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Von Ricarda Huch
Durch die breiten widerhallenden Gänge des Gefängnisses San Callisto gingen an einem warmen Frühlingsvormittage der Kardinal Mazzamori und der Meister der päpstlichen Kapelle, Don Orazio, der seinen Stammbaum auf den berühmten römischen Dichter zurückführte, beide Günstlinge des Papstes Innozenz des Zehnten. Sie waren im Begriff, einen jungen Menschen aufzusuchen, der des Mordes angeklagt und in Gefahr, das Leben zu verlieren, dem Kardinal durch seine Geliebte, die schöne Donna Olimpia, empfohlen worden war. Diese Dame, die durch Heirat mit einem Ottobuoni aus kleinbürgerlichem Stande gehoben war, hatte den Zusammenhang mit ihrer im Schatten weiterlebenden Familie nicht verloren und pflegte ihn besonders, wenn sie sich in ihren neuen Verhältnissen beeinträchtigt und unzufrieden fühlte. Als nun eine ihrer Tanten zu ihr gekommen war und sie angefleht hatte, das bedrohte Leben des einzigen Sohnes zu retten, wozu sie vermittels ihres Freundes, des Kardinals Mazzamori, wohl imstande sei, war sie nicht nur von Mitleid, sondern von Ehrfurcht für die Frau ergriffen worden, die, von den Todesschmerzen der Mutter durchbohrt, ein geheiligtes Schicksal zu erfüllen schien, während sie selbst nie geboren noch die eheliche Treue bewahrt hatte und jetzt sogar an ihrem geistlichen Freunde die Lust zu verlieren begann. Ihrem herb erteilten Befehl hatte der Kardinal sich nicht entziehen können, obwohl er die Möglichkeit, Hilfe zu schaffen, in diesem Falle für ausgeschlossen hielt.
Es war nämlich der junge Lancelotto – so hieß der Vetter Olimpias – durch seinen verstorbenen Vater, einen Kaufmann, der Gläubiger eines Anverwandten des Papstes und hatte sich im Auftrage seiner Mutter, nachdem verschiedene Mahnungen nicht gefruchtet hatten, selbst in das Haus des Schuldners begeben, um ihn zur Zahlung aufzufordern. Da der Herr sich kurzweg weigerte, seiner Verpflichtung nachzukommen, oder sie gar leugnete, entstand ein lebhafter Wortwechsel, in dessen Verlaufe der Nepot einige seiner Leute herbeirief und ihnen befahl, den unverschämten Dränger zu ergreifen und ihn durch das Fenster auf die Straße zu werfen. So aufs äußerste gereizt, hatte Lancelotto, indem er sich der Männer, die roh über ihn herfielen, zu erwehren suchte, einen derselben auf den Tod verwundet. Soviel Ursache der adlige Herr auch hatte, den Vorfall zu verbergen, machte er ihn doch anhängig, um sich des lästigen Gläubigers zu entledigen und zu seinem Glück trafen mehrere Umstände zusammen, durch welche die Richter gegen den Angeklagten eingenommen wurden.
Unter den Papieren Lancelottos fand sich außer allerlei verbotenen philosophischen Schriften ein Spottgedicht auf den Papst, und so liebenswürdig und empfindungsvoll Innozenz der Zehnte in mancher Beziehung auch war, so hätten doch sogar seine verwöhntesten Vertrauten sich jäher Ungnade versehen müssen, wenn sie ein gegen ihn gerichtetes Witzwort zu verteidigen gewagt hätten. Vornehmlich seine Schwäche, sich für einen Dichter zu halten, mußte von jedermann geschont werden, und nichts hätte ihn davon abgehalten, in demjenigen einen Mörder und Ketzer zu sehen, der mit viel Geist und komischen Wendungen seine sapphischen Oden parodiert hatte; denn dies war die Form, in die er die Ergießungen seines Christenherzens vorzugsweise einzukleiden liebte.
Das Gedicht war »Die römische Sirene« betitelt und lautete etwa so: »Segle nicht an der römischen Küste vorüber, Odysseus, oder tust du es dennoch, so versäume nicht, deine Ohren mit Wachs zu verkleben, damit du den Gesang des Papstes nicht vernimmst. Hörtest du ihn, so würde dich ein solcher Schauer ergreifen, daß du nicht mehr imstande wärest, dein Schiff zu lenken und elend scheitern würdest.« Es wäre tollkühn gewesen, sich eines Mannes anzunehmen, der die Unvorsichtigkeit gehabt hatte, eine solche Keckheit nicht nur aufzuschreiben und bei sich finden zu lassen, sondern sogar seine Urheberschaft zuzugestehen.
Unter diesen Umständen schritt Kardinal Mazzamori mit bekümmerter Miene neben seinem Freunde Orazio her, ihm seine Sorgen und Bedenken mitteilend. »Ich kann Olimpias Teilnahme für die Tante nicht anders als liebenswert finden,« sagte er, »obschon ich darunter leide. Ihr Mitgefühl für ihre Verwandten macht ihr Herz unzugänglich gegen meine Ansprüche, die ich ihrer düsteren Miene gegenüber kaum geltend zu machen wage. Wie leicht wird die Tugend zum Feinde des Glücks, und wie schwer ist es deswegen, zum Freunde der Tugend zu werden. Ich kann mir keinen glücklichen Abschluß dieser Angelegenheit vorstellen, da ich mich durchaus nicht in den Prozeß einmischen kann, der schon zu viele Torheiten des Beklagten ans Licht gebracht hat, und da doch die unberatene Olimpia ihre Zärtlichkeit für mich an seine Rettung geknüpft hat.«
Orazio gab zu, daß es eine heikle Sache sei und fügte bei, er könne sich nicht genug freuen, daß seine Veranlagung ihn vor dem unheilvollen Einfluß der Weiber beschütze. »Nach meinem Dafürhalten«, sagte er, »wiegen die Vergnügungen, die uns dies Geschlecht bereiten kann, die Ärgernisse und Enttäuschungen nicht auf, die aus seinem Umgange fließen.«
Der Kardinal seufzte statt der Erwiderung, ohnehin war inzwischen der ihnen vorangehende Wärter vor einer der vielen Türen stehengeblieben, die auf den Gang führten, und gab ihnen ein Zeichen, daß sie am Ziele seien.
Bei ihrem Eintritt richtete sich der Gefangene von seiner Pritsche auf, sah die Fremden verdutzt und mißlaunig an, sprang dann auf und sagte mit höflichem Gruß, daß er fest geschlafen habe und sich nicht sogleich auf seine Lage habe besinnen können. »Die barmherzige Natur hat mir«, sagte er lachend, »die Gabe reichlichen Schlafes verliehen, womit ich die Zeit verscheuchen kann, da mir keine Gelegenheit gegeben wird, sie mir durch Arbeit oder Unterhaltung zu befreunden.«
»Die Fähigkeit, zu schlafen, deutet auf ein freies Gewissen«, bemerkte der Kardinal, worauf der junge Mann erwiderte: »Das habe ich freilich; ich möchte den Mehlsack sehen, der sich von ehrlosen Schurken mit Füßen treten ließe, ohne sich zu wehren. Wäre meine Zunge so fehlerlos, wie meine Hände ohne Makel sind; aber die ist so beschaffen, daß sie alles ausspricht, was durch mein Gehirn zuckt, als ob sie eine Glocke wäre, an die der Schlegel der Gedanken beständig anschlüge. Da wird denn manches laut, was den Leuten Verdruß erregt; sprächen alle aus, was sie denken, so hätte ich zu viele Gesinnungsgenossen, als daß man sie alle einsperren oder ihnen allen den Kopf abschlagen könnte.«
»Ihr redet nicht eben wie ein bußfertiger Sünder«, sagte Don Orazio nicht ohne Wohlgefallen an dem hübschen Jüngling, dessen Munterkeit durch seine jammervolle Lage nicht gebrochen zu sein schien.
»Was wollt Ihr, mein Herr?« entgegnete er zutraulich. »Einen Mord habe ich nicht begangen; soll ich zerknirscht sein, weil ich nach Maßgabe meines Verstandes über das Wunder des Daseins nachgedacht, oder etwa gar, weil ich einen unbedeutenden Witz über Seine Heiligkeit gemacht habe? Ich mache wohl auch einmal einen frechen Scherz über die höchsten Herrschaften im Himmel, die doch ehrwürdigere Häupter sind als der Papst, ohne daß ich mich deshalb der Sünde zeihe; denn was für Abbruch tut es ihrer Herrlichkeit, wenn ein Erdenwurm, ihnen fast unsichtbar, ein wenig daran zupft? Ich bin nur ein armer Schlucker, den man leicht des Lebens und der Ehre berauben kann, und bin doch den Richtern nicht böse, die mich täglich als einen blutdürstigen Raufbold und Rebellen traktieren.«
Der Kardinal, welcher inzwischen verlegen seine meisten Nägel betrachtet hatte, sagte, indem er eine ernste Miene annahm: »Die Gerechtigkeit des Heiligen Vaters bürgt dafür, daß Euch kein Leid widerfährt, wenn Ihr so schuldlos seid, wie Ihr behauptet. Hättet Ihr nicht durch Euren Mutwillen die Anwartschaft auf Gnade verscherzt, so möchte ich Euch raten, Euch mit Eurem Anliegen ganz zu den Füßen Seiner Heiligkeit zu werfen.« Da der junge Mann nicht sogleich antwortete, setzte Orazio im Tone wohlmeinender Überredung hinzu: »Würdet Ihr nicht wenigstens das leidige Gedicht, das Euch der Teufel eingegeben hat, zurücknehmen?«
»Warum nicht?« antwortete Lancelotto. »Am liebsten auch alle Gedichte Seiner Heiligkeit, wenn ich es könnte.«
Es war Don Orazio unmöglich, das Lachen zurückzuhalten; der Kardinal indessen spürte nur einen schwachen Anreiz zur Heiterkeit, da das Bewußtsein der Widerwärtigkeit seiner Lage in ihm fortwährend zunahm.
