er sie auf das Bett nieder.

»Entkleide dich,« flüstert er, »und rufe mich, wenn du bereit bist.«

Dann verläßt er das Zimmer. Als er nach zehn Minuten noch nicht gerufen wird, sieht er nach ihr. Sie hat sich inzwischen nicht bewegt. Er tritt an sie heran:

»Geh, Vera, sei vernünftig, reize mich nicht, brutale Gewalt anzuwenden. Physische Kraft habe ich genügend, meinen Willen durchzusetzen, aber weshalb verzerren, was in Schönheit geschehen kann.«

Sie fühlt, daß er neben seiner Leidenschaft kein Erbarmen kennt.

Als er sie wieder allein gelassen, entkleidet sie sich, wie eine Schlafwandelnde, deckt sich zu und starrt in die Dunkelheit. Dann liegt er plötzlich neben ihr und reißt sie wild in seine heiße Umarmung. Alles an ihr ist Furcht, Schmerz und Abwehr.

Und dann – in Sekunden ist es geschehen. Eine dumpfe Erkenntnis nimmt ihr die Besinnung. Gerhart läßt sie sanft in die Kissen gleiten und knipst das Licht an; da sieht er, daß sie bewußtlos ist. Er erschrickt nicht, denn er hat ähnliche Fälle allzuoft schon erlebt.

Nun betrachtet er sie, frei von allem sinnlichen Begehren, und sein Herz bebt ob all ihrer Schönheit. Und dann kommt es über ihn, mit nie gekannter Zärtlichkeit dieses weiße liebliche Antlitz, diesen jungen roten Mund, um den ein hilfloser Schmerz gelagert scheint, zu küssen. Fern ist ihm jeder trübe Rausch. Seine Lippen berühren die ihren, wie der Büßer die heiligen Gewänder.

Unter seinem Kusse erwacht sie.

Im ersten Wiederbesinnen will sie sich erschaudernd und verzweifelt abwenden, doch dann – bannt sie sein Blick, sein tiefer, liebesehrfürchtiger Blick, der sie im Innersten ihrer weiblichen Seele trifft.

Sie begreift nicht, wie ihr wird, versteht sich selber nicht, aber es ist ihr unmöglich, einen bösen Gedanken gegen ihn zu hegen.

Still liegt sie unter der Flut seiner Liebkosungen. Ein Staunen ist in ihr über sich selbst und noch etwas Neues, Unbekanntes, Rätselhaftes.

Unbewußt erkennt sie mit fraulichem Instinkte, daß der Quell einer echten Empfindung in ihm entsprungen ist, da er sie – nun der erste Taumel vorüber – nicht kalt und verächtlich, sondern zärtlich und liebevoll behandelt.

Und Vera ist nur ein Weib –

Gerhart merkt an ihrer Hingebung die Wandlung.

Wieder löscht er das Licht. Von neuem entzündet sich sein Blut, und Vera kann nicht hindern, daß es nun auch in ihren Adern wie Lavaflut glüht.

Widerstandslos gibt sie jetzt ihren Leib dem ersten sinnlichen Erleben.

Vergessen ist List und Gewalt, Furcht und Schande. Er ist Mann, Held, Sieger, sie Weib, Sklavin, sein Eigen.

So vergeht ihnen eine Nacht tief ausgekosteten Erdenglückes, ohne daß ein Wort zwischen ihnen gewechselt wird.

Gegen morgen entschlummert sie an seiner Brust.

Er aber findet keinen Schlaf. – – –

Als Vera erwachte, sah sie Gerhart angekleidet vor sich stehen, und sie fühlte seine Augen mit dem gleichen zärtlichen Ausdruck auf sich ruhen, wie gestern, da er ihren Widerstand gebrochen. Aber das grelle Tageslicht fiel von oben durch die zugezogenen Vorhänge und ernüchterte sie, so daß sie Kraft hatte, sich gegen seinen Einfluß zu wehren, sie fühlte sich plötzlich wieder als die Beraubte, Mißhandelte.

»Verlassen Sie mich, damit ich mich ankleiden kann«, sagte sie und sah kalt an ihm vorbei. Er zuckte zusammen und schritt mit einer Verbeugung aus dem Gemach.

»Wankelmütig, unwürdig des Ernstes und doch wie süß!« murmelte er, sich an seinen Schreibtisch setzend, »bald ist es Zeit, ein Ende zu machen.«

Als Vera durch das Zimmer huschte, um sich zu entfernen, sah sie die Waffe vor ihm liegen, und ihr fiel wieder ein, was Gerhart ihr gesagt hatte, über seinen Entschluß, zu sterben.

Das Bewußtsein, daß er in wenigen Minuten auf immer dahin sein würde, ließ ihr Herz sich in namenlosem Schmerze zusammenkrampfen. Plötzlich wurde, was bis jetzt nur Gefühl war in ihr, zur hell erkannten Wahrheit und erfüllte sie mit Scham, Jubel und Beben.

Sie war die Besiegte, die Sklavin, sein Eigen, und ihre Seele war froh darüber und litt doch zugleich durch die Furcht, ihn zu verlieren.

Vera war groß genug, ihre Scham zu unterdrücken. Sie trat an ihn heran.

»Und – nun – Gerhart?« fragte sie leise.

Erstaunt sah er sie an.

»Sie wissen, was geschehen wird«, sagte er.

»Nein, nein«, schrie sie auf. »Sie werden das nicht tun, ich – könnte es nicht ertragen.«

»Weibernerven«, lachte er hart.

Das brachte sie zur Besinnung. Sie zwang sich zur Ruhe.

»Gerhart, ich bitte Sie, lassen Sie von Ihrem Entschluß«, flüsterte sie.

Sein Erstaunen wuchs.

»Warum nur«, meinte er spöttisch, »dies Interesse an meiner Person? Ah so, ich verstehe. Sie fürchten, kompromittiert zu werden. Es ist selbstverständlich, daß ich mit der Geschichte warte, bis Sie fort sind.«

»Wie er mich quält«, dachte Vera, und sah keinen Weg, ihm zu helfen. Immer wieder drängte sich in ihre Vorstellung das Bild seiner durchschossenen Stirn; sie litt unsagbar.

»Gerhart«, preßte sie hervor und legte in der Erregung ihre weiße Hand auf seinen Arm. »Wissen Sie, was geschehen wird, wenn Sie Ihren Entschluß –« ihr versagte die Stimme.

»Nun?« fragte er.

»Ich werde Ihnen folgen in den Tod«, stieß sie hervor.

Er sprang auf, und es kam wie eine Erleuchtung über ihn. Fast brutal packte er ihre Hand.

»Was soll das heißen, Vera«, atmete er hastig. »Machen die Vorfälle dieser Nacht dir das weitere Leben unmöglich, oder was ist der Grund –?«

Seine Augen saugten sich fest an den ihren, in denen zwei Tränen schimmerten.

»Der Grund, Gerhart. O, daß ich es dir sagen muß,« flüsterte sie, »ich liebe dich, liebe dich mit einer Kraft, gegen die ich wehrlos bin; nie und nimmer könnte ich deinen Tod ertragen, du –!«

Ihr Haupt senkte sich.

Tief schluchzte sie in Scham und Qual.

Er aber riß sie mit einem Jubellaut an sich und suchte ihren warmen, noch zitternden Mund.

»Vera,« das Wort sprang wie eine Heilsbotschaft von seinen Lippen, »ich werde leben, du reißt mich zurück von dunkler Schwelle, denn du schenkst mir, was zu entbehren ich nicht mehr ertragen konnte!«

Da schlang sie die Arme um seinen Nacken.


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