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Zweihundertundneunzigste Nacht.

Fortsetzung der Geschichte Chodadads und seiner Brüder.

Als die Prinzessin die Erzählung ihrer Abenteuer geendigt hatte, bezeigte ihr Chodadad, wie innig gerührt er von ihren Unglücksfällen wäre. »Aber, meine Fürstin,« fügte er hinzu, »es steht nur bei Euch, von nun an ruhig zu leben. Die Söhne des Königs von Harran erbieten Euch eine Zuflucht an dem Hofe ihres Vaters: nehmet sie an, ich bitte Euch! Ihr werdet dort diesem Fürsten willkommen und von aller Welt geehrt sein, und wenn Ihr die Bewerbung Eures Befreiers nicht verschmähet, so erlaubet, daß ich Euch meine Hand anbiete, und daß ich mich mit Euch in Gegenwart aller dieser Prinzen vermähle; lasset sie Zeugen unseres Verlöbnisses sein.«

Die Prinzessin willigte ein; und denselben Tag noch wurde die Hochzeit in dem Schlosse gefeiert, wo sich Vorräte aller Art befanden: die Küche war voller Speisen und solcher Gerichte, welche der Schwarze zu sich zu nehmen pflegte, wenn er vom Menschenfleische gesättigt war. Dort waren auch viele vortreffliche Früchte und zur Vollständigkeit des Festes eine große Fülle von gebrannten Wassern und köstlichen Weinen.

Sie setzten sich alle zu Tische; und nachdem sie gut gegessen und getrunken hatten, trugen sie alle übrigen Vorräte heraus und verließen das Schloß, um sich an den Hof des Königs von Harran zu begeben.

Sie zogen mehrere Tage fort und lagerten nachts an den angenehmsten Stellen, welche sie finden konnten; sie waren nur noch eine Tagereise von Harran entfernt, als sie anhielten und allen übrigen Wein austranken, weil sie nun nichts mehr aufzusparen brauchten.

Hier nahm Chodadad das Wort und sprach: »Prinzen, ich will euch nicht länger verbergen, wer ich bin: ihr seht in mir euren Bruder Chodadad; ich verdanke ebensowohl als ihr mein Leben dem Könige von Harran. Der Fürst von Samarien hat mich erzogen, und die Prinzessin Pirusé ist meine Mutter. – Teure Frau,« fügte er hinzu, indem er sich zu der Prinzessin von Deryabar wandte, »verzeihet mir, wenn ich auch Euch aus meiner Geburt ein Geheimnis gemacht habe, vielleicht würde ich durch frühere Entdeckung desselben Euch einige unangenehme Gedanken erspart haben, welche eine ungleich erscheinende Vermählung Euch erregen konnte.«

»Nein, Herr,« antwortete ihm die Prinzessin, »die Empfindungen, welche Ihr mir im ersten Augenblick eingeflößt, haben sich fortwährend verstärkt; und Ihr bedurftet nicht Eurer hohen Geburt, um mein Glück zu machen.«

Die Prinzen wünschten Chodadad Glück zu seiner Abkunft und bezeigten ihm große Freude; aber im Grunde ihres Herzens vermehrte sich nur ihr Haß gegen einen so liebenswürdigen Bruder. Sie versammelten sich in der Nacht an einem abgelegenen Orte, während Chodadad mit seiner Gattin in ihrem Zelte der Süßigkeit des Schlafes genoß. Diese undankbaren und neidischen Brüder vergaßen, daß sie ohne den mutvollen Sohn der Pirusé sämtlich die Beute des Schwarzen geworden wären, und beschlossen unter sich, ihn zu ermorden. »Es bleibt uns nichts anderes übrig,« sprach einer dieser Bösewichter; »sobald der König erfährt, daß dieser Fremdling, den er so sehr liebt, sein Sohn ist, und daß derselbe allein imstande war, einen Riesen zu Boden zu strecken, welcher uns alle zusammen besiegt hatte, so wird er ihn mit Liebkosungen überhäufen, ihm tausend Lobsprüche erteilen und ihn zum Thronerben erklären mit Hintansetzung all seiner übrigen Söhne, welche gezwungen sind, sich vor ihrem Bruder zu beugen und ihm zu gehorchen.«

Zu diesen Worten fügte er noch andere, welche auf alle diese neidischen Gemüter solchen Eindruck machten, daß sie auf der Stelle hingingen, Chodadad im Schlafe überfielen und ihn mit tausend Dolchstichen durchbohrten; sie ließen ihn für tot in den Armen der Gattin und eilten nach der Stadt Harran, wo sie den folgenden Tag anlangten.

