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Geschichte Sobeïdens.

»Beherrscher der Gläubigen,« sagte sie, »die Geschichte, welche ich Euch zu erzählen habe, ist eine der erstaunlichsten, die jemals erzählt worden sind. Die beiden schwarzen Hündinnen und ich, wir sind drei von demselben Vater und von derselben Mutter gezeugte und geborene Schwestern, und Ihr sollt erfahren, durch welchen seltsamen Zufall sie in Hündinnen verwandelt worden sind. Die beiden bei mir wohnenden und gegenwärtigen Frauen sind auch meine Schwestern von demselben Vater, aber von einer anderen Mutter. Die, deren Busen mit Narben bedeckt ist, heißt Amine, die andere Safie und ich Sobeïde.

Nach unsers Vaters Tode wurde das Vermögen, welches er uns hinterlassen hatte, zu gleichen Teilen unter uns geteilt, und als meine beiden Schwestern im Besitz ihres Erbteils waren, trennten sie sich und bezogen mit ihrer Mutter eine besondere Wohnung. Meine anderen Schwestern und ich, wir blieben bei unsrer Mutter, die noch lebte, und die bei ihrem Sterben jeder von uns tausend Zechinen hinterließ.

Als wir unser Eigentum in Empfang genommen hatten, verheirateten sich meine beiden älteren Schwestern, denn ich bin die jüngste, folgten ihren Männern und ließen mich allein. Einige Zeit nach ihrer Verheiratung verkaufte der Mann der ältesten alles, was er an Gütern und beweglichem Eigentum besaß, und mit dem daraus gelösten Gelde und dem meiner Schwester reisten sie beide nach Afrika. Dort verschwendete der Mann in Schwelgereien sein eigenes und das von meiner Schwester ihm zugebrachte Vermögen, und als er sich nun in das größte Elend versetzt sah, fand er einen Vorwand, sie zu verstoßen, und tat es.

Sie kehrte nach Bagdad zurück, nicht ohne auf einer so langen Reise unglaubliche Unfälle erlitten zu haben, und nahm ihre Zuflucht zu mir in einem Zustande, der des Mitleides so wert war, daß er es dem härtesten Herzen eingeflößt hätte. Ich nahm sie mit aller der Liebe auf, die sie von mir erwarten konnte; ich fragte sie um die Ursache ihrer unglücklichen Lage, und sie erzählte mir weinend von der schlechten Aufführung und der üblen Behandlung ihres Mannes. Ich war von ihrem Unglück gerührt und weinte mit ihr. Hierauf führte ich sie ins Bad, gab ihr von meinen Kleidern und sagte zu ihr: »Du bist meine älteste Schwester, und ich betrachte dich wie meine Mutter, während deiner Abwesenheit hat Gott das wenige mir zugefallene Vermögen und die davon gemachte Anwendung, Seidenwürmer zu füttern und aufzuerziehen, gesegnet. Du kannst darauf rechnen, daß ich nichts besitze, was nicht auch dir gehört, und womit du nicht gleich mir schalten könntest.«

Mehrere Monate lang blieben und lebten wir zusammen in gutem Verständnis. Während wir uns oft von unserer dritten Schwester unterhielten und verwundert waren, keine Nachrichten von ihr zu erhalten, kam sie in ebenso schlechtem Zustande an wie die älteste. Ihr Mann hatte sie auf gleiche Weise behandelt, und ich nahm sie mit gleicher Freundschaft auf.

Einige Zeit nachher sagten mir meine beiden Schwestern unter dem Vorwand, daß sie mir zur Last wären, sie hätten beide die Absicht, sich wieder zu verheiraten. Ich erwiderte ihnen, daß, wenn sie keine andern als die angegebenen Ursachen hätten, sie ganz ruhig bei mir bleiben könnten, und daß mein Vermögen hinreiche, uns alle drei standesmäßig zu erhalten. »Aber,« fügte ich hinzu, »ich fürchte vielmehr, daß ihr wirklich eine Neigung habt, euch wieder zu verheiraten. Wenn das der Fall wäre, so würd' es mich, das gesteh' ich euch, sehr in Erstaunen setzen. Wie könnt ihr nach euren Erfahrungen über die wenige Genugtuung, welche der Ehestand gewährt, ein zweites Mal daran denken? Ihr wißt, wie selten es ist, einen vollkommen wackern Ehemann zu finden. Glaubt mir, und laßt uns unser Leben so angenehm als möglich fortsetzen.«

