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Da wir nicht für alle unsere Freunde las sein können, was wir möchten, so suchen wir unsern Vorsatz wenigstens mit einem einzigen Freunde zu erreichen, wie es uns bisweilen bei unsern Jugendstudien geschieht, daß wir zuerst die ganze Wissenschaft umfassen möchten und uns dann, durch die Unermeßlichkeit des Unternehmens entmuthigt, bescheiden auf eine einzige Materie beschränken. Es ist ein Psychologischer Vorgang, der sich im Leben eines Jeden findet: man wählt einen Freund unter den liebsten, die man hat, stellt ihn auf ein Piedestal und wiederholt mit Beharrlichkeit sich und Andern, dieser sei der erste und theuerste unsrer Freunde, man glaubt es zuletzt selbst und ist in der That für ihn ein vollkommener Freund. So erreichen wir eine Art einseitiger Vollkommenheit, auf welche wir stolz zu sein versuchen. Aber ach! wie viele schlechte Beweggründe mischen sich insgeheim mit dem aufrichtigen Vorsatz, durch diese Weihe eines Herzensfreundes unser Gemüth zu erheben! Da ist die Begierde, einer großen Neigung fähig zu scheinen und der Welt zu verstehen zu geben, daß wir in unserm Herzen geheimnißvolle Schätze bergen, die nur ein Einziger kennt und würdigt; daran hat unter der Hand das Interesse Theil, uns eine sichere und im Nothfall nützliche Freundschaft zu verschaffen; dazu gehört auch eine gewisse freiwillige Täuschung des Bewußtseins, vermöge deren wir glauben, daß wir, wenn wir gegen Einen vollkommen sind, mit desto weniger Bedenken unsern Fehlern gegen alle Andern ihren Lauf lassen können. Dazu kommt noch, wenn wir uns wohl prüfen, eine gewisse instinktmäßige,
pedantische Liebe zur Ordnung, welche uns in allen Dingen, selbst in den Neigungen, eine Reihenfolge erstreben läßt. Auch die Verlockung einer Art eitler Selbstgefälligkeit mag darunter verborgen liegen, sagen zu können: »Mein liebster Freund, der Erste unter meinen Freunden.« Solche Worte drücken eine für unsern Charakter ehrenvolle Sicherheit der Empfindung aus uud schließen ein großartiges Bild ein, welches unsrer Eitelkeit schmeichelt; denn »mein Herzensfreund« bedeutet, unbestimmt, mit etwas rhetorischer Übertreibung: »Ein Mensch, welcher uns in seinem Herzen über die andern tausend Millionen stellt, welche die Erde bewohnen, und dem wir in unserm Herzen dieselbe Ehre erzeigen – von Herrscher zu Herrscher.«
Aber es gäbe zuviel des Scherzes, wollte man die Sache von der komischen Seite auffassen. Wer hat nicht beobachtet, in wieviel seltsamen und lächerlichen Gestalten diese Krankheit des »Herzensfreundes« auftritt, wenn sie nicht aus Hochmuth und Eitelkeit entspringt, wie fast immer? Für Viele ist der Herzensfreund weiter nichts, als derjenige, mit dem es ihnen gelungen ist, enger als mit irgend einem Andern eine Gesellschaft, aus zwei Mitgliedern bestehend, zum gegenseitigen Lobe und zur Herabsetzung aller Übrigen zu bilden. Für Einige ist ein entfernter Freund ein »Vertrauter«, aus früherer Zeit, um den sie sich aber in Wahrheit gar nicht kümmern; aber sie sprechen von ihm als der Seele ihrer Seele und preisen ihn, um die Andern herabzusetzen und sagen Euch freundlich in's Gesicht, mit ausgestrecktem Zeigefinger der rechten Hand, daß sie nur einen einzigen Freund auf der Welt haben – ihn allein, versieht Ihr wohl? – und Ihr werdet verstehen, daß sie Euch für einen Dutzendfreund halten. Für Andere ist dieser »Herzensfreund« ein Verstorbener, und sie haben ihm eine treue Wittwenschaft bewahrt, das heißt, es hat nur einen Menschen auf der Welt gegeben, der sie »verstanden hat«, und sie sind für alle andern Freunde ein geheimnißvolles Buch, welches keiner würdig ist, aufzuschlagen. Bei Manchen richtet sich diese Leidenschaft des Herzensfreundes auf etwas Hohes: ihr erster Freund ist immer ein berühmter, mächtiger Mann, der sie insgeheim mit inniger Neigung liebt, was sie erwidern, nicht wegen seines Ruhms, oder seiner Macht, denn diese sind eher der Freundschaft hinderlich, sondern wegen gewisser Gemüthseigenschaften, die nur ihnen bekannt sind. Für noch Andere endlich ist der Herzensfreund immer ein Schützling, ein geheimes Genie, den sie an's Licht bringen, im Triumph einherführen, ein Herz, zu dem sie den Schlüssel in der Hand tragen und vor Aller Ohren klirren lassen; sie liefern einen Beweis für die große Wahrheit, daß die Begeisterung, mit welcher wir die in die Welt Eintretenden empfangen, oft von dem Neid gegen die dann schon darin Vorhandenen abzuleiten ist.