Wie der arme junge Mensch wahrzunehmen begann, daß der Besuch durch ein gewisses Interesse an seiner Befreiung veranlaßt war, färbte die erwachende Hoffnung seine blassen Wangen um einen Hauch röter, und durch sein vorher so gelassenes Benehmen zitterte verhaltene Unruhe. Ob es nicht wirksamer wäre, fragte er, indem er seine Blicke zwischen den beiden Herren hin und her gehen ließ, wenn seine Mutter sich an die Gnade des Papstes wendete? Sie würde alles tun, was ihn retten und ihn ihr wiedergeben könnte. Auf ihr Betreiben wären gewiß auch die beiden Herren mit so viel gütigem Anteil zu ihm gekommen.
Der Kardinal nickte und ließ einige Worte fallen, wie die Liebe der unglücklichen Frau zu ihrem Sohne nicht nachlasse, obwohl er ihr so schweren Kummer bereite.
»Nicht durch meine Schuld,« sagte Lancelotto frei und freundlich; »wäre ich aber noch so schuldig, so würde ich an ihrer Liebe doch nicht zweifeln; denn ich bin noch in ihrem Herzen, wie ich einst in ihrem Leibe war, und Gott selbst mit seiner Allmacht könnte mich nicht herausreißen.«
Während er dies sagte, hatten seine Augen sich gefeuchtet und waren dadurch glänzender und dunkler geworden, und den beiden Herren fiel es jetzt auf, daß diese Augen ungewöhnlich schmal und lang waren, so wie die älteren Maler die Augen der Cherubim und der verklärten Heiligen zu bilden pflegten. Das geisthaft Schwebende, spielend Süße, das ihnen eigen war, mochte dadurch bedingt sein, daß die kleinen Pupillen den irdischen Leidenschaften keinen Versteck zu gewähren und die Vielheit der bunten und veränderlichen Erdendinge nur von ferne spiegeln zu können schienen.
Inzwischen hatten die scharfsichtigen Augen Lancelottos erfaßt, daß die Herren doch nicht eigentlich darauf ausgingen, etwas Wirksames für ihn zu tun, und die frohe Welle der Hoffnung sickerte langsam wieder zurück. Wenn die Herren, sagte er nach einer Pause, einen Auftrag an seine Mutter übernehmen wollten, so möchte er sie bitten, ihr einen Büschel seiner Haare zuzustellen, der ihr als ein lebendiges Stück von ihm teuer sein würde. Ihm würde jedoch weder ein Messer noch sonst ein scharfes Instrument in die Hände gegeben, so daß er ohne ihre Hilfe nicht imstande sein würde, sich Haare abzuschneiden.
Der Kardinal zog ein mit Schmelz und farbigen Steinen verziertes silbernes Büchschen aus dem weiten Ärmel, worin ein kleiner Spiegel, eine Schere, ein Stück Wachs, eine Feile zum Glätten der Nägel und dergleichen enthalten waren, öffnete es und blickte unschlüssig hinein. Während er zögerte, bemächtigte sich Don Orazio der Schere und beugte sich über den Kopf des jungen Mannes, um den erforderlichen Schnitt zu tun, wobei er mit einer liebkosenden Bewegung in die ein wenig geringelten kastanienbraunen Haare griff.
Bei diesem Anblick fiel es dem Kardinal ein, daß die unglückliche Mutter in der Besinnungslosigkeit ihres Schmerzes gewimmert hatte: »Er ist ja noch ein Kind! Er hat Löckchen wie ein Kind!«, und es berührte ihn überaus peinlich, die Klage mit eigenen Augen bestätigt zu sehen. Nachdem er sich leicht geräuspert hatte, sagte er, daß er Sorge tragen werde, das Andenken in die Hände der Mutter gelangen zu lassen, und daß er gern etwas tun würde, um die Lage des Gefangenen zu erleichtern. Ob er Wünsche in betreff des Essens habe? Oder womit ihm sonst gedient wäre?
Was das Essen angehe, sagte Lancelotto, so werde er durch seine Mutter beköstigt, die ihm mehr Leckerbissen vorsetzen lasse, als er bewältigen könne. Bücher, etwa ein Bändchen Gedichte, würden ihn wohl erfreuen, am liebsten würde ihm aber sein, wenn er einen Gefährten zugesellt bekäme, mit dem er ein wenig plaudern und lachen könnte. Dieser Gedankengang brachte ihn darauf, daß er seine Gäste, von denen namentlich der Kardinal augenscheinlich sehr niedergeschlagen und durch die trübselige Umgebung bedrückt war, bisher nicht eben gut unterhalten habe, und er begann ein munteres Geschwätz, wobei aus den schmalen Augen die unschuldige Schelmerei eines übermütigen Knaben blitzte. Er erzählte Schulstreiche aus dem geistlichen Kolleg, das er besucht hatte, von Lehrern und von dem Abt eines gewissen Klosters, der ihn als einen jungen Heiligen angesehen habe und noch immer darauf warte, ihn als Novizen eintreten zu sehen. Er habe den guten Mann oft besucht und sich im Kloster wohl gefühlt; aber lange halte er es in der Abgeschiedenheit nicht aus, dem Getümmel des Lebens zuzusehen, sei ihm die liebste Beschäftigung; je toller es um ihn her zugehe, desto stiller und behaglicher fühle er sich im Innern.
Dann sei die enge Zelle freilich nicht der rechte Aufenthalt für ihn, meinte Orazio teilnehmend; aber der junge Mann erwiderte, es sei immerhin so arg nicht, wie es den Anschein habe. Sein Fenster gehe auf den Hof, wo die zur Gefangenschaft Verurteilten sich zu gewissen Stunden ergehen dürften und untereinander handelten, lachten, lärmten und zankten, wie wenn Viehmarkt auf der Piazza Navona wäre. Zwischenhinein könne er schlafen, und schließlich befinde sich in einer nicht weit entfernten Zelle ein Untersuchungsgefangener, der eine so schöne Stimme besitze, daß man sich einbilden könne, schon im Paradiese zu sein, wenn man ihn singen höre.
Die Pause, die hierauf entstand, benutzte der Kardinal, um Lancelotto zu fragen, wie es denn in Hinsicht der Religion mit ihm bestellt sei. Ob er auf das Jenseits vorbereitet sei, oder ob er etwa von einem verständigen Geistlichen über den heiligen Glauben belehrt zu werden wünsche.
Der junge Mann schüttelte lachend den Kopf und sagte: »Ich habe Augenblicke, wo der Glaube mich mitten in Gottes Schoß trägt, und ich habe Stunden, wo ich zweifle und denke, bis meine Gedanken an jenes schwarze Tor stoßen, das sie nicht durchdringen und übersteigen können. Das vermag kein Priester zu ändern, und ich möchte es auch nicht. Den Platz, der in der weiten Welt für meine Seele ist, werde ich erreichen; hat ja doch Gott dem Maultier eingepflanzt, bei Nacht den rechten Weg, und einer Katze, das Haus zu finden, wo sie hingehört. Die Herren müssen nicht um mich besorgt sein, noch soll meine Mutter sich um mich grämen. Soll ich sterben, so muß ich durch ein paar bittere Stunden hindurch, die ebenso schnell vorübergehen werden wie manche andere, die ich auch überstanden habe. Wie wohl wird mir aber hernach sein, wenn mir Gott einen Anteil an der himmlischen Vollkommenheit gewährt! Dann werden meine neugemachten, allgegenwärtigen und allwissenden Augen auf die Verwirrung und das Händeringen und Zähnefletschen der Menschen hinuntersehen und lachen, daß ich auch einmal mitten dazwischen war und von armseligem Schlachtvieh zum Tode verurteilt und auf das Schafott geschleppt wurde.« Sein frischer feuchter Mund lächelte dabei mit besonderer Lieblichkeit, die man kaum wehmütig nennen konnte, weil sie allzu unbefangen war.
Als die beiden Herren die Zelle verlassen und der Wärter die Tür abgeschlossen hatte, winkten sie diesem, daß er nunmehr entlassen sei, und gingen langsam den bang hinunter. Der Kardinal tupfte sich mit dem Taschentuch und sagte, es sei jammerschade, daß ein solcher Knabe so zu Falle gekommen sei. Was sei da zu machen? Der Mord könne schließlich nicht ungestraft bleiben, er sähe keinen Ausweg.