Alles, was ich ihnen sagte, war unnütz. Sie hatten einmal den Entschluß zu einer zweiten Heirat gefaßt und führten ihn aus. Aber nach einigen Monaten kamen sie wieder zu mir und machten mir tausend Entschuldigungen, daß sie nicht meinem Rat gefolgt wären. »Du bist unsre jüngste Schwester; aber du bist verständiger als wir. Wenn du uns noch in deinem Hause aufnehmen und wie deine Sklavinnen betrachten willst, so werden wir keinen so großen Fehltritt wieder begehen.« – »Meine lieben Schwestern,« antwortete ich ihnen, »ich habe mich seit unserer letzten Trennung in Hinsicht auf euch nicht verändert, kommt und genießt mit mir, was ich habe.« Ich umarmte sie, und wir blieben wie sonst beisammen.

Nachdem wir ein Jahr in vollkommener Eintracht verlebt hatten und ich sah, wie mein kleines Vermögen durch Gott gesegnet worden war, faßte ich den Entschluß, eine Seereise zu machen, um im Handel etwas zu wagen. Zu diesem Zweck begab ich mich mit meinen beiden Schwestern nach Balsora, woselbst ich ein ganz ausgerüstetes Schiff kaufte und es mit Waren belud, die ich von Bagdad hatte kommen lassen. Wir gingen bei günstigem Wind unter Segel und kamen bald aus dem Persischen Meerbusen. Als wir auf offenem Meer waren, nahmen wir den Weg nach Indien, und nach zwanzigtägiger Fahrt sahen wir Land. Es war ein hoher Berg, an dessen Fuß wir eine sehr ansehnlich aussehende Stadt erblickten. Da wir frischen Wind hatten, gelangten wir bei guter Zeit in den Hafen, woselbst wir ankerten.

Ich hatte nicht die Geduld, abzuwarten, bis meine Schwestern imstande waren, mich zu begleiten; ich stieg allein ans Land und ging geradezu nach dem Stadttor. Ich sah dort eine zahlreiche Wache von sitzenden und stehenden Leuten mit einem Stock in der Hand. Sie sahen aber so scheußlich aus, daß ich darüber erschrak. Da ich jedoch bemerkte, daß sie sich nicht rührten und nicht einmal die Augen bewegten, so beruhigte ich mich, und als ich ihnen näher kam, sah ich, daß sie versteinert waren.

Ich ging in die Stadt und durch mehrere Straßen, wo ich hier und da Menschen in allen Orten und Stellungen fand, die alle bewegungslos und versteinert waren. Im Viertel der Kaufleute fand ich den größten Teil der Läden verschlossen, und in den offenen sah ich ebenfalls versteinerte Personen. Ich sah nach den Schornsteinen, und da kein Rauch herauskam, schloß ich, daß in wie außer den Häusern alles in Stein verwandelt wäre.

Als ich auf einen großen Platz in der Mitte der Stadt gekommen war, bemerkte ich eine große, mit Goldplatten bedeckte Türe, deren beide Flügel offen waren. Ein Vorhang von seidenem Stoff schien vorgezogen, und eine Lampe hing über der Türe. Nachdem ich das Gebäude betrachtet hatte, zweifelte ich nicht, daß es der Palast des Fürsten wäre, der in diesem Lande herrschte. Ich hob den Vorhang auf, und was mein Erstaunen vermehrte, ich sah im Vorhof nur einige versteinerte Türhüter oder Wachsoldaten, teils stehend, teils sitzend, teils liegend.

Ich ging durch einen großen Hof, in welchem viele Leute waren, einige schienen zu gehen, andere zu kommen, und doch rührten sie sich nicht von der Stelle, weil sie ebenso versteinert waren wie die, welche ich schon gesehen hatte. Ich kam in einen zweiten und dritten Hof; aber überall war nur eine Einöde, und es herrschte ein furchtbares Stillschweigen.

