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Zwölftes Kapitel.

Die Gassen, durch welche Baltzer streifte, waren dunkel. Nur aus wenigen Fenstern der überragenden Giebelgeschosse flimmerte Licht, ein mattes Licht. Es war ein eigner Anblick, eine mittelalterliche Stadt am düstern Abend; die tausend Ecken, Winkel, Türmchen, Bogen, von den herausschießenden Strahlen seltsam erleuchtet, wunderbar und schreckhaft, heimlich und unheimlich zugleich. Lauter Laterna Magica-Bilder aus den kleinen und großen Fenstern auf den Mauern drüben spielend. Und nun erlosch eines nach dem andern, die Mauern wurden finster, die schwarzen Schatten traten unförmlich heraus; hier ein heiserer Abendgesang, dort ein vielstimmig Gebet, und hier wieder hörte man schon das Schnarchen eines ehrsamen Bürgers durch die dünnen Fachwerkmauern. Um die Ecke schallte das Horn des Nachtwächters, und sein Abgesang wetteiferte an Mißtönen mit dem Geheul der Katzen, das auf den steilen Dächern laut wurde. Die Schwärmer, die taumelnd und singend aus den Kellern kamen, wichen ihm aus. Heute waren keine Schwärmer auf den Gassen. Aber auch Baltzer wich ihm aus. Was hatte ein ehrbarer Mann nach zehn Uhr auf den Straßen zu suchen, wenn es kein Gelag gegeben und kein Fackelträger ihm vorleuchtete. Baltzer hatte viele Geschäfte abgethan, durch viele Pförtchen war er eingegangen und wie ein Dieb oder ein Verliebter wieder hinausgeschlichen. Nun wand er sich durch die engen Gäßlein und Winkel um Sankt Niklas alte Kirche nach dem Oderberger Thore zu, wo sein Haus stand. Da fiel ein heller Lichtschein aus einem der alten Häuser auf den Platz, und in dem Licht bewegte sich ein Schatten. Rasch war er hinter den Roland getreten, daß man ihn nicht sähe, denn er wollte nicht gesehen sein. Es war das Haus des Bürgermeisters, und aus dessen hellen Mittelfenstern fiel der Schein auf den Platz und das steinerne Standbild. »Der kann auch nicht schlafen,« murmelte Baltzer, »und weiß doch nicht, was morgen über ihn kommt.« Aber der Schatten im Licht war der Bürgermeister selbst, der sich ans Fenster lehnte und hinausschaute auf den öden Platz. Darum blieb Baltzer still hinter dem steinernen Manne stehen, denn jede Bewegung mußte ihn verraten.

Der helle Schein im Zimmer kam vom Nachttisch, der annoch gedeckt stand, ob die daran gespeist, doch meist schon aufgestanden waren, und die hohen Lehnstühle standen leer. Zwei silberne Armleuchter brannten auf dem Tische und breiteten ein gar wunderliebliches Licht über das niedrige Gemach, und die Schüsseln, Teller und Pokale, verlassen da, in einer Unordnung als sie der Maler liebt. Rotbäckige Äpfel und Birnen in bunten Schalen, ein angeschnittener, wunderlich geformter Kuchen auf der Silberschüssel, die hohen Trinkgläser, der Ehrenpokal der Familie und die weitbäuchigen Flaschen. Mußte es ein Abend gewesen sein im Haus der Rathenows, wo wieder einmal ein heiterer Strahl durch die blinden, trüben Fenster schien.

Nur zwei Herren saßen noch und schenkten sich ein aus dem Fläschchen Malvasier, das zwischen ihnen stand, und schlürften wohlgefällig das süße Feuer, indem ihre Augen sich itzt begegneten, itzt bei der Gruppe am Ofen verweilten. Die beiden Trinkenden waren der Wirt, Herr Johannes Rathenow, und Herr Thomas Wyns. Vorm Ofen saßen schön Elsbeth und der Henning Mollner. Sie knackten Nüsse um die Wette und warfen die Schalen ins Feuer, und freuten sich, wenn sie knallten und die Funken sprangen, davor sie zurückschreckten, und eins lachte das andere aus, wenn ihm die Funken aufs Kleid fielen und konnte sie nicht finden: der andere half dann, und es gab viel Kurzweil, die auch die alten Herren belustigt. Auf der Bank am Ofen aber saß die Muhme Gertraud und ein anderer Mann von gesetzten Jahren. Er war ein weitläufiger Blutsfreund, ein stiller Mann, der zu Tisch geladen ward, so einer fehlte. Sonst war er nichts.