Ihre Ankunft verursachte dem König umso größere Freude, als er schon verzweifelte, sie je wiederzusehen. Er fragte sie nach der Ursache ihres Ausbleibens: aber sie hüteten sich wohl, sie ihm zu sagen: sie erwähnten gar nichts von dem Schwarzen, noch von Chodadad und sagten bloß, sie hätten der Neugier nicht widerstehen können, das Land zu besehen, und sich in einigen benachbarten Städten aufgehalten.

Unterdessen lag Chodadad in seinem Blute und halbtot unter seinem Zelte mit der Prinzessin, seiner Gattin, welche nicht minder beklagenswürdig war als er. Sie erfüllte die Luft mit ihrem Wehgeschrei; sie riß sich die Haare aus und badete den Leichnam ihres Mannes mit ihren Tränen, indem sie unaufhörlich ausrief: »Ach, Chodadad, mein teurer Chodadad, muß ich dich unaufhaltsam zu den Toten hinabsinken sehen? Welche grausamen Hände haben dich in diesen traurigen Zustand versetzt? Soll ich glauben, daß es deine eigenen Brüder sind, die dich so erbarmungslos zerfleischt haben? Diese Brüder, welche dein tapferer Arm gerettet hat? Nein, es sind vielmehr Teufel, welche unter so freundlicher Larve gekommen sind, dir das Leben zu entreißen. Ha, ihr Unmenschen! Wer ihr auch seid, konntet ihr denn mit so schwarzem Undanke den Dienst vergelten, welchen er euch geleistet hat? Aber was klage ich deine Brüder an, unglücklicher Chodadad? Mir allein muß ich deinen Tod beimessen: du hast dein Schicksal an das meine knüpfen wollen, und alles das Unglück, welches mich verfolgt, seitdem ich den Palast meines Vaters verlassen habe, hat sich auf dich geworfen. O Himmel, der du mich zu einem unsteten und unglückseligen Leben verdammt hast, wenn du mir keinen Gatten vergönnst, warum läßt du mich denn noch einen finden? Dieser ist schon der zweite, den du mir im Augenblicke unserer innigeren Verbindung wieder entreißest!«

In solchen Wehklagen ergoß sich die beweinenswürdige Prinzessin von Deryabar, über den unglücklichen Chodadad gebeugt, welcher nichts davon hören konnte.

Er war gleichwohl noch nicht tot; und als seine Gattin bemerkte, daß er noch atmete, so lief sie nach einem großen Flecken, welchen sie in der Ebene erblickte, um von dort einen Wundarzt zu holen. Man wies sie zu einem hin, der auf der Stelle mit ihr ging. Aber als beide zu dem Zelte kamen, fanden sie Chodadad nicht mehr darin, woraus sie schlossen, daß irgend ein wildes Tier ihn weggetragen hätte, um ihn zu verschlingen. Die Prinzessin begann von neuem ihr Wehklagen auf die jammervollste Weise von der Welt. Der Wundarzt ward davon gerührt; er wollte sie in diesem fürchterlichen Zustande nicht verlassen und schlug ihr vor, mit ihm nach dem Flecken zurückzukehren, und erbot ihr sein Haus und seine Dienste.

Sie ließ sich bereden; der Wundarzt führte sie in sein Haus, und ohne noch zu wissen, wer sie wäre, behandelte er sie mit aller erdenklichen Achtung und Ehrerbietung. Er bemühte sich, ihr Trost einzusprechen; aber vergeblich bekämpfte er ihren Schmerz, er reizte ihn nur noch mehr, anstatt ihn zu lindern.

»Edle Frau,« sprach er eines Tages zu ihr, »erzählet mir, ich bitte Euch darum, alle Eure Unglücksfälle; saget mir, aus welchem Lande und von welchem Stande Ihr seid, vielleicht kann ich Euch einen guten Rat geben, wenn ich von allen Umständen Eures Mißgeschicks unterrichtet bin. Ihr laßt nicht ab, Euch zu betrüben, ohne zu bedenken, daß auch gegen die verzweifeltsten Übel Mittel zu finden sind.«

Der Wundarzt sprach mit solcher Beredsamkeit, daß er die Prinzessin bewog, ihm alle ihre Abenteuer zu erzählen; und als sie den Bericht davon geendigt hatte, nahm der Wundarzt wieder das Wort und sprach:

»Herrin, weil es sich also verhält, so erlaubet mir, Euch vorzustellen, daß Ihr Euch Eurer Betrübnis nicht hingeben müßt; Ihr müßt Euch vielmehr mit Standhaftigkeit waffnen und tun, was der Name und die Pflicht einer Gattin von Euch fordern: Ihr müßt Euren Gatten rächen. Ich will Euch, wenn Ihr es wünscht, als Begleiter dienen. Lasset uns an den Hof des Königs von Harran ziehen. Dieser Fürst ist gut und sehr gerecht: Ihr dürft ihm nur mit lebhaften Farben die Behandlung schildern, welche Chodadad von seinen Brüdern erfahren hat, und ich bin überzeugt, daß er Euch Gerechtigkeit verschaffen wird.«

»Ich gebe Euren Vorstellungen nach,« antwortete die Prinzessin, »ja, ich will Chodadads Rache unternehmen; und da Ihr so gefällig und edelmütig seid, mich begleiten zu wollen, so bin ich bereit, hinzureisen.« Sobald sie diesen Entschluß gefaßt hatte, ließ der Wundarzt zwei Kamele bereiten, auf welchen die Prinzessin und er sich auf den Weg machten und sich nach der Stadt Harran begaben.