Als ich in einen vierten Hof gelangt war, sah ich vor mir ein sehr schönes Gebäude, dessen Fenster mit Gittern von massivem Golde verschlossen waren. Ich hielt es für die Wohnung der Königin und ging hinein. In einem großen Saale fand ich mehrere versteinerte schwarze Verschnittene. Ich ging hierauf in ein sehr prächtig eingerichtetes Zimmer und sah eine ebenfalls in Stein verwandelte Frau. An einer Krone auf ihrem Haupt und an einem Halsband von sehr runden Perlen, die größer als Haselnüsse waren, erkannte ich, daß es die Königin wäre. Ich betrachtete die Perlen näher, und es schien mir, daß man nichts Schöneres sehen könnte.

Ich bewunderte eine Zeitlang die Reichtümer und die Pracht dieses Zimmers und vorzüglich den Fußteppich, die Kissen und das Sofa, welches mit einem indischen Stoff überzogen war, in dessen Goldgrund silberne Gestalten von Menschen und Tieren mit bewundernswürdiger Arbeit gewebt waren.«

Scheherasade würde weiter erzählt haben; aber die Tageshelle nötigte sie, innezuhalten. Der Sultan war durch diese Erzählung sehr ergötzt. »Ich muß wissen,« sagte er beim Aufstehen, »was diese erstaunliche Menschenversteinerung bezweckt.«

 

Achtundsechzigste Nacht.

Dinarsade, welcher der Anfang von Sobeïdens Geschichte sehr gefallen hatte, unterließ nicht, die Sultanin vor Tagesanbruch zu wecken und sie zu bitten, ihr doch zu erzählen, was Sobeïde noch in jenem seltsamen Palaste sah. »Höre,« erwiderte Scheherasade, »wie diese Frau in der Erzählung ihrer Geschichte fortfuhr:

»Herr,« sagte sie zum Kalifen, »aus dem Zimmer der versteinerten Königin ging ich in mehrere andere schöne und prächtige Zimmer und Kabinette, die mich in ein Gemach von außerordentlicher Größe führten, worin auf einigen Stufen ein Thron von massivem Golde stand, geschmückt mit großen eingefaßten Smaragden, und auf dem Throne befand sich ein Bett, auf welchem eine Stickerei von Perlen glänzte. Was mich aber mehr als alles übrige in Erstaunen setzte, war ein glänzendes Licht, welches über dem Bette ausströmte. Neugierig, zu wissen, woher es käme, stieg ich hinauf und sah auf einem kleinen Sessel einen Diamanten in der Größe eines Straußeneies und von so schönem Wasser, daß ich auch nicht den geringsten Fehler an ihm bemerkte. Er glänzte so, daß ich seinen Glanz, wenn ich ihn im Tageslicht betrachtete, nicht auszuhalten vermochte.

Es befand sich am Kopfkissen auf jeder Seite ein großes angezündetes Licht, dessen Gebrauch ich nicht einsah. Dieser Umstand ließ mich jedoch vermuten, daß es noch irgend ein lebendes Wesen in diesem prächtigen Palast gebe; denn ich konnte nicht glauben, daß diese Lichter sich von selbst angezündet erhalten könnten. Mehrere andere Seltenheiten ließen mich in diesem Zimmer verweilen, welches der erwähnte Diamant allein unschätzbar machte.

Da alle Türen offen oder nur angelehnt waren, so ging ich noch durch andere Zimmer, die ich nicht minder schön fand als die bereits gesehenen. Ich ging bis in die Speise- und Gerätekammern, die mit unendlichen Reichtümern angefüllt waren, und ich beschäftigte mich so sehr mit allen diesen Wundern, daß ich mich selbst vergaß. Ich dachte weder an mein Schiff noch an meine Schwestern, sondern bloß an die Befriedigung meiner Neugier. Inzwischen kam die Nacht heran, und da ihre Annäherung mir verkündete, daß es Zeit wäre, mich fortzubegeben, so wollte ich meinen Weg wieder durch die Höfe nehmen, durch welche ich gekommen war; aber es war mir nicht leicht, ihn wiederzufinden. Ich verirrte mich in den Gemächern, und als ich mich wieder in dem großen Thronzimmer mit dem Bett, dem großen Diamanten und den angezündeten Lichtern befand, beschloß ich, die Nacht daselbst zuzubringen und die Rückkehr zu meinem Schiff bis an den andern Morgen zu verschieben. Ich warf mich auf das Bett, nicht ohne einige Angst, mich in einem so öden Ort allein zu sehen, und es war ohne Zweifel diese Furcht, die mich am Schlafen hinderte.

