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Neunhundertundachtundfünfzigste Nacht.

Geschichte von Abul Hassan aus Damaskus und seinem Sohne Nureddin Ali.

In Damaskus lebte vor sehr alten Zeiten ein sehr reicher Kaufmann. Er besaß sowohl Grundstücke in Syrien als auch Schlösser, Gärten und Bäder in Damaskus selbst. Dieser Mann, welcher Abulhassan hieß, war schon bejahrt, hatte aber noch keine Kinder. Daher flehte er unablässig Gott um die Verleihung dieser Gnade an sowohl in seinen öffentlichen Gebeten als auch in denen, die er in der Einsamkeit verrichtete: da er doch gern einem Sohne seine großen Reichtümer hinterlassen wollte. Endlich erhörte Gott seine Bitten, und seine Gattin gebar ihm einen Sohn, dessen Schönheit allgemeine Bewunderung erregte. Er nannte ihn Nureddin Ali (das Licht der Religion), kleidete aus Dankbarkeit gegen Gott die Armen, beschenkte die Witwen und Waisen. Als sein Sohn zehn Jahre alt war, brachte er ihn in die Schule, wo er den Koran, die Schreibkunst und Auszüge aus Büchern zu machen erlernte. In dem Alter von zwölf Jahren aber lernte er reiten, Pfeile abschießen und sich mit Wissenschaften jeder Art beschäftigen. Dabei war er höflich, wohlwollend, mildtätig und angenehm, so daß er jedermann, der ihn sah, bezauberte. Nunmehr bewarb er sich um die Freundschaft mehrerer junger Leute und mischte sich unter die Kaufleute und unter die Reisenden. Von diesen hörte er nun erzählen, was sie aus ihren Reisen in den verschiedenen Ländern für Merkwürdigkeiten und Seltenheiten gesehen hatten; auch pflegten sie wohl hinzuzufügen: »Wer das und das nicht gesehen, der hat nichts gesehen, vor allem aber die Stadt Bagdad.« Da betrübte er sich sehr, daß er noch nie gereist war. Er scheute sich selbst nicht, seinem Vater seinen Mißmut merken zu lassen, und als ihn dieser einst darüber befragte, so antwortete er ihm: »Ich wünschte sehr, eine Reise zu machen.« – »Ach, mein Sohn,« antwortete jener, »wie kannst du Lust haben, zu reisen, da man nur in der höchsten Not es zu tun pflegt. Ohne gründlichen Zweck wird wohl niemand eine Reise unternehmen. Du aber, du bist ja so glücklich. Begnüge dich daher mit dem, was dir Gott verliehen hat, und tue Gutes, wie er dir Gutes erwiesen hat. Belaste dich aber nicht mit den Mühseligkeiten und Sorgen einer Reise, sondern bedenke nur, daß man sprichwörtlich sagt: »Reisen ist eine Art von Strafe.« Der Sohn erwiderte indes: »Ich will dennoch nach Bagdad reisen; denn man hat mir zu viel Anziehendes von diesem Orte erzählt.«

Als sein Vater sich von der großen Neigung seines Sohnes überzeugte, entschloß er sich, seinem Wunsche zu willfahren, ließ die nötigen Vorbereitungen treffen, gab ihm fünftausend Goldstücke bar und für ebensoviel Geld an Waren mit und zugleich zwei Diener zur Begleitung. Der Sohn reiste nun ab unter den Segenswünschen seines Vaters, der ihn eine Strecke weit geleitete und ihn alsdann verließ. Nureddin Ali aber setzte seine Reise ununterbrochen fort, bis er endlich Bagdad erreichte, wo er sein Gepäck in einer Niederlage ablegen ließ. Er selbst begab sich hier sogleich in ein Reinigungsbad, legte nachher seine Reisekleider ab, welche er mit den kostbarsten Gewändern vertauschte, steckte in seinen Ärmel einen Beutel mit tausend Goldstücken und spazierte dann oder stolzierte vielmehr in den volkreichen Straßen dieser prächtigen Stadt umher, wo er die Aufmerksamkeit eines jeden auf sich zog, indem man seinen Wuchs mit einem schlanken Zweige und seine Wangen mit Rosen verglich und sich beeilte, ihn zu grüßen. Irgend ein Dichter äußert sich über einen ähnlichen jungen Mann folgendermaßen:

»Dich sehen oder dich hören, gleichviel, beides erregt dir Neider. Nehmt euch ein nützliches Beispiel, die ihr dieses höret!

Wahr bleibt es immer: Stolz darf der nicht darauf sein, den ein köstliches Gewand ziert, sondern der nur kann es sein, dessen Tugenden seine Kleider zieren.«

Nureddin begab sich hierauf auf die öffentlichen Plätze und Märkte, wo er das Leben unter der Volksmenge bewunderte. Hier traf ihn ein gewisser Abunnawas an, der in dem Rufe stand, daß er sich auf das Schöne wohl verstehe. Dem sei aber, wie ihm wolle, genug, dieser Abunnawas, der ganz von der Schönheit des Nureddin bezaubert war, näherte sich ihm, grüßte ihn und fragte ihn: »Warum sehe ich meinen Herrn so einsam, so abgesondert? Wie es scheint, so bist du hier fremd und kennest diese Stadt gar nicht? Mit deiner gütigen Erlaubnis will ich dir meine Dienste anbieten und dir die öffentlichen Plätze, Märkte und Gebäude zeigen und kennen lehren, denn mir ist alles dieses wohlbekannt.« Da sprach Nureddin: »Du wirst mir damit eine große Gefälligkeit erweisen und mich zur höchsten Dankbarkeit verpflichten.« Darüber freute sich Abunnawas außerordentlich und begann seinem neuen Freunde alle Merkwürdigkeiten Bagdads zu zeigen. So kamen sie denn auch an das Haus des Sayd Annahas. Hier blieb Abunnawas stehen und fragte den Nureddin, woher er wäre, und auf die Antwort desselben, er sei aus Damaskus, konnte dieser in seinen Lobsprüchen auf diese Stadt gar nicht aufhören, was dem Nureddin viele Freude machte. Endlich traten sie in das Haus, wo dem Abunnawas alle Bewohner aus Hochachtung entgegen kamen, weil sie wußten, wie sehr er beim Kalifen geschätzt war. Annahas ließ sogleich zwei Stühle bringen, auf welche sie sich setzten; aber er begab sich wieder in das Innere des Hauses zurück und brachte eine sehr schöne Sklavin heraus, die mit einem köstlichen Gewande bekleidet war, und ließ sie auf einen Sessel von Ebenholz setzen. »Soll ich euch,« fragte er dann die beiden Fremden, indem er ihr den Schleier aufhob, »ein Gesicht zeigen, das einem Vollmond gleicht, wenn er in seiner ganzen Pracht hinter den Wolken hervortritt?« »Tue es,« sagten sie, und in diesem Augenblicke glaubten sie die Sonne vor sich zu sehen, so sehr waren sie geblendet und entzückt. Ein Dichter sagt von ihrer Schönheit folgende Verse:

»Wenn sie den Götzendienern vorgestellt würde, so würden sie selbige statt ihrer Götzen wahrlich zu ihrem einzigen Gott machen.

Und wenn von ungefähr etwas von ihrem Speichel in das Weltmeer fiele, so würde dieses Salzwasser zu süßem trinkbaren Wasser werden.«

Einer von den anwesenden Kaufleuten, die sich zum Sklaveneinkauf eingefunden hatten, bot gleich bei ihrem Anblick tausend Goldstücke für sie. Ein anderer überbot ihn um hundert Goldstücke; ein dritter sagte: »Ich gebe fünfzehnhundert Goldstücke für sie.« Da nach diesem kein Gebot mehr getan wurde, erklärte der Besitzer, daß er mit ihr das Abkommen getroffen hätte, sie nur dann dem Meistbietenden zu überliefern, wenn er ihr gefiele; da fragten ihn die Anwesenden nach ihrem Namen, und er sagte, sie hieße Sittulmulach. Da sprach Annahas zu ihr: »Wenn es dir beliebt, so werde ich dich diesem Kaufmann um eintausendfünfhundert Goldstücke verkaufen.

 

Neunhundertundneunundfünfzigste Nacht.

Die Schöne sagte hierauf zu ihm: »Komm näher.« Als er sich ihr nun näherte, stieß sie ihn mit den Füßen von sich, so daß er auf die Erde fiel und sagte: »Diesen garstigen Mann mag ich nicht zum Herrn.« Annahas stand wieder auf, schüttelte sich den Staub ab und sprach: »Wer will mehr bieten?« Da nahte sich ein andrer Kaufmann, und der Verkäufer fragte sie, ob sie von diesem gekauft werden wollte. Als sie ihm aber wiederum sagte: »Komm näher,« so antwortete er: »Erkläre dich nur, ich werde dich schon von meinem Orte aus hören.« Sie sagte ihm nun, daß sie auch diesen nicht wolle. Zugleich aber stand sie auf und näherte sich dem jungen Manne aus Damaskus; denn dieser hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht, so wie anderseits auch er durch ihre Schönheit ganz bezaubert war. Sowie Annahas dies bemerkte, trat er zu ihm und tat an ihn die Frage: »Bist du hier bloß Zuschauer oder Käufer?« – »Ich bin beides,« war die Antwort, »willst du mir aber wohl das Mädchen für eintausendsechshundert Goldstücke verkaufen?« Mit diesen Worten zog er zugleich seinen Beutel heraus, und Annahas kehrte voll Freude sich um und sprach zu sich selbst:

»So muß es kommen, so, sonst wird nie etwas daraus.« Zugleich wendete er sich zu dem Mädchen und fragte sie: »Soll ich dich diesem jungen Manne aus Damaskus um eintausendsechshundert Goldstücke verkaufen?« – »Nein,« sagte sie aus Scham vor ihrem Herrn und vor der versammelten Menge, welche nach und nach auseinanderging. Auch Abunnawas und Nureddin entfernten sich.