Sie stiegen in der ersten besten Karawanserei ab und fragten den Wirt nach Neuigkeiten vom Hofe. »Er ist,« antwortete er ihnen, »in großer Unruhe. Der König hatte einen Sohn, der sich lange Zeit als ein Unbekannter bei ihm aufgehalten hat, und man weiß nicht, was aus diesem jungen Prinzen geworden ist. Eine der Frauen des Königs namens Pirusé ist seine Mutter, und sie hat schon tausend vergebliche Nachforschungen anstellen lassen. Alle Welt bedauert den Verlust dieses Prinzen, denn er hatte hohe Verdienste. Der König hat noch neunundvierzig andere Söhne, alle von verschiedenen Müttern; aber es ist kein einziger darunter, dessen Tugenden den König über Chodadads Tod zu trösten vermöchten. Ich sage, über seinen Tod, weil er unmöglich noch lebt, da man ihn aller angestellten Nachforschungen ungeachtet nicht hat finden können.«

Auf diesen Bericht des Wirtes erachtete der Wundarzt es für die Prinzessin von Deryabar am ratsamsten, hinzugehen und sich der Mutter Chodadads zu entdecken. Aber dieser Schritt war nicht ohne Gefahr und erforderte große Vorsicht. Es war zu fürchten, wenn die Söhne des Königs von Harran die Ankunft und Absicht ihrer Schwägerin erführen, daß sie diese aufheben ließen, bevor sie mit Chodadads Mutter reden könnte. Der Wundarzt überlegte dies alles und bedachte seine eigene Gefahr dabei; deshalb wollte er in dieser Sache behutsam zu Werke gehen und bat die Prinzessin, in der Karawanserei zu bleiben, während er nach dem Palaste ginge, um auszuspüren, auf welchem Wege er sie sicher zu Pirusé bringen könnte.

Er ging also in die Stadt und näherte sich dem Palaste wie einer, den bloß die Neugier, den Hof zu sehen, dahin zieht, als er eine Frau auf einem reichgeschmückten Maultier erblickte; sie war von mehreren Fräuleins, ebenfalls auf Maultieren, und von einer starken Wache schwarzer Sklaven begleitet. Alle Leute stellten sich in Reihen, um sie vorbeiziehen zu sehen, und begrüßten sie, mit dem Gesicht auf den Boden fallend.

Der Wundarzt begrüßte sie ebenso und fragte darauf einen neben ihm stehenden Kalender, ob dies eine von den Frauen des Königs wäre. »Ja, Bruder,« antwortete ihm der Kalender, »es ist eine von seinen Frauen, und zwar die bei dem Volke am meisten beliebte und geehrte, weil sie die Mutter des Prinzen Chodadad ist, von welchem Ihr wohl gehört haben werdet.«

Mehr wollte der Wundarzt nicht wissen; er folgte Pirusé bis in eine Moschee, welche sie betrat, um Almosen zu verteilen und dem öffentlichen Gebete beizuwohnen, welches der König für die Rückkehr Chodadads anstellen ließ. Das Volk, welches an dem Schicksale dieses jungen Prinzen außerordentlichen Teil nahm, lief haufenweise herbei, um sein Gebet mit dem der Priester zu vereinigen, so daß die Moschee voller Menschen war. Der Wundarzt arbeitete sich durch das Gedränge und gelangte bis zu Pirusés Wache. Er hörte alle Gebete mit an, und als die Prinzessin wieder hinausging, näherte er sich einem der Sklaven und flüsterte ihm ins Ohr: »Bruder, ich habe der Prinzessin Pirusé ein wichtiges Geheimnis zu entdecken: könnte ich nicht durch deine Vermittelung in ihr Zimmer geführt werden?«

»Wenn dieses Geheimnis,« antwortete der Sklave, »den Prinzen Chodadad betrifft, so kann ich dir wohl versprechen, daß du heute noch bei ihr das erwünschte Gehör findest; aber wenn dieses Geheimnis ihn nicht betrifft, so bemühest du dich vergeblich, dich der Prinzessin vorstellen zu lassen; denn sie ist einzig mit ihrem Sohne beschäftigt und will von nichts anderem reden hören.«

»Eben nur von diesem geliebten Sohne will ich mit ihr reden,« fuhr der Wundarzt fort.

