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Das waren neue Freudenfeste, die über die Mark aufgingen. Herbst war es schon, und die Blätter wurden gelb und fielen zu Boden, wenn der Wind die Wälder schüttelte; aber den Märkern däuchte es Frühling. So warm war die Luft, und so lauer goldiger Duft schwebte über den Feldern und Wiesen. Da schwirrten die Käfer, die Vögel sungen wieder in der Luft, und Thier und Menschen war wohlig. Das ist eine Lust in unsern Landen, so Ihr nicht kennt in den Landen gen Mittag. Weil Euch die Sonne immer lacht, und auf die Saaten wirkt und Euer Blut, auch wenn unterweilen Regen niederschauern und Wolken den Himmel verdecken: darum fühlt Ihr's nicht als wir, was Gottes Sonnenschein eine Gabe ist, so das Herz labt und die Seele erquickt. Und das werden wir nie mehr innen als zur Herbstzeit. Dann ist's als ein Geschenk, um uns zu trösten, daß der Frühling nicht beständiger, der Sommer nicht wärmer war. Als eine Mitgift zum Winter, ehe wir uns in Pelze hüllen und unsre Dächer festigen und die Spalten verkleben vor Sturm und Regen, vor Schnee und Eiswind, daß wir uns noch einmal in Gottes Sonnenlicht freuen und den Leib baden in den lauen Lüften, um in die kalte Winterklause die Erinnerung und die Hoffnung mitzunehmen.
Den Alten-Weibersommer nennen sie's, und klingt's als Spott. Was thun Namen. Ach, die Sonne wiegt sich so ruhig über der Erde, wo auch Ruhe ist; und Frieden ist zwischen ihnen im blauen Firmamente. Da dampft der See und der Fluß, da schwellen leichte Nebelstreifen über die Wiesen, da schütteln die Bäume ihre Aeste, als wollten sie einsaugen so viel es geht von dem Balsam der Lüfte. Da fliegen die weißen wolligen Streifen in der durchsichtigen Luft und heften sich Dir an den Rock und umspinnen den Hagebuttenstrauch am Wege, wie neckisch ihn zu trösten, daß er alle seine Blätter abgeschüttelt hat. Und dort hängen sie sich an die bemoosten Aeste und schaukeln sich spielend im Winde. Du trocknest wohl, wenn du lange gewandert, die Stirn und wirfst dich nieder auf den Rasen, der wieder grüner flimmert, vom Thau erfrischt, von der Sonne gewärmt. Denn auch die Erde schlürft dürstig die unerwartete Spende ein, als wolle sie, wie der fleißige Hamster, Vorrath sammeln für den Winter. Die dunkeln Wolkenschichten stehen in Mitternacht und Abend, aber sie wagen sich nicht heran, und noch einmal drängt der Sonnenstrahl siegend sie zurück. Aber es ist keine Sonne, welche das Blut der Trauben durchglüht und Früchte reift. Nur ein letztes Aufleuchten ist's einer Kraft, die versiegt.
Solch ein Spätsommer war's in der Mark im Jahre des Herrn 1348. Sonnenschein und Freude war überall, denn das eignet sich oft, daß, wo die Menschen froh sind, ist's die Natur auch, und wo sie traurig sind, trauert auch der Himmel. Durch drei Wochen und mehr sah man kein Wölkchen; die Störche, die schon gerüstet zur Reise nach Mittag, weilten wieder, und die Schaaren Vögel, die über See von Mitternacht gekommen, weilten auch im Lande, als sei hier ihr Ziel. Die Wintersaat schoß lustig auf, daß es eine Pracht war für das Auge, wenn der Morgenthau perlte, und die Sträucher und Bäume schlugen aus, und die Keime thaten sich auf zu hellen grünen Flammen. Das erfreut das gedrückte Menschenherz, als ein süßer Rausch, und es denkt nicht daran, daß keine Früchte und Blüthen kommen. Eine Nacht ein Sturmwind, und hin ist Glanz, Wärme, Luft und Duft. Da fallen die Blätter, die wolligen Fäden sind verschwunden wie Elfenspuk, rauh bläst es über die Stoppelfelder, die Wälder rauschen unheimlich, und die ersten Schneeflocken bedecken das keimende Grün.