Das Mädchen aber, deren Herz ganz von Liebe für Nureddin entbrannt war, dachte die ganze Nacht hindurch an ihn und konnte nicht schlafen, und da dieser Zustand mehrere Tage so fortdauerte, verfiel sie in Schwermut, erkrankte und wollte nichts mehr essen. Da trat einst ihr Herr zu ihr herein und fragte sie nach ihrem Befinden. »Ach,« erwiderte sie, »ich muß sterben, daran ist kein Zweifel. Nur eine einzige Bitte habe ich noch an dich, nämlich die, daß du mir mein Leichentuch kaufst, damit ich es ansehe und mich an den Gedanken des Todes gewöhne.« Da ging ihr Herr ganz betrübt hinaus, begab sich auf den Markt, wo er einen seiner Freunde, einen Seidenhändler, antraf, der an jenem Tage, wo auf das Mädchen geboten wurde, gegenwärtig gewesen war. »Warum bist du so betrübt?« fragte ihn dieser. – »Ach,« antwortete er, »Sittulmulach ist todkrank. Seit drei Tagen schon ißt und trinkt sie nicht mehr, und als ich heute zu ihr kam, da bat sie mich, ich möchte ihr ein Leichentuch kaufen.« Da sagte der Seidenhändler: »Ich glaube, sie ist in den jungen Mann aus Damaskus verliebt. Ich rate dir, wenn du jetzt nach Hause kommst, so sprich mit ihr von ihm und stelle dich, als wenn er dir gesagt hätte, er wolle zu dir kommen, um sie singen zu hören. Wenn sie dir dann sagt: »Überhebe mich dessen, denn mich beschäftigt jetzt etwas ganz anderes als der junge Mann aus Damaskus«, so kannst du überzeugt sein, daß sie dir die Wahrheit gesagt hat. Wenn sie dir aber etwas anderes antwortet, so zeige mir es nur an.« Annahas begab sich demnach sogleich nach Hause zurück und sagte zu der Sklavin: »O Sittulmulach, ich bin wegen dir ausgegangen, und da ist mir der junge Mann aus Damaskus begegnet. Er läßt dich grüßen und wünschte sehr, dich näher kennen zu lernen, auch hat er mich gebeten, ihm zu erlauben, daß er zu mir kommen dürfe, um etwas von dir singen zu hören.« Als sie das Wort Damaskus hörte, stieß sie einen Seufzer aus und sprach: »Ach, er weiß wohl nicht den traurigen Zustand, in dem ich mich befinde. Ich bitte dich, gehe hin und entschuldige mich bei ihm.« Als Annahas dieses hörte, war er vor Freuden außer sich, ging zu seinem Freunde, dem Seidenhändler, und sprach zu ihm: »Du hast ganz recht, sie liebt den jungen Mann. Was ist nun zu tun?« – »Gehe nur jetzt auf den Markt,« erwiderte der andere, »und wenn du ihn siehst, so sage ihm: »Es hat mir neulich sehr leid getan, dich so unverrichteter Sache weggehen zu lassen. Wenn du sie aber noch kaufen willst, so will ich dir aus Achtung und, um dir gefällig zu sein, hundert Goldstücke vom gebotenen Preise nachlassen, besonders darum, weil du bei uns hier fremd bist.« Wenn er dir nun antwortet: »Ich will sie nicht mehr kaufen,« so zeige mir es an, damit ich etwas anderes aussinne; wenn er dir aber etwas anderes sagt, so verbirg mir es ebenfalls nicht.« Er ging also auf den Markt und traf dort den bewußten Mann, der da eben große Handlungsgeschäfte machte. Sie grüßten sich sehr freundschaftlich, und Annahas redete mit ihm von der Sklavin, bot sie ihm um hundert Goldstücke weniger an und fügte dann hinzu: »Ja, um dir als Fremden eine Gefälligkeit zu erweisen, will ich sie dir noch billiger lassen.« – »Bei Gott,« erwiderte jener, »ich nehme sie nicht an, außer du empfängst von mir mehr noch, als ich dir geboten habe. Darum mußt du sie mir schon für eintausendsiebenhundert Goldstücke verkaufen.« – »Das tue ich sehr gern,« antwortete jener, »Gott segne dir diesen Kauf.« Nureddin ging nun sogleich in sein Haus, nahm einen Beutel und begab sich zu Annahas, dem er den eben gebotenen Preis in Gegenwart des eben angekommenen Seidenhändlers auszahlte, und verlangte, daß sie herausgeführt würde. »Ach,« sagte Annahas, »das ist jetzt in diesem Augenblicke nicht möglich; aber habe die Güte und sei heute Tag und Nacht mein Gast; morgen kannst du dann dein Mädchen mitnehmen und in Gottes Namen fortgehen.« Nureddin willigte ein, und nach einer Stunde wurden die Speisen aufgetragen.

 

Neunhundertundsechzigste Nacht.

Nachdem sie eine Weile gegessen und getrunken hatten, sagte Nureddin zu dem Herrn der Sklavin: »Nun wünschte ich, daß du mir das Mädchen hervorbrächtest; denn ich habe sie nur gekauft, um mir in ähnlichen Augenblicken durch ihren Gesang Freude zu machen.« Da erhob sich Annahas, ging zu der Sklavin hinein und sagte zu ihr: »Der junge Mann ist da, hat dich gekauft, ist bei uns zu Gaste und wünscht sehr, daß du zu ihm kommen möchtest.« Da stand sie fröhlich auf, zog sich schöne Kleider an, bestrich sich mit wohlriechendem Wasser und begab sich zu ihm, schön sondergleichen, hinter ihr folgte eine Sklavin, die ihre Laute trug. Als sie angekommen war, setzte sie sich neben Nureddin und grüßte ihn freundlich; sodann nahm sie die Laute von der Sklavin, drehte die Wirbel und spielte vierundzwanzig Tonarten durch, bis sie in die erste zurückkam, und sang dann folgendes Lied:

»Meine einzige Freude in der Welt ist, zu Euch zu kommen und in Eurer Nähe zu sein.

Euch lieben ist für mich Gesetz, und ohne Euch zu leben, ist eine Unmöglichkeit.

Meine Zeugen sind die Tränen, die auf meine Wangen fließen, und die ich nicht verbergen kann, sooft ich an Euch denke. Bei Gott, in der ganzen Welt liebe ich niemanden so wie Euch, und solang ich lebe, werde ich meiner Liebe zu Euch treu bleiben.

Heil Euch! Was ist bittrer, als fern von Euch zu sein? Möge nur auch nie von Eurer Seite die Liebe zu mir aufhören!«

»Wunderschön!« rief Nureddin entzückt aus, »singe mir doch noch ein ähnliches,« und zugleich überreichte er ihr fünfzig Goldstücke. Unterdessen gingen noch die Becher in der Gesellschaft herum, und Annahas sagte zu Sittulmulach: »Nun wird deine Trennung bald nahen, lasse mich daher doch vorher noch etwas von deinem Gesange hören.« Sie sang:

»In meinem Inneren ist Sehnsucht, Erinnerung und Liebespein, und mein Körper kann nicht länger meine Betrübnis ertragen.

Glaubet nicht, o Geliebter, daß ich Euch vergessen habe, mein Zustand ist noch immer derselbe und mein Kummer ist nicht von mir gewichen.

Wenn je ein Mensch in seinen Tränen geschwommen ist, so bin ich die erste, die es tun könnte.

O! Mundschenk, wende deinen Becher von einem Erkrankten ab, der zum Morgen- und Abendgetränke nichts weiter als Tränen genießt!

Hätte ich ahnen können, daß Eure Trennung von mir Ursache an meinem Tode vor Gram sein würde, wahrlich, nichts hätte mich von Euch scheiden können, allein nun ist's zu spät, alles ist bereits vorüber.«

Während sie in dem höchsten Genuß der Freude waren und sich den Ergötzlichkeiten der Tafel sowohl als des Gesanges widmeten und das Gespräch bereits ganz zutraulich geworden war, wurde unten an der Tür heftig geklopft. Annahas ging, um zu sehen, wer es wäre, und erblickte zu seinem Erstaunen zehn Leute von der Dienerschaft des Kalifen. »Was verlangt ihr?« fragte er sie.