»Wenn das ist,« sagte der Sklave, »so darfst du uns nur nach dem Palaste folgen, und du wirst bald mit ihr reden können.«

In der Tat, als Pirusé in ihr Zimmer zurückgekommen war, meldete ihr dieser Sklave, daß ein unbekannter Mann ihr etwas Wichtiges mitzuteilen hätte, und daß es den Prinzen Chodadad beträfe. Er hatte nicht sobald diese Worte ausgesprochen, als Pirusé eine lebhafte Ungeduld bezeigte, diesen Unbekannten zu sehen. Der Sklave ließ ihn sogleich in das Gemach der Prinzessin treten, welche alle ihre Frauen daraus entfernte mit Ausnahme von zweien, für welche sie kein Geheimnis hatte. Sobald sie den Wundarzt erblickte, fragte sie ihn hastig, welche Nachricht er ihr von Chodadad zu bringen hätte. »Herrin,« antwortete ihr der Wundarzt, nachdem er sich mit dem Gesichte auf den Boden geworfen hatte, »ich habe Euch eine lange Geschichte zu erzählen und Dinge, welche Euch ohne Zweifel in Erstaunen setzen werden.«

Hierauf erzählte er ihr umständlich alles, was zwischen Chodadad und seinen Brüdern vorgegangen war, welches sie mit gieriger Aufmerksamkeit anhörte; als er aber an den Meuchelmord kam, sank die zärtliche Mutter, gleich als ob sie von denselben Stichen wie ihr Sohn durchbohrt würde, in Ohnmacht auf ein Sofa. Die beiden Frauen kamen ihr schleunig zu Hilfe und brachten sie wieder zu sich.

Der Wundarzt fuhr nun in seinem Berichte fort, und als er geendigt hatte, sprach die Fürstin zu ihm: »Eilet zu der Prinzessin Deryabar und verkündiget ihr in meinem Namen, daß der König sie alsbald als seine Schwiegertochter anerkennen wird; und was Euch betrifft, so seid versichert, daß Eure Dienste gut belohnt werden sollen.«

Nachdem der Wundarzt sich entfernt hatte, blieb Pirusé auf dem Sofa in einem Zustande, den man sich denken kann; durchdrungen von der Erinnerung an Chodadad, rief sie aus: »O mein Sohn, so bin ich denn für immer deines Anblicks beraubt! Als ich dich aus Samarien an diesen Hof reisen ließ und du mir Lebewohl sagtest, ach! da wähnte ich nicht, daß ein grauenvoller Tod fern von mir dich erwartete! O unglücklicher Chodadad, warum hast du mich verlassen? Du hättest dir freilich nicht so hohen Ruhm erworben; aber du lebtest noch und würdest deiner Mutter nicht so viel Tränen kosten.« Bei diesen Worten weinte sie bitterlich, und ihre beiden Vertrauten, gerührt von ihrem Schmerze, vermischten ihre Tränen mit den ihrigen.

Während sie alle drei sich so, wie um die Wette, betrübten, trat der König ins Zimmer; und als er sie in diesem Zustande sah, fragte er Pirusé, ob sie etwa traurige Neuigkeiten über Chodadad erhalten hätte. »Ach, Herr,« antwortete sie ihm, »es ist um ihn geschehen, mein Sohn hat das Leben verloren! Und zum Übermaße des Leides kann ich ihm nicht einmal die Ehre des Begräbnisses erzeigen; denn allem Anscheine nach haben ihn wilde Tiere verschlungen.«

Zu gleicher Zeit erzählte sie ihm alles, was sie von dem Wundarzte vernommen hatte, und sie ermangelte nicht, dabei zu verweilen, auf welche grausame Art Chodadad von seinen Brüdern ermordet worden war.

Der König ließ ihr nicht Zeit, ihre Erzählung zu vollenden; er fühlte sich von Zorn entbrannt, und in seiner Entrüstung sprach er zu der Fürstin: »Teure Frau, die Treulosen, die schuld sind, daß Eure Tränen fließen, und die ihrem Vater einen tödlichen Schmerz verursachen, sollen ihre gerechte Strafe erleiden.«

Mit diesen Worten und wutfunkelnden Augen tritt der Fürst in den Audienzsaal, wo die Hofleute und diejenigen von dem Volke, die etwas bei ihm zu bitten hatten, versammelt waren. Alle sind erstaunt, ihn in so wütender Gebärde erscheinen zu sehen; sie fürchten, er sei im Zorne gegen sein Volk, und ihre Herzen erstarren vor Schreck. Er besteigt den Thron, befiehlt dem Großwesir zu nahen und spricht zu ihm: »Hassan, ich habe dir einen Befehl zu geben: geh auf der Stelle hin, nimm tausend Mann von meiner Wache und verhafte alle die Prinzen, meine Söhne, sperre sie in den für Meuchelmörder bestimmten Gefängnisturm und vollzieh dies alles augenblicklich.«

Bei diesem unerwarteten Befehl erzitterten alle Gegenwärtigen; der Großwesir legte, ohne ein einziges Wort zu erwidern, die Hand auf seinen Kopf, um seinen unbedingten Gehorsam anzudeuten, und verließ den Saal, einen Befehl zu vollziehen, der ihn so sehr überraschte.