Die alten Herren mußten schon viel gesprochen haben, aber der Wein hatte sie nicht heiß gemacht. Von vergangenen Zeiten, von ehemaligem Glücke. Herr Wyns hatte viel Erbauliches gesprochen, daß niemand den Mut sinken lassen müsse; aus kleinen Dingen entstände oft Großes! was man mit dem Fuße fortwürfe, das sei oft ein Schatz. Läßt sich gut predigen, so man im Vollen sitzt, hatte Herr Johannes gedacht. Aber er mußte schweigen, denn Herr Wyns hatte ihm heut morgen, nach der Bestattung des alten Tydeke, das Geld selbst ins Haus getragen, was er ihm dazumal abschlug, als er ihn darum bat, um den Henning zu befriedigen und er mußte beim Juden Baruch, so schwer's ihm ward, die goldene Kette versetzen. Warum thut heut einer aus freien Stücken, was er gestern abschlug, und ward um Gottes willen darum gebeten? Voluntas hominum variabilis, sagt der Lateiner. Vielleicht rührte ihn des Kapuziners Rede, vielleicht waren die Umstände anders. Die Kölner waren aus dem Rathaus vor dem Johannes gewichen: die Anklage war zerrissen, von der sprach keiner mehr. Es gab andere Klagen. Und Herr Johannes! Hatte er das Geld nun freudig genommen? Nein, der Herr Thomas Wyns hatte es ihm aufdrängen müssen. Voluntus nominum variabilis. Was er von den Juden genommen und dem Roßtäuscher, itzt war's ihm zuwider, es von dem ehrenwerten Herrn Wyns zu nehmen, der nicht einmal eine Verschreibung forderte. Bis in die Schlummerstunde hatte er das Geld liegen lassen, wo es Herr Wyns hingelegt; dann aber war der Dames, sein Diener, damit in die Jüdengasse geschickt und hatte ihm die Kette wiedergebracht. War's denn dieselbe Kette, ungeschädigt? So, mit zweifelhaften Blicken, hatte er sie in die Hand genommen, als habe der Jude daran gefeilt und die Steine vertauscht. Das war nicht geschehen. Und war's doch nicht dieselbe Kette mehr. Sie war versetzt, in eines Juden Hand gewesen! Das und noch mehr, war Herrn Thomas Wyns itzt beim Glase Malvasier vertraut worden. Wer wenig Freunde hat, und die Stunde ist da, wo er sein Herz ausschütten muß, der spricht auch ins Rohr hinein, als wie König Midas vor alters. Und so war's heut abend dem Johannes zu Mut«. So wehmütig und bang, und doch auch froh, als müsse er sein Testament machen. Heute hatte er kein hartes Wort gesprochen, kein scharf Urteil unterzeichnet. Und Thomas Wyns, wenngleich ein schwacher Mann, war kein böser Wann. Er nahm's wie ein Testament und drückte dem Bürgermeister die Hand, und sprach ihm Mut zu: »Ein Traum, ein Traum, Herr Johannes. Nun ist's vorbei. Habt es wieder, und es ist wie es war.« – »Es wird nichts wieder wie es gewesen ist.« – »Der Traum ist erfüllt, Johannes. Was drüber, ist vom Übel; meine die unnötigen Sorgen.« – »Aber was werden wird.«

»Was wird denn werden! Wir haben gelebet, und unsere Kinder werden leben, und deren Kinder, bis das jüngste Gericht kommt. Das ist aber noch fern. Weiß nicht, wie viele Jahre der Pater sagte. Wir erleben's nicht mehr.« – »Aber wie die Welt im großen dereinst untergeht, ist jedwedem Ding seine Zeit gemessen, für kleines Ding kleine Zeit, und bleibt nichts bei dem, wo es war, es wandelt alles, als wie der Reichtum. Die reich waren, werden arm, und die arm waren, werden reich.« – »Ja, ja, man muß das Seine beisammenhalten,« sprach Herr Wyns. – »Am Recht muß man halten, Herr Thomas! Das allein darf nicht vergehen. Oder kann das auch blühen und welken, als wie eine Staude und ein Baum! – ist mir so in Sinn kommen, als ich neulich durch ein wendisch Dorf ritt, und sah mir im Weg ein alter Bauer, recht trotzig. Dem gab mein Reitknecht einen Schlag mit der Gerte, daß er mir Platz mache. Brummte der Alte und sprach, er hätte so viel Recht als ich, in der Sonne zu sitzen. Mein Knecht wollte ihm zu Leibe: der Alte aber war sehr schwach, und mich jammerte es, ein steinern häßlich Gesicht. Ich wehrte es ab: Bleib Du in der Sonne, sprach ich, die scheint auch auf Ungeziefer. Das Land ist unser. Gehörte das Dorf dem Herrn von Biberstein, der mir freund ist. Da grinste der Alte und brummte: War meiner Väter und Eures nicht. Erfuhr nachgehends durch den von Biberstein, daß in dem Dorfe viele wohnten, die sich Nachkommen rühmten der alten Krole und Herren, die frei hier saßen und Land und Leute hatten. Seht, Thomas, da kam mir's so in Sinn: die waren auch in ihrem Rechte, und wo ist's heute?«