»Ein allerliebster Junge,« sagte Don Orazio nachdenklich, »und scheint durchaus nichts Strafwürdiges begangen zu haben. Ich hätte Lust, mich seiner anzunehmen und ihn den Krallen dieses gottvergessenen Tribunals zu entreißen, wenn sich nur ein zweckmäßiger Weg dazu finden ließe.«
»Mir fehlt der Mut, mich vor Olimpia sehen zu lassen, wenn ich keine Hoffnung bringe«, fuhr der Kardinal bekümmert fort. »Und wie, wenn ich gar die Mutter mir vor Augen stelle! Ohnehin werde ich diese Frau nie mehr vergessen können, die aussah, als ob sie tausend Jahre gelebt und Schmerzen gelitten hätte. Sie sah aus wie ein verwitterter Stein, und wenn sie zu weinen und zu schreien anhub, so war es, wie wenn ein Berg sich bewegte und Feuer auswürfe.«
»So, so,« sagte Don Orazio, »ich hatte sie mir als ein anmutiges Weib vorgestellt mit süßen Lippen und zärtlichen Augen.«
Ohne diesen Einwurf zu beachten, ging der Kardinal in seinen Betrachtungen weiter: »Was man ihr auch sagen mochte, sie schrie: »Mein Kind, das ich geboren habe! Mein Paradiesvogel! Meines Herzens Herz! Mein Eingeweide! Es ist mein, ich muß es wiederhaben!«, als ob das Gründe wären, mit welchem sich etwas durchsetzen ließe.«
»Das ist,« fiel Don Orazio ein, »wie alle Frauen sind. Die setzen ihren Eigenwillen der offenkundigen Notwendigkeit entgegen und lassen sich durch Vernunft nicht belehren.«
Der Kardinal nickte verständnisvoll und nahm Anlaß, in behutsamen Andeutungen über die Launenhaftigkeit der Donna Olimpia zu klagen, die sie in letzter Zeit wie eine Krankheit überfallen habe, während sie sonst liebevoll und verträglich wie ein Engel gewesen sei. Was ihr sonst eine willkommene Zerstreuung gewesen sei, gefalle ihr nicht mehr, sie liebe Einsamkeit und trübe Gedanken, und die Verzweiflung jener unglücklichen Tante vermehre ihren Tiefsinn. Sie werde es ihn entgelten lassen, wenn der Prozeß des jungen Mannes übel auslaufe, als wenn er etwas dazu zu tun vermöge; so sähe er einer unfrohen Zukunft entgegen. Da würde es das beste sein, meinte Orazio, die launische Dame zu meiden und bequemere Gesellschaft aufzusuchen; allein der Kardinal sagte, die Frau habe sich doch um ihn verdient gemacht, und er halte sich verpflichtet, nun, da sie offenbar krank und des Beistandes bedürftig sei, bei ihr auszuharren. Er war beschämt, indem er dies sagte, denn er fühlte, daß sein Freund seine Worte für eitel Ausflucht und ihn für einen verliebten Toren hielt.
Als die Freunde, in dies besprach vertieft, in dem breiten und kahlen, widerhallenden Gange auf und ab gingen, vernahmen sie plötzlich den Gesang einer Männerstimme und blieben augenblicklich, von dem Glanz derselben betroffen, stehen. Es war ein Volkslied, das mit so viel Kraft und Sicherheit gesungen wurde, als ob es von der Bühne eines großen Theaters her tönte, und mit so viel Leidenschaft, als gälte es, ein zauderndes Mädchen zu einer Entführung willig zu machen. Mazzamori und Orazio sahen einander, vor Staunen und Vergnügen errötend, an, und als der Sänger dem Abschluß einer Strophe eine Kadenz folgen ließ, hielten sie den Atem an, besorgt, ob die schwindelnde Figur auch zu einem glücklichen Ende gebracht würde.
Während der Dauer des Liedes näherte sich ein wachehabender Soldat und machte Miene, dem Sänger Schweigen zu gebieten, wie das den Vorschriften des Gefängnisses entsprochen hätte, trat jedoch willig zurück, als die beiden Herrschaften ihm einen Wink gaben, sich ruhig zu verhalten. Diesen riefen sie heran, sowie das Lied zu Ende war, um Auskunft über die Wundererscheinung zu erhalten. Der Sänger sei ein Bauer, meldete der Soldat, dem wegen mehrfachen Mordes der Prozeß gemacht werde; er sei ein wilder und böser Kerl, der den Mund nur zum Fluchen öffne, aber der unerforschliche Gott habe für gut befunden, ihn mit einer Stimme zu begnaden, wie kein Engel der himmlischen Heerscharen sie herrlicher besitzen könne. Niemand habe den Mut, ein solches Wunder der Natur zu unterdrücken, darum ließe man ihn singen, womit auch der Direktor einverstanden sei, der manchmal selbst, wenn er in der Nähe sei, stehenbleibe, um zuzuhören.
Ob man ihn nicht veranlassen könne, weiterzusingen? fragte Don Orazio. Nein, sagte der Soldat, wenn man ihn um etwas bäte, würde er es deswegen unterlassen, weil er bösartig und mißtrauisch sei. Es könne ein Tag vorübergehen, ohne daß er die Stimme erhebe, andere Male höre er stundenlang nicht auf; das sei von seiner Laune abhängig.
»Ich kann mich nicht begnügen, von der Stelle zu gehen, ohne ihn noch einmal gehört zu haben,« sagte Don Orazio, »sonst würde ich morgen wähnen, daß mich meine Einbildungskraft geneckt hätte.«
Auch der Kardinal zeigte sich nach einer Wiederholung des Genusses begierig. Sie erwogen eben, ob sie nicht dennoch versuchen sollten, den Gefangenen zu einem Vortrage zu bewegen, als der Gesang von neuem begann, um sie nicht minder als der erste zu entzücken.
»Ich habe einen Tenor wie diesen noch nie in meiner Kapelle besessen«, sagte Don Orazio.
Der Kardinal stimmte ihm bei; er habe zwar die unvergleichliche Schulung des berühmten Mignotta nicht, die Unfehlbarkeit des Ansatzes und die Gleichmäßigkeit des Organs beim An- und Abschwellen des Tones, aber an Kraft, Schmelz und Süßigkeit lasse er alle anderen hinter sich. »Ich würde jederzeit«, so schloß er, »eine Stunde lang auf einem Beine stehen, um ein solches Konzert in mich aufnehmen zu können.«
»Mein Freund,« sagte Don Orazio, »ich habe keine Ruhe, bevor ich nicht Näheres über diesen Mann erfahren habe, begleite mich augenblicklich zum Direktor, damit wir Schritte tun können, um uns dieser Kostbarkeit zu versichern.«
Der Direktor bestätigte die Aussage des Soldaten und führte sie dahin aus, daß es sich in diesem Falle um einen erwiesenen mehrfachen Mord aus Rachsucht handle; es habe nämlich der Verbrecher, Ronco mit Namen, die Gewohnheit gehabt, nachts die Kühe seines Nachbarn zu melken, und wie nun ein junger Bube, der Sohn eines in der Nähe wohnenden Pächters, dem Geheimnis auf die Spur gekommen sei und den Geschädigten, dessen rätselhafter Milchmangel im Dorfe bekanntgeworden sei, darauf aufmerksam gemacht habe, so habe er sich anfänglich ruhig verhalten, als ob die Sache nur ein Scherz und des Aufhebens nicht wert sei, aber nach acht Tagen nicht nur den Buben, der ihn angegeben, sondern auch dessen Vater und Mutter sowie eine alte Großmutter, die alle dieselbe Hütte bewohnten, mit einem Messer umgebracht. Die Entrüstung über die Tat sei allgemein, und der Mensch habe den Tod verdient und werde ihm nicht entgehen; auch sei ihm nichts daran gelegen, der Kerl sei so wild, daß er kaum einen Unterschied zwischen Leben und Tod zu machen wisse.
Das sei ein seltsamer Bericht, sagte Don Orazio; man müsse doch annehmen, daß ein alter Hader zwischen den Familien bestanden habe, wie es bei solchen Rachehandlungen meistens der Fall sei, und unüberlegt und empfindlich müsse der Mann auch sein. Er hätte Lust, einmal selber mit ihm zu reden, um der Sache auf den Grund zu kommen.
Der Direktor zuckte die Achseln und sagte, die Herren Richter hätten sich schon genug Mühe mit ihm gegeben, die Bestie sei dessen nicht wert; jedoch sei er bereit, die Herrschaften hinzuführen, möchte ihnen aber raten, nicht ohne einen Wärter hineinzugehen, da man sich von einem solchen Patron des Schlimmsten müsse gewärtig sein.
An diesen Rat hätte der Kardinal sich gern gehalten, allein Don Orazio lachte hoch auf und sagte, seine kräftige Gestalt reckend und seine breite Brust aufblähend, er getraue sich wohl, es mit einem maisfressenden Bauern aufzunehmen.
Auch war es in der Tat nicht eben Furcht, was den Meister der Kapelle überlief, als er mit seinem Freunde dem Unhold gegenüberstand, der sie mit einem schnellen Blick mißtrauischen Hasses streifte, um sogleich wieder stumpfsinnig vor sich hinzustieren; sondern vielmehr ein unwillkürliches Grauen vor dem bösen Blick, dessen das Scheusal mächtig sein konnte. Vorher getroffener Verabredung gemäß begann der Kardinal, nachdem er verschiedenemal angesetzt hatte, und sagte, sie seien im Begriff, die Ordnung der Gefängnisse zu untersuchen; ob er, der Gefangene, über irgend etwas Klage zu führen habe? ob er den Besuch eines Geistlichen empfangen habe? ob er geneigt sei, irgendwelche Geständnisse zu machen oder seine Reue in den Schoß einer vertrauenswürdigen Person geistlichen Charakters zu ergießen?