Wenn aber die Vorliebe wirklich aus dem Herzen kommt, durch festen Vorsatz gestützt und von Beobachtungsgeist begleitet ist, so bietet diese Leidenschaft des »Herzensfreundes« Gelegenheit zu den schönsten und nützlichsten Versuchen, die man am menschlichen Herzen anstellen kann. Wir haben ihn erwählt, er soll für uns ein Bruder sein und wir für ihn; wir zeigen ihm großes Wohlwollen und bemühen uns, dasselbe wirklich in unserm Herzen hervorzurufen; für ihn allein verbergen oder bessern wir alle unsere Fehler und schließen die Augen für die seinigen; wir behandeln ihn, ohne Schmeichelei, mit der ausgesuchtesten Freundschaft; wir äußern gegen Niemand, auch nicht in unserm Innern, wenn wir allein sind, ein ungünstiges Urtheil über ihn; wir ziehen ihn Allen vor, bemühen uns auf jede Weise, ihm angenehm zu sein, ihm Wohlwollen einzuflößen und uns ihm gegenüber immer in einem solchen Gemüthszustande zu erhalten, daß er jeden Augenblick in unserm Innern lesen kann, ohne uns einen Vorwurf zu machen oder sich beklagen zu können; kurz, wir wollen sehen, ob es möglich ist, durch Anstrengung des Willens, der Güte, Aufopferung der Eigenliebe und Freundlichkeit ein wahrer Freund zu werden, wenigstens für einen Einzigen, und sich einen wahren Freund zu schaffen, wenigstens Einen. Nun ja, unsere Anstrengung trägt fast immer und fast unmittelbar einige Früchte. Es giebt keine Menschennatur, so hart und trübe sie auch sei, die bei solcher Probe nicht freundlich würde und ihr einigermaßen entspräche. Unser Freund nähert sich uns schnell, auch wenn er unsere Absicht nicht erräth. Einige seiner Fehler verschwinden bald, blos weil die entsprechenden Fehler bei uns verschwunden sind, und einige seiner verborgenen Tugenden enthüllen sich, »weil das Wohlwollen wie die Sonne wirkt, und in Andern die guten Eigenschaften, welche im Keime vorhanden oder erstickt waren, zur Blüthe bringt«. Und außer den schönen Eigenschaften, die er so erwirbt, verschönert er sich auch noch durch diejenigen, welche unser Wunsch uns in ihm erblicken läßt und mit den wirklich vorhandenen vermischt. Leicht genug kommen wir zu dem Glauben, daß er in sich auf dasselbe Ziel der idealen Freundschaft hinarbeitet, wie wir selbst, wir bilden uns ein, in jedem seiner Worte, in jeder seiner Handlungen tausend wohlwollende, freundliche Gefühle zu finden. Dann kommt ein Tag, wo wir wirklich jene warme, poetische, reine Freundschaft fühlen, der wir nachstrebten, und wo wir überzeugt sind, daß sie erwidert werde. Dann sagen wir mit Überzeugung und innigem Stolze, was wir Anfangs nur aus Eitelkeit gesagt hatten: »Ja, dieser ist mein Herzensfreund.«
Aber wie kurz ist die Selbsttäuschung! Die dicken Bande der Freundschaft widerstehen lange, aber alle jene seinen Goldfäden, die wir hinzugefügt, mit Sorgfalt und Liebe ausgespannt und zu schönen Zeichnungen angeordnet hatten, verschwinden und zerreißen beim ersten Fehltritt und zerstören in einem Augenblick die mühevolle Arbeit vieler Monate. Ein Fehltritt aber geschieht früher oder später: man kann unmöglich lange so leicht und sicher einhergehen, wie zwei Engel. Lieber Gott, die Fehler sind übertüncht, nicht ausgerottet; die Eitelkeit ist verhüllt, nicht bezähmt. Wenn eine gewisse Zeit verflossen ist, glauben wir genug Kredit gegeben zu haben und fangen an, wieder einzufordern; wir glauben, Rechte zu besitzen; wir verlangen und wägen das ab, was wir erhalten, und finden bald, daß der Gewinn die Kosten nicht deckt. Wir erhielten eine gute Freundschaft, hatten aber von etwas ganz Andern: geträumt. Was war es? Wir können es nicht sagen. Vielleicht war es ein unbewachtes Wort, eine falsche Betonung, aber es genügt; in solch einer vollkommenen, überzarten Harmonie klingt der geringste falsche Ton wie wüstes Gebrüll. Von diesem