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Letztes Halbjahr. (Von 14-14½ Jahren.)

30. Juli: Also Gott sei Dank heute ist mein 14!!! Geburtstag; die Olga hat geglaubt, ich bin schon 16 oder mindestens 15; aber ich sagte: Da würde ich mich schön bedanken; ausschauen wie 16, das ist mir sehr angenehm, aber 16 sein möchte ich nicht, denn wie lang ist man dann noch jung, höchstens 2-3 Jahre. Aber so ein fremdes Gefühl, wie die Hella sagte, habe ich wirklich nicht; ich bin nur sehr froh, daß jetzt niemand, nicht einmal die Dora sagen kann, ich bin ein Kind. Das Wort »Kind« hasse ich furchtbar, außer wenn die Mama sagte: »Du mein liebes Kind«, aber da meinte sie es auch ganz anders. Der Ring von der Mama hat mich von allen Geburtstagsgeschenken am meisten gefreut; ich werde ihn ewig tragen. Und wie ich weinen wollte, sagte der Papa so lieb: »Nicht weinen, Gretel, am 14!! Geburtstag darf man nicht weinen, das wäre ein schöner Anfang, nämlich vom Erwachsensein! Außer dem Ring bekam ich vom Papa noch eine entzückende schwarze Perlenkette um den Hals, die mir wirklich wunderbar steht und dabei so kühl ist; dann von Theodor Storm, Immensee, von der Tante Dora die schwarzen Ajour-Strümpfe und schwarze lange Seidenhandschuhe und von der Dora ein Sportarmband aus ganz dunkelgrauem Leder für die Uhr. Aber das trage ich erst in Wien in die Schule. Die Großeltern schickten wie immer Obst, aber vom Oswald ist nichts gekommen. Er kann doch unmöglich vergessen haben. Wahrscheinlich kommt es verspätet. Und vom Papa noch ein Kistchen Konsumbonbons, die esse ich für mein Leben gern. Zu Mittag hatte die Tante Dora eigens meine Lieblingsmehlspeise »Mohr im Hemd« bestellt und alle sagten: Ja, was ist denn das, an einem Wochentag so eine Sonntagsspeise? Und da kam es heraus, daß ich Geburtstag hatte und die zwei Weiner, die es schon wußten, sagten es den meisten Gästen und da gratulierten mir sehr viele. Die Olga und die Nelly hatten mir schon vormittag gratuliert und einen riesigen Strauß Feldblumen und einen aus Gartenblumen gegeben. Nachmittags gehen wir alle nach Flagg, dort ist es herrlich schön.

Am Abend: ich muß noch schreiben. Wir konnten die Partie nicht machen, weil ein greuliches Gewitter war von 2-4 Uhr. Aber wir unterhielten uns großartig. Und jetzt noch ein Erlebnis: Wie ich aus dem Speisesaal hinausgehe, um aufs ... zu gehen, sagt eine Stimme: Darf ich Ihnen auch gratulieren, Fräulein? Ich drehe mich um und hinter mir steht der riesengroße goldblonde Student, der mir schon seit drei Tagen aufgefallen ist. »Ich danke sehr, zu liebenswürdig«, sag ich und will vorbei, denn ich mußte wirklich hinaus. Er fängt aber gleich zu sprechen an und sagt: »Das mit den 14 Jahren ist doch nur ein Witz? Fräulein sind heute wohl 16 geworden?« »Leider nein und zugleich Gott sei Dank«, sag ich, »aber schließlich ist jeder so alt, als er aussieht. Pardon, ich muß dringend in mein Zimmer«, sage ich noch schnell und renne davon, denn sonst – – –!! Hoffentlich hat er die Wahrheit nicht geahnt. Das muß ich der Hella schreiben, die wird schön lachen. Sie schickte mir ein reizendes Schmuckdöschen mit einer Ansicht von Berchtesgaden, gefüllt mit meinen Lieblingen, Kognakbonbons. Im Briefe beklagt sie sich über die »Kürze meines letzten Schreibens.« Ich muß ihr morgen sofort einen langen Brief schreiben. Beim Abendessen sah ich erst, wo der »Baldur« sitzt; so nenne ich ihn wegen seines herrlichen blonden Haares und weil ich nicht weiß, wie er heißt. Er ist mit einem alten Herrn und einer alten Dame und einem Fräulein, das ähnliches Haar hat wie er, aber seine Schwester kann sie unmöglich sein, dazu ist sie entschieden zu alt.

31. Juli: Die Familie heißt Scharrer von Arneck und der Herr ist Oberbergrat in Pension. Das Fräulein ist richtig seine Schwester und ist eine Bürgerschullehrerin in Brünn. Ich habe das alles von dem Stubenmädchen erfahren. Aber ich war sehr schlau, ich wollte nicht direkt fragen und da sagte ich: Wer ist denn der alte Herr mit den weißen Locken, der sieht meinem Großpapa so ähnlich. (Ich kenne meinen Großpapa gar nicht, denn der vom Papa her ist schon seit 12 oder 15 Jahren gestorben und der Papa der Mama lebt gar nicht in Wien, sondern in Berlin). Da sagt die Luise: »Ach, Fräulein, meinen den Herrn Oberbergrat Sch..., von Sch... Aber der Herr Großpapa von Fräulein wird wohl nicht so brummig sein.« Da sag ich: »So, ist er brummig?« Und sie erwidert: »Na, und wie; da muß man fliegen, sonst ist es aus und geschehen!« Und dann gibt ein Wort das andere und sie erzählt mir alles, was sie weiß; das Fräulein ist schon 32 Jahre, sie heißt Hulda und ihr Papa läßt sie nicht heiraten und der junge Herr ist aus dem Haus gegangen, weil sein Papa ihn so sekkiert. Er studiert in Prag und kommt nur in den Ferien nachhause. Das ist alles sehr traurig und sie schauen doch so vergnügt aus mit Ausnahme von dem Fräulein. Ja richtig, bei Weiner, das ist gräßlich; die Olga ist doch schon 13 und die Nelly gar 15 und ihre Mama wird noch – – – – also das heißt, ihre Mama ist in a... U... die beiden sind empört und die Nelly sagte heute zu mir: Es ist ein Skandal; sie genieren sich so, mit ihrer Mama zu gehen. Aber ich habe noch nichts bemerkt; sie sagen aber, natürlich merkt man es schon längst; »im Oktober wird das sehr freudige Ereignis!! eintreten,« sagte die Olga. Das ist wirklich sehr unangenehm und mir hat die Frau W. gleich nicht gefallen. Ich kann nur nicht begreifen, wie so etwas überhaupt sein kann, wenn man schon so alt ist. Ich bedaure die zwei Weiner sehr. Übrigens bei den Sch. muß es ja auch so ähnlich gewesen sein, denn die Luise sagte mir, der junge Herr ist 21 und das Fräulein ist nicht 32, sondern 35 Jahre, sie hat sich zuerst geirrt; also ist sie um 14 Jahre älter, greulich. Die tut mir riesig leid, daß ihr Papa sie nicht heiraten läßt, daß heißt nicht hat heiraten lassen. Unser Papa wird sich gewiß nie weigern, wenn einmal eine von uns beiden heiraten soll. Ich habe alles der Hella geschrieben; sie geht mir schrecklich ab, denn die zwei Weiners sind mir doch eigentlich ganz fremd und der Dora könnte ich nie meine Geheimnisse anvertrauen, obwohl wir jetzt ganz gut mit einander sind. Morgen kommt der Oswald.

1. August: So ein Bursch hat's gut. Der kommt und geht, wann er will und wohin er will. Heute kommt ein Telegramm vom Oswald, daß er bis Mitte August ausbleibt: Königsee, Watzmanntouren herrlich, Brief folgt. Der Papa hat nicht viel gesagt, aber ich glaube, er ärgert sich auch sehr. Überhaupt jetzt nach dem Tode der armen Mama, da könnte der Oswald doch nachhause kommen. Voriges Jahr nach der Matura war er so lang fort, ganz allein, und heuer wieder. So von einem Vergnügen zum andern paßt sich wirkllich nicht, wenn einem vor einem Vierteljahr die Mama gestorben ist. Am zweiten Tag, wie wir hier angekommen waren und noch gar niemanden kannten, ging ich ganz in der Frühe um ½9 Uhr allein auf den Friedhof. Er liegt an einer Berglehne und hat uralte Grabsteine, manchmal kann man die Inschrift gar nicht mehr enträtseln, so verwischt ist sie; eine von 1798 noch mit römischen Ziffern. Dann habe ich mich auf eine kleine Bank gesetzt und an die arme Mama und all das Traurige gedacht und habe so schrecklich geweint, daß ich mir die Augen waschen mußte, damit niemand etwas merkt. Heute habe ich mich übrigens auch greulich geärgert. Kommt ein Brief von der Tante Alma, sie wollen auch herkommen, wir sollen ihnen eine Wohnung suchen, ob wir etwas Passendes, das heißt bei der Tante Alma immer billig, finden, aber unbedingt privat; natürlich, denn in einer Pension käme es ihnen viel zu teuer, Hoffentlich finden wir nichts Passendes, heute haben wir wirklich nichts gefunden, da wir wegen einem drohenden Gewitter nicht weit kamen. Und morgen hoffentlich auch nichts, das ist mein sehnlichster Wunsch; denn die Marina, diese Spioniererin, die könnte ich brauchen. Gott sei Dank sind auch die Tante Dora und die Dora entschieden dagegen. Aber der Papa sagte: Kinder, das geht nicht, es ist doch die Tante und suchen muß man jedenfalls. Also gut, suchen kann man schon; suchen und finden ist glücklicherweise zweierlei.

2. August: Heute in der Frühe gingen wir Wohnung suchen und weil die Dora immer etwas drein setzt, daß sie das Richtige findet, so stöbert sie richtig 2 Zimmer und Küche auf, allerdings nur in einem Bauernhaus. Die Sommerpartei, die hier wohnte, mußte wegen dem Tod der Großmama sofort nach Wien zurück und so gibt die Bäuerin die Wohnung sehr billig her. Die Dora schrieb gleich an die Tante und sie schrieb auch, daß wir uns alle sehr freuen, sie und alle zu sehen, was entschieden eine Falschheit ist. Und justament schrieb ich ein P. S., wo ich alle grüßte und bemerkte, daß die Reise schandbar teuer ist; vielleicht schreckt sie das doch ab. Durch dieses dumme Herumrennen um eine Wohnung habe ich weder gestern nachmittags noch heute vormittags die Weiners und natürlich auch nicht Gott Baldur gesehen. Und zu Mittag sieht man nicht zum Tisch vom Oberbergrat, weil sie gerade einen Erkerplatz haben, da sie schon seit 9 Jahren herkommen.

Ich bin zwar totmüde, aber das muß ich noch schreiben. Nachmittags waren wir und Weiners beim Kreindlbauer und da schloß sich der Siegfried Sch. an, da er die Weiner kennt, die auch schon 3 Jahre herkommen. Er redete aber hauptsächlich mit der Dora und das ärgerte mich furchtbar. So redete ich einfach gar nichts, sondern ging ganz hinten. Und am Rückweg kommt er zu mir und sagt: »Nun Fräulein Grete, sind Sie immer so insichgekehrt? Dem widersprechen Ihre Augen.« Ich sagte: »Das kommt ganz auf meine Stimmung an und vor allem andern dränge ich mich niemanden auf.« »Könnten Sie nicht bei Tisch mit Ihrer Mama Platz tauschen?« »Erstens ist das nicht meine Mama, die ist am 24. April gestorben, sondern meine Tante und zweitens warum sagen Sie das mir, das sollten Sie lieber meiner Schwester sagen!« »Oh eifersüchtig! Dazu ist kein Grund. Ich kann doch nicht mit Ihrer Schwester nicht reden, wenn ich schon bei der Gesellschaft bin; eifersüchtig dürfen Sie nicht sein, dazu haben Sie wirklich keine Ursache.« Wenn ich nur wüßte, wie ich das mit dem Platzwechseln machen soll, aber ich sitze ja immer neben dem Papa; und gleich tue ich es auf keinen Fall; höchstens nächste Woche. Leb wohl, mein Recke Siegfried, schlaf süß und träume von – – –

3. August: Die Anneliese schrieb mir: »Du goldiges Wesen, kannst du mir also meine Jugendsünde verzeihen? Die Welt strahlt mir in doppelt hellem Lichte, seit ich deinen Brief erhalten habe.« Ich weiß nicht, gar so verzeiherisch habe ich nicht geschrieben, nur daß es mir sehr leid tut, daß sie in Grätsch so einsam ist, und daß das Geschehene sich nicht mehr ändern läßt, man müsse es also begraben. Sie gratuliert mir auch noch nachträglich zum Geburtstag (wir haben nämlich im Winter unsere Geburtstage gegenseitig notiert) und schickt mir ein gepreßtes großes Vergißmeinnicht. Bis es gepreßt war, wartete sie mit dem Antworten. Ich weiß nun nicht, was ich tun soll. Der starke Siegfried wüßte mir wohl zu raten, aber dem kann ich doch die Sache nicht erzählen, weil ich ja dann auch sagen müßte, warum wir böse geworden sind und das wäre greulich. Ich werde doch, bevor ich antworte, der Hella schreiben. Aber das müßte ich heute noch tun, denn bis die Antwort kommt, das dauert hin und her gut drei und bis die Anneliese dann den Brief bekommt wieder einen oder 2 Tage, also alles zusammen mindestens 5 Tage. Es regnet in Strömen und da ist es sehr fad, weil der Papa nicht erlaubt, daß wir allein in der Halle sitzen; ich möchte wissen, warum nicht. Der Papa ist doch sonst wirklich sehr nett, ganz anders als andere Väter, aber in der Hinsicht ist er eckelhaft. Ich werde mich nach dem Essen auf den Streckfauteuil legen und Immensee lesen, denn ich bin noch immer nicht dazugekommen.