– »Der Fürst der Gläubigen,« war ihre Antwort, »grüßt dich und verlangt die Sklavin, die du vor einiger Zeit ausgeboten hast. Sie heißt Sittulmulach.« – »Bei Gott, ich habe sie verkauft,« antwortete er. – »Kannst du bei dem Haupte des Kalifen schwören, daß sie nicht mehr in deinem Hause ist?« Da schwor er ihnen, daß er sie verkauft hätte und sie nicht mehr in seiner Gewalt wäre. Sie ließen ihn hierauf stehen, stürzten ins Haus und fanden in der Versammlung Nureddin und das Mädchen. Sie legten sogleich Hand an sie, und obgleich jener schwor, sie gehöre ihm, und er habe sie für sein Geld gekauft, so hörten sie doch nicht auf ihn, sondern schleppten sie zum Kalifen. Jetzt begann für Nureddin ein sehr trauriges Leben. In seiner Betrübnis wollte er sich fortbegeben; allein Annahas verhinderte ihn und sprach: »Wo willst du in dieser dunkeln Nacht hingehen?« – »In mein Haus will ich gehen,« antwortete er, »und den andern Morgen zum Kalifen und meine Sklavin zurückfordern.« – »Schlafe bis an den Morgen hier,« entgegnete jener, »und gehe nicht in der Nacht aus.« Da er indes sich nicht abhalten lassen wollte und auf dem Weggehen bestand, so ließ er es geschehen und sprach: »Gott geleite dich!« Er ging also in einem ziemlich betrunkenen Zustande fort, und da er taumelnd bei einigen Kramläden vorbeiging, bemerkten ihn die Wächter, lauerten ihm auf, und da er beim Anlehnen eingeschlafen war, näherten sie sich ihm, begossen ihn mit Wasser, um ihn aufzuwecken, und brachten ihn dann zu dem Polizeipräfekten. Dieser fragte ihn nach seinen Umständen, worauf er ihm mit kurzen Worten erwiderte, daß er bei einem seiner Freunde gewesen, trunken weggegangen und auf dem Wege eingeschlafen wäre. »Führt ihn in sein Haus!« befahl sofort der Präfekt. Da dachte einer der anwesenden Polizeibeamten mit Namen Muradi bei sich selbst: »Was sollen wir mit dem Manne anfangen? Er hat kostbare Kleider an, prächtige Ringe an den Fingern, vielleicht auch viel Geld bei sich; er ist fremd, niemand wird nach ihm fragen, noch wird irgend jemand wegen ihm zur Verantwortung gezogen werden; wir wollen ihn daher umbringen.« Diesen Plan teilte er dem Aufseher schändlicherweise mit, und zwar mit dem Vorschlage, die Beute zu teilen. Dieser war ungerecht genug, darein zu willigen. »Er ist ein Dieb,« sagte er, »er hat gelogen.« »Gott behüte mich,« sprach Nureddin, »daß ich ein Dieb sei.« »Du lügst,« wurde ihm aber jedesmal entgegengeschrieen. Sie rissen ihm nun seine Kleider ab, nahmen ihm seine Ringe und schlugen ihn. Da flehte er um Gnade; aber all sein Bitten war vergebens. »Alles soll euer sein, was ihr mir ungerechterweise genommen habt,« rief er hierauf; »bringt mich nur in meine Wohnung!« Allein sie verhöhnten ihn und sprachen: »Wir wissen wohl, daß du uns dann morgen verklagen würdest.« »Bei Gott dem Ewigen,« erwiderte er, »niemanden will ich deswegen belangen.« Der Aufseher befahl nun ganz im Zorn, ihn an das Ufer des Tigris zu führen, ihn zu töten und dann hinabzustürzen. Sie schleppten ihn auch wirklich ungeachtet seines Weinens und Widerstrebens fort. In seiner Not sagte er dann das Wort, welches noch niemand vergebens ausgesprochen hat: »Es ist keine Kraft und keine Macht außer bei Gott, dem Erhabenen und Großen.« Als sie an dem Tigris angekommen waren, zogen sie das Schwert über seinem Haupte, und Muradi befahl dem Scharfrichter, ihm den Kopf abzuschlagen. In demselben Augenblicke trat aus ihrer Mitte ein Mann hervor mit Namen Achmed und sprach: »Ihr Leute, übereilt euch nicht mit diesem Unglücklichen! Tötet ihn nicht ungerechterweise. Ich fürchte Gott, und ihr wißt, daß ein Mord von ihm mit dem Feuer der Hölle bestraft wird.« »Laß ab von diesem Gewäsch,« unterbrach ihn Muradi und wiederholte seinen Befehl, Nureddin den Kopf abzuschlagen. Da sprach Achmed: »Wenn ihr das geringste an ihm tut, so benachrichtige ich den Kalifen von eurer Schändlichkeit.« »Was können wir denn tun?« erwiderten sie, »wir sind schon zu weit mit ihm gegangen.« Achmed sagte: »Ich will euch für ihn Bürge sein. Wir wollen ihn in einen sicheren Verwahrungsort führen, damit wir wenigstens kein unschuldig vergossenes Blut auf uns laden.« Hierauf kamen sie miteinander überein, daß sie ihn in das Gefängnis, worin die zum Tode verurteilten aufbewahrt wurden, bringen wollten. Sie führten dies sogleich aus und entfernten sich sodann.

Was nun aber die Sittulmulach betrifft, so wurde sie von jenen Leuten zu dem Fürsten der Gläubigen gebracht, den sie durch ihre unbeschreibliche Schönheit ganz entzückte. Er befahl sogleich, ihr in seinem Palast eines der schönsten Zimmer einzuräumen, und sie wurde auch alsbald dahin gebracht. Hier befand sie sich nun in dem Wohnsitze der Freude, der Pracht und des Glücks, aber Tag und Nacht in Tränen schwimmend und alle Speise und Trank ausschlagend. Nach Verlauf mehrerer Tage ließ sie eines Abends der Kalis zu sich fordern. »O Sittulmulach,« sprach er zu ihr, »sei ruhig und heiteren Blicks; denn ich will dich über alle Frauen erheben, und dir soll nur das widerfahren, was dich freuen kann.« Statt der Antwort verneigte sie sich weinend bis zur Erde. Der Kalif befahl hierauf, ihre Laute zu bringen, und ersuchte sie, ihn etwas hören zu lassen. Sie tat dies auf folgende Weise, indem sie dem Gefühle ihres Herzens freien Lauf ließ:

»Ich beschwöre dich (Geliebter) bei der Reinheit deines Herzens und der Wonne deines lächelnden Mundes, sage mir, drückt dich der Kummer wegen unsrer Trennung, ist dein Herz bewegt?

Ach wie viele sind schon dem Schmerze der Liebe unterlegen! Auch ich ertrage den meinigen nicht, und keines Tadlers Vorwurf schreckt mich mehr!«

Als sie geendet hatte, warf sie die Laute aus ihren Händen, weinte und überließ sich so sehr der Betrübnis, daß sie ohnmächtig wurde. Da befahl der Kalif, sie in ihr Gemach zu bringen. Er aber wurde von ihr immer mehr eingenommen und liebte sie nur noch beharrlicher. Nach einiger Zeit ließ er sie wieder vor sich fordern und verlangte, daß sie ihm wieder etwas vorspielte. Sie tat es, indem sie ihre Empfindungen nochmals durch folgende Worte ausdrückte:

»Ich bin unfähig, die Trennung von ihm zu ertragen, da wir nur eines Herzens waren.

Du verlangst von mir, was ich nicht gewähren kann. Beharrst du länger noch dabei, so werde ich bald nicht mehr sein.«

Sie warf die Laute dann wieder von sich und weinte, woraus sie wieder nach ihrem Zimmer gebracht wurde. Ihr Kummer hatte sich während dieser Zeit nicht vermindert, und ihre Sehnsucht hatte nur zugenommen. Nach einiger Zeit ließ der Kalif sie zum dritten Male vor sich rufen und befahl ihr, zu singen.

 

Neunhundertundeinundsechzigste Nacht.

Sie nahm die Laute und sang:

»Werde ich wohl je den Geliebten wiedersehen, von dem ich so gewaltsam getrennt wurde?

O wie schön war doch sein Anblick! Wie glänzend sein Gesicht! Glich er der Sonne oder dem aufgehenden Monde?

Ich bitte den, der uns trennte und unsere Trennung veranlaßte, daß er uns wieder vereinige.«

Als sie geendet hatte, sprach der Kalif zu ihr: »Mädchen, ich sehe, du liebst?« – Sie bejahte es. – »Wen liebst du?« fragte er weiter. »Meinen Herrn, den Besitzer meines Herzens und meiner Person, denjenigen, zu dem meine Liebe so groß ist wie der Durst der Erde nach Regen. Seine Liebe hat mein Blut und mein Innerstes durchdrungen. O Fürst der Gläubigen, wenn du nur seiner erwähnst, so entbrennt mein ganzes Herz. O könnte ich doch meinen Wunsch befriedigen, ihn zu sehen, und wenn ich nicht fürchtete, zu sterben, ohne ihn noch einmal zu erblicken, so würde ich mich selbst töten.« – »Du bist,« erwiderte der Kalif, »in meiner Gegenwart und wagst es, solche Reden zu führen? Wahrlich, ich werde dir deinen Herrn vergessen machen.« Er befahl hierauf, daß sie in ihr Gemach zurückgeführt würde, und schickte ihr durch eine Sklavin zum Geschenk ein Kästchen, worin dreitausend Goldstücke sich befanden nebst einem vollständigen Schmucke von Gold, mit Perlen und Edelsteinen verziert, dreitausend Dukaten an Wert. Indem jene es ihr überreichte, sagte sie: »Das Geschenk und die Überbringerin sind dein.« – »Behüte Gott,« waren die einzigen Worte der Sittulmulach, »daß ich meinen Herrn und meine Liebe zu ihm je vergesse, und wäre es auch um die ganze Erde voll Gold.« hieraus begann sie folgende Verse herzusagen:

»Mögen sie doch immer sagen: »Laß ab von deiner Liebe zu ihm: vergiß ihn, und liebe einen andern.«

Stets werde ich antworten: »Bei seinem Leben, wie könnte ich diesen Vollmond vergessen, der die Schönheit zum Gewand hat, und von dessen Wangen Lichtglanz strahlet.«

Einige Tage später ließ sie der Fürst der Gläubigen nochmals zu sich rufen und befahl ihr, etwas zu singen, worauf sie folgendes Lied anstimmte:

»Das Herz des Liebenden neigt sich stets zu der Geliebten, wenngleich sein Geist durch Schmerz und Kummer gedrückt wird.

Sollte mich jemand fragen: »Wie findest du diese Liebe?«, so würde ich antworten: »Sie ist zwar sehr bitter, aber dennoch süß.«

Als sie diese Verse geendigt hatte, warf sie die Laute abermals hin, weinte und wurde ohnmächtig, so daß sie durch Rosenwasser und andere Wohlgerüche wieder zu sich gebracht werden mußte. Sobald sie wieder zu Kräften gekommen war, sprach Harun Arreschid zu ihr: »Das ist sehr unbillig von dir, Sittulmulach. Wie kannst du jemandem andern zugetan sein, da ich dich so sehr liebe.«

»O Fürst der Gläubigen,« antwortete sie, »das steht nicht in meiner Macht. Es ist mir unmöglich, ihn zu vergessen.« – »Bei der Wahrheit Muhammeds, des Propheten,« schwor nun der Kalif, »wenn du von nun an irgend eines andern außer mir in meiner Gegenwart Erwähnung tust, so befehle ich, daß man dir den Kopf abschlage.« Er ließ sie sodann in ihr Gemach zurückbringen, wobei sie viele Tränen vergoß und zugleich folgende Verse sang:

»Wahrlich, wenn ich sterben könnte, o wie lieb wäre mir dies! Denn der Tod ist geringer als das, was ich jetzt erdulden muß.