Es mochte ungefähr Mitternacht sein, als ich eine Stimme wie die eines Mannes hörte, der den Koran auf dieselbe Art und Weise und mit demselben Ton las, wie er in unsern Tempeln gelesen wird. Dies verursachte mir viel Freude; ich stand sogleich auf, nahm ein Licht, um mir zu leuchten, und ging auf der Seite, auf welcher ich die Stimme hörte, von Zimmer zu Zimmer. Ich blieb vor der Türe eines Kabinettes stehen, aus welchem sie unbezweifelt kam. Ich stellte das Licht auf die Erde, und als ich durch eine Spalte blickte, schien es mir ein Betzimmer zu sein. Es befanden sich darin in der Tat wie in unseren Tempeln eine Blende, welche bezeichnete, wohin man sich beim Gebet wenden sollte, aufgehangene und angezündete Lampen und zwei Leuchter mit großen ebenfalls angezündeten Kerzen von weißem Wachs.

Ich sah auch einen kleinen Teppich ausgebreitet von der Form derer, die man bei uns auszubreiten pflegt, um sich darauf zu setzen und zu beten. Ein junger Mann von gutem Gesicht saß auf dem Teppich und las mit großer Aufmerksamkeit laut im Koran, der vor ihm auf einem kleinen Pulte lag. Bei diesem Anblick forschte ich, von Bewunderung hingerissen, in meinem Geiste, wie es möglich wäre, daß er der einzige Lebende in einer Stadt sei, wo alle übrigen Menschen versteinert wären, und ich zweifelte nicht, daß darin etwas sehr Wunderbares läge.

Da die Türe nur angelehnt war, so öffnete ich sie. Ich trat ein, und vor der Blende stehenbleibend, sprach ich mit lauter Stimme folgendes Gebet:

»Gelobt sei Gott, der uns durch glückliche Seefahrt begünstigt hat. Erzeige uns die Gnade, uns bis zur Heimkehr in unser Land ebenso zu beschützen! Höre mich, Herr, und erhöre mein Gebet.«

Der junge Mann sah mich an und sagte zu mir: »Meine Schöne, ich bitte Euch, mir zu sagen, wer Ihr seid, und was Euch in diese verödete Stadt geführt hat. Zum Lohn dafür sollt Ihr erfahren, wer ich bin, was mir begegnet ist, aus welcher Ursache die Bewohner dieser Stadt in dem Zustande sind, in welchem Ihr sie gesehen habt, und warum ich allein in einem so schrecklichen Unglück frisch und gesund bin.«

Ich erzählte ihm mit wenigen Worten, woher ich käme, was mich zu dieser Reise veranlaßt hätte, und wie ich nach zwanzigtägiger Schiffahrt glücklich angelangt wäre. Zuletzt bat ich ihn nun, seinerseits das mir gegebene Versprechen zu erfüllen, und ich bezeugte ihm, wie sehr ich über die schreckliche Verödung erstaunt wäre, die ich überall auf meinem Wege bemerkt hätte.