Die Antwort Roncos auf die sorgfältige Anrede des Kardinals bestand darin, daß er knurrte und mit dem Daumen nach der Tür deutete, worauf der Kardinal von neuem einigemal ansetzte und fortfuhr, er, Ronco, sei eines grausamen und unerklärlichen Verbrechens angeklagt; ob er vielleicht zur Erhärtung seiner Unschuld oder zur Verminderung seiner Schuld etwas beizubringen habe, was Verwirrung oder Scham den Inquisitoren gegenüber ihn vielleicht gehindert hätte auszusprechen? Der Heilige Vater habe viel mehr Freude an einer erlösten Unschuld als an der Bestrafung eines Schuldigen und dehne seine Milde auch über diejenigen aus, die durch Unbesonnenheit, Jähzorn oder Anstiftung des Teufels wider ihren Willen zu einer bösen Tat hingerissen worden seien.
»Pest und Krebs über den päpstlichen Saustall!« zischte Ronco zwischen den Zähnen hervor, indem er einen wilden Blick auf die Tür warf und wiederum nach der Tür deutete, so daß der Kardinal unwillkürlich einen Schritt zurückwich, wie um einen Platz jenseits der Hörweite solcher Schimpfworte zu gewinnen.
Don Orazio, der das Bedürfnis fühlte, seinem Freunde zu Hilfe zu kommen, sagte: »Weder der Heilige Vater noch seine Diener, mein Freund, wollen dir übel, wie du vorauszusetzen scheinst. Wir wären nicht an dieser Stelle, wenn wir deinen Tod suchten, den du allerdings verdient zu haben scheinst. Gott der Allwissende hat dich mit einer schönen Stimme begabt und dich dadurch nach unerforschlichem Beschluß ausgezeichnet. Wie wäre es, wenn du uns noch eine Probe dieser wunderherrlichen Kunst gäbest, der du mächtig bist, und die beweist, daß mehr Göttlichkeit in dir wohnt, als deine Taten, deine Worte und selbst dein Anblick vermuten lassen.«
Ob nun Ronco diese Worte als eine Verhöhnung auffasste, oder ob er das Gespräch überhaupt als eine Belästigung empfand, er schrie in ausgelassener Wut: »Hinaus! hinaus! Oder ich werde euch etwas singen, daß euch die Lumpenschädel zerplatzen sollen!« und begleitete die Aufforderung mit einer so drohenden Gebärde, daß die beiden Herren es für das beste hielten, sich zunächst zu bescheiden und den Rückzug anzutreten. Mit dem Schwunge des Triumphes und der Verachtung spuckte Ronco hinter ihnen her.
Kardinal Mazzamori war so erschrocken, daß er nicht sofort weitergehen konnte, sondern an dem nächsten Fenster des Ganges stehenblieb, um Luft zu schöpfen und sich ein wenig zu erholen.
»Was für ein Tier!« sagte Orazio. »Man muß zugeben, daß unsere Bauern nicht viel mehr als Vieh sind und die Anforderungen, die man an sie stellt, danach bemessen.«
»Er hat eine wölfische Physiognomie,« sagte der Kardinal, »und ich möchte wetten, daß er ein echtes Wolfsgebiß besitzt. Es scheint in der Tat nötig, daß die Menschheit vor einem solchen Wüterich beschützt werde.«
Seine letzten Worte wurden durch die Stimme Roncos übertönt, der eben jetzt wieder zu singen begann, vielleicht aus Trotz, oder weil ihm die Lobsprüche der vornehmen Herren dennoch geschmeichelt hatten.
»Göttlich, göttlich!« flüsterte Don Orazio. »Dieses Wunderwerk von Stimme darf nicht zerstört werden! Ich werde nicht Mühe noch Kosten scheuen, sie mir zu retten.«
Unter den geschlossenen Augenlidern des lauschenden Kardinals perlten Tränen hervor. »Welcher Wohllaut quillt noch aus dem Rachen der Hölle!« hauchte er. »O Geheimnisse der Allmacht! Jeder Ton ist rein, weich und lauter, wie ein Tropfen Tau, der sich in der Frühe auf Knospen wiegt. Was wird Seine Heiligkeit sagen, wenn sie diesen Gesang hört!«
In großer Erregung verließen die Herren das Gefängnis und ließen sich in der bereitgehaltenen Sänfte zu dem Palast des Kardinals tragen, um über die zunächst vorzunehmenden Schritte zu beraten; denn darin stimmten sie überein, daß der rare Vogel für die päpstliche Kapelle durchaus erworben werden müsse. Nachdem sie sich bei einem Glase guten Weins in einem kleinen wohnlichen Gemach, dessen Wände mit schönen Teppichen aus Arezzo verhängt waren, von den verschiedenen heftigen Eindrücken des Vormittags erholt hatten, schien es ihnen nicht unmöglich, das Tribunal zu einem Freispruch des kostbaren Ronco zu bewegen. Sie hatten in Erfahrung gebracht, daß ein gewisser Guidobaldo die Verteidigung des Verbrechers führe, und mit diesem beschlossen sie, sich zunächst ins Vernehmen zu setzen. Don Orazio nämlich hatte ihn in einem befreundeten Hause kennengelernt und sich gut mit ihm unterhalten, obwohl der Advokat ein Freidenker und Feind des Klerus war. Da er aber seine Ansichten nicht äußerte, außer wenn es am Platze war, die Formen der Religion mit großem Anstand in acht nahm, sobald er sich beobachtet wußte, und dazu ein fröhlicher und gewandter Mann war, so konnten auch Geistliche seinen vorurteilslosen Verstand und seine geselligen Gaben genießen und waren es zufrieden, einstweilen in gutem Einvernehmen mit ihm zu bleiben. Es traf sich glücklich, daß der Advokat gerade damals im Sinn hatte, eine Villa zu kaufen, deren ausgedehnter Garten sich den Janikulus hinaufzog, daß er aber den hohen Preis, der dafür gefordert wurde, nicht zahlen konnte oder wollte; denn dadurch bot sich die erwünschte Möglichkeit, den nützlichen Mann durch eine Gefälligkeit zu gewinnen. Ohne Zaudern suchten die Freunde den Advokaten noch am selben Tage auf und baten ihn, an die Bekanntschaft mit Don Orazio knüpfend, ihm die Summe, deren er zum Erwerb der Villa benötige, vorstrecken zu dürfen. Sie hofften, sagte Don Orazio, sich dadurch ein Anrecht auf gütiges Entgegenkommen seinerseits zu verdienen, wenn sich das, was sie von ihm wünschten, mit seiner Ehre und anderen Rücksichten vereinigen ließe. Nach dieser Einleitung erzählte er von seinem Fund im Gefängnis, sprach von der Vorliebe des Papstes für Musik, insbesondere die menschliche Stimme, und von seinem Wunsch, eine so überaus seltene Kraft für die päpstliche Kapelle zu gewinnen, zumal damit ein Menschenleben gerettet und auf eine nutzbringende, vielleicht ruhmvolle Bahn gebracht würde.
Der Advokat erwiderte, er habe bereits von der schönen Stimme des Ronco gehört, sich aber nicht sonderlich dafür interessiert; er trage jedoch gern dazu bei, dem Heiligen Vater ein Vergnügen zu bereiten, auch sei es sowieso seines Amtes, die Verbrecher zu verteidigen und womöglich zu retten. Immerhin sei das im vorliegenden Falle schwierig, weil der Bauer überwiesen und geständig sei und viel zu stumpfsinnig oder zu roh, um Schritte zu seiner Rettung zu tun oder zu unterstützen, wenn solche überhaupt erfindlich wären. Nach einigem Besinnen fuhr er fort, es ließen sich wohl Wege zum Ziel ausdenken, wenn man fest entschlossen sei; es sei schon mancher freigesprochen, der den Tod ebensowohl wie der schlimme Ronco verdient hätte; von dem Präsidenten des Tribunals, Monsignor Aloisio, sei es nur allzu bekannt, daß seine Stimme feil sei, freilich um kein Geringes, wohingegen der weltliche Beisitzer für ein billiges Trinkgeld zu haben sei. Da sei aber Don Petronio, ein unzugänglicher Mann, dessen einzige Eitelkeit und Liebhaberei seine Unbestechlichkeit sei, der stets den Sittenrichter spiele und emsig aufpasse, damit ja nicht etwa unter seiner Mitwirkung etwas Ungebührliches unterliefe. Wenn man sich diesem mit wohlgemeinten Anerbietungen irgendwelcher Art näherte, so würde man von vornherein alles verderben; wie man ihn aber umgehen oder überlisten könne, dazu könne er noch keinen Plan absehen, wolle die Sache aber bedenken. Ein Übelstand sei es auch, daß der Prozeß im vollen Gange sei und nur noch ein Verhör stattzufinden habe, worauf der Urteilsspruch bei der Klarheit des Falles nicht auf sich warten lassen würde. Indessen ermutigte er die beiden Bittsteller damit, daß guter Rat sich oft über Nacht einstelle, und gab ihnen anheim, sich einstweilen mit dem Präsidenten in Übereinstimmung zu setzen, offen gegen ihn zu sein und etwa eine Art Mitwissen des Papstes anzudeuten, was seiner Beflissenheit einen gedeihlichen Schwung geben würde.