In dem Lande, wo es so still gewesen, summten die Lüfte vom Glockenklang, daß die Vögel nicht wußten was es sei, und flatterten ängstlich über den Dächern und um die Kirchthürme. Jubel war in den Städten, Jubel war durch das ganze Land; aber dazumal war er übergroß, wo ein Zug bunt geschmückter Ritter die Landstraße zog. Wo er sich nahte, rissen sie an den Glocken; da strömte das Volk viele Meilen auf der Runde herbei, das Wunder zu sehen, das hochfrohe Wunder, das Geschenk Gottes, die Aussicht und der Trost der Armen. Da streuten sie Reiser auf den Weg und Laubkränze und Blumen. Glückselig wer ihn zuerst sah, den Mann in ihrer Mitte; und Fürsten und Herren ritten um ihn; glückselig, wer den Saum seines Kleides gefaßt, wer den Steigbügel, darauf sein Fuß ruhte, mit der Hand berührt; noch glücklicher, wen er freundlich angenickt, und einen Trunk aus seiner Hand genommen. Ueberall sollte er weilen, es sollte ruhen sein Haupt unter ihren Dächern, sie wollten wachen an seiner Schwelle, und er sollte ihre Klagen hören, ihre Streite schlichten. Und wo er fürder zog, da schlossen sie sich ihm in endlosem Zuge an, ihm das Geleit zu geben; und warfen sich auf die Knie, wo sie endlich scheiden mußten, und streckten die Hände zum Himmel auf, Segen ihm zu erflehen.
So zog Markgraf Woldemar der Alte durch das brandenbrugische Land. War's ein großer Triumphzug; aber es waren keine Feinde da, und das Schwert blieb in der Scheiden.
Nur in den festen Schlössern zauderten sie länger. Einige vom Adel waren von Herzen für Ludewig, denn er verstand's, die Herzen zu gewinnen, und sein Hofhalt war glänzend; und wer selbst nicht glänzen kann, daß er dazu nicht das Zeug hat, der liebt's und ist's zufrieden, so Andrer Glanz auf ihn abfällt. Andere liebten ihn nicht; aber sie hatten Lehne von ihm. Und Andere liebten die Freiheit; nämlich daß sie keinen Herrn hätten, der im Lande war, und konnten thun, was sie Lust hatten.
Sie hatten Schlösser erbaut mit dicken Zwingmauern und Gräben, und hohen Thürmen und tiefen Verließen, deß sie keinen Auftrag hatten und kein Recht; denn das geht vom Landesherrn allein aus, und wenn er's nicht will, so darf Keiner eine Burg sich bauen, so die Andern schädigt und zur Raubhöhle wird. Aber sie hatten's gethan, und solcher Schlösser waren wie Pilze im Walde aufgeschossen. Und Markgraf Ludewig hatte ein Auge zugedrückt; denn was kümmerten ihn die Burgen, so die Märker ihm den Schoß zahlten. Was sollte daraus werden, so der neue Herr, der auf altes Recht gestützt, in's Land kam, sie nicht leiden mochte. Und er hatte aller Orten verkündet, er wolle die Schlösser brechen lassen, so den Frieden und die Sicherheit schädigten. Darum waren viele von den Raubrittern unschlüssig. Einige ritten ihm entgegen; Andere aber ritten fort, wo er des Weges kam, und so mußten sie an manche Schlösser pochen um Einlaß. Aber offenen Widerstand fanden sie nirgend. Wie hätte ein Einzelner das gewagt, wo die Völker um ihn wuchsen, als ein Strom, dem auf jeder Meile Bäche und Flüsse zuströmen; und Herzog Rudolf von Sachsen und der Fürst von Anhalt und der Erzbischof von Magdeburg ritten neben dem alten Woldemar, und als ein Schutzgeist über seinen Fahnen schwebte des Kaisers Name, der, so ward laut verkündet, selber kommen wolle ins Land, um zu richten und zu entscheiden.
