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Anhangpolitischer Gedichte aus den »Châtiments« von Victor Hugo.

(1852.)

Lied.

Gott und der Teufel hielten
Ein Wettspiel jüngst; es spielten
Um ekle Schurken sie;
Hob Jeder seine Karte,
Der Eine: Bonaparte,
Der Andre: Mastai. Pabst Pius IX. hieß, bevor er sich dem geistlichen Stand widmete, Joseph Maria Graf von Mastai-Ferretti.

Ein kränklich Pfaffenschösslein,
Ein schuftig Fürstensprösslein
Und frecher Charlatan!
Schundeinsatz sonder Zweifel! –
Gott machte, dass der Teufel
Sie alle Zwei gewann.

»Kannst Nichts mit ihnen machen!«
Sprach Gott. Doch Der mit Lachen
Rief: »Dank, dass du sie gabst!
Drauf machte er mit Grinzen
Zum Kaiser flugs den Prinzen,
Den Andern flugs zum Pabst.


Orientale.

Als Abd-el-Kader jenem Wichte
Entgegensah im Steinverließ,
Den schmeichelnd nun die Weltgeschichte
Napoleon den Dritten hieß;

Als er ihn kommen sah von ferne,
Umringt von seinem Söldnertross,
Den feilen Mann mit Kreuz und Sterne, –
Er, jener braune Wüstenspross;

Er, der als Sultan unter Palmen
Genoss der rothen Löwen war,
Ein Emir, auf geknickten Halmen
Gespornt den wilden Bairaktar;

Er, jener unheilschwangre Krieger,
Der, ein Gespenst, das Feld durchschritt,
Und dann, ein blutbefleckter Sieger,
Im Schatten auf die Kniee glitt;

Der seinen Stahl mit Blut der Edeln
Getränkt, und düstre Träume wob,
Und auf gespaltnen Feindesschädeln
Sein Aug' zum Sternenhimmel hob;

Als er den Dieb und den Verräther,
Dem Schmach die Stirn umwölkte, sah, –
Er, der Soldat, und er, der Beter: –
»Wer ist der Mann?« so sprach er da.

Ihn schaudert stumm vor dieser Larve,
Und in sein Ohr die Kunde zieht:
»Schau her! ihn schützt das Beil, das scharfe;
Der Mann ist Cäsar, der Bandit.

»Die Klagen all', die Hilfe suchen,
Vernimm, – den Schrei, der Rache fleht!
Er ist es, dem die Mütter fluchen,
Und den der Gattin Fluch umweht.

»Zu Wittwen macht er sie, zu Waisen,
Er gab dem Vaterland den Tod;
Er will die Leiche noch zerreißen« …
Der Emir stummen Gruß ihm bot.

Doch in dem Herzen tief durchzittert
Verachtung ihn ob solchem Graus:
Mit zorngeschwellten Nüstern wittert
Den Leichenwolf der Tiger aus.


Am Meeresufer.

Harmodius.

Die Nacht erscheint, und Venus glänzt am Himmel.

Das Schwert.

Harmodius, nun ist's Zeit.

Der Markstein am Wege.

Ja, der Tyrann
Kommt gleich vorüber.

Harmodius.

Fort! mich schaudert.

Ein Grab.

Bleib!

Harmodius.

Wer rief?

Das Grab.

Das Grab. – Vollbring es, oder stirb!

Ein Schiff am Horizonte.

Und ich bin auch das Grab – Verbannte trägt
Mein Kiel.

Das Schwert.

Lass uns den Frevler hier erwarten!

Harmodius.

Mich schaudert. Welch ein scharfer Wind!

Der Wind.

Mein Hauch
Ist eine Stimme, die vorüberweht.
Ich führe klagend durch der Lüfte Raum
Verbannter Wehruf, Sterbender Geschrei,
Die ohne Brot, ohn' Obdach, freundelos,
Den letzten Blick zum Heimatufer sendend,
Verschmachten.

Stimme in den Lüften.

Nemesis! steh auf, o Rächerin!

Das Schwert.

's ist Zeit. Benutze jene finstern Schatten.

Die Erde.

Ich bin der Leichen voll.