Monsignor Aloisio war ein prachtliebender Mann und heiteren Temperaments, der gern gut lebte und auch anderen Gutes gönnte, wenn er nur Geld genug zur Verfügung hatte, dessen Mangel das einzige war, was seine Laune auf die Dauer zu trüben vermochte. Als er innewurde, daß Kardinal Mazzamori und Don Orazio ihm einen erheblichen Zufluß des geschätzten Metalls zu eröffnen gedachten, nahm er sie mit lauter und glänzender Gastlichkeit auf, führte sie durch die pomphaft ausgestatteten Räume seines Hauses, zeigte ihnen eine Sammlung chinesischer Porzellane und versprach für seine Person, einem so billigen und harmlosen Wunsche ohne kleinliche Bedenken entgegenzukommen, führte aber, wie der Advokat, den unbestechlichen Don Petronio ins Feld, der, seiner schrullenhaften Eitelkeit zuliebe, jeden Versuch, den armen Sünder durchschlüpfen zu lassen, vereiteln würde. »Nach meiner Meinung«, sagte er behaglich, »ist die Gerechtigkeit bei Gott, der es nicht immer für gut befindet, uns zu erleuchten. Wie kurz ist die Kette von Ursache und Wirkungen, der wir folgen können! Nun ja, man urteilt nach seiner Kurzsichtigkeit und glaubt, etwas großes getan zu haben, wenn man einen Dieb oder Räuber aufhängt. Wie oft dieser ein frommes Herz im Busen hatte, ein guter Vater oder edler Freund war, während sein sogenanntes Opfer auf dem Grunde der Seele, wohin kein sterbliches Auge blicken kann, die Farbe der Hölle trug, wer mag das wissen? Unser guter Petronio hingegen begreift nur den Buchstaben und meint, unsere Erde zu verbessern, wenn die Paragraphen recht in Anwendung kommen.«
Nachdem verschiedene Einfälle, um zum Ziele zu gelangen, vorgebracht und verworfen waren, trennten sich die Herren, ohne zu einem Entschluß gekommen zu sein, mit der Befürchtung, daß ihnen der Sänger dennoch entgehen würde. Indessen empfing Don Orazio noch zu später Abendstunde einen Brief des Präsidenten, der so lautete: Es sei ihm plötzlich ein eigenartiger, aber wohl tunlicher Einfall gekommen. Wenn man nämlich den Petronio könnte glauben machen, Richter und Advokat seien bestochen, um den Ronco, der zwar ein ungebildeter Bauer, aber brav und nichts als das Opfer tückischer Ränke sei, an den Galgen zu bringen, und sie alle ihre Rolle gut spielten, auch der Advokat sich willig finden lasse, so sei zu verhoffen, daß Don Petronio seine Kraft einsetze, die vermeintliche Unschuld zu retten, so daß ihnen nach einem Kampfe von gewisser Dauer nichts erübrige, als zu ihren eigenen Gunsten nachzugeben.
Das Einverständnis der Beteiligten wurde schleunig hergestellt. Mazzamori und Don Orazio kargten nicht mit dem Gelde, indem sie nicht zweifelten, der Heilige Vater würde ihnen am Schluß reichlich ersetzen, was sie auf die Ausbildung eines so erlesenen Sängers würden verwendet haben. Guidobaldo, der Advokat, trug Sorge, daß Don Petronio durch eine anonyme Zuschrift auf das Unwesen aufmerksam gemacht wurde, dem diesmal ein hilfloser Bauer zum Opfer fallen sollte, und daß die Nachricht von seinem Hauskauf sich verbreitete, und nahm den launigen Glückwunsch, den der Präsident ihm in Gegenwart des versammelten Tribunals dazu machte, händereibend entgegen. Er selbst, sagte der Präsident, habe auch im Sinne, sich eine bescheidene Freude zu machen. Der französische Gesandte, der von seinem König abberufen sei und Rom zu verlassen gedenke, wolle eine goldene Karosse mit vier Pferden verkaufen, und er habe ein Angebot darauf gemacht, wisse aber noch nicht, ob es angenommen sei. Die Summe flüsterte er dem Advokaten lächelnd ins Ohr, wie er denn überhaupt es so einrichtete, daß die Mitteilung als eine vertrauliche, durch den zufälligen Lauf des Gesprächs entlockte erscheinen mußte. Petronio, der die Herren scharf beobachtete, säumte nicht, ihre so plötzlich auftretende Verschwendung mit der schmachvollen Rechtsbeugung in Einklang zu bringen, zu der sie sich dem empfangenen Briefe nach hatten bereitfinden lassen. Um sicher zu gehen, lenkte er selbst die Rede auf Ronco und sagte, mit dem würden sie hoffentlich heute zu Ende kommen; denn man solle darauf halten, in einer so klaren Sache wenigstens keine Zeit zu verlieren. Der Präsident stimmte bei, und der Advokat fügte mit liebenswürdig scherzender Ironie hinzu, er wisse wohl, daß er die Herren Richter, die gern Zeugen einer breiten Entfaltung seiner Beredsamkeit wären, damit enttäuschte, habe aber doch beschlossen, diesmal schlechtweg ohne weitere Worte um ein gnädiges Urteil zu bitten, da er sich mit der Verteidigung eines so verworfenen Übeltäters nicht verunzieren wolle. Das töne anders, sagte Petronio mit Nachdruck, als er, Guidobaldo, sich zuvor habe vernehmen lassen. Er habe damals gesagt, der Grund, der den Ronco zum Morde getrieben haben solle, sei zu geringfügig, um eine solche Untat zu erklären, auch würde ein gemeiner Verbrecher die Bluttat zu leugnen versuchen, um sein Leben zu retten; es lasse sich also erwägen, ob nicht der augenscheinlich halb blödsinnig gemachte Bauer das Werkzeug Mächtiger sei, die sich nebst ihren Absichten und Mitteln im Hintergrunde hielten.
Der Advokat lachte künstlich verlegen: »Da sehen die Herren,« sagte er, »wie weit ich den Pflichteifer getrieben habe! Nun aber scheint es mir besser, an der Grenze der Höflichkeit haltzumachen, die ich euch schulde, Männern, die leicht einsehen, daß Mächtigen nicht mit der Ermordung einer unschuldigen Pächterfamilie noch mit der Hinrichtung eines Ronco gedient sein kann, und daß das, was ich damit vorbrachte, nichts als die Redensarten und Mutmaßungen waren, die ein geübter Advokat stets im Vorrat haben muß.«
»Sie, mein Teurer,« sagte der Präsident mit heiterer Miene gegen Don Petronio, »wittern überall Ungerechtigkeiten, weil Ihr großmütiger Trieb, Verfolgten beizustehen, sich die Gelegenheit zum Handeln schaffen muß. Ach, die Schlechtigkeit ist weniger interessant, als Sie meinen! Erleben wir es nicht alle Tage, daß das rohe Gesindel untereinander rauft und sticht? Wir brauchen keine Fabeln zu erfinden, um das begreiflich zu machen.«
Don Petronio, den nichts mehr beleidigte, als wenn man ihn nicht ernst nahm, begann nun einen unmittelbaren Angriff, wobei er sich fortwährend das Ansehen eines ruhigen, unbeeinflußbaren Geistes zu geben suchte. An dem Schicksal des Ronco sei nichts gelegen, sagte er, das sei sonnenklar. Er sei nicht viel mehr als ein Tier, sei es nun, daß Stumpfsinn oder daß Roheit seine Menschlichkeit gestört habe. Man möge nicht glauben, daß er Teilnahme für Ronco habe, für ihn selbst wie für andere sei es vielleicht das beste, wenn er der Zeitlichkeit enthoben würde. Solche Rücksichten würden ihn aber niemals abhalten, der Wahrheit nachzutrachten und das Recht in Ausübung zu sehen. Nur um Recht und Wahrheit handele es sich für alle, nicht um das Wohl von Klägern oder Beklagten, vor allen Dingen nicht um das eigene. Er wolle nichts von jenem Ronco wissen, wolle nicht wissen, ob er Weib und Kind, Verwandte oder Freunde habe. Eine derartige Gesinnung sei zwar dem jetzigen Zeitalter fremd, um so mehr werde er daran festhalten. Er werde niemals Landgüter kaufen oder Kunstsammlungen anlegen können, vielleicht stifte er nicht einmal Gutes mit seiner Handlungsweise; es sei ihm genug, der Wahrheit und Gerechtigkeit, auf die er verpflichtet sei, ohne Gewinn gedient zu haben.