»Pah! Das waren Heiden, Barbaren, Slaven, was weiß ich. Wir sind Deutsche, Sachsen; uns haben's die Herren verliehen,« – »Die hatten freilich keine Briefe und Siegel!« – »Nichts hatten sie, waren Hunde.« – »Wie aber, wenn wieder ein ander Volk käme, die uns auch jagten, als unsere Väter die Wenden, und austrieben aus unserm Gut und Rechte?« – »Dafür ist Kaiser und Reich, und was geschrieben steht, ist geschrieben.« – »Die Schrift könnte nichts auslöschen! Das ist, was mir oft durch den Kopf geht. Ein Brand zerstört Archen und alle Urkunden drin, Krieg kommt ins Land, die Leute vergessen's. Und ward nicht mancher Brief zurückgenommen, daran noch so schwere Siegel hingen. Wie wenn der Markgraf selber –« »Hannes, Ihr träumt noch. Was will der Markgraf uns –« »Ausgleichen unsern Streit. Aber mancher Ritter nimmt so viel Bezahlung, daß die Parteien nachher wünschen, sie hätten gar nicht gestritten.«

»Pah! Wer wird's ihm geben! Wir oder die Kölner? Ihr seid noch verstört, noch krank. Trinkt, der Malvasier treibt Euch die Grillen fort. – Der Markgraf mit seinen Räten schwitzt itzo, wie er die Sache angreifen soll. Er fragt die Abgeordneten aus, hin und her, erst diese, dann jene. Möchte es mit keinem von beiden verderben. Du lieber Gott, was hält' er auch davon!«

»Mag sein – und mag auch nicht sein.« Schien's, als hätten beide getauscht. Es kommt wohl, daß einer, der nicht mutig ist, es wird, und dann fliegt er über die Gefahr kühner als der Beherzte, so die Dinge und den Widerstand ins Auge faßt und prüfend jeden Schritt thut.

»Und wollt Ihr was Neues wissen? Die Herren in Köln, als ich mir sagen ließ von unseren Frauen, reiben sich die Hände und lassen die Nasen hängen. Ist nicht so bei ihnen als es sollte. Herr Bartholomeus Schumm hat nicht mit unterschrieben die Klage, noch ist er zu einer ihrer Versammlungen kommen. Man weiß es nicht warum, ob's Eigensinn ist, ob er für sich was will besonders oder thut ihm der Bruch mit Euch leid? Kurz, er brummt und spielt den Vornehmen. Sie überlaufen seine Thür, die Bergholze und Hoppenrade, und der Matthis selbst ist dreimal vergebens hingegangen. Er antwortet, sie sollten ihn in Ruhe lassen; das sei nur altes Gestänk wieder aufgerührt. Nun, ist das gutes Neues, Herr Johannes? Was sind die Kölner ohne die Schumms? – Wette drauf, sie gäben itzt klein bei. Aber holla, Ihr Herren, itzt ist's zu spät.«

»Nun ist's zu spät,« sagte Herr Rathenow in Gedanken versunken, und ebenso in Gedanken stand er vor seinem Gaste auf, was sich doch für einen Wirt nicht schickt. Aber Thomas Wyns nahm's ihm nicht übel. Er sah, der Mann war noch schwach von seiner Krankheit und darum ging nichts Frohes bei ihm ein. Er schüttelte ihm die Hand zum Abschied, denn der Wächter blies die zehnte Stund«. »Legt Euch schlafen, Johannes, Eure Kette habt Ihr wieder und niemand wird sie Euch nehmen, und keine böse Träume, Mann, denn mein kleiner Finger sagt mir, morgen wird's anders und besser auch.«