Das Meer.

Ich roth von Blut;
Leichnam auf Leichnam trübte meine Wellen.

Die Erde.

Die Todten schmäht man, während Ihn man ehrt.
Bei jedem Schritt, den unterm Licht er wandelt,
Bebt mir vor innerlichem Graun das Herz.

Ein Galeerensträfling.

Ich bin ein Sträfling – seht am Fuß die Kette;
Ich muss sie tragen, weil von meiner Schwelle
Ich nicht den edlen Flüchtling fortgejagt.

Das Schwert.

Triff ihn, doch nicht ins Herz! – du fändest keins.

Das Gesetz.

Ich – das Gesetz – ward heut durch ihn zum Schatten.

Die Gerechtigkeit.

Buhldirne ward ich – Priesterin – durch ihn.

Die Vögel.

Verpestet hat er uns die Luft. Wir fliehn.

Die Freiheit.

Und ich mit euch. Land ohne Sonnenstrahl,
Heimat, leb wohl!

Ein Dieb.

Wir lieben den Tyrannen;
Denn dieser Fürst, den Pfaff und Richter ehrt,
Den rings ein wilder Beifallssturm begrüßt,
Gleicht eher uns, als euch, den Redlichen.

Der Eid.

Ihr Götter, schließt auf ewig jeden Mund!
Die Wahrheit starb in rohen Tigerherzen.
Du lügst, o Mensch! Du, Sonne, Himmel, lügst!
Tost, Stürme, tost! auf eurer Schwinge führt
Die Ehr' und Tugend, diese Träume, fort!

Das Vaterland.

Mein Sohn, ich, deine Mutter, schmacht' in Fesseln!
Mein Sohn, er hat auch mich entehrt! Zu dir
Breit' ich in Kerkersnacht die Arme aus.

Harmodius.

Ha! diese Nacht noch treff' ich ihn, wenn er
Vom Zechgelag in seine Wohnung kehrt!
Ich schwör's vor diesem schwarz umwölkten Himmel,
Ich schwör's vor diesem endlos blauen Meer:
Er falle meinem Dolch, in Gegenwart
Des Schattens und der Unermesslichkeit!

Das Gewissen.

Fürwahr, den Menschen kannst du ruhig tödten!


Nein!

Lasst Rom das Schwert, und lasst den Dolch den Spartern –
Nicht soll, weil Rachedurst zum Kampf uns schart,
Den Räuber das Gespenst des Brutus martern: –
Der finstern Zukunft bleib' er aufgespart!

Verbannte, ja, es soll euch Sühne werden,
Die ihr das harte Brot der Fremde brecht;
Gefangne, Märtyrer, die all' auf Erden
Er zittern lässt: – ihr werdet noch gerächt!

Nie wird dem Frevler seine Schuld vergeben –
Doch in der Scheide wahrt der Rache Schwert;
Habt nur Geduld, bis auf sein Haupt mit Beben
Die Zeit, der träge Henker niederfährt!

Ja, lasst ihn leben in dem Pfuhl der Schande:
Sein Blut entehrte selbst das Schächerbeil!
Den Tag lasst nahn, der unterm Lichtgewande
Birgt der Vergeltung gluthgeschärften Pfeil!

Er sei gekrönt, gesalbt, weil er der Schlechte!
Sei Herr von Sklaven, deren Herz verthiert!
Gieb seinem Stamm, Senat, die Herrscherrechte,
Wenn Kinder diesem Mann ein Weib gebiert!

Lasst herrschen ihn durch Mess' und Partisane,
Macht ihn zum Kaiser, triefend noch von Blut!
Die Kirche lasst, die feile Kourtisane,
Zum Bett sich schleichen, drin der Heuchler ruht!

Troplong mag lieben ihn, Sibour ihn ehren,
Ihm küssen mögt ihr Hand und Fuß zumal! –
Er leb'! – Ein Louvel Louis Pierre Louvel erstach am 13. Februar 1820 den Herzog von Berry, und hatte den Plan gefasst, ganz allein alle Bourbons zu ermorden, um sein Vaterland von dem Scepter dieses verhassten Geschlechts zu befreien. Er wurde für seine That am 7. Juni desselben Jahres zu Paris hingerichtet. würde sich entehren,
Stieß' er in solch verruchtes Herz den Stahl!