6. August: Na also, heute ist die ganze Klerisei angekommen; die Marina mit einem staubgrauen Kostüm, das ihr greulich steht und der Erwin und der Ferdinand; der Ferdinand geht in die Neustädter Mil.-Akademie, in den Artillerie-Kurs in Wien; der ist noch der fescheste von allen. Der Onkel in greulicher Stimmung schimpfte über die Fahrt, über das Handgepäck, mir scheint, sie hatten aber auch vielleicht 8 oder 10 Stück, wenigstens mußte ich einen schweren Plaid schleppen und die Dora eine Handtasche, von der sie sagte, da sei der ganze Familientratsch von 10 Jahren drin. Und die Tante Alma schaute zum Kugeln aus, ein Touristenkleid so hoch geknöpft, daß man ihr beim Gehen die braunen Strümpfe sah und einen Hut, wie eine Vogelscheuche. Wenn ich denke, wie unsere Mama immer fein ausgesehen hat: sie war ja allerdings mindestens um 20 Jahre jünger als die Tante Alma, aber trotzdem, wenn die Mama 80 Jahre alt geworden wäre, so hätte sie nie ausgeschaut. Gott sei Dank, daß wir in dem Aufzug niemanden und besonders nicht jemanden begegneten. Zum Mittagessen kamen alle ausnahmsweise in die Pension. Da wurden zwei Tische zusammengestellt und das benützte ich, um den Platz zu wechseln; ich bot nämlich der Tante Alma den Platz neben dem Papa an und setzte mich, neben die holde Marina, gerade gegenüber – – –! Übrigens bei Tisch sah die Marina ganz gut aus, die weiße Bluse steht ihr sehr gut und dann hat sie einen wunderbaren Teint, so weiß und nur an den Wangen ein bißchen rosa. Das ist aber auch das einzige Schöne an ihr. Die Frisur ist gräßlich, ganz glatt abgeteilt und die Gretelfrisur. Die trage ich schon lange nicht mehr, obwohl alle sagten, daß sie mir sehr gut stand. Aber die Schnecken stehen mir bedeutend besser. Er hat die ganze Zeit herübergeschaut und die Tante Alma sagte: »Ja die Grete, die blüht ja förmlich auf, da steckt doch hoffentlich nicht schon etwas Männliches dahinter.« »O nein,« sagt der Papa, »die Landluft tut ihr so gut, und wenn sich die Kinder unterhalten, so verbittere ich ihnen nicht jede unschuldige Freude.« O mein herrlicher Papa, ich mußte mich zurückhalten, daß ich ihm nicht gleich ein Busserl gab. Alle waren ganz still und jedes sah auf seinen Teller so angelegentlich, als ob er noch nie Rumpudding gegessen hätte. Nur der Ferdinand zwinkerte der Marina zu, aber die merkte natürlich nichts. Glücklicherweise hatten alle bald fertig gegessen und jedes nahm ein zweitesmal und da wurde wieder geredet. Wie wir dann in die Zimmer gingen, klopfte ich beim Papa an und gab ihm das versprochene Busserl und sagte: »Papa, du bist ein Juwel von einem Vater.« »Also sei auch du gefälligst ein Juwel von einer Tochter und halt Frieden mit der Marina und den andern.« Da sagte ich: »Gott, ich kann sie nicht leiden, die Duckmäuserin!« »Na, ja,« sagt der Papa, »seine Eltern und seine Verwandten kann man sich leider nicht aussuchen.« »Meine Eltern hätte ich mir auch nicht anders ausgesucht, denn einen solchen Papa und auch eine solche Mama hätten wir gar nicht wieder finden können.« Da hob mich der Papa in die Höhe, als wie wenn ich noch ein kleines Mäderl wäre, und sagte: »Du lieber Schatz du, mein Kleines«, und wir küßten uns sehr ab. Den Papa hab ich doch eigentlich am liebsten von allen Menschen; denn die Hella habe ich doch ganz anders gern, das ist eben meine Freundin, und die Dora ist meine Schwester; und die Tante Dora habe ich ja auch gern und den Oswald, wenn er endlich auf der Bildfläche erscheint.

8. August: Ich bin wütend! Heute bekomme ich von der Hella eine Karte, auf der steht nichts als »Tu, was Du nicht lassen kannst«, mit besten Grüßen Deine M. Auf offenen Karten schreiben wir uns nämlich in einer Geheimschrift, die niemand anderer lesen kann, so daß H = M ist. Zum Glück, daß es niemand lesen kann. Natürlich schrieb ich sofort der Anneliese und zwar sehr lieb und der Hella sandte ich eine Karte, da schrieb ich nichts als in unserer Schrift: Ist bereits geschehen. Mit besten Grüßen W. Nicht einmal Deine W. Ich bin neugierig, was sie tut. Der Recke Siegfried ist heute mit uns auf der Wiese im Heu gelegen und da sprach er großartig. Nur das finde ich nicht, daß alle Väter, ausnahmslos Tyrannen sind. Ich sagte: » Mein Papa wirklich nicht!« Da antwortete er: » Noch nicht, Sie werden es schon auch erfahren. Aber wer einen Charakter hat, der läßt sich nicht unterdrücken. Ich habe einfach mit meinem Alten gebrochen und bin aus dem Haus; es gibt mehr technische Hochschulen als die in Brünn. Und weil Sie sagen nicht alle Väter; da schauen Sie die Hulda an; so oft sie eine Partie gefunden hat, hat der Alte sie ihr verpatzt, weil kein Mensch sich eine solche Bevormundung gefallen läßt.« »Wieso Bevormundung«, frag ich, aber da stehen gerade alle auf zum Weggehen. Also vielleicht morgen; der arme Gequälte.

9. August: Gott, das ist gräßlich, wenn das alles wirklich so ist, wie die Hella schreibt vom Angestecktwerden; ein Ausschlag am ganzen Körper, das ist das Greulichste, was es gibt. Ich muß den Brief sofort zerreißen, und weil sie 8 Seiten voll doch nicht in unserer Schrift schreiben konnte, muß ich ihn vernichten, damit niemand ihn in die Hand bekommt. Das ist besonders notwendig, jetzt wo die Marina da ist, wo man nie wissen kann – – – Aber ich weiß mir zu helfen; ich schreibe mir den Brief hier ab, wenn ich auch ein paar Tage dazu brauche. Also sie schreibt:

Inniggeliebte Rita, was hast Du zu meiner gestrigen Karte gesagt? Wenn Du dich geärgert hast, so sei mir nicht weiter böse. Du kannst umgehen und Briefe wechseln mit wem Du willst; aber alle Folgen hast Du Dir dann allein zuzuschreiben. Mein Papa sagt immer: Rote Haare, Gott bewahre! Und dabei bleibe ich, daß das »reine Kind« fuchsrote Haare hat. Also, wie du glaubst.

Aber jetzt habe ich dir etwas viel Wichtigeres mitzuteilen. Aber versprich mir im vorhinein, daß Du diesen Brief augenblicklich zerreißt, sobald Du ihn gelesen hast. Sonst schicke ihn mir lieber ungelesen zurück.

Also denke Dir. Hier in B. wohnt eine junge Frau mit ihrer Mama und ihrer Kusine, die studiert Medizin; sie sind Polen, für die ich seit jeher schwärme. Die junge Frau ist geschieden, denn sie ist von ihrem Mann in der Hochzeitsnacht angesteckt worden. Du weißt hoffentlich noch, was das heißt angesteckt werden. Aber es ist in Wirklichkeit anders, als wir glaubten. Sie hat nämlich am ganzen Körper und im Gesicht einen furchtbaren Ausschlag bekommen davon und wahrscheinlich werden ihr alle Haare ausfallen; das ist doch gräßlich. Die Studentin, ihre Kusine, die sehr arm sein soll, ist zu ihrer Pflege da. Das erzählte mir schon neulich unsere Rosa, die weiß es von dem Stubenmädchen in der Villa, welche diese Damen bewohnen. Mit der Lizzi kann man, wie Du sehr gut weißt, über so etwas nicht reden und so erfuhr ich weiter nichts; nur daß ich neulich, wie ich um Ansichtskarten ging, die drei Damen begegnete. Die junge Frau hatte einen dichten Schleier um den Kopf und um das Gesicht gewunden, daß man nichts sehen konnte. Sie saßen dann auf einer Bank in ihrem Vorgarten und da grüßte ich im Vorbeigehen am Rückweg. Sie dankten alle drei sehr freundlich. Am nachmittag mußte ich mich niederlegen, weil mir sehr elend war infolge ...!! Da höre ich auf einmal auf der Veranda, die sich um das ganze Haus zieht, gerade vor meinem Fenster reden. Hier ist nämlich immer zuerst Schatten und da setzen sich immer alle hierher. Ich erkenne gleich die weiche Stimme der polnischen Studentin und höre, wie sie zur Frau Bürgermeisterin aus J. sagt: »Ach, meine arme Kusine ist schrecklich hereingefallen«, d. h. sie sagte chereingefallen, da sie alle h wie ch ausspricht, wie alle Polen. »Das kommt davon, wenn man junge Mädchen wie eine Ware verkauft, ohne daß sie gefragt werden und wissen, um was es sich chandelt.« Da ziehe ich mich sofort an und setze mich ganz nahe zum Fenster hinter den Vorhang und höre zu. Die Frau Bürgermeisterin sagt: Ja, es ist gräßlich, was man alles erlebt, wenn man verheiratet ist. Also mein Mann ist nicht so, aber – – – und dann verstand ich leider nicht, was sie weiter erzählte. Dieses Gespräch war am Donnerstag. Aber das ist noch nicht alles. Ich dachte mir gleich, wenn ich nur einmal mit ihr reden könnte; sie hatte nämlich auch vom Aufklären gesprochen, und wenn wir auch schon sehr aufgeklärt sind, so wird sie als Medizinstudentin doch noch vieles wissen, was wir nicht wissen. Etwas wird man schon noch erfahren können. Und da sie sagte, daß man die Mädchen nicht blind in die Ehe rennen lassen darf, so muß sie einem doch etwas sagen, wenn man vorsichtig fragt. Ein Wort nämlich, daß sie und die Bürgermeisterin 2mal sagten, nämlich segsuel, weiß ich nicht und Du, liebste Rita, gewiß ebenso wenig. Sie sagte etwas von segsuellen Verhältnissen; also wenn etwas von Verhältnissen geredet wird, so weiß man schon, daß es eine Bedeutung hat, aber segsuel, das ist die Frage. Es muß einen Sinn haben, daß sie es zusammen mit Verhältnis brauchte. Also jetzt paß auf. Am Samstag war Unterhaltungsabend und da kommt dieses Fräulein auch immer, da lege ich meinen Sang und Klang aus den Alpen aufs Klavier und jemand nimmt sie in die Hand und blättert drin, und es heißt, wem sie gehören, der muß singen. Zuerst tue ich nichts dergleichen, gehe hinaus, komme wieder herein und sag: Ich suche meine Noten, ich habe sie neulich liegen lassen. Da geht ein Riesenhalloh an und alle sagen: Wem sie gehören, der muß singen. Nun wußte ich aber, daß das Fräulein Karwinska schon ein paarmal beim Singen begleitet hat. Also sag ich: Bitte, ich singe schon, aber ich möchte bitten, daß das Fräulein K... mich begleitet. Denn die Herren hauen für meine Stimme zu stark hinein. Großes Gelächter, und ich hatte erreicht, was ich wollte. Wir wurden gegenseitig vorgestellt und ich dachte mir: Die Bekanntschaft läßt du nicht mehr los. Am Sonntag stand ich ausnahmsweise schon um ½7 Uhr früh auf, weil das Fräulein nur in der Frühe spazieren gehen kann, da sie den ganzen Tag bei ihrer Kusine ist. Sie sitzt bei der Luisenquelle und ich gehe auch hin mit einem Buch; und wie sie kommt, springe ich auf, grüße sie und sage: »Pardon Fräulein, falls ich am Ende Ihre Bank besetzt habe?« »O nein, sagt sie, was, am Sonntag lernen Sie gar?« »O, nein, ich lese nur«, antworte ich und verstecke schnell das Buch unter meinem Sitz, weil ich in der Geschwindigkeit nicht wußte, was ich genommen hatte. Und denke Dir, das war mein Glück. Sie setzt sich zu mir und sagt: »Was lesen Sie denn, was Sie so ängstlich verbergen? Gewiß etwas, wovon die Mama nichts wissen darf.« »O nein, sag ich, solche Bücher haben wir nicht mit am Land.« »Also in der Stadt da naschen Sie manchmal davon?« »Gott, man muß doch auch endlich einmal etwas vom Leben erfahren; sagen tut einem niemand was, so schaut man halt, daß man gelegentlich in einem Buch etwas findet.« »Im Lexikon, nicht wahr?« »O nein, denn da drinnen steht durchaus nicht immer die Wahrheit.« Da lachte sie furchtbar und sagte: »Was denn für eine Wahrheit?« »Na, das kann man sich schon denken, Fräulein werden schon wissen, was ich meine.« Bei einer Medizinstudentin kann man schon deutlicher sein und sie war auch gar nicht entsetzt oder empört, sondern sagte: Ja ja, überall derselbe Kampf. Und da gebrauchte ich Dein Lieblingswort und sage: »Wieso Kampf? Ich möchte nur das eine wissen von dem Angestecktwerden.« Da wird sie ganz rot und sagt: »Ja, wer hat Ihnen denn das gesagt? Mir scheint, meine arme Kusine ist hier im Munde aller Leute. Wissen Sie, ich kann Ihnen das nicht sagen.« Da sag ich: »Ja, aber wer denn, Sie studieren doch Medizin und sehen und reden das alle Tage.« »Nein, liebes Kind (das hat mich wütend geärgert, das kannst Du Dir denken), dazu sind Sie noch viel zu jung.« Was sagst Du dazu, zu jung sind wir mit 14½ Jahren, das ist einfach lächerlich. Wahrscheinlich ist sie noch nicht soweit im Studieren und will das nicht eingestehen. Ich stehe also auf und sage: »Ich will Fräulein nicht länger stören« und grüße und gehe; aber gedacht habe ich mir: »Die kann mir gestohlen werden mit ihrem ganzen Studieren; das wird schon die richtige Doktorin werden!«

Also was sagst Du dazu? Wir werden eben doch beim Lexikon bleiben, denn vieles wird schon richtig sein und das Meiste bis auf das Wort segsuel wissen wir zum Glück schon. Heuer im Winter wird das ja bei euch leichter gehen, daß wir zum Bücherkasten kommen können, als früher. Die dumme Gans grüße ich absolut nicht mehr.

Also, wegen dem »reinen Kind« will ich dich, teure Rita, absolut nicht beeinflussen, und ich werde auch nie böse werden, auf dich, weil Du eine Unwürdige mir vorziehst!!!

Eine halbe Million Küsse sendet Dir, Ungetreue, trotzdem

Deine
unverbrüchlich treue Freundin H.

P. S. An dem Brief schreibe ich 4 Tage; zerreiß ihn unbedingt!!!

Jetzt wo ich den Brief abgeschrieben habe, sehe ich eigentlich nicht ein, warum die Hella verlangt, daß ich ihn zerreißen soll. Ich finde ihn nicht so arg. Nur das eine, das kann ich der Hella nicht tun, wegen des Nachschauens im Lexikon. Ich glaube, ich hätte immer das Gefühl, die Mama steht auf einmal hinter uns. Nein, das kann ich absolut nicht.