Sollte man auch meinen Körper in Stücke zerhauen, so wäre dies doch für mich Liebende keine Strafe.«

Was unterdes den Kalifen anbetrifft, so begab er sich zu der Sultanin Sobeïde. Seine Farbe war vor Zorn ganz verändert. Die Sultanin, die es ihm sogleich ansah, fragte ihn: »Warum sehe ich meinen Fürsten so verändert?« – »Liebe Nichte,« antwortete er ihr, »ich besitze ein schönes Mädchen, die sehr geschickt ist im Hersagen von Versen, und die mein Herz ganz eingenommen hat. Aber leider liebt sie einen andern und erklärt ganz deutlich, daß sie ihrem Herrn treu ergeben ist. Indes ich habe einen großen Schwur getan, daß, wenn sie in meiner Gegenwart für einen andern als für mich singen sollte, ich ihr das Haupt abschlagen lassen werde.« Als die Sultanin dieses hörte, bat sie ihn, er möchte erlauben, daß sie vor sie gebracht würde, damit sie dieselbe sehen und etwas von ihrem Gesange hören könne. Der Kalif erteilte sogleich den Befehl, daß sie vorgeführt würde, und Sobeïde begab sich hinter einen Vorhang, um nicht von ihr gesehen zu werden. Sobald jene ankam, wurde sie von dem Kalifen ausgefordert, zu singen, und sie tat es in folgenden Worten:

»O! Geliebter, von dem Tage an, da ich Euch verlassen habe, hat das Leben aufgehört, für mich angenehm zu sein; denn mein Herz ist tief betrübt.

Mit jedem Augenblick tötet mich die Erinnerung an Euch. Bald wird jede Spur von mir von der Erde vertilgt sein.

Denn wegen seines Verlustes gleiche ich einer linken Seite, der die rechte fehlt.

Denn die Schönheit selbst schien auf seine Wange geschrieben zu haben: Gepriesen sei Gott, der größte Schöpfer!«

Als sie ihre Verse geendigt hatte und Harun dieses hörte, geriet er von neuem in Wut und sprach: »Möge Gott euch nie miteinander vereinigen!« Zugleich befahl er dem Scharfrichter, ihr den Kopf abzuschlagen.

 

Neunhundertundzweiundsechzigste Nacht.

Mesrur, der Scharfrichter, nahm sie hierauf bei der Hand und wollte sie zur Türe hinausführen. Da wendete sie sich um und sprach: »Ich beschwöre dich, o Fürst der Gläubigen, bei dem Namen deiner Väter und Voreltern, daß du anhörest, was ich dir zu sagen habe«, und zugleich sprach sie folgende Verse:

»O Fürst! dem die Gerechtigkeit zu handhaben über seine Untertanen anvertraut worden ist, sei wohlwollend gegen dieselben; Gerechtigkeit gehört zu den edelsten Zeichen der Großen.

Wie kann man denn Liebende wegen ihrer Liebe tadeln? Ist denn die Liebe ein Verbrechen?

Bedenke dieses, o Fürst! Ich beschwöre dich bei demjenigen, der dir dieses Reich verliehen hat, denn das Reich in dieser Welt ist ja nur ein Geschenk, verliehen von Gott!«

Nun führte sie Mesrur weiter fort, verband ihr die Augen, ließ sie sich setzen und wartete einen zweiten Befehl ab. Da sprach die Sultanin Sobeïde: »O Fürst der Gläubigen! du scheinst mir in betreff dieses Mädchens ungerecht zu handeln. Ich vermisse ganz deine dich so auszeichnende Langmut, und die Hinrichtung der Unschuldigen sieht dir nicht ähnlich.« – »Was hat es denn,« erwiderte er, »für eine Bewandtnis mit diesem Mädchen?« – »Laß sie doch nicht töten,« sprach die Sultanin, »sondern gib Befehl, daß ihr Herr vorgeführt werde. Wenn er so schön ist, wie sie ihn beschreibt, und alle die Vollkommenheiten besitzt, die sie von ihm erzählt, so wirst du dich selbst überzeugen, daß sie zu entschuldigen ist. Ist er aber nicht so schön, so kannst du sie unter diesem Vorwande töten lassen.« – »Dieser Vorschlag ist nicht übel,« sagte der Kalif und befahl, daß sie in ihr Zimmer geführt würde. »Das hast du der Sultanin Sobeïde zu verdanken,« sagte er zu ihr bei ihrem Weggange, »welche mir vorgeschlagen hat, deinen Herrn vorzufordern. Finde ich ihn so schön, wie du ihn beschreibst, so sehe ich wohl ein, daß du zu entschuldigen bist.« – »Gott vergelte,« sprach die Sklavin, »der Sultanin Sobeïde an meiner Statt das Gute, was sie mir erwiesen hat, und du, o Fürst der Gläubigen, hast durch diesen Ausspruch neue Beweise deiner Gerechtigkeitsliebe gegeben.« – »Gehe,« sagte er hierauf, indem er sie entließ, »morgen werden wir deinen Herrn holen lassen.« Hier neigte sie sich zur Erde und sagte folgende Verse:

»Ich finde Wohlgefallen an dem, den ich liebe. Wer da will, kann mich tadeln, doch werden mir auch viele Beifall schenken.

Der Tod kommt nur in der bestimmten Zeit, doch der meinige wird früher eintreten, wenn mich wegen meiner Wahl Tadel trifft.

O du! aus Liebe zu dem ich jetzt in Gefahr bin, mein Leben zu verlieren, glaube mir, ich murre nicht; mein einziger Wunsch ist, dich noch einmal zu sehen. Komm also bald!«

Nach Vollendung dieser Verse begab sie sich in ihr Zimmer.

Am andern Morgen, als der Kalif Audienz gab, trat sein Wesir Giafar zu ihm. Er ließ ihn sogleich näher kommen und sagte zu ihm: »Ich beauftrage dich hiermit, daß du einen gewissen Nureddin Ali aus Damaskus zu mir kommen lassest, der vor einiger Zeit in Bagdad angekommen ist.« Der Wesir verneigte sich und ging hinaus, um die nötigen Befehle zur Herbeischaffung des Nureddin zu geben.

Schon drei Tage lang waren die Straßen, die öffentlichen Märkte, die Warenniederlagen und die Wirtshäuser Bagdads durchsucht worden, und am vierten Tage begab sich Giafar zum Kalifen, um ihn von der Fruchtlosigkeit seiner Nachforschungen zu benachrichtigen. Da sprach der Kalif: »Schreibe nach Damaskus, vielleicht ist er in sein Vaterland zurückgekehrt.« Giafar schrieb dahin und schickte den Brief mit einem Dromedarboten nach Damaskus ab, allein auch in seiner Vaterstadt wurde er vergeblich gesucht. Während dieser Zeit kamen Nachrichten aus Chorassan, daß nämlich dieses Land von den Truppen des Kalifen erobert worden sei. Harun empfand darüber große Freude und befahl, alle in solchen Fällen üblichen Festlichkeiten anzustellen – auch verordnete er, daß alle Gefangene in Freiheit gesetzt und jedem derselben ein Goldstück und ein Kleid gegeben würde. Giafar hatte es übernommen, diese Festlichkeiten zu veranstalten, sein Bruder Alfadl dagegen hatte sich dem Geschäft unterzogen, die Gefangenen loszulassen und sie zu kleiden. Er hatte dies auch so schnell ausgeführt, daß binnen kurzer Zeit alle in Freiheit gesetzt waren, nur der unglückliche Nureddin schmachtete noch in den Fesseln, in welchen er nicht aufhörte, den allmächtigen und gnädigen Gott um seine Befreiung anzuflehn. Alfadl fragte den Gefangenenwärter, ob sich irgend ein Gefangener noch in dem Gebäude befände, und da dieser die Frage mit Nein beantwortete, so war er eben im Begriff, wegzugehn, als er die Stimme des Nureddin hörte, welcher ihm zurief: »O Herr, weile noch, es ist niemand mehr übrig als ich, der ich ungerechterweise hier schmachte. Es ist ja heute ein Tag allgemeiner Verzeihung, an dem keiner unerhört von dannen gelassen wird.« Da befahl Alfadl sogleich, ihn freizulassen, er gab ihm zugleich ein Gewand und ein Goldstück, worauf er sich entfernte. Nureddin aber war ganz erstaunt und wußte nicht, wo er sich jetzt hinwenden sollte; denn er hatte mehr als ein ganzes Jahr schon in dem Kerker gesessen. Sein ganzes Wesen hatte sich verändert, sein Ansehen sich verschlechtert, und aus Besorgnis, einer seiner Verfolger möchte ihn erblicken, sah er sich unterwegs sehr oft um. Muradi aber, der bald von seiner Freilassung Kunde bekam, eilte sogleich zu dem Vorsteher und sagte zu diesem: »Mein Herr, wir sind nun unsers Lebens nicht mehr sicher wegen des Mannes, den wir dazumal ins Gefängnis warfen. Denn nun ist er freigelassen, und es kann nicht fehlen, daß er gegen uns Klage führe.« – »Was ist hierbei zu tun?« fragte jener. – »Wenn du mir freie Hand läßt,« antwortete Muradi, »so will ich ihn in ein Unglück stürzen, welches uns sichern wird.« Er entfernte sich also schleunigst, spürte Nureddin nach, und zu dessen Unglück traf er ihn auch in einer engen Straße, die keinen Ausweg hatte. Er eilte auf ihn zu und warf ihm einen Strick um den Hals, indem er ausrief: »Ein Dieb, ein Dieb!« Nun kamen Leute von allen Seiten herzu, schlugen auf ihn los und schleppten ihn fort, ohne auf seine Bitten zu hören. »Wie?« rief Muradi ihm grimmig zu, »gestern erst hat dich der Fürst der Gläubigen in Freiheit gelassen, und heute stiehlst du schon wieder?« Dieses erbitterte die Leute noch mehr gegen ihn, und sie leisteten dem Muradi allen möglichen Beistand. Als er ihn endlich zu dem Vorsteher gebracht hatte, befahl dieser, ihm die Hand abzuhauen. Der Vollstrecker dieses Befehls ergriff ihn, zog das Messer heraus, und Muradi sagte zu ihm: »Haue ab und zerschneide den Knochen und bediene dich nicht des glühenden Eisens, um das Blut zu stillen, damit wir seiner endlich los werden.« In diesem Augenblick trat Achmed herein, welcher schon früher einmal Ursache seiner Rettung gewesen war, und sprach: »O ihr Leute, fürchtet Gott wegen dieses jungen Mannes. Ich weiß, wie sich alles mit ihm verhält, und wenn ihr nicht von ihm sogleich ablasset, so begebe ich mich diesen Augenblick zu dem Kalifen und erzähle ihm die ganze Sache.« Muradi aber entgegnete: »Wir sind alsdann nicht sicher, daß er uns verrät.« Da sagte Achmed: »Laßt ihn frei und übergebt ihn mir; ich will euch Bürge sein, daß ihr ihn von jetzt an nie wiedersehen werdet.« Sie überlieferten ihm also Nureddin. Als Achmed mit ihm wegging, sagte er zu ihm: »Habe Mitleid mit dir selbst; denn schon bist du zweimal in die Hände der Gottlosen gefallen. Wenn sie sich ein drittesmal deiner bemächtigen können, so bist du verloren. Ich will indes an dir ein gutes Werk tun, den Lohn und das Wohlgefallen Gottes erwerben und hoffen, daß mein Gebet erhört werden wird.« Nureddin küßte ihm vor Freude und Dankbarkeit die Hand, wünschte ihm allen göttlichen Segen und sprach: »Du weißt, daß ich in deinem Lande fremd bin. Eine gute Handlung vollenden, ist aber besser, als sie bloß anfangen. Daher ist mein einziger Wunsch an deine Güte, du möchtest mir die Wohltat erweisen und mich bis an das Stadttor geleiten. Das ist alles, was ich von deiner Güte mir ausbitte, und was dir Gott reichlich lohnen wird.« – »Es soll dir nichts Böses widerfahren,« antwortete ihm Achmed, »ich gehe nicht eher von dir, als bis du außer Gefahr bist.« Als sie an das Stadttor gelangt waren, sprach er: »Gehe nun unter dem Schutz Gottes von dannen, kehre aber nie mehr in diese Stadt zurück; denn wenn jene dich noch einmal sehen, so ist dein Tod gewiß.«