Dann nahm Herr Wyns, als ein feiner Mann, auch von der Jungfrau Elsbeth Abschied und küßte ihr sittig die Stirn, und nickte der Muhme zu; gegen den Henning aber hub er schelmisch den Finger: »Du, Gesell, Dir ging's zu gut in Spandow. Hast mit Fürsten und Grafen verkehrt und Edelfrauen; sieh mir einer den Pilz an, dem wir am End' nicht mehr fürnehm genug sind. Aber merk Dir ein Sprüchlein:

Der Schuster, so da bleibt bei seinem Leisten,
Pechdraht heißt er, aber hat Kunden die meisten.«

Und auf der Treppe ganz unten, wohin Herr Johannes ihn geleitet, hub er auch zu dem bedenklich den Finger und flüsterte: »Wohin soll's führen, Gevatter? Der Hahn flattert nicht bis auf Sankt Nikolaus Kirchspitz'; aber er schreit sie an.«

Der Bürgermeister wiegte zuversichtlich den Kopf in der Krause: »Dafür laß ich die Elsbeth sorgen; sie ist des Johannes Kind. Aber so er dermaleinst eine ehrsame Bürgertochter heiratet, will ich ihm eine Hochzeit ausrichten, davon die Stadt sprechen soll. Ich war sein Vormund.«

Und so sah er auch aus, als er wieder oben in der Stuben dem Treiben der beiden zuschaute. Sie neckten sich, wie sie als Kinder gethan, und Elsbeth zog den Jungen auf, daß er gar nicht müde werde, von den schönen Frauen zu sprechen, die er am Hofe gesehen: »Vater, ich sage Dir, sie haben's dem Henning in Spandow angethan. Kein Mädchen in der Stadt kommt ihm mehr schön für, und er ist verliebt in ein Ritterfräulein. Weiß nur noch nicht, in welche von beiden. Denn so er von der Eva Holzendorf spricht, wird sein ganz Gesicht rot, aber meint er die Adelheid Pfuel, da blitzt es auf und er kann nicht Worte finden, wie schön sie ist. Hüte Dich, Henning, so es die Mädchen in der Stadt erfahren!«

Herr Johannes legte die Hand auf Hennings Schulter: »Ei, Töchterlein, was Thörichtes redest Du dem Burschen nach! Der Henning ist ein kluger Junge, hat Antworten auf die Fragen des Kurfürsten gegeben, als es sich schickt und ihm und uns Ehre bringt. Und ist so vernünftig, daß er nicht über seinen Stand hinausschaut. Nicht wahr, Henning, Du weißt, daß gleich und gleich sich schickt, und wer nach den Sternen schaut, stolpert und fällt. Du loses Maul, verrede mir meinen Henning nicht, wir sind wieder gute Freunde. Er ist kein Thor, in kein Edelfräulein verliebt. Was sollte ein Fräulein in seinem Haus? Da braucht er andere Arme, die zur Wirtschaft sehn und zugreifen, derweil er draußen – Staatsgeschäfte treibt. Der Markgraf ist sein Freund, wer weiß, wozu ihn der braucht! Darum müssen wir ihn warm halten, Elsbeth; er kann ein gut Wort für uns einlegen, der Henning.«

Das war Spott, aber ein freundlicher, und wie Herr Johannes es sprach, beleidigte es den Burschen nicht, zumal als er ihm itzt herzlich die Hand schüttelte und sprach: »Nun geh, 's ist Schlafenszeit, und nächster Tage weiß ich was Gutes für Dich. Ich bin noch Bürgermeister, und wenn dann noch Dein Herz danach steht – nun, für heut genug. Komm nächstens wieder – frag morgen wieder an. Wer weiß –«

»Ich sag doch,« sprach Henning, »'s giebt nur einen Hans Rathenow!« Und er brückte kräftig die Hand wieder, und dann herzlich Elsbeths Hand und ein Blick dabei, so treuherzig, daß man dem Jungen gut sein mußte, und dann nickte er noch der Muhme Gertraud und rannte die Treppe hinunter nicht wie einer, der vorm Kurfürsten gestanden und so klug ihm geantwortet, daß es dem ganzen Hofe gefiel, sondern wie der tolle Henning, den jeder kannte. Unten an der Treppe schrie er noch hinauf: »Komme morgen wieder.«