Unterdessen entließ der König alle Personen, die Gehör bei ihm verlangten, und erklärte, daß er binnen eines Monats von keinen Geschäften etwas hören wollte.

Er war noch in dem Saale, als der Wesir zurückkam. »Nun, Wesir,« fragte ihn der Fürst, »sind alle meine Söhne in dem Turme?«

»Ja, Herr,« antwortete der Minister, »Euer Befehl ist erfüllt.«

»Das ist noch nicht alles,« fuhr der König fort, »ich habe dir noch einen andern Befehl zu erteilen.«

Mit diesen Worten verließ er den Saal und ging wieder in das Zimmer der Prinzessin Pirusé, wohin der Wesir ihm folgte. Er fragte diese, wo die Witwe Chodadads wohnte. Ihre Frauen sagten es ihm; denn der Wundarzt hatte dies bei seinem Berichte nicht vergessen, hierauf wandte sich der König zu seinem Minister und sprach: »Geh in diese Karawanserei und führe eine junge Prinzessin, die darin wohnt, hierher, aber behandle sie mit aller einer Frau von ihrem Range gebührenden Ehrfurcht.«

Der Wesir säumte nicht, auch diesen Befehl zu vollziehen: er stieg zu Pferde samt allen Emiren und den übrigen Hofleuten und begab sich nach der Karawanserei, wo die Prinzessin von Deryabar sich aufhielt, eröffnete ihr seinen Befehl und führte ihr im Namen des Königs ein schönes weißes Maultier vor, dessen Sattel und Zaum von Gold und mit Rubinen und Smaragden besät war. Sie bestieg es, und in der Mitte all dieser Herren ritt sie nach dem Palaste. Der Wundarzt begleitete sie auch auf einem schönen tatarischen Rosse, welches der Wesir ihm hatte geben lassen.

Alle Leute standen an den Fenstern oder auf den Gassen, um einen so prächtigen Aufzug vorbeireiten zu sehen, und da es bald überall umlief, daß diese Prinzessin, die so feierlich nach Hofe geführt wurde, die Gemahlin Chodadads wäre, so war es ein allgemeiner Jubel. Die Luft erscholl von tausendfältigem Freudengeschrei, welches sich ohne Zweifel in Wehklagen verwandelt hätte, wenn man das traurige Ende dieses Prinzen gewußt: so beliebt war er bei aller Welt.

 

Zweihundertundeinundneunzigste Nacht.

Die Prinzessin von Deryabar traf den König an der Türe des Palastes, wo er sie erwartete und empfing. Er führte sie in das Zimmer der Pirusé, wo ein höchst rührender Auftritt vorging. Die Gattin Chodadads fühlte bei dem Anblicke der Mutter ihres Gemahls ihre Betrübnis sich erneuen, so wie sein Vater und seine Mutter die Gemahlin ihres Sohnes nicht ohne innige Bewegung ansehen konnten. Sie warf sich dem Könige zu Füßen, badete sie mit ihren Tränen und war von so heftigem Schmerz ergriffen, daß sie nicht Kraft hatte, ein Wort hervorzubringen. Pirusé befand sich in einem nicht minder beweinenswürdigen Zustande; sie schien von ihrem Weh ganz durchdrungen; und der König, bewegt von diesem rührenden Anblicke, überließ sich seiner eigenen Wehmut. Diese drei Personen blieben einige Zeit in einem ebenso zärtlichen als schmerzlichen Schweigen, während sie ihre Seufzer und Tränen miteinander vermischten.

Endlich erholte sich die Prinzessin von Deryabar aus ihrer Erstarrung und erzählte das Abenteuer im Schlosse und das Unglück Chodadads und bat hierauf um Gerechtigkeit für den Meuchelmord der Prinzen.

»Ja, meine Tochter,« antwortete ihr der König, »diese Undankbaren sollen sterben; aber zuvor müssen wir den Tod Chodadads kundmachen lassen, damit die Todesstrafe dieser Brüder meine Untertanen nicht empöre. Übrigens, obwohl wir den Leichnam meines Sohnes nicht haben, wollen wir jedoch nicht unterlassen, ihm die letzte Pflicht zu erweisen.«

Nach diesen Worten wandte er sich zu seinem Wesir und befahl ihm, auf der schönen Ebene, in deren Mitte die Stadt Harran steht, ein Grabmal mit einer Kuppel von weißem Marmor erbauen zu lassen, und unterdessen gab er der Prinzessin von Deryabar, welche er als seine Schwiegertochter anerkannte, eine prächtige Wohnung in seinem Palaste.