»Meine Liebe,« sagte der junge Mann, »geduldet Euch einen Augenblick.« Bei diesen Worten machte er den Koran zu, steckte ihn in ein kostbares Futteral und legte ihn in die Blende. Währenddem hatte ich Zeit, ihn aufmerksam zu betrachten, und ich fand ihn so schön und so anmutig, daß ich Bewegungen fühlte, die ich früher noch nie gefühlt hatte. Er ließ mich neben sich setzen, und eh er zu reden begann, konnte ich mich nicht erwehren, ihm mit einer Miene, die ihm die Gesinnungen, welche er mir eingeflößt hatte, zu erkennen gab, zu sagen: »Liebenswürdiger Herr, teurer Gegenstand meiner Seele, man kann nicht mit größerer Ungeduld, als ich es tue, die Aufklärung über so viele erstaunliche Dinge erwarten, welche meine Blicke seit meinem ersten Schritt in diese Stadt geschaut haben, und meine Neugier kann nicht schnell genug befriedigt werden. Redet, ich beschwöre Euch; erzählt mir, durch welches Wunder Ihr allein unter einer solchen Menge an einem so unerhörten Tode verstorbener Personen noch am Leben seid.«

Hier unterbrach sich Scheherasade und sagte zu Schachriar: »Herr, Euer Majestät bemerkt vielleicht nicht, daß es Tag ist. Wenn ich fortführe zu erzählen, würd' ich Eure Geduld mißbrauchen.« Der Sultan stand auf, entschlossen, in der nächsten Nacht die Folge dieser merkwürdigen Geschichte zu hören.

 

Neunundsechzigste Nacht.

Dinarsade bat ihre Schwester in der folgenden Nacht, die Erzählung Sobeïdens wieder aufzunehmen und zu berichten, was sich zwischen ihr und dem jungen Mann begab, den sie in jenem so schön von ihr geschilderten Palast fand. »Ich werde dir Genüge leisten,« erwiderte die Sultanin. »Sobeïde setzte ihre Erzählung in folgenden Worten fort:

»Verehrte Frau,« sagte der junge Mann zu mir, »Ihr habt mir durch Euer Gebet hinlänglich gezeigt, daß Ihr die Erkenntnis des wahren Gottes besitzt. Ihr sollt eine sehr merkwürdige Wirkung von seiner Macht und seiner Größe erfahren. Wisset, daß diese Stadt die Hauptstadt eines mächtigen Königreichs war, dessen Namen der König, mein Vater führte. Dieser Fürst, sein ganzer Hof, die Bewohner der Stadt und alle seine anderen Untertanen waren Magier und Anbeter des Feuers und des Nardoun, des alten Königs der Riesen, die sich gegen Gott empört hatten.

Obgleich von götzendienerischen Eltern abstammend, hab' ich doch das Glück gehabt, in meiner Jugend zur Hofmeisterin eine gute muselmännische Frau zu haben, die den Koran auswendig wußte und sehr gut auslegte. »Mein Prinz,« sagte sie oft zu mir, »es gibt nur einen wahren Gott; hütet Euch, andere anzuerkennen und anzubeten.« Sie lehrte mich arabisch lesen, und das Buch, welches sie mir zur Übung gab, war der Koran. Sobald ich sie zu begreifen vermochte, erklärte sie mir alle Punkte dieses trefflichen Buchs und flößte mir ohne Wissen meiner Eltern allen seinen Geist ein. Sie starb, aber erst nachdem sie mir allen Unterricht erteilt hatte, dessen ich bedurfte, um vollkommen von den Wahrheiten der muselmännischen Religion überzeugt zu sein. Seit ihrem Tode bin ich fest bei den Gesinnungen geblieben, die sie mir eingeflößt hat, und habe den falschen Gott Nardoun und die Anbetung des Feuers verabscheut.

Vor drei Jahren und einigen Monaten ließ sich plötzlich durch die ganze Stadt eine gewaltige Stimme hören und zwar so deutlich, daß niemand eines der von ihr gesprochenen folgenden Worte verlor:

»Einwohner, laßt ab von der Anbetung Nardouns und des Feuers. Betet den einzigen Gott an, der da barmherzig ist.«

Dieselbe Stimme ließ sich drei Jahre hintereinander hören; aber da sich niemand bekehrte, so wurden am letzten Tage des dritten Jahres um drei oder vier Uhr des Morgens alle Einwohner in einem Augenblick, jeder in dem Zustande und in der Stellung, worin er sich eben befand, in Stein verwandelt. Den König, meinen Vater, traf dasselbe Los; er wurde zu schwarzem Stein, so wie man ihn noch an einem Ort dieses Palastes sieht, und die Königin, meine Mutter, hatte ein gleiches Schicksal.