13. August: Durch das dumme Abschreiben bin ich gar nicht zu meiner Angelegenheit gekommen, obwohl die weit wichtiger ist. Am vorigen Mittwoch war nämlich ein großer Ausflug vom Verschön.-Verein nach Inner-Lahn auf Leiterwagen. Erst wollte die Dora nicht gehen, aber der Papa sagte, wenn es uns Vergnügen macht, so geht er gern mit und die Mama würde sich nur freuen, wenn sie sähe, daß wir wieder an etwas Freude haben. Und zwei Tage vor dem Ausfluge entschied sich endlich die Dora, daß sie doch gehen wollte; ich wußte sofort warum; sie hatte geglaubt, bis dahin seien schon alle Plätze vergeben und es werde heißen: Leider schon alles eingeteilt und besetzt. Aber zum Glück hatte sie sich sehr geirrt. Der Herr Sekretär sagte im Gegenteil: Sehr erfreut; bitte wieviele Personen darf ich vormerken? und da sagten wir: 7; nämlich den Papa, die Dora und ich, die Tante Alma (leider), die Marina (leider, leider) und die zwei Buben (ebenfalls leider). »Das erfordert einen Wagen mehr,« sagte der Herr Sekretär und wir glaubten, wir würden familienweise fahren. Aber das war nicht so: Neben der Dora saß ein Herr, den ich schon ein paarmal gesehen hatte und machte ihr riesig den Hof. Dann saßen 2 fremde Herren, die Frau Bang und ihre 2 Töchter und ihr Sohn, der ein bissel blemblem ist; herüben der Recke Siegfried, ein Fräulein, die eine Schauspielerin sein soll, die zwei Weiners und ihre Mama (trotz!!!) dann ich, darnach die Marina der Papa, die Tante Alma und die zwei Buben vis-à-vis. Wer auf dem zweiten und dritten Wagen saß, weiß ich nicht mehr. Um 6 Uhr früh versammelten wir uns beim Schulhaus, weil der Herr Oberlehrer die Führung übernahm. Ich wußte gar nicht, daß er zwei Töchter und einen Sohn hat, der heuer die Matura gemacht hat. Zuerst war große Vorstellung und die Herren tranken ein Stamperl und einige Damen auch; ich aber nicht, denn Liqueur brennt einen greulich im Hals und drum schneiden alle, mindestens die Mädeln und die Damen so Gesichter beim Trinken, deshalb trinke ich nie einen Likör. Also die Hinfahrt war mäßig, weil es recht kalt und windig war, die meisten hatten ganz rote Nasen und blaue Lippen; ich biß mir fortwährend auf die Lippen, damit sie rot blieben, denn solche weiße oder bläuliche Lippen entstellen einen furchtbar, das weiß ich von der Dora heuer im Winter am Eis. Der Papa ging nur unserthalben und die Tante Dora wieder blieb wegen der Tante Alma zuhause. Die Marina trägt jetzt Schnecken, die sieht zum Kugeln aus. Die Dora verträgt sich übrigens ganz gut mit ihr, was ich von mir nicht behaupten könnte. Beim Absteigen sah ich erst, daß neben der Schauspielschulelevin auch die Schwester vom Siegfried, das Fräulein Hulda saß. Sie ist sehr lieb und muß einmal, vor grauen Jahren sehr schön gewesen sein, sie hat so sanfte braune Augen und dazu das Haar ihres Bruders; aber der hat herrliche Blauaugen, die ganz schwarz werden, wenn er zornig ist, z. B. wie er mir von seinem Papa erzählte. Ich würde zittern vor ihm in seiner Wut. Ich gehe ihm nur etwas über die Schulter, so groß ist er. Der Papa nennt ihn den roten Bandwurm, aber damit tut er ihm wirklich unrecht. Er ist sehr breit, aber so schlank. In Unter-Toifen wurde Gabelfrühstück aus dem mitgebrachten Proviant gehalten, ungef. ½ Stunde, dann trieb der Oberlehrer riesig zum Aufbruch, weil wir gut 4 Stunden zu gehen hatten. Die zwei Buben schlossen sich an andere Buben an und wir fünf Mädeln, wir 2, die 2 Weiner und die Marina gingen zuerst miteinander. Die Tante Alma ging mit einer Pastorfrau aus Hildesheim oder wie es hieß und der Oberlehrerin. Es war zuerst sehr fad, so daß ich schon bereute, daß ich den Papa so gebettelt hatte, mitzugehen. Ungefähr nach 1 oder 2 Stunden kommt der Sohn vom Oberlehrer und drei fesche Burschen und gehen mit uns. Da war's so lustig, daß wir vor Lachen gar nicht gehen konnten und die Großen uns immer antreiben mußten. Und die Marina war ganz ausgelassen, ich hätte nie gedacht, daß die so fesch sein könnte. Die eine Tochter vom Oberlehrer fiel hin und einer zog sie aus dem Bach, in den sie abgerutscht war vor Lachen. Wie wir nach Inner-Lahn kamen, weiß ich gar nicht, so gut unterhielten wir uns. Da war schon das Mittagessen bestellt, wir hatten alle einen wahnsinnigen Hunger. Wir lachten unaufhörlich, denn wir hatten uns so zusammengesetzt, wie wir gegangen waren, obwohl die Tante Alma das erst nicht wollte. Aber sie wurde überstimmt. Mir war es sehr recht, daß der Recke Siegfried sah, daß man sich auch ohne ihn unterhalten kann. Denn er pickte der Schauspielelevin am Halse, oder vielleicht sie ihm – daß weiß ich nicht; oder wenigstens wußte ich es damals noch nicht! Weil jedes wo anders saß, mußte jedes selber bezahlen und der Papa sagte am nächsten Tag, wir hätten ein Heidengeld verputzt; aber das war nicht im Gasthaus, sondern ist später geschehen, wie wir Andenken kaufen gingen. Und ich glaube, die Dora hat der Marina 3 K gegeben, damit sie auch Sachen kaufen konnte. Aber so etwas verrät die Dora nie. Überhaupt ihr Charakter gefällt mir immer besser; sie gleicht darin sehr der Mama. Also, die eingekauften Sachen wurden alle in zwei oder drei Rucksäcke gegeben und gehörten für eine Tombola beim Zurückkommen in Unter-Toifen. Ich muß mindestens 7 K ausgegeben haben, denn der Papa gab jeder von uns in der Frühe 5 K und dann hatte ich noch eine Menge Geld vom August-Taschengeld und jetzt habe ich nur mehr 40 h. Nach dem Essen und Einkaufen legten wir uns in den Wald oder gingen zu zweien herum. Wie ich so liege und schlafen will, kommt auf einmal jemand hinter mir und wie ich mich aufrichte, legt mir dieser Jemand die Hände über die Augen und sagt: »Der Berggeist«. Und ich erkenne sofort seine Hände und sage: Recke Siegfried! Da lacht er riesig und setzt sich zu mir und sagt: Sie haben sich ja heute so gut unterhalten, daß Sie gar keinen Blick für andere hatten.« »O, nur vice versa (das habe ich von der Dora), ich dränge mich niemanden auf und werfe mich niemanden an den Hals.« Da will er mich um die Mitte nehmen (und wahrscheinlich küssen, höchst wahrscheinlich), aber ich springe schnell auf und rufe die Dora, d. h. Theo, denn wir haben vor den Herren ausgemacht, daß wir einander nur Theo und Rita nennen. Der Papa sagt zwar, das sei ein Blödsinn, der für die Dora gar nicht mehr paßt (aber für mich natürlich ja!), aber wir sind bei unserer Abmachung geblieben. Da hält er mir die Hand auf den Mund und sagt: »Nicht rufen!« Aber indessen kamen schon die Dora, der Herr mit dem Zwicker, der ein Dr. jur. ist beim Bezirksgericht in Innsbruck, und die Marina und ein Bursch und da frage ich: »Was ist los, wann wird gejaust?« »Die hat schon wieder Hunger, so etwas« sagen alle und lachen furchtbar. Und die Dora schaute sehr glücklich aus. Auch hatte sie ein Edelweißbukett vorgesteckt, das sie früher nicht hatte; am Abend sagte sie mir, sie habe es vom Herrn Dr. P... bekommen. Er ist womöglich noch größer als der Recke Siegfried, denn, die Dora ist etwas größer als ich und geht ihm nur bis zum Ohrrand. Um drei Uhr ging noch die letzte Partie auf die Aussichtswarte, wir waren schon früher gewesen. Die Aussicht war herrlich. Aber eine schöne Aussicht und überhaupt eine schöne Gegend schaue ich mir lieber allein, d. h. mit dem Papa, oder ganz wenigen Personen an; mit so vielen hat man nichts; es nimmt förmlich ein jeder ein Stückerl weg. In einer schönen Gegend und am Friedhof muß man allein sein. Denn eine schöne Aussicht stimmt einen auch meist furchtbar traurig, und da kann man doch nicht unmittelbar vorher gelacht haben oder gleich darnach wieder lachen. Wenn ich in Inner-Lahn allein wäre, würde ich unbedingt melancholisch, so herrlich schön ist's dort.

Um vier Uhr nach der Jause stiegen wir ab, der Herr Oberlehrer hatte geglaubt, der Abstieg dauert höchstens zweieinhalb Stunden, aber wir brauchten mehr als drei. Denn alle waren sehr müde und vielen taten die Füße weh, z. B. der Tante Alma! Wir hatten das gleich gesagt, daß das für die Tante nichts ist; aber daß nur ja der Marina nichts geschieht, mußte sie mitgehen, und die Marina hat sich doch sehr gut unterhalten mit einem Herrn Furtner, der Bergbau studiert wie der Oswald, aber nicht in Leoben, sondern in Deutschland. Wie eigentlich ein Mädel ist, sieht man immer erst, wenn sie sich mit einem Herrn unterhält oder bei gewissen Gesprächen; also die letzten sind natürlich unmöglich mit der Marina seit der Erfahrung, die wir gemacht. Aber jedenfalls ist sie netter, als man auf den ersten Blick meint. Beim Nachhausegehen war es riesig nett. Auf der Fahrt von Unter-Toifen nachhause saßen wir ganz anders, als beim Hinfahren.

Statt den Weiners saßen in unserem Wagen drei Burschen aus München, die waren riesig nett, da sangen wir alle möglichen Lieder, die wir wußten; besonders »Hoch vom Dachstein, wo der Aar nur haust« und die »Forelle« und »Wo mei Schatz is ...« waren herrlich, da sangen die Leute von zwei Wagen mit. Und dann sangen einige Alphornlieder mit Jodeln, daß die Berge hallten. Ein paar Herren vom dritten Wagen hatten einen Schwips und dabei war auch der Recke Siegfried!! Die Tante Alma hatte fürchterlich Kopfschmerzen; das ist eben ein Unsinn, daß sie mitgegangen war und da wußten wir nicht einmal noch, was nachkommt. Bei jedem Haus, wo junge Mädeln abgesetzt wurden, wurde ein Ständchen gebracht. Und am nächsten Abend sollte große Tombola sein mit den gekauften Andenken, aber da durften wir nicht mehr hingehen.

14. August: Es ist greulich fad, ich weiß gar nicht, was ich eigentlich tun soll, so schreibe ich Tagebuch. Übrigens habe ich ja den Skandal noch nicht geschrieben. Am nächsten Tag Nachmittag kommt die Tante Alma, gerade wie wir weggehen wollen und sagt zum Papa: Ernst, ich bitte auf ein Wort. Nun dieses auf ein Wort der Tante Alma kennen wir schon, d. h. zu deutsch: ich mache Euch eine Szene. Also fängt sie an: »Ernst, du weißt, ich war nie eingenommen für diese gemeinsamen Partien, denn es schaut nichts heraus dabei. Aber um der Kinder willen, hauptsächlich um Deiner mutterlosen Kinder entschloß ich mich, mitzugehen. (Es hat sie gar niemand gebeten; und wegen ihr ist die Tante Dora zuhausgeblieben.) Weißt du, mit was für Leuten wir in einer Gesellschaft waren? Dieser freche junge Bursch, dem die Gretel so nachrennt, (das ist eine Gemeinheit! ich möchte wissen, wann ich ihm nachrenne; im Wald, da habe vielleicht ich ihn um die Mitte genommen, und damals an meinem Geburtstage habe vielleicht auch ich angefangen), und die junge Schauspielelevin sind die halbe Nacht nach dem Ausflug nicht nachhausegekommen. Wo sie sich herumgetrieben haben, das wissen die Götter! Reiner sind sie nicht nachhausegekommen. (Natürlich, wie hätten sie sich denn waschen sollen.) Der Oberbergrat hat dem Lausbuben ordentlich den Standpunkt klar gemacht, aber die Mutter dieser Schauspielerin nimmt natürlich das Mädchen in Schutz. Wenn ich denke, daß meine Marina so etwas täte, das brächte mich ins Grab.« Endlich kommt der Papa zu Wort: »Ja, also liebe Alma, und was hat das alles mit meinen Kindern zu tun? Soviel ich weiß, sind diese zwei Leute gar nicht auf unserem Wagen gewesen, nicht Kinder? Ich war froh, daß der Papa sich an uns wendete und sagte: Der Siegfried Sch. und die Schauspielelevin sind im vierten Wagen gesessen, ich habe sie aufsteigen gesehen; und mir war es auch toute méme chause, wo er fährt und mit wem er fährt.« (Das ist zwar nicht wahr, aber wegen der Tante sagte ich es.) »Dieses Mundwerk und diesen Ton gegen den eigenen Vater!« Kaum daß sie das sagt, da ist der Papa wild geworden, wie ich ihn noch nie gesehen habe. »Meine liebe Alma, ich ersuche dich, dich in meine Erziehungsmethode nicht zu mischen, so wenig wie ich Dir ja ein Wort in Deine Sachen drein rede.« Das sagte der Papa so leise und ruhig, aber dabei war er ganz weiß vor Wut, und die Dora sagte mir dann, daß ich auch ganz weiß gewesen bin, natürlich auch vor Wut. Die Tante Alma sagte noch: »Ich will keine böse Prophezeiungen sprechen, aber die Zukunft wird lehren, wer Recht hatte. Adieu.« Wie sie draußen war, stürzten die Dora und ich zum Papa und sagten: »Ich bitte dich, Papa, ärgere dich nicht so; es steht gar nicht dafür.« Und der Papa war riesig lieb und nett zu uns und sagte: »Ich weiß schon, daß ich mich auf Euch verlassen kann; Ihr seid ja die Kinder meiner Berta.« Und da konnte ich mich nicht zurückhalten und sagte: »Nein Papa, ich habe wirklich kokettiert mit dem Siegfried, und im Wald hat er mich um die Mitte genommen; aber küssen habe ich mich nicht lassen, das schwöre ich dir. Und wenn du es nicht willst, so schwöre ich dir auch, daß ich kein Wort mehr mit ihm rede.« Und der Papa sagte: »Ja, ja Gretel, du hast schon noch Zeit mit solchen Sachen und wenn der Strick » der rothaarige«, mit dir schön tut, so macht er sich höchstens hinterdrein lächerlich. Und das will mein Mädel doch nicht, gelt Hexerl?« Da umarmte ich den Papa und schwor ihm bei meinem Ehrenwort, daß ich mit dem Siegfried kein Wort mehr rede. Nämlich der Gedanke ärgert mich wirklich kolossal, daß er sich lächerlich machen könnte; am Ende zu der Elevin, die in der halben Nacht mit ihm spazieren geht; eine solche Unverschämtheit!

Wir waren dann so aufgeregt, daß wir gar nicht spazierengingen und auch natürlich nicht zur Tombola. Aber um meine Sachen um 7 K tuts mir riesig leid. Hoffentlich hat er nichts davon gewonnen.