Hassan ließ mit solcher Emsigkeit arbeiten und stellte so viele Werkleute dabei an, daß in wenig Tagen das Kuppelgebäude vollendet war. Unter der Kuppel wurde ein Grabmal errichtet und darauf Chodadads Standbild gesetzt. Sobald das Werk fertig war, befahl der König, Gebete anzustellen, und bestimmte einen Tag zu der Totenfeier seines Sohnes.

Als dieser Tag erschien, versammelten sich alle Einwohner der Stadt Harran in der Ebene, um der Feierlichkeit beizuwohnen, welche auf folgende Weise geschah:

Der König in Begleitung des Großwesirs und der vornehmsten Herren seines Hofes zog nach dem Grabmale; und als er hier ankam, trat er hinein und setzte sich mit ihnen auf goldgeblümte Atlasteppiche. Hierauf nahte sich eine zahlreiche Schar der Leibwache zu Pferde mit gesenktem Haupt und halbgeschlossenen Augen dem Gebäude. Sie ritten zweimal mit tiefem Schweigen rings umher; aber beim dritten Male hielten sie an der Türe still und sprachen einer nach dem andern mit lauter Stimme folgende Worte aus:

»O Prinz, Sohn des Königs! Wenn wir durch die Schärfe unsers Schwertes und durch menschliche Tapferkeit dein Mißgeschick irgend erleichtern könnten, so solltest du bald das Licht wieder schauen, aber der König der Könige hat geboten, und der Engel des Todes hat gehorcht!«

Nach diesen Worten zogen sie sich zurück, um hundert Greisen Platz zu machen, die, alle mit langen weißen Bärten, auf schwarzen Maultieren ritten.

Dies waren Einsiedler, die ihr Lebelang sich in Höhlen verborgen hielten und sich niemals den Augen der Menschen zeigten, außer bei den Leichenbegängnissen der Könige von Harran und der Prinzen ihres Hauses. Diese ehrwürdigen Männer trugen auf ihrem Kopfe jeder ein dickes Buch, welches sie mit einer Hand festhielten. Sie machten dreimal die Runde um das Gebäude, ohne etwas zu sagen; hierauf hielten sie an der Türe still, und einer von ihnen sprach folgende Worte aus:

»O Prinz! Was können wir für dich tun? Wenn man durch das Gebet oder durch Wissenschaft dir das Leben wiedergeben könnte, so würden wir unsere weißen Bärte an deinen Füßen reiben und Gebete hersagen: aber der König des Weltalls hat dich für immer hinweggenommen!«

Nachdem diese Greise also gesprochen hatten, entfernten sie sich von dem Grabmale; und alsbald näherten sich fünfzig Fräuleins von vollkommener Schönheit: sie ritten jede ein kleines weißes Pferd, waren ohne Schleier und trugen goldene Körbe voll Edelgesteinen aller Art. Sie ritten auch dreimal um das Gebäude, hielten dann an derselben Stelle wie die vorigen, und die jüngste von ihnen führte das Wort und sagte:

»O Prinz, einst so schön! welche Hilfe kannst du von uns erwarten? Könnten wir durch unsere Reize dich wieder beleben, so wollten wir alle deine Sklavinnen sein, aber du bist nicht mehr empfindlich für die Schönheit und bedarfst unser nicht mehr!«

Als die jungen Mädchen sich entfernt hatten, stand der König mit seinem Hofstaat auf, machte auch dreimal die Runde um das Gebäude, nahm dann selber das Wort und sprach:

»O mein lieber Sohn! Licht meiner Augen, ich habe dich also für immer verloren!«

Er begleitete diese Worte mit Seufzern, benetzte das Grab mit seinen Tränen, und die Hofleute folgten seinem Beispiele.

Hierauf verschloß man die Türe des Grabmals, und alle kehrten nach der Stadt zurück. Am folgenden Morgen wurden in den Moscheen öffentliche Gebete gehalten und dieselben acht Tage hintereinander fortgesetzt.

Am neunten Tage wollte der König die Prinzen, seine Söhne, enthaupten lassen. Das ganze Volk war empört über ihre Missetat an dem Prinzen Chodadad, ihrem Bruder, und schien mit Ungeduld ihre Bestrafung zu erwarten. Man fing schon an, das Schafott zu errichten, aber man war genötigt, die Hinrichtung auf einen andern Tag zu verschieben, weil plötzlich die Botschaft kam, daß die benachbarten Fürsten, die früher schon den König von Harran bekriegt hatten, mit zahlreicheren Heeren heranrückten als vormals, und daß sie sogar nicht mehr weit von der Stadt entfernt wären.