Nureddin küßte ihm die Hand, dankte ihm, entfernte sich und hörte nicht auf, immer weiter zu gehen, bis er an eine Moschee gelangte, welche am Ende der Vorstadt gelegen war. Da die Nacht bald anbrechen wollte, ging er hinein, und da er nur notdürftig bekleidet war, so hüllte er sich in einen der Teppiche dieser Moschee, welche in derselben ausgebreitet waren, um das Gebet knieend auf ihnen zu verrichten. Bald darauf kamen die Gebetausrufer herein und fanden ihn in dem beschriebenen Zustande. Als nun einer derselben ihn um die Ursache fragte, antwortete er: »Ich begebe mich unter deinen Schutz vor einigen gottlosen Leuten, die mich ungerechterweise töten wollen.« – »Mein Sohn,« antwortete ihm jener, »du sollst meines Schutzes genießen; sei unbesorgt und beruhige dich.« Zugleich gab er ihm ein altes Kleid, um sich zu bedecken, und reichte ihm auch etwas zu essen. Da er in der Folge an ihm immer mehr gute Eigenschaften bemerkte, so sagte er zu ihm: »Ich bin, wie du siehest, sehr alt, und ich wünsche sehr, daß du mich in meinen Beschäftigungen unterstützest, dafür werde ich allen deinen Kummer lindern.« Nureddin willigte sehr gern in diesen Vorschlag ein, und von nun an besorgte er das Amt des Greises, indem er am Morgen das laute Gebet verrichtete, auf dem Turme der Moschee die Gebetszeit ausrief, die Kerzen in der Moschee anzündete, die Gefäße zu den Abwaschungen mit Wasser anfüllte, die Moschee auskehrte und rein hielt, wobei denn der Greis ausruhen konnte.

Was unterdes die Sittulmulach betrifft, so hatte die Fürstin Sobeïde ein Gastmahl veranstaltet, bei welchem alle ihre Sklavinnen zugegen sein mußten. Auch jene wurde herbeigeholt. Sie erschien indes traurig und weinend, weshalb sie die Anwesenden tadelten, worauf sie folgende Verse hersagte:

»Ihr tadelt einen Betrübten, der aus Kummer weint. Soll denn der Betrübte nicht seinen Kummer durch Seufzer äußern?

Wenn nicht einst ein Tag mir Trost bringt, so werde ich weinen, bis statt Tränen Blut aus meinen Augen fließet.«

Als sie diese Verse geendigt hatte, befahl die Fürstin Sobeïde, daß jedes Mädchen ihr ein Lied singen sollte. Endlich kam auch die Reihe an Sittulmulach, welche ihre Laute nahm, sie stimmte und vierundzwanzig Gänge in verschiedenen Tonarten ausführte, darauf in die erste Tonart zurückkam und folgende Verse sang:

»Das Mißgeschick hat auf mich alle seine Pfeile versendet und mich von meinem Freunde getrennt.

Deshalb vereinigt sich in meinem Herzen der Brand aller Herzen und in meinem Auge die Tränen aller Augen.«

Nach Endigung dieser Verse ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Auch die Anwesenden wurden davon gerührt, und Sobeïde bezeigte ihr das höchste Mitleiden und sprach: »Liebe Sittulmulach, derjenige, den du liebst, ist, glaube ich, nicht in der Welt; denn der Fürst der Gläubigen hat ihn überall suchen lassen, und bis jetzt ist er noch nicht gefunden worden.« Da stand jene auf, küßte der Fürstin die Hand und sprach: »Wenn er nicht gefunden werden sollte, so habe ich an dich eine Bitte, deren Erfüllung du bei dem Kalifen bewirken kannst.« – »Und worin besteht diese?« – »Daß du nämlich,« erwiderte sie, »mir die Erlaubnis verschaffst, auszugehen und ihn selber drei Tage überall suchen zu dürfen; denn das Sprichwort sagt: Derjenige, welcher wegen eigenen Kummers weint, ist nicht wie das gemietete Klageweib. Sobald ich ihn finde, führe ich ihn dann dem Fürsten der Gläubigen vor, damit er mit uns schalten könne, wie er wolle. Wenn ich ihn aber nicht finde, so werde ich alle Hoffnung, ihn wiederzusehen, verlieren, und die Liebe zu ihm wird erkalten.« – »Nein,« erwiderte Sobeïde, »ich will dir nicht drei Tage, sondern einen vollen Monat auswirken.«

 

Neunhundertunddreiundsechzigste Nacht.

Da dankte Sittulmulach und ging in ihr Zimmer. Die Fürstin Sobeïde aber begab sich zum Kalifen, unterhielt sich mit ihm eine Zeitlang, küßte ihm die Stirn und dann seine Hände, bat ihn um die Erfüllung dessen, was sie der Sittulmulach versprochen hatte, und endigte mit der Bemerkung, daß sie ihren Herrn wohl nicht finden werde, und wenn sie ihn eine Zeitlang würde vergebens gesucht haben, so würde ihre Sehnsucht nach ihm nachlassen und ihr Gemüt sich beruhigen, hierauf spielte und scherzte sie noch eine Weile mit ihm; denn es lag in ihrer Natur, immer heiter und spielend zu sein. Kurz, sie lag ihm so lange deshalb an, bis er endlich erlaubte, daß sie einen Monat lang ihren Herrn aufsuchen dürfe. Er bewilligte ihr zugleich ein Maultier, um darauf zu reiten, und einen Diener zur Bedienung, und seinem Wechsler befahl er, ihr alles, was sie brauchte, zu zahlen, wären es auch tausend Drachmen täglich und noch mehr.

