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Der Marionettenspieler.

Am Bord des Dampfschiffes befand sich ein ältlicher Mann mit einem so vergnügten Gesicht, daß, wenn es ihn nicht Lügen strafte, er der glücklichste Mensch von der Welt sein mußte. Das sei er auch, sagte er, und ich selbst hörte es aus seinem eigenen Munde. »Er war ein Däne, ein reisender Theaterdirektor. Er hatte das ganze Personal mit, es lag in einem großen Kasten; er war Marionettenspieler. Sein angeborener guter Humor, sagte er, sei von einem polytechnischen Kandidaten geläutert, und bei diesem Experimente sei er vollständig glücklich geworden. Ich begriff dies Alles nicht sogleich, aber dann setzte er mir die ganze Geschichte klar auseinander, und hier ist sie:

Es war im Städtchen Slagelse – sagte er –; ich gab eine Vorstellung im Saale der Posthalterei, hatte brillantes Publicum, ganz und gar unconfirmirtes, mit Ausnahme von einem Paare alter Matronen; auf einmal kommt so eine schwarz gekleidete Person vom Studentenschlage in den Saal, setzt sich, lacht laut an den passendsten Stellen, klatscht ganz und gar richtig; das war ein ungewöhnlicher Zuschauer! Ich mußte wissen, wer der sei, und ich erfuhr dann, es sei ein Kandidat des polytechnischen Institutes zu Kopenhagen, der ausgesandt wäre, um die Leute in den Provinzen zu belehren. Punkt acht Uhr war meine Vorstellung aus, Kinder müssen ja früh zu Bette, und man muß an die Bequemlichkeit des Publikums denken. Um neun Uhr begann der Candidat seine Vorlesungen und Experimente, und nun war ich sein Zuhörer. Das war merkwürdig zu hören und zu sehen. Das Meiste ging mir über meinen Horizont, aber so viel dachte ich mir doch dabei, können wir Menschen so was ausfindig machen, so müssen wir auch länger aushalten können, als bis man uns in die Erde verscharrt. Es waren lauter kleine Mirakel, die er machte, und doch Alles wie Wasser, ganz natürlich! Um die Zeit Moses und der Propheten wäre ein solcher polytechnischer Candidat einer der Weisen des Landes geworden; im Mittelalter hätte man ihn auf den Scheiterhaufen gebracht. Ich schlief die ganze Nacht nicht; und als ich am andern Abend Vorstellung gab und der Candidat sich wiederum einfand, sprudelte mein Humor. Ich habe von einem Schauspieler gehört, daß er in Liebhaberrollen immer nur an eine einzige der Zuschauerinnen dachte; für sie spielte er und vergaß das ganze übrige Haus; der polytechnische Candidat war meine »sie«, mein einziger Zuschauer, für den ich allein spielte. Als die Vorstellung zu Ende war, wurden sämmtliche Marionetten hervorgerufen, und ich von dem polytechnischen Canditaten auf sein Zimmer auf ein Glas Wein eingeladen; er sprach von meinen Komödien und ich von seiner Wissenschaft, und ich glaube, wir fanden gleich große Freude daran. Aber ich bereue das Wort, denn in seinem Kram war nun einmal Vieles, worüber er nicht allemal Wort und Rede stehen konnte: z. B. das Ding, daß ein Stück Eisen, das durch einen Spiral fällt, magnetisch wird, ja! was ist das?! – Der Geist kommt über dasselbe, aber woher kommt er; es ist damit wie mit den Menschen dieser Welt, denk' ich: Unser lieber Herrgott läßt sie durch den Spiral der Zeit purzeln, und der Geist kommt über sie, und so steht da ein Napoleon, ein Luther, oder irgend eine ähnliche Person! »»Die ganze Welt ist eine Reihe von Wunderwerken,«« sagte der Candidat, »»aber wir sind so an dieselben gewöhnt, daß wir sie Alltagsgeschichten nennen.«« – Er sprach und erklärte; es war mir zuletzt, als hebe man mir den Hirnschädel in die Höhe, und ich gestand ehrlich, daß wenn ich nicht schon so ein alter Knabe wäre, so würde ich sofort die polytechnische Anstalt beziehen und lernen, die Welt so recht in den Nähten nachzusehen, – ungeachtet ich einer der glücklichsten Menschen bin! »»Einer der glücklichsten,«« – sagte er, und es war mir, als kostete er davon. »»Sind Sie glücklich?«« – »Ja!« sagte ich, »glücklich bin ich, und willkommen heißt man mich in allen Städten, wo ich mit meiner Gesellschaft eintreffe! Zwar – ich habe allerdings einen Wunsch, derselbe liegt nicht selten wie Blei, wie ein Alp, auf meinem guten Humor: ich möchte Theaterdirektor einer lebendigen Truppe, einer richtigen Menschengesellschaft sein.« »»Sie wünschen ihren Marionetten Leben eingehaucht, daß sie wirkliche Schauspieler – und Sie selbst Director würden!«« – sagte er. »»Dann würden Sie vollkommen glücklich sein? Glauben Sie?