Die Gegner ließen eine gewisse Gereiztheit merken, und es entspann sich ein Streit, der noch im Gange war, als Ronco vorgeführt wurde. Dieser hatte sich zuvor nie so in Anspruch genommen gesehen, denn Don Petronio ließ jeder Frage, die der Präsident an ihn richtete, eine anders gesetzte folgen, die den Zweck hatte, die bisher listig verschüttete Wahrheit ans Licht zu fördern. So viel hatte der Wilde inzwischen gemerkt, daß man sich von hoher Seite seiner anzunehmen begonnen hatte, ja geradezu auf seine Befreiung hinarbeitete, und seine vielberedete Stumpf- und Roheit hinderte ihn nicht, diese Aussicht als angenehm zu empfinden und seinen Helfern, soweit er sie verstand, in die Hände zu arbeiten. Zuweilen begriff er den Sinn der kreuz und quer an ihn gestellten Fragen so gut, daß er Antworten gab, die die Richtigkeit seiner früheren Aussagen in Frage stellten und eine böse Verwirrung in den bisher so glatten Prozeß brachten. Bei solchen Gelegenheiten warf Don Petronio jedesmal einen ernsten, leidenschaftlich forschenden Blick auf seine Widersacher, die sich scheinbar mehr verwickelten und erhitzten und gegen Ronco heftig und beinahe drohend losfuhren, wodurch sie ihn in eine solche Gemütslage versetzten, die für ihren Zweck eben die richtige war. Denn er fing allmählich an, sich für eine ansehnliche Person zu halten, und wenn er schon vorher mit sich und seiner Untat durchaus zufrieden gewesen war, so glaubte er jetzt vollends, daß er sich nichts von dem großmäuligen Tribunal brauche gefallen zu lassen, das keineswegs besser und wahrscheinlich dümmer sei als er. Er gab nun zwar keine Erklärungen, mit denen sich etwas hätte anfangen lassen, aber er bejahte das, was ihm Don Petronio fleißig in den Mund legte, daß er das Verbrechen nicht aus eigenem Antriebe begangen habe, sondern, daß er dazu angestiftet, eigentlich gezwungen worden sei, aber nicht sagen dürfe, von wem, und schloß damit, man möge ihn zum Tode verurteilen, er sei es zufrieden, doch sei er unschuldig und weniger ein Mörder, als diejenigen sein würden, die ihn an den Galgen brächten.
So schnell indessen gaben die Verschwörer nicht nach, vielmehr stellten sie sich an, als wären sie erpicht darauf, den Ronco zu liefern, und erhoben gegen Don Petronio den Vorwurf, als habe er dem Fuchs, der schon in der Falle gewesen sei, ein Türlein geöffnet und halte sie unnützerweise bei einer nebensächlichen und üblen Sache auf. Dadurch reizten sie diesen immer mehr, so daß er sich fest vornahm, der hehren Wahrheit zum Siege zu helfen, was es ihm auch für Mühe und Verdrießlichkeiten eintragen möchte.
Der Zufall wollte, daß es Don Petronio gelang, einen bisher nicht bekanntgewordenen Umstand zu ermitteln, daß nämlich sowohl der Mörder wie der Ermordete Besitzer freien Bauerngutes waren und vor Jahren einmal mit dem Herrn, von dem sie das Land in Pacht hatten, in Streit gewesen waren, weil er sie ganz und gar zu abhängigen Pächtern hatte herabdrücken wollen. Es unterlag für Petronio kaum einem Zweifel, daß dieser Herr, ein Aldobrandini, sich der beiden halsstarrigen Männer, die ihm zu trotzen wagten, auf einmal zu entledigen versucht hatte, indem er sie gegeneinanderhetzte, und obwohl er darauf verzichtete, den Schuldigen zu entlarven, der jedenfalls zu mächtig, schlau und gerissen war, um sich fangen zu lassen, so wollte er ihm doch das Opfer abjagen, sowenig, es an sich der Teilnahme wert sein mochte.
Mittlerweile hatte der Meister der Kapelle, Don Orazio, eine endgültige Aussprache mit Ronco, der sich auf vieles Zureden bereit finden ließ, wenn er freigesprochen sein würde, als Sänger in den Dienst des Heiligen Vaters zu treten. Er vermochte nunmehr seine Rolle besser zu spielen und gebärdete sich tagtäglich dreister, so daß das gesamte Tribunal endlich den Augenblick herbeisehnte, wo es die Bürde seines Schützlings würde abwerfen können. Die Freude und Genugtuung war auf allen Seiten gleich groß, als der Freispruch erfolgte, wenn auch der Präsident und der Advokat sich nichts davon merken ließen, sondern Ingrimm und Beschämung zu verhehlen schienen, um sich desto besser zu belustigen, wenn sie unter sich waren.
Einzig Kardinal Mazzamori machte böse Zeiten durch; denn die üble Laune seiner Herrin Olimpia nahm zu, seit er in der Angelegenheit ihres jungen Vetters nichts ausgerichtet hatte. Er mochte noch so sehr beteuern, daß er alles Erdenkliche unternommen habe, ihn zu retten, daß aber die Gerechtigkeit ihren Lauf hätte nehmen müssen, und daß es ihn nicht minder als sie betrübe; sie beharrte dabei, er hätte es sich keine Mühe kosten lassen, weil seine Liebe zu ihr selbstischer Natur sei und nur genießen, nicht wirken oder opfern wolle, und sie bestrafte ihn durch eine durch nichts zu erhellende Traurigkeit. Der Jammer ihrer unglücklichen Tante, sagte sie, habe ihr auf einmal die Augen für das Elend des Lebens eröffnet, so daß sie sich an den irdischen Dingen nicht mehr ergötzen und nur in der Hingebung an Gott einigen Trost finden könne. Wirklich war sie selten mehr zu Hause anzutreffen, sondern hielt sich schwarz gekleidet in Kirchen auf, wo sie bald vor diesem, bald vor jenem Altar sich in Tränen auflöste. Empfing sie den Freund einmal, so forderte sie ihn auf, von geistlichen Dingen mit ihr zu reden, und wenn er ihr auf diesem Gebiete nicht genugtun konnte, hielt sie ihm mit großer Bitterkeit vor, daß er seinen Beruf nicht verstehe, und ließ ihn merken, daß er nichts viel Besseres als ein Heuchler und Betrüger sei. Sie fühlte sich tiefunglücklich und alles dessen beraubt, was früher ihrem Dasein Halt und Inhalt gegeben hatte. Es schien ihr, als sei ihr Mann, von dem sie nun schon lange getrennt lebte, im Grunde viel annehmbarer gewesen als der Kardinal, insofern, als er sich doch für nichts Höheres ausgegeben hatte, als er war. Wenn sie sich die Zeit zurückrief, wo Mazzamori ihre Liebe erregt hatte, so vermochte sie in allen jenen Szenen, die zwischen ihnen vorgefallen waren, den Zauber der Poesie nicht mehr zu finden, der sie früher in ihrer Einbildung vergoldet hatte. Was war daran, so dachte sie nun, anderes und Edleres gewesen, als was sich alltäglich jedem Winkel abspielt und oft genug zu Gelächter und Ekel reizt? Wie sehr sie sich bemühte, etwas Besonderes und Ausgezeichnetes an dem Kardinal zu finden, ihr Gewissen wollte ihr nichts sagen, als daß er eine unkeusche Bestie sei wie die anderen Männer auch, mit dem Unterschiede, daß sein geistlicher Beruf ihn noch dazu zu einem gleisnerischen Lügner machte. Sie hätte ihn am liebsten nicht mehr gesehen; wenn sie ihn zuweilen dennoch herbeiwünschte und seinen Besuch annahm, so tat sie es hauptsächlich, um ihn fühlen zu lassen, was sie von ihm dachte, und wie unglücklich sie sei.
Ein schweres Verhängnis war es für den Kardinal, daß der verdüsterte Gemütszustand der schönen Olimpia sie ihm noch weit liebenswerter erscheinen ließ als früher. Ihr Blick, da er so seelenvoll geworden war, zog ihn mehr an, als es je ihr sinnlich erglühender getan hatte, und ihre demütige Trauer, die ihn hätte abwehren sollen, reizte mit seinem Mitleid und seiner Bewunderung zugleich seine aufrichtigsten Liebesempfindungen. Wieviel reicher und erhabener erschien sie ihm, seit sie seiner nicht mehr bedurfte! Wenn er zusah, wie milde und verständnisvoll sie mit armen Leuten umging – denn sie suchte nun Gelegenheiten, um sich Notleidenden wohltätig zu erweisen –, wenn er hörte, wie klug und frei sie über alle Verhältnisse des Lebens zu reden wußte, so kam sie ihm wie eine Wiedergeborene Er gab sich Mühe, auf ihre neuen Gedankengänge einzugehen, ohne daß er etwas anderes als Spott und Bitterkeit dabei geerntet hätte. Olimpia fand diese Bestrebungen, die nicht der Sache galten, sondern nur ein Ausfluß seiner Verliebtheit waren, lächerlich oder gar abstoßend und wurde durch sie in der Meinung bestärkt, daß der Kardinal ein seichter Heuchler sei.
In der Hoffnung, die ihm Entschlüpfende zu fesseln und ihre weltlichen Interessen wieder ein wenig anzufachen, erzählte der Kardinal ihr von dem wunderwürdigen Sänger, den sein Freund Don Orazio kürzlich kennengelernt und für den päpstlichen Dienst erworben habe. Dieser Sänger sei, erzählte er, durch widrige Schicksalsfälle verfolgt und unter höchst seltsamen Umständen von Don Orazio entdeckt worden, die auch ihm noch Geheimnis wären. Gewiß sei, daß er die herrlichste Stimme besitze, die je ein italienisches Ohr bezaubert habe und die durch die sorgfältige Ausbildung, der sie jetzt unterzogen werde, noch gewinnen solle. Die Mittel dazu hätten Orazio und er hergegeben, da der Sänger durch die erwähnten Schicksalsschläge mittellos geworden sei; es reue sie aber das Opfer nicht, da jeder Ton aus der gesegneten Kehle edleres Gold als das sei, was sie dafür ausgegeben hätten. Wenn Olimpia ihn zu hören geneigt sei, so wolle er eine Gelegenheit dazu in seinem Hause veranstalten.