Nein, tödtet Diesen nicht, ihr bleichen Denker,
Ihr kühnen Träumer, stolz und schamentbrannt;
Geht, während beim Gelage schwärmt der Henker,
Zum Todtenmal mit zorngeballter Hand!

Mehr, als ein Strahl, der heißer Wuth entlodert,
Wirkt eis'ger Hohn, den stummer Schmerz gebiert. –
Tödtet Ihn nicht! – Denn wisst: zuweilen fodert
Der Schandenpfahl, dass ihn ein Kaiser ziert!


Sacer esto!

Nein, Freiheit! nein, o Volk! er soll nicht sterben!
Zu gnädig würde seine Schuld entsühnt,
Wenn er, nachdem er das Gesetz in Scherben
Zerbrach, und jeder Schande sich erkühnt;

Nachdem er schlau sein blut'ges Spiel gewonnen,
Durch Feuer, Schwert und Hinterlist gesiegt;
Nachdem er Meineid, Lug, Verrath ersonnen,
Und sich als Henker auf dem Thron gewiegt;

Wenn er, nachdem er Frankreich, das verlorne,
Im Koth geschleift, gefesselt, arm und krank: –
All' dieser Frevel plötzlich wett, im Zorne
Gemeuchelt würde, wie einst Cäsar sank.

Nein! Mörder, schweift er durch die Felsenklüfte,
Er hat gewürgt, gemetzelt, füsilliert,
Er machte leer das Haus und voll die Grüfte,
Der Todten Aug' auf seinen Frevel stiert.

Um seinethalb, des ephemeren Kaisers,
Ist vaterlos der Sohn und hoffnungslos;
Die Wittwe schluchzt und weint; der Mutter heisers
Gestöhn durchzittert bang der Erde Schoß.

Sein Prachtgewand zu spinnen, hat man Fäden,
In Blut genässt, aufs Webeschiff gereiht;
In Strömen Bluts, die laut gen Himmel reden,
Hat man gefärbt sein Königs-Purpurkleid.

Euch bleibt Verbannung, euch die Kerkerschranke,
Helden von gestern, Sträflinge von heut!
Indess das Guillotinenbeil, das blanke,
Tropfen auf Tropfen Bluts ihm niederstreut.

Wenn der Verrath, sein bleicher Spießgeselle,
Ihm naht: – er weiht ihm seines Grußes Zoll;
Es weilt der Brudermord an seiner Schwelle! – –
Seht, darum ist's, dass er nicht sterben soll!

Er lebe fort! O heilig Angebinde
Der Rache, wenn er einst die Arme hebt,
Nackt, frostdurchschauert, wie das Gras im Winde,
Unter dem Fluch der ganzen Menschheit bebt!

Gequält durch sein vergangnes Mörderleben,
Wie durch ein nägelstarrend Eisenband,
Suchend die Schlüft' und Wälder, nachtumgeben,
Bleich, schaudernd, wirr, den Wölfen nur bekannt;

Nichts hörend, als das Rasseln seiner Kette,
Allein, und stets allein im Weltenall;
Nichts, das ihn vor dem Hass des Schweigens rette,
Kein Mensch ihm nah, – Gespenster überall;

Zu schlecht dem Tod, ob seine Haare bleichen,
Scheusal in schwarzen Nächten wie im Licht! – –
Wendet euch, Völker! der Mensch trägt ein Zeichen:
Laßt gehen Kain! Ihn trifft das Weltgericht.


Ultima Verba.

(Geschrieben auf der Insel Jersey, am 2. December 1852.)

Der Menschheit Rechtsgefühl ist todt. – Er tritt die Leiche
Mit Füßen: Siegerhohn aus seinem Auge bricht,
Und Henkerlust verzerrt sein Angesicht, das bleiche,
Er wendet sich, und schlägt der Todten ins Gesicht.