Die Fürstin ging nun sogleich in ihr Schloß und befahl, eiligst die Sittulmulach zu ihr zu holen. Diese kam an und wurde sogleich durch sie von dem Vorgefallenen benachrichtiget. Über diese Botschaft war sie denn sehr erfreut, dankte ihr und beschäftigte sich, sobald sie in ihr Zimmer zurückgekehrt war, mit den Vorbereitungen zur Abreise. Sie verschleierte sich und machte sich durch Verkleidung unkenntlich, bestieg dann am andern Tage das Maultier und durchstreifte drei Tage lang die Stadt und die Märkte Bagdads, ohne den Gesuchten zu finden. Am vierten Tage begab sie sich aus der Stadt hinaus, und zwar durch dasselbe Tor, wodurch Nureddin gegangen war. Da es Mittag und sehr heiß war und sie sich auch müde und durstig fühlte, so begab sie sich nach der Moschee, in der sich jener Greis befand, der Nureddin darin Aufenthalt gegeben hatte. Sie stieg an der Türe dieses Gotteshauses ab und sprach zu dem Alten, der eben an der Türe stand: »Kannst du mir einen Trunk frischen Wassers geben?« »In meiner Zelle kannst du es bekommen,« erwiderte er, »komm mit mir.« Sie folgte ihm, und er breitete ihr sogleich einen Teppich mit Kissen aus, worauf sie sich setzte und von dem Greise frisches Wasser empfing, welches sie trank, hierauf sagte sie zu ihrem Diener: »Gehe mit dem Maultiere weg und komme morgen wieder zu mir hierher.« Dann legte sie sich, ruhte aus und verfiel in einen wohltätigen Schlaf. Als sie aufwachte, verlangte sie von dem alten Manne Speise, worauf er ihr Brot und Oliven brachte. »Diese Speise,« sagte sie zu ihm, »taugt nur für dich; ich muß gebratenes Fleisch, kräftige Brühen, gebackne fette Hühner, gefüllte Enten mit allen Arten wohlschmeckender Sachen, mit Mandeln und Zucker haben.« Da antwortete ihr der Greis: »Meine Fürstin, diese Art Speisen kenne ich gar nicht, von dergleichen habe ich noch nie im Koran gelesen, auch ist nie etwas Ähnliches unserm Propheten, dem Gott günstig sein möge, herabgesandt worden.« Da lachte sie und sprach: »Dessenungeachtet verhält sich die Sache, wie ich dir sage; aber bringe mir ein Schreibzeug und Papier.« Dieses brachte er ihr, und sie schrieb nun ein Zettelchen, welches sie ihm nebst ihrem Siegelringe übergab, und sprach: »Nimm dieses, gehe in die Stadt und frage nach dem und dem Wechsler und übergib ihm diesen Zettel.« Diesen Befehl führte der Mann nach ihrer Vorschrift aus. Er fragte nach dem Wechsler, man zeigte ihm selbigen an, und er überreichte ihm das Papier mit dem Ringe. Als dieser es sah und den Siegelring erkannte, küßte er es, öffnete es, las es und begab sich sogleich auf den Markt, um alles das einkaufen zu lassen, was sie ihm vorgeschrieben hatte. Alles dieses tat er dann in den Korb eines Lastträgers und befahl ihm, dem Greise zu folgen. Dieser brachte ihn sofort zur Sittulmulach, ließ den Lastträger ablegen und überreichte ihr das Eingekaufte. Nachdem sie alles ausgepackt und gehörig geordnet hatte, nötigte sie den Greis, sich neben sie zu setzen und mit ihr von diesen kostbaren Speisen zu essen. Als sie gesättigt waren, stand der Alte auf und trug die Speisen ab: sie aber brachte die Nacht bei ihm so wie die vorige zu. Am andern Morgen sprach sie zu ihm: »Ich kann deiner Güte wegen meines heutigen Mittagessens nicht entbehren. Habe also die Gefälligkeit, zu dem Wechsler zu gehen und ihn etwas Ähnliches wie gestern einkaufen zu lassen.« Dieser begab sich auch sogleich zu dem Wechsler, sagte ihm, was ihm aufgetragen war, und dieser besorgte alles Verlangte, welches er einem Lastträger übergab, den der Greis bis zu ihr geleitete. Sie ließ wie den Tag vorher den Greis neben ihr sitzen und mit ihr essen. Nach Abtragung der Speisen nahm sie Früchte und wohlriechendes Zuckerwerk, legte es vor sich hin und bildete sinnreiche Figuren, wie Siegelringe, Ketten, Buchstaben und Schriftzüge. Darüber erstaunte der Greis sehr, denn er hatte in seinem Leben noch nie solch sinnreiches Spielwerk gesehen, und fand daran ein ganz besonderes Wohlgefallen. Endlich bat sie ihn um etwas zu trinken. Da stand er auf und brachte ihr einen hölzernen Becher mit Wasser. »Wem bringst du das?« fragte sie ihn. – »Dir,« antwortete er, »hast du mir nicht gesagt, daß du trinken willst?« – »Das mag ich nicht,« antwortete sie, »ich will Wein zur Aufheiterung des Geistes, denn ich bedarf es.« – »Behüte Gott,« rief er erschrocken aus, »daß jemand in meinem Hause Wein trinken sollte! Ich bin ein alter Mann, ein Gebetausrufer, ein Priester, welcher den Gläubigen Gebete vorbetet, und ein Diener des Hauses des Herrn der Kreaturen.« – »Warum willst du mich denn abhalten, in deinem Hause Wein zu trinken?« unterbrach sie ihn. – »Weil er verboten ist,« war seine Antwort. – »Mein würdiger Alter,« sprach sie hierauf, »Gott hat verboten den Genuß des Blutes der gestorbenen Tiere und den des Schweinefleisches. Ist denn aber das Pflegen der Weinstöcke, der Genuß der Trauben und das Halten des Honigs erlaubt oder verboten?« – »Das ist erlaubt,« erwiderte er. – »Was ist denn das anders,« entgegnete sie, »als das ausgepreßte Wasser der Trauben und des Honigs?« – »Laß ab von diesen Reden,« erwiderte er, »aber ich versichere dich, in meinem Hause wirst du keinen Wein trinken.« – »Lieber Alter,« sagte sie hierauf, »die Leute essen ja, trinken und ergötzen sich; wir gehören ja mit zu den Leuten, und Gott ist langmütig und barmherzig.« – »Das kann ich nimmermehr gestatten,« antwortete er. – »Sind dir denn nicht die Verse bekannt,« erwiderte sie, »die ein gewisser Dichter gesagt hat:

»Höre auf, andre anzuhören, mir schenke jetzt dein Ohr, obgleich nichts strenger aus dem Hause der Mönche entfernt ist als die Liebe.

Wie gern erinnere ich mich an jenen Jüngling, der uns, obgleich für Liebe unempfänglich, die Becher füllte.

In jener Nacht, wo wir selbdritt, ein Muhammedaner, ein Jude und ein Christ, so fröhlich vereint waren!

Noch unterhielt er uns, als schon der Morgen uns noch beim Trinken antraf, uns alle, eines Sinnes die wohlduftende Morgenluft einatmend.

In einem von den Gärten des Paradieses glaubten wir uns zu befinden, dessen Bäche unter den Myrten und Mirobolanbäumen dahinströmten;

Dessen Vögel auf den Ästen Freudengesänge anstimmten und uns zusangen: Das heißt wahrhaftig leben, wenn man es wie ihr genießt! Nur leider! daß es so vergänglich ist!«

Wenn also,« fügte sie hinzu, »Muhammedaner, Christen und Juden Wein trinken, wer sind wir denn da, daß wir keinen genießen?« – »Ich beschwöre dich bei Gott,« fiel er ihr ins Wort, »brich ab, denn ich werde dich nicht mehr anhören.« Als sie also sah, daß er ihr nicht willfahren wollte, so sagte sie zu ihm: »Wisse, o Greis, daß ich eine Frau des Fürsten der Gläubigen bin. Ich empfinde nun Übelkeiten von dem zu vielen Essen, und wenn ich also nicht Wein trinke, so kann es mein Tod sein, und du kannst die Folgen davon nicht wissen. Ich warne dich daher vor dem Zorne des Kalifen. Mehr werde ich dir nicht sagen, ich habe mich dir genug entdeckt.« Nunmehr stand er verlegen auf und wußte nicht, was er beginnen sollte.

 

Neunhundertundvierundsechzigste Nacht.

Durch diese Drohung beunruhigt, ging der Greis aus seinem Hause und begegnete auf der Straße einem Juden, der sein Nachbar war. »Was fehlt dir?« fragte ihn dieser, »du siehst heute so betrübt aus; auch geht es in deinem Hause viel lebhafter als gewöhnlich zu, denn ich höre laut reden, was ich sonst nie bei dir bemerke.« – »Das Mädchen, welches bei mir ist,« antwortete der Greis, »sagt, sie sei eine Frau des Kalifen. Sie hat soeben gegessen, und nun verlangt sie Wein in meinem Hause, das habe ich ihr nun zwar verweigert, aber sie besteht darauf und sagt, daß sie krank wäre, und daß es ihr Tod sein könnte, wenn sie keinen bekäme, weshalb sie mich vor dem Zorne des Kalifen warnte. Dieses macht mich natürlich bestürzt.« – »Lieber Nachbar,« erwiderte der Jude, »die Frauen des Kalifen sind gewohnt, Wein zu trinken, und es ist ganz natürlich, daß, wenn sie zuviel gegessen haben und keinen Wein darauf trinken, sie gefährlich krank werden können. Ich fürchte daher selbst, daß ihr etwas zustoßen möge, und dann bist du freilich vor dem Zorne des Kalifen nicht sicher.« – »Was ist denn hier zu tun?« sagte jener. – »Ich habe alten Wein bei mir; der wird ihr sehr dienlich sein.« – »Bei den Frauen des Kalifen beschwöre ich dich,« sagte hierauf der Greis, »daß du mir etwas davon ablässest.« – »In Gottes Namen,« antwortete der Jude, ging in sein Haus und brachte eine Karaffe Wein, die der Alte nahm, der nun damit zu der Sittulmulach ging und sie vor sie hinsetzte. Sie kostete ihn und fand ihn vortrefflich. »Woher hast du diesen Wein?« fragte sie den Alten hierauf. – »Von einem Juden, meinem Nachbar, dem habe ich meinen ganzen Kummer wegen dir erzählt; da hat er mir denn dies hier gegeben.« Sie füllte nunmehr einen Becher und trank ihn, dann einen zweiten und noch einen dritten und leerte sie jedesmal. Nun goß sie einen vierten ein und überreichte ihn dem Greise. Dieser nahm ihn aber nicht an. Da beschwor sie ihn bei ihrem Leben und bei dem Haupte des Fürsten der Gläubigen, daß er diesen Becher von ihrer Hand annehmen möge. Er nahm ihn also von ihr an, küßte ihn und wollte ihn wieder wegsetzen. Da beschwor sie ihn nochmals, daß er wenigstens riechen möge. Das tat er denn auch. »Nun, wie findest du ihn?« fragte sie ihn darauf. »Sehr angenehm,« war seine Antwort. Dann beschwor sie ihn bei dem Leben des Kalifen, daß er ihn wenigstens kosten möchte. Dazu ließ er sich auch bereden und brachte den Becher an seinen Mund; sie aber stand auf und bog ihm den Becher so, daß der Wein in seinen Mund laufen mußte, wobei er sagte: »O Sittulmulach, das ist, ich muß es gestehen, etwas sehr Gutes.« – »Das denk' ich auch,« erwiderte sie, »übrigens hat uns Gott ja den Wein im Paradiese versprochen; denn er sagt: ›Ströme von Wein sollt ihr dort haben zur Wonne der Trinkenden.‹ Siehe,« fügte sie dann hinzu, »wie gut haben wir es, wir können ihn in dieser Welt und in jener trinken.« Sie schenkte sich hierauf wieder einen Becher ein, trank ihn, füllte noch einen und ließ ihn den Greis austrinken. »O Sittulmulach,« sagte dieser nun zu ihr, »du bist sehr zu entschuldigen, daß du dieses Getränk liebst.« Er nahm nunmehr gutwillig einen und dann noch einen Becher an, so daß er trunken wurde und viel zu schwatzen anfing. Das hörten die Vorübergehenden und versammelten sich unter seinem Fenster. Als der Greis sie bemerkte, sah er hinaus und schrie ihnen zu: »Schämt ihr euch nicht, ihr Leute? Jeder von euch macht in seinem Hause, was er will, und niemand legt ihm etwas in den Weg; wir aber haben kaum heute, diesen einzigen Tag, etwas getrunken, und sogleich versammelt ihr euch hier?« Da lachten sie über ihn und gingen auseinander. Sittulmulach trank hierauf noch etwas, und sie selbst wurde trunken. Da erinnerte sie sich an Nureddin und weinte. »Warum weinst du?« fragte sie der Greis. – »Ach,« erwiderte sie, »ich liebe, und ich bin getrennt.« »Was ist das, Liebe?« fragte er sie. – »Hast du in deinem Leben nicht geliebt?« entgegnete sie ihm. – »Bei Gott, in meinem Leben habe ich nie dieses Wort aussprechen hören, und ich weiß nicht, ob das eine Eigenschaft der Menschen oder der Geister ist.« Da lachte sie über seine Einfalt und sprach: »Wenn dem also ist, so bist du, wie der Dichter spricht:

»Wie oft werdet ihr gewarnt, aber jede Aufforderung ist vergebens, während doch die Tiere, wenn ihnen der Hirte zuruft, dem Zuruf Gehör geben!

Seid ihr nicht auch Menschen, für welche die Liebe ein Gegenstand der Wünsche sein sollte? Aber weder Liebe noch Wein erregt eure Begierde.

Menschen gleichet ihr zwar eurer Gestalt nach, aber eure Bestimmung erfüllet ihr nicht.«

Als sie diese Verse geendet hatte, lachte er und hatte Wohlgefallen an ihrer Rede, und da sie ihn hierauf um eine Laute bat, so stand er auf und brachte ihr ein Stück Holz. »Was ist das?« sagte sie, »habe ich dir nicht gesagt, du solltest mir eine Laute bringen?« »Wie, ist denn die Laute etwas anders, als was ich dir hier gebracht habe?« – Da lachte sie über ihn und sprach: »Die Laute ist ein musikalisches Instrument, wozu ich singen will.« – »Wo werde ich das finden?« antwortete er hierauf. – »Bei dem,« erwiderte sie, »der dir den Wein gegeben hat.« Er machte sich also auf, ging zu seinem Nachbar, dem Juden, und bat ihn um ein Ding, was man Laute nennte. Dieser war sogleich bereit und übergab ihm eine, welche der Greis sofort dem Mädchen brachte. Der Jude aber setzte sich mit einem Kruge Wein an ein Fenster, welches der Wohnung des Greises gegenüber war, um den Gesang zu hören. Als das Mädchen die Laute erblickte, freute sie sich außerordentlich, nahm sie aus den Händen des Greises, stimmte sie und sang:

»Kaum habe ich, seitdem ihr mir fehlet, noch einen erkennbaren Körper, bloß die Hoffnung erhält ihn aufrecht.

Ach, sobald ihr mir entschwunden waret, war die Welt mir entfremdet, nun ist mir nichts zum Ersatz für euch, und ich fühle mich zu schwach, dies zu ertragen.

Berauscht aber werde ich vor Vergnügen, wenn Lüfte aus euren Gegenden wehen, als hätte ich den stärksten Wein getrunken.

Nach allen Gegenden habe ich mich bereits hingewendet, um euch zu suchen, allein sooft ich ein Haus betrete, höre ich leider, daß ihr es schon verlassen habt.

Ach meine Freunde! die Liebe ist schwer zu ertragen, denn ist nicht der Kummer ihr Begleiter, so ist es der Tadel der Neider.«

Als sie geendet hatte, überließ sie sich ihrer Betrübnis. Hierauf bemächtigte sich ihrer der Schlaf, und sie ruhte bis an den Morgen, wo sie den Greis wieder beauftragte, zum Wechsler zu gehen und das Nötige für den Tag zu besorgen. Als er zurückgekommen war, verlangte sie Wein, den er ihr auch sogleich von dem Juden brachte. Sie setzten sich zum Trinken hin, und als sie etwas fröhlich geworden war, nahm sie die Laute und sang:

»Wie lange soll ich noch das Herz meines Geliebten suchen, während das meinige in Kummer versunken ist? Ob ich gleich mich nicht laut beklage, so sprechen doch meine Tränen deutlich genug.

Sie hindern mich, seine Gestalt im Traume zu sehen. Wie gut wäre es doch, wenn er mich besuchte, wäre es auch nur ein Traumbild.«

Als sie geendet hatte, überließ sie sich von neuem ihrer Betrübnis, aber Nureddin hatte ihre Stimme jetzt gehört. Nur zweifelte er noch, ob es wirklich seine Geliebte wäre. Sie aber nahm nochmals die Laute und sang:

»Vergiß ihn, rieten sie mir, du hast nichts mehr zu hoffen. Möge sich Gott nie meiner erinnern, wenn ich ihn je vergessen sollte, antwortete ich ihnen.

Wie könnte ich auch in der Welt seine Liebe vergessen? Wehe dem Knechte, der die Liebe seines Herrn nicht im Andenken behält!

Um alle meine Sünden bitte ich Gott um Vergebung, nur nicht deshalb, daß ich ihn liebe; denn dieses halte ich für eines meiner guten Werke an jenem Tage, wo ich zu Gott kommen werde.«

Als sie geendet hatte, trank sie drei Becher und gab dem Greise ebenfalls dreimal zu trinken, welches er auch jedesmal tun mußte. Sie sang hierauf wieder einige Verse, worauf sie über ihr Geschick zu weinen anfing. Der gute Greis weinte, ohne die Ursache zu wissen, aus Teilnahme mit ihr. Nachdem sie beide wieder einige Becher geleert hatten, sang sie folgendes Gedicht:

»Mögen sie auch deine Person meinen Blicken vorenthalten, dein Andenken können sie doch nicht aus meinem Gedächtnis verbannen.

Magst du nun in meiner Nähe sein, so lasse ich mein Leben für dich; für dich lasse ich es aber auch, wenn du fern von mir bist.

Mein Äußeres gibt Kunde von meinem Innern, und mein Inneres bestätigt das, was mein Äußeres anzeigt.«

Als sie geendet hatte, warf sie die Laute weinend und schluchzend von sich und ruhte eine Zeitlang aus. Endlich verlangte sie zu essen. Aber der Greis antwortete, daß er nichts als das von der letzten Mahlzeit Übriggebliebene im Hause hätte. Darauf erwiderte sie, sie äße nie etwas, was übriggeblieben wäre. »Gehe aber,« fügte sie hinzu, »auf den Markt und besorge etwas.« – »Ach,« sagte er zu ihr, »Gütigste, entschuldige mich, ich kann vor Taumel kaum stehen; aber ich habe einen Moscheediener, einen ganz rechtlichen und verständigen jungen Mann, den will ich rufen, damit er dir alles, was du verlangst, kaufen möge.« Da sprach sie zu ihm: »Woher ist dieser junge Mann?« – »Er ist aus Damaskus,« erwiderte er. Als sie von Damaskus reden hörte, stieß sie einen tiefen Seufzer aus und sank in Ohnmacht.

 

Neunhundertundfünfundsechzigste Nacht.

Als sie wieder zu sich selbst kam, sagte sie: »Ach, ihr lieben Leute, von Damaskus! Rufe ihn, damit er unsere Geschäfte besorge.« Da winkte der Greis mit dem Kopfe durch das Fenster, das aus seinem Zimmer in die Moschee ging, dem Nureddin Ali zu, der auch sogleich hereintrat und bei dem ersten Anblick sogleich die Sittulmulach, so wie sie ebenfalls auch ihn, erkannte. Vor Schrecken kehrte er schnell um und wollte fliehen; allein sie eilte ihm nach, hielt ihn fest, und ein Freudentränenstrom entquoll ihren Augen. Sie umarmten sich; aber ihre Freude war so groß, daß sie in Ohnmacht fielen. Als der Greis sie in diesem Zustande erblickte, ergriff ihn eine große Furcht, er floh daher hinaus und eilte zu seinem Nachbar, dem Juden. »Was fehlt dir? Du bist ja ganz außer dir!« sagte dieser zu ihm. – »Wie sollte ich nicht außer mir sein,« antwortete der Greis, »da das Mädchen den Mann, den ich in der Moschee aufgenommen habe, erkannt hat. Sie liebt ihn, sie haben sich umarmt, und nun liegen sie ohnmächtig da. Gott! wenn das der Kalif erfährt, so wird er sehr zornig auf mich sein. Was soll ich tun, und wie soll ich mich aus dem Unglück retten, in welches mich dieses junge Mädchen gestürzt hat?« »Nimm alsbald,« sagte der Jude, »dieses Fläschchen Rosenwasser und begieße sie damit, so werden sie wieder zu sich kommen.« Der Greis nahm das Fläschchen in Empfang, eilte zu den beiden Liebenden und begoß ihnen das Gesicht damit, welches auch sogleich die gewünschte Wirkung tat.