Indessen Olimpia war zu sehr in ihre schwermütigen Anschauungen versenkt, um sich irgendwelche Zerstreuungen gefallen lassen zu mögen; nichts war ihr recht, was sie davon entfernte, nur das willkommen, was sie darin bestärkte. Schöner Gesang wäre ihr wohl lieb, sagte sie, aber zu teuer erkauft, wenn sie ihn im Beisein anderer, etwa sogar unter geselligen Zurüstungen hören müsse. Könne der Sänger sie aufsuchen und ihr seine Kunst vorführen, ohne sie in ihrer einsamen Beschaulichkeit zu stören, so wäre es möglich, daß sie Genuß daran hätte. Das wußte der Kardinal nun nicht einzurichten; denn einmal wußte er nicht, ob Ronco, der sich übermütig und habgierig entfaltete, ohne weiteres und namentlich ohne die Aussicht beträchtlicher Vorteile dazu verstehen würde, und zudem hätte er für das Benehmen seines Schützlings nicht einzustehen gewagt, wenn derselbe ohne Zwang und Aufsicht allein mit einer Dame gewesen wäre. So mußte er auf eine Gelegenheit warten, um Olimpia mit dem Wundermanne bekannt zu machen, und eine solche bot sich denn auch, als der Gesangmeister, der ihm Unterricht erteilte, seine Stimme für so geschult erklärte, daß seiner Vorstellung bei Hofe nichts mehr im Wege stehe.
Der Papst hatte zur Teilnahme an dem Konzert, das in seinen Gemächern stattfinden sollte, einen kleinen gewählten Kreis musikliebender Freunde um sich versammelt, unter denen Kardinal Mazzamori, als um den Fund so sehr verdient, nicht fehlen durfte. Auch war ihm bereitwillig gestattet worden, seine Freundin Olimpia mitzubringen, die eine Einladung des Heiligen Stuhles auszuschlagen sich denn doch nicht getraute. Sie wählte zwar eine Frisur und Kleidung, die, dunkel und schlicht, gegen die früher von ihr geliebte reichliche Ausschmückung weit abstach, und hielt sich auch bescheiden und fast schamhaft im Hintergrunde; aber daß ihr zartes Fleisch um so lieblicher aus dem Schatten hervorleuchtete, hatte sie durch diese Veranstaltung doch nicht hindern können.
Innozenz war ein feiner, kleiner alter Herr mit einem zierlichen Gesicht, mit etwas undeutlichen Augen, einer gebogenen zugespitzten Nase und einem dünnlippigen, meist freundlichen Munde. Er nahm die Huldigung der Gäste geschwind entgegen und ließ einem jeden einige scherzende Worte zukommen, wobei ihm aber die Ungeduld wegen der bevorstehenden Vorführung anzumerken war. Als es eine Minute über die Zeit war, auf welche man den Sänger bestellt hatte, wurde ein nervöses Zucken um seine Augen sichtbar, und Mazzamori blickte ängstlich von der kostbar verzierten Uhr, die auf dem Marmorkamine stand, zur Flügeltür; er atmete auf, als diese sich öffnete und Don Orazio, eintretend, um die Ehre bat, den Sänger Ronco vorstellen zu dürfen. Ronco hatte sich in der Zeit seiner Vorbereitung eine Richtschnur seines künftigen Betragens gemacht, die einfach, aber nichtsdestoweniger ausnehmend zweckmäßig war: nämlich den Beifall des Papstes zu erwerben und einzig darauf sein beständiges Augenmerk zu richten. Von diesem Vorsatz beseelt, ging er stracks, die Augen mit einer gewissen eindringlichen Heftigkeit auf das erhabene Ziel gestellt, auf den alten Herrn zu, fiel vor ihm nieder, küßte ihm die Füße und verharrte in dieser Stellung, indem er die Arme vor der Brust faltete. Diese kindliche Gebärde inbrünstiger Hingebung rührte Innozenz so sehr, daß er unwillkürlich die Lippen auf die Stirn und die Hände auf die breiten Schultern des vor ihm knienden Mannes drückte, worauf er ihn mit ermunternden Worten begrüßte und aufzustehen und sich zu setzen aufforderte. Fast fürchtete der alte Herr, das erschütternde Gefühl, sich zum erstenmal in seiner Gegenwart zu befinden, könne den Sänger der Macht über seine Kehle berauben; es zeigte sich aber, daß der starke Mann mit der Hingebung die Unbefangenheit eines Kindes vereinte, denn ohne durch das leiseste Zittern beeinträchtigt zu werden, rollten die ersten Töne wie große glänzende Perlen in den Saal. Infolge einer Anordnung des Orazio sang er zuerst das Volkslied, das er und Mazzamori im Gefängnis von ihm gehört hatten, und das ohnehin als etwas Neues und Befremdliches Aufsehen erregte und Eindruck machte.
Es war, als ob der Stab eines Zauberers die Herzen der Zuhörer berührt habe; einem jeden tauchten liebe Träume auf, allerschönste Augenblicke, deren sie sich erinnerten oder die sie erhofften, und die einen süßeren Duft aushauchten, als der zerkleinernden Wirklichkeit übrigzubleiben pflegt. Olimpia überkam ein gewaltsamer Schmerz, der aber nicht niederdrückend war wie der, dem sie seit vielen Wochen in wechselnder Art hingegeben war, sondern durchdringend und angenehm, als eine Kraft, die sie über das gemeine Leben emporzutragen schien. Sie fühlte, was sie einst als Mädchen gewesen war, was sie von der Zukunft erwartet und was sie selbst hätte leisten und erringen wollen, und mit der schrecklichen Einsicht zugleich, wie weit sie von diesem Ziele abgewichen war, glaubte sie zu wissen, daß es nur auf sie ankomme, wieder die reine, starke und freudige Seele von damals zu werden. Sie hörte nicht auf, ihre Beziehungen zu Mazzamori zu bereuen, aber sie tadelte sich in diesem Augenblick, daß sie ihn mit Härte behandelt hatte, da doch nicht er allein, sondern auch sie gesündigt habe, und da er ihr doch nicht die Möglichkeit rauben könne, aus den Irrwegen, auf die er sie geführt, zur Klarheit aufzusteigen. Es erschien ihr wie ein Wunder, daß sie trotz ihres Widerstrebens in die Nähe des Mannes gebracht worden war, dessen Stimme ihr so tröstlich wurde, und der ihr dadurch fast wie ein Abgesandter Gottes erscheinen wollte. Aus dem Winkel, wo sie Platz genommen hatte, konnte sie ungestört seine heldenhafte Gestalt bewundern und das dunkle Antlitz, dessen Wildheit sie erbeben machte.
Ronco war bei der sorglichen Pflege, die er sich seit geraumer Zeit hatte angedeihen lassen können, nur auf die Art schöner geworden, wie aus einem schäbigen hungrigen Wolf ein wohlgenährter wird; aber dies genügte, um auf aller Augen einen blendenden und überwältigenden Eindruck zu machen. Die Begeisterung war allgemein; doch machte niemand dem Heiligen Vater das Recht streitig, sie zuerst zu äußern. Der kleine Herr saß mit geröteten Wangen da, klopfte hie und da in die Hände, rief: »Bravo! bravo!«, wiegte den Kopf und unterbrach auch wohl den Gesang mit Ausrufen des Entzückens: »Ah! Welcher Ansatz! Welche Süßigkeit! Welche Erfindung!«, wenn die Kadenzen wie aus dem Füllhorn des Überflusses aus seinem Munde strömten. Es vermehrte die Bewunderung Olimpias, daß der Sänger keinen Blick auf die Gesellschaft, geschweige denn in ihren Winkel warf; er schien nur für den Heiligen Vater da zu sein und auf seinen Wink zu singen oder zu schweigen. Einem Erzengel mußte sie ihn vergleichen, der, in voller Pracht gerüstet, demutvoll den Befehl des Herrn der Heerscharen erwartet.
Erst als die Gesellschaft aufstand und auseinanderging, fiel ein Blick des Sängers auf sie, der mehr als Gleichgültigkeit, der niederschmetternde Verachtung auszudrücken schien. Sie schloß daraus, daß er wisse, in welchen Beziehungen sie zu Kardinal Mazzamori gestanden habe, ja seiner Meinung nach noch stehe, und daß er sie aus diesem Grunde für eine Verworfene halte, was sie ja im Grunde auch sei.
In Wirklichkeit hatte der Sänger weder sie noch sonst eine von den Zuhörerinnen beachtet, da es ihm zunächst nur um den Papst zu tun war und er überhaupt an den vornehmen Damen noch keinen Geschmack gewonnen hatte, Allmählich jedoch stellte sich das Verständnis dafür ein, und nunmehr konnte ihm die Verehrung nicht unbemerkt bleiben, mit der die schöne Olimpia zu ihm aufblickte. Es schmeichelte ihm nicht wenig, daß die Geliebte des Kardinals Mazzamori ihn diesem angesehenen, einflußreichen, liebenswürdigen und gebildeten Manne vorzog, den zu beleidigen er ohnehin einen lebhaften Antrieb in sich verspürte. Je mehr seine Stellung beim Papst und in Rom sich befestigte, desto unleidlicher wurden ihm die beiden Herren, denen seine Vergangenheit so wohlbekannt war, so daß er mit dem Gedanken umging, sie, wenn sich ein Anlaß böte, aus Rom zu entfernen.