Ich bin der einzige, den Gott mit dieser schrecklichen Züchtigung verschont hat, und seit dieser Zeit fahre ich fort, ihm mit größerer Inbrunst als je zu dienen, und ich bin überzeugt, daß er nur Euch, meine schöne Frau, zu meinem Troste schickt, wofür ich ihm innigst danke; denn ich gestehe Euch, daß mich diese Einsamkeit sehr langweilt.«

Diese ganze Erzählung und vorzüglich diese letzten Worte entflammten mich vollends für ihn. »Prinz,« sagte ich zu ihm, »es ist nicht zu bezweifeln, mich hat die Vorsehung in Euren Hafen gebracht, um Euch die Gelegenheit zu verschaffen, Euch aus einem so traurigen Orte zu entfernen. Das Schiff, in welchem ich gekommen bin, kann Euch überzeugen, daß ich zu Bagdad, allwo ich andre recht beträchtliche Güter zurückgelassen habe, in einigem Ansehen stehe. Ich wage es, Euch dort einen Zufluchtsort anzubieten, bis der mächtige Beherrscher der Gläubigen, der Verweser des großen Propheten, welchen Ihr anerkennt, Euch alle gebührende Ehre erwiesen hat. Dieser berühmte Fürst wohnt in Bagdad, und sobald er Eure Ankunft in seiner Hauptstadt erfahren haben wird, wird er Euch zu erkennen geben, daß man seinen Beistand nicht vergebens anfleht. Es ist nicht möglich, daß Ihr länger in einer Stadt bleibt, in welcher Euch alle Gegenstände unerträglich sein müssen. Mein Schiff ist zu Euren Diensten, und Ihr könnt unumschränkt darüber gebieten.« Er nahm das Anerbieten an, und wir brachten den übrigen Teil der Nacht damit zu, uns von unserer Einschiffung zu unterhalten.

Sobald der Tag anbrach, gingen wir aus dem Palast und begaben uns in den Hafen, wo wir meine Schwestern, den Schiffshauptmann und meine Sklaven sehr um mich besorgt fanden. Nachdem ich den Prinzen meinen Schwestern vorgestellt hatte, erzählte ich ihnen, was mich verhindert hätte, am vergangenen Tage zum Schiff zurückzukehren, wie ich den jungen Prinzen getroffen, seine Geschichte und die Ursache der Verödung einer so schönen Stadt.

Die Matrosen brachten mehrere Tage damit zu, die mitgebrachten Waren aus- und an ihrer Stelle alles das einzuladen, was der Palast Kostbares an Edelsteinen, Gold und Silber enthielt. Wir ließen das Hausgerät und eine Menge Goldschmiedsarbeit zurück, weil wir sie nicht fortbringen konnten; denn wir hätten mehrere Schiffe dazu gebraucht, um alle die Reichtümer, die wir vor Augen hatten, nach Bagdad zu bringen.

Nachdem wir nun das Schiff mit allen den Sachen, die wir mitnehmen wollten, beladen hatten, nahmen wir so viel Mundvorrat und Wasser ein, als zu unserer Reise nötig erachtet wurde. Was den Mundvorrat betraf, so war uns noch viel von dem übriggeblieben, den wir in Balsora eingeschifft hatten. Endlich segelten wir mit einem Winde, wie wir ihn nur wünschen konnten, ab.«

Bei diesen Worten bemerkte Scheherasade, daß es Tag war. Sie hörte auf zu reden, und der Sultan stand auf, ohne etwas zu sagen, nahm sich aber vor, die Geschichte Sobeïdens und des jungen, so wunderbar erhaltenen Prinzen bis zu Ende zu hören.

 

Siebenzigste Nacht.