Man wußte zwar schon längst, daß sie sich zum Kriege rüsteten, hatte sich aber über ihre Zurüstung nicht beunruhigt. Diese Neuigkeit verbreitete eine allgemeine Bestürzung und gab neuen Anlaß, Chodadads Tod zu bedauern, weil dieser Prinz sich in dem früheren Kriege gegen ebendiese Feinde ausgezeichnet hatte. »Ach!« sagte man, »wenn der hochherzige Chodadad noch lebte, so dürften wir in geringerer Sorge vor diesen Fürsten sein, die uns jetzt überfallen.«

Unterdessen hebt der König, anstatt sich der Furcht hinzugeben, schleunigst Mannschaften aus, bildet ein ziemlich ansehnliches Kriegsheer, und zu beherzt, um die Feinde hinter den Mauern zu erwarten, rückt er aus und zieht ihnen entgegen. Als die Feinde durch ihren Vortrab vernahmen, daß der König von Harran heranrückte, um ihnen die Spitze zu bieten, machten sie in einer Ebene Halt und stellten ihr Heer in Schlachtordnung: er läßt zum Angriff blasen und greift sie mit großer Tapferkeit an: man leistet ihm ebenso Widerstand, von beiden Seiten wird viel Blut vergossen, und der Sieg bleibt lange schwankend. Endlich aber erklärt er sich für die Feinde des Königs von Harran, welche in überlegener Anzahl ihn schon umringten, als man plötzlich in der Ebene eine große Schar Reiter in schönster Ordnung gegen das Schlachtfeld dahersprengen sah. Der Anblick dieser neuen Streiter machte beide Heere stutzig, die nicht wußten, was sie davon denken sollten. Aber sie blieben nicht lange in der Ungewißheit: diese Reiter fielen die Feinde des Königs von Harran von der Seite an und warfen sie mit solcher Wut, daß sie sie bald in Unordnung brachten und in die Flucht schlugen. Sie begnügten sich damit noch nicht, sondern verfolgten sie ungestüm und hieben sie fast alle in Stücken.

Der König von Harran hatte mit großer Aufmerksamkeit den ganzen Vorgang beobachtet und die Kühnheit dieser Reiter bewundert, deren unverhoffte Hilfe den Sieg zu seinen Gunsten entschieden. Er war besonders über ihren Anführer entzückt, welchen er mit der größten Tapferkeit fechten gesehen hatte, und wünschte den Namen dieses jungen Helden zu wissen. Voll Ungeduld, ihn zu sehen und ihm zu danken, naht er sich ihm: aber jener eilt, ihm zuvorzukommen. Beide begegnen sich, und der König von Harran erkennt seinen Sohn Chodadad in diesem tapfern Krieger, der ihm zu Hilfe gekommen oder vielmehr seine Feinde geschlagen hatte: er stand unbeweglich vor Erstaunen und Freude.

»Herr,« sprach Chodadad zu ihm, »Ihr müßt ohne Zweifel erstaunt sein, plötzlich wieder vor Euer Majestät einen Menschen erscheinen zu sehen, welchen Ihr vielleicht tot wähntet. Ich wäre auch tot, wenn der Himmel mich nicht erhalten hätte, um Euch noch gegen Eure Feinde zu dienen.«

»O mein Sohn,« rief der König aus, »ist's möglich, daß du mir wiedergeschenkt bist? Ach, ich verzweifelte schon, dich je wiederzusehen.« Mit diesen Worten streckte er die Arme dem jungen Prinzen entgegen, der sich einer so süßen Umarmung freudig hingab.

»Ich weiß alles, mein Sohn,« hub der König wieder an, nachdem er ihn lange in seinen Armen gehalten hatte; »ich weiß, wie deine Brüder dir den Dienst vergolten haben, welchen du ihnen durch ihre Befreiung aus den Händen des Schwarzen geleistet hast: aber du sollst morgen schon gerächt werden. Unterdessen laß uns in den Palast gehen; deine Mutter, der du so viel Tränen gekostet hast, erwartet mich, um sich mit mir über die Niederlage unserer Feinde zu freuen. Welche Freude werden wir ihr bringen, wenn sie erfährt, daß mein Sieg dein Werk ist!«

»Herr,« sprach Chodadad, »erlaubet mir, Euch zu fragen, wie Ihr von den Abenteuern des Schlosses etwas erfahren habt. Sollte einer meiner Brüder, von Gewissensbissen gequält, es Euch bekannt haben?«

»Nein,« antwortete der König, »es ist die Prinzessin von Deryabar, welche uns von allem unterrichtet hat; denn sie befindet sich in meinem Palaste, wohin sie nur gekommen ist, um mich um Gerechtigkeit für das Verbrechen deiner Brüder zu bitten.«