15. August: Nur ein paar Worte. In der Frühe, wie ich zum Frühstücke gehe, kommt mir auf dem Gang der S. (das ist gut, das kann seinen Vornamen und auch Strick bedeuten, wie der Papa ihn nannte) entgegen und sagt: »Guten Morgen, Fräulein Gretchen. Warum waren Sie neulich nicht bei der Tombola? Haben Sie nichts gestiftet? – »Oja, ich habe Sachen um 7 K gekauft dafür, aber es paßt einem mitunter die Gesellschaft nicht.« – – Wieso denn auf einmal? Es waren ja alle Leute von der Partie? – – – »Ja, eben deshalb,« sag ich und gehe vorbei. Dem habe ich's gut gegeben, den verstanden muß er es doch haben. Darin muß ich dem Papa recht gegeben, daß es nicht fein ist, zu fremden Leuten über seine Eltern schimpfen, wie er das jedesmal tut. Ich könnte kein Wort gegen meine Eltern zu jemanden andern sagen, obwohl ich mich ja auch manchmal wütend ärgere; also über die Mama schon deshalb nicht, weil sie tot ist. Aber auch über den Papa nicht; lieber würge ich das ärgste Unrecht hinunter. Denn damals in dem Verdruß mit der Tante Alma wegen der Marina, da war ich wirklich unschuldig und er schimpfte mich so aus, noch dazu vor der Tante Alma, das werde ich nie vergessen. Aber trotzdem, zu jemandem Fremden, den ich gerade erst kennen lernte, würde ich nie etwas gegen irgendwen von unserer Familie sagen; nicht einmal gegen die Dora, mit der ich früher doch gar nicht gut stand, habe ich nicht einmal zur Hella besonders viel geschimpft; höchstens daß sie falsch ist, und das war früher wirklich der Fall, während jetzt nur äußerst selten.

19. August: Es ist scheußlich fad; ich kann das Wort scheußlich nicht vertragen, aber für hier paßt es einzig. Heute abends kommt endlich der Oswald, Gott sei Dank. Der S. hat schon mehrmals Annäherungsversuche gemacht, die ich aber ignorierte. Er soll nur bei seiner Schauspielerin bleiben, die die halbe Nacht mit ihm Spazierengehen darf. Wo sie übrigens waren, würde mich sehr interessieren. In der Nacht, es ist unerhört!!! Die Dora sagt, sie hat gleich eine Antipathie gegen den S. gehabt, weil er – – – – – also das ist eine Lüge! – – – Schweißhände! hat. Das ist absolut nicht wahr, im Gegenteil, er hat so entzückend kühle Hände, das muß ich doch besser wissen als die Dora. Aber das weiß ich seit jeher, wenn mir jemand den Hof macht, der ist der Dora unsympathisch, natürlich. Ja; richtig, neulich am Sonntag hat mir die Annelise einen reizenden Brief geschrieben. Ich muß ihr heute noch antworten.

22. August: Der Oswald ist zu nett. Er hat nicht auf meinen Geburtstag vergessen, aber er sagte, damals war ihm grad das Moos, das heißt in der Studentensprache das Geld ausgegangen und dann fand er nichts Passendes, aber sobald wir nach Wien kommen, macht er seinen Fehler gut. Ich weiß aber nicht, was ich mir wünschen soll. Jetzt bleibt der Oswald hier, bis wir alle nach Wien fahren und da machen wir allein einige Partien. Das ist wirklich am besten. Mit den Weiners gehe ich jetzt auch nicht mehr so viel, weil sie sich auch auf der gemeinsamen Partie geärgert haben. Die Nelly findet den Oswald äußerst fesch und deswegen war sie heute zweimal bei unserem Tisch, einmal wegen des Roseggers, den wir ihr geliehen haben und dann wegen des Spaziergangs.

24. August: Es ist ja eigentlich lächerlich, daß einen so etwas so freut von einem Bruder; aber wenn er es findet, so ist es sicher wahr. Der Oswald sagt heut zu mir: »Mädel, fesch wirst du zum Anbeißen. Du machst dich gehörig heraus.« Ich sagte zwar: »Na, das Anbeißen möcht' ich keinem raten«, und er sagte: »Ich auch nicht«, aber es hat mich doch riesig gefreut, obwohl er nur mein Bruder ist. Die Marina findet er scheußlich und die Dora ist ihm als Mann zu fad; da hat er wohl Recht. Ich begreife auch den Dr. P. nicht, daß der immer mit der Dora redet. Mit mir hat er übrigens noch keine 10 Worte gesprochen. Also ich kränke mich nicht darüber.

27. August: Wir waren gestern am Matscherkogel, wo eine herrliche Aussicht war. Die beiden Buben waren mit, sie hatten dem Papa eigens gebeten; aber die Tante Alma und die Marina natürlich nicht. Der Oswald nennt die Tante Alma immer Nadelpolster ohne Rundung, aber nur wenn der Papa nicht dabei ist, weil sie ja doch seine Schwester ist. Die Weiners wollten mitgehen, aber ich sagte, mein Bruder bleibt nur noch wenige Tage hier und das ist eine Abschiedspartie en familie.« Da waren sie etwas beleidigt, aber mich hat das riesig geärgert, daß sie immer wieder absichtlich vor mir erzählten, daß der S. sich mit der Schauspielelevin gegen den Willen seines Papas verlobt hat oder verloben wird. Mir liegt daran doch wirklich nichts. Aber sie haben einander immer Blicke zugeworfen, wenn sie davon redeten, besonders die Olga, die wirklich nicht sehr geistreich ist. Ich bin jetzt manchmal so traurig, daß ich gar nicht begreifen kann, wie ich mich eigentlich auf dem gemeinsamen Ausflug so gut unterhalten habe. Ich denke so oft an die arme Mama und ich bin auch oft Schwarz gekleidet. Das paßt am besten zu meiner Stimmung.

30. August: Morgen scheinen die Sch ... wegzufahren. Wenigstens hat der alte Herr vorgestern zum Papa gesagt: »Gott sei Dank, wenn man wieder bald in seine vier Wände und seine Bequemlichkeit kommt.« Das sagt auch die Großmama der Hella immer vor der Abreise vom Land. Und dann standen heute 2 große Reisekörbe auf dem Gang, in der Nähe der Zimmer des Herrn Oberbergrats. Der Oswald findet den alten Herrn charmant; na also, Geschmacksache. Mit dem S. hat er, glaube ich, nie geredet, obwohl er auch deutschnational ist, aber von einem andern Verband; der Oswald gehört zur Südmark, und der S. hat einmal riesig geschimpft über die Südmark, als ich ihm erzählte, daß der Oswald bei der Südmark ist.

31. August: Heute ist er richtig weggefahren, d. h. die ganze Familie. Sie haben sich bei uns verabschiedet nach dem Nachtmahl gestern abends und heute sind sie mit dem 9 Uhr Zug nach Innsbruck gefahren. Also Schweißhände hat er nicht, ich habe eigens aufgepaßt; das ist eine reine Einbildung von der Dora. Er und der Oswald begrüßten sich mit Heil! Das ist ein großartiger Gruß und ich werde das zwischen der Hella und mir auch einführen.

2. September: Heute sind auch die Weiners weg, weil man es ihrer Mama schon zu stark anmerkt. Die Olga sagte beim Abschied, es ist ihr gräßlich peinlich, mit ihrer Mama zu fahren, sie wird wennmöglich immer etwas zurückbleiben, damit man nicht gleich weiß, daß sie zusammengehören.

4. September: Das ist doch unerhört!! Der S. ist wieder da, allein natürlich; alle Leute sind empört, denn er ist nur wegen des Fräuleins A., der Schauspielelevin zurückgekommen. Aber der Oswald hat ihn riesig in Schutz genommen, wie nachmittags die Frau Lunda zur Tante Dora sagte: »Das ist ein Skandal und seine Eltern hätten es ihm nicht erlauben sollen, wenn schon die Mutter der Elevin nicht weiß, was sich gehört«. Da sagte der Oswald: »Pardon, gnädige Frau, der junge Sch. ist doch kein Schulbub, der den Eltern am Rockschössel hängt; eine solche Bevormundung wäre wirklich eines deutschen Mannes unwürdig.« Der Frau L. habe ich das eigentlich gegönnt, denn die durchbohrt einen immer mit den Blicken und ist wahnsinnig neugierig. Und das Wort Bevormundung ist echtdeutsch, das hat auch der S. einmal gesagt, wie er von seiner Schwester redete und warum sie nicht geheiratet hat. Die Frau L. hat sich wütend geärgert und hat zur Tante Dora gewendet gesagt: »Natürlich, die jungen Herren halten fest zusammen, bis sie selber einmal Väter sind, da denken sie schon anders.«

8. September: Gott sei Dank, übermorgen fahren wir auch weg. Eigentlich war es ziemlich fad hier, jedenfalls kann ich in das Loblied der Hella vom vorigen Jahr nicht einstimmen; sie wohnten allerdings nicht in der Pension Edelweiß, sondern im Hotel Kaiser von Österreich. Das macht sehr viel aus, wo man wohnt. Richtig, da fällt mir gerade ein. Die junge Frau mit dem Ausschlag infolge Ansteckung muß doch nicht geschieden sein, wie mir die Hella vorvorige Woche schrieb; denn ihr Mann war zu Besuch dort, ein Schauspieler vom Königl. Schauspielhaus in München. Also scheinen die Schauspieler wirklich auch alle angesteckt zu sein; und die Hella behauptete immer, nur die Offiziere! In dem Punkt ist sie wirklich etwas übertrieben.

14. September: Seit 11. sind wir schon in Wien, aber ich konnte absolut nicht schreiben, obwohl genug Grund dazu wäre. Denn die erste Person, die ich begegnete, als ich am 11. Kakao holte, den die Resi vergessen hatte mitzunehmen, war der Oberleutnant R., nämlich der Sieger, der Viktor!! Er erkannte mich natürlich sofort und war riesig liebenswürdig und begleitete mich ein Stück. So nebenbei fragte er nach der Dora, aber ich sah deutlich, daß er sie nicht mehr liebt. Das ist übrigens köstlich, daß er nicht wußte, daß die Dora heuer die Matura gemacht hat und daher nicht mehr ins Lyzeum geht. Daß sie durchaus weiter studieren will, sagte ich ihm nicht, weil es doch absolut noch nicht sicher ist.

16. September: Gestern ist die Hella gekommen; ich bin glücklich; ich begrüßte sie mit Heil! aber sie sagte, »mach keine Dummheiten«, überdies paßt das nicht für eine österreichische Offizierstochter!!! Also darüber werden wir uns nach 2monatlicher Trennung nicht zerzanken und Servus ist auch sehr fesch, nur nicht so fein. Sie erzählte mir noch wahnsinnig viel von dieser jungen Frau; ihre Kusine soll in ihren Mann verliebt sein, sagten einige Damen in B. Das wäre greulich, denn dann würde sie ja auch angesteckt; aber die Hella sagt, sie hat nie etwas bemerkt, obwohl sie die 14 Tage, die er da war, riesig aufgepaßt hat. Er hat bei 2 Unterhaltungsabenden gesungen, aber sie hat nicht das Geringste bemerkt. Die Lizzi hat sich verlobt, aber die Hella durfte nicht einmal mir etwas schreiben, weil die Verlobung erst jetzt in Wien offiziell gefeiert wird; mit einem Baron G. Er ist Gesandtschaftsattache in London und dort hat sie ihn bei einer Gesellschaft kennen gelernt. Er liebt sie wahnsinnig. Im Sommer im Aug. kam er auf Urlaub nach B. und hielt um ihre Hand an; deshalb blieben sie den ganzen Sommer in B. und fuhren gar nicht nach Ungarn. Das waren die besonderen Umstände, die mir die Hella nicht schreiben konnte. Also das hätte sie mir ruhig schreiben können, ich hätte es niemanden verraten; denn schließlich ist die Lizzi doch schon 19½ Jahre und da hätte sich niemand gar so gewundert, daß sie sich endlich verlobt. Ein großes Verlobungsfest kann nicht gefeiert werden, weil der Vater vom Baron G. heuer im Juli gestorben ist. Das ärgert die Hella riesig. Die Lizzi behauptet, sie macht sich nichts daraus.

18. September: Heute ist die Verlobungsanzeige der Lizzi gekommen. Es muß herrlich sein, Verlobungskarten auszuschicken. Die Dora ist ganz rot geworden vor Ärger, sie sagte zwar, wie ich fragte: »Was wirst du denn ganz rot, da ist doch nichts zum Genieren, wenn sich jemand verlobt!« »Ich bitte dich, was soll ich mich denn genieren, ich bin bloß riesig erstaunt.« Aber vom Erstaunen wird man nicht so rot.

19. September: Heute hat die Schule begonnen; leider, denn Sie ist nicht mehr bei uns. Und noch dazu ist die vorjährige III. heuer die IV. und das ist gräßlich, im selben Schulzimmer sitzen ohne Sie. Zum Glück haben wir wenigstens die Frau Dr. St. als Klassenvorstand und wieder in Mathematik und Physik; die Frau Dr. F., die wir Nüßchen und die V. Klasse Wasserfall nannten, ist nicht mehr bei uns, sondern an das Deutsche Lyz. in Lemberg angestellt worden. Wir mußten uns vorläufig so setzen, wie im Vorjahr, aber die Hella sagte, wir werden die Frau Dr. St. bitten, daß sie uns wo anders hinsetzt, denn die Erinnerung an die drei Jahre, wo wir die Frau Dr. M. hatten, würde uns in der Aufmerksamkeit stören. Das ist ein wunderbarer Einfall. In Deutsch haben wir einen Herrn, in Französisch leider wieder die Frau Dr. Dunker, deren Teint noch nicht schöner geworden ist, und in Englisch die Frau Direktorin. Das ist mir sehr angenehm, denn erstens ist sie sehr lieb und zweitens habe ich einen Stein im Brett bei ihr von der Dora her, die ihr Liebling war. In Latein gehe ich natürlich nicht, denn ohne Frau Dr. M. habe ich nichts davon. Richtig, einen neuen Religionsprofessor haben wir, der Herr Professor K. ist in Pension gegangen, da er schon 60 Jahre alt war.

21. September: Es ist uns gelungen. Heute in der großen Pause sagte die Hella zur Frau Dr. St., die gerade Inspektion hatte: »Frau Dr., dürfen wir eine Bitte äußern?« Da sagte sie: »So, schon in der ersten Schulwoche; also was denn?« Und da sagten wir, sie möchte uns aus der dritten Bank Fensterseite wegsetzen, weil das unsere Plätze bei der Frau Dr. M. waren und das sei uns schrecklich.« Zuerst wollte sie nicht recht, aber dann sagte sie: »Ich werde schon sehen, so könnt Ihr ohnehin nicht sitzen bleiben.« Von 11-12 hatten wir Mathematik und nachdem die Frau Dr. Steiner sich niedergesetzt hatte, sagte sie: »Diese Sitzordnung war nur provisorisch. Ihr müßt doch etwas mehr nach der Größe sitzen«. Und dann setzte sie alle und ich und die Hella kamen in die 5. Bank Fensterseite; an unseren Plätzen sitzen die zwei Zwillinge, die Ehrenfelds und vor uns die Lohr und eine neue, eine gewisse Hammer Friederike, deren Papa Konditor auf der Mariahilferstraße ist. Wir sind sehr froh, daß wir aus der entsetzlichen dritten Bank weggekommen sind, wo Sie so oft neben uns stand und die Hand auf die Bank legte.