Gegen Ende der folgenden Nacht weckte Dinarsade, ungeduldig, den Erfolg von Sobeïdens Seefahrt zu erfahren, die Sultanin. »Meine liebe Schwester,« sagte sie zu ihr, »fahre – ich bitte dich – in der gestrigen Erzählung fort und sage uns, ob der junge Prinz und Sobeïde glücklich in Bagdad anlangten.« – »Ihr sollt es erfahren,« erwiderte Scheherasade; »Sobeïde erzählte, sich immer an den Sultan wendend, folgendermaßen weiter:

»Herr,« sagte sie, »der junge Prinz, meine Schwestern und ich, wir unterhielten uns täglich angenehm miteinander; aber ach! unsere Einigkeit dauerte nicht lange! Meine Schwestern wurden eifersüchtig über das Verständnis, welches sie zwischen dem jungen Prinzen und mir bemerkten, und fragten mich eines Tages boshafterweise, was wir mit ihm anfangen würden, wenn wir in Bagdad angelangt wären. Ich merkte wohl, daß sie diese Frage nur darum an mich richteten, um meine Gesinnungen zu entdecken. Ich antwortete ihnen deshalb, indem ich die Sache scherzhaft zu nehmen schien, daß ich ihn zu meinem Gatten nehmen würde, und sagte zum Prinzen, mich zu ihm wendend: »Mein Prinz, ich bitte Euch einzuwilligen. Sobald wir in Bagdad sein werden, ist meine Absicht, Euch meine Person anzubieten, um Eure ergebenste Sklavin zu sein, Euch Dienste zu leisten und Euch als den unumschränkten Herrn meines Willens anzuerkennen.«

»Verehrte Frau,« erwiderte der Prinz, »ich weiß nicht, ob Ihr scherzt; was aber mich betrifft, so erkläre ich Euch sehr ernsthaft vor Euren beiden Frauen Schwestern, daß ich von diesem Augenblick an aus gutem Herzen das Anerbieten annehme, welches Ihr mir macht, nicht um Euch als eine Sklavin, sondern als meine Dame und meine Herrin zu betrachten, und ich begebe mich jedes Anspruchs auf eine Herrschaft über Eure Handlungen.« Meine Schwestern veränderten bei dieser Rede die Farbe, und ich bemerkte seit dieser Zeit, daß sie nicht mehr dieselben Gesinnungen als sonst für mich hegten.

Wir waren im Persischen Meerbusen und näherten uns Balsora, wo ich bei dem guten Winde, den wir hatten, am folgenden Tage anzulangen hoffte. Aber in der Nacht, während ich schlief, paßten meine Schwestern ihre Zeit ab und warfen mich ins Meer; den Prinzen ertränkten sie auf gleiche Weise. Ich erhielt mich einige Zeit über dem Wasser, und glücklicher- oder vielmehr wunderbarerweise fand ich Grund. Ich ging auf etwas Schwarzes zu, das ich, so viel mir die Dunkelheit zu unterscheiden vergönnte, für Sand hielt. In der Tat erreichte ich ein Ufer, und der anbrechende Tag ließ mich erkennen, daß ich mich auf einer kleinen wüsten Insel ungefähr zwanzig Meilen von Balsora befand. Ich hatte meine Kleider schnell an der Sonne getrocknet und bemerkte im Gehen mehrere Arten von Früchten und auch süßes Wasser, was mir einige Hoffnung zur Erhaltung meines Lebens gab. Ich ruhte mich im Schatten aus, als ich eine sehr dicke und lange geflügelte Schlange gewahrte, die, sich rechts und links heftig hin- und herbewegend, mit ausgestreckter Zunge auf mich zukam, woraus ich schloß, daß irgend ein Übel sie bedrängte. Ich stand auf und hatte Mitleid mit ihr, als ich gewahrte, daß sie von einer noch dickeren Schlange verfolgt wurde, welche sie beim Schwanz hielt und sich anstrengte, sie zu verschlingen. Statt zu fliehen, hatte ich die Dreistigkeit und den Mut, einen zufällig neben mir liegenden Stein zu ergreifen. Ich warf ihn mit aller meiner Kraft gegen die dickere Schlange, traf sie an den Kopf und zerschmetterte diesen. Als die andere sich befreit sah, breitete sie ihre Flügel aus und flog davon; ich betrachtete sie lange in der Luft als etwas Außerordentliches; als ich sie aus dem Gesicht verloren hatte, setzte ich mich wieder an einen anderen Fleck in den Schatten und entschlief.

