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(Eine dänische Sage.)
Die Meerfrau steigt aus den Wellen.
H. Heine.
Es ist spät schon gegen Abend, und der Sturm steigt mehr und mehr,
Wogen wälzen sich zum Strande um die Fischerhütte her.
Doch darinnen ist's so traulich, Mütterchen am Netze flickt,
Bei dem Schein des Fichtenspanes sie am Fischgeräthe strickt;
Und im Winkel liegt die Katze, nickt und schüttelt mit dem Kopf,
Und sie speiset Häringsköpfe aus zerbrochnem Küchentopf.
Niedrig ist die Thür', sie schaukelt, wenn der wilde Sturm sie preßt,
Ungeachtet man gebunden sie mit alten Stricken fest.
Horch – nun rasselt es da draußen, heim der alte Vater kehrt;
»Gott sei Dank, es kam der Alte! stark die See heut Abend gährt.«
Doch wie ist er bleich und stille, Wolken auf der Stirn ihm steh'n;
Sich umkleidend, läßt er darauf sich im Sonntagsanzug seh'n;
Bürstet mit der Hand die Haare; sieh, sein Auge rollet wild;
Und sein altes Weib, sich wundernd, drückt die Hand ihm sanft und mild.
Doch ihr kann er nicht verbergen, was so eilig treibt ihn fort:
»Ich muß zu dem Königshofe!« Und sie lauschet seinem Wort:
»Wieder hörte ich das Meerweib, es ist jetzt zum dritten Mal;
Wenn ich nun noch länger weile, singt sie meinen Grabchoral.
Jedes ihrer Worte weiß ich, das mir tief zu Herzen drang:
Bald wird über Sund und Belte schallen Jubelglockenklang!
Denn es wird ein Prinz geboren, klug und weise, und voll Muth:
Vierter Christian wird er heißen, aus dem Oldenburg'schen Blut.
Unter ihm wird Dänmark blühen, und sein Werk wird nicht vergeh'n!
Wie ein König, Held und Vater wird er unter Dänen steh'n!«
– So der alte Fischer redet und ergreift den Knotenstab,
Dann verläßt er seine Hütte, Nacht und Sturm ihn bald umgab;
Blickt verstohlen nach dem Strande: nie war ihm der Weg so lang.
In die Tiefe steigt das Meerweib, und der Sturm singt seinen Sang.
Es steht in Dampf die See so weit,
Auf Wogen schwimmt der Fluthen Maid;
Der kühne Held die Waffe schwingt;
Von seinem Kampf die Harfe klingt:
»König Christian stand am hohen Mast
In Rauch und Dampf.
Er hat die starke Wehr erfaßt,
Und bricht der Gothen Helm in Hast,
Es sank der Feinde Raae und Mast
In Rauch und Dampf.
Flieh', schrie'n sie, flieh', wer fliehen kann!
Wer steht vor Dänmarks Christian
Im Kampf?!«
Aus dem berühmten dänischen Nationalliede von Johannes Ewald. – Christian IV., der Held des dänischen Volkes, verlor in der Seeschlacht bei Femern ein Auge.
Vom Vaterauge strömet das rothe Heldenblut,
Doch ist der Sieg gewonnen, gehoben Dänmarks Muth.
Des Feindes Schaaren flüchten – und durch den Sund und Belt
Das frohe Meerweib singet vom Sieg, von seinem Held.
Jahrhunderte verschwinden im tiefen Zeitenmeer.
Die Nacht ist lau und stille, und blank sind Fjord und Meer;
Das Dampfschiff gleitet eilig um Samsö's Küstenwall,
Es lärmen wild die Räder, still ist's sonst überall.
Die Passagiere schlafen auf dem Verdeck zur Nacht,
Sie haben von den Mänteln das Lager sich gemacht.
Sie schnarchen und sie schlafen mit stillzufried'nem Sinn;
Der Lootse steht am Steuer, er sieht zur Küste hin.
Wo sich die Insel hebet aus salz'gem Fluthenreich,
Da sitzt das Weib des Meeres so stille und so bleich.
Ihr Haar ist grau geworden, es gleicht dem dürren Tang,
Matt wie der Wogen Rauschen erklingt ihr letzter Sang:
»Dreihundert Jahre schwanden, seit ich das Licht geschaut!
Nicht fürder schwillt mein Busen, die Locken sind ergraut!
Auf meinem Grabeshügel wächst bald der grüne Tang,
Und mein Gedächtniß schwindet, wie jetzt mein Abendsang.
Zum Schaum werd' ich bald werden – nur Eines thut mir weh:
Daß ich den Geist des Helden, ach, nimmer wiederseh'!
Mein Lied an seiner Wiege, in Kjögebucht erklang,
Ich weint' in Issefjorden, als Dänmarks Sonne sank!«
– Es lauscht der alte Lootse, er hört ein jedes Wort.
Die Passagier' erwachen. – Es wehet stark aus Nord.
– Das Meerweib ist verschwunden, verstummt ist ihr Gesang.
Nur Schaum treibt auf den Wogen und auf dem braunen Tang.