«« – Er glaubte es nicht, und wir sprachen hin und her, in die Kreuz und Quer und blieben doch gleich weit aus einander; doch mit den Gläsern stießen wir an, und der Wein war excellent, aber Zauberei war dabei, sonst würde ich bestimmt einen Rausch bekommen haben. Aber das war nicht der Fall, ich blieb klarsehend, in der Stube war Sonnenschein, und Sonnenschein strahlte aus den Augen des polytechnischen Candidaten; ich mußte an die alten Götter in ihrer ewigen Jugend denken, als sie noch auf der Erde umherspazierten und uns Menschen Besuche machten; und das sagte ich ihm auch, dann lächelte er, und ich hätte darauf schwören dürfen, er sei ein verkappter Gott, oder doch wenigstens aus der Familie! – das war er auch: Mein höchster Wunsch sollte in Erfüllung gehen, die Marionetten lebendig und ich Direktor einer Menschentruppe werden. Wir stießen darauf an und leerten die Gläser! Er packte alle meine Puppen in den Kasten, band ihn auf den Rücken, und dann ließ er mich durch einen Spiral fallen; – ich höre noch, wie ich purzelte, ich lag auf dem Fußboden, das weiß ich gewiß, und die ganze Gesellschaft sprang aus dem Kasten heraus, – der Geist war über uns Alle insgesammt gekommen, alle Marionetten waren ausgezeichnete Künstler geworden, das sagten sie selbst, und ich war Direktor! Alles war zur ersten Vorstellung bereit, die ganze Gesellschaft wollte mit mir reden, und das Publicum auch; die Tänzerin sagte, das Haus müsse fallen, wenn ich nicht auf einem Beine stände, sie sei die Meisterin des Ganzen, und bäte sich aus, darnach behandelt zu werden; Diejenige, welche die Königin spielte, wollte auch außerhalb der Scene als Königin behandelt sein – sie käme sonst aus der Uebung; Der, welcher nur dazu gebraucht wurde, einen Brief abzugeben, machte sich ebenso wichtig wie der erste Liebhaber, denn die Kleinen seien wie die Großen, sie seien von gleicher Wichtigkeit in einem künstlerischen Ganzen, sagte er; der Held wollte nur Rollen aus lauter Abgangs-Repliken bestehend, denn dabei werde geklatscht; die Primadonna wollte nur in rothem Lichte spielen, denn das stünde ihr, blaues leide sie nicht: – es war wie Fliegen in einer Flasche, und ich war mitten in der Flasche, ich war Direktor! Der Athem verließ mich, der Kopf verließ mich: ich war so elend, wie ein Mensch es werden kann; es war ein neues Menschengeschlecht, unter welches ich gerathen, ich wünschte nur, ich hätte sie alle wieder in dem Kasten, daß ich niemals Direktor geworden; ich sagte ihnen rund heraus, sie seien doch im Grunde Marionetten; dann schlugen sie mich todt. Ich lag auf dem Bette in meinem Zimmer, wie ich dorthin und überhaupt vom polytechnischen Candidaten weggekommen bin, das muß er wissen, ich weiß es nicht. Der Mond schien auf den Fußboden herein, wo der Puppenkasten umgeworfen und alle Puppen bunt durch einander lagen – Groß und Klein, die ganze Geschichte; aber ich war nicht faul: aus dem Bette fuhr ich heraus, in den Kasten kamen sie alle insgesammt, einige auf den Kopf, andere auf die Beine, ich warf den Deckel zu und setzte mich selbst oben auf den Kasten. »Jetzt werdet ihr schon drinnen bleiben!« sagte ich, »und ich werde mich hüten, euch wieder Blut und Fleisch zu wünschen.« Mir war ganz leicht geworden, meinen Humor hatte ich wieder, ich war der glücklichste Mensch; der polytechnische Candidat hatte mich förmlich geläutert. Ich saß in lauter Glückseligkeit und schlief auf dem Kasten ein. An nächsten Morgen – eigentlich war es Mittag, aber ich schlief diesen Morgen wunderbar lange – saß ich noch immer da, glücklich und belehrt, daß mein früherer einziger Wunsch dumm gewesen. Ich fragte nach dem polytechnischen Candidaten, aber er war fort, wie die griechischen und römischen Götter. Von der Zeit an bin ich der glücklichste Mensch gewesen. Ich bin ein glücklicher Direktor, mein Personal raisonnirt nicht, mein Publicum auch nicht, es ist herzensvergnügt. Meine Stücke kann ich zusammenflicken wie ich will; ich nehme aus allen Komödien das Beste heraus, das mir ansteht, und Niemand ärgert sich darüber. Stücke, die jetzt bei den großen Bühnen verachtet sind, nach welchen aber das Publicum vor dreißig Jahren wie besessen lief, und wobei es heulte, daß ihm die Thränen über's Gesicht rollten, deren nehme ich mich jetzt an; jetzt setze ich sie den Kleinen vor, und die Kleinen, die weinen wie Papa und Mama geweint haben; ich verkürze sie aber, denn die Kleinen lieben das lange Liebesgewäsch nicht, sie wollen: »Unglücklich, aber rasch!«


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