Nun erzählte einer dem andern, was sie während ihrer Trennung ausgestanden hatten. Besonders erregten die Verfolgungen, denen Nureddin von seiten Muradis ausgesetzt gewesen war, ihr ganzes Mitleiden. »Jedoch,« sprach sie endlich, »hören wir jetzt auf, von diesen traurigen Begebenheiten zu reden, sondern preisen wir lieber Gott wegen unsrer Wiedervereinigung und dem Ende unserer Leiden.« Zu gleicher Zeit überreichte sie ihm den Becher. Er aber sprach: »Nein, solange ich noch in diesem Zustande des Elends bin, trinke ich nimmermehr.« Da setzte sie ihm den Becher an den Mund und flößte ihm den Wein ein, nahm sodann die Laute und sang folgende Verse:

»O du, der du von mir abwesend warest, der aber in meinem Herzen stets seinen Platz behielt, meinen Augen warst du zwar fern, aber meine Gedanken waren bei dir.

Ich führte während dieser Zeit ein Leben, von dem ich nicht glaubte, daß es besser werden möchte.

Einsam und verlassen weinte ich, verzweifelnd wegen dir, als wenn alles um mich her fremd geworden wäre.

Ach, wie unglücklich war ich in dieser Lage; und doch warst stets du es, nach welchem mein Auge schaute. Du warst mir nicht fern.«

Nach Beendigung dieser Verse weinten sie beide, und Sittulmulach ergriff von neuem die Laute, um folgendes zu singen:

»Gott weiß es, daß ich nie an Euch denken konnte, ohne daß mein Auge sich mit häufigen Tränen füllte.«

Meine Liebe zu dir tobte, meine Sehnsucht drohte, mich jeden Augenblick zu töten; nur wenn ich dich nahe bei mir dachte, beruhigte sich mein Herz.

O du Licht meiner Augen, du mein einziger Wunsch, meine Hoffnung, ich kann mich nicht satt sehen an deinem Angesicht!«

Als sie geendet hatte, umarmten sie sich; sie trocknete ihm seine Tränen ab, und in diesem Zustande der wechselseitigen Unterhaltung und des Gesangs brachten sie ihre Zeit bis zum andern Morgen zu, an welchem der Diener mit dem Maulesel zurückkam und ihr sagte, daß der Fürst der Gläubigen sie zu sehen verlangte. Sie machte sich auch sogleich auf, nahm Nureddin bei der Hand und überlieferte ihn dem Greise, indem sie sagte: »Hier ist ein teures Unterpfand, das ich dir zurücklasse, und welches du nur dann von dir lassen darfst, wenn dieser Diener es von dir abholt. Übrigens hast du bei mir eine große Dankbarkeit zu erwarten.« Sie bestieg darauf das Maultier und begab sich in das Schloß des Fürsten der Gläubigen. Als sie sich vor diesem sogleich auf die Erde warf, sagte er zu ihr spöttisch: »Du scheinst mir ganz deinen Herrn wiedergefunden zu haben.« – »Bei deinem Glück und bei der Dauer deines Lebens,« erwiderte sie, »ich habe ihn gefunden.« Der Kalif, der bis jetzt nachlässig auf ein Polster gelehnt dagesessen hatte, sprang bei dieser Nachricht schnell auf und fragte: »Ist das wahr?« – »Bei deinem Leben,« antwortete sie, »ich habe ihn gefunden.« – »Nun wohl, so laß ihn gleich vor mich kommen, damit ich ihn sehe.« – »Ach, mein Herr,« erwiderte sie, »es ist ihm viel Trübsal zugestoßen, und er hat sich sehr geändert. Aber der Kalif hat die Gnade gehabt, mir einen Monat zu erlauben; und wenn mir nun deine Hoheit es bewilligen wollte, so würde ich die übrige Zeit dazu anwenden, ihn zu pflegen, und dann würde ich ihn dir zu deinen Befehlen vorführen.« – »Du hast ganz recht,« erwiderte der Kalif, »ein Monat war die verabredete Frist. Doch erzähle mir, was ihm alles begegnet ist.« – »O Herr,« sprach sie, »Gott möge dein Leben verlängern, das Paradies einst zu deinem Aufenthaltsorte und das Feuer zum Verbannungsort deiner Feinde machen. Wenn er bei dir sein wird, so wird er dir's erzählen und die erlittenen Ungerechtigkeiten vortragen.« – Der Kalif befahl hierauf, daß ihr ein niedliches Haus eingerichtet und zugleich ihr alles das übergeben würde, was sie irgend verlangte. Dies alles wurde noch an demselben Tage in Ordnung gebracht, und als es dunkel wurde, schickte sie den Diener mit einem schönen Gewande zu Nureddin. Dieser zog es sogleich an, nahm von dem Greise Abschied, bestieg das Maultier und kam in das für ihn bestimmte Haus, wo er einen Monat lang die Pflege der Sittulmulach genoß, die ihn durch vier vorzügliche Mittel bald wieder herstellte: nämlich durch das Essen kräftiger Speisen, Trinken guten Weines, Schlafen auf weichen Betten und durch Baden. Nachdem er seine völlige Schönheit wieder erreicht hatte, befahl der Kalif, ihn vorzuführen. Mit dem köstlichsten Gewande angetan, nahte er sich ehrerbietigst und mit wohlgeordneter Rede diesem Fürsten. Seine Gestalt und die Richtigkeit seines Ausdrucks gefielen diesem und nötigten ihm die Äußerung ab, daß Sittulmulach wohl zu entschuldigen sei, und daß er sehr ungerecht gehandelt haben würde, sie zu töten. Hierauf ließ er den jungen Mann näher treten, unterhielt sich mit ihm und fand ihn sehr unterrichtet, verständig und so angenehm, daß er ihn sehr lieb gewann. Dann befragte er ihn nach seinem Lande, seinem Vater und nach der Ursache seiner Reise. Dieses alles beantwortete dieser kurz und deutlich. »Aber, wo warst du denn zuletzt während deiner langen Abwesenheit?« fragte der Kalif weiter. »Ich habe wegen dir nach Damaskus, Mossul und andern Orten geschickt, ohne dich zu finden.« – »O mein Herr,« antwortete Nureddin, »es ist mir, deinem Sklaven, etwas begegnet, was noch nie jemandem begegnet ist.« Hierauf erzählte er ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende.

Als der Kalif dieses hörte, wurde er bestürzt, brach in einen heftigen Zorn aus und sprach: »Wie? In einem Lande, wo ich herrsche, kann so etwas geschehen?« und befahl sogleich, daß Giafar erscheinen möchte. Sowie dieser kam, benachrichtigte ihn der Kalif von der ganzen Sache und sprach: »Wie ist es möglich, daß in dem Lande, wo ich herrsche, mir so etwas verborgen bleiben kann?« Giafar befahl sogleich, alle diejenigen vorzuführen, welche Nureddin Ali genannt hatte. Dieses geschah, und sie wurden alle hingerichtet.

Nun wurde auch Achmed vorgefordert, der zweimal die Ursache der Rettung Nureddins gewesen war. Diesem dankte der Kalif, nahm ihn sehr gut auf, beschenkte ihn mit einem Ehrenpelze und bekleidete ihn mit einer Statthalterschaft. Ferner befahl er auch, den Greis, den Gebetausrufer nämlich, vor ihn kommen zu lassen. Als der Abgesandte zu diesem kam und ihn von dem Willen des Kalifen benachrichtigte, geriet er in große Furcht, indem er besorgte, in Hinsicht des Mädchens etwas versehen zu haben. An seinem schwankenden Schritte erkannte man, wie sehr er bekümmert war, so daß er die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog. Als er vor den Kalifen kam, zitterte er und konnte nur abgebrochene Laute vorbringen. Da lachte der Kalif und sprach: »Alter, hast du irgend etwas begangen, weshalb du Strafe fürchtest?« – Da erwiderte dieser in der größten Angst: »O mein Herr, bei der Wahrheit deiner erhabenen Voreltern, ich habe nichts begangen; erkundige dich nach meinem Wandel.« Da lachte Harun über ihn, befahl, ihm tausend Goldstücke auszuzahlen und einen kostbaren Ehrenpelz zu übergeben und ernannte ihn zugleich zum obersten Gebetausrufer in seiner Moschee. Dann ließ er Sittulmulach vor sich kommen und sprach zu ihr: »Das Haus mit allem, was darin ist, ist ein Zeichen meiner Gunst für deinen Herrn. Nimm ihn als Gatten und genieße des göttlichen Schutzes. Ich wünsche indes, daß ihr euch nicht von mir trennen möchtet.« Als sie nun in ihr Haus gelangten, gewahrten sie, daß der Fürst der Gläubigen ihnen viele kostbare Geschenke gesandt hatte. Nureddin Ali aber schickte sofort nach Damaskus, um seine Eltern abzuholen. Diese begaben sich auch sogleich zu ihm, nachdem sie einen Sachwalter in Damaskus zurückgelassen hatten, der die Einkünfte ihrer vielen Besitzungen für sie in Empfang nehmen und sie ihnen alle Jahre übersenden sollte. Mit vielen Reichtümern und Waren langten sie nun bei ihrem Sohne an und sahen zu ihrer großen Freude, daß der Kalif ihn so auszeichnete und ihn sogar zu seinem Gesellschafter ernannt hatte. Noch größer war ihre Freude, als sie erfuhren, daß der Kalif ihnen selbst fortwährende Jahresgehalte ausgesetzt habe, so daß ihre Familie eine der reichsten jener Zeit in Bagdad war. Sittulmulach beglückte Nureddin bald mit Kindern, und er hörte nicht auf, stets die Gunst des Kalifen zu genießen. Endlich wurde Nureddins Vater gefährlich krank und späterhin auch seine Mutter, und beide gingen endlich zur Barmherzigkeit Gottes über. Mit der Zeit wuchsen seine Kinder immer mehr heran. Er ließ sie auf das sorgfältigste erziehen und unterrichten, und auch diese genossen der Gunst des Kalifen. In diesem ununterbrochenen Glücke lebten sie, bis der Zerstörer aller Ergötzlichkeiten und der Trenner aller Gesellschaften sich auch ihnen nahte. Gepriesen sei der Ewige, der Unvergängliche!

 


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