29. September: Heute war der Herr Prof. Fritsch, der Deutschprofessor, das erstemal da. Er räuspert sich in einemfort und trägt goldene Augengläser. Die Hella findet ihn erträglich nett, ich aber nicht. Daß ich in meinem Leben kein Vorzüglich mehr in Deutsch bekomme, das weiß ich! Gestern war der neue Religionsprofessor das erstemal da, da saß ich allein, weil ja die Hella als Protestantin weggeht. Er sieht furchtbar schlecht aus und hat die Augen immer gesenkt, obwohl er brennend schwarze Augen hat. Das nächstemal setze ich mich neben die Hammer, damit wir nicht so einzeln sitzen.

2. Oktober: Heute hatten wir heil. Beichte und Kommunion, und weil die Lehrkräfte nicht erlauben, daß wir uns aussuchen, zu wem wir beichten gehen, mußte ich zum Herrn Professor Ruppy gehen. Das war mir gräßlich. Ich habe so leise geflüstert, daß er mich dreimal ermahnen mußte, lauter zu reden. Wie ich vom 6. Gebot anfing, deckte er sich die Augen mit der Hand zu. Aber gefragt hat er, Gott sei Dank, weiter nichts. Die einzige Lehrkraft, die einem erlaubte, sich den geistlichen Herrn auszusuchen, war die Frau Dr. M. Das heißt, direkt erlaubt hat sie es auch nicht, aber wenn eine schnell zu einem andern Beichtstuhl rannte, so hat sie getan, als ob sie es nicht bemerkt hätte. Der Herr Rel.-Prof. gibt furchtbar lange Bußgebete auf; alle Mädchen, die bei ihm beichteten, verrichteten gräßlich lang ihre Buße. Hoffentlich ist er beim Prüfen nicht auch so streng, sonst bekomme ich Nichtgenügend; das wäre greulich.

3. Oktober: Heute war der Papa herrlich! Die Tante Dora muß ihm gesagt haben, daß ich sie neulich fragte, ob der Papa am Ende die Frau Rechnungsrat Riedl heiratet, weil ihr Mann fast zur selben Zeit gestorben ist wie unsere Mama, und weil der Papa der Vormund von den drei Kindern ist. Heute war sie mit dem Willi da, weil er jetzt in die Schule gekommen ist. Und da haben die Dora und ich darüber geredet und sie sagte, wenn der Papa das tut, geht sie aus dem Haus. Und am Abend, wie wir nach dem Nachtmahl sitzen, so sag ich: Wenn die Frau v. R. nur nicht so häßlich wäre. Findest du sie nicht auch schrecklich häßlich, Papa? Und der Papa lacht so lieb und sagt: »Du brauchst keine Angst haben, mein Hexerl, das tue ich Euch nicht an, daß ich euch eine Stiefmutter ins Haus setze.« Und da war ich so froh und die Dora auch, daß wir den Papa riesig abküßten, und die Dora sagte: »Ich wußte das ohnehin, daß du deinen Schwur an die Mama nicht brechen wirst«, und sie weinte furchtbar. Und der Papa sagte: »Nein Kinder, einen Schwur habe ich der Mama gar nicht geleistet, das hätte ihre vornehme Natur auch nie verlangt. Aber bei so großen Mädeln, wie Ihr seid, gehört keine Stiefmutter ins Haus.« Und dann sagte ich dem Papa, daß die Dora aus dem Haus ginge, obwohl ich mich eigentlich furchtbar geärgert habe darüber. Denn, wenn der Papa wirklich noch einmal heiraten würde, so müßte ich es ja auch ertragen; und daher die Dora ebenfalls. Aber der Papa sagte nochmals: »Habt keine Angst, ich heirate bestimmt kein zweitesmal.« Und ich sagte: »Auch die Tante Dora nicht?« Und er sagte: »Na, die schon–« und dann unterbrach er sich schnell und sagte: »Nein, nein, auch die Tante Dora nicht.« Und jetzt gerade sagt mir die Dora, ich sei urblöd gewesen, denn ich weiß doch, daß der Papa nicht entzückt ist von der Tante. Und dann machte sie mir Vorwürfe, weil ich dem Papa gesagt habe, sie würde aus dem Hause gehen, wenn er doch heiratet. Ich bin ein Kind, dem man seine geheimsten Gedanken nicht anvertrauen dürfe!! So, jetzt haben wir mindestens ¾ Stunden gestritten und es ist dabei ½12 Uhr geworden. Glücklicher Weise haben wir morgen frei, weil Kaisers Geburtstag ist. Aber ich bin doch sehr froh, daß wir es positiv wissen, daß der Papa die Frau v. R. nicht heiratet. Ich könnte mich mit keiner Stiefmama vertragen.

9. Oktober: In Deutsch ist es heuer gräßlich schwer. Wir dürfen beim Aufsatz keinen Plan machen, sondern wir müssen ihn so niederschreiben und dann hinterdrein disponieren. Und das kann ich nicht. Der Prof. Fritsch ist sehr schön, aber alle Mädchen fürchten ihn entsetzlich, denn er ist gräßlich streng. Seine Frau ist im Irrenhaus und seine Kinder sind bei seiner Mama. Er hat sich von ihr scheiden lassen und da er zum Glück ein Protestant ist, kann er wieder heiraten, wenn er will. Die Hella ist ganz verliebt in ihn, aber ich absolut nicht. Denn ich denke nur immer an den Prof. W. in der II. und da habe ich genug. In einen Professor verliebe ich mich absolut nicht mehr. In der Lehrerinnenbildungsanstalt, wo die Marina jetzt im 4. Jahrgang ist, hat voriges Jahr ein Professor eine ehemalige Schülerin geheiratet. Aber das täte ich um keinen Preis, meinen alten Professor heiraten, der alle Fehler von einem weiß. Und dann muß er doch mindestens 12 oder 20 Jahre älter sein als das Mädchen; und das ist doch greulich, da kann eine gleich ihren eigenen Papa heiraten; der hat sie wenigstens sicher gern und sie weiß wenigstens, wie er alles haben will; aber so einen alten Professor, nee, das ist ein Geschmack!

15. Oktober: Ich habe eine wahnsinnige Angst, daß die Hella rezitiv wird; sie sagt, ein zweitesmal, überhaupt jetzt, nachdem – – – läßt sie sich absolut nicht operieren; da stirbt sie lieber. Gott, das wäre gräßlich! Ich habe ihr riesig zugeredet, daß sie ihrer Mama sagt, daß sie solche Schmerzen hat; aber sie will nicht.

19. Oktober: Der Papa der Hella wird im November General und kommt nach Krakau. Gott sei Dank, sie bleibt hier bei ihrer Großmama, bis sie mit dem Lyz. fertig ist. Nur zu Weihnachten und zu Ostern und in den Ferien fährt sie hin und sie freut sich schon wahnsinnig darauf. Vor lauter Freuden ist ihr wieder ganz gut. In der Schule sind alle sehr stolz drauf, daß in unserer Klasse eine Generalstochter ist. In der III. Kl. ist auch eine, sogar von einem Feldmarschall-Leutnant, aber er ist schon in Pension. Und der Papa sagt immer, wenn einer in Pension ist, kräht kein Hahn mehr nach ihm.

22. Oktober: Wir haben kaum Zeit zum Lernen vor Aufregung. Die Mama der Hella hat voriges Jahr zu Weihnachten mehrere Romane von Geyerstamm bekommen und neulich liegt einer auf dem Tisch und wie ihre Mama draußen ist, blättert die Hella schnell und liest den Titel Frauenmacht!!! Wie ihre Mama fertig war, schaut sie, wohin sie ihn im Bücherkasten stellt und jetzt lesen wir ihn. Einfach großartig! Ich kann die ganze Nacht nicht schlafen; die Signe, die er so liebt und die ihn doch betrügt. Wir haben so geweint, daß wir nicht weiterlesen konnten. Und das Mädchen, das Gretchen, das so an ihrem Papa hängt; ja, ich kann das großartig begreifen, daß sie immer Angst hat, ihr Papa könnte diese eckelhafte Person, die Frau Elise heiraten, die doch so schon einen Mann hat. Und wie sie dann stirbt, Gott, daß ist so gräßlich und so schön, daß wir es dreimal hintereinander lasen. Ich hatte neulich ganz rote Augen vor lauter Weinen, so daß die Tante dann sagte, ich dürfe nicht soviel lernen; sie glaubt nämlich, die Hella und ich lernen Literatur miteinander. Gott, das Lernen ist einem schrecklich, wenn man solche Bücher liest.

24. Oktober: Wenn ich den Papa anschaue, muß ich immer an den Roman Frauenmacht denken; natürlich abgesehen von der Signe. Die Hella hofft noch etwas zu erwischen, aber es geht nicht so einfach, weil ihre Mama doch leicht draufkommen kann, da sie immer sehr vielen bekannten Damen Bücher leiht. Das gäbe einen Riesenskandal. Das Buch vom Brüderchen verlangen wir uns nicht, da wird nicht besonders viel drinstehen; aber ein Roman heißt Komödie der Ehe, das muß herrlich sein; den müssen wir unbedingt lesen.

26. Oktober: Die Bruckners bleiben in ihrer Wohnung und die Großmama übersiedelt zu ihnen; nur der Herr General!!! fährt nach K. und die Mama der Hella natürlich auch. Die Lizzi muß hierbleiben, denn sie geht zu den Schotten Kochen lernen, da sie im Fasching heiratet!!!

31. Oktober: Heute sind die Eltern der Hella weggefahren; sie hat furchtbar geweint, weil sie riesig gern mitgefahren wäre. Die Lizzi macht sich nichts draus, weil sie schon verlobt ist und ihr Bräutigam, der Herr Baron, zu Weihnachten auf jeden Fall nach Wien oder Krakau kommt; das ist ihm einerlei.

4. November: Heute haben wir, nämlich etliche in der Klasse, uns wütend geärgert in der Deutschstunde. Weil ein paar Mädchen nicht wissen, wo ein Beistrich gesetzt wird und wo nicht, hat der Professor nicht direkt, aber indirekt gesagt, wir haben in den verflossenen Jahren nichts gelernt. Wir haben sehr gut verstanden, daß das auf die Frau Dr. M. gegangen ist, bei der die Deutschstunden 10, nein 100mal schöner waren als beim Professor F. Und gerade auf die Interpunktion hat die Frau Dr. M. riesig gehalten und uns viele Beispiele gesagt. Aber ob man einen Beistrich setzt oder nicht, davon hängt doch nicht der gute Stil ab! Und die zwei Ehrenfeld, die zuletzt auch sehr für die Frau Dr. M. schwärmten, sagten, wir, die Lieblinge der Frau Dr. M., sollten einmal bei einem bestimmten Aufsatz nicht einen einzigen Beistrich machen, ihm zum Justament. Das ist eine ausgezeichnete Idee, und wir, ich und die Hella, sind gleich dabei, wenn man sich nur auf die andern verlassen kann.

6. November: Heuer müssen alle Klassen mindestens jeden Monat zwei Ausflüge, auch im Winter machen. Wenn das im Vorjahre bestimmt worden wäre, wie die Frau Dr. M. noch da war, wäre ich bestimmt jedesmal mitgegangen. Aber heuer, ohne sie, freut es uns nicht. Die Frau Dr. St. ist auch sehr lieb, aber so wie die Frau Dr. M. eben doch nicht. Überdies machen wir mit dem Papa heuer jeden Sonntag einen Tagesausflug, wo auch immer die Hella, und wenn sie will, die Lizzi mitgeht. Sobald Schnee ist, machen wir Rodelpartien von Hainfeld oder Lilienfeld aus.

3. Dezember: Gott, fast einen Monat habe ich nichts geschrieben, aber dafür heute! Der Skandal in der Deutschstunde!! Wir haben nämlich die Aufsätze zurückbekommen, in denen die Hella und ich, die 2 Ehrenfeld, die Brauner, die Bergler Edith, und die Kühnelt absolut keinen Beistrich gemacht haben. Und es wäre auch nichts herausgekommen, wenn nicht die dumme Person die Brauner, nachträglich alle Beistriche, die sie schon gemacht hatte, wegradiert hätte. Wir hatten verabredet, falls der Prof. etwas merkt, zu sagen, wir wollten vor dem Unterricht gemeinsam besprechen, wo Beistriche zu setzen seien, und es sei aber zu spät gewesen. Jetzt hat diese alberne Person alles verpatzt. Er wird den Fall vor die Konferenz bringen! Aber schließlich können nicht 6 Schülerinnen von 25 eine mindere Sittennote bekommen; das darf überhaupt nicht einmal sein.

4. Dezember: Heute war die Frau Direktorin in der Deutschstunde inspizieren. Nachher sagte sie, sie erwarte, daß wir die schönen Kenntnisse, die uns die Frau Dr. M. drei Jahre lang vermittelte, zum festen Unterbau unserer weiteren Ausbildung im Oberlyzeum machen. Und in der Englischstunde sprach sie über den beschränkteren Gebrauch der Satzzeichen im Englischen; und schließlich wurden wir 6 Sünderinnen in die Kanzlei gerufen. Die ganze Schule weiß schon davon und bewundert unseren Mut, besonders die Unterklassen; die V. und VI. ärgern sich, daß wir aus der IV. uns das trauten. Die Frau Direktorin schimpfte uns fürchterlich zusammen, sie sagte, das ist eine unerhörte Frechheit und zugleich machen wir damit der Frau Dr. M. eine schöne Schande. Da meldet sich die Hella und sagt ganz bescheiden: »Ich bitte, Frau Direktorin, darf ich ein Wort zu unserer Verteidigung sagen?« Und dann sagte sie, daß der Herr Prof. Fritsch bei jeder Gelegenheit über die Frau Dr. M. eine Bemerkung macht, natürlich nur indirekt, aber so, daß wir es doch verstehen, und daß wir deshalb das getan haben. Da antwortete die Frau Direktorin, das ist wohl nicht richtig, niemals werde eine Lehrkraft gegen eine andere sprechen, da hätten wir den Herrn Prof. einfach mißverstanden! Na also, das kennt man schon; auch das Nüßchen hat wie oft in der Mathematik gesagt: » Das wißt Ihr nicht? Das müßt Ihr doch gelernt haben.« Aber die Betonung!!!!! Morgen ist Konferenz und wir sollen trachten, noch vor der Konferenz alles gutzumachen. Die 2 Ehrenfeld wollten, daß wir die Arbeiten nochmals schreiben, mit den Beistrichen natürlich, und morgen in der Deutschstunde auf den Tisch legen, aber alle andern stimmten dagegen; denn wir sahen sehr gut, daß die Frau Direktorin ganz rot wurde, als die Hella das alles sagte. Die Korrekturen werden wir machen, aber wir fangen alle ein neues Heft an.

