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Die Diskussionen.

Unsre Erörterungen sind ein Übel, eine Gefahr für die Freundschaft. Man hält sie für eine nützliche Übung des Geistes, aber in den meisten Fällen ist dies nicht wahr. Wir müssen zugeben, daß sich die zarte, komplizirte Arbeit des Verstandes, deren dieser jeden Augenblick bedarf, um seine Werkzeuge zu erhalten und wieder zu schleifen, um die tausend Zweifel zu zerstreuen, welche in ihm aufsteigen und ihn verfolgen, nicht gewissenhaft in einer eiligen, unterbrochenen Erörterung ausführen läßt, in der man jeden Augenblick ergreifen und sich vertheidigen muß, seinen Gedanken nur halb ausdrücken kann, und lieber schlecht antworten, als seine Antwort verzögern will; gestehen wir, daß in dieser Art Diskussion der gewandte Redner, der über schnellen Witz und geschmeidige Phrasen verfügt, fast immer den langsamen, tiefen Denker in den Sack steckt, der Mann von Welt den Einsiedler und der Unverschämte den Bescheidenen zum Schweigen bringt; daß wir zu den Zeiten, wo unser Geist mit besondrer Sammlung und Anstrengung arbeitet, uns am wenigsten zu Erörterungen eignen, daß die Gegenstände der Diskussionen unter Freunden fast immer mit Gewalt herbeigezogen und neun und neunzigmal unter hundert unbestimmt, werthlos oder dornig sind, und daß sie fast alle an unrechtem Ort und zu unpassender Zeit entstehen. Das Schlimmste ist, daß mit den ersten Worten auch unter den verständigsten Freunden sich die Eigenliebe einmischt, welche Alles verdirbt. Das ist begreiflich: wir bequemen uns leicht zu der Anerkennung, daß ein Andrer mehr Witz, Gelehrsamkeit oder Redegewandtheit besitzt, als wir, aber daß er vernünftiger denkt, also höhere Intelligenz und mehr gesunden Verstand besitzt, als wir, das heißt also, mehr Mann ist, als wir, das ist etwas ganz Anderes. Sobald die Diskussion sich erwärmt, so handelt es sich nicht mehr um die Sache, die uns am Herzen lag; es liegt uns weniger daran, den Gegner zu überzeugen, sondern ihn auf irgend eine Weise zum Schweigen zu bringen; wir wollen nicht mehr siegen, um zu siegen, sondern um einer Demüthigung zu entgehn, uns wegen eines reizenden oder beleidigenden Tones rächen, den wir aus den Worten des Gegners herausgehört haben. Um uns davon zu überzeugen, brauchen wir nur die Erörterungen wieder durchzugehen, die wir mit einem Einzigen unsrer Freunde gehabt haben, und uns zu fragen, ob diejenigen, bei denen wir etwas gelernt haben, die Mehrzahl bilden und uns für die entschädigen, aus denen wir gereizt und erniedrigt hervorgegangen sind, so daß wir bereuten, sie angenommen oder hervorgerufen zu haben.

 