Augenblick an sind tausend hartnäckige Zweifel in unser Herz eingezogen. Sollten wir eine schlechte Wahl getroffen haben? Verdient dieser Freund wirklich Alles, dessen wir ihn würdig glaubten? Hat er unsre Idee begriffen? Ist er fähig, sie zu begreifen? Die Begeisterung verraucht, der Freund nimmt seine wahre Gestalt wieder an, der kritische Sinn erwacht wieder in uns, und dann ist Alles vorüber. Wenn wir dann noch bei unserm Vorsatz beharren, so geschieht es weder zu unserm, noch zu seinem Vortheil. Wir fahren fort, ihn mit demselben Wohlwollen, derselben Zartheit zu behandeln, wie vorher, aber die Zuneigung ist viel weniger lebhaft, wir fühlen dabei nicht mehr jene Wärme des Künstlers, welcher seines Werkes sicher ist, vorher in unsern Augen glänzte, sich auf den Freund übertrug und ihn zwang, uns bei unsrer Arbeit zu unterstützen. Hinter seinem Rücken glauben wir beständig, wie ein Gespenst die ideale Gestalt stehen zu sehen, in die wir ihn verwandelt hatten; sie blickt uns spöttisch an, und ihr Anblick, der uns an unsre kindische Selbsttäuschung erinnert, erscheint uns zugleich lächerlich und traurig, wie die Karikatur einer theuern Person, die uns beschwerlich wird und Scham einflößt.
Welch seltsames Kapitel würde die Geschichte unsrer mißlungenen »Herzensfreundschaften« in der Selbstbiographie eines Jeden von uns bilden! Unter Andern kommt uns immer wieder das Bild eines der Letzten in's Gedächtniß, eines Gauners, um derentwillen wir uns eine Zeitlang mit poetischer Begeisterung »bearbeitet« haben, und der an sich dasselbe zu thun schien, um uns zum Ausharren zu ermuthigen.
Aber er machte es wie Einer, der sich stellt, als wollte er einem Andern beim Heben einer schweren Last unterstützen; nachdem er uns ein Jahr lang um Höflichkeiten, Opfer und Zuneigung bestohlen hatte, wurde er aus die Probe gestellt und erwies sich unversehens als ebenso unpolirt, hart und ungebessert, wie am allerersten Tage, Wir erinnern uns auch eines Andern, der in irgend Etwas unser Nebenbuhler war, und den wir schon fast zur Vollendung gebracht hatten; aber unsre Arbeit ging nur so lange vorwärts, als unsre Nebenbuhler-Eitelkeiten sich das Gleichgewicht hielten, und dies dauerte, bis wir uns Beide ungefähr auf gleicher Höhe befanden; dann machte er einen großen Schritt vorwärts, nnd nun drang in unser Herz eine Eifersucht, nicht giftig, nicht so lebhaft, daß wir ihn nicht hätten in der Reihe unsrer übrigen Freunde behalten können, aber zu stark, um ihn länger auf dem Posten eines Herzensfreundes stehen zu lassen. So mußte er denn einige Stufen hinabsteigen. Da fällt uns noch einer ein. Aber mit diesem haben wir uns gegenseitig getäuscht, ohne es zu wissen; es
war ein seltsamer Fall. Man stelle sich zwei Freunde vor, welche lange Zeit sagen und glauben, daß sie sich voll Begeisterung lieben und bewundern, welche einander mit Thränen in den Augen überschwenglich loben, welche alle Tage zusammenkommen, weil sie fest überzeugt sind, daß sie keinen Tag leben könnten, ohne sich zu sehen, welche sich brieflich die wärmsten und edelsten Versicherungen der Zuneigung und Ergebenheit zusenden, welche jemals aus der Feder zweier Freunde geflossen sind; und dann, eines schönen Tags, ohne daß irgend Etwas vorgefallen ist, bemerken sie zur großen Verwunderung Beider, daß sie nicht geboren sind, um sich zu verstehen, daß ihre Freundschaft nur eine Prise Brausepulver in einem Löffel Wassers gewesen ist, ein Aufbrausen ihrer Phantasieen, ein wenig Strohfeuer, entzündet von zwei Jägern nach dem Ideal, die zufällig zusammengetroffen sind. Auch diesem haben wir in einem Winkel des Studirzimmers seinen Platz angewiesen, in jenem Winkel, den alle Bildner von Freunden besitzen, hinter einem grünen Vorhang, unter andern verfehlten Meisterwerken.