8. Dezember: Jetzt sind schon 3 Tage seit der Konferenz, aber es wird kein Wort von unserer Affäre gesprochen, und gestern in der Deutschstunde gab der Prof. das Thema für die III. Hausarbeit, ohne daß er etwas Besonderes sagte. Ich glaube, er traut sich doch nicht. Die Hella hat uns entschieden gerettet, denn keine andere hätte sich getraut, das zu sagen, auch ich nicht. Die Hella sagte: »Meine liebe Rita, dafür bin ich eine Offizierstochter; wenn ich nicht Mut hätte, wer sollte ihn denn haben?« Alle Mädchen sehen uns in der Pause und beim Weggehen an, obwohl die Frau Direktorin in der Kanzlei zu uns sagte: »Ich wünsche, daß dieser Vorfall nicht in der ganzen Anstalt herumgetragen wird.« Aber die Brauner hat eine Schwester in der II. und die Bergler Edith eine in der V. und dadurch haben es alle Klassen erfahren. Die Eltern werden offenbar nicht vorgeladen, denn sonst wäre es schon geschehen. Übrigens habe ich vorsichtshalber zuhaus schon Andeutungen gemacht. Und da die Dora, Gott sei Dank, nicht mehr ins Lyzeum geht, kann unmöglich eine Klatscherei herauskommen. Wir waren nur im 1. Moment aufgeregt, aber die Hella hat ganz Recht, wenn sie sagt: »Es geschieht uns bestimmt nichts, denn wir sind im Recht

15. Dezember: Begegnung mit Viktor!!! Ich und die Dora gingen Weihnachtseinkäufe machen und wie wir gerade in die Tuchlauben einbiegen, prallen wir aneinander. Die Dora ist doch blutrot geworden und beiden hat die Stimme gezittert. Er ist wunderbar; dieser schwarze Schnurrbart und diese Augen! Und die grünen Aufschläge stehen ihm herrlich. Er räusperte sich schnell, damit man nichts merken sollte und ging bis am Hohen Markt mit uns; er hat noch ein halbes Jahr Urlaub bekommen, da er ein Halsleiden hat; also kann die Dora ganz beruhigt sein, falls sie geglaubt hat – – – – –. Beim Abschied hat er uns beiden die Hand geküßt und so süß gelächelt, wehmütig und süß zugleich. Ich wollte dann ein paarmal die Rede auf ihn bringen, aber wenn die Dora nicht will, da kann man sich auf den Kopf stellen und es nützt nichts; so ein Dickschädel! So war sie schon als ganz kleines Kind, wo sie immer so blöd gesagt hat: Do nit! das sollte heißen: Dora will nicht; so ein Fratz! ein eigensinniger!

17. Dezember: Gestern machten wir die erste Rodelpartie auf den Anninger; es war herrlich, wir kugelten fortwährend im Schnee; er lag ziemlich hoch, besonders dort, wo weniger Leute waren. Beim Nachhausegehen passierte der Hella etwas Köstliches; sie blieb an einer Wurzel hängen und riß sich die ganze Sohle von nagelneuen Delka-Schuhen ab. Sie mußte sich die Sohle mit Spagatschnüren festbinden und dabei hinkte sie, daß alle Leute glaubten, sie hätte sich beim Rodeln den Fuß verstaucht. Und ihre Großmama war ganz außer sich und sagte: Das kommt von solchen unweiblichen Vergnügungen! Die Tante Dora ärgerte sich schrecklich darüber, weil sie doch auch dabei war, aber der Papa sagte: Die Großmama der Hella ist eine alte Dame und zu ihrer Zeit hatte man in dieser Hinsicht eben eine andere Auffassung. Ja, wirklich in dieser Hinsicht, das merkt die Hella jeden Tag ein Dutzendmal, was sie alles nicht reden und tun soll, und was alles für solche junge Mädchen nicht paßt! Am liebsten würde ihre Großmama sie in einen Glassturz setzen; aber undurchsichtig, damit sie nicht heraussehen und niemand hineinsehen kann. (Die Hauptsache!)

20. Dezember: Also heute war die letzte Deutschstunde vor Weihnachten und gar nichts ist in der Affaire weiter geschehen. Die Hella hat glänzend recht behalten. Gratuliert hat die elende Streberin, die Verbenowitsch, die sich bei jeder Lehrkraft einschmeichelt und die Hammer, die ja neu ist und die Frau Dr. M. nicht gekannt hat. Richtig, neulich um 1 Uhr haben wir die Franke begegnet; sie geht in eine Schauspielschule und sagt, da ist ein ganz anderer Ton, sie ist froh, daß sie die Schule los ist. Die Affaire mit dem Professor F. hat sie schon gewußt und hat uns zu unserer Charakterstärke gratuliert, besonders natürlich der Hella. Sie behauptet, in allen Lyzeen Wiens ist die Sache bekannt geworden, sie wenigstens hat es von einer Schülerin des Beamtentöchter-Lyzeums erfahren, deren Schwester mit ihr in die Schauspielschule geht. Sie ist sehr glücklich dort, nur daß man eine solche Anstalt auch Schule nennt, ärgert sie; denn von Schule keine Rede; wir würden staunen, welche Freiheit im Ton dort herrscht. Sie ist übrigens sehr hübsch und noch stärker als sie ohnehin schon war. Und sie spricht sehr hübsch, nur etwas zu laut, so daß sich alle Leute nach uns umgedreht haben. Sie hofft, uns in 1 Jahr zu ihrem ersten Debüt einladen zu können!!! Also das möchte ich nie, so vor lauter Fremden auf einer Bühne stehen, da brächte ich nicht 1 Wort heraus.

21. Dezember: Die Hella ist furchtbar unglücklich. Vorgestern bekommt sie eine solche Influenza und Halsentzündung, daß sie nicht nach Krakau fahren kann. Sie sagt, sie ist nur zum Unglück geboren; jetzt schon die zweiten verpatzten Weihnachten, vor zwei Jahren die Blinddarmoperation und heuer diese elende Influenza. Hoffentlich kommt ihre Mama nach Wien, aber dann ist wieder ihr Papa ganz allein. Und was sollen erst wir sagen, Weihnachten ohne die Mama, das erste Weihnachten ohne die Mama. Ich darf gar nicht daran denken, sonst muß ich gleich weinen. Auch die Dora sagt, das sei gar kein rechtes Weihnachtsfest ohne die Mama. Was der Papa zu dem Bild der Mama sagen wird. Wenn nur der Rahmen wirklich morgen fertig ist. Die Hella ist hauptsächlich auch deshalb unglücklich, weil sie den Lajos nicht sehen kann. Übrigens ist sie zugleich in in einen Dragonerleutnant, den wir alle Tage begegnen und der ein Graf ist, sterblich verliebt und er in sie. Er weiß, daß ihr Papa General ist, denn wie ihr Papa zur Audienz zum Kaiser fuhr, hat die Hella ihn ein Stück im Auto begleiten dürfen und da haben sie den Leutnant begegnet. Und seither grüßt er sie auf der Gasse. Er ist riesig groß und sieht riesig aristokratisch aus. Nur das ärgert mich an der Hella, daß sie immer ableugnet, wenn sie in jemanden verliebt ist. Ich sage es ihr immer, oder wenn sie etwas merkt, so leugne ich doch nicht. Was für einen Sinn hat das unter Freundinnen? z. B. voriges Jahr war sie doch bestimmt in den jungen Doktor im Sanatorium verliebt. Und wie wir damals im September mit dem herrlichen Leutnant vom Fliegerkorps aus Theben fuhren, habe ich doch nicht geleugnet, daß ich wahnsinnig verliebt bin. Aber sie glaubte es nicht und sagte: Das ist doch keine Liebe, wenn man sich monatelang nicht sieht und indessen mit anderen kokettiert. Das war auf den Recken Siegfried gemünzt. Gott, auf den!! das ist wirklich zum Lachen.

22. Dezember: Ich habe eine riesige Freude, die Frau Dr. M., das heißt, jetzt heißt sie Frau Professor Theyer hat mir geschrieben. Ich habe ihr nämlich zu Weihnachten gratuliert und da dankte sie mir, und gleich zu Neujahr, sie mir zuerst; das ist doch himmlisch! Ich habe mich wütend geärgert, daß die Dora sagt, sie hätte das getan, damit sie nicht noch einmal schreiben muß. Aber das ist bestimmt nicht wahr. Solche Sachen sagt die Dora nur, um mich zu ärgern. Aber der süße göttliche Brief, ich trage ihn mit Ihrer Photographie ewig bei mir. Der Hella schickte sie bloß eine Karte, natürlich, weil sie auch nur eine Karte schickte. Die Frau Dr. M. könnte ich mir ganz gut als Stiefmutter denken, das heißt, ganz gut nicht, aber am ehesten. Sie schrieb auch so lieb von unserer Mama und daß diese Weihnachten für mich nicht so fröhlich sein werden wie sonst. Da hat sie wohl recht. Es ist niemanden bei uns so zumute, als ob übermorgen Heiliger Abend wäre. Das Einzige, daß ich mich freue auf die Augen, die der Papa machen wird, wenn er das Bild sehen wird. Aber sonst sollte man im ersten Jahre nach einem solchen Todesfall überhaupt Weihnachten gar nicht feiern, denn an solchen Tagen ist man dann doppelt traurig.

23. Dezember: Ich habe zwar noch furchtbar viel für Weihnachten zu tun, aber heute muß ich schreiben. Also heute vormittag vielleicht um ½12 Uhr läutet es. Ich glaube, es ist die Hella, die mich abholen wollte, falls ihr wieder gut ist, und stürze hinaus, reiße die Tür auf und sage: »Habe die Ehre,« und will gerade die Fortsetzung sagen, »Habe Diaroe«, da bin ich einfach paff, steht ein Herr draußen und fragt: Sind die Herrschaften zuhause? Im Moment erkenne ich ihn, es war der Dr. Pruckmüller von Fieberbr. Indessen macht schon die Dora die Tür vom Salon auf und jetzt kommt die große Falschheit: Sie war nicht im mindesten überrascht, sondern sagt: »Ah, Herr Dr. das ist schön, daß Sie Wort gehalten haben,« Also hat er ihr offenbar versprochen, daß er kommt und sie hat es wahrscheinlich gewußt, daß er heute kommt, denn sie hatte die schwarzseidene Zierschürze mit den Einsätzen umgebunden und die nehmen wir immer nur, wenn Besuch kommt. So eine Falschheit! Justament, ging auch ich in den Salon. Dann kam die Tante Dora und lud ihn für abends ein. Dann ging er fort. Dabei hat er zu mir kein Wort geredet, mir scheint, er hat nicht einmal gesehen, daß ich auch noch auf der Welt bin. Erst beim Weggehen sagte er: »Nun, wie geht es Ihnen, Fräulein?« »Mein Gott«, sag ich, »wie es einem kurz nach einem Todesfall, noch dazu der Mama, gehen kann.« Die Dora wird blutrot, denn sie hat verstanden. Wenn der mein Schwager wird, nun da weiß ich, wie ich mich zu stellen habe! Aber, bis dahin ist noch lange Zeit; denn er ist doch in Innsbruck und das wird der Papa wohl kaum erlauben, daß die Dora nach Innsbruck heiratet. Bei Tisch redete ich überhaupt kein Wort, weil ich empört war über diese Falschheit. Aber es kommt noch schöner. Also abends um 7 Uhr oder wieviel es war, rückt der Herr Dr. an. Die Dora erscheint in einer weißen Bluse mit einer schwarzen Schleife, und war solange in ihrem Zimmer geblieben, damit ich nicht wissen sollte, was sie anzieht. Ich hatte nämlich tatsächlich geglaubt, sie zieht das schwarze Reformkleid mit den Einsätzen an, und zog es auch an. Na also, das war ja ganz egal. Bei Tisch redete er fortwährend mit der Dora und ich redete absichtlich mit dem Oswald. Dann sagte er, daß er mit dem 1. März nach Wien versetzt werde. Die Dora war wieder gar nicht erstaunt, also muß sie es gewußt haben! Aber jetzt erinnere ich mich ganz gut, im Oktober gab mir der Briefträger einen Brief an sie mit dem Poststempel Innsbruck. Also korrespondierte sie offenbar die ganze Zeit mit ihm, nicht einmal ein halbes Jahr nach dem Tode der Mama, das ist stark! Aber wie ich mich auf dem Land unterhielt, da stieß sie mich unterm Tisch an, ich sollte nicht so furchtbar lachen. Und wenn der Herr Schwager in spe, Gott, ich muß lachen, vor ein paar Jahren, mir scheint in Goisern, da nannten wir doch die Dora die Inspe, weil sie vom Robert Warth und mir gesagt hatte: Das Brautpaar in spe! Und jetzt ist sie an dieser Stelle. Abends wie der Dr. wegging, zitterte ich schon, daß ihn der Papa zum Christbaum einlädt, aber Gott sei Dank, wie der Papa fragte: »Und was machen Sie morgen«, sagte er: »Morgen bin ich bei der Familie meiner Schwester, die auf der Wieden an einen Hauptmann verheiratet ist.« Gott sei Dank, das hätte gefehlt, wo wir so gar nicht in der Stimmung sind, Besuche zu empfangen, überhaupt heuer, das erste Weihnachten ohne Mama. Und wenn sie wüßte, – – – Ich möche wirklich wissen, was mit der Seele eigentlich geschieht. An den Himmel glaube ich natürlich schon lange nicht mehr; aber irgend wohin muß ja die Seele doch kommen. Es gibt soviele Rätsel, und die machen einen so traurig; in einem Zeitungsroman habe ich neulich als Überschrift eines Kapitels gelesen: Das Rätsel der Liebe. Also dieses Rätsel macht einen wohl nicht traurig, wie man an der Dora sieht. Übrigens scheinen alle Mädchen, d. h. alle älteren Schwestern in diesem Punkte gleich zu sein. Denn wenn ich denke, was mir die Hella von der Verlobung der Lizzi erzählte. Allerdings, die hat ihn doch wenigstens in London kennen gelernt, und nicht bei ihrer Familie; aber die Falschheit war ja dieselbe. Was das nur heißen soll? Wäre es nicht viel gefühlvoller und vernünftiger, die Schwester alles zu sagen! Wie kann denn dann jemand erwarten, daß man ein Verbündeter sein soll. Nun, mir ist es recht, ich lasse mir dadurch das Weihnachtsfest nicht stören; wenn man überhaupt von einem Fest reden kann. Am Stephanitag, wo er für abends eingeladen ist, werde ich der Hella sagen, komme ich jedenfalls zu ihr und ihrer Großmama. Gut, daß sie doch in Wien geblieben ist.