Chodadad war außer sich vor Freuden, als er vernahm, daß seine Gattin hier am Hofe war, und rief mit Entzücken aus: »Laßt uns eilen, Vater, zu meiner Mutter, die uns erwartet; ich brenne vor Ungeduld, ihre Tränen und die der Prinzessin von Deryabar zu trocknen!«

Der König kehrte alsbald mit seinem Heere nach der Stadt zurück und entließ es; er zog siegreich in seinen Palast ein unter dem Zujauchzen des Volkes, welches ihm haufenweise folgte, den Himmel um die Verlängerung seiner Jahre anrief und tausendmal den Namen Chodadad wiederholte.

Beide Prinzen fanden Pirusé und ihre Schwiegertochter beisammen, die den König erwarteten, um ihm Glück zu wünschen: aber es ist unmöglich, ihr freudiges Entzücken zu beschreiben, als sie den jungen Prinzen neben ihm erblickten. Die Tränen, welche auch diese Umarmungen begleiteten, waren sehr verschieden von denen, welche sie bisher um ihn vergossen hatten.

Nachdem diese vier Glücklichen allen Forderungen des Blutes und der Liebe genügt hatten, fragte man den Sohn der Pirusé, durch welches Wunder er noch am Leben wäre.

Er antwortete, ein Bauer auf einem Maulesel wäre zufällig in das Zelt gekommen, in dem er ohnmächtig gelegen, und als er ihn so verlassen und von Stichen durchbohrt gesehen, hätte er ihn auf sein Tier gelegt und in sein Haus gebracht, wo er auf seine Wunden gewisse gekaute Kräuter gelegt, wodurch sie in wenig Tagen geheilt wären. »Als ich mich hergestellt fühlte,« fuhr er fort, »dankte ich dem Bauer und gab ihm alle Diamanten, welche ich bei mir hatte. Ich näherte mich hierauf der Stadt Harran; aber da ich unterwegs vernommen hatte, daß einige benachbarte Fürsten Truppen versammelt hatten, um die Länder des Königs zu überfallen, so gab ich mich in den Dörfern umher zu erkennen und ermunterte den Eifer des Volks, sich zur Verteidigung zu erheben. Ich bewaffnete eine große Anzahl junger Leute, stellte mich an ihre Spitze und langte in dem Augenblicke an, als die beiden Heere handgemein waren.«

Als er seine Erzählung geendigt hatte, sprach der König: »Lasset uns Gott danken, daß er Chodadad erhalten hat! Aber die Bösewichter, die ihn ermorden wollten, müssen heute noch sterben.«

»Herr,« entgegnete der edelmütige Sohn der Pirusé, »wie undankbar und boshaft sie sein mögen, so bedenket doch, daß sie aus Eurem Blute entsprungen: es sind meine Brüder, ich verzeihe ihnen ihr Verbrechen, und ich bitte Euch um Gnade für sie.«

Diese edle Gesinnung entlockte dem Könige Tränen; er ließ sein Volk zusammenrufen und erklärte Chodadad für seinen Thronerben. Hierauf ließ er die gefangenen Prinzen in ihren schweren Ketten vorführen. Der Sohn der Pirusé nahm ihnen die Fesseln ab und umarmte sie einen nach dem andern ebenso herzlich, wie er es im Schloßhofe des Schwarzen getan hatte. Das Volk war entzückt über Chodadads Edelmut und gab ihm tausend Beifallsbezeigungen. Endlich ward auch der Wundarzt reichlich für die Dienste belohnt, welche er der Prinzessin von Deryabar geleistet hatte.«

Die Sultanin Scheherasade hatte diese Geschichte mit solcher Anmut erzählt, daß der Sultan von Indien, ihr Gemahl, sich nicht enthalten konnte, ihr sein großes Vergnügen zu bezeigen, mit welchem er sie angehört hatte.

»Herr,« sagte hierauf die Sultanin, »ich bin überzeugt, wenn Euer Majestät noch die Geschichte von dem erwachten Schläfer hören wollte, dieselbe Euch nur Freude und Vergnügen machen würde.«

Schon nach dem bloßen Inhalte der Geschichte, welchen die Sultanin ihm andeutete, versprach sich der Sultan davon ganz neue und ergötzliche Abenteuer und hätte gern noch in derselben Nacht die Erzählung derselben gehört; aber es war Zeit aufzustehen, weshalb er sie auf die folgende Nacht verschob.

 

Zweihundertundzweiundneunzigste Nacht.

In der folgenden Nacht begann die Sultanin Scheherasade, nachdem sie von ihrer Schwester Dinarsade geweckt worden, ihre Erzählung folgendermaßen:


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