Die Jungfer Elsbeth sah vor sich auf die Dielen und auf das Feuer, das da spielte: »Vater! Kann der Fürst einen, dem er gut ist, zum Edelmann machen?« Es war unwillkürlich gesprochen, aber als beide sich ansahen, waren doch beide betroffen. Elsbeth ward hochrot, oder war's nur der Widerschein vom Feuer? Aber der Vater war fast erschreckt von dem Gedanken, und ein Gedanke rief den andern auf. »Elsbeth!« rief er und schwieg eine Weile. »Es ist jeder, wozu er geboren ward, und ist nicht mehr und nicht minder. Der Fürst ist Fürst. Kann ich ein Fürst werden?« – »Aber sie sagen doch, die Schumms waren vor alters auch nur Bierbrauer.« – »Das ist nicht an uns zu urteilen, was die Väter unserer Väter geurteilt haben. Die haben sie aufgenommen als Geschlechter in die Stadt und sie zu Ratmannen gekürt, und das sind sie. An uns ist's nicht zu entscheiden, ob die Väter recht gethan, nur darauf haben wir zu sehen, daß wir recht thun.«

Und darauf führte er sie an die Wand, wo die Stammtafel hing seiner Familie, ein langer, großer Baum; ach, mit wie viel Blättern und Ästen in alter Zeit, und itzt waren nur noch zwei Schilde, daran kein Kreuz verzeichnet war und ein obiit und Jahr und Tag dazu. Und mit Stolz zeigte er ihr die Männer, die sich hervorgethan und einen Namen gemacht in der Geschichte der Städte, seinen Vater Mattheus, der den märkischen Städtebund gestiftet, den Gerhard, der Bürgermeister war unter dem großen Waldemar, als Köln und Berlin durch sein Werk und seine kluge Rede beim Markgrafen die Hände verschlangen und eine Stadt wurden. Auch den Balthasar, unter dessen Konsulat, wie die Urkunden sagen, die steinerne Mauer erbaut wurde um das alte Berlin. Auch den alten Dietrich, einen Mann von Eisen, auf dessen Schultern Albrecht der Bär seinen Arm legte, da er müde ward in der Schlacht vom Niedermetzeln und sprach zu ihm: Du sollst mein Pfeiler sein, und ich will Dein Schild sein. Der saß, ein freier Mann, in dem Ort, so jetzt die Stadt Rathenow ist, und zog erst später unter den Ottos in das alte Berlin, wo er ein Bürger ward. Die Tafel führte bis zurück in die sächsischen Wälder, und waren die Rathenows, auch ehe sie den Namen führten von dem wendischen Orte, freie Männer gewesen, Herren, über Land und Leute und gewaltig in den Schlachten, und hold und treu ihren Herzogen, aber nicht unterthänig.

»Gedenke Deiner Väter,« sprach er, »und daß Du ein Fräulein bist, so frei und gut als eine in diesen Marken. Unser Geschlecht geht aus, aber es soll mit Ehren ausgehen.«

»Und zweifelst Du daran, Vater!« sprach die Jungfrau: und der stolze Blick, mit dem sie ihn ruhig und fest ansah, scheuchte mit einem Male die Wolken fort, die sich auf seiner Stirn gelagert. »Ich zweifle nicht, mein Kind.« – »Ich bin eine Rathenow, und will's nicht vergessen. Doch auf was hast Du dem Henning Hoffnung gemacht?« – »Was an mir ist, und ich dringe durch, so soll er das Fähnlein tragen der Stadt. Er verdient es.«

Als Herr Johannes der Tochter seinen Segen gegeben, und sie hinaufgeschlüpft war in ihre Schlafkammer, trat Gertraud vor ihn hin: »Johannes! Johannes! Für wen arbeitest Du, und für wen sorgst Du? Die Toten brauchen Dein nicht, die haben anders Ehre im Himmelreich. Wenn Du Dein Auge schließest, ist Dein Stamm aus und neue Stämme sprießen auf. Was willst Du mitgeben Deiner Tochter den Fluch Deiner Väter? Reiß' sie los davon, sei ein guter Vater und freue Dich, wenn sie frei wird. Knüpfe sie an das junge Reis, das hoch schießen wird und Früchte tragen, aber nicht an ein altes, wo der Wurm ist und Fäulnis. Johannes, Johannes, ich sage Dir, Du wirst den jungen Stamm brauchen und Dich darauf stützen, denn worauf Du stehst, ist Eitelkeit und Ungerechtigkeit vor dem Herrn. Es bricht. Nicht das Fähnlein gieb ihm, wenn er morgen klopft, gieb ihm Dein Kind. Bändige, Johannes, den Hochmut, denn der Richter klopft an Dein Thor.«