25. Dezember: Weihnachten war wirklich sehr traurig. Alle drei bekamen wir Mamas Bild in Lebensgröße in feinen grünen Rahmen für unsere Zimmer. Die Dora schluchzte laut auf und da weinte ich auch und ging zum Papa und umarmte ihn. Er hatte auch ganz nasse Augen; denn er hat die Mama rasend geliebt. Nur der Oswald weinte nicht direkt, aber er biß sich fortwährend auf die Lippen. Ich war nur froh, daß der Dr. P. nicht da war, denn vor fremden Leuten zu weinen, ist greulich unangenehm. Wir haben beide sehr feine weiße Guipierblusen, nicht Spitzenblusen bekommen, dann habe ich von der Tante ein Postkartenalbum für 500 Stück, sehr fein, bekommen, ferner eine Gedichtensammlung, die ich mir wünschte. Die Ungarischen Tänze vom Brahms, weil mir die Dora die ihren im vorigen Jahr nicht leihen wollte, angeblich weil sie mir zu schwer sind; als ob sie das etwas anginge; das wird schon die Klavierlehrerin richtiger beurteilen; ferner Briefpapier mit meinem Monogramm, einen neuen Entoutcas mit Anhänger, Zopfbänder, und solche Kleinigkeiten. Der Papa hatte eine riesige Freude mit dem Bildchen der Mama; wir hatten nämlich gar nichts gewußt davon, daß er uns die Mama im Großen machen läßt, und haben ihm nach der letzten Photographie vom vorvorigen Winter ein ganz kleines Bild vom Herrn Milanowitz, der Maler ist und die Mama sehr gut kannte, malen lassen, in Farbe natürlich. Dazu einen entzückenden Rokokorahmen, zum Zusperren; wenn er offen ist, sieht es aus, als ob die Mama zum Fenster herausschauen würde. Das war meine Idee und der Herr Milanowitz fand sie höchst originell. Der Dora ist es sehr unangenehm, daß er kein Geld dafür annahm, aber dadurch konnten wir den Rahmen noch eleganter machen lassen. Nach Weihnachten, zu Neujahr schicken wir, aber von unserem Geld dem Herrn. M. feine Zigarren, ich wollte zu Weihnachten, aber wir kennen uns mit Zigarren gar nicht aus und sagen wollten wir niemand etwas, weil man nie wissen kann, ob sie es nicht doch verraten, angeblich unabsichtlich; aber das ist nicht wahr, wenn man etwas verrät, hat man schon immer die Absicht im geheimen; und man sagt dann nur, man habe sich verredet; aber das kennt man schon. Was die Dora extra bekommen hat, schreib ich nicht alles her, nur das eine: Um 7 Uhr, gerade wie der Papa den Baum anzündet, bringt ein Dienstmann wunderbare Rosen mit ein paar Mistelzweigen durchflochten und unten ein Veilchenbouquet – – – natürlich vom Herrn Dr. P. mit einer Karte, aber die hat sie nicht lesen lassen. Sie sagte nur: Dr. P. läßt allseits angenehme Feiertage wünschen; mir scheint, er hat geschrieben: » Fröhliche Weihnachten«, aber das hat sich die Dora doch nicht zu sagen getraut. Ja, von der Hella habe ich ein Perlentäschchen bekommen, und sie von mir ein Portemonnaie mit dem Doppeladler, sie wünschte sich nämlich ein solches militärisches Portemonnaie. So eine Militärschwärmerin wie die Hella habe ich noch nicht gesehen; ich finde ja auch die Offiziere riesig fesch, aber daß deswegen die anderen Herren gar nicht existieren für einen, das ist schon etwas übertrieben. Und lernen tun die anderen, z. B. die Doktoren und die Jus studieren oder selbst Bergbau, wenn ich schon nichts von der Hochschule für Bodenkultur sage, die nehm' ich auch nicht für »vollwertig« (so sagt nämlich die Hella immer), lernen müssen also die alle entschieden mehr als die Offiziere; das will die Hella nie gelten lassen und führt dann immer die Generalstabsoffiziere an; als ob alle » Generalstäbler« wären! Wir haben schon oft deswegen gestritten. Ich gönne es ihr aber von Herzen, daß sie einmal einen Offizier bekommt, u. zw. einen, der selber die Kaution hat, denn sonst geht es ja nicht; denn die Bruckner haben kein Vermögen, sagt der Papa. Er sagt das zwar auch immer von uns, aber das glaube ich nicht; reich sind wir ja gerade nicht, aber daß jede von uns die Kaution haben könnte, das glaube ich wohl. Übrigens die Dora verzichtet ja freiwillig darauf, wenn sie wirklich den Dr. P. heiratet.

27. Also gestern war ich richtig bis 9 Uhr bei der Hella und am ersten Feiertag war sie bei uns. Da sehe ich gerade, daß ich da oben schrieb, die B. hätten kein Vermögen; dies scheint entschieden anders zu sein. Wir bekommen doch immer sehr viele und schöne Sachen zu Weihnachten, zum Geburtstag und zum Namenstag (den haben allerdings die Protestanten nicht) aber so großartige Sachen wie bei B. schenken wir einander nicht. Die Hella hat einen rosa Seidenstoff für ein Tanzstundenkleid bekommen, der mindestens 50 K kostet und einen Spitzenkragen mit Manschetten, von dem wir selber beim Feiner gesehen haben, daß er 24 K kostet, dann noch einen goldenen Ring mit einem Smaragd, und eine Menge Kleinigkeiten, die sie gar nicht angeschaut hat. Und ihre Schwester, was die erst alles bekommen hat, lauter Sachen für ihre Ausstattung! Und der Christbaum bei B. kostete 12 K und der unsere bloß 7, obwohl er ebenso schön ist. Also ich glaube wohl, daß die B. Geld haben und ich habe auch zur Hella gesagt: »Ihr müßt enorm reich sein.« Und sie sagte: »Na, na, gar so arg ist's nicht; einen Generalstäbler darf ich mir einmal nicht aussuchen. Die Lizzi hat's entschieden gescheit gemacht, der Paul ist Baron und ist reich. Er ist eben wahnsinnig in sie verschossen; Geschmacksverirrung, nicht?« Das finde ich auch, denn gar so schön ist die Lizzi gerade nicht, außer das wunderbare blonde Haar, aber sonst, vor allem andern ist sie so mager, keine Spur B... da hat die Hella zehnmal mehr. Und wenn man bis 20 keinen hat, bekommt man ihn auch nicht mehr.

Etwas war köstlich heute. Die Hella fragt mich: »Du, wie heißt denn der Dr. deiner Schwester mit dem Vornamen?« Da fällt mir erst ein, daß er auf seiner Visitkarte bloß stehen hat Dr. jur. A. Pruckmüller, und dann erinnere ich mich, daß die Dora im Sommer, als wir ihn kennen lernten, sagte, er heiße leider August, das passe gar nicht für ihn. Na, wir lachten uns halb krank, weil die Hella natürlich gleich singt: »O, du lieber Augustin« und dann fällt mir ein: Der dumme August im Zirkus und dann redeten wir drüber, wie die Dora ihn einmal nennen wird. Gusti oder Gustel, oder Augi, mein lieber Augi, mein geliebter Gusterl, nein, es war zum Totlachen. Und dann besprachen wir, welchen Namen wir einmal möchten und ich sagte: Ewald oder Leo, und die Hella sagte: Nicht auch Siegfried? Aber da hielt ich ihr den Mund zu und sagte: »Du, damit kannst du mich ernstlich böse machen, das ist und muß vergessen bleiben.« Und dann sagte sie, sie hätte am liebsten, wenn ihr Bräutigam einmal Peter oder Thamian oder Chrysostomus heiße; dann würde sie ihn geliebter Dami oder Sosti nennen; aber dann sagte sie in allem Ernst, sie heirate nur einen Mann, der Egon, Alexander oder höchstens Georg heiße. Da kam gerade ihre Mama herein, um uns zur Jause zu rufen, und sagte gleich: »Was ist da mit dem Alexander und Georg? Ihr seid schreckliche Mädchen. Wie ihr zwei Minuten allein seid (ich bin schon um ½3 gekommen und um 4 Uhr jausnen die Bruckners, das nennt die Mama der Hella 2 Minuten), so hört man schon unpassende Sachen.« Und weil die Hella Angst hatte, ihr Mama glaube, weiß Gott was, so sagt sie: Aber nein, Mama, wir haben nur darüber geredet, welchen Namen wir einmal für unsern Bräutigam am liebsten hätten.« Ha, das war köstlich, wie ihre Mama auffährt. »Das ist es ja eben, daß Ihr mit kaum 15 Jahren (ich bin es nicht einmal noch) nichts als solche Sachen im Kopf habt!« Solche Sachen, zum Lachen wirklich. Bei der Jause war es ungefähr so fad, wie neulich bei uns am Abend; denn der Herr Baron war da, d. h. sie sagen jetzt schon alle Du zu einander, weil die Hochzeit schon im Februar sein wird, sobald es bestimmt ist, ob der Baron in London bleibt oder nach Berlin kommt. Das muß doch komisch sein, zu einem ganz fremden Herrn »Du« zu sagen. Die Hella sagt, sie war es gleich gewöhnt und der Paul gefällt ihr überhaupt ganz gut. Wenn er der Lizzi Bonbons bringt, wenn sie ins Theater geht, bringt er auch immer ihr ein Extra-Sackerl voll. Das würden andere Leute gewiß nicht tun und noch andere Leute würden es nicht nehmen! Wie ich heute nachhause kam, sagt der Papa: Na, ein andersmal schlaf gleich bei den Bruckners, und da sagte ich: »Ich wollte nicht stören.« Und der Oswald sagt: »Dem Schnabel gehört eine Ohrfeige,« der Papa war aber zum Glück schon bei der Tür draußen und so sag ich: » Deine Kinder, wenn du überhaupt einmal welche hast, kannst du mit Ohrfeigen traktieren, daß sie grün und blau werden, aber über deine Schwestern hast du gar kein Recht, das hat dir der Papa schon einmal gesagt, in Fieberbrunn.« »Ja, ja, der Papa hat euch zweien immer die Stange gehalten, das war von jeher so.« »Bitte mich nicht hineinzuziehen in Euren Streit«, sagt die Dora, als ob sie etwas anders wäre als ich. Und dann sagt die Tante Dora: »Aber ich bitte Euch, streitet doch nicht in einem fort.« » Ich habe nicht angefangen,« sage ich noch und gehe dann ohne Gute Nacht sagen hinaus; d. h. zum Papa bin ich in sein Zimmer gegangen und die Tante Dora habe ich im Vorzimmer gesehen. Aber dem Oswald und der Dora habe ich nicht Gute Nacht gewünscht, denn ich brauche mir doch nicht alles gefallen zu lassen. Und jetzt ist es schon ½12 Uhr, weil ich so lange geschrieben und so viel geweint habe, denn ich bin sehr unglücklich. Das weiß nicht einmal die Hella. Ich muß jetzt ins Bett gehen; ob ich werde schlafen können, das ist eine andere Frage. Morgen gehe ich wieder allein auf den Friedhof, wenn es nur halbwegs möglich ist.

31. Heute waren die Hella und ich auf dem Friedhof. Ihr Papa und ihre Mama sind gestern abends wieder weggefahren nach Krakau und da sagte sie zu ihrer Großmama, sie ist den ganzen Vormittag bei mir und ich sagte, ich bin bei ihr. Und so fuhren wir allein nach Pötzleinsdorf. Die Hella schaute sich den ganzen Friedhof an und ich ging indessen zum Grabe unserer lieben einzigen Mama. Ich bin so unglücklich; die Hella tröstete mich zwar sehr, aber sie kann ja das doch nicht verstehen.

1. Jänner 19..! Wir haben gestern natürlich keinen Sylvesterabend gefeiert, sondern waren ganz allein und es war sehr traurig. Heute vormittags kam der Herr Dr. P. mit einem Bouquet Rosen für die Dora und der Tante Dora und mir gab er sehr schöne Veilchen beim Gratulieren. Da er am 4. wegfahren muß, so ist er für den 3. am Abend eingeladen. Ich bin nicht entzückt davon. Morgen fängt, Gott sei Dank, die Schule wieder an. Ich bin einem Mistwagen begegnet, das bedeutet Glück; der Papa sagt, es ist ein Skandal, daß bei uns in Wien noch immer der Mistbauer fährt und gar am Neujahrstag um 2 Uhr nachmittags. Aber schließlich, wenn er Glück bedeutet!

2. Jänner: Also der Mistbauer hat nicht gelogen. Heute schon haben wir das Glück erlebt! In der großen Pause entsteht auf einmal im Vorraum ein ganzer Knäuel von Mädchen und plötzlich glaube ich, mir zerspringt das Herz. Die Frau Dr. M. d. h. die Frau Professor Theyer steht mitten unter den Mädchen und sieht uns gleich und gibt uns beiden die Hand, die wir sofort küssen. Sie ist zum Besuch ihrer Eltern da mit ihrem Mann, dem Herrn Professor; da sie nicht bestimmt wußte, ob sie dazukomme, in die Schule zu kommen, so schrieb sie weder mir noch der Hella etwas davon. Gott, sie ist so schön und so entzückend lieb. Wie schon die Pause abgeläutet ist und die Frau Dr. Dunker hereinkommt, sehe ich sie noch draußen stehen. Da halte ich mir schnell mein Taschentuch vor, als ob ich Nasenbluten hätte, und stürze hinaus zu ihr. Und weil ich ausrutschte und beinahe hinfiel, hielt sie mich mit beiden Armen auf. Kaum bin ich bei ihr, kommt die Hella und sagt: »Ah, ich habe doch sofort verstanden; ich habe gesagt, dir ist furchtbar schlecht, ich muß nach Dir sehen.« Da lachte die Frau Professor sehr und sagte: »Ihr seid ja ganz infame Komödiantinnen; ich werde Euch gleich hineinjagen.« Aber natürlich tat sie es nicht, sondern war furchtbar reizend und endlich sagte sie: Wir müssen jetzt in die Klasse gehen. Da baten wir sie riesig, sie solle uns heraußen lassen bei ihr, aber sie sagt: »Nein, dabei kann ich als Eure einstige Lehrkraft Euch nicht unterstützen. Aber ich sag Euch etwas besseres. Besucht mich morgen auf ein Stündchen, wollt Ihr?« »Natürlich«, riefen wir beide. Und sie sagte, sie wohne eigentlich im Hotel, aber damit wir nicht allein ins Hotel kommen müßten, so wird sie bei ihren Eltern in der Schwindgasse sein und dorthin sollen wir bis um 4 oder ½5 Uhr kommen. Da küßten wir ihr beide Hände und waren so glücklich! Also morgen um 4 Uhr! Gott, noch eine ganze Nacht und fast einen ganzen Tag müssen wir warten. »Wenn Eure Eltern es erlauben,« sagte sie: mein Gott, wenn der Papa oder sogar die Großmama der Hella das nicht erlauben wollten! Der Papa sagte nur: »Ich bitt' dich Gretel, verlier nur nicht noch vorher deinen Verstand, sonst findest du nicht einmal in die Schwindgasse. Ist die Hella auch so verrückt?« Natürlich, wie kann man da anders sein.