Stellt Euch vor, wie groß bei meinem Erwachen mein Erstaunen war, neben mir eine schwarze Frau mit lebhaften und angenehmen Zügen zu sehen, welche an einem Bande zwei Hündinnen von derselben Farbe hielt. Ich richtete mich auf und fragte, wer sie wäre. »Ich bin,« erwiderte sie, »die Schlange, welche Ihr vor kurzem von ihrem gefährlichsten Feinde befreit habt. Ich habe geglaubt, den wichtigen Dienst, der mir von Euch geleistet worden ist, nicht besser vergelten zu können, als wenn ich täte, was ich getan habe. Ich wußte um den Verrat Eurer Schwestern und habe, um Euch zu rächen, sobald ich durch Eure großmütige Hilfe frei war, mehrere meiner Genossinnen, welche gleich mir Feen sind, herbeigerufen; wir haben die ganze Ladung Eures Schiffes in Eure Vorratshäuser in Bagdad getragen und es hierauf versenkt. Diese beiden schwarzen Hündinnen sind Eure Schwestern, denen ich diese Gestalt gegeben habe. Diese Züchtigung ist aber nicht hinreichend, und Ihr müßt sie noch auf die Art, die ich Euch sagen werde, behandeln.«

Bei diesen Worten umfaßte die Fee mich fest mit dem einen Arm und die beiden Hündinnen mit dem andern und brachte uns so nach Bagdad, wo ich in meinem Vorratshause alle die Reichtümer fand, mit welchen mein Schiff beladen gewesen war. Ehe sie mich verließ, übergab sie mir die beiden Hündinnen und sagte zu mir: »Bei der Strafe, gleich ihnen in eine Hündin verwandelt zu werden, befehle ich Euch im Namen dessen, der die Meere bewegt, alle Nächte jeder Eurer Schwestern hundert Peitschenhiebe zu geben, um sie wegen des Verbrechens zu bestrafen, welches sie an Eurer Person und dem von ihnen ertränkten Prinzen begangen haben.« Ich war genötigt, ihr zu versprechen, daß ich ihren Befehl erfüllen würde.

Seit jener Zeit hab' ich sie jede Nacht mit Widerwillen auf eben diese Weise, von welcher Euer Majestät Zeuge gewesen ist, behandelt. Ich bezeuge ihnen durch meine Tränen, mit wie vielen Schmerzen und wie ungern ich mich einer so grausamen Verpflichtung entledige, und Ihr seht wohl, daß ich hierin mehr zu beklagen als zu tadeln bin. Wenn es noch etwas mich Betreffendes gibt, wovon Ihr unterrichtet zu sein wünscht, so wird Euch meine Schwester Amine durch die Erzählung ihrer Geschichte darüber aufklären.«

Nachdem der Kalis Sobeïden mit Verwunderung angehört hatte, ließ er durch den Großwesir die anmutige Amine um die Gefälligkeit ersuchen, ihm doch zu erklären, warum sie mit Narben bezeichnet wäre.

Aber, Herr,« sagte Scheherasade bei dieser Stelle, »es ist Tag, und ich darf Euer Majestät nicht länger aufhalten.« Schachriar, überzeugt, daß die Geschichte, welche Scheherasade zu erzählen hatte, die Entwickelung der vorhergegangenen enthalten würde, sagte zu sich selbst: »Ich muß mir das Vergnügen ganz gewähren.« Er stand auf mit dem Entschluß, die Sultanin diesen Tag noch leben zu lassen.

 

Einundsiebenzigste Nacht.

Dinarsade wünschte leidenschaftlich, Aminens Geschichte zu hören, und deshalb erwachte sie sehr früh und beschwor die Sultanin, ihr zu erzählen, warum der Busen der liebenswürdigen Amine ganz mit Narben bedeckt sei. »Ich bin bereit,« erwiderte Scheherasade, »und um keine Zeit zu verlieren, sollst du wissen, daß Amine, sich an den Kalifen wendend, ihre Geschichte wie folgt begann:

 


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