Dazu hatten die Magdeburger die Grenzen besetzt, bis zum festen Havelschlosse Plauen. Item in die Altmark waren sie eingerückt. In die Ukermark wälzten sich Pommerschaaren über Pommerschaaren, und über die Marken der Priegnitz strömten mit wildem Geschrei die Mecklenburgischen Herren und fanden der Freunde viele. Und im Lande selbst allerwärts aus den Heiden und Brüchen kamen Gewappnete hervor, unter gar seltsamen Hauptleuten, die schauten wild genug aus, und man sah es ihnen an, sie hatten erst gestern die Farben von Anhalt umgethan, und ihre Bannerstangen waren von frischem Holze im Walde geschnitzt. Die brüllten als wilde Thiere: »Es lebe Woldemar!« und schlugen mit Keulen an die Thore, daß man sie öffne, und das Baiernzeichen abthue. Das waren die freien Banden, die Niemandem gehorchen; und jetzt, Keiner wußte wie, hatten sie einen Herrn und wollten gute Leute sein. Aber die Städte mit festen Mauern ließen sie doch nicht ein. Denn wer so schnell einen Herrn findet, der läuft wohl eben so schnell von ihm fort. Und es mag Einer dem besten Manne dienen, so ist er selbst noch nicht ein guter Mann.
Aber so nur zwei oder drei große Städte treu am Baiern gehalten, so nur Prenzlow, Brandenburg und Berlin, was an ihnen, der neuen Sache widerstanden hätten! Wer weiß, ob des Kaisers Name selbst stark genug gewesen. Denn eines Volkes Treue ist ein Fels, daran Arglist und weltliche Klugheit abprallen als Sturm und Regen. So lang der Fels unter ihm fest ist, hat kein Fürst zu verzagen. Und so der Fels wankt, Fremde thun's nicht, er ist selber dran schuld. Den Fels aber kann Jeder sich selber bauen, auch im flachen Lande, auch auf Sand. Er baut ihn mit den Herzen seiner Bürger, und er steht aufrecht und leuchtet weit in's Land aus den Städten her, wo Handel und Gewerbe, wo Kunstfleiß und Wissenschaft sich finden und die Hände reichen und im einträchtigen Bunde verschiedener Kräfte fortarbeiten auf ein Ziel, das heißt: vorwärts. Die Städte sind heut, und sie waren's vor Alters, mehr als du meinst, die Grundfesten des Landes, so klein der Raum ist, der das Weichbild einfaßt, da wohnt der Geist drin, der fortbildet. Da schauen sie sich an und verstehen sich, da öffnen sie den Mund, und Einer vertraut dem Andern, was er weiß, was fördert und hilft. Nicht, daß Die auf dem Lande nicht auch gut wären, und Gutes dächten und wollten, aber sie sind vereinzelt und wohnen weit von einander, und die Kunde von dem, was Noth thut und an der Zeit ist, kommt sparsam zu ihnen und spät erst. Die Treue ist wohl allerwärts zu Haus, wo der Mensch rein ist und das Herz gut, aber in den Städten da fühlen sie's und wissen's zugleich, warum sie treu sein müssen. Denn Treue ist das Band, das jedwedes Gemeinwesen zusammenhält, und Treue gegen Land und Fürst ist auch Treue gegen sich selber. Ohne die Erkenntniß ist die Treue nur als die des Hundes gegen seinen Herrn. Der Herr prügelt ihn und giebt ihm zu essen; darum schmiegt er sich an ihn und kriecht und wedelt zu seinen Füßen. Das ist wohl hübsch für ein Thier, das nicht aufrecht stehen kann; aber die Treue eines deutschen Bürgers ist eine andere.
Darum, hätte Markgraf Ludewig die Städte für sich gehabt, seine Sache wäre nicht verloren gewesen, wie man die Hand umdreht. Der Herzog von Sachsen, der neben dem Pilger einherritt in fürstlicher Pracht, hätte sprechen können, so viel er wollte: »Ihr Brandenburger, ich bringe Euch Euren rechtmäßigen Herrn!« sie hätten sich besonnen. Und eben so wenig hätten's die Reden der Pfaffen oder die Soldaten der Fürsten gethan; denn fremde Soldaten liebt kein Volk in seinem Land, und der Märker hilft sich lieber selber, als daß er's Fremden verdankt, auch wenn's das Beste wäre.