3. Jänner: Noch 2 Stunden, es ist gräßlich, um ½4 Uhr holt mich die Hella ab. In der Schule schauten wir uns heute fortwährend an und die anderen Mädchen glaubten, es sei etwas mit einem Herrn. Gott, wo denken wir jetzt an einen Herrn! Wir hatten eine wunderbare Idee, wir machen Ihr noch schnell ein Andenken, da sie erst am 5. am Abend wegfährt. Ich habe mir auf maisgelber Seide eine Buchzeichen vordrucken lassen, Edelweiß und ihr Monogramm E. T. natürlich, das neue. Und die Hella malt in Intarsienimitation ein Papiermesser. Mir wäre so etwas auch lieber gewesen, aber ich habe keine Geduld dabei und da verpatze ich es sehr oft zum Schluß. Bei einer Stickerei kann man nichts verpatzen. Aber leider bekomme ich es vom Vordrucken erst um ½4 Uhr; also muß ich die ganze Nacht und morgen den ganzen Tag arbeiten.

Abends: Gott sei Dank und leider Gott, wie mans nimmt, hat die dumme Person von Vordruckerin vergessen auf das Lesezeichen und ich bekomme es erst morgen in der Frühe. Also kann ich jetzt schreiben: Es war himmlisch! Wir mußten mindestens ½ Stunde spazieren gehen vor Ihrem Haus, bis es endlich 5 Minuten nach 4 war. Gott, Sie war süß! Sie wollte uns Sie sagen, aber das duldeten wir absolut nicht, und so sagte sie wieder Du. Ich weiß gar nicht, was wir alles geredet haben, nur, daß ich plötzlich schrecklich weinte; und da zog sie mich an ihre B – –, nein so etwas schreibe ich nicht von ihr; sie zog mich an sich und da spürte ich Ihr Herz schlagen! und wurde fast verrückt. Die Hella behauptet, ich habe sie mit beiden Armen um den Hals genommen, aber das ist eine Einbildung von der Hella, das hätte ich mich nie getraut. Sie hat so entzückende Hände und der Ehering glänzte so an ihrem göttlichen Ringfinger. Wir redeten natürlich von der Schule und da fragte sie plötzlich: Was war denn das eigentlich mit diesen Aufsätzen, in denen die halbe Klasse absichtlich keine Satzzeichen setzte? »Gott,« sagen wir beide, »das ist eine gemeine Lüge, die halbe Klasse hat das nicht getan, sondern bloß 6, die Sie, Frau Doktor, immer besonders verehrten.« Und dann erzählten wir ihr, wie alles war. Da lachte sie ein kleines Bißchen und sagte: »Na, Kinder, einen besonderen Liebesdienst habt Ihr mir damit nicht erwiesen. Das ganze war wirklich eine große Frechheit.« Und da sag ich: »Und die Bemerkungen des Herrn Prof. Fritsch sind noch zehnmal frecher gewesen, denn sie bezogen sich auf eine Lehrkraft und noch dazu auf Sie.« Da sagte sie: »Liebe Kinder, das ist schon einmal so im Leben, daß den Abwesenden immer eine üble Nachrede gehalten wird, berechtigt und unberechtigt; das ist leider in jedem Beruf so.« Und die Hella sagte dann noch, daß die Frau Direktorin nicht so ist, denn sonst wäre ein Riesenskandal entstanden, da die Affäre in sämtlichen Lyzeen Wiens bekannt ist. Da sagte die Frau Dr. M.: »Ja, die Frau Direktorin ist ein wirklich vornehmer Charakter.« Also jetzt kommt noch etwas Großartiges, eigentlich 2 großartige Dinge: 1.) wartete sie uns mit herrlichen Bonbons auf, wie ich sie noch nie gegessen habe. Das bestätigte auch die Hella und wir beide kennen uns in Zuckerln wirklich gut aus. Und das zweite, noch herrlichere, war Folgendes: Nachdem wir schon einige Zeit dort waren, klopft es und herein kommt Ihr Mann, der Herr Prof. und sagt: »Grüß Gott, mein Schatz« und zu uns »Guten Tag, meine jungen Damen.« Und dann stellt sie uns vor und sagt: »Zwei meiner liebsten Schülerinnen und meine treuesten Anhängerinnen.« Da lacht der Herr Prof. sehr und sagt: »Das kann man nicht von allen Schülern behaupten.« Da sag ich schnell: »O bei der Frau Dr. schon, für die ginge die ganze Klasse heute noch durchs Feuer.« Dann ging er wieder hinaus und sie sagte: Pardon, einen Augenblick und man hörte deutlich, daß er sie im Nebenzimmer küßte, denn sie sagte noch im Hereinkommen: »Aber geh, leb wohl, Karl.« Leider heißt er nur Karl, das ist ein so prosaischer Name und er nennt sie Lise und wenn sie allein sind, wahrscheinlich Lieschen, da er ein Norddeutscher ist. Ich muß ins Bett gehen, es ist gleich ½12. Morgen Fortsetzung. Schlafe wohl, mein süßer herrlicher wonniger goldener einziger Schatz! Gott, ich bin so glücklich!

6. Jänner: Gott sei Dank, daß heute Feiertag ist und wir keine Rodelpartie machen können, weil die Dora verkühlt!! ist. Also am 4. habe ich das Lesezeichen bekommen und habe den ganzen Tag und bis 12 Uhr in der Nacht gearbeitet und gestern stand ich schon um ½6 Uhr auf und arbeitete wieder den ganzen Vormittag und nachmittag um 2 Uhr trugen wir die Andenken hin. So gern wir es selbst abgegeben hätten, so taten wir es doch nicht, sondern gaben es beim Stubenmädchen bloß ab. Sie fragte: Bitte, soll ich die Fräulein anmelden, aber die Hella sagte gleich: »Danke, nein, wir wollen nicht stören und unten sagte sie auf meine Vorwürfe: Nein, es ist besser so; Du bist ohnehin ganz aufgeregt, Du weißt, was Sie gesagt hat: »Aber liebes Kind, du wirst ja krank; das darfst du mir nicht antun!« Gott, ich muß so weinen, daß ich gar nicht schreiben kann, aber ich muß schreiben, denn es ist noch soviel Herrliches zu berichten, was ich nie, nie vergessen darf, und wenn ich 8 Tage dran schreiben muß. Was liegt daran; ich lebe nur mehr dieser Erinnerung und ich will auch nichts anderes, als Sie einmal noch in meinem Leben wiedersehen. Wir hatten ihr am Freitag natürlich Blumen gebracht, ich Maiglöckchen mit Veilchen und Tuberosen und die Hella langstielige Eisrosen. Sie bedankte sich riesig und holte sofort 2 Vasen, die ihre Mama hereinbrachte. Sie ist so klein wie die Frau Hofrätin R. und hat schon graue Haare, reizend; aber sie sieht eigentlich der Frau Dr. M. nicht ähnlich. Beim Abschied wartete sie uns noch einmal mit den Bonbons auf, aber weil wir beide beinahe schon weinten, so wollten wir nicht mehr nehmen und da wickelte sie uns beinahe die ganzen Bonbons ein und sagte: »Zum Trost in Eurem Leide.« Bei jemanden andern würde einem so etwas wie eine Ironie vorkommen, aber bei ihr ist es einfach süß. Es waren 17 große Bonbons und die Hella gab mir durchaus 9 und sie nahm bloß 8. Ich esse täglich nur ein einziges, damit ich 9 Tage davon zehren kann. Von meinem Glück und meinem Leid!! Die Hella fühlt nicht ganz so diese Liebe wie ich und gestern sagte sie, allerdings nur im Spaß: »Mir scheint, die ganze Welt ist für dich versunken; ich muß dich herausreißen, sonst schnappst du noch über.« Und dann sagte sie, wie ich so blöd sein konnte, und zu ihr das Wort Hochzeitsreise sagen konnte, obwohl sie sich räusperte. Das war ein Blödsinn ersten Ranges und die Frau Prof. ist auch ganz rot geworden dabei. Ich habe das gar nicht bemerkt, nur wie ihr Mann, der Herr Professor hereinkam, da wurde sie wirklich flammendrot. Wir redeten dann noch Verschiedenes in dieser Hinsicht, nämlich die Hella und ich. Ich hätte sie riesig gern gefragt, ob sie konfessionslos geworden ist, da der Herr Prof. doch ein Jude sein soll, obwohl er eigentlich nicht jüdisch aussieht. Denn schließlich einen schwarzen Bart haben auch viele andere Herren. Aber ich getraute mich nicht zu fragen und die Hella meint, das sei sehr vernünftig gewesen, denn an solche Dinge rührt man nicht. Ob Sie ein Kind bekommt? Gott, das wäre gräßlich. Vielleicht hat sie überhaupt auch einen solchen Ehekontrakt abgeschlossen, das wäre das Allerbeste. Die Hella glaubt aber, daß der Professor auf so etwas nicht eingegangen wäre. Aber schließlich, wenn er sie wahnsinnig liebt ...

15. Jänner: Die Mädchen in unserer Klasse beneiden uns wahnsinnig. Wir haben es nicht direkt gesagt, daß wir bei Ihr, der Einzigen, eingeladen waren, aber die Hella hatte ein Bonbon von ihrer Hand mit und sagte in der Pause: Das muß man mit Andacht essen und schnitt es auseinander, um mir die Hälfte zu geben. Die Ehrenfelds glaubten, es sei von einer Eisbekannschaft und die Trude sagte: »Ah, doppelt süß, von Chokolade und Liebe.« »Ja,« sag ich, »aber nicht in dem Sinn, wie Du es meinst.« Und wie sie sagte: »Na, das weiß man schon, aber ich will nicht indiskret sein,« sagt die Hella: »Also, damit du es weißt, dieses Bonbon und noch viele andere haben wir von der Frau Dr. M. d. h. der verheirateten Frau Prof. Theyer bekommen, da wir eingeladen waren. Da waren alle ganz paff und sagten: »Gott, die Glücklichen; ja, Ihr wart immer die ausgesprochenen Lieblinge der Frau Dr. M., besonders die Lainer. Aber die hat es auch immer schrecklich getrieben mit der Frau Dr. M.«

17. Jänner: Die ganze Schule weiß von unserer Einladung bei Ihr, der Göttlichen! Jetzt lese ich gerade alles noch einmal und sehe, daß ich noch riesig Vieles gar nicht geschrieben habe, nämlich das von ihrem Papa. Wie wir weggingen, weinten wir unter beim Haustor furchtbar, weil ich beim Toraufmachen sagte: Zum letztenmal! Da kommt ein alter Herr beim Tor herein und wie er sieht, daß wir weinen, obwohl wir ganz im Dunkeln standen, kam er auf uns zu und fragte, was mit uns sei. Da sagte die Hella: »Wir haben unsere beste Freundin verloren.« Da schaut uns der alte Herr riesig lang an und sagt: »Sind Sie nicht am Ende die beiden glühenden Verehrerinnen der Frau Dr. Mallburg? das ist meine Tochter! Und dann sagte er: Aber so in Tränen gebadet können Sie unmöglich auf die Gasse gehen. Kommen Sie nur noch einmal mit mir hinauf, meine Tochter wird Sie schon trösten.« Und richtig gingen wir nochmals hinauf und sie war einzig. Ihr Papa machte die Tür auf und rief: »Lieserl, deine Verehrerinnen können sich von Dir nicht trennen und wollen sich in Tränenbächlein auflösen.« Da kam sie hinaus und hatte einen rosa Schlafrock!!! an zum Küssen. Und sie zog uns ins Zimmer hinein und sagte: »Kinder, schaut mich nicht an in dem alten Kittel, der zum Wegwerfen ist.« Am liebsten hätte ich gesagt: »Schenken Sie ihn mir.« Aber das konnte ich doch nicht sagen. Und wie wir dann weggingen für ewig, ewig vielleicht, da küßte sie uns jede zweimal und sagte: Kinder, ich wünsche Euch, daß Ihr recht, recht glücklich werdet!

18. Jänner: Die Hella hat mich für heute nachmittags eingeladen, da der Lajos und der Jenö kommen. Aber ich gehe nicht, denn mir liegt nicht das Mindeste am Jenö. Das war nie eine echte Liebe. Ich mache mir aus niemanden auf der ganzen Welt etwas, außer Ihr, meiner Einzigen! Das versteht eben die Hella nicht und das nennt sie dann übergeschnappt sein. Auch der Papa wollte, daß ich zur Großmama der Hella gehe, damit ich auf andere Gedanken komme. Mein Gott, ich rede ohnehin schon kein Wort mehr von Ihr, weil mich niemand versteht. Aber daß auch der Papa so ist wie die anderen, das hätte ich nie geglaubt. Übrigens daß ist Tatsache, daß ich abmagere. Ich bin ganz froh, daß wir heute auch keine Rodelpartie machen, da die Dora verkühlt ist, nämlich diesmal wirklich verkühlt. Da gehe ich nach der Kirche in die Schwindgasse und gehe vor ihrem Haus auf und ab; vielleicht treffe ich einmal ihren Papa oder ihre Mama. Vorgestern habe ich ihr geschrieben.

24. Jänner: Ich bin glücklich. Sie hat mir postwendend geantwortet. Das ist der zweite Brief von Ihr! Der Papa sagte heute zu Mittag: »Na Gretel, was machst denn du heute für ein beglücktes Gesicht; so sonnige Augen habe ich schon lange nicht an dir gesehen.« Und da sagte ich nur ganz kurz: »Nach Tisch werde ich Dir den Grund sagen.« Denn die anderen brauchen es nicht zu wissen. Und wie ich dann dem Papa ganz im allgemeinen sagte, daß mir die Frau Professor Th. geschrieben hat, sagte der Papa: »Also darüber hast du dich so, gefreut. Aber ich habe auch etwas in petto, was dich freuen wird. Der 1. u. 2. Febr. sind ein Sonntag und Montag, da hast du 2 Tage frei und wenn du und die Hella für Samstag in der Schule dispensiert werdet, so könnten wir eine Partie nach Mariazell machen. Was meinst du?« Also das ist herrlich, wenn nur die Hella mitfahren darf, denn ihre Großmama bildet sich ein, die Halsentzündung vor Weihnachten hat sie sich auf der Rodelpartie am Anninger geholt, wo ihr die Schuhsohle abriß! Als ob wir dafür könnten. Also hoffentlich hat sie es schon vergessen; sie ist ja doch schon 63 Jahre, da vergißt man schon ziemlich viel.

Abends: Also, die Hella darf mit; es wird herrlich! vielleicht probieren wir auch ein bischen Skilaufen. Übrigens ist die Hella ein greulicher Fratz; sagt sie: »Ja, ich geh mit, wenn du mir schwörst, daß du nicht in einemfort von der Frau Professor Th. schwärmst. Ich habe sie ja auch riesig gern, aber du bist einfach verrückt.« Das ist unerhört und ich werde Ihren Namen nie mehr zu den anderen aussprechen. Auf die Rodelpartie in Mariazell freue ich mich riesig. So eine große Winterpartie haben wir noch nicht gemacht. Juchhu, das wird fein! Gott, wenn nur schon der 31. Jänner da wäre; ich freue mich wahnsinnig.


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