In den ersten Tagen, die dem Konzert folgten, war Mazzamori hochbeglückt über den Erfolg. Schien es doch die geliebte Frau weich und zugänglich gestimmt zu haben. Um so schneidender war seine Enttäuschung, als sie ihm, wenn auch in gütigen Worten, ihren unerschütterlichen Entschluß mitteilte, jeden Verkehr mit ihm abzubrechen, da sie ein neues, reineres Leben in Gott nunmehr beginnen wolle.
Da er sah, daß jeder Versuch, sie ihrem Vorsatz abtrünnig zu machen, scheiterte, ergab er sich und rang bereits mit dem Plane, ihr nachzueifern, um ihr wenigstens in den Regionen der Entsagung wieder zu begegnen, als er durch Neckereien Bekannter auf die zarten Fäden aufmerksam gemacht wurde, die zwischen dem Sänger und der Büßerin hin und her gingen. War er auch überzeugt, daß bei Olimpia nichts vorlag als die Schwärmerei einer empfänglichen Seele für die Stimme, in der etwas Göttliches sinnfällig zu werden schien, so zweifelte er doch billig, ob der gewalttätige Bauer einer ähnlichen Erhabenheit der Empfindung fähig sei, dem er vielmehr die Absicht zutraute, das Weib in die Niederungen seiner Sinnlichkeit herabzuziehen.
Dies wurde ihm zur Gewißheit, als verlautete, der Sänger habe vor einigen Tagen um Urlaub gebeten und solchen auch erhalten, um irgendwo am Meere oder im Gebirge seine Stimme zu schonen, was zu deren Erhaltung von den Ärzten für durchaus notwendig erklärt worden sei. Außer sich eilte der Kardinal zum Papste, um ihn darüber aufzuklären, welche Gefahr seiner Meinung nach eine edle Freundin bedrohe, und wie freventlich die Güte des huldvollen Gebieters mißbraucht werde.
Der alte Herr merkte kaum, daß es sich um einen Angriff auf seinen Liebling handelte, als seine Lippen sich ärgerlich zusammenkniffen. Er selbst litt unter dessen bevorstehender Abwesenheit, hatte seiner Bitte aber dennoch willfahrt und ein Beispiel der Selbstverleugnung gegeben; mußte er dem geistvollen Zauberer nicht einmal ein Abenteuer, in dem er sich austobte, gestatten? War er doch selbst jung gewesen! Und wieviel mehr als ein anderer bedurfte der Feurige, der Zündende, der Verschwender Zufuhr neuer Kräfte, die ihm, dem Papst, und allen, die ihn hörten, wieder zuteil werden würden! Wenn er sich vorstellte, wie der löwenhafte Mann das erstemal, die Arme über der Brust gekreuzt, vor ihm niedergekniet war, so pflegten ihm Tränen in die Augen zu treten. Niemals war er seitdem von dieser kindlichen und ritterlichen Hingebung abgewichen. Obwohl hitzigen Temperaments und hochfahrenden Sinnes, wie er denn im Umgang mit anderen Menschen oft durch zügellose Laune und Grobheit überraschte, nahte er sich ihm, dem Heiligen Vater, dem zierlichen kleinen Manne, nie ohne Unterwürfigkeit, nahm er von ihm jeden Tadel mit Bescheidenheit und Geduld entgegen und rief in jeder Angelegenheit sein Urteil als das höchste, gleichsam von Gott selbst ausgefertigte an, dem sich zu beugen ihm augenscheinlich sowohl Lust wie Pflichtgebot war.
Indem er sich in seinem Sessel zurücksetzte, betrachtete Innozenz den Kardinal erstaunt und bat um eine Erklärung des Anteils, den er an dem Urlaub und der Reise des Sängers nähme. Ein wenig errötend sagte der Kardinal, es sei dem Heiligen Vater vielleicht nicht bekannt, daß Ronco den Ausflug in Begleitung einer Dame zu machen gedenke, einer Dame, mit der er weder in verwandtschaftlicher noch in ehelicher Beziehung stehe, soviel ihm bekannt sei.
»Und was weiter?« fragte der Papst kühl. »Sollten Sie, mein Freund, niemals eine Reise mit Damen ohne verwandtschaftliche Beziehung unternommen haben? Oder wenn Sie, ein Geistlicher, ein Diener Gottes, es nicht getan haben, warum sollten Sie einem Sänger diese Freiheit mißgönnen?«
Der Kardinal zitterte vor Verlegenheit, Angst und Enttäuschung. »Verzeihen mir Eure Herrlichkeit,« sagte er, »wenn die Sorge um eine Frau, die mir teuer ist, und über deren Heil zu wachen ich mich verpflichtet halte, mich zu weit hingerissen hat.«
Bevor er noch mehreres hinzufügen konnte, unterbrach ihn der Papst, indem er sagte: »Gut, gut! Überlassen Sie es mündigen Frauen, sich selbst zu schützen, wenn sie überhaupt des Schutzes bedürfen oder ihn wünschen. Ich habe es stets so gehalten, daß ich meinen Untergebenen in Familiensachen freie Hand ließ, denn dies ist der Punkt, wo aus Herrschaft Tyrannei würde.«
Nach dieser Zurechtweisung wurde der Kardinal nicht ungnädig entlassen; ja, der Heilige Vater zeichnete ihn beim nächsten Empfang mit liebenswürdigen Worten aus; aber als er nach einigen Tagen an die Spitze einer Mission zur Bekehrung der Heiden in Japan gestellt wurde, konnte er nicht umhin, darin mehr den Wunsch des Papstes, ihn zu entfernen, als einen Beweis seiner Hochachtung zu sehen.
Das Bewußtsein seiner Untauglichkeit zu einer solchen Aufgabe war so stark in ihm, daß er es wagte, dem Papst seine Befürchtungen dieserhalb zu unterbreiten; doch beruhigte ihn dieser mit dem Hinweis auf seine mannigfachen Talente, denen, wenn sie der Glaubenseifer unterstütze, nichts unmöglich sein werde, und auf die Märtyrerkrone, die er sich im besten Fall erwerben könne.
Don Orazio hielt sich etwas länger, schließlich jedoch wußte der unentwegte Ronco auch ihn zu stürzen, indem er ihn durch fortwährende Widersetzlichkeiten und Kränkungen dahin brachte, sich beim Heiligen Vater über ihn zu beklagen. Als dieser ihn damit abwies und ihm vielmehr empfahl, sich einem so herrlichen Künstler, der Zierde seines Hofs, gegenüber nicht zu überheben, brauste Orazio auf und rief aus: »Wie? Von diesem Vieh, das ich aus dem Morast gezogen habe, soll ich mich ungerecht verhöhnen lassen?« mit welcher unbesonnenen Äußerung er die Gunst seines Herrn vollends verscherzte. Denn wie er sich wegen des beleidigenden Ausdrucks rechtfertigen wollte, bedachte er, daß er den wahren Hergang seiner Bekanntschaft mit Ronco nicht wohl enthüllen konnte, ohne sich in verhängnisvolle Mißhelligkeiten zu verwickeln, und mußte, da er sich über sein Benehmen nicht ausreden konnte, als verleumderischer Schwätzer oder ungezähmter Tollkopf dastehen. Die es gut mit ihm meinten, waren der Ansicht, daß er es noch für Gnade und Glücksfall ansehen müsse, als der Papst ihn nach dem kleinen Hofe von Lucca empfahl, wo er zwar in schmalen Verhältnissen, aber doch ohne Not und Gefährdung sein Dasein fristen konnte.
Schlimmer und besser zugleich erging es seinem Freunde Mazzamori, der zwar mancherlei Entbehrungen und Todesgefahr zu bestehen hatte, aber, wenn solche vorübergegangen war, auch Augenblicke bisher ungekannter Seligkeit feierte, und über dessen liebe und traurige Vergangenheit die vielen absonderlichen Eindrücke, die er empfing, einen bunten Schleier webten, der sie undeutlich machte. Zuweilen, wenn er in fremder Einsamkeit am Gestade des Ozeans zwischen namenlosen Riesenbäumen und vorüberhuschendem Getier in der Dämmerung sich erging, erinnerte ihn, er wußte nicht wie, ein lieblicher Himmelsglanz zu seinen Häupten an die schmalen länglichen Cherubsaugen jenes jungen Lancelotto, mit denen er frei in paradiesischen Sphären auf die verlassene Erde hinabsehen wollte. Vielleicht, dachte er, lächelt er über die Verworrenheit, in die wir armen Toren verstrickt sind, wenn er sich nicht lange schon ermüdet weggewendet hat zu den gelösten Geheimnissen der Weltregierung. Auf Augenblicke schwieg dann das Heimweh nach der goldenen Küste Italiens, das ihn in Stunden, wo er allein war, zu beschleichen pflegte, und er dachte mit bänglicher Sehnsucht an die Märtyrerkrone, die seine Arbeit unter den bösen Heiden ihm eintragen konnte, und die vielleicht, von unsichtbaren Händen bereitgehalten, schon über ihm schwebte.