Aber es ist durchaus nicht leicht, Diskussionen mit Freunden zu vermeiden. Die meisten fallen Einem auf den Kopf, wie Dachziegel. Zum Beispiel auf folgende Weise. Das ist der Typus einer sehr großen Zahl von unvorhergesehenen Disputen, die einen schlechten Ausgang nehmen. Ihr sprecht irgend ein Urtheil über einen ziemlich gleichgültigen Gegenstand aus. Der Freund giebt Euch Unrecht. Wenn Ihr ohne Weiteres anerkennt, daß er Recht hat, so gesteht Ihr, unbedacht gesprochen zu haben, wie ein Kind, und Euren eignen Worten kein besonderes Gewicht beizulegen; darum, halb ernsthaft, halb scherzend, haltet Ihr Euer Urtheil aufrecht. Der Freund trägt Euch ruhig seine Gründe vor. Daß Ihr ihn so vorbereitet, und in diesem Punkte, über den Ihr keine Diskussion erwartet, logischer und stärker, als Euch selbst, findet, reizt Eure Eigenliebe ein wenig, Ihr fühlt einen kleinen Ärger, und mit der gewöhnlichen Vernünftigkeit der Eigenliebe möchtet Ihr es ihm entgelten lassen, obgleich er keine Schuld hat. Da Ihr keine ernsten Gründe vorbringen könnt, so sucht Ihr auf seine Weise die Grundlagen der Frage zu ändern, um Euch auf günstigern Boden zu versetzen. Aber, zum Kuckuck, das ist falsches Spiel, der Freund ärgert sich ein wenig darüber, denn das ist ebensoviel, als ihn für einfältig erklären, und sagt: »Aber Du veränderst ja die Grundlagen«. Mag er das so höflich vorbringen, wie er will, aber das ist eine Anklage der Falschheit, die empfindlich wirkt und von der man sich nur reinigen kann, wenn man das Gegentheil behauptet: Ihr habet nichts verändert, nur er habe falsch verstanden. Das heißt noch einen falschen Schritt auf dem falschen Wege thun. Unsre Hartnäckigkeit fängt an, den Gegner zu reizen und thut dies um so mehr, da er wohl bemerkt, daß Ihr, was Ihr auch thun mögt, Euch Eures falschen Spiels wohl bewußt seid. Er giebt es Euch durch ein Lächeln zu erkennen, welches bedeutet: Du würdest wohl thun, aufzuhören. Und dieses Lächeln, betrachtet es, wie Ihr wollt, ist ein Lächeln des Mitleids. Dieses Lächeln soll er jedenfalls bezahlen, Ihr zieht die Gründe mit den Zähnen herbei, vertheidigt Euch, greift an und häuft Geschwätz auf Geschwätz mit lauter Stimme. Zu Eurem Unglück wird der Freund in dem Augenblick, wo er Lust hatte, nachzugeben, um Euch aus der Schwierigkeit zu befreien, durch eines Eurer Argumente überrascht, welches einen Anschein von Wichtigkeit besitzt und ihm für einige Augenblicke, den Mund schließt. Da er nun fest überzeugt ist, Recht zu haben, so vermehrt diese Gefahr, die er läuft, durch einen Handstreich geschlagen zu werden, dermaßen seinen Ärger, daß er zum ersten Mal nicht über die Ausdrücke, aber über den Ton höflicher Unterhaltung hinausgeht. Nun werdet Ihr gewissermaßen zu seinem Gläubiger, mit ein wenig Recht auf Eurer Seite, das mit dem Wesen der Streitfrage nichts zu thun hat, das Ihr aber in diesem Augenblick der Leidenschaft mit ihr zu vermengen beliebt, indem ihr die Wärme Eures Ärgers für die Eurer Überzeugung ausgebt. Unterdessen hat sich die Diskussion von beiden Seiten aus verzerrt, von ihrem ursprünglichem Gegenstande abgelenkt, sich verwickelt, ist zerrissen, und aus ihren Stücken sind, so zu sagen, kleine Schlangen entstanden. Daraus entstehen Nebenfragen, gereizter und beißender, als die ursprüngliche, die Stimmen werden lauter, die Unterbrechungen häufiger und trockener. An die Stelle der Gründe beginnen Ausdrücke des Erstaunens, gezwungenes Lachen, Achselzucken zu treten, und Jeder richtet alle seine Anstrengungen dahin, so schnell wie möglich die Phrase zu finden, welche mit den wenigsten Worten oder mit möglichster Schonung der Schicklichkeit am unmittelbarsten nnd schärfsten die Eigenliebe des Gegners treffen soll. Auf dergleichen beschränkt sich fast immer die sogenannte Gymnastik der Intelligenz – sie ist nur ein Haar breit davon entfernt, zur Gymnastik der Arme zu werden.  

Aber es ist sonderbar, wie deutlich man sich noch nach vielen Jahren der Empfindungen erinnert, die Einen in diesen hitzigen Streitereien mit den eignen Freunden bewegt haben. Der Puls klopft heftig, Alles erscheint undeutlich vor den Augen, man durchläuft lange Strecken der Straße, ohne es zu bemerken, kümmert sich nicht darum, ob es die Leute