Brandenburg hatte seine Thore aufgethan, so die Altstadt als die Neustadt, und sie kamen ihm entgegen auf dem Marienberg. wo er mit den Fürsten und Rittern hielt, und die schöne Stadt mit ihren vielen Thürmen und Kirchen und prächtigen Giebeln zu seinen Füßen überschaute, und die fruchtbaren Felder darum und Wiesen und Seen. Da klungen mit einem Male alle Glocken, und nun strömte es aus den Thoren und stürzte und kletterte den Berg hinan. Das war das Zeichen, daß Bischof Dietrich und seine Domherren, den Landeshauptmann, den der Baier über die Marken gesetzt, überredet, daß er der Gewalt nachgebe. Friedrich von Lochen war kein Mann, der nachgab, wo er widerstehen konnte. aber was wollte er mit den wenigen Baiern machen; denn die Rathmannen hatten erklärt, so er nicht weiche, ließen sie Sturmglocken läuten; und kein Baier wäre aus der Stadt gekommen. Darum, da er hinaus war, läuteten sie, und der Bischof selber zog dem Pilger entgegen, hinter ihm alle seine Domherren. Das war ein feierlich Schauspiel, als er droben in lateinischer Rede den Pilger ansprach, als den Gott gesandt, und ihm das Wohl des Landes und der Kirche an das Herz legte. Ob Woldemar das verstand, weiß Keiner, aber er schaute bewegt, und hub die Hand und schwur zu all den heiligen, christlichen Märtyrern, die geblutet um ihren Glauben auf diesem Berge, wo vor Alters ein arger Götzentempel stand, daß er ein guter und gerechter Fürst sein wolle, und nur um Gott allein und sein Wort die Bürde der Herrschaft übernehme. Darauf las der Bischof eine Messe in Unsrer lieben Frauen Kirche auf dem Berge, welche der älteste christliche Tempel war in diesen Marken, mit Rundbögen und vielen Kuppeln als sie in Byzanz bauen; und ist schade, daß er nicht mehr steht. Ist sogar kein Stein mehr davon zu sehen. Und in allen Marken ist doch kein schönerer Fleck zu einem Gotteshaus als der Marienberg, der vordem der Harlunger Berg hieß; von dem herab man weit hinschaut über das ganze Havelland mit dem breiten Strome, der sich krümmt und windet; und aller Orten aus dem tiefen Grün blinkt dir sein Silberspiegel entgegen, weiße Segel schwellen darauf und Kirchthürme und Warten gucken aus den Wäldern vor. Und dazumal war der Silberschein von den vielen Wasserspiegeln noch größer, denn es sind erst zweihundert Jahre her, daß der große Kurfürst hier Kanäle grub und die Seen ließ trocken legen, und die feuchte Niederung heißt heute noch der große Luch. Aber hundert Jahr und wenige mehr sind es erst, seit sie die Kirche auf dem Berge abbrachen, der Steine wegen, damit sie anderes baueten. Wer oben steht auf dem Berge und niederschaut auf die alte Stadt Brandenburg, so ehrwürdig liegt sie da mit ihren gezackten Zinnenthürmen, den Mauerwerken, den übergekragten Thürmlein und den spitzen Giebeln, der glaubt's nicht, daß Einer es über's Herz brachte und nahm fort um ein paar Mauersteine der Stadt und dem Lande ihre Ehr und Zier.
Darauf, nach der Messe, zogen sie hinunter in die Stadt. Zum Rathhaus hat Bischof Dietrich den Pilger geführt, und da hat Herzog Rudolf zu den Rathmannen gesprochen, daß es sein lieber Vetter sei, und er ihn einsetze in sein alt Recht, und so als Brandenburg, die älteste und Hauptstadt der Marken ihm huldige, würden auch die andern Städte es thun, und treu halten am Hause Anhalt, als ihnen zieme. War's aber bei der Gelegenheit, daß der alte Sachsenherzog fast mehr sprach, als er sollte. Denn alter Unmuth überkam ihn im Eifern, und was vor fünfundzwanzig Jahren geschehen, das brachte er von Neuem auf. Vergessenes soll Niemand aufrühren, es macht übel Blut; zumal wenn Einer Neues anfängt, davon er sich viel verspricht. Er schalt die Märker, daß sie nicht dazumal fester an ihm gehalten, als er selbst in's Land kommen, um ihre Huldigung zu empfangen. So sie dazumal ihr Alles daran gesetzt, hätte der Baierkaiser nicht Macht gehabt, und die Herrschaft wäre beim Hause Anhalt blieben.