Da nun der gute Herr Johannes Rathenow zu seinem Fenster hinausschaute, falteten sich seine Hände, wie ein frommer Mann thut, wenn er allein ist, und sann nach über, was ihm begegnete im Leben, was Gott ihm geschickt und genommen, und wie sich alles so wunderbarlich getroffen. Da war's ihm, als ob eine ungeheure Last auf seiner Brust ruhe, schwerer und größer als Sankt Nikolas' Kirche, die schwarz vor ihm in den Wolken türmte. Und der Himmel weitete sich immer mehr und mehr, aber schwarz, und die Kirche wuchs, eine dunkle Masse, da hinein, und schier brach ihm das Herz und der Atem stockte. Und es war ihm, als bete er in tiefster Seele zu dem Heiligen und dem Gott, der über den himmlischen Heerscharen thront, daß er die Last von ihm nehme. So hatte er nie gebetet; auch wurden es itzt nicht Worte, nur stumme Gedanken waren's, die wie ein leiser Blutstrom durch seine Adern rieselten, und ihm war wohl und weich zu Mute. Wer gab's ihm ein? Der Johannes Rathenow nicht, der so vor die Bürger trat, und so vor dem Rate sprach, der vor Gefahr nimmer das Aug' abwandte. Der war nie weich gestimmt. In ihm sprach ein anderer. Aber wie's so recht innerlich in ihm betete, da wuchs auch der Roland vor ihm in den Himmel, mit dem Schild und Schwert und dem ungestalten, steinernen Angesicht. War's schon häßlich, da es klein ist; da oben, groß, ward's ein greulicher verwitterter Steinklumpen, keine menschlichen Züge dran, und es trat hohnlachend zwischen ihn und den Herrn und seine Engel: »Hannes, was willst Du bei dem? Ich bin das Recht, ich Dein Heiliger, zu dem Du beten mußt. Die andern hören's nicht.« – Zu dem steinernen Grauengesicht konnte er nicht beten. Er drückte die Augen fest zu: – »O Herr und Heiland, der Du um unserer Sünden willen gestorben bist, scheuche das Gespenst, das mir den Weg zum Throne Deines Vaters vertritt, um der Fürbitten willen Deines heiligen Apostels Nikolaus!« – Da schrumpfte der steinerne Mann sichtlich zusammen, und da Johannes die Augen aufschlug, war er so klein denn vorhin, und es rauschte – und er entfloh in das dunkle Gäßlein. Herr Johannes schlug ein Kreuz vor der Brust, und er atmete tief auf – er hatte es gesehen, deutlich, einen Eid konnte er ablegen, ob doch der Roland itzo wieder als vorhin dastand, ruhig und klein, aber es war nicht das tote Steinbild, das ihn erschreckte.

Johannes Rathenow war ein Mann, der auch um Mitternacht über einen Kirchhof ging. Und vor jedem Gespenst, das ihm in den Weg trat, hätte er ein Kreuz geschlagen und ihm dann ins Angesicht geschaut. Aber es kam ihm nicht vor, denn die Geister lieben mehr Nervenschwache als Nervenstarke heimzusuchen. Aber lebe da einer in dem alten Hause, im Winkel um Sankt Nikolas, wo die Mittagssonne kaum auf die Steine scheint und die alten Mauern feucht sind, lebe da einer lange Jahre beisammen mit der alten ächzenden Wahrsagerin, der Gertraud, einsam wie er, und brütend über seinen Kummer und die Verredung der Menschen, da wird auch wohl der Stärkste schwach und sieht Gesichter. Noch auf seinem letzten Lager hat Johannes Rathenow geschworen, daß er den Roland sich bewegen sah und um die Ecke huschen, in die Nagelgasse hinein. Und er hat nicht erfahren, daß es nicht der Roland war, sondern der Baltzer Boytin war es, der hinter dem Bilde stand, und ihm graute endlich, und er machte, daß er fortkam. Baltzer, der hat es nie ausgesagt, denn was brauchten's die Leute zu wissen, daß er gelauscht hatte.

Kaum daß Herr Johannes unter seinen Kissen lag, und er eilte, daß er dahin kam: als die Hausglocke heftig schellte; aber er richtete sich nicht auf, sondern vergrub sich unter der Decke, denn so die bösen Geister einmal angefangen ihr Spiel zu treiben, dann hören sie sobald nicht auf, die arme Erdenkinder zu necken, und er that als ein vernünftiger Mann, daß er nicht aufstand und nicht horchte, sondern sein Ave Maria betete, bis es wieder still ward und er einschlief.


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