Geschändet ward das Recht, entehrt – er will es haben!
Die Priester segneten den Mörder, blutgetauft;
Dem Töpfersacker sind die Silberling' entgraben,
Um die sie ihren Gott, wie Judas, neu verkauft.

Sie sprachen: »Cäsar herrscht; der Gott der Soldarmeen
Hat ihn geweiht. O Volk, gehorch ihm, wenn er winkt!«
Und während im Gebet sie laut zum Himmel flehen,
Sieht man, wie in der Hand die Goldzechine blinkt.

Solang' der Bettlerprinz nicht muss vom Throne wandern,
Den jener Schurkenpapst mit Segenswunsch geweiht,
In einer Hand den Stab, den Dietrich in der andern,
Ein Karl der Große, jetzt als Mondkalb konterfeit;

Solang' er sich, – den Eid mit seinem Lästermaule,
Die Scham und Sittlichkeit verhöhnend, – fühlen darf;
Solang' auf unsern Ruhm sich seine Schmach, die faule,
Erbricht, und noch auf Dies die Sonn' ihr Lächeln warf;

Wenn Feigheit und Verrath zu solcher Höh' entbrannten,
Dass man den Mörder gar verehrte und den Mord;
Wenn selbst Amerika und England zum Verbannten
Hinträten mit dem Spruch: »Wir fürchten uns – geh fort!«

Und würde man uns selbst als todtes Laub betrachten,
Und schmähte Jeder uns, weil Cäsar es geheischt,
Und müssten wir, von Thür zu Thür gehetzt, verschmachten,
Von Menschen, wie ein Hirsch vom Tigerzahn, zerfleischt:

Und wenn die Wüste selbst, die öde, menschenleere,
Den müdgejagten Mann aus ihrer Gluth verjagt;
Wenn selbst das Grab so feig wie rings der Erdball wäre,
Und noch dem todten Mann die Ruhestatt versagt: –

Ich würde nicht gebeugt! – Klaglos den Mund geschlossen,
Im Herzen stillen Gram, und stahlbewehrt die Hand,
Blieb' ich getreu, ob rings der Fremde Dornen sprossen,
Freiheit, mein Banner, dir! und dir, o Vaterland!

Gefährten meines Grams, lasst mich die Schläfer wecken,
Uns eint die Republik auf diesem Felsensitz.
Was immer man beschimpft, will ich mit Ruhm bedecken,
Was immer man verehrt, trifft meines Fluches Blitz!

In Sack und Asche soll mein Lied die Welt durchreisen,
Mein Lied, das: »Wehe!« ruft, und donnernd: »Nein!« gebeut.
So oft die Sklaven dir den Königstempel weisen,
Weis ich die Zelle dir, künd' ich dein Grabgeläut!

Vor alle dem Verrath, all' den gebeugten Köpfen
Kreuz' ich die Arme stolz, ob zornig schlägt mein Herz.
Lass, ernste Heiterkeit, lass Trost in dir mich schöpfen,
Sei meine Freude du, und meine Wehr von Erz!

Solang' man dulden wird, dass Er auf dir noch wandelt,
O Frankreich, dessen Leid ich singe ruhelos:
Will ich nicht wiedersehn dein Land, von Schmach misshandelt,
Nicht meiner Väter Grab, noch meiner Liebe Schoß!

Nicht sehen will ich mehr dein lockendes Gestade,
Vergessen Alles, – nur das Amt des Rächers nicht;
Mit den Verbannten will ich gehn die Schmerzenspfade,
Und will geächtet sein, stark, bis mein Auge bricht!

Ja, lasst mir das Exil, und wär' es ohne Ende!
Es soll mich kümmern nicht, ob Wer um Gnade fleht,
Ob Mancher dem Verrath gebrochen reicht die Hände,
Ob, wer da bleiben soll, zurück ins Frohnland geht.

Und blieben Tausend nur: – ich bleibe mit! Und nennen
Sich Hundert nur: – mein Trotz steht auch mit Diesen ein!
Ja, blieben Zehn: – ihr sollt in mir den Zehnten kennen!
Und wär's ein Einz'ger nur: – ich will der Eine sein!

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Druckfehler: Korrekturen eingearbeitet. joe_ebc für Gutenberg.

 


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