Da lächelten wohl die ältern Rathmannen. Denn als Herzog Rudolf zu jener Zeit im Lande war, wie er fürgab, um als Vormund für des großen Woldemar Neffen zu sorgen; aber da Heinrich ein schwächlich Kind war, (er starb schon ein Jahr nach Woldemars Tode) sorgte er nur für sich und ließ sich allerwegen huldigen. Und seine Herrschaft war nicht fein. Er besserte auch nichts. Ja, des großen Woldemar Wittib, Frau Agnes, konnte den störrigen Vormund zum wenigsten ertragen; dergestalt, daß sie die Trauer ablegte, ehe noch die Trauer-Schuh zerrissen waren, und über Hals und Kopf den Herzog von Braunschweig heirathete, daß sie nur loskam von der Vormundschaft des Sachsenherzogs. Das gab gar arg Gerede, und nicht minder, daß sie dem Braunschweiger als Mitgift die ganze Altmark mitbrachte und sie von Brandenburg trennte. Deß hatte sie gewiß kein Recht, aber so schlimm waren die Zeiten, man mußte es dulden. Und Herzog Rudolf hatte es verschuldet. Er war zu ungestüm und ungefüge und nicht der Mann, um zusammen zu halten, was auseinander ging.
Darum, als er sie schalt um die alten Dinge, gleich wie ein Bär, der immer brummen muß, aber damit setzte er nichts durch, und es wiederholte, daß sie dazumal unrecht gethan, und wo sie anders gethan, hätten sie jetzt nicht die neue Schererei, antwortete ihm der Bürgermeister:
»Euer fürstliche Gnaden, aber so hätten wir auch itzt nicht die Lust, daß unser rechtmäßiger Markgraf uns heimkehrt, und wären Euch nicht von Herzen, als wir thun, zu schuldigem Dank verpflichtet. Auch was wäre itzt? Von dem Ludewig abfallen, der ein schlechter Herr ist, wird uns leicht, aber so wir von Euch abfallen müßten, das würde uns schwer und Euch auch. Darum meine ich, ist's so zum besten als es ist.«
Der Sachsenherzog ward blutroth und sprudelte vor Zorn. Zum Glück fiel der Bischof Dietrich ein und sprach zum Guten, denn man weiß nicht, was Herzog Rudolf alles gesprochen hätte, so wild war er, und kehrte seinem Vetter, den Pilger, den Rücken, als wär er nicht da.
Da erhob sich der Pilger: »Ihr meint recht, lieber Meister, es ist zum besten als es ist. Denn das Große, was hier geschieht durch den Herrn, und ich bin sein schwach Werkzeug, das geschiehet nicht um Einen oder Zweie oder Drei, sondern um Alle. Daß Ihr Recht habt auf einen gerechten Herren, als es meine Väter und Vorväter waren, Säulen und Pfeiler der Ehre, Heerschilde männlicher Tugend, daran das Volk sich halten kann in seinen Nöthen, und zu ihm aufblicken in seiner Trübsal und seinem Zweifel. Wo das ein Fürst nicht ist, da ist er kein Fürst. Und. wo das ein Volk nicht hat an seinem Fürsten, da hat es keinen Fürsten. Darum, Ihr Lieben, komme ich zu Euch. Und soll das Recht erben in guter Art, als es vor mir war, so nach mir. Und das eben wollte er sagen, mein lieber Vetter von Sachsen, und es ist nicht gut, daß Ihr um Worte hadert. Er ist ein alter Mann, fast als ich bin, und meint Ihr, daß er um sich kommt? Sein Fürstenstuhl, der ihn erwartet, ist tief und kühl als meiner. Wer so zween Schritte vom Grabe steht, denkt nicht an irdischen Glanz, er denkt an das Heil seiner Seele, und daß er wirke und thue hienieden, was ihm ein leicht Gewissen gebe, vor dem Richter, vor dem die Könige Bettler sind.«
Nun wandt' er sich mit gar holdseliger Miene zu den Beiden: »Sprech ich's aus, Vetter Rudolf und Vetter Albrecht, was Ihr sinnt und denkt? Ihr wollt treue Fürsten sein diesem Lande und gute Väter diesem guten Volke. Ja Eure Stirnen glänzen, Eure Blicke sprechen es. Ihr wollt gut Regiment führen, gleiches Recht geben, was dem Geringen ist und dem Hohen, die Freiheiten schützen, und nicht verletzen, was das Volk fühlt und glaubt. Ihr wollt mild sein gegen den Dürftigen und stolz gegen den Uebermüthigen. Zucht und Ehrfurcht wollt Ihr einführen, die Straßen erhöhen und die Schlösser niederlegen, die Städte schirmen