bemerken und Einem lächelnd nachblicken: Der Rauch des brennenden Stolzes verbirgt uns Alles. Von Zeit zu Zeit schweigt die Diskussion einen Augenblick, und in diesem Schweigen fühlen wir, daß wir keuchend athmen, was wir umsonst zu unterdrücken suchen, weil wir uns schämen, so aufgeregt zu erscheinen. Dann geht es noch hitziger weiter, wir geben in Eile die wenigen Gründe von uns, welche uns während des kurzen Waffenstillstands eingefallen sind. Tausend übelwollende, schlechte Empfindungen steigen aus dem aufgeregten Gemüthe empor, wie der Schlamm vom Boden eines unruhigen Gewässers. Wir Beide schreien laut, ohne uns anzublicken, damit wir uns nicht zu schämen brauchen, wenn wir auf dem Gesicht des Andern die ganze elende Wuth abgespiegelt sehen, die uns das Blut erhitzt, und die wir in der Rede noch zum Theil zu verbergen vermögen. Die Worte allein würden in der That nicht hinreichen, um solche thierische Wuth zu erklären. Aber aus dem Ton der Stimme, aus dem nicht Ausgesprochenen, aus den heftigen Bewegungen erräth Jeder die innere Aufregung, die Gedanken des Andern, die groben Beleidigungen, welche die Zungenspitze nicht verlassen, die zurückgedrängten Handbewegungen; er überlegt in der Eile die Befriedigung und die Gefahr eines heftigen Bruchs, eines Duells und schmeichelt sich im Geheimen mit dem Gedanken an eine spätere Rache. Wir fühlen sehr wohl, daß wir in unserm Innern blutige Worte wechseln, von denen ein einziges, laut ausgesprochen, uns in Wuth versetzen würde. Und bei allem diesem Zorn geht uns hin und wieder ein Gefühl von Traurigkeit und Mitleid mit uns selbst durch's Herz: das ist also die Freundschaft, die wir fortwährend im Munde führen!

Endlich wird die Erörterung abgebrochen: der Eine hat sie mit einer heftigen Bewegung zu Ende gebracht; der Andre, dem dies höchst erwünscht war, hat sich plötzlich auf einen andern Gegenstand der Unterhaltung geworfen. Aber man befindet sich schlecht dabei; das Blut ist in Aufruhr, die Lippen zittern, die Stimme ist noch erregt, und so spricht man erzwungener Weise, mit dumm affektirter Natürlichkeit, von gleichgültigen Dingen, während wir in Gedanken unsre Wunden betasten, den in unsrer Freundschaft entstandenen Riß ausmessen, noch betäubt von unserm wüsten Geschrei und beschämt über unser thörichtes Geschwätz.

 

Wenn man fühlt, daß man in einer Diskussion Unrecht hat, so muß man den psychologisch passendsten Augenblick zu ergreifen verstehen, um sich zurückzuziehen. Aber das ist schwer auszuführen, denn entweder ist unser Rückzug zu früh ausgeführt, und wir scheinen leichtsinnig oder furchtsam gehandelt zu haben; oder es geschieht zu spät, wenn der Freund schon seit einiger Zeit bemerkt, daß wir uns unsres Unrechts bewußt waren, und dann bekennen wir gewissermaßen, daß wir die

ganze Zeit über uns verstellt und gelogen haben, und daß wir uns nur ergeben, weil wir uns überzeugt haben, daß wir auch nicht auf unehrliche Weise siegen können. Der Hochmuth läßt uns fast immer einen unedlen, mühevollen Kampf dem freimüthigen Bekenntniß eines Irrthums vorziehen. Aber wie hart werden wir bisweilen dafür bestraft! Erinnert Ihr Euch noch der namenlosen Qual, die Ihr ausgestanden habt, als Ihr Euch in Gegenwart vieler Leute thörichter Weise und mit aller Eurer Eigenliebe gegen einen logischen und beredten Freund in eine unglückliche Erörterung einließt, eine von jenen akademischen Diskussionen, mit denen die Leidenschaft nichts zu thun hat, die sich nicht trüben lassen und alle Kräfte Eures Geistes auf die Probe stellen? An einem gewissen Punkte angekommen, schifft Ihr in der Irre herum, die Schrecken des Schiffbruchs ergreifen Euch. Ihr klammert Euch an Alles an, werft dem Gegner Alles, was Euch in die Hände fällt, zwischen die Beine, führt in Gedanken verzweifelte Rennen nach den entferntesten, unbestimmten Kenntnissen aus, die Euch nützen könnten, aus allen Regionen Eures Gedächtnisses ruft Ihr Hülfe herbei, aber Alles umsonst. Nichtsdestoweniger beharrt Ihr, zieht lahme Gründe herbei, über die Ihr erröthet, während Ihr sie vorbringt, Ihr zieht das Gespinnst in die Länge, wiederholt, stellt Euch, als verständet Ihr einen Grund nicht, um Zeit zu gewinnen und eine Antwort zu finden, Ihr tragt eine gewisse Sicherheit zur Schau und habt noch die Unverschämtheit, den Kopf wie aus Mitleid hin und her zu wiegen. Aber es ist vergebens, der Boden fehlt Euch unter den Füßen; die lächelnden, mitleidigen Mienen der Zuhörer, bei denen Ihr umsonst von Zeit zu Zeit mit flüchtigem Blicke Hülfe sucht, lassen Euch die Ruhe verlieren; Ihr bringt keine Gründe mehr vor und macht nur noch elende Wortspiele, welche Euch im Munde eines Andern Unwillen einflößen würden, Ihr wagt nicht mehr, dem Blicke des Freundes zu begegnen, welcher in Euern Augen das Bewußtsein Eurer Niederlage sucht. Was ist da zu thun? Wie soll man den Ausweg finden? Ihr hofft noch auf eine Ausflucht: die Ankunft eines Freundes, das Umfallen eines Stuhls, einen Lärm auf der Straße, aber nach einem Augenblick der Zerstreuung läßt das Schweigen der Umstehenden den Streit von Neuem beginnen. Ihr hofft, der Gegner würde sich damit begnügen, Euch so in die Enge getrieben zu haben und mit einem edelmüthigen Wort, das Eure Ehre unversehrt läßt, die Erörterung fallen lassen, aber er scheint den Teufel im Leibe zu haben und sich am Ton seiner eignen Stimme zu erhitzen. Nun ist keine Hoffnung auf menschliche Hülfe mehr; aber Ihr vertheidigt Euch noch immer, ergreift die schon vorgebrachten Gründe von Neuem, um durch eine krampfhafte Quetschung den letzten Tropfen Saft aus ihnen auszupressen, Ihr sucht eine Frage über ein falsch gebrauchtes Wort anzuregen, aber es ist verlorene Mühe; es macht dem Freunde Vergnügen, Euch in dem Netz, in dem er Euch gefangen hat, herumzuwälzen, und Euch wie ein Wild, das sich gegen die Schlinge sträubt, dem Gelächter der Gesellschaft preiszugeben. Ihr seht den schrecklichen Augenblick schon ganz nahe und unvermeidlich vor Euch, wo es Euch durchaus unmöglich sein wird, eine Antwort zu geben, die nicht in einem Worte ohne Sinn oder der unerträglichen Wiederholung eines schon gemißbrauchten Grundes bestände; bald werden Euch Hände und Füße gebunden sein; Ihr werdet an die Wand gedrängt, an den Pranger gestellt, sprachlos, ohnmächtig, vernichtet sein! Ach, könntet Ihr doch für eine Viertelstunde unter die Erde versinken! Nun also? fragt der Freund. – Ein Grabesschweigen folgt darauf. Und dann rings herum ein schneller Austausch von Blicken und diskretem Lächeln und leises, befriedigtes Geflüster. Abgefertigt – umgebracht – begraben – Amen.

 

Und doch muß man mit jedem seiner Freunde wenigstens eine heftige Diskussion durchgemacht haben, ehe man mit Recht behaupten kann, ihn genau zu kennen. Es giebt keine andere Probe, welche so genau das Gemüth, den Mechanismus des Verstandes, das physische Temperament, ja das Wesen der Erziehung eines Mannes enthüllt. Leute, welche lange Zeit unter ihren eignen Freunden einen Ruf von Geist und Wissen genossen haben, das einigermaßen in Geheimniß gehüllt war, was sie gefürchtet und fast ehrwürdig machte, sind nach ihrer ersten Diskussion der Verachtung anheimgefallen, denn sie zeigten darin die Grenzen ihres Wissens, ihre Unfähigkeit zu schlagender Erwiderung, ihren Mangel an scharfem Ausdruck, die Unsicherheit ihrer Citate, die Leichtigkeit, mit der sich ihr Kopf bei den ersten Befürchtungen ihrer Eigenliebe trübte. Andre

verlieren beim ersten Streit ihre Reputation als anständige Leute, die sie bis dahin durch eine Würde des Betragens erworben und aufrecht erhalten hatten, welche eine Naturgabe schien: beim Disputiren verrathen sie sich durch unerwartet gemeine Ausdrücke, durch eckige, unpassende Mimik, durch Unschicklichkeit in der Betonung, den Worten und der Haltung, welche ihr plebejisches, ungebildetes Wesen darthun, das nur mit einem Überzug von Bildung bekleidet war. Allerdings verlieren dabei nicht Alle und nicht immer. Es ist sehr hübsch, bisweilen einen unwissenden Mann, aber von gesundem Verstand und gutmüthig, wenn er gereizt wird, die Geduld verlieren zu sehen, wie er mit einfacher, aber furchtbarer Logik, wie in einer Schlinge gefangen einen glänzenden, aber oberflächlichen Doktor, der sein Äußeres vergoldet, aber den Verstand hat verrosten lassen, zur Verwunderung Aller hin und her schleppt. Da ist der Freund mit rauher Schale, aber mächtigem Geist, dessen Studien wenig bekannt sind; wie er zwischen den eisernen Rädern einer meisterhaften Beweisführung die muthwillige Oberflächlichkeit eines Weltmanns zerreibt; da ist der schweigsame, furchtsame Freund, welcher einen großen Gedanken, ein edles Gefühl vertheidigt, sich dabei belebt und hartnäckig gegen zehn Gegner das Feld behauptet, sie in einem Strome glühender, stolzer Worte erstickt und sein von Unwillen strahlendes Gesicht mitten unter zehn von Wuth gerötheten Gesichtern erhebt. Aber die große Mehrzahl verliert dabei in den meisten Fällen; die, welche am wenigsten disputiren, gewinnen meistens das größte Ansehn. Wenn zwölf Personen versammelt sind, so fühlen zuletzt gewiß die eilf Männer von Geist, welche mit einander streiten, eine gewisse Unterwürfigkeit gegen den Esel, welcher geschwiegen hat. Deswegen stürzen sich die, welche neben dem Geist auch Schlauheit besitzen, in Gegenwart vieler Freunde niemals kopfüber in eine heftige Diskussion; sie liefern mit Vorsicht kleine Scharmützel und halten sich immer den Rückzug frei, oder sie spielen die bequemere Rolle der Zuschauer oder Kampfrichter.

 

So geht es; warum sollte man es läugnen? Ohne Zweifel besteht ein Unterschied im Verlauf und in den Folgen der Erörterungen zwischen zwei Freunden vom Gymnasium und zwei Freunden aus dem Senat, aber er ist durchaus nicht so groß, als die beiden Gymnasiasten glauben mögen. Nehmt zum Beispiel das Haus ***: Der Hausherr ist ein berühmter und liebenswürdiger Mann; die Dame, gut und sanft, wie

ein Engel, ist eine unübertreffliche Meisterin in der Kunst, das große Orchester der Unterhaltung zu leiten, die Ungestümen zu zügeln, die Stolzen zu zähmen, die Langsamen anzutreiben, die Übellaunigen zu erheitern, und das Alles mit einem Wort, einem Lächeln, mit einer anmuthigen Drohung ihres kleinen, weißen, beringten Fingers. In ihrem Salon treffen sich nur bejahrte, an Wappen, parlamentarischen Medaillen und vergilbten Lorbeerblättern reiche Männer. Man sollte glauben, dies müßte eine Art Hochschule der vornehmen, freundschaftlichen Unterhaltung sein. Und doch vergeht fast kein Abend, ohne daß in einem der Kreise, in welche sich die Gesellschaft theilt, ein Streit entsteht, welcher die besorgte und kräftige Dazwischenkunft des kleinen weißen Fingers verlangt. Senatoren mit nacktem Schädel, Staatsmänner, welche die Welt kennen und in hundert Unglücksfällen und glorreichen Schmerzen erprobt, erblassen bei dem unerwarteten Widerspruche eines Freundes, wie vor der Mündung einer Pistole, und in der Hitze des Streits, während die Gesichter eine gewisse Gemüthsruhe bewahren, sieht man die Hüte hinter dem Rücken in den zitternden Händen hin und her wackeln, als würden sie von Paralytikern gehalten. Die Stimmen werden gezügelt, die Gesten abgemessen; aber die Streiche, welche im Verborgenen geführt und empfangen werden, mit zusammengebissenen Zähnen und unbemerkt, das verächtliche Lächeln, das boshafte mit Schweigen Übergehen, die giftigen Blicke, das beleidigende Zucken mit den Schultern, welches diese ernsten Persönlichkeiten von Zeit zu Zeit wechseln, wenn es die Dame nicht sieht, unterscheiden sich, wenn sie auch weniger grob sind, nicht allzu sehr von den Höflichkeiten, welche die jungen Freunde des benachbarten Rauchclubs an Tagen stürmischer Erörterungen austauschen. Daraus sieht man, daß das, was man gewöhnlich Erziehung nennt, mehr eine Bildung der äußern Manieren, als des Herzens bedeutet und wie ein papiernes Kleid beim ersten Stoße zerreißt, den die wohlerzogene Person empfängt. Beobachtet die feine Gesellschaft: Ihr werdet auch da, wie anderwärts finden, daß ein berühmter Gelehrter auch einen Kutscherwitz nicht verachtet, wenn er damit in der Hitze des Gefechts ein Gelächter erregen kann, das den siegreichen Gegner verwirren soll; daß drei oder vier Magistratspersonen mit einem wüsten Marktgeschrei

die schwache Stimme eines gefürchteten Gegenredners übertäuben; daß eine Gruppe von Professoren einen großen Gräcisten aufhetzt, damit er in Aller Gegenwart einen gemeinschaftlichen Freund angreife und in den Sack stecke, der weniger Griechisch versteht, als er, aber mehr, als sie selbst. Ihr könnt auch, wenn Ihr eines Abends einen Kreis grauhaariger Ehrenmänner aufsucht, zwei Schritte von der Hausfrau solche Artigkeiten hören, wie: »Sie wollen es mit Ellenbogenstößen beweisen«, oder »Sie wissen nicht, wo der gesunde Menschenverstand zu Hause ist«. Ach, das Unglück ist, daß, je mehr die Erfahrung auf der einen Seite wächst, um so mehr sich auf der andern die Eigenliebe verfeinert, und daß der Eine mehr an Empfindlichkeit als der Andere an Weisheit zunimmt. Ja, auch dort ist die Diskussion eher ein Kampf des Hochmuths, als eine Gymnastik des Geistes, mehr ein Austausch von Bissen, als von Gedanken. Und nicht immer sind es blos Bisse. O, der unvergeßliche Abend! Eine schöne Septembersonne ging über dem weiten Garten der Villa unter, der von berühmten Herren bevölkert war. Nach einer aufgeregten, aber kurzen Erörterung hatten sich der wackere Philosoph und der vortreffliche Inspektor in ein Boskett zurückgezogen und sprachen ruhig weiter: plötzlich hörte man einen trocknen Schall, welcher jede Unterhaltung abschnitt. Alle sahen sich verwundert an, und die Frau vom Hause fragte, was das wäre. Die arme Dame hat niemals die Wahrheit erfahren.

Nicht war's der Strom, Der über Felsen stürzt, auch nicht der Wind, Der in die Wälder bricht und hin und her Laut heulend tobt: es war in Wirklichkeit

ein Stockschlag, den ein kräftiger Inspektorenarm auf einen breiten, zweiundvierzigjährigen Philosophenrücken hatte fallen lassen. Sie kehrten nachher von zwei verschiedenen Seiten zurück, bleich, aber ruhig.

 

Auch dies ist eine Art, zu diskutiren; Jeder hat seine eigne, und sie hängt mehr von seinem Temperament, als von

seiner Urtheilskraft ab; darum sind auch die Arten unzählbar und grundverschieden. Das ist eine der angenehmsten und nöthigsten Studien, die man an seinen Freunden machen muß. Man betrachte nur den kleinen Kreis im blauen Saal der »Unabhängigkeitsgesellschaft«, das ist ein Kreis von wunderbaren Originalen. Da ist ein Professor der Botanik, ein höchst ruhiger, sanfter Mann, welcher wegen der schmerzlichen Erschütterung seiner Nerven, die so zart sind, wie die eines hysterischen Fräuleins, eine solche Angst vor allen Erörterungen hat, daß er in seiner Gegenwart die unsinnigsten, unverschämtesten Schwätzer reden läßt, selbst über seine eigne Wissenschaft, ohne den Mund aufzuthun, obgleich er dabei Höllenqualen aussteht; und wenn er sich wirklich einmal nicht beherrschen kann und eine entgegengesetzte Meinung ausgesprochen hat, so erklärt er sich sogleich für besiegt, wenn er den Freund aufbrausen sieht, nicht aus Ironie, sondern demüthig, mit der Miene der Überzeugung, beruhigt noch mit liebkosenden Worten das letzte Murren des Gegners und bittet ihn mit liebevollem, zerknirschtem Lächeln um Schonung. Der Advokat, sein Vetter, dagegen, ist so fest von seiner übermächtigen, unwiderstehlichen, blitzgewaltigen Redekunst überzeugt, daß er, wenn er zu Euch gesagt hat: »Ich bin nicht Eurer Meinung«, die Augen aufschlägt, um zu sehen, ob Ihr noch nicht von Zittern befallen seid; bei jedem Grund, den Ihr gegen ihn anführt, lächelt er mit unendlichem Mitleid, wie über einen Empörungsversuch eines Sterbenden; auf die Freunde umher wirft er einen Blick voll Staunen, welcher zu sagen scheint: »Er athmet noch«. Er klopft Euch gutmüthig mit der Hand auf die Schulter, als wollte er Euch versichern, daß er Euch das Leben schenken will; wenn Ihr aber hartnäckig seid, so ärgert er sich und trägt Euch zuletzt seinen entscheidenden Grund langsam, jedes einzelne Wort betonend vor. Dann aber weigert er sich entschieden, aus Menschenliebe, noch gegen Euren Leichnam zu wüthen. Die zwei Herren, welche ihm gegenüber sitzen, diskutiren dagegen weitläufig und haben eine seltsame Methode angenommen, welche auf wunderbare Weise Freimüthigkeit und Höflichkeit vereinigt. Sie gerathen niemals in Zorn und sagen zu einander, wenn sie ihre Gründe vortragen: »Dieses, mit Deiner Erlaubniß zu sagen, ist eine Albernheit«; »Ich bitte um Entschuldigung, aber heut Abend redest Du verkehrtes Zeug«; »Verzeihe mir, aber da hast Du einen Fehler gemacht«. Und so disputiren sie weiter und nennen sich mit freundlicher Höflichkeit Esel und Kretins, so daß jeder Groll unmöglich wird.

Allen überlegen aber ist ein Zeitungsschreiber, und zwar durch ein System, welches man das der »Ermüdung« nennen könnte; seine Unterhaltungen gehören zur Geschichte des Unendlichen; er bringt Euch durch eine Unzahl von Prämissen, Schlüssen und Definitionen um. Er verfährt durch Ausschließung, und wenn er erst anfängt, den Dummen mit zwei Fingern zu fassen, so könnt Ihr sicher sein, daß alle zehn Finger mehr als einmal an die Reihe kommen werden. Er hält Euch eine Stunde lang bei einem abgeschmackten Gegenstande fest, und wenn Jemand die Unklugheit begeht, ihn zu unterbrechen, so fängt er bei »nomine patris« wieder an. Seine Rede ist so lang, so langsam und langweilig, mit der abgemessenen Betonung eines Gerichtsschreibers, daß Ihr Euch zuletzt für überzeugt erklärt, nur um ihm nicht länger zuhören zu müssen. Sein zweites Ich, der Wechselagent, würde mit Anstand diskutiren, wäre er nicht von der unbezähmbaren Wuth besessen, materielle Vergleiche anzustellen; während er spricht, sucht er immer mit den Händen nach einem greifbaren Gegenstande als Vergleichsobjekt: er legt Münzen auf den Tisch in eine Reihe, zeichnet eine geometrische Figur auf eine Visitenkarte, stellt zwei Bücher einander gegenüber auf, verstellt die Stühle, läßt sich von den Nachbaren allerlei Gegenstände geben, zwingt den Gegner, eine gewisse Stellung anzunehmen, und bringt so unerwartete, verwickelte und abstruse Vergleiche ans Licht, daß Ihr wie betäubt vor ihm steht, ohne weder ja noch nein sagen zu können, wie vor einem Taschenspieler, dessen Künste Ihr nicht begreift.

Aber der Furchtbarste von Allen ist der junge Beamte der Weingesellschaft, ein wahrer Schmuggler und Falschmünzer der Diskussion. Er kämpft auf allen Feldern des »Wißbaren«, fordert Jedermann auch über Gegenstände seiner eignen Profession heraus, spuckt Unsinn massenweis aus, verdreht Euch das Wort im Munde, verläugnet, was er gesagt hat, erfindet Citate, fabrizirt Zeugnisse, läugnet immer, giebt nichts zu, unterscheidet niemals, überschüttet Euch mit Schlagwörtern, wie mit Prügeln, bietet zehn Gegnern die Stirn, von denen einer genügt hätte, um ihn abzufertigen, erhebt sich nur so tollkühner aus jeder Niederlage, kräht von neun Uhr bis Mitternacht – und berstet nicht. Zuletzt finden wir noch den Dekan der Gesellschaft, einen alten Philosophen, den zahmsten Mann von der Welt, welcher bisweilen, während die Andern streiten, auf verdächtige Weise eine dicke Krystallflasche befühlt, welche immer vor ihm steht.

 

Dieser Alte scheint in der That der Klügste von Allen zu sein. Aus langer, verschiedenartiger Erfahrung über Diskussionen hat er eine Anzahl praktischer Grundsätze geschöpft, die ich ihn eines Abends mit viel Liebenswürdigkeit seinem jungen Neffen vortragen hörte, der über ein heftiges Gezänk zwischen den Freunden des Oheims etwas ärgerlich war. »Wenn Du mit Deinen Freunden diskutirst«, sagte er, »darfst Du Deine Meinung niemals auf eine nicht zurücknehmbare Weise ausdrücken. Suche deine Ansichten so vorzubringen, daß sie denen Deines Gegners nicht schroff entgegenstehen, so daß die Erörterung fast wie zwei unterbrochene, abwechselnde Selbstgespräche vor sich geht. Antworte nicht sogleich auf die Gründe, welche Dir ein gereizter Freund entgegenstellt, denke darüber nach oder stelle Dich, als dächtest Du darüber nach: es giebt kein besseres Mittel, um ihn zu beruhigen und die Diskussion in der geraden Richtung zu erhalten. Wenn der Freund unversehens seine Stimme erhebt, so senke sogleich die Deinige: das ist eine wirksame Andeutung, welche ihn mehr im Zaum hält, als Worte irgendwie vermögen. Mache so wenig Gesten als möglich und stecke im Augenblick der größten Aufregung die Hände in die Tasche, denn das, was die Hände sprechen, ist oft viel aufreizender, als was die Lippen sagen. Beim ersten Auffahren des geärgerten Freundes, wenn er Dir ein spitziges Wort zuschleudert, antworte noch ruhiger, als vorher, aber laß ihn merken, daß Du das Wort verstanden hast; wenn er ein Ehrenmann ist, wird er sich sogleich bemühen, es auf anständige Weise zurückzunehmen. Wenn Du siehst, daß der Streit auf eine für die Freundschaft gefährliche Klippe zu führt, so brich ihn plötzlich ab, mit einem entschlossenen Worte, und bekenne laut den Grund Deines Verfahrens, denn nur ein solches ist annehmbar und versöhnlich. Bringe auf geschickte Weise eine Diskussion zu Ende, worin Du Sieger bist, wenn Du im Gesicht des Freundes liesest, daß er nur weiter disputirt, weil er nicht weiß, wie er aufhören soll. Disputire niemals mit Einem, der Dich, aus Mangel an Einsicht oder Kenntnissen, zu mühsamen Auseinandersetzungen zwingt, deren Du Dich schämst, oder die Dich verdrießen. Laß Dich niemals auf eine Diskussion ein, zu der Dich ein Freund auffordert, der gerade schlechter Laune ist. Disputire nicht in Gegenwart von Leuten, die Dich zum ersten Mal sehen. Unternimm keine hitzige Erörterungen mit Jemandem, der viel älter oder viel jünger ist, als Du. Disputire nie über ein Kunstwerk mit dem, der es hervorgebracht hat. Disputire nicht mit einem Freunde in Gegenwart einer Dame, der er gefallen möchte. Disputire nicht mit Deinen Freunden in Deinem Hause. Streite nicht über die Unsterblichkeit der Seele nach dem Essen und übe immer Überlegung, Geduld und Nachsicht.«

 


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