bei ihren Rechten, daß Handel und Wandel wieder das Land durchzieht, die Gewaltigen demüthigen und Euch doch freuen, wo stolze Männer Euch frei in's Gesicht schauen, und wollt nicht zürnen, wo sie ein frei Wort sprechen. Denn das ist des Adels Recht und seine schöne Pflicht, daß er mit gradem Rücken vor den Thron tritt, ein Fürsprecher des Volkes, nicht ein Unterdrücker. Ihr wollt stark sein als die Eiche und weich wie das Rohr; stark wider die Feinde, die mein Volk schädigen, und linde gegen seine Bitten und Seufzer. Ihr wollt es nicht theilen und zerreißen, sondern die theure Erbschaft zusammenhalten, daß mein Brandenburg wieder groß und mächtig sei, und sich fühle unter den deutschen Völkern und stolz sein könne auf sich und seine Fürsten. Ihr wollt regieren als gute Verwalter, die der Herr eingesetzt; der Kirche geben, was ihr gebührt, dem Adel, dem Bürger, den Bauern, Allen, Allen wollt Ihr geben. Nicht Herren wollt Ihr sein, um zu nehmen, zu verpfänden und zu verschleudern, als wie der Baier that, der war darum kein Herr; Ihr wollt gut wirtschaften und sparen Eures Volkes Kräfte, und nicht denken allein an das, was ist, vielmehr an was kommt, und daß Jeder arbeiten muß für seine Kinder und deren Kinder. Auch die Rechte der Herrschaft wollt Ihr wahren, gegen Bitten und Trotz; denn ein kräftig Regiment ist nicht um des Fürsten willen, es ist um das Volk selber, und ein heilig Gut, das der Herr ihm anvertraute, und er forderts wieder von ihm, wenn er stirbt. So ist's, Ihr lieben Vettern, das habt Ihr itzt mit mir ausgesprochen im Stillen, das schwört Ihr vor diesen lieben Zeugen, die hören's und sehen's, die Alt- und Neubrandenburger, für ganz Brandenburg, dessen Vertreter sie sind. Reicht mir Eure Hände. Ein Fürstenschlag ist ein Schwur vor Gott.«
Sie gaben ihre Hände, und er schlug ein, kräftig, und hielt beide Hände eine Weile und schüttelte sie, und wie er da um sich blickte, das Auge vergaß Keiner, so froh und warm strahlte es, und ob er gleich nicht groß von Gestalt war, er dünkte Allen größer als die beiden Fürsten neben ihm. Denn deren Augen strahlten nicht so froh und warm. Der Eine blickte zu Boden, das war der Sachse, und sah man's ihm an, es kam ihm ungelegen. Er wollte andres mit den Rathmannen verhandeln von wegen der Orbeede und der Zölle, die der Baier versetzt, und er wollte die Verpfändung nicht anerkennen. Was der Pilger sprach, dünkte ihm von Ueberfluß.
Albrecht von Dessau schaute nicht zu Boden, aber er sah verwundert dem Sprecher in's Antlitz, und wunderte sich immer mehr, je weiter er sprach. Denn seine Stimme, die anfangs rauh klang, wurde immer heller und lauter, und jetzt sah er eine Thräne in dem Auge. Da überkam's ihn, er schüttelte die Hand des Pilgers mit seinen beiden, und dann stürzte er ihm an die Brust: »Ich schwör's, was an mir ist,« sprach er, »Du bist ein Fürst, und ich will's sein, was Gott mir Kraft giebt.«
Da war große Freude, und Alle waren gerührten Herzens, und Woldemar hob die Arme gen Himmel:
»So sieh du, Herr meines Lebens, nieder auf diesen Handschlag edler Fürsten, und hör ihren Schwur, und laß ihn von deinen Engeln schreiben auf goldene Tafeln. Dann rufe mich, wenn du willst, und ich folge dir willig in dein ewiges Reich des Friedens!«
Herzog Rudolf war sehr unwirsch den Tag, und bei dem Feiermahl auf dem Rathhaus trank er den Wein herunter, und schmeckte ihn nicht. Ihm geschah nichts recht, und die Ehren, die man dem Markgrafen erwies, als in Trinken und Reden, schien's, als ob sie ihn eine wie die andere verdrossen, denn er meinte, was Dem geschah, das gehe ihm ab.
Nachmalen, als sie in ihre Logemente gingen, so der Rath ihnen zugerichtet, sprach er zum Dessauer: »Weiß der Himmel, was der Kerl reden kann vor Andern; und ist er mit uns, zückt er und rückt er, als werd ihm jedes Wort sauer; das